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1Januar 201639. JahrgangISSN 1866–932848654
Editorial Basisdemokratie und ihre Folgen: Wenn der Bürger entscheidet…Hauptaufsatz Schlichtung, Adjudikation & Co: Streitbeilegung in Bausachen ohne Hilfe des GerichtsKurz informiert Bauwirtschaft rechnet für 2016 mit Umsatzwachstum /Projekt Zukunftssicherung: Kooperationen im MittelstandAktuelle Urteile „Massenänderungen berechtigen nicht zu Preiskorrektur“? / Gutachter kritisiert „Prozesshanselei“: befangen! / Zuvielgetankt? Bauleiter vor dem Strafrichter Vergaberecht aktuellBaubetrieb Bilanzierung: Neue Rechenregeln zur Pauschwertberichtigung /Lohnsteuer/Sozialversicherung: Behandlung von Arbeitslohnspende beiMinijobbern / Investitionsabzugsbetrag: Neuer Gestaltungsspielraum 2016Baustelle Prozessoptimierung im Tunnelbau am Beispiel desEmscherumbaus
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UBB 1/2016
BaubetriebBaurechtBautechnikBaustelle
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UBB Fachzeitschrift für Führungskräfte der Bauwirtschaft
Dr. jur. Günther Schalk
Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht (TOPJUS Rechtsanwälte München – Ingolstadt – Schro-
benhausen – Pfaffenhofen – Nordhausen), Lehrbeauftragter für Bau- und Vergaberecht an der
Humboldt-Universität zu Berlin, Lehrbeauftragter für Bau-, Vergabe- und Umweltrecht an der
TH Deggendorf, Redakteur, Vorstandssprecher des CBTR e. V., Direktor der Akademie für Bau -
management an der Technischen Hochschule Deggendorf, Mitherausgeber und Autor zahlreicher
Fachveröffentlichungen
Univ.-Prof. Dr.-Ing. Conrad Boley
Ordinarius für Bodenmechanik und Grundbau an der Universität der Bundeswehr München; Boley
Geotechnik, Beratende Ingenieure, München-Stuttgart, Mitglied in zahlreichen Normenausschüs -
sen; öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Erd-, Grund- und Felsbau; vom Ei -
senbahnbundesamt (EBA) anerkannter Gutachter für Erdbau, Grundbau, Spezialtiefbau und Tun -
nelbau; Beratender Ingenieur Bayerische Ingenieurekammer-Bau
Prof. Dr. jur. Klaus Englert
Vorstand des Instituts für Deutsches und Internationales Baurecht der Juristischen Fakultät der
Humboldt-Universität zu Berlin; Stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Bau-
recht e. V., Beirat der STUVA und des CBTR, Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht, Mitglied
mehrerer techn. Normenausschüsse, TOPJUS Rechtsanwälte München – Ingolstadt – Schroben -
hausen – Pfaffenhofen – Nordhausen
Dipl.-Kfm. Elmar Halbach-Velken
Geschäftsführer Bundesvereinigung Mittelständischer Bauunternehmen e.V. (BVMB); Mitarbeit in
verschiedenen Gremien und Veröffentlichungen zu Themen wie „Europäischer Binnenmarkt“,
„PPP“, „Private (Vor-)Finanzierung öffentlicher Baumaßnahmen“
Univ.-Prof. Dr. iur. Axel Wirth
Ordinarius für Deutsches und Internationales Öffentliches und Privates Baurecht an der Techni -
schen Universität Darmstadt, Präsident des CBTR Centrum für Deutsches und Internationales Bau -
grund- und Tiefbaurecht e. V.
Titelbild
Chefredaktion
Fachbeirat
© 2016
Wilhelm Ernst & Sohn
Verlag für Architektur und
technische Wissenschaften
GmbH & Co. KG
Rotherstraße 21
D-10245 Berlin
Tel. +49 (0)30 470 31-200
Fax + 49 (0)30 470 31-270
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ISSN 1866–9328
39. Jahrgang
1 Editorial Basisdemokratie und ihre Folgen: Wenn der Bürger entscheidet…2 Kurz informiert Der alljährliche Blick in die Kristallkugel: Bauwirtschaft rechnet für
2016 mit Umsatzwachstum / Projekt Zukunftssicherung – Kooperationen im Mittel-stand: Fehler vermeiden bringt Erfolg
3 Hauptaufsatz Schlichtung, Adjudikation & Co: Streitbeilegung in Bausachen ohneHilfe des Gerichts
8 Kurz informiert BVMB-Neujahrsempfang/Tag der mittelständischen Bauwirtschaft:Bundesverkehrsminister Dobrindt hält Festrede / Besondere Anforderungen vom Konzept bis zur Realisierung: Wie sieht „barrierefrei“ aus?
9 Aktuelle Urteile „Massenänderungen berechtigen nicht zu Preiskorrektur“? / Gut-achter kritisiert „Prozesshanselei“: befangen! / Zuviel getankt? Bauleiter vor demStrafrichter
11 Baubetrieb Bilanzierung: Neue Rechenregeln zur Pauschwertberichtigung / Lohn-steuer/Sozialversicherung: Behandlung von Arbeitslohnspende bei Minijobbern /Lohnsteuer: Dienstwagenbesteuerung bei Leasing-Sonderzahlung
13 Baustelle Baustellenanalyse führt zu Leistungssteigerung: Prozessoptimierung imTunnelbau am Beispiel des Emscherumbaus
17 Vergaberecht Vergabe unter dem Vorbehalt fehlender Finanzierung? / Fehler in derLeistungsbeschreibung – was tun? / Keine Rügepflicht bei Wahlpositionen
19 Baubetrieb Investitionsabzugsbetrag: Neuer Gestaltungsspielraum 201620 Lesetipp / Veranstaltungen
Pumpwerk für den Abwasserkanal Emscher auf dem Gelände der Kläranlage
Bottrop (Foto: Rupert Oberhäuser/Emschergenossenschaft)
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Editorial
©2016 Ernst & Sohn Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH & Co. KG, Berlin · UBB 39 (2016), Heft 1 1
Basisdemokratie und ihre Folgen
Wenn der Bürger entscheidet…
Sehr verehrte Leserin, sehr geehrter Leser,
kurz vor Weihnachten kam in Hamburg ein Überraschungspaket an: Die
Bürger der Hansestadt hatten in einem Referendum den enthusiastischen
Olympiaplänen der Stadtoberen einen gehörigen Strich durch die Rechnung
gemacht. 51,6 Prozent der abgegebenen Stimmen sagten „Nein“ zu Olympi-
schen Spielen 2024 in der Stadt. Zu teuer waren sie wohl vielen, glaubt man
den begleitenden Umfragen. Das sorgte für lange Gesichter bei denen, die die
Sommerspiele in der Stadt nicht nur als sportliches Event im Auge hatten,
sondern weit mehr damit vor hatten: Infrastrukturprojekte wie der Ausbau der
Barrierefreiheit, Erweiterung der U-Bahn, Bau von Straßen,... hätten sich tat-
sächlich wesentlich schneller realisieren lassen als ohne die fünf olympischen
Ringe in Sichtweite.
Ein Einzelfall? Beileibe nicht! In München beispielsweise hatten vor zwei Jah-
ren 53 Prozent der abstimmenden Bürger die Ausrichtung der olympischen
Winterspiele 2022 in der Stadt wie eine Seifenblase platzen lassen. Ein Jahr
davor hatten rund 54 Prozent der Abstimmenden die dritte Startbahn für den
Münchener Flughafen verhindert. Man könnte ketzerisch sagen: Drei Beispie-
le dafür, in denen kurzsichtige Bürger wichtige Entwicklungschancen ihrer
Heimatstädte mit einem einfachen Kreuzchen an der falschen Stelle zunichte
gemacht haben, nachdem sich Fachleute und Visionäre jahrelang kluge Ge-
danken gemacht hatten, wie sie ihre Stadt nach vorne bringen können. Oder
aber: Die Bürger haben die Entscheidungsträger davor bewahrt, viel zu viel
Geld auszugeben. Ansichtssache eben.
Das wirft freilich die Frage auf: Ist Basisdemokratie wirklich sinnvoll? Oder
sollte man nicht doch lieber die gewählten Gremium entscheiden lassen? De-
mokratie ist selbstverständlich sinnvoll – auch Basisdemokratie. Sie krankt
allerdings an zwei Stellen: Nicht selten entscheiden sich etwa Stadträte, The-
men den Bürgern zur Entscheidung zu stellen, wenn sie selbst entschei-
dungsfaul sind und unbequeme Themen nicht durchentscheiden wollen. Und:
Häufig entscheiden faktisch Minderheiten über die Geschicke zum Beispiel ei-
ner Stadt, weil die Wahlmüden zu bequem sind, ihr Kreuzchen zu machen. So
geschehen in meiner schönen Heimatstadt Schrobenhausen. Dort haben die
Bürger genau das Gegenteil gemacht – nämlich nicht verhindert, sondern et-
was in Gang gesetzt, was die Stadt ebenso vor Probleme stellt: Sie haben mit
knapp 50 Prozent der tatsächlich abgegebenen Stimmen (die Wahlbeteiligung
lag gerade mal bei knapp über 20 Prozent) die Umgestaltung der Altstadt be-
schlossen. Das Problem: Woher die Stadt die rund zehn Millionen Euro neh-
men soll, um das Projekt umzusetzen, bleibt ein Rätsel, das die Bürger nicht
gelöst haben.
Der UBB ist höchst basisdemokratisch: Sie entscheiden, ob Ihnen das gefällt,
was wir Ihnen monatlich servieren. Wir hoffen es sehr. In jedem Fall wünschen
wir Ihnen viel Freude beim Lesen!
Alles Gute wünscht Ihnen Ihr
Dr. jur. Günther Schalk, Chefredakteur UBB
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Kurz informiert
2 UBB 39 (2016), Heft 1
Der alljährliche Blick in die Kristallkugel
Bauwirtschaft rechnet für 2016 mit Umsatzwachstum
Wie wird das neue Jahr laufen? Eine Frage, die sich nicht nur jede Baufirma
zum Jahreswechsel stellt. Die Verbände glauben die Antwort auf diese Frage
zu wissen: „Für 2016 erwarten wir für das Bauhauptgewerbe ein Umsatz-
wachstum von 3 % auf 89 Mrd. Euro. Das ist ein Plus von 2,5 Mrd. Euro“, er-
klärte der Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Baugewerbes,
Dr.-Ing. Hans-Hartwig Loewenstein. 2015 seien sowohl der Wirtschaftsbau als
auch der öffentliche Bau „deutlich hinter den Erwartungen zurück geblieben“.
Das Plus von rund 2 % im Jahr 2015 sei besonders der Entwicklung im Woh-
nungsneubau zuzuschreiben. Rund 265.00 neue Wohnungen seien entstan-
den (Vorjahr: 245.000). Loewenstein fordert eine Verkürzung der Planungs-
und Genehmigungsverfahren. Darüber hinaus sollten die Afa auf 4 % erhöht,
die degressive Afa für private Investoren im sozialen Wohnungsbau wieder
eingeführt und die Fördermittel des Bundes verdoppelt werden. Ähnlich lau-
ten auch die Prognosen der Bundesvereinigung Bauwirtschaft. Deren Vorsit-
zender Karl-Heinz Schneider erwartet ein Umsatzplus von 2,5 % bei stabiler
Beschäftigung. Ein stabiles Wachstum prognostiziert er auch für den Aus-
baubereich und die Gebäudetechnik. Kritik übt Schneider am Referentenent-
wurf zum neuen Bauvertragsrecht, an dem die Bundesregierung gerade ar-
beitet. Dieser würde die Situation der Baufirmen „deutlich verschlechtern“.
Das sei „mit Blick auf die anstehende Herkulesaufgabe nicht zu verantworten.
Wir appellieren daher an die Bundesregierung, die dringend notwendigen
Baumaßnahmen nicht durch die Diskussion über einen völlig unausgegore-
nen Gesetzentwurf zu behindern.“
Projekt Zukunftssicherung
Kooperationen im Mittelstand: Fehler vermeiden bringt Erfolg
„Die Rahmenbedingungen verändern sich, Unternehmen stehen vielfach un-
ter Druck ihrer Kunden und Wettbewerber. In diesem Umfeld können Koope-
rationen ein Weg sein, um besser zu werden, etwas Neues zu beginnen oder
über seine bisherigen Grenzen hinauszuwachsen.“ Mit diesem Appell wand-
te sich Prof. Dr. Theresia Theurl von der Westfälischen Wilhelms-Universität
Münster an die Teilnehmer der Herbstfachtagung des Berufsverbands „Die
KMU-Berater – Bundesverband freier Berater e.V.“. Die Motive und Ziele so-
wie das Umfeld von Kooperationen könnten sehr unterschiedlich sein, die zu
beachtenden Konstruktionsprinzipien, Hürden und Erfolgsfaktoren seien aber
für alle Arten von Kooperationen die gleichen, betonte Theurl. Speziell bei klei-
nen und mittleren Unternehmen gebe es zwei gegenläufige Ziele: Klein blei-
ben bedeute, die unternehmerische Selbstständigkeit, Identität und Verwur-
zelung zu erhalten. Groß wirken können Unternehmen in Kooperationen zum
Beispiel dadurch, dass sie voneinander lernen, Kosten senken, Risiken min-
dern oder in neue Märkte eintreten. Allerdings stolperten Unternehmen im-
mer wieder über die gleichen Fehler – so etwa fehlende oder unterschiedliche
Ziele, ungeeignete Partner oder nicht ausreichend klare Spielregeln für eine
Zusammenarbeit, die Konflikte verursachten. „In Kooperationen arbeiten
Menschen zusammen, die man nicht überfordern darf aber auch fordern
muss. Bei aller Bedeutung von demokratischen Diskussionen am Ende müs-
sen Entscheidungen möglich sein“ so Theurl. Kooperationen seien dann er-
folgreich, wenn die beteiligten Unternehmen von Beginn an darauf achten,
dass die Grundidee für alle Partner tragfähig sei und diese auch zusammen
passen.
Verbände prognostizierenUmsatzplus von 3 Prozent
Chancen: Kosten senken,Risiken mindern und in neueMärkte eintreten
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Baubetrieb
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Schlichtung, Adjudikation & Co
Streitbeilegung in Bausachen ohneHilfe des GerichtsVon Prof. Stefan Leupertz, Essen
Bauprozesse sind zeitaufwändig und schwerfällig. Weil sie zudem in aller Re-
gel erst beginnen, wenn die Baumaßnahme abgeschlossen ist, liegen zwi-
schen der Entstehung eines bauvertraglichen Streits und seiner gerichtlichen
Bescheidung oft Jahre, bei größeren Prozessen über mehrere Instanzen nicht
selten sogar eine Dekade und mehr. Solche Verfahren binden in erheblichem
Umfang Zeit und – bei gewerblich tätigen Parteien – Personal; die dadurch be-
dingten Transaktionskosten sind enorm und rasch höher als der Ertrag aus
einem (regelmäßig nur teilweise) erfolgreich geführten Bauprozess.
Hinzu kommt, dass die staatlichen Gerichte zuweilen überfordert sind mit der
Feststellung und rechtlichen Beurteilung überaus komplexer bauvertraglicher
Lebenssachverhalte, wie sie sich insbesondere bei umfangreichen Nach-
tragsstreitigkeiten und bei Auseinandersetzungen über die Folgen von Bau-
verzögerungen ergeben. Es fehlt, ohne dass damit ein Vorwurf an die Richter
verbunden sein muss, schlicht an rechtlichem Spezialwissen und baube-
trieblicher bzw. bautechnischer Expertise. Vor diesem Hintergrund lohnt es
sich ganz besonders, einen Blick auf außergerichtliche Streitlösungsverfahren
zu werfen, von denen die Bau- und Anlagenbaubranche zunehmend Gebrauch
macht.
Ziel: Schnelle und kompetente Entscheidung
Die einleitenden Erwägungen lassen sich entgegen so mancher öffentlichen
Äußerung sicher nicht zu der These verdichten, wer in Bausachen den Gang
zu den staatlichen Gerichten gehe, habe bereits verloren. Gleichwohl ist es
verständlich und richtig, dass die Praxis andere Konfliktlösungsmethoden ver-
folgt, mit denen bauvertragliche Streitigkeiten schnell und kompetent beige-
legt oder entschieden werden können.
Diese Konfliktlösungsmethoden, die weit mehr als in Deutschland im engli-
schen und anglo-amerikanischen Rechtsraum zum Einsatz gelangen, werden
gemeinhin unter dem Begriff „Alternative Dispute Resolution“ oder kurz:
„ADR“ zusammengefasst. Zu nennen sind:
n Schiedsgericht
n Schlichtung
n Adjudikation
n Mediation
n Schiedsgutachten
Grenzen zwischen den einzelnen Modellen fließend
Die Grenzen zwischen diesen Formen außergerichtlicher Streitbeilegung
bzw. Streitentscheidung sind fließend. Während Mediation [1] und Schlich-
tung [2] ohne eine bindende Entscheidung des Mediators/Schlichters aus-
kommen und ganz auf die Herbeiführung einer gütlichen Einigung der Betei-
ligten setzen, ist die insbesondere in England erfolgreich praktizierte
Prof. Stefan Leupertz (Foto: privat)
„Verständlich und wichtig,Konflikte alternativ zu lösen“
Unterschied: Schlichter oderParteien entscheiden
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Baubetrieb
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Adjudikation [3] vorbehaltlich einer auch dort präferierten Einigung der Streit-
parteien in der Regel auf eine rasche, jedenfalls vorläufig bindende Entschei-
dung des Adjudikators gerichtet.
Mediation, Schlichtung und Adjudikation ist gemein, dass sie auch baube-
gleitend eingesetzt werden und so dabei helfen können, das Streitpotenzial
gering zu halten und veritable Rechtsstreitigkeiten mit zementierten Rechts-
positionen der Parteien gar nicht erst entstehen zu lassen. Das alles spart je-
denfalls dann viel Zeit und Geld, wenn die Beteiligten grundsätzlich zur Ko-
operation bereit sind und keine Obstruktion betreiben wollen. Mediation,
Schlichtung und Adjudikation setzen voraus, dass sie vertraglich vereinbart
sind. Mehrere Institutionen haben hierzu für die Praxis Musterklauseln und
Verfahrensordnungen bereitgestellt. Zu nennen sind insbesondere:
n Schlichtungs- und Schiedsordnung für Baustreitigkeiten (SOBau) der AR-
GE-Baurecht im DAV
n die Streitlösungsordnung für das Bauwesen der Deutschen Gesellschaft für
Baurecht e.V. (SL-Bau)
n Schlichtungsordnung, Mediationsordnung und Verfahrensordnung für Ad-
judikation der Deutschen Institution für Schiedsgerichtsbarkeit e.V. (DIS)
Darüber hinaus existieren zahlreiche weitere Verfahrensordnungen für inter-
nationale Schieds-, Mediations- und Adjudikationsverfahren.
Klassiker: Schiedsgutachten und Schiedsgericht
Das Schiedsgutachten [4] hat mit den vorgenannten Streitlösungsmodellen
gemein, dass seine Einholung keinem gesetzlich geregelten Verfahren unter-
liegt und insoweit allein die rechtsgeschäftlichen Vereinbarungen der Parteien
maßgebend sind. Es unterscheidet sich von ihnen dadurch, dass es in dem
durch §§ 317ff. BGB vorgegebenen Umfang Bindungswirkung entfaltet.
Völlig anders konzipiert ist das klassische Schiedsgerichtsverfahren, das ge-
wissermaßen an die Stelle des Erkenntnisverfahrens vor den staatlichen Ge-
richten tritt. Hierzu findet sich, soweit nationales Recht anwendbar ist, in den
§§ 1025ff. ZPO ein detailliert ausgestalteter Regelungskanon, der allerdings
Raum lässt für die rechtsgeschäftliche Vereinbarung anderer bzw. ergänzen-
der Verfahrensregeln.
Schiedsgerichtliche Verfahren mit „Scharnierwirkung“
Das schiedsgerichtliche Verfahren wirkt als Scharnier zwischen einer an Drit-
te delegierten außergerichtlichen Streitentscheidung und ihrer staatlichen
Durchsetzung. Deshalb unterliegt es einem staatlichen Verfahrensrecht, wel-
ches die rechtstaatlichen Mindestanforderungen an ein geordnetes Streitver-
fahren enthält und die Überprüfung und Vollstreckung eines auf dieser Grund-
lage erlassenen Schiedsspruches regelt.
Maßgebend ist dabei nach dem Territorialprinzip das nationale Verfahrens-
recht des Landes, in dem der Schiedsort liegt, was sich für das deutsche Recht
aus § 1025 Abs. 1 ZPO ergibt.
Für inländische Schiedsgerichtsverfahren – nur von diesen soll hier die Rede
sein – ist das Verfahren in §§ 1025 bis 1066 ZPO geregelt. Die Vorschriften be-
treffen sog. Ad-hoc-Schiedsverfahren, bei denen die Parteien über eine er -
forderliche Schiedsvereinbarung hinaus keine weiteren Verfahrensregeln
verabredet haben. Hiervon zu unterscheiden sind sog. administrierte
Voraussetzung: Beteiligtesind zur Kooperation bereit
Schiedsgutachten entfaltetBindungswirkung
Schiedsgericht unterliegtstaatlichem Verfahrensrecht
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Schiedsverfahren mit vereinbarter Schiedsverfahrensordnung, die gemäß
§ 1042 Abs. 4 ZPO zulässig sind. In der Praxis wird häufig auf solche bereit-
liegenden, auf den Baubereich zugeschnittenen Schiedsverfahrensordnun-
gen zurückgegriffen (s.o.).
Möglichkeit zur eigenen Auswahl der Mitglieder des Gerichts
Baustreitigkeiten vor staatlichen Gerichten leiden oft darunter, dass das zu-
ständige Gericht keine Erfahrung mit komplexen Baustreitigkeiten hat und die
erforderlichen bautechnischen und baubetrieblichen Fachkenntnisse nicht be-
sitzt. Bei einem schiedsrichterlichen Verfahren haben die Parteien die Mög-
lichkeit, die Mitglieder des Schiedsgerichts selbst auszuwählen, also Bau-
rechtsspezialisten zu berufen. Nicht selten ist es dadurch gewährleistet, dass
die Streitsache überhaupt in angemessener Zeit und mit tragbaren Kosten be-
schieden wird [5].
Kostengünstiger als Gerichtsprozess? Zweifelhaft!
Es ist immer wieder zu lesen, dass ein Schiedsverfahren im Ergebnis kosten-
günstiger sei als ein Verfahren vor den ordentlichen Gerichten. Ob das in die-
ser Allgemeinheit zutrifft, erscheint zweifelhaft. Denn soweit tatsächliche und
technische Fragen geklärt werden müssen, werden im Rahmen eines schieds-
richterlichen Verfahrens ebenso Gutachterkosten entstehen wie vor einem
ordentlichen Gericht, zumal das Honorar für die Sachverständigen in Schieds-
gerichtsverfahren nicht selten über den für staatliche Verfahren maßgeben-
den Sätzen des ZSEG liegen.
Die Schiedsrichter erhalten regelmäßig eine Vergütung in Anlehnung an die
Bestimmungen des Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG). Vor diesem
Hintergrund ergibt sich ein Kostenvorteil allenfalls aus dem Gesichtspunkt,
dass das schiedsrichterliche Verfahren keinen Instanzenzug vorsieht, der bei
Verfahren vor den staatlichen Gerichten erhebliche Mehrkosten verursachen
kann. Ansonsten dürfte ein Schiedsgerichtsverfahren eher teurer sein als ein
Verfahren vor staatlichen Gerichten. Bei der Einschätzung ist allerdings zu be-
achten, dass die Verfahrensdauer vor einem Schiedsgericht deutlich kürzer
sein kann, zumal es Rechtsmittel gegen die Entscheidung des Schiedsge-
richts nicht gibt.
Problem: Einbeziehen von Dritten
Ein wesentlicher Nachteil des Schiedsgerichtsverfahrens ist die nicht beste-
hende Möglichkeit, Dritte durch Streitverkündung in das Verfahren einzube-
ziehen. Etwas anderes gilt nur dann, wenn sich der Dritte den Wirkungen des
Schiedsspruchs unterwirft, woran er in aller Regel kein Interesse haben wird.
Unmittelbar wirkt die Schiedsgerichtsvereinbarung nur zwischen den Par-
teien. Gerade bei komplexen Bauvorhaben haben diese Parteien indes ein
starkes Interesse an der Einbeziehung Dritter in eine (gerichtliche) Klärung. So
hat der Generalunternehmer ein Interesse daran, dass bei Streit über Män-
gelrechte des Auftraggebers die jeweils „betroffenen“ Nachunternehmer mit
einbezogen werden, um für den Fall, dass sich eine Verantwortlichkeit des Ge-
neralunternehmers bestätigt, das selbe Ergebnis auch im Verhältnis General-
unternehmer/Nachunternehmer feststeht. Entsprechende Konstellationen
gibt es bei der Beteiligung von Architekten und Sonderfachleuten. Diesem Be-
Vorteil: Schiedsgerichtbesteht aus Baurechts -experten
Schiedsgericht geht nurüber eine Instanz
Vor Schiedsgericht keineStreitverkündung möglich
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Baubetrieb
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dürfnis lässt sich im Rahmen eines schiedsrichterlichen Verfahrens kaum an-
gemessen Rechnung tragen.
Schlichtung: Moderierter Einigungsversuch
Ein gebräuchliches Instrument für die Beilegung von Streitigkeiten über die
Abwicklung von Bau- und Anlagenbauverträgen ist die Durchführung einer
Schlichtung. Deren Ziel ist es, den beteiligten Parteien zu einer gütlichen Ei-
nigung zu verhelfen. Dabei soll der Schlichter, den die Parteien auswählen und
bestimmen, den Einigungsversuch moderieren und den Parteien gegebenen-
falls einen Vergleichsvorschlag unterbreiten. Durchaus üblich ist es zudem,
dass der Schlichter im Falle des Scheiterns der Vergleichsbemühungen eine
gutachterliche Stellungnahme zur Beantwortung der ihm unterbreiteten
Streitfragen vorlegen soll. Demgegenüber hat der Schlichter in aller Regel kei-
ne Befugnis, bindende Entscheidungen zu treffen.
Grundlage für die Durchführung einer Schlichtung ist eine auf den konkreten
Streitfall bezogene Schlichtungsvereinbarung der beteiligten Parteien, in der
üblicherweise auch die Regeln für das Schlichtungsverfahren festgelegt wer-
den. Mehrere nationale Institutionen haben Musterklauseln und Verfahrens-
ordnungen entwickelt, auf die in diesem Zusammenhang zurückgegriffen
werden kann.
Adjudikation: Der Schlichter entscheidet den Streit
Der Begriff Adjudikation (Dispute Adjudication) beschreibt ein vor allem im
angelsächsischen Rechtsraum verbreitetes Verfahren zur außergerichtlichen
Beilegung von Streitigkeiten zwischen zwei oder mehreren Vertragspartnern.
Es setzt eine entsprechende vertragliche Vereinbarung der beteiligten Par-
teien voraus, die schon im Bau- bzw. Anlagenbauvertrag getroffen werden
kann. Durchgeführt wird das Adjudikationsverfahren von einem oder mehre-
ren Adjudikatoren, dem Dispute Adjudication Board (DAB). Über die Ausge-
staltung des Adjudikationsverfahrens im Einzelnen und die Besetzung des
DAB entscheiden die Parteien, gegebenenfalls ebenfalls schon bei Abschluss
des Bauvertrages. Das ermöglicht die Vereinbarung individuell auf die Be-
dürfnisse der Parteien zugeschnittener Verfahrensregeln, die allerdings in je-
dem Fall rechtsstaatlichen Grundanforderungen genügen sollten.
Ziel der Dispute Adjudication ist es, einen eventuellen Streit über die Ab-
wicklung des Bau- oder Anlagenbauvertrages möglichst rasch durch kompe-
tente Fachleute entscheiden zu lassen. Darin liegt der Unterschied zur klassi-
schen Schlichtung, die auf eine gütliche Einigung der Parteien abzielt und dem
Schlichter in aller Regel nicht die Kompetenz für eine die Parteien bindende
Entscheidung verleiht.
Vom Schiedsgericht unterscheidet sich die Dispute Adjudikation vor allem
durch die Rechtsnatur und die Bindungswirkung der vom DAB zu treffenden
Entscheidung. Sie ist – je nach den vertraglichen Vereinbarungen der Parteien
– nur vorläufig bindend und unterliegt grundsätzlich der Überprüfung durch
die ordentlichen Gerichte, deren Anrufung allerdings zumindest für die Dau-
er des Adjudikationsverfahrens suspendiert ist.
Die Durchsetzung einer (vorläufig) bindenden Entscheidung des DAB erfolgt
nicht notwendig im Wege der Vollstreckung mit staatlicher Hilfe. Es reicht ge-
gebenenfalls aus, dass die Nichtbefolgung der Entscheidung des DAB kraft
Schlichtung soll zu eigenerEinigung verhelfen
Adjudikation bedarf einervertraglichen Vereinbarung
Möglichst rasche Ent -scheidung durch kompe -tente Fachleute
Fehlende Umsetzung kannsanktioniert werden
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Baubetrieb
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vertraglicher Vereinbarung der Parteien eine schwere Verletzung vertrag-
licher Pflichten darstellt, die mit Sanktionen (Schadensersatz, Kündigung aus
wichtigem Grund, Vertragsstrafe etc.) belegt werden kann.
Tipp: Adjudikation bereits baubegleitend einsetzen
Besonders effektiv kann die Adjudikation als baubegleitendes Streitvermei-dungs- und Streitbeilegungsinstrument eingesetzt werden. Bei größeren
Baumaßnahmen lohnt sich die Implementierung eines DAB als sogenanntes
„Stand-by-Board“, das die Baumaßnahme von Anfang an begleitet und bei
Bedarf ganz kurzfristig schon für eine mediative Streitschlichtung hinzugezo-
gen werden kann.
Scheitern die Einigungsversuche, entscheidet das DAB auf einer zweiten Stu-
fe den Streit nach obigen Kriterien. Hierfür bedarf es in aller Regel sowohl ju-
ristischen als auch bautechnischen bzw. baubetrieblichen Sachverstands.
Deshalb sollte das baubegleitend eingesetzte DAB mit jeweils mindestens ei-
nem Fachjuristen und einem ebenso hochqualifizierten Ingenieur besetzt sein.
„Vorteile sind immens“
Die Vorteile eines solchen baubegleitenden Streitbeilegungsverfahrens sind
immens. Schon sein Vorhandensein hält die Parteien dazu an, unnötigen
Streit zu vermeiden. Weil es eine rasche Beendigung etwaiger Auseinander-
setzungen über die Abwicklung des Bauvertrages gewährleistet, wird ver-
mieden, dass die Baumaßnahme zum Erliegen kommt, weil die Parteien sich
über die Parameter für ihre Fortführung nicht einigen können.
Bei Streit über die Höhe von Nachtragsforderungen ergeht zeitnah eine vor-
läufig bindende Entscheidung über den zu zahlenden Betrag; so wird dringend
benötigte Liquidität sichergestellt, was am Ende der Qualität der Bauleistun-
gen zugute kommt. Und nicht zuletzt: Die mit enormen Transaktionskosten
verbundene nachläufige gerichtliche Klärung bauvertraglicher Streitigkeiten
entfällt weitgehend. n
Quellen:[1] Zur Mediation in Bausachen: Englert/Franke/Geiger, Streitlösung ohne Gericht.
Schlichtung Schiedsgericht und Mediation in Bausachen, 2006, Rn 182ff.; Flu-cher/Kochendörfer/v. Mickwitz/Viering, Mediation im Bauwesen, 2003; Wagner,NZBau 2001, 169; ders. BauR 2004, 221
[2] Zur Schlichtung in Bausachen: Englert/Franke/Geiger, Streitlösung ohne Gericht.Schlichtung Schiedsgericht und Mediation in Bausachen, 2006, Rn 124ff.; Prütting,Außergerichtliche Streitschlichtung, 2003
[3] Zur Adjudikation: Lembcke, NZBau 2007, 273; ders. ZfIR-Report 2007, 76; Schram-ke NZBau 2002, 409; vgl. auch die Berichte aus dem Arbeitskreis VII – Außerge-richtliche Streitbeilegung – der Baugerichtstage 2008 und 2010 in BauR 2008,1768 ff. und BauR 2010, 1421 ff.
[4] Schiedsgutachten: Roquette/Otto, C. VII. 3., S. 544 Rn 1; Koeble BauR 2007, 116[5] Kniffka, NZBau 2000, 2.[6] vgl: Roquette/Kunkel, Jahrbuch Baurecht 2004, 269; Bietz, NZBau 2003, 177.
Zum Autor:Prof. Stefan Leupertz war Richter im „Bausenat“ des BGH, bis er Ende 2012 auf eigenen Wunschaus dem Richterdienst ausschied. Er ist seitdem als Freiberufler in Essen mit seiner Firma „LeupertzBaukonfliktmanagement“ als Schiedsrichter, Schlichter, Adjudikator und Rechtgutachter in Bau-und Anlagensachen vor allem für baubegleitende Streitvermeidung und Streitbeilegung tätig. Er istHonorarprofessor für Bauvertragsrecht an der TU Dortmund und Lehrbeauftragter für Bauvertrags-recht an der Philipps-Universität Marburg. Seit Mai 2012 ist er Vorsitzender des Vorstandes desDeutschen Baugerichtstages e.V.
Besetzung mit Jurist undTechniker zu empfehlen
Erliegen der Baustelle wirdvermieden
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Baubetrieb
8 UBB 39 (2016), Heft 1
BVMB-Neujahrsempfang/Tag der mittelständischen Bauwirtschaft:
Bundesverkehrsminister Dobrindthält Festrede bei der BVMB
Bald ist es wieder soweit: Der traditionelle Tag der mittelständischen Bau-
wirtschaft inklusive Neujahrsempfang der Bundesvereinigung Mittelständi-
scher Bauunternehmen e.V. (BVMB) findet in diesem Jahr am 15. Februar
2016 – wie seit Jahrzehnten üblich – in Bonn statt. Hier treffen sich alljährlich
die „Macher und Entscheider“ aus dem Bau-Mittelstand zum Erfahrungs-
austausch mit Politik, Verwaltung und Auftraggeberseite aus ganz Deutsch-
land. Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt hat bereits seine Teilnah-
me zugesagt und wird die Festrede halten.
So sieht das Programm aus:
11:30 Uhr Mitgliederversammlung
14:15 Uhr Informationsveranstaltung
Sie kriegen die Krise? Reden oder Schweigen als Erfolgsfaktor in
Krisen- und Katastrophensituationen, anschließend kabarettisti-
sche Einlage
17:30 Uhr Neujahrsempfang
Begrüßungsrede: Thorsten Bode, Präsident der BVMB
Festrede: Alexander Dobrindt, Bundesminister für Verkehr und
digitale Infrastruktur
Schlusswort: Michael Gilka, Hauptgeschäftsführer der BVMB
19:00 Uhr Geselliges Beisammensein
Besondere Anforderungen vom Konzept bis zur Realisierung
Wie sieht „barrierefrei“ aus?
Wie sieht eine Stadt-, Quartiers- und Verkehrsentwicklung unter Berücksich-
tigung barrierefreier Aspekte aus? Dieser Frage gingen Experten bei einem
„Zukunftsforum“ im hessischen Friedberg nach. Die Anforderungen an einen
barrierefreien Alltag mit planerischen und baulichen Konzepten zur Standort-
und Raumplanung sind hoch und stellen die Beteiligten vor große Heraus -
forderungen.
Viele Gesetze definieren Barrierefreiheit von baulichen Anlagen bis zum
öffentlichen Personennahverkehr – ein Spannungsfeld für eine wirtschaftliche
und bedarfsgerechte Umsetzung. „Die Herstellung von Barrierefreiheit in
allen Bereichen des Lebens ist für uns ein zentrales Anliegen“, so der stell-
vertretende hessisch-thüringische VdK. Um Chancengleichheit und Teilhabe
zu gewährleisten, sei die Barrierefreiheit eine Grundvoraussetzung.
Dass auch in einem schwierigen Umfeld barrierefreie Projekte gut umgesetzt
werden können, zeigen ausgewählte Beispiele. Im Fokus steht hierbei der
wachsende interdisziplinäre Markt für Ingenieure, Architekten, ausführende
Unternehmen und Fachberater. Insgesamt lässt sich feststellen, dass intelli-
gente und integrierte Planungen die Kosten maßgeblich reduzieren können.
Schlüssige, nachrüstbare Konzepte, die von Anfang an umsichtig geplant und
umgesetzt werden, verhindern Kostensteigerungen oder aufwändige Um-
baumaßnahmen in der Zukunft. n
Intelligente und integriertePlanung spart Kosten
Macher und Entscheidertreffen sich bei der BVMBin Bonn
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Baurecht
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Urteile für die Baupraxis
Aktuelles aus der RechtsprechungVon RA Dr. jur. Günther Schalk, FA für Bau- und Architektenrecht und Lehrbe-
auftragter für Bau- und Vergaberecht an der Humboldt-Universität zu Berlin
„Massenänderungen berechtigen nicht zu Preiskorrektur“?
§ 2 Abs. 3 VOB/B regelt klar: Über- oder unterschreitet die tatsächlich bear-
beitete Menge den vertraglichen Ansatz um mehr als 10 Prozent, ist auf Ver-
langen der Preis anzupassen. Die Anwendung dieser Norm setzt zunächst vor-
aus – das wird in der Praxis häufig verkannt – dass eine zufällige
Mengenänderung eingetreten ist (z.B. Mengenermittlungsfehler) und nicht
ein Eingriff (z.B. Änderungsanordnung) des Bauherrn zugrunde liegt. Eine Un-
sitte aus Sicht der Baufirmen bürgert sich immer mehr ein: Formularmäßige
Klauseln sehen nicht selten folgende Regelung vor: „Massenänderungen –
auch über 10% – sind vorbehalten und berechtigen nicht zur Preiskorrektur“.
In einem Fall, den der BGH jetzt entschieden hat (Beschluss vom 04.11.2015 –
VII ZR 282/14), war diese Klausel in einem VOB-Einheitspreisvertrag enthalten.
Ein Bauunternehmen hatte eine Lärmschutzwand zu errichten und setzte einen
Subunternehmer ein. Im Auftragsschreiben an den Sub stand diese Regelung.
Im Rahmen der Ausführung stellte sich heraus, dass in diversen Positionen er-
hebliche geringere Mengen anfielen. So zum Beispiel war die Fläche der zu-
rückzubauenden Baustraße nur 650 m2 statt vereinbarter 9.750 m2 groß. Auf
Grund dessen rechnete der Nachunternehmer rund 55.000 Euro ab. Er mach-
te neben der Vergütung für die Leistungen einen Ausgleich für eine Unterde-
ckung der Allgemeinen Geschäftskosten und der kalkulatorischen Ansätze für
Wagnis und Gewinn geltend. Der Auftraggeber verweigerte die Zahlung und
verwies auf die strittige Klausel, wonach § 2 Abs. 3 VOB/B ja ausgeschlossen
worden sei. Der Subunternehmer klagte. Der BGH urteilte im Leitsatz:
Die vom Auftraggeber in einem VOB-Einheitspreisvertrag formularmäßig
gestellte Klausel „Massenänderungen – auch über 10 % – sind vorbehalten
und berechtigen nicht zur Preiskorrektur“ ist wegen unangemessener Be-
nachteiligung des Auftragnehmers unwirksam. Denn mit ihr wird nicht nur
eine Preisanpassung zugunsten des Auftragnehmers nach § 2 Abs. 3 VOB/B
ausgeschlossen, sondern darüber hinaus auch eine Preisanpassung nach
den Grundsätzen über die Störung der Geschäftsgrundlage (BGB § 313).
Es bleibt allerdings abzuwarten, was am Ende aller Tage rechtskräftig fest-
stehen wird: Der BGH hat den Rechtsstreit nämlich an das OLG zurückver-
wiesen. Es wird noch weitere Hausaufgaben zu erledigen und den Fall noch
einmal zu entscheiden haben.
Gutachter kritisiert „Prozesshanselei“: befangen!
Bauprozesse werden regelmäßig zwar formell vom Richter entschieden, fak-
tisch aber nicht selten von einem Gerichtsgutachter. Das liegt daran, dass oft-
mals technische Sachverhalte ausschlaggebend sind, in welche Richtung die
gerichtliche Entscheidung am Ende geht. Nicht immer gelingt es den Parteien
und deren Anwälten, eine Richtung, die ein Gutachter einmal eingeschlagen
hat, wieder zu ändern. Es geht das Gerücht um, dass manche Anwälte in sol-
chen scheinbar auswegslosen Situationen versuchen, den Sachverständigen
Auftraggeber hatte § 2 Abs. 3VOB/B ausgeschlossen
BGH: „UnangemesseneBenachteiligung desAuftragnehmers“
Befangenheit des Gut -achters als Rettungsanker?
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Baurecht
10 UBB 39 (2016), Heft 1
anderweitig „abzuschießen“. Eine solche Möglichkeit liegt darin, den Gut-
achter zu „verführen“, Äußerungen zu tätigen, die nach dem Rechtsver-
ständnis dessen Befangenheit begründen. Erfolgreich praktiziert hat das eine
Partei in einem Verfahren, das jetzt vor dem OLG Hamm endete (Beschluss
vom 28.07.2015 – 9 U 160/13). Ein Gutachter war gerichtlich bestellt worden.
Der Beklagtenvertreter beantragte – was das Prozessrecht regulär ermöglicht
– den Sachverständigen zu laden. Das tat der Gutachter als „Prozesshanselei“
ab, weil doch schließlich klar sei, dass sich ein Sachverständiger nach hier fünf
Jahren nicht mehr an alle Einzelheiten erinnern könne. Das, so das OLG
Hamm, war allerdings zu viel des Guten:
Die Äußerung des Sachverständigen im Rahmen der mündlichen Erstat-
tung und Erläuterung seines Gutachtens, die Stellung eines Beweisantrags
durch eine Partei stelle sich als Prozesshanselei dar, begründet Zweifel an
der Unbefangenheit des Sachverständigen.
Damit hatte die Beklagtenpartei den Gutachter zu Recht abgelehnt. Es steht
ihm nicht zu, über seinen Gerichtsauftrag hinaus eigenständige Bewertungen
der Erfolgsaussichten vorzunehmen – und das erst recht nicht in einer derart
despektierlichen Form. Die Beklagte war mit ihrer Ablehnung damit erfolg-
reich.
Zuviel getankt? Bauleiter vor dem Strafrichter
Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste – schneller als man denkt, kann der
Staatsanwalt in der Firma stehen. Wir hatten in unserem UBB-Hauptaufsatz
in Heft 9/2015 über das Thema ausführlich berichtet. Einen aktuellen Fall, der
zu denken gibt, hat am 26.11.2015 das LG Koblenz in der Berufungsinstanz
entschieden (8 Ns 2050 Js 21678/08). Der ursprüngliche Vorwurf der Be-
stechlichkeit bzw. Bestechung war zwar zu Vorteilsannahme bzw. Vorteilsge-
währung „geschrumpft“. Dennoch wurden der Bauleiter eines Autobahnamts
und der Bauleiter einer Baufirma nach vier(!) Verhandlungstagen zu Geld-
strafen von 150 bzw. 90 Tagessätzen verurteilt.
Was war passiert? Der Auftraggeberbauleiter hatte zehn Mal sein dienstlich
genutztes Privatfahrzeug mit deren Einverständnis auf die Tankkarte der Bau-
firma getankt. Diese hatte die Tankbelege gesammelt, verbucht, aber nicht so-
fort abgerechnet, sondern erst einige Monate später. Das Amt und daraufhin
deren Bauleiter hatten dann die Betankungen ordnungsgemäß bezahlt. Ein
Schaden war insoweit nicht eingetreten. Dieser „Schaden“ lag übrigens
ursprünglich bei gerade einmal 690 Euro.
Das LG Koblenz hob die erstinstanzlichen Freisprüche auf. Es sah die für eine
Verurteilung erforderliche Unrechtsvereinbarung (das heißt: der AG-Bauleiter
nimmt als Gegenleistung eine Diensthandlung vor) darin, dass die Baufirma
mit der Tankmöglichkeit den AG-Bauleiter „gefügig“ machen wollte, damit er
die weiteren Abschlagsrechnungen zügig bearbeite. Nachweise dafür hatte
das LG zwar nicht. Die in mehreren Verhandlungstagen vernommen Zeugen
hatten ebenso nichts in diese Richtung bekundet. Die Tankungen fanden in
zeitlichem Zusammenhang mit lediglich einer von 24 Abschlagsrechnungen
statt. Diese wurde im Amt zwar vergleichsweise rasch bearbeitet, aber den-
noch erheblich zusammengestrichen. Im Übrigen hatte der AG-Bauleiter we-
der die Entscheidungsmacht über Nachträge noch über die Freigabe von Zah-
lungen. Das störte das Schöffengericht allerdings wenig. Angesichts des mehr
als erstaunlichen Urteils gingen die beiden Angeklagten in Revision. n
OLG: „Zweifel an derUnbefangenheit desSachverständigen“
Vier Verhandlungstage für690 Euro „Schaden“
„Baufirma wollte Auftrag -geber gefügig machen“
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Baubetrieb
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Bilanzierung
Neue Rechenregeln zurPauschwertberichtigung
Ein kritischer Blick des Betriebsprüfers des Finanzamts gilt meist den bilan-
zierten Forderungen eines Bauunternehmens. Insbesondere die Pauschal-
wertberichtigung dürfte nach einem Infoschreiben der Finanzverwaltung ins
Visier der Prüfer rücken.
Bei der Ermittlung der Pauschalwertberichtigung orientieren sich Unterneh-
mer meist an den Erfahrungen beim Forderungseingang aus der Vergangen-
heit und beziehen weitere Faktoren ein. Der Finanzsenat Berlin hat nun jedoch
klargestellt, dass nicht mehr alle dieser Faktoren berücksichtigt werden dür-
fen (FSen Berlin, Erlass v. 31.7.2015, Az. III B – S 2174 – 108 – 1). Welche Fak-
toren sprechen für eine Pauschalwertberichtigung (PWB)?
Mögliche Mahngebühren oder Prozesskosten dürfen sich nicht mehr auf die Höheder PWBauswirken.
UBB-Tipp: Hintergrund dieser Verwaltungsauffassung, die bundeseinheitlich
abgestimmt ist, ist die Regelung, wonach eine Abwertung von Forderungen
nur noch stattfinden darf, wenn eine dauernde Wertminderung unterstellt
wird. Zinsverluste und Kosten für das Einziehungsrisiko führen aber nicht zu
einer dauernden Wertminderung der Forderung. n
Lohnsteuer/Sozialversicherung
Behandlung von Arbeitslohnspendebei Minijobbern
Vereinbaren ein Arbeitgeber und ein Minijobber eine Arbeitslohnspende für
Flüchtlinge, stellt sich in der Praxis die Frage, wie diese Spende sozialversi-
cherungsrechtlich und steuerlich zu behandeln ist. Die Antwort kommt von
der Minijobzentrale.
In einem Newsletter weist die Minijobzentrale darauf hin, dass Arbeitslohn-
spenden von Minijobbern je nachdem, ob der Arbeitgeber pauschal 2% Lohn-
steuer oder die individuelle Lohnsteuer für das Gehalt eines Minijobbers ab-
führt, folgendermaßen zu behandeln sind (Newsletter Nr. 8/2015 v.
29.10.2015):
Ausfallrisiko Das Ausfallsrisiko ist bei der Höhe der PWB das zentrale Kriterium. Hier sind Erfahrungswerte der letzten drei Jahreheranzuziehen.
Skonti und sonstige Erlösschmälerungen
Auch diese Kriterien wirken sich nach wie vor auf die Höheder PWB aus.
Zinsverlust Zinsverluste haben keinen Einfluss mehr auf die Höhe derPWB.
Einziehungsrisiko Mögliche Mahngebühren oder Prozesskosten dürfen sichnicht mehr auf die Höhe der PWB auswirken.
Ausfallrisiko: Vergangenedrei Jahre als Vergleichs -wert
Dauernde Wertminderungals Voraussetzung
Pauschale oder individuelleLohnsteuer?
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Baubetrieb
12 UBB 39 (2016), Heft 1
Lohnsteuer
Dienstwagenbesteuerung beiLeasing-Sonderzahlung
Bekommt ein Arbeitnehmer einen Dienstwagen zur Verfügung gestellt, muss
für die Privatfahrten ein geldwerter Vorteil versteuert werden. Kompliziert
wurde es bei der Ermittlung dieses Privatanteils immer dann, wenn für den
Dienstwagen ein Fahrtenbuch geführt wurde und der Dienstwagen geleast
wurde.
Die Lohnsteuerprüfer rechneten die Sonderzahlung den Gesamtkosten des
Dienstwagens stets in voller Höhe im Jahr der Zahlung zu, selbst wenn der
Arbeitgeber bilanzierte und diese Leasing-Sonderzahlung aktiv abgrenzte und
auf mehrere Jahre verteilte. Gute Nachricht für Arbeitnehmer: Die Verteilung
der Leasing-Sonderzahlung in der Bilanz ist auch bei der Lohnsteuer anzu-
wenden (BFH, Urteil v. 3.9.2015, Az. VI R 27/14).
Beispiel: Arbeitnehmerin Huber bekommt einen Dienstwagen zur Verfügung
gestellt, der im Dezember geleast wurde. Die Gesamtkosten ohne Leasing-
Sonderzahlung betragen 2.000 Euro. Die Leasing-Sonderzahlung von 12.000
Euro, die im Dezember bezahlt wurde, grenzte der Arbeitgeber in seiner Bi-
lanz auf die Laufzeit des Leasing-Vertrags ab. Im Erstjahr wirken sich von die-
ser Leasing-Sonderzahlung deshalb nur 334 Euro gewinnmindernd aus. Die
Privatnutzung des Dienstwagens liegt bei 20%. So wird der geldwerte Vorteil
für Dezember ermittelt
Pauschale Lohnsteuervon 2%
Individuelle Lohnsteuer
Sozialversicherung Die Pauschalabgaben für Kranken- und Rentenversiche-rung sowie die Umlagen sind vom vollen Minijobgehalteinzubehalten. Die Arbeitslohnspende hat keine Aus -wirkung auf die Höhe der Pauschalabgaben.
Steuern Minijobgehalt ist nicht umdie Arbeitslohnspende zu reduzieren.
Arbeitslohnspende reduziertMinijob-Gehalt bei Ermitt-lung der individuellen Lohn-steuer.
Sonderausgabenabzugfür Spenden
Minijobber kann für dieSpende Sonderausgabengeltend machen.
Minijobber darf für dieSpende keinen Sonderaus-gabenabzug beantragen.
So rechnet ArbeitnehmerinHuber
So rechneten die Lohn -steuerprüfer bislang
Gesamtkosten 2.334 Euro 14.000 Euro
Zu versteuernder geld-werter Vorteil (20%)
466,80 Euro 2.800 Euro
Spende ohne Auswirkungenauf Pauschalabgaben
Komplizierte Kombination:Leasing und Fahrtenbuch
Neue Bewertung führt zuniedrigerer Steuer
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Baustelle
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Baustellenanalyse führt zu Leistungssteigerung
Prozessoptimierung im Tunnelbauam Beispiel des EmscherumbausVon Prof. Dr.-Ing. Alexander Malkwitz und Johann Ehlers, M. Sc., Universität
Duisburg-Essen, Essen
Der Emscherumbau, das Generationenprojekt der Emschergenossenschaft,
soll bis 2020 fertiggestellt werden. Der Umbau des Abwasserkanals in ein
unterirdisches Abwassersystem von insgesamt 51 km Länge in einer Tiefe von
bis zu 40 Metern steht im Vordergrund des Projekts. Dieser Artikel beschreibt
anhand eines Bauabschnitts den Tunnelvortrieb und die Möglichkeiten die-
sen, am Beispiel des Rohrwechsels, zu optimieren.
Bauabschnitt als größtes Einzelprojekt des Emscherumbaus
Der Umbau des Abwasserkanal-
systems wurde in mehrere Bau-
abschnitte unterteilt. Der hier be-
schriebene Bauabschnitt (BA) 30
(Abb. 1) wird von der Wayss &
Freytag Ingenieurbau AG (W&F)
durchgeführt. Dieser Bauab-
schnitt ist das größte Einzelpro-
jekt des Emscherumbaus und
verläuft von Dortmund bis Bott -
rop. Das Auftragsvolumen be-
trägt ca. 420 Mio. Euro brutto. In
dem BA wurden unter anderem
sechs Tunnelvortriebmaschinen (TBM) für einen Rohrdurchmesser von DN
1600 bis 2800 eingesetzt. Die in diesem Artikel betrachtete TBM 1 ist eine Voll-
schnittmaschine mit Erddruckstützung und hat eine Länge von 11,90 m so-
wie einen Außendurchmesser von 3,635 m bei einem Gewicht von ca. 123 t.
Die TBM 1 kommt in dem BA 30 insgesamt für neun Haltungen zum Einsatz.
Die Länge der Haltungen, welche durch diese TBM erstellt werden, beträgt ins-
gesamt 6.634 m.
Zwei Hauptprozesse: Vortrieb und Rohrwechsel
Der Bauablauf untergliedert sich in die zwei Hauptprozesse Vortrieb und
Rohrwechsel. Während des Vortriebs arbeitet sich die TBM im Boden konti-
nuierlich vorwärts. Der abgebaute Boden gelangt über die Förderschnecke
und das Förderband in eine Lore. Der Schutterzug fährt mit der gefüllten Lo-
re zum Startschacht, wo diese mittels eines Krans aus der Baugrube gehoben
wird. Da der Vortrieb erst wieder aufgenommen werden kann, wenn eine lee-
re Lore unter dem Förderband steht, wird während der Ausleerung der vollen
Lore direkt eine leere Lore wieder unter das Förderband gefahren. Sobald die
TBM eine Rohrlänge (4,00 m) vorangetrieben hat, wird der Abbauprozess
unterbrochen und der Rohrwechsel eingeleitet. Da sich die Optimierungsan-
sätze auf den Rohrwechsel beziehen, wird dieser detailliert aufgeführt.
Abb. 1: Bauabschnitt 30 des Emscherprojekts [5]
Kernansatz: Optimierung desRohrwechsel-Prozesses
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Baustelle
14 UBB 39 (2016), Heft 1
Der Rohrwechsel ist insgesamt in zehn Schritte unterteilt:
1. Stopp des Vortriebs
2. Herausheben der Lore
3. Kappen der Versorgungsleitungen
4. Demontage des Lorengleises
5. Zurückfahren der Presszylinder
6. Einheben eines neuen Vortriebrohres
7. Vorfahren der Presszylinder
8. Koppeln der Versorgungsleitungen
9. Montage des Lorengleises und Verbindung der Gleise im Rohrstrang
10. Einheben und Einfahrt der Lore, Start des Vortriebs
Um die einzelnen Schritte näher bewerten zu können, wurden Zeitmessungen
zu den einzelnen Arbeitsschritten durchgeführt und protokolliert. Die Mes-
sungen wurden in dem Zeitraum von November 2014 bis Januar 2015 er -
hoben.
Während dieser Beobachtungen wurden ins-
gesamt der Einbau von 115 Vortriebsrohren
vor Ort beobachtet und 100 Rohrwechsel aus-
gewertet, welche per Software aufgenommen
wurden (Abb. 3). Somit ist eine fundierte Aus-
sage gewährleistet.
Die Tunnelbauarbeiten wurden im Durchlauf-
betrieb mit je drei Schichten zu acht Stunden
ausgeführt. Grund hierfür war, dass der beob-
achtete Abschnitt unter der Emscher und dem
Rhein-Herne-Kanal verläuft und somit die
Standzeit der TBM unter den Gewässern auf
ein Minimum reduziert wurde.
Ergebnisse der Beobachtung: Unterschiedlich produktive Schichten
Die Auswertung der Beobachtungen ergab bei den einzelnen Schichten teil-
weise deutlich unterschiedliche Zeiten für den Rohrwechsel (aus Daten-
schutzgründen wurden die Zeiten in Prozent angegeben. Die Durchschnitts-
zeit wurde aus den drei untersuchten Schichten gemittelt). Gerade die zweite
Schicht setzt sich von den anderen zwei Schichten klar ab. Da die örtlichen
Abb. 2: Vorlage für die Zeiterfassung auf der Baustelle [1]
Abb. 3: Durchschnittliche Rohrwechselzeiten je Schicht [1]
Analyse durch Zeitmessungder einzelnen Arbeitsschritte
Zweite Schicht trotz gleicherVoraussetzungen wenigerproduktiv
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Baustelle
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Randbedingungen der jeweiligen Schichten identisch waren, weisen diese Er-
kenntnisse auf unterschiedliche Vorgehensweisen der jeweiligen Schichten
hin. Um nun das etwaige Optimierungspotential von ca. 30% (Schicht 3) bzw.
22% (Durchschnittszeit) zu identifizieren, wurden die Abläufe der zweiten
Schicht detaillierter untersucht. Die Untersuchung wurde weiter in die drei
Unterkomponenten Arbeitsabläufe, Geräteeinsatz/Baustellenlogistik und Per-
sonal untergliedert.
Arbeitsabläufe – Optimieren von Wegen und Aufgaben
Durch die Beobachtungen wurde ersichtlich, dass in Schicht 2 die Rollen, Auf-
gaben und Arbeitsbereiche der Arbeitskräfte klar definiert waren. Die anste-
henden Arbeitsschritte waren vorbereitet und konnten so effizienter als in den
anderen Schichten durchgeführt werden. Gerade durch die Festlegung der
Arbeitsbereiche wurden ein gegenseitiges Be-
hindern sowie unnötige Arbeitswege ver -
hindert (z.B. bei Arbeitsschritt 8 Koppeln der
Versorgungsleitungen, da so ein unnötiges
„Klettern“ über die Hauptpressstation entfiel).
Das Ergebnis dieser Komponente zeigt auf,
dass eine klare Definition von Kernarbeitsbe-
reichen sowie ein strukturierter Prozessschritt
für die jeweilige Arbeitskraft die Potenziale voll
ausschöpfen können. Die Bereiche müssen
sich jedoch dazu an den jeweiligen Bedingun-
gen der Baustelle orientieren (Abb. 4).
Baustellenlogistik und Geräteeinsatz
Durch die Beobachtungen wurde aufgezeigt,
dass das Lösen und Verbinden der Gleisver-
bindungen einen erheblichen Teil des Rohr-
wechsels in Anspruch nahmen (Arbeitsschritte 4 und 9). Andere Systeme wie
z.B. eine stetige Förderung durch Streckenbandanlagen könnten diese Zeit er-
heblich reduzieren.
Jedoch muss gerade bei dem Geräteeinsatz darauf geachtet werden, dass die
möglichen Investitionskosten in einem wirtschaftlichen Verhältnis zur ein-
zusparenden Zeit liegen. Ebenso sind „doppelte Auslastungen“ zu vermei-
den, zu welchen es z.B. bei der Anlieferung neuer Rohre und einem gleichzei-
tigen Rohreinhub kommen kann. Die Anlieferungen könnten
dementsprechend während des Vortriebs durch den Kran abgeladen werden,
um eine doppelte Auslastung zu verhindern.
Auch die Rohrvorbereitungsarbeiten, wie das Einsetzten von Dichtungsringen
oder Druckübertragungsringen, könnten eventuell nach Absprache schon im
Werk installiert werden. Es lässt sich zusammenfassen, dass die Logistik und
der Geräteeinsatz einen großen Einfluss auf die zu erbringende Leistung ha-
ben. Etwaige Potenziale sollten durch eine genaue Analyse der gegebenen
Randbedingungen untersucht werden.
Personal effektiv einsetzen
Das Personal einer Schicht wird von einem Polier geführt und besteht aus ins-
gesamt 10 Personen: jeweils einem Schichtführer, Maschinenführer, Kran-
fahrern, Lokfahrer, Elektriker, sowie 3 Schachtarbeitern und zwei Rohrvorbe-
reitern. Ebenso ist ein Vortriebsbauleiter vor Ort. Vom gewerblichen Personal
Abb. 4: Schachtbaustelle und Aufteilung in Kernarbeitsberei-che im Schacht [1]
Gegenseitiges Behindernund unnötige Arbeitswegeverhindern
Unterschiedliches Vorgehenpro Schicht
„Doppelte Auslastungen“sind zu vermeiden
Weiterer wichtiger Punkt:Kommunikation zwischenden Schichten
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Baustelle
16 UBB 39 (2016), Heft 1
sind nicht alle direkt an einem Rohrwechsel beteiligt (z.B. der Maschinenfüh-
rer und der Lokfahrer). Diese können, sofern keine Wartungsarbeiten an den
jeweiligen Maschinen durchzuführen sind, bei den Arbeiten helfen. Bei den
Beobachtungen wurde festgestellt, dass der Maschinenführer beispielsweise
beim Rohrwechsel das Platzieren des neuen Rohres auf der Schildwiege be-
aufsichtigte oder der Lokführer die Fugendichtungsringe kontrollierte.
Sofern diese Mitarbeiter mit eingebunden werden, können sie andere Mitar-
beiter entlasten, welche dann die weiteren Arbeitsschritte vorbereiten. Dies
gewährleistet einen reibungsloseren Arbeitsablauf. Ein weiterer wichtiger
Punkt ist die Kommunikation zwischen den einzelnen Schichten. Aus den Be-
obachtungen ist ersichtlich, dass die Schichten teilweise deutliche zeitliche
Unterschiede beim Rohrwechsel aufweisen. Ein Erfahrungsaustausch zwi-
schen den Schichtleitern könnte für eine Verbesserung sorgen.
Fazit: Genaue Baustellenanalyse unabdingbar
Durch die aufgezeigten Optimierungsmöglichkeiten kann eine Art Muster-
rohrwechsel entwickelt und in Form eines internen Firmenhandbuchs den
Mitarbeitern zur Verfügung gestellt werden. Dies hat den Vorteil, dass es auch
bei unterschiedlichen Schichtbesetzungen zu einheitlichen Rohrwechselzei-
ten und somit zu einer gleichbleibenden Leistung auf der Baustelle kommt.
Da oft auf Baustellen viel von der Erfahrung einzelner Mitarbeiter abhängt,
kann diese somit allen zur Verfügung gestellt werden. Dies hätte den Vorteil,
dass es nicht zu großen Leistungsabweichungen der einzelnen Schichten
kommt und somit ein gleichbleibender Arbeitsfluss entsteht. Ebenfalls ist ei-
ne genaue Analyse der Baustellenabläufe sowie des Geräteeinsatzes unab-
dingbar, um weitere Optimierungsmöglichkeiten zur Leistungssteigerung voll
auszuschöpfen.
Anmerkung: Die beschriebenen Erkenntnisse wurden im Rahmen einer Ab-
schlussarbeit der Universität Duisburg-Essen, Lehrstuhl Baubetrieb und Bau-
management, und der Wayss & Freytag Ingenieurbau AG erhoben sowie un-
ter anderem durch Mitarbeiter des Instituts ausgewertet. n
Quellen:[1] Prozessoptimierung beim Rohrwechsel einer Erddruck-Tunnelbohrmaschine am
Beispiel der TBM1 – DN 2800 im Rahmen des Projektes Emscherumbau BA 30, er-schienen am Institut für Baubetrieb und Baumanagement der Universität Duis-burg-Essen, Rene Kriesten, 01/2015
[2] Rohrvortrieb beim Abwasserkanal Emscher erreicht Haltungslängen von mehr als1100 m, Stratemeier, Himmel und Flicke, Tunnel 5/2014, Bauverlag
[3] Emschergenossenschaft (Hrsg.): Masterplan Emscherzukunft: Das neue Emscher-tal, 1. Auflage 2006
[4] www.eglv.de[5] www.abwasserkanal-emscher.de[6] http://www.tunnel-online.info/imgs/73406907_62e201d328.jpg
Erfahrungen einzelnerMitarbeiter allen zurVerfügung stellen
Ziel: Reibungsloser Ablaufder Arbeiten
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Entscheidungen für die Praxis
Vergaberecht aktuellVon forum vergabe e.V., Berlin
Vergabe unter dem Vorbehalt fehlender Finanzierung?
Nicht immer liegen die Voraussetzungen für ein Vergabeverfahren in der rich-
tigen Reihenfolge vor. Ein bestimmter Beschaffungsbedarf kann davon ab-
hängen, dass für seine Deckung eine Finanzierung vorhanden ist. Diese
Finanzierung ist allerdings möglicherweise nicht gesichert und wird erst
dann gesichert zur Verfügung stehen, wenn bis zum Beginn der Leistungen
kaum noch Zeit ist.
Der Auftraggeber befindet sich also in der misslichen Situation, einerseits ei-
gentlich ein Vergabeverfahren beginnen zu müssen, um seinen Beschaf-
fungsbedarf rechtmäßig und vor allem auch rechtzeitig zu decken, anderer-
seits aber noch abwarten zu müssen, bis die Finanzierung endgültig steht. Das
OLG Düsseldorf (Beschluss v. 10.06.2015, VII-Verg 39/14) hatte einen solchen
Fall zu entscheiden und hat ihn zugunsten der Handlungsfähigkeit des Auf-
traggebers gelöst.
Entscheidung zu Gunsten der öffentlichen Auftraggeber
Der Auftraggeber darf in solchen Fällen die Bekanntmachung mit einem Vor-
behalt veröffentlichen und die Vergabe unter die Bedingung stellen, dass alle
Voraussetzungen für den entstehenden Beschaffungsbedarf auch tatsächlich
vorhanden sein werden.
In dem entschiedenen Fall hat das OLG Düsseldorf dies zwar in einer etwas
speziellen Fallgestaltung entschieden, nämlich dass die Haushaltsmittel vor-
handen waren, aber noch ein internationaler Vertrag abzuschließen war. Es
spricht jedoch nichts dagegen, diese Entscheidung auch auf die fehlende Fi-
nanzierung etwa durch Dritte und den fehlenden Vertrag anzuwenden.
Entscheidend ist, dass die interessierten Unternehmen erkennen können,
dass noch nicht alle Voraussetzungen für eine Vergabe vorliegen und daher
überlegen können, ob sie den Aufwand für die Erstellung eines Angebotes auf
sich nehmen.
Fehler in der Leistungsbeschreibung – was tun?
Bei allen Anstrengungen gelingt es Auftraggebern nicht immer, in der Leis-
tungsbeschreibung genau das zu beschreiben, was sie benötigen. Manchmal
verbleiben vom Auftraggeber nicht erkannte Unschärfen oder sogar offene
Punkte. Absichtlich oder unabsichtlich bieten Unternehmen auf eine solche
Leistungsbeschreibung dann das an, was sie darin erkennen. Dies entspricht
nicht immer den Vorstellungen des Auftraggebers, was er erst nach Aus-
wertung der Angebote erkennen kann.
Ein Ausschluss der Unternehmen wegen einer Abweichung von den Vorga-
ben des Auftraggebers ist in solchen Fällen nicht möglich, da die Leistungs-
beschreibung ja gerade undeutlich war, solange sich das Angebot im Rahmen
dessen hält, was ein kundiger Auftragnehmer darin lesen konnte. Handelte es
sich dabei um Fehler, Unvollständigkeiten oder Widersprüche, die dem Bieter
Fall: Beschaffung nötig, aberFinanzierung noch nichtsicher
Auftraggeber darf hier unterVorbehalt ausschreiben
Fall: Ausschreibung ent -hält nicht erkennbare„Unschärfen“
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Baurecht
18 UBB 39 (2016), Heft 1
„ins Auge springen“ mussten, hätte er diese ohnehin bereits vor Angebots-
abgabe im Rahmen seiner Prüfungs- und Hinweispflicht beim Auftraggeber
hinterfragen müssen.
Bieter können Schadensersatzansprüche stellen
Im oben beschrieben Fall ist der Auftraggeber dennoch nicht verpflichtet, ei-
nen Zuschlag auf dieses von ihm inhaltlich gar nicht gewünschte Angebot zu
erteilen. Er kann stattdessen auch das Vergabeverfahren beenden. Dies tut er
dann in einem derartigen Fall allerdings mit dem Risiko, dass die Unterneh-
men einen Schadensersatzanspruch geltend machen und Ersatz der Kosten
für die Erstellung der Angebote verlangen.
Dem größten Risiko geht der Auftraggeber dennoch aus dem Weg: Neben der
Beauftragung einer nicht benötigten Leistung ist dies ein Schadensersatz in
Höhe des entgangenen Gewinnes eines nicht zum Zuge gekommenen Bieters.
Dies hat in einem exemplarischen Fall das LG Köln (Urteil v. 23.07.2014, 11 U
14/13) entschieden.
Keine Rügepflicht bei Wahlpositionen!
Will sich ein Bieter gegen Vergaberechtsverstöße des öffentlichen Auftrag-
gebers wehren, kann er dies bei EU-Vergabeverfahren in einem Nachprü-
fungsverfahren machen. Vor der Einleitung dieses Verfahrens muss er dem
Auftraggeber die Möglichkeit geben, seinen Fehler selber zu beheben – und
muss daher eine Rüge erheben. Eine unterlassene Rüge ist nur dann für den
Bieter unschädlich, wenn der Verstoß für ihn nicht erkennbar war.
Das OLG München (Verg 5/15 vom 01.10.2015) hat jetzt entschieden, dass für
einen durchschnittlichen Bieter die Unzulässigkeit der Ausschreibung einer
Alternativ- oder Wahlposition nicht als Vergabeverstoß zu erkennen ist. Ein
solcher Fehler muss daher von Bietern nicht gerügt werden und kann dennoch
im Nachprüfungsverfahren vorgebracht werden.
Die Unzulässigkeit beruht darauf, dass der Auftraggeber sich eindeutig fest-
legen muss, welche Leistung er eigentlich werten und beauftragen will. Wahl-
und Alternativpositionen eröffnen dem Auftraggeber gerade bei der Wertung
Spielräume, die mit einer ordnungsgemäßen Wertung in der Regel nicht zu
vereinbaren sind.
Solche Positionen sind auch dann unzulässig, wenn sich der Auftraggeber erst
einmal einen Überblick über den Markt und die Preise verschaffen will. Dies
kann der Auftraggeber außerhalb förmlicher Vergabeverfahren in sog. Markt-
erkundungsverfahren machen, ohne dass Bieter den Aufwand für die Kalku-
lation und Angebotseinreichung aufbringen müssen.
Allerdings entwickeln sich auch die Kenntnisse des „durchschnittlichen Bie-
ters“ weiter, und Unternehmen sollten zur Wahrung ihrer Rechte, wenn ihnen
Alternativ- oder Wahlpositionen auffallen, dies gegenüber dem Auftraggeber
ansprechen. Im besten Fall beseitigt der Auftraggeber seinen Verstoß auch
ohne Nachprüfungsverfahren – und das ist letztlich auch im Interesse des an-
bietenden Unternehmens, das vor allem an dem Auftrag selber interessiert
ist. n
Auftraggeber kann dasVergabeverfahren beenden
Fall: Auftraggeber schreibtWahlpositionen aus
Markterkundung durchAusschreibung unzulässig
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Baubetrieb
©2016 Ernst & Sohn Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH & Co. KG, Berlin · UBB 39 (2016), Heft 1 19
Steueränderung 2016
Investitionsabzugsbetrag: NeuerGestaltungsspielraum 2016
Erfüllt Ihr Unternehmen die Voraussetzungen für den Abzug eines Investi-
tionsabzugsbetrags für geplante Investitionen und Sie brauchen die Steuer -
ersparnis nicht zwingend schon 2015, sollten Sie den Investitionsabzugsbe-
trag erstmals 2016 geltend machen. Das bringt erhebliche Vorteile.
Beim Investitionsabzugsbetrag nach § 7g Abs. 1 EStG ist es nach derzeitiger
Rechtslage zwingend notwendig, dass Sie die Funktion des Gegenstandes,
den Sie kaufen möchten, detailliert beschreiben.
Kaufen Sie diesen Gegenstand dann innerhalb von drei Jahren nicht, kippt der
Investitionsabzugsbetrag rückwirkend. Steuernachzahlungen und Zinsenzah-
lungen sind die Folge.
Verzicht auf Funktionsbeschreibung
Neu 2016: Ab 2016 verzichtet das Finanzamt auf die Funktionsbeschreibung.
Sie müssen dem Finanzamt nur die Abzugsbeträge in einem elektronischen
Datensatz mitteilen, damit überwacht werden kann, ob im dem Dreijahreszeit -
raum tatsächlich investiert wird. Was letztlich investiert wird, interessiert je-
doch nicht mehr.
Beispiel: Sie planen im Jahr 2017 den Kauf eines neuen Baggers für 200.000
Euro. Dafür ziehen Sie a) im Jahr 2015 oder b) 2016 einen Investitionsab-
zugsbetrag in Höhe von 40.000 Euro vom Gewinn ab. 2017 wird eine Maschi-
ne zerstört, die umgehend ersetzt werden muss. Kosten: 200.000 Euro. Dafür
kippen Sie die geplante Investition in einen neuen Bagger.
Variante a: Investitions -abzugsbetrag 2015
Variante b: Investitions -abzugsbetrag 2016
Abzugsjahr Abzug von 40.000 Euroin 2015
Abzug von 40.000 Euroin 2016
Kauf der neuen Maschine
Rückgängigmachung des Investitionsabzugsbetrags
Der Investitionsabzugs -betrag bleibt erhalten.
Begründung Die Maschine hat eine andere Funktion als der Bagger.
Kein Problem, weil ab 2016die Funktionsbeschreibungkeine Rolle spielt
Folge Rückzahlung der Steuervor-teile aus 2015 und ggf. Zins-zahlungen auf die Steuer -zahlungen
Auflösung des Investitions-abzugsbetrags im Jahr desKaufs der Maschine und An-rechnung des Investitions -abzugsbetrags auf den Kaufpreis der Maschine(= neutrales Ergebnis)
UBB-Tipp: Abzug erst 2016geltend machen
Ab 2016 keine Funktions -beschreibung mehr nötig
Neuerung: Ergebnis am Endeneutral
UBB_0116_UBB 18.12.15 07:42 Seite 19
Lesetipp
Baukosten-Datenbank 2015/2016
Beim Baukosteninformationszentrum Deutscher Architektenkammern (BKI)
erschien im November 2015 die neue Version des BKI Kostenplaners mit ak-
tualisierter Baukosten-Datenbank 2015/2016 und Erfahrungswerten von über
2.700 abgerechneten Referenzobjekten.
Die BKI-Baukostendatenbank beinhaltet Referenzobjekte mit aktuellen Kos-
ten- und Planungskennwerten zu Neubauten, Altbauten und Freianlagen.
Außerdem greifen Nutzer auch auf statistische Auswertungen zu 120 Gebäu-
dearten zu. Die Baukosten-Niveaus innerhalb Deutschlands variieren erheb-
lich. BKI-Auswertungen bestätigen Abweichungen im Vergleich zum BKI-
Bundesdurchschnitt (100%) von 0,65 (65%) in strukturschwachen Gebieten bis
hin zu 1,43 (143%) in boomenden Ballungsräumen. Mit den integrierten Re-
gionalfaktoren 2016 passen die Programmanwender die Bundesdurch-
schnittswerte an ihr regionales Baukosten-Niveau an. Für ein Plus an Pla-
nungssicherheit sorgen auch die neuen Zusatzinformationen bezüglich
Bauzeiten.
Weitere Informationen erhalten Sie bei: Jeannette Wähner, Pressestelle,
Baukosteninformationszentrum Deutscher Architektenkammern (BKI),
Tel. 0711 954 854-73, Email: presse@bki.de, Internet: www.bki.de
Vergaberechtliche Entscheidungen EuGH nationale GerichteVergabekammern
1.03.2016 Leipzig www.forum-vergabe.de
BIM aus rechtlicher und technischer Sicht
7.03.2016 Mannheim www.ibr-online.de
VOB-Ausgleichrechnung von A-Z. Intensivtraining
8.03.2016 Bonn www.bvmb.de
Vergaberechtliche Entscheidungen EuGH nationale GerichteVergabekammern
8.03.2016 Stuttgart www.forum-vergabe.de
Optimale Ingenieurverträge. Vertragsgestaltung unterBerücksichtigung der aktuellen Rechtsprechung sowie der HOAI
9.03.2016 Mannheim www.ibr-online.de
Erfolgreiche Durchsetzung von Nachträgen aus rechtlicher Sicht
14.03.2016 Ostfildern www.tae.de/seminare
Baumängel / ARdT / Abnahme sowie praktischer Umgangmit Mangelstreitigkeiten
15.03.2016 Frankfurt/Main www.bvmb.de
Bieterstrategien im Vergabeverfahren
16.03.2016 Ostfildern www.tae.de/seminare
VERGABERECHTSREFORM 2016
16.03.2016 Mannheim www.ibr-online.de
Pauschalpreisvertrag und schlüsselfertiges Bauen
16.03.2016 Hamburg www.ibr-online.de
Bauleiter Basiswissen VOB/B Seminar
21.–22.03.2016 Berlin www.bau-akademie.de
Mitarbeiterführung auf der Baustelle
4.–5.04.2016 Ostfildern www.tae.de/seminare
Projektsteuerung 2016
5.04.2016 Berlin www.ibr-online.de
Die Baustellendokumentation – Grundlage für die erfolgreicheBauabrechnung
5.04.2016 Dortmund www.bvmb.de
Die Gestaltung von Bauträgerverträgen unter Berücksichtigungder neuesten Rechtsprechung
5.04.2016 Nürnberg www.ibr-online.de
Vergütung und Nachträge bei öffentlichen Bauaufträgen ausrechtlicher und baubetrieblicher Sicht
6.04.2016 Nürnberg www.ibr-online.de
VERGABERECHTSREFORM 2016
7.04.2016 Köln www.ibr-online.de
Vertragsabwicklung mit Nachunternehmern. OptimalesVertrags- und Mängelmanagement für Projektentwickler,Bauträger und Generalunternehmer
8.04.2016 Mannheim www.ibr-online.de
Bauleiter Basiswissen VOB/B Seminar
11.–12.04.2016 Düsseldorf www.bau-akademie.de
Projektmanagement im Bauwesen
12.–13.04.2016 Ostfildern www.tae.de/seminare
Baurecht aktuell
13.04.2016 Heidelberg www.bvmb.de
Update Bauleiterrecht. Aktuelle Rechtsprechung zur VOB/B
14.04.2016 Berlin www.hdt-essen.de
INTENSIVKURS: HOAI für Architekten und Ingenieure mit denNeuerungen der HOAI 2013 und den aktuellstenRechtsprechungsentwicklungen
14.04.2016 Dresden www.ibr-online.de
Baumaßnahmen professionell planen und ausführen
18.–19.04.2016 Ostfildern www.tae.de/seminare
Das neue Vergaberecht 2016
20.–21.04.2016 Ostfildern www.tae.de/seminare
Abnahme, Mängelansprüche und Umgang mit Sicherheiten.Vertiefungsseminar zur VOB/B
21.04.2016 Berlin www.hdt-essen.de
Effektive Bauleitung
25.–26.04.2016 Ostfildern www.tae.de/seminare
Bauleiter Basiswissen VOB/B Seminar
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20 UBB 39 (2016), Heft 1
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berrechtlich geschützt. Alle Rechte, insbesondere das des Nachdrucks und der
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© 2016 Ernst & Sohn Verlag für Architektur und technische Wissenschaften
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Ingenieurbaukunst 2016
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Verlag für Architektur und technische
Wissenschaften GmbH & Co. KG
Hrsg.: Bundesingenieurkammer
Ingenieurbaukunst 2016
2015. ca. 200 S.
ca. € 39.90*
ISBN 978-3-433-03126-1
Hrsg.: Bundesingenieurkammer
Ingenieurbaukunst 2015
2014. 200 S.
€ 39.90*
ISBN 978-3-433-03096-7
Noch erhältlich:
Ab
b.
au
s JG
20
15
Die neue Ausgabe des Jahrbuchs „Ingenieurbaukunst“ präsentiert
wieder eine Auswahl der spektakulärsten aktuellen Bauprojekte
mit Beteiligung deutscher Ingenieure weltweit. Herausgegeben
von der Bundesingenieurkammer, ist das Werk die zentrale
Leistungs schau des deutschen Bauingenieurwesens.
Im Mittelpunkt des Buches stehen die Ingenieure, denn sie berich-
ten in diesem aufwendig gestalteten Buch über ihre Projekte und
geben so einen unmittelbaren Einblick in ihre Arbeitsweise. Neben
den Projektpräsentationen befasst sich das Buch mit übergeordne-
ten Fragestellungen wie beispielsweise „Infrastruktur: Erhalt oder
Neubau?“ und „Finanzierung von Innovationen im Bauwesen“.
Somit stellt das Jahrbuch erneut einerseits eine Galerie der Spitzen-
leistungen deutscher Bauingenieure dar und fungiert anderer seits
als Refl exionsfl äche der aktuellen Debatten im Bauingenieur-
wesen.
22 Ingenieurbaukunst 2015 Charaktervolle Konstruktionen – Vier WM-Stadien in Brasilien 23
Estádio Jornalista Mário Filho in Rio de Janeiro
Das legendäre Stadion mitten im Stadtgebiet der Sam-bametropole, das jedermann nur Maracanã nennt, wur-de für die Fußballweltmeisterschaft 1950 errichtet, hat-te einst ein Fassungsvermögen von mehr als 200.000 Zuschauern und galt als größtes Stadion der Welt. Doch der Betonbau war in die Jahre gekommen und sollte zur WM 2014 grundlegend saniert und auf FIFA-Standard gebracht werden. Der Oberrang wurde erneuert und der Unterrang mit besseren Sichtverhältnissen völlig neu gebaut. Ein Hauptanliegen dabei: Das Stadiondach, eine Betonkragkonstruktion, hatte eine zu geringe Spann-weite und überdeckte nur ein Drittel der Zuschauerplät-ze. Zunächst dachte man daran, die äußere Erscheinung des denkmalgeschützten Bauwerks unverfälscht zu er-halten, indem man die Dachfläche nach innen unter Bei-behaltung der bestehenden Dachkonstruktion vergrö-ßert. Doch die betagten Betonkragträger konnten nicht mehr ertüchtigt werden. Und eine oben aufgesetzte zu-sätzliche Tragstruktur hätte das Stadion zu nachhaltig verändert.
Schließlich entwickelten die Ingenieure von schlaich bergermann und partner eine Dachkonstruktion, die sich in den historischen Bestand so flach einfügt, dass sie die berühmte Silhouette kaum verändert. Sie bedien- ten sich des mittlerweile erprobten Speichenradprin-zips mit äußerem Druckring, innerem Zugring und ver-
bindenden „Speichen“ in Form von Radialseilen, das mit wenig Konstruktionshöhe auskommt. Und weil die auf Zug belasteten Bauteile des Seiltragwerks überwiegen, fällt es sehr filigran und materialsparend aus.
Nach dem Abschneiden der alten Kragträger blieben die Gebäude- und Fassadenstützen sowie ein umlau-fender Ringbalken in Traufhöhe bestehen und wurden betonsaniert. Deren Gliederung wurde vom neuen Dach übernommen. Den 60 historischen Stützen entsprechen die 60 Dachfelder. Wie ein in sich stabiler Deckel liegt die Speichenradkonstruktion mit dem im Querschnitt rund 1 2 Meter messenden stählernen Hohlkastenpro-fil des Druckrings auf den 60 Stützenköpfen. Horizon-talkräfte ergeben sich lediglich bei Windbelastung und werden an vier Punkten in die Lager übertragen. An-sonsten gibt das Dach nur Vertikallasten ab. Deshalb war es möglich, die alten Stützen zu benutzen, obwohl sich die Dachfläche fast verdoppelt hat.
Die Stabilität des Seildaches und die Steifigkeit des Dachkörpers werden dadurch erreicht, dass die Radial-seile nach zwei Dritteln Dachtiefe von Luftstützen aus-einandergespreizt werden und dadurch Seilbinder mit drachenförmigem Querschnitt mit einem Druckring und drei Zugringen an den Eckpunkten entstehen. Die Luft-stützen bilden gleichzeitig die Hochpunkte der Bespan-nung des Dachs mit einem PTFE-beschichteten Glas- fasergewebe. Die schneeweiße Membran wird über die
Radialseile gespannt und zur Erreichung der für die Stabilität notwendigen zweiachsigen Krümmung durch Kehlseile in den Zwischenfeldern nach unten gezogen. So ergibt sich zwischen den Hoch- und Tiefpunkten ein auch in der Dachaufsicht (beispielsweise vom Aus-sichtspunkt Cristo Redentor aus) optisch reizvolles Falt- werk.
Die auf dem unteren, aus sechs Seilen bestehenden Zugband stehenden, 13,5 Meter hohen Luftstützen aus Hohlkastenprofilen sind rautenförmig aufgespreizt und nehmen den Catwalk auf. In dem rings umlaufenden Wartungsgang ist die gesamte Installation des Daches ästhetisch und wartungsfreundlich untergebracht. Der Laufsteg trägt alle Ausrüstungen wie Flutlicht, Tribü-nenbeleuchtung und Lautsprecher, aber auch die 14 Tor- linienkameras des deutschen GoalControl Systems.
68 Meter spannt das Dach gleichmäßig über das ge-samte Oval des Stadions nach innen und lässt eine Öff-nung von 160 122 Meter frei. Mit 3.980 Tonnen Ge-wicht, d. h. 87 Kilogramm pro Quadratmeter Flächenge- wicht ist es nicht nur eine extrem leichte Konstruktion, sondern wirkt auch leicht, luftig und aufgrund der klei-nen Auflagepunkte fast schwebend, ein Eindruck, der durch die Transluzenz und die Effektbeleuchtung am Abend noch verstärkt wird.
Falk Jaeger
OBJEKTEstádio Jornalista Mário Filho STANDORTRio de Janeiro, BrasilienBAUZEIT2010 – 2013BAUHERREmpresa de Obras Publicas INGENIEURE + ARCHITEKTENArchitekt: Daniel Fernandes Tragwerksplanung: schlaich bergermann und partner
19 / 20 Das Stadion aus der Vogelperspektive 21 Draufsicht und Tribünen- querschnitt22 Blick auf das Spielfeld 23 Blick vom Aussichtspunkt Cristo Redentor
19 20
21
22
23
130 Ingenieurbaukunst 2015 Die Fassade der Canary Wharf Crossrail Station in London 131
Die Errichtung des Ensembles aus Holztragwerk und transparenter, pneumatisch gestützter Folienkissen- Fassade erforderte eine hohe Planungstiefe sowie eine lückenlose Qualitätssicherung nach allen Re-geln der Ingenieurskunst.
Congestion Charge – Staugebühr – nennen die Londo-ner die 10 Pfund teure Citymaut, die Autofahrer täglich zahlen müssen, um die Londoner Innenstadt befahren zu dürfen. Der Name ist dabei Programm. Denn wer die umgerechnet 12,60 Euro zahlt, erwirbt vor allem das Recht, Teil des Staus zu werden, der zu beinahe jeder Tages- und Nachtzeit Londons Straßen verstopft und Londons Autofahrern mit 19 km / h die geringste Durch-schnittsgeschwindigkeit im europäischen Vergleich be-schert. Deutlich schneller als auf Londons Straßen geht es in der Regel darunter voran: Hier bilden die legen- däre London Tube – die älteste U-Bahn der Welt – und die fahrerlose Stadtbahn Docklands Light Railway das größte städtische Streckennetz Europas. Mit bis zu 4,5 Millionen Fahrgästen pro Tag gelangt allerdings auch dieses äußerst leistungsfähige System regelmäßig an die Grenzen seiner Kapazität. Mit dem Ziel, diese Kapa-zität um 10 Prozent zu steigern, legte das britische Par-lament im Juli 2008 Königin Elisabeth II. die Crossrail Bill zur Unterschrift vor.
Der Projektplan beschreibt nicht weniger als das derzeit größte Infrastruktur- und Bauprojekt Europas – eine 18
Milliarden Euro schwere und 180 Kilometer lange Regio- nalexpresslinie, die London unterirdisch passieren und das Streckennetz in Stadt und Großraum bis 2018 kom-plettieren wird. Kernstück der Crossrail Line wird ein 21 Kilometer langer Zwillingstunnel, der direkt unter Lon- dons Innenstadt verläuft und in neun neuerrichteten Bahnhöfen mündet. Der größte und auffälligste dieser Bahnhöfe wurde bereits zu großen Teilen fertiggestellt: die Canary Wharf Crossrail Station in den Wassern der West India Docks.
Knapp 30 Meter – vier Etagen hoch – ragt der 310 Meter lange Überbau des Bahnhofes aus den Docks, weitere drei Etagen liegen unterhalb des Wasserspiegels (Bild 1). Seine ausladende Form und sein dominantes Fich-tenholz-Gittertragwerk sind Reminiszenzen an die gi-gantischen Handelsschiffe, die einst Waren aus aller Welt nach London brachten und Canary Wharf zum Zen-trum des weltweiten Seehandels machten. Umhüllt ist der Bahnhofsüberbau von einer transparenten, teils of-fenen ETFE-Kissen-Fassade (Bild 2), die ihn nach Ein-bruch der Dunkelheit weithin sichtbar erstrahlen und wie ein einladendes Tor zu Londons aufstrebendstem Geschäftsviertel wirken lässt. Auf der obersten Etage befindet sich ein weitläufiger Dachgarten (Bild 3), er-schlossen über zwei Verbindungsbrücken und an Bug und Heck begrenzt durch je einen Pavillon. Der Entwurf stammt aus dem Londoner Hauptsitz der Architekten Foster + Partners, deren Entwürfe Londons Stadtbild
1 Querschnitt durch die Canary Wharf Crossrail Station. In der Mitte der Skizze ist die Wasser- linie der Docks zu erkennen, ganz unten die Schächte des Zwillingstunnels.2 Die Canary Wharf Crossrail Station im Juni 2014: Die pneu- matisch gestützte ETFE-Kissen-Fassade steht, wackelt nicht, aber hat Luft.3 Hier noch Rendering, bald schon Realität: Der lichtdurch- flutete Dachgarten unter dem charakteristischen Holztrag- werk des Bahnhofes bringt etwas Grün in sein bauliches Umfeld aus Stahl und Glas.4 Überblick über die ETFE-Kissen-Fassade
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