Einführung in die Wissenschaftsphilosophie...

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1 Einführung in die Wissenschaftsphilosophie I: 13. Vorlesung: Konvergierender Realismus, pessimistische Metainduktion, struktureller Realismus

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Einführung in die Wissenschaftsphilosophie I:

13. Vorlesung:

Konvergierender Realismus, pessimistische Metainduktion,

struktureller Realismus

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Thema für den dritten Aufsatz:

“Unterbestimmtheit und wissenschaftlicher Realismus”

(Zu: Unterbestimmtheit, Wissenschaftlicher Realismus und kon-struktiver Empirizismus, pessimistische Meta-Induktion und der strukturelle Realismus)

Material: Vorlesungen & die unter Vorlesungen 11-13 angege-bene Literatur. Alle verwendete Literatur muss angegeben wer-den. Zitate sind als solche zu kennzeichnen (mit Seitenangabe).

Zirka 10 Seiten. Font 12. 14 cm weit, Zeilenabstand 2.0.

In elektronischer Form einzureichen.

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Einführung in die Wissenschaftsphilosophie I:

Klausur

27. Jänner 201010:30 bis 12:00

Anmeldung zur Prüfung über das UNIVIS System:

http://univie.ac.at/uvo

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Spätere Prüfungstermine

Freitag, 5. März 201015:15 bis 16:45 Uhr, HS 2 G

Freitag, 18. Juni 201015:15 Uhr bis 16:45 Uhr, HS 2 G

Freitag, 15. Oktober 201015:15 Uhr bis 16:45 Uhr, Saal noch offen

Anmeldung zur Prüfung über das UNIVIS System:

http://univie.ac.at/uvo

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Kurzer Rückblick

11. & 12. Vorlesung

Unterbestimmtheit,Wissenschaftlicher Realismus,

Konstruktiver Empirizismus

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Empirische Be-obachtungen

Theorie T1 Theorie T2inkom-patibel

Schwache Unterbestimmtheit

T1 und T2 postulieren verschiedene theoreti-sche (nicht beobacht-bare) Entitäten.

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Empirische Be-obachtungen

Theorie T1 Theorie T2inkom-patibel

Empirische Vorhersagen

Radikale („strong“) Unterbestimmtheit

T1 und T2 postulieren verschiedene theoreti-sche (nicht beobacht-bare) Entitäten.

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Sätze über nicht beob-achtbare, theoretische

Entitäten

Sätze über beobacht-bare Entitäten wahr

wahr

wahr

Theorie

WR: Ziel der Wissenschaft: Wahre Theorien!

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Sätze über nicht beob-achtbare, theoretische

Entitäten

Sätze über beobacht-bare Entitäten wahr

empirisch adäquat

Theorie

KE: Ziel der Wissenschaft: empirisch adäquate Theorien!

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(6) Die Rolle der Abduktion in der Debatte zwischen KE und WR

(a) „Abduktion“ (Peirce) oder „Schluss auf die beste Erklärung“ (Harman)

• Gegeben sei eine Reihe von alternativen Hypothesen, die alle den Phänomenen in einem Gebiet empirisch adäquat sind.

• Abduktion ist der Schluss auf die Wahrheit derjenigen Hypo-these, die die beste Erklärung dieser Phänomene liefert.

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(*) Herr Müller schickt Frau Meier jeden Tag rote Rosen.

(a) Herr Müller ist in Frau Meier verliebt.

(b) Herr Müller hasst Frau Meier, aber hat zuviele Rosen zuhause, und muss sie irgendwie loswerden.

(c) Herr Müller verwechselt Frau Meier mit Frau Schulz –er ist in letzere verliebt.

(d) Herr Müller weiss überhaupt nicht was er tut.

SBE: (a)

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(c) Die globale Verteidigung des WR

• Das „Keine-Wunder Argument“ für WR von Putnam:

“... the positive argument for [scientific] realism is that it is the only philosophy that doesn’t make the success of science a miracle.“ (1975)

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• Hier wird also SBE auf die Wissenschaft selbst angewendet:

Welche Hypothese (= wissenschaftsphilosophische Position) erklärt am besten den Erfolg der Wissenschaft? Der WR!!!

• „Die Philosophie ist selbst eine Art von empirischer Wissenschaft.“ (Richard Boyd)

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(*) Die Naturwissenschaften sind empirisch erfolgreich.

(a) Wissenschaftliche Realismus …

(b) Positivismus …

(c) Konstruktiver Empirizismus …

(d) Idealismus ….

SBE: (a)

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van Fraassens darwinistische Erklärung für die Existenz wissen-schaftlicher Theorien, die erfolgreiche Voraussagen machen:

„Der Erfolg der gegenwärtigen wissenschaftlichen Theo-rien ist kein Wunder. Für den (darwinistischen) Wissen-schaftler ist es nicht einmal überraschend. Denn jede wissenschaftliche Theorie kommt in einem heftigen Kon-kurrenzkampf zur Welt, in einem Dschungel mit blutigen Zähnen und Krallen. Nur die erfolgreichen Theorien überleben—diejenigen, die tatsächlich wirkliche Regula-ritäten in der Natur registriert haben.“ (1980)

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Antwort des WR (Lipton):

• Das ist eine phänotypische Erklärung: es erklärt, warum der Phänotyp „empirisch adäquate Theorie“ in der Popu-lation der Theorien dominant geworden ist. Da lässt aber offen, dass es auch eine genotypische Erklärung geben kann: und die wäre eben, dass die Theorien approximativ wahr sind.

• Ein Phänotyp ist jedwede beobachtbare Eigenschaft einesOrganismus (z.B. Morphologie, Entwicklung, Verhalten).Der Genotyp sind die Information des genetischen Kodes.

• Genotyp + Umwelt → Phänotyp

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(d) Van Fraassens Kritik am SBE

Argument I

• Da es viele ontologisch inkompatible aber empirisch äquivalenteTheorien gibt, ist es sehr unwahrscheinlich, dass die eine wahre Theorie in der Klasse derjenigen Theorien ist, zwischen denen wir auswählen.

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Empirische Be-obachtungen

Theorie T1

Theorie T2

Theorie T3

erklärt

am bestenWAHR!

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Empirische Be-obachtungen

Theorie T1

Theorie T2

Theorie T3

erklärt

am bestenTheorie T4

Empirisch äqui-valent aber mit T2 inkompatibel

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Argument II

• Die am besten erklärende Theorie ist vielleicht nur die beste Theorie aus einer Klasse von insgesamt schlechten Theorien. Woher wissen wir, dass keine der anderen möglichen Theo-rien (die wir nicht berücksichtigt haben), nicht ebenso gut ist wie die, die wir für die beste halten?

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Empirische Be-obachtungen

Theorie T1

Theorie T2

Theorie T3

erklärt

Theorie T4

Schlecht

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(e) van Fraassens Voluntarismus

• Kritik des WR an van Fraassen: Auch van Fraassen muss eine Form des nicht-deduktiven Schliessens akzeptieren um einen auf die empirische Adäquatheit einer Theorie schliessen zukönnen!

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Empirische Be-obachtungen

Theorie T1

Theorie T2

Theorie T3

erklärt

am besten

Empirisch adäquat!

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• van Fraassens „neue Erkenntnistheorie“ als Antwort:

Erkenntnistheorie sagt uns nicht, was wir tun müssen, son-dern was wir tun dürfen (= preussisches & englisches Recht).

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Wir dürfen SBE benutzen, denn es ist oft pragmatisch unvermeidlich.

Aber dass SBE pragmatisch—in spezifischen Kontexten—erlaubt ist, heisst nicht, dass man kontextunabhängig glauben muss, was immer auch die Anwendung dieser Form des Schliessens ergibt.

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• Seine Kritik an SBE ist nur eine Kritik an der Idee, dass SBE zur Wahrheit führt, nicht dass SBE überhaupt be-nutzt wird:

„Jemand, der dadurch dazu kommt, etwas zu glauben, weil er es erklärend (explanatory) fand, ist deshalb nicht schon irrational. Er ist aber irrational, wenn er es sich zur Regel macht, so zu verfahren. Und er ist noch irratio-naler, wenn er meint, er sei hierzu rational gezwungen.“

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• van Fraassen lehnt den WR nicht deshalb ab, weil er meint, der WR sei irrational, sondern weil er die angebliche „infla-tionäre Metaphysik“ ablehnt, die mit dieser Position ver-bunden ist.

• Empiristen sollten Annahmen ablehnen, die über das hinaus-gehen, was wir je in unserer Erfahrung finden:

„good bye to metaphysics“.

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13. Vorlesung:

Konvergierender Realismus, pessimistische Metainduktion,

struktureller Realismus

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(1) Die pessimistische Metainduktion

(2) Laudans Kritik des konvergierenden Realismus

(3) Antworten auf die Kritik

(4) Struktureller Realismus

(5) Kritik am Strukturellen Realismus

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(1) Die pessimistische Metainduktion

(i) Es hat in der Vergangenheit viele empirisch erfolg-reiche wissenschaftliche Theorien gegeben, die spä-ter verworfen wurden, …

… und deren theoretische Begriffe—gemäss unseren heutigen besten Theorie nicht auf wirkliche Entitäten verweisen.

Page 31: Einführung in die Wissenschaftsphilosophie Ihomepage.univie.ac.at/martin.kusch/EWP.I.13.students.pdf · Larry Laudan (1941-): „Widerlegung des Konvergierenden Realismus“ (1981)

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(ii) Unsere heutigen besten Theorien sind nicht von völlig anderer Art als jene verworfenen Theorien.

Und daher haben wir keinen Grund anzunehmen, dass sie nicht auch eines Tages verworfen werden.

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(iii) Per Induktionsschluss haben wir guten Grund an-zunehmen, dass zukünftige Theorien auch unserebesten gegenwärtigen Theorien früher oder späterersetzen werden.

Im Lichte dieser zukünftigen Theorien wird sichzeigen, dass einige der zentralen theoretischenBegriffe unserer Theorien nicht auf wirkliche En-titäten verweisen.

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(iv) Dies stellt ein Argument für den wissenschaftlichenAntirealismus dar. Wir haben keinen guten Grundan die Existenz der von unseren besten Theorienpostulierten unbeobachtbaren Entitäten zu glauben.

Page 34: Einführung in die Wissenschaftsphilosophie Ihomepage.univie.ac.at/martin.kusch/EWP.I.13.students.pdf · Larry Laudan (1941-): „Widerlegung des Konvergierenden Realismus“ (1981)

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Die pessimistische Metainduktion wird zumeist Larry Laudan zugeschrieben. Zumindest argumentiert Lau-dans Artikel “A Confutation of Convergent Realism” explizit für die wichtige erste Prämisse. …

Page 35: Einführung in die Wissenschaftsphilosophie Ihomepage.univie.ac.at/martin.kusch/EWP.I.13.students.pdf · Larry Laudan (1941-): „Widerlegung des Konvergierenden Realismus“ (1981)

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(2) Kritik des konvergierenden Realismus

Larry Laudan (1941-):

„Widerlegung des Konvergierenden Realismus“ (1981)

• Der „konvergierende Realismus“ ist eine zentrale Form des wissenschaftlichen Realismus.

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(a) Grundannahmen des Konvergierenden Realismus

KR1 Konvergierungsthese: Wissenschaftliche Theorien (zumin-dest in den ‚reifen’ Wissenschaften) sind typischerweise an-nähernd wahr und Theorien jüngeren Datums sind der Wahrheit näher als ältere Theorien im gleichen Gebiet.

. . . . . . .

Zeit

Nähe zur Wahrheit

T1T2

T3T4

T5T6

T7

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KR2 Referenzthese: Die Beobachtungsbegriffe und die theore-tischen Begriffe in den Theorien einer reifen Wissenschaft verweisen auf / referieren auf wirkliche Entitäten.

(D.h. grob gesagt: es gibt Entitäten in der Welt, die den Ontologien unserer besten Theorien entsprechen.)

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Theorie T1

BB1 BB2

BT1 BT2

E1 E2

E3 E4

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KR3 Bewahrungsthese: Spätere Theorien in einer reifen Wissen-schaft „bewahren“ die theoretischen Relationen und die Referenten (Ontologien) der früheren Theorien.

(d.h.: Frühere Theorien sind „Grenzfälle“ der späteren.)

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Theorie T1

BB1 BB2

BT1 BT2

Zeit

E1 E2

E3 E4

Theorie T2

BB1 BB2

BT1 BT2

E1 E2

E3 E4

BB3 BB4

BT3 BT4

E5 E6

E7 E8

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KR4 Erklärungsthese: Akzeptable neue Theorien (sollen) erklä-ren, warum ihre Vorgänger erfolgreich waren (insofern sie denn erfolgreich waren).

Page 42: Einführung in die Wissenschaftsphilosophie Ihomepage.univie.ac.at/martin.kusch/EWP.I.13.students.pdf · Larry Laudan (1941-): „Widerlegung des Konvergierenden Realismus“ (1981)

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KR5 KR1-KR4 implizieren, dass (‚reife’) wissenschaftliche Theorien erfolgreich sein werden.

KR1-KR4 sind die beste, wenn nicht sogar die einzige, Erklärung für den Erfolg der Wissenschaft.

Der empirische Erfolg der Wissenschaft (in dem Sinne, dass sie detaillierte Erklärungen und genaue Voraussa-gen gibt) stellt daher eine überzeugende empirische Bestätigung für den Realismus dar.

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(b) Zwei abduktive Argumente zur Verteidigung von KR1 bis KR4

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Argument I:

(relevant für Konvergierungsthese (KR1) und Referenzthese (KR2))

Die beste Erklärung dafür, dass wissenschaftliche Theorien empi-risch erfolgreich sind, ist, dass diese Theorien annähernd wahrsind und dass ihre Begriffe auf wirkliche Entitäten verweisen.

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Sätze über nicht beobachtbareEntitäten

Begriffe für nicht beob-achtbare Entitäten

Voraussagen über beobachtbare

Entitäten

annähernd wahr

referieren …

annäherend wahr

SBE

wahr/erfolgreich

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1 Sind wissenschaftliche Theorien annähernd wahr, dann sind sie typischerweise auch empirisch erfolgreich.

2 Wenn die zentralen Begriffe wissenschaftlicher Theorien auf wirkliche Entitäten referieren, dann sind diese Theo-rien im allgemeinen empirisch erfolgreich.

3 Wissenschaftliche Theorien sind empirisch erfolgreich.

Wissenschaftliche Theorien sind annähernd wahr und ihre Termini referieren auf wirkliche Entitäten.

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a ⊃ bc ⊃ b ba & c

Der Schluss ist nicht deduktiv gültig.

Es handelt sich um einen Schluss auf die Wahrheit der besten Erklärung.

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Argument II (relevant für die Bewahrungsthese (KR3)):

Die beste Erklärung dafür, dass spätere Theorien die früheren als Grenzfälle bewahren (bzw. zu bewahren suchen), ist, dassdie früheren annähernd wahr sind und auf wirkliche Entitätenreferieren.

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Theorie T1

BB1 BB2

BT1 BT2

Zeit

E1 E2

E3 E4

Theorie T2

BB1 BB2

BT1 BT2

E1 E2

E3 E4

BB3 BB4

BT3 BT4

E5 E6

E7 E8

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Argument II (relevant für KR3):

1 Sind die früheren Theorien einer „reifen“ Wissenschaft annä-hernd wahr und referieren die zentralen Begriffe dieser The-orien auf wirkliche Entitäten, dann bewahren die späteren, erfolgreicheren Theorien in der gleichen Wissenschaft die frü-heren Theorien als Grenzfälle.

2 Wissenschaftler suchen die früheren Theorien als Grenzfälle zu bewahren, und gewöhnlich gelingt ihnen das auch.

Die früheren Theorien einer „reifen“ Wissenschaft sind annä-hernd wahr und referieren auf wirkliche Entitäten.

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Zentral im KR:

Die Annahme, dass sich der empirische Erfolg einer wissenschaftlichen Theorie dadurch erklären lässt, dass ihre Begriffe auf wirkliche Entitäten referieren.

Aber diese Annahme hat vier Voraussetzungen …

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52

Begriffe für nicht beob-achtbare Entitäten

Voraussagen über beobachtbare

Entitäten

referieren …

wahr/erfolgreich

erklärt

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A1 Die Theorien der fortgeschrittenen oder reifen Wissen-schaften sind erfolgreich.

A2 Eine Theorie, deren zentralen Begriffe auf wirkliche Enti-täten referieren, ist eine erfolgreiche Theorie.

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Begriffe für nicht beob-achtbare Entitäten

Voraussagen über beobachtbare

Entitäten

referieren …

wahr/erfolgreich

impliziert …

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A1 Die Theorien der fortgeschrittenen oder reifen Wissen-schaften sind erfolgreich.

A2 Eine Theorie, deren zentralen Begriffe auf wirkliche Enti-täten referieren, ist eine erfolgreiche Theorie.

A3 Ist eine Theorie erfolgreich, dann können wir vernünf-tigerweise schliessen, dass ihre zentralen Begriffe auf wirkliche Entitäten referieren.

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56

Begriffe für nicht beob-achtbare Entitäten

Voraussagen über beobachtbare

Entitäten

referieren …

wahr/erfolgreich

SBE

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A1 Die Theorien der fortgeschrittenen oder reifen Wissen-schaften sind erfolgreich.

A2 Eine Theorie, deren zentralen Begriffe auf wirkliche Enti-täten referieren, ist eine erfolgreiche Theorie.

A3 Ist eine Theorie erfolgreich, dann können wir vernünf-tigerweise schliessen, dass ihre zentralen Begriffe auf wirkliche Entitäten referieren.

A4 Alle zentralen Begriffe in den Theorien reifer Wissen-schaften referieren auf wirkliche Entitäten.

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Kritik an A1:

A1 Die Theorien der fortgeschrittenen oder reifen Wissen-schaften sind erfolgreich.

(i) Was heisst eigentlich „empirischer Erfolg“ einer Theorie T? T macht richtige Voraussagen; T führt zu erfolgreichen Interventionen; T ist in Standardtests erfolgreich. Aber das ist alles etwas vage.

(ii) Der Realist muss vorsichtig sein, „Erfolg“ nicht zu streng zu definieren—denn sonst kann es leicht passieren, dass die Wissenschaft gar nicht mehr erfolgreich ist.

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Kritik an A1:

A1 Die Theorien der fortgeschrittenen oder reifen Wissen-schaften sind erfolgreich.

(iii) Aber ungefähr richtig: die Wissenschaft erklärt eine Viel-zahl von verschiedenen Phänomenen, viele Dinge bestäti-gen ihre Theorien und sie gibt uns manipulative Hand-lungsmöglichkeiten und sagt oft Dinge richtig voraus.

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Kritik an A2: Referenz ⇒ Erfolg?

A2 Eine Theorie, deren zentralen Begriffe auf wirkliche Enti-täten referieren, ist eine erfolgreiche Theorie.

(i) Sind Theorien mit Begriffen, die auf wirkliche Entitäten refe-rieren immer oder zumeist empirisch erfolgreich? Vgl.:

die chemische Atomtheorie im 18. Jahrhundert

die Theorie der Kontinentalverschiebung war 30 Jahre lang sehr erfolglos ...

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Kritik an A2:

A2 Eine Theorie, deren zentralen Begriffe auf wirkliche Enti-täten referieren, ist eine erfolgreiche Theorie.

(ii) Eigentlich offensichtlich: eine Theorie kann auf wirkliche Entitäten referieren und doch viel falsches über sie sagen.

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Neuformulierung von A2:

A2* Eine Theorie, deren zentralen Begriffe auf wirkliche Entitätenreferieren, ist gewöhnlich eine erfolgreiche Theorie.

Kritik an A2*:

(i) Es gab viele inadäquate Versionen der Atomtheorie in den letz-ten 2000 Jahren, bevor erfolgreiche Versionen auftraten.

(ii) Es gab viele inadäquate Versionen der Wellentheorie des Lichts vor 1820 ... usw.

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Kritik an A3: Erfolg ⇒ Referenz?

A3 Ist eine Theorie erfolgreich, dann können wir vernünf-tigerweise schliessen, dass ihre zentralen Begriffe auf wirkliche Entitäten referieren.

Sehr viele erfolgreiche Theorien der Vergangenheit refe-rierten—nach unserer heutigen Ansicht—nicht auf wirk-liche Entitäten …

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Die Äthertheorien in den 30er und 40er Jahren des 19. Jh.:

der kalorische Äther

der optische Äther

der gravitationale Äther

der physiologische Äther

Der berühmte Physiker J.C. Maxwell sagte sogar, dass der Äther besser bestätigt ist als jede andere Entität in der Naturwissen-schaft!!!

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Schlussfolgerungen hinsichtlich der Referenz (A2 und A3):

(1) Es kann sehr erfolgreiche Theorien geben, die nicht aufwirkliche Entitäten referieren.

(2) Der KR hat unrecht, wenn er meint, er könne den Erfolg der Wissenschaft durch die Referenz auf wirkliche Enti-täten erklären. Für wichtige Teile der Wissenschaftsge-schichte funktioniert dies nicht.

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Verteidigung des KR:

Es müssen nicht alle zentralen Begriffe einer erfolgreichen The-orie auf wirkliche Entitäten referieren, sondern nur einige!

Laudans Kritik:

(i) KR behauptet gewöhnlich, dass eine Theorie als Ganzesdurch erfolgreich verlaufende Tests bestätigt wird.

(ii) Das ist wesentlich, denn der Realist möchte sagen können, dass auch die tiefsten Strukturen unserer Theorien bestätigt werden können.

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Strukturen

Voraussagen über beobachtbare

Entitätenwahr/erfolgreich

oberflächlich

tief

bestätigt

StrukturenStrukturenStrukturen

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(c) Eine andere KR Strategie: Annähernde Wahrheit statt Referenz

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W1 Ist eine Theorie annähernd wahr, dann ist sie empirischerfolgreich; und

Sätze über nicht beobachtbareEntitäten

Voraussagen über beobachtbare

Entitäten

annähernd wahr

wahr/erfolgreich

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W2 Ist eine Theorie empirisch erfolgreich, dann ist sie wahr-scheinlich annähernd wahr.

Sätze über nicht beobachtbareEntitäten

Voraussagen über beobachtbare

Entitäten

annähernd wahr

wahr/erfolgreich

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Laudans Kritik I:

W1 Ist eine Theorie annähernd wahr, dann ist sie empirischerfolgreich; …

Probleme mit dem Begriff des „annähernd wahr“:

Es gibt keine Analyse des Begriffs „annähernd wahr“, die allgemein akzeptiert wäre.

Vgl.: Popper, Miller und Tichy …

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Laudans Kritik II:

W1 Ist eine Theorie annähernd wahr, dann ist sie empirischerfolgreich; und

W2 Ist eine Theorie empirisch erfolgreich, dann ist sie wahr-scheinlich annähernd wahr.

Angenommen W1 wäre richtig, ist dann W2 plausibel?

Zeigt der empirische Erfolg einer Theorie, dass sie annähernd wahr ist?

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Laudans Kritik II (Fortsetzung) …

Zeigt der empirische Erfolg einer Theorie, dass sie annähernd wahr ist?

Wichtiger Punkt bei der Beantwortung der Frage:

KR darf nicht behaupten, eine Theorie könne annähernd wahr sein, auch wenn ihre zentralen Begriffe nicht auf wirkliche Entitäten referieren.

Gäbe es keine Gene, dann könnte eine Theorie der Gene-tik—so gut sie auch immer bestätigt wäre—nicht annä-hernd wahr sein.

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Noch einmal: erfolgreicheTheorien ohne Referenz auf wirkliche Entitäten

• die Kristallsphären der mittelalterlichen Astronomie;

• die humorale Theorie der Medizin;

• die Phlogiston-Theorie der Chemie;

• die kalorische Theorie Wärme;

• die Vibrationstheorie der Wärme;

• die Vitalkräftetheorie der Physiologie;

• der elektromagnetische Äther;

• der optische Äther;

• Theorien der spontanen Generation.

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Mögliche Verteidigung des Realisten:

Dies sind keine Fälle aus der „reifen“ Wissenschaft!!!

Laudans Antwort: Die Verteidigung ist unzureichend:

Der Realist wollte eine Erklärung geben, warum die Wissenschaft im allgemeinen erfolgreich ist ...

Die Einengung auf „reife Wissenschaft“ passt damit nicht zusammen.

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Laudans Kritik III:

W1 Ist eine Theorie annähernd wahr, dann ist sie empirischerfolgreich; und

W2 Ist eine Theorie empirisch erfolgreich, dann ist sie wahr-scheinlich annähernd wahr.

• Viele Theorien der Vergangenheit waren empirisch erfolgreich, wirklich referierend, aber dennoch nicht annährend wahr.

• Geologische Theorien vor 1960 (ohne Kontinentalverschiebung). Viele ihrer Vorrausagen waren korrekt. Ihre Begriffe referierten.

• Und dennoch nicht annäherend wahr! Schliesslich hatten die Geologen falsche Ansichten über die Grundmechanismen der Tektonik.

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Laudans Kritik V:

• Es gibt keine notwendige Verbindung zwischen:

(i) der Genauigkeit der tiefenstrukturellen Charakterisier-ungen der Natur und

(ii) Verbesserungen auf der Ebene der phänomenologischen Erklärungen, Voraussagen und Manipulationen.

• Theorie T2 mag T1 hinsichtlich (i) überlegen sein und doch in(ii) unterlegen sein.

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Das Grundproblem des KR:

• Die Realisten geben uns ein SBE Argument vom Erfolg der Wissenschaft zur annähernden Wahrheit der Wis-senschaft.

• Aber damit können sie die Antirealisten nie überzeugen.Denn die waren schon immer Kritiker des SBE.

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• Putnam und die Realisten argumentieren, dass KR wahr ist,weil er wahre Konsequenzen hat.

• Laudan:

„Der Nicht-Realist weigert sich zuzugeben, dass eine wissenschaftliche Theorie schon deshalb für wahr gehalten werden kann, weil sie einige wahre Konse-quenzen hat. Solche Nicht-Realisten wird es nicht beeindrucken, wenn man behauptet, dass eine philo-sophische Theorie wie der Realismus schon deshalb für wahr gehalten werden kann, weil er einige wahre Konsequenzen hat.“

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(3) Antworten auf die Kritik

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(3.1) Einschränkung des Realismus auf „reife“ Theorien

• Kohärenz mit fundamentalen Prinzipien von Theorien in anderen Wissenschaften

• Theorien verschiedener Wissenschaften fungieren für einander als Hintergrundtheorien

• Eine Anzahl von fest verankerten fundamentalen Prinzipien

• Benutzung eines gemeinsamen Systems von Masseinheiten

Diese Kriterien treffen angeblich auf Laudans Beispiele nicht zu.

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(3.2) Einschränkung des Realismus auf Theorien, die erfolgreiche neue Voraussagen machen

• Laudans Begriff des empirischen Erfolges ist zu weit.

• Es reicht nicht, dass eine Theorie Ereignisse erklärt, die schonbei der Formulierung der Theorie bekannt waren.

• Für die realistische Auffassung zählt allein der empirischeErfolg, der darin besteht, dass die Theorie neue und nichtvorhergesehene Voraussagen macht.

• Problem: „Neu“ in welchem Sinne? Subjektiv „neu“? Objektiv „neu“? Für wen?

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(3.3) Benutzung der Kausalen Theorie der Referenz

(a) Benutzung der Kausalen Theorie der Referenz um zu zeigen, dass die Referenz erhalten bleibt, auch wenn sich die Theorien radikal ändern ...

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Theorie T1

BB1 BB2

BT1 BT2

Zeit

E1 E2

E3 E4

Theorie T2

BB1 BB2

BT1 BT2

E1 E2

E3 E4

BB3 BB4

BT3 BT4

E5 E6

E7 E8

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TA

TD TB

TC

T = Termini der Theorie

Alte Theorie ...

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TA

TD TB

TC

Unsere Theorie ...

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die Extension von “Wasser” …

‘Wasser’„Nennen wir die geruchs- und farb-lose Flüssigkeit da drüben ‚Wasser‘.“

Kontingente, nicht wesent-liche Beschreibung!!!!

„Taufe“ (Namensgebung)

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TA

TD TB

TC

T = Termini der Theorie

Alte Theorie ...

S1

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89

TA

TD TB

TC

Unsere Theorie ...

S1

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(b) Benutzung der Kausalen Theorie der Referenz um zu zeigen, dass ein Zusammenhang zwischen empirischem Erfolg und Referenz auch im Falle der Äthertheorien oder der Phlogiston-theorie besteht.

Philip Kitcher (1947-)

The Advancement of Science, Oxford University Press, 1993

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Georg Ernst Stahl Joseph Priestley (1659-1734) (1733-1804)

Ein paar Bemerkungen zur Phlogistontheorie …

Phlogiston (von φλογιστός - brennbar)

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Grundannahmen:

(1) Wird ein Körper erwärmt, so dringt Phlogiston in ihn ein, wodurch der Körper sich ausdehnt.

(2) Erkaltet ein Körper, so tritt Phlogiston aus ihm aus.

(3) Bei Verbrennung und Verrostung entweicht Phlogistonund bleibt als Asche oder Rost zurück.

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Was die Phlogistontheorie erklären kann:

(a) Warum geht eine Kerze in einem abgeschlossenen Gefässnach einiger Zeit aus?

Weil die Luft nur eine bestimmte Menge von Phlogiston aufnehmen kann.

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(b) Warum kann ein Teil der Luft (nach späterer Erkenntnis der Sauerstoff) die Verbrennung länger unterhalten?

„Dephlogestierte Luft“ kann mehr Phlogiston aufnehmen.

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(c) Die Verbrennung organischer Stoffe verläuft meist unter Gewichtsverkleinerung.

Nach der Phlogistontheorie soll dabei das vorher von den Pflanzen aufgenommene Phlogiston wieder abgegeben werden.

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Laudan: Die Phlogistontheorie war erfolgreich, aber nicht annä-hernd wahr: denn „Phlogiston“ verweist nicht auf eine wirkliche Entität. –

Ergo: kein Zusammenhang zwischen empirischem Er-folg und Referenz auf wirkliche Dinge.

Kitcher: Phlogiston—gemäss der Phlogistontheorie—gibt es nicht.

Und dennoch verweist „Phlogiston“ auf wirkliche Dinge.

Ergo: Empirischer Erfolg und Referenz hängen doch zu-sammen!

Page 97: Einführung in die Wissenschaftsphilosophie Ihomepage.univie.ac.at/martin.kusch/EWP.I.13.students.pdf · Larry Laudan (1941-): „Widerlegung des Konvergierenden Realismus“ (1981)

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meint

die Extension der Tiger …

‘Tiger’ (das Wort)

determiniert

Fleischfressendes, vierbeini-ges, schwarz und weiss ge-streiftes, grosses, katzenarti-ges, Säugetier. (Intension)

DeskriptivistischeTheorie der Refe-renz

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die Extension der Tiger …

‘Tiger’„Nennen wir das fleischfressende, ...grosse Säugetier ‘Tiger’.”

Kontingente, nicht wesent-liche Beschreibung!!!!

„Taufe“ (Namensgebung)

Kausalistische Theorie der Referenz

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Typ und Vorkommnis (type and token)

„Er redet und redet und redet.“

Sechs Vorkommnisse von Wörtern, drei Typen.

Der Typ „redet“ hat drei Vorkommnisse.

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Kitcher über Priestley:

„In seiner scheusslichen und inadäquaten Sprache sind wichtige neue Wahrheiten über die Chemie enthalten, die versuchen herauszukommen.“

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Commonsense Ansicht (auch bei Laudan vorausgesetzt):

(1) Die Phlogistontheorie ist falsch und daher kann auch „Phlogiston“ keine Referenz haben.

(2) Als Priestley das Kalk von Quecksilber erhitze, gelanges ihm eine Menge von Sauerstoff zu isolieren, das eraber „dephlogistierte Luft“ nannte.

Page 102: Einführung in die Wissenschaftsphilosophie Ihomepage.univie.ac.at/martin.kusch/EWP.I.13.students.pdf · Larry Laudan (1941-): „Widerlegung des Konvergierenden Realismus“ (1981)

102

• Kitchers Theorie will erklären, wie es möglich war, dass Priestley wahre, referierende Aussagen über die Welt machen konnte und dass dennoch die Phlogistontheorie „scheusslich“ war.

• Wissenschaftliche Termini haben ein

„heterogenes Referenzpotential“.

• Es gibt verschiedene Wege – „Modi“ – auf denen ein be-stimmter Terminus auf eine Entität referieren kann:

z.B. durch (a) „Taufe“ oder (b) Beschreibung.

Page 103: Einführung in die Wissenschaftsphilosophie Ihomepage.univie.ac.at/martin.kusch/EWP.I.13.students.pdf · Larry Laudan (1941-): „Widerlegung des Konvergierenden Realismus“ (1981)

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• Kitcher: ist unsere Theorie falsch, dann müssen die theoreti-schen Termini in einigen ihrer Modi hinsichtlich ihrer Refe-renz versagen.

• Nehmen wir „dephlogestierte Luft“: jedes Token hat einenModus der Referenz. Und damit hat auch jedes Token eine Extension.

Beispiel von Priestley:

Page 104: Einführung in die Wissenschaftsphilosophie Ihomepage.univie.ac.at/martin.kusch/EWP.I.13.students.pdf · Larry Laudan (1941-): „Widerlegung des Konvergierenden Realismus“ (1981)

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„My reader will not wonder that, having ascertained the superior goodness of dephlogisticated air by mice living in it… I should have had the curiosity to taste it myself. I have gratified that curiosity, by breathing it… I fancied my breast felt peculiarly light and easy for some time afterwards.“

Hier ist „dephlogisticated air“ im Modus der Taufe benutzt.

Page 105: Einführung in die Wissenschaftsphilosophie Ihomepage.univie.ac.at/martin.kusch/EWP.I.13.students.pdf · Larry Laudan (1941-): „Widerlegung des Konvergierenden Realismus“ (1981)

105

Vgl.:

„Being now fully satisfied with respect to the nature of this new species of air, viz. that, being capable of taking more phlogiston from nitrous air*, it therefore originallycontains less of this principle [i.e., phlogiston]; my next inquiry was, by what means it comes to be so pure, or philosophically speaking, to be so much dephlogisticated ...“

Hier ist „dephlogisticated air“ im deskriptiven Modus benutzt.

Aus unserer Perspektive beschreibt er Sauerstoff falsch!

*Stickstoffoxid

Page 106: Einführung in die Wissenschaftsphilosophie Ihomepage.univie.ac.at/martin.kusch/EWP.I.13.students.pdf · Larry Laudan (1941-): „Widerlegung des Konvergierenden Realismus“ (1981)

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• Priestley glaubt natürlich, dass es dieselbe Entität ist, auf die er in diesen beiden Zitaten referiert.

• Wir wissen, dass es eine solche Entität nicht gibt. Es gibt nichts, was sowohl das Zeug ist, das er da eingeatmet hat, und das ist

„capable of taking more phlogiston from nitrous air“.(= Stickstoffoxid)

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• Wir können nun aber die beiden Äusserungen von Priestley trennen. Die erste Äusserung referiert auf Sauerstoff und sagt etwas wahres: Sauerstoff ist wichtig bei der Atmung. Dies ist ein Fall der Referenz, der auf Taufe zurückgeht.

• Die zweite Äusserung sagt falsches im deskriptiven Modus.

• Was entscheidet aber, welcher Modus involviert ist:

Die Intention des Sprechers!

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Damit sind (angeblich) zwei Probleme gelöst:

• Eine rein deskriptive Theorie der Referenz könnte Priestleys teilweisen empirischen Erfolg nicht durch die Referenz von „Phlogiston“ erklären.

• Eine rein kausale Theorie der Referenz könnte nicht erklären, warum Priestley Falsches sagt, und warum wir nicht mehr glauben, dass es so etwas wie Phlogiston gibt.

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(4) Struktureller Realismus

• In einer reifen Wissenschaft bewahrt die Nachfolgertheorie die (mathematische) Struktur—nicht die Entitäten—der Vorgän-gerwissenschaft.

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Sätze über nicht beobachtbare Dinge

Sätze über nicht beobacht-bare Strukturen

Sätze über beobachtbare

Entitäten

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(4.1) „The best of both worlds?“

John Worrall (1946- )

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112

Zentrales Beispiel: Theorie des Lichts bei Fresnel und Maxwell

Augustin Jean Fresnel James Clerk Maxwell(1788 – 1827) (1831 – 1879)

Page 113: Einführung in die Wissenschaftsphilosophie Ihomepage.univie.ac.at/martin.kusch/EWP.I.13.students.pdf · Larry Laudan (1941-): „Widerlegung des Konvergierenden Realismus“ (1981)

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• Fresnel: Licht besteht aus Vibrationen (Wellen), die in einem elastischen, soliden Äther übertragen werden.

• Maxwell: Licht besteht aus Vibrationen (Wellen) im elektro-magnetischen Feld: was vibriert sind elektrische und magne-tische Feldstärken.

Page 114: Einführung in die Wissenschaftsphilosophie Ihomepage.univie.ac.at/martin.kusch/EWP.I.13.students.pdf · Larry Laudan (1941-): „Widerlegung des Konvergierenden Realismus“ (1981)

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• Keine Kontinuität auf der Ebene der Entitäten! Äther gibt es in Maxwells (und unserer) Theorie nicht.

• Aber: Die mathematischen Gleichungen, die Fresnel aufstellt(für die Vibrationen im Äther) werden von Maxwell übernom-men.

• In anderen Fällen sind die mathematischen Gleichungen derfrüheren Theorie Grenzfälle der mathematischen Gleichungender späteren Theorie.

• Kontinuität der Struktur!!!

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(4.2) Epistemischer Struktureller Realismus

• Wir glauben nur an das, was empirisch erfolgreiche wissen-schaftliche Theorien uns über die Relationen zwischen den unbeobachtbaren Entitäten sagen; aber wir enthalten uns des Urteils über die Natur der letzteren.

• Rae Langtons „Kantische Bescheidenheit“: Wissenschaft lehrt uns die extrinsischen Eigenschaften der physikalischen Objekte, aber ihre intrinsischen Natur, und damit die intrinsische Natur der Welt ist epistemisch nicht erreichbar.

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(4.3) Ontischer Struktureller Realismus

• Es gibt keine „Dinge“, nur Strukturen ...

• Unter Philosophen der Physik und Physikern findet dies viel Gehör.

• James Ladyman & Don Ross: „Every Thing Must Go“.

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(5) Kritik am Strukturellen Realismus

• Stathis Psillos: „the nature and the structure of a physical entity form a continuum“.

• Warum kann nicht auch die Struktur im Theorienwandel verloren gehen?

• Metaphysisch zu radikal.

• Gilt nur für die moderne Physik?

• Wirft mathematisches und physikalisches zusammen ...

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Sätze über nicht beobachtbare Dinge

Sätze über beobacht-

bareDinge

Mathe-matische Gleich-ungen