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1

Einführung in die Erkenntnistheorie

Prof. Dr. Martin Kusch

<martin.kusch@univie.ac.at>

Reader in der Facultas Buchhandlung

PowerPoint Folien und Tonbandaufnahmen:

http://homepage.univie.ac.at/martin.kusch/index.html

Google: „Kusch Lehrveranstaltungen“

3

(VII) ER und Wissenschaftsphilosophie

(1) Werkzeugkasten: Popper

(2) Kernideen von Kuhns Structure of Scientific Revolutions

(3) Kuhn als erkenntnistheorischer Relativist: Doppelt

(4) Kernideen von Feyerabends Against Method

(5) Van Fraassens The Empirical Stance

4

Haltungen (Stances) (The Empirical Stance, 2002)

Eine philosophische Position ist nicht bloß eine Menge von Ü-en, sondern eine „Haltung“:

Eine Struktur von Ü-en, Einstellungen, Bindungen, Vorgehensweisen, Werten, Zielen, Motivationen

Oder eine Kombination von versch. Haltungen

Auch der Wissenschaft sind bestimmte Haltungen wesentlich.

van Fraassen (1941-)

5

Zu einer Haltung wird man „bekehrt“ wie zu einer Religion oder einem politischen Programm. Haltungen macht man sich zu eigen.

Die Einheit einer Haltung? Es ist pragmatisch (wenn auch nicht logisch); es ist inkonsistent eines der Elemente zu verneinen.

Enden wir dann nicht im Relativismus oder Irrationalismus? Können dann Differenzen noch rational ausgeräumt werden?

Meinungen, Thesen, Theorien, Argumente sind immer noch wichtig. Aber sie können nicht endgültig und allein entscheidend sein.

6

Wissenschaftliche Revolutionen und Bekehrung

Es gibt die revolutionären Veränderungen (Feyerabend, Kuhn).

Problem/Paradox:

Aus der Sicht der Position nach der Revolution ist die Position vorder Revolution verständlich und die Veränderung plausibel.

Aus der Sicht der Position vor der Revolution ist die Position nachder Revolution absurd und die Veränderung nicht zu rechtfertigen.

7

Kann die Erkenntnistheorie helfen?

„Objektivierende“ Erkenntnistheorie (meint er Kornblith?!):

Eine Erkenntnistheorie auf rein faktischer Ebene, die unser kog-nitives Funktionieren beschreibt, und keine Werturteile enthält.

Das erkenntnistheoretische Problem der Bekehrung kann von ob-jektivierenden Erkenntnistheorien nicht gelöst werden.

8

Problem der objektivierenden Erkenntnistheorie

(a) Eine objektivierende Erkenntnistheorie ist eine (wissenschaftliche) Theorie über unsere Kognition.

(b) Eine solche Theorie ist eng mit unseren gegenwärtigen Theorien über die Welt verflochten.

(c) Problem: Dann muss jede Revolution bzgl. der Theorien über die Welt aus der Sicht der Theorie unserer Kognition irrational sein.

9

„Voluntaristische“ Erkenntnistheorie

... macht Willen und Entscheidungen zentral.

Voluntarismus ist die Ansicht, dass unsere Haltungen durch die Prinzipien der Rationalität unterbestimmt sind.

Die Prinzipien der Rationalität sind beschränkt auf die Forderun-gen von logischer Konsistenz und probabilistischer Kohärenz.

„Rationalität ist gezügelte Irrationalität.“

10

W. James: Wir wollen Wahrheiten glauben und Fehler vermeiden.

Diese beiden Ziele sind in Spannung. Es gibt nicht die eine Lösung.

Wie wir sie gewichten, ist abhängig von Kontext, Interessen und Werten.

William James(1842-1910)

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Bekehrung und Emotionen

Wie kann eine absurde Alternative zur echten Alter-native werden?

Wie ändern sich die grundlegenden enscheidungsre-levanten Parameter unserer Problemsituation?

Durch Änderung der Emotionen! (sagt J.-P. Sartre …)

Andere Emotionen, andere Wahrscheinlichkeiten. Der Glückliche erwartet Gutes; der Unglückliche Schlechtes.

Jean-Paul Sartre(1905-1980)

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Die revolutionären Veränderungen sind nicht einfach nur Fälle der Emotionen. Aber das Pattern ist gemeinsam.

Die Veränderung macht etwas verständlich, was vorher nicht ver-ständlich war. Und die Änderung der Einstellung ist hier zentral.

Emotionen spielen in dieser subjektiven Transformation eine Rolle: aber dies sind in der Wissenschaft wichtige Emotionen.

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Themen

(I) Die Definition des Wissens und der Skeptizismus

(II) Antworten auf den Skeptizismus

(III) Fundamentalismus, Köhärenztheorie, Internalismus versus Externalismus

(IV) Naturalisierte Erkenntnistheorie, Erkenntnistheorie der Tugenden

(V) Meinungsverschiedenheiten – Grundsätzlich und unter Ebenbürtigen

(VI) Epistemischer Relativismus (=ER) und Meinungsverschiedenheiten

(VII) ER und Wissenschaftsphilosophie

(VIII) ER und Wissenschaftssoziologie

(IX) ER und Pragmatismus

(X) ER und philosophische Semantik

(XI) Kritik des ER I: Boghossian & der Nonabsolutismus

(XII) Kritik des ER II: Boghossian & der Relationismus

(XIII) Kritk des ER III: Boghossian & der Pluralism

In der letzten Woche Prüfung

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(VIII) ER und Wissenschaftssoziologie

(1) Grundideen

(2) Finitismus

(3) The Strong Programme

(4) Das klassische Argument von Barnes & Bloor (1982)

(5) Bloor zu Absolutismus, Fortschritt und Moral (2007)

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Wissenschafts-soziologie

Wissenssoziologie“SSK”

Institutionen

Wissenschaft-lerInnen

Laborpraktiken

WissenschaftspolitikWissenschaft-liches Wissen

PhilosophischesWissen

Alltagswissen

“Sociology of Scientific Knowledge” (SSK)

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Wissen-schaft

Wahrheit

Falschheit

Rationale Faktoren

Soziale Faktoren

Das „moderate Programm” („Weak Programme”)

17

Wissen-schaft

[Wahrheit]

[Falschheit]

Rationale Faktoren Soziale Faktoren

Das „radikale Programm” (the „Strong Programme”)

=

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(VIII) ER und Wissenschaftssoziologie

(1) Grundideen

(2) Finitismus

(3) The Strong Programme

(4) Das klassische Argument von Barnes & Bloor (1982)

(5) Bloor zu Absolutismus, Fortschritt und Moral (2007)

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Barry Barnes über Kuhn – die Wichtigkeit des „Finitismus“

Kuhn beschreibt das wissenschaftliche Training korrekt als eine Form der Sozialisation.

Kuhn sieht die Wichtigkeit von Ähnlichkeitsrelationen:

(a) wir ordnen Gegenstände und Prozesse nach ihrenÄhnlichkeiten und Unterschieden.

(b) welche Ähnlichkeiten und Unterschiede zählen entscheidet der Konsens der Gemeinschaft.

Barry Barnes(1943- )

20

Die Grundidee des „Finitismus“:

Dem Kind wird eine („finite“) Reihe von Vögeln gezeigt. Der Vater zeigt auf einige von ihnen, und sagt „Enten”.

Das Kind erwirbt so eine begrenzte Anzahl von vorbildhaf-ten Beispielen und extrapoliert von diesen in neuen Fällen.

Das Kind formt Ähnlichkeitsbeziehungen.

„… das Kind lernt das bevorzugte Arrangement einer Ge-meinschaft, nicht etwas, auf dem die Natur selbst besteht.“

21

Autorität ist zentral: „als Quelle der Anleitung ..., wie die Wahr-nehmung zu organisieren und begrifflich zu fassen ist.“

„Die Wortverwendung der Vergangenheit gibt Präjudizien für … die Verwendung, aber ist nicht ausreichend um diese zu fixieren.

Denn es gibt keine natürliche und universale Skala um Ähnlich-keit gegen Unterschied abzuwägen. …

Die richtige Verwendung ist einfach die Verwendung, die allge-mein in der Gemeinschaft für die richtige gehalten wird.”

22

I1......In

ähnlich und verschieden

Kategorie1

23

I1......In

I1......In

ähnlich und verschieden

ähnlich und verschiedenähnlich und

verschieden

Kategorie1 Kategorie2

24

I1......In

I1......In

ähnlich und verschieden

ähnlich und verschiedenähnlich und

verschieden

X

ähnlich und verschieden

ähnlich und verschieden

Kategorie1 Kategorie2

25

Finitismus in Ausbildung und Forschung:

Ausbildung vermittelt die „akzeptierten Ähnlichkeitsbeziehungen“.

Forschung besteht häufig in Problemlösen anhand von existierenden paradigmatisch gelösten Problemen.

Dadurch entwickeln sich Ähnlichkeitsbeziehungen für zukünftige Fälle.

Anders als beim Kind, sind die neuen Fälle der Gemeinschaft ebenfalls fremd. Sie wird die neuen Ähnlichkeiten akzeptieren oder ablehnen.

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(VIII) ER und Wissenschaftssoziologie

(1) Grundideen

(2) Finitismus

(3) The Strong Programme

(4) Das klassische Argument von Barnes & Bloor (1982)

(5) Bloor zu Absolutismus, Fortschritt und Moral (2007)

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• David Bloor in Knowledge and Social Imagery (1976) …

„.... Die Soziologie wissenschaftlichen Wissens sollte sich andie folgenden vier Grundsätze halten ...”

David Bloor(1942- )

28

1. Sie ist kausal, d.h. sie beschäftigt sich mit den Bedingungen, die Überzeugungen oder Wissenszustände hervorbringen.

Natürlich gibt es auch andere Typen von Ursachen—neben den sozialen—welche ihren Beitrag zur Verursachung von Ü-en leisten.

29

2. Sie ist unparteiisch gegenüber Wahrheit und Falschheit, Rationalität und Irrationalität, Erfolg und Misserfolg. Beide Seiten … verlangen Erklärung.

3. Sie ist symmetrisch in ihrem Erklärungsstil. Die gleichen Typen von Ursa-chen würden z.B. wahre und falsche Überzeugungen erklären.

4. Sie ist reflexiv. Im Prinzip wäre ihr Erklärungsmuster auch auf die Sozio-logie selbst anwendbar.

30

Wissenschaftliches Wissen ist vor allem „theoretisch”. Aber Theo-rien sind uns nicht in unserer Sinneserfahrung gegeben.

Sie geben den Erfahrungen ihre Bedeutung. Aber werden natürlich auch durch Erfahrungen verändert.

„Die theoretische Komponente des Wissens ist eine soziale Kompo-nente, und sie ist ein notwendiger Teil der Wahrheit, ...”

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Das Parallelogramm der Kräfte:

Erfahrung

Frühere Überzeu-gungen

Resultierende Annahme

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(VIII) ER und Wissenschaftssoziologie

(1) Grundideen

(2) Finitismus

(3) The Strong Programme

(4) Das klassische Argument von Barnes & Bloor (1982)

(5) Bloor zu Absolutismus, Fortschritt und Moral (2007)

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Barnes & Bloor: “Relativism, Rationalismand the Sociology of Knowledge” (1982)

Relativismus (=REL) wird von Links und Rechts kritisiert.

Die GegnerInnen des REL vertreten Spielformen des „Rationalismus“.Aber REL ist keine Bedrohung wissenschaftlicher Rationalität.

Alle Disziplinen, welche die Vielfältigkeit, Verteilung und Wandlung von Systemen von Ü-en untersuchen, bedürfen des REL.

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Elemente des Relativismus:

(a) Es gibt verschiedene Ü-en über ein bestimmtes Gebiet.

(b) Welche dieser Ü-en sich in einem bestimmten Kontextfinden, hängt von den Umständen der Benutzer ab.

(c) „Symmetrie oder Äquivalenz Postulat(e)“:

(c1) Alle Ü-en sind gleichermaßen wahr.

(c2) Alle Ü-en sind gleichermaßen falsch.

(c3) Alle Ü-en können kausal erklärt werden aufgrund von „spezifi-schen, lokalen Ursachen [ihrer] … Glaubwürdigkeit“. (23)

35

Beispiele solcher Ursachen von Glaubwürdigkeit einer Ü:

Rolle in tradierten kognitiven und technischen Kompetenzen

Unterstützung durch Autoritäten

Verbreitung durch etablierte Institutionen

Bezug auf Strukturen von (etablierten) Interessen

Praktische & direkte Konsequenzen von Urteilen bzgl. dieser Ü-en

36

REL ist ein Monismus, Rationalismus eine Dualismus was die Erklä-rung von Ü-en angeht. (Vgl. das „Radikale Programm“.)

Brauchen wahre Ü-en eine andere Erklärung als falsche Ü-en?

37

Einwand 1: Relativismus und „wahr“ (S. Lukes)

Der REL-ist hat das Recht verwirkt, von „wahr“und „falsch“ zu reden.

Antwort auf Einwand 1:

Vgl.: REL-ist untersucht Stamm, dessen Ü-en von seinen abweichen.

Er wird seine eigenen aufgrund seiner (lokalen) Standards präferieren.

Steven Lukes(1941- )

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Und dabei auch von Wahrheit sprechen. Er muss ja auch seine eigenen Ü-en sortieren.

R-ist akzeptiert, dass auch seine Rechtfertigungen in einem Prin-zip / einer Tatsache enden, die nur lokale Glaubwürdigkeit haben.

Dies noch zu begründen führt schnell in eine Zirkularität.

„Wirklich rationale“ Standards im Ggs. zu nur „lokal akzeptierten“ macht keinen Sinn.

39

Es gibt keine „kontextfreien oder superkulturelle Normen der Ra-tionalität“.

Daher bilden rationale / irrationale Ü-en keine „natürlichen Arten“:

... „die verschieden an den menschlichen Geist appellieren“,

„... in verschiedenen Beziehungen zur Wirklichkeit stehen“ , oder ...

ganz bestimmte Formen der Gesellschaft voraussetzen.

40

Einwand 2: Glaubwürdigkeit versus Gültigkeit (A. Flew)

„Hinreichend gute Gründe“ ≠ Ursachen von Ü-en

Gültigkeit ist eine Frage des Beweismaterials und der Vernunft.

Daher hat die kausale Soziologie nichts mit Gültigkeit zu tun.

Antwort auf Einwand 2:

Aber gerade die „hinreichend guten Gründe“ sind variabel! Und ihre Glaubwürdigkeit in lokalen Kontexten ist Thema von SSK.

Anthony Flew(1923-2010)

41

Flews antizipierte Antwort:

Aber es gibt doch einen Unterschied zwischen „Grund für Üp“ und „was für einen Grund für Üp gehalten wird“.

B&B‘s Antwort:

Aber wir können Gültigkeit nicht von Glaubwürdigkeit trennen. Oft sagen wir, etwas werde bloß für einen Grund gehalten ...

Aber dies ist ein Zug in einer Argumentation und seine Glaubwür-digkeit wiederum eine lokale Angelegenheit.

42

Einwand 3: Ü-en ohne soziale Dimension (A. Flew)

Wenn ich einfach sage, was ich vor mir sehe, dann hat das mit sozialen Faktoren nichts zu tun.

Antwort:

Jede Beschreibung involviert (sozial vermittelte) Kategorien.

Und der REL erlaubt, dass es Fähigkeiten der Wahrnehmung u.a.m. gibt, die wir mit Tieren teilen, und die nicht sozial vermittelt sind.

43

Joseph Priestley (1733-1804)

Ein paar Bemerkungen zur Phlogistontheorie …

Phlogiston (von φλογιστός - brennbar)

Die Rolle der Wahrnehmung und Wirklichkeit

44

Verkalkung

Phlogiston

MetallMetallkalk

Erwärmung

Phlogiston

MetallMetallkalk

Phlogiston

Phlogiston

45

Joseph Priestley und Phlogiston

Er suchte zu beweisen, dass Phlogiston (Wasserstoff!) durch “Minium” (=Blei-Oxid) absorbiert wird, und dass Minium durch die Absorption zu Blei wird.

Wasser

Linse

Sonnen-strahlen

Minium

Phlogiston

46Wasser

Linse

Sonnen-strahlen

Blei

Phlogiston

47

Empirismus: „Wir sehen den Wasserstand steigen, aber nicht, dass Phlo-giston von Minium absorbiert wird.“ (Das sind postulierte Entitäten.)

Die Realität, die die Theorie postuliert, läßt sich nicht direkt wahrneh-men. Wahrheitsindikator: die Theorie macht erfolgreiche Vorhersagen.

Kohärenz ist entscheidend: Durch die Theorie interpretierte Erfahrung wird überprüft um zu sehen, ob sie intern kohärent ist.

48

Wir interpretieren das Experiment natürlich ganz anders.

Kein Phlogiston, Wasserstoff; kein Minium, Blei-Oxid.

Wenn Blei-Oxid erhitzt wird, tritt Sauerstoff aus, verbindet sich mit dem Wasserstoff und formt Wassertropfen.

Priestley bemerkte die Wassertropfen auch, aber meinte sie kämen aus dem Minium.

49

“Wir haben auch nicht mehr Zugang zu den versteckten Aspekten der Wirklichkeit; … Wir sind berechtigt, unsere Theorie zu präferieren, ...

... denn ihre interne Kohärenz lässt sich über ein weiteres Spektrum von theoretisch interpretierten Experimenten und Erfahrungen durchhalten.”

Die Korrespondenz von Theorie und Realität lässt sich nie wahrnehmen.

50

Auch Priestleys Theorie korrespondiert mit der Realität in mancher-lei Hinsichten.

Die Realität ist ein „gemeinsamer Faktor“ für sehr versch. kognitive Reaktionen zu ihr. Daher kann sie die Variation nicht erklären.

Außer natürlich wenn versch. Teile der Realität betrachtet wurden.

51

Einwand 4: Das „Brückenkopf-Argument“ (Hollis & Lukes)

Alle Kulturen teilen „einen gemeinsamen Kern von wahren Ü-en und rational-gerechtfertigten Formen des Schließens“.

Dieser Kern ist Voraussetzung, wenn die AnthropologIn einen Stamm versucht zu verstehen.

Die Fremden „müssen“ in „einfachen Wahrnehmungssituationen“ so urteilen wie wir. Dies ist „der direkteste Zugang zur Bedeutung“.

Martin Hollis(1938-1998)

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Antwort:

Das stimmt nicht! Spracherwerb ist kein Übersetzen! Gemeinsame Begriffe seine keine Voraussetzung.

Es gibt keine empirischen Begriffe, deren Anwendung bloß eine Frage der unbedingten Vernunft wären. Vgl. die Einsichten des Finitismus.

Das Brückenkopf-Argument setzt so etwas wie eine reine Beobach-tungssprache voraus!

53

Antizipierte Antwort von Hollis & Lukes:

Aber wird nicht „Modus Ponens“ überall akzeptiert?

Antwort:

Das ist eine empirische Frage, die erst einmal zu untersuchen wäre.

Der Rationalist will vielleicht sagen, dass MP überall akzeptiert wer-den sollte. Und dass sich MP kontextfrei rechtfertigen lässt.

Das ist falsch! Die Deduktion lässt sich nur deduktiv beweisen.

54

Mögl. Antwort Hollis & Lukes („Theorie der analytischen Gültigkeit“):

Es braucht keine deduktive Begründung der Logik. Die logischen Gesetze gründen einfach auf der Bedeutung der logischen Partikel.

Die Gültigkeit der Regeln der Konjunktion (s.u.) beruhen auf den Bedeutungen von „und“ und „also“:

p p-und-q p-und-qq

p qp-und-q

55

Antwort (nach Arthur Prior):

Wie wär‘s mit folgendem neuen Partikel: „tonk“. Seine Bedeu-soll die folgenden Regeln rechtfertigen:

p p-tonk-q

p-tonk-q q

Alles folgt also aus allem! – Schlechte Bedeutung für ein Partikel?Stimmt, aber nach welchen Kriterien wollen wir da vorgehen?

Wir brauchen wiederum Theorien, Regeln, Intuitionen, welche Schlüsse wir akzeptieren wollen. Die Bedeutung allein tut‘s nicht!

Arthur Prior(1914-1969)

56

Antizipierte Antwort von Hollis & Lukes:

Aber ist denn die Logik nicht angeboren?

Antwort:

Biologische Theorie sind mit REL vereinbar. -- Lokale Ursachen unseres Gehirns; lokale Ursachen der Akzeptanz von Theorien.

Logische Theorien sind Versuche, unsere verschiedenen Intuitionen zu systematisieren. Sie sind Konventionen. Ihre Ursachen lokal.

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(VIII) ER und Wissenschaftssoziologie

(1) Grundideen

(2) Finitismus

(3) The Strong Programme

(4) Das klassische Argument von Barnes & Bloor (1982)

(5) Bloor zu Absolutismus, Fortschritt und Moral (2007)

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Bloor: “Epistemic Grace: Antirelativism as Theology in Disguise“ (2007)

REL: Es gibt kein Wissen über die nat. Welt und keine moralischen Überzeugungen, die „absolut“ wären.

Alle unsere Ü-en sind „relativ auf die Grenzen unserer menschlichen Natur und unserem Status als menschliche, soziale Tiere.“

Wir können der „Machinerie“ unserer Gehirne, Sinnesorgane, Kultur und Tradition nicht „entkommen“.

59

REL und Absolutismus schließen einander aus und tertium non datur.

REL gründet im Naturalismus. – Gegen alle Übernatürlichkeiten!

„Absolut“: was heißt das eigentlich? Die Absolutisten zeigen nie, wie wir eigentlich zu solchen Absolutheiten kommen können.

Und wenn sie Beispiele geben, sind diese mitnichten Absolutheiten.

60

Benedikt XVI argumentiert auch gegen den Relativismus. Bei ihm hat „absolut“ also einen Sinn. Es ist ein Dogma.

„Problem der Inkarnation“: wie kommt das Absolute in die Welt?

Dies analoge Problem muss jede nicht-relativistische ET lösen!

Benedikt XVI(1927- )

61

„Absolut“:

Wenn wir das Wort verwenden, meinen wir damit, dass im gege-benen Kontext keine „wenn“ und „aber“ akzeptiert werden.

Ob und wann wir solche Einschränkungen akzeptieren, hängt aber völlig von dem Umständen ab.

Die Verwendung des Begriffs „absolut“ bedroht also den R. nicht.

Absolutisten argumentieren oft a la Anselm: Weil wir manchmal davon reden, etwas sei absolut, darum existieren Absolutheiten.

62

„Gleichermaßen gültig“?

Gegner des REL unterstellen ihm, er hielte verschiedene Kulturen alle für „gleichermaßen gültig“.

Das ist aber eine falsche Unterstellung!!! Darauf muss sich der Relativist nicht festlegen lassen.

Vgl. auch Hazlett, Hales, Kuhn, Feyerabend ...

63

Fortschritt – die Modelle:

Wissen Nicht-Wissen A -----------------------------C------------------------------B

A -----------------------------------------C------------------B Fortschritt!

A -----------------------------------------C------------------- ∞ B Kein Fortschritt!

A ------------------------------C------------------------------ Realität?

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Nein, die Realität kann nicht Teil dieses Bildes sein. Sonst verwech-seln wir die Realität mit ihrer wahren Beschreibung.

Am besten würde B durch ein „?“ ersetzt. Wissen ist eine Anpassungan die Wirklichkeit. Im Sinne des Darwinismus.

Aber es gibt in der Biologie keine „perfekte Anpassung“.

65

Kulturelle Universalien und Gesunder Menschenverstand

Solche Universalien bedrohen des Relativismus nicht.

Aber bitte „de facto oder kontingente menschliche ‚Universalien‘“!

Und wenn es so etwas wie einen geteilten gesunden Menschenver-stand gibt, so ist auch das wiederum nur ein natürliches Phänomen.

66

Moralische Bedenken?

Aber ist denn der REL nicht moralisch bedenklich? Brauchen wir nicht absolute Werte?

Aber was ist, wenn beide Seiten auf absolute Werte beharren? Was helfen sie dann?

Der Absolutismus der Werte generiert eben genau die Situation, deren Vermeidung ihn gerade motivieren soll.

67

Im Britischen Oberhaus wurde 2005 über die Zulässigkeit juristischer Folter debattiert.

Lord Bingham schrieb die Begründung gegen die Folter. Aber:

„In a scathing dismissal of this impertinent proposal, their Lordships didnot invoke God or quasi-theological, absolute value. Their conclusion re-sted on the the accumulated wisdom of centuries of legal practice. Theyarticulated the customs and precedents of an ancient tradition.“

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