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Merkblatt für die Praxis 35 2011 ISSN 1422-2876 Eidg. Forschungsanstalt WSL CH-8903 Birmensdorf © WSL Birmensdorf, 2011 WSL, Zürcherstrasse 111 CH-8903 Birmensdorf E-Mail: [email protected] http://www.wsl.ch/publikationen Mykorrhiza Eine faszinierende Lebensgemeinschaft im Wald Simon Egli und Ivano Brunner Einleitung Pilze im Wald kennt jeder, aber weshalb Pilze vorwiegend im Wald wachsen und welche Funktionen sie dort erfüllen, ist den wenigsten bekannt. Streu- und holzabbauende Pilze hel- fen mit, Blätter, Nadeln und Holz abzu- bauen und deren Inhaltsstoffe wieder in den Nährstoffkreislauf zurückzufüh- ren. Ebenso wichtig für das Ökosystem Wald sind diejenigen Pilze, die mit Waldbäumen in einer engen Lebens- gemeinschaft leben, die sogenannten Mykorrhizapilze. Diese Symbiose dient beiden Partnern – dem Baum wie dem Pilz (Abb. 2). Abb. 1. Der Dunkelscheibige Fälbling (Hebeloma mesophaeum) besiedelt vor allem Feinwurzeln von Baumsämlingen, hier einer jungen Fichte (oberes Bild). Er bildet einen dichten Pilzmantel um die äussersten Feinwurzeln (unten). Abb. 2. Mykorrhizapilz und Baum leben in einer symbiotischen Partnerschaft. Stickstof f Phosphor Zucker 3. Auflage September

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Merkblattfür die Praxis

35

2011

ISSN 1422-2876

Eidg. Forschungsanstalt WSLCH-8903 Birmensdorf

© WSL Birmensdorf, 2011

WSL, Zürcherstrasse 111CH-8903 BirmensdorfE-Mail: [email protected]://www.wsl.ch/publikationen

MykorrhizaEine faszinierende Lebensgemeinschaft im WaldSimon Egli und Ivano Brunner

Einleitung

Pilze im Wald kennt jeder, aber weshalbPilze vorwiegend im Wald wachsen undwelche Funktionen sie dort erfüllen, istden wenigsten bekannt.Streu- und holzabbauende Pilze hel-

fen mit, Blätter, Nadeln und Holz abzu-bauen und deren Inhaltsstoffe wiederin den Nährstoffkreislauf zurückzufüh-ren. Ebenso wichtig für das ÖkosystemWald sind diejenigen Pilze, die mitWaldbäumen in einer engen Lebens -gemeinschaft leben, die sogenanntenMykorrhizapilze. Diese Symbiose dientbeiden Partnern – dem Baum wie demPilz (Abb. 2).

Abb. 1. Der Dunkelscheibige Fälbling (Hebeloma mesophaeum) besiedelt vor allem Feinwurzelnvon Baumsämlingen, hier einer jungen Fichte (oberes Bild). Er bildet einen dichten Pilzmantel umdie äussersten Feinwurzeln (unten).

Abb. 2. Mykorrhizapilz und Baum leben in einersymbiotischen Partnerschaft.

Stickstof fPhosphor

Zucker

3. Auflage

September

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2 Merkbl. Prax. 35 (3. Aufl., 2011)

Was ist eine Mykorrhiza?

Der Begriff «Mykorrhiza» (aus demGriechischen mukês für Pilz und rhizafür Wurzel) bedeutet nichts anderes als«Pilz-Wurzel», oder etwas freier über-setzt «verpilzte Wurzel». Eine Mykorrhi-za ist eine Wurzel, die von einem My-korrhizapilz besiedelt ist und unter demEinfluss dieses Pilzes morphologischverändert wird: der Pilz hüllt die äusser-sten, feinsten Wurzeln mit einem dich-ten Fadengeflecht (sog. Mycel) ein undbildet einen Pilzmantel (Abb. 1). Je nachArt des Mykorrhiza pilzes sehen die My-korrhizen ganz unterschiedlich aus(Abb. 4). Etwa ein Drittel der in unseren Wäl-

dern wachsenden Grosspilze sind My-korrhizapilze. Unter diesen rund 2000Arten befindet sich eine ganze Reihevon wertvollen Speisepilzen, z.B. Trüf-fel, Steinpilz, Maronenröhrling, Frau-entäubling, Edelreizker, Eierschwamm,aber auch viele Giftpilze, z.B. Fliegen-pilz, Knollenblätterpilz, Satansröhrling,ziegelroter Risspilz. Viele Mykorrhiza -pilze sind wirtspezifisch, das heisst, siesind an ganz bestimmte Baumarten gebunden und werden auch nur dortgefunden (z.B. Lärchenröhrling, Fichten-

Abb. 3. Mykorrhizierte Wurzeln (unteres Bild:Fichtenwurzel mit Fälbling mykorrhiziert) habenim Gegensatz zu nicht-mykorrhizierten Wurzeln(oberes Bild: steril aufgewachsene Fichtenwurzel)anstelle von Wurzelhaaren einen Pilzmantel unddavon ausgehend Pilzfäden, welche in den Bodenhinausstrahlen.

Allgemeines zu Pilzen

Unter Pilzen versteht der Volksmund das, was man beim Pilz-sammeln pflückt und in den Korb legt. Streng genommen istdas nicht korrekt, da dies nur der Fruchtkörper des Pilzes ist.Der wichtigere Teil des Pilzes, das sogenannte Pilzmycel –ein watteartiges, fädiges Geflecht, das den Boden durch-wächst – lebt für unsere Augen verborgen im Boden. Ausdiesem Pilzmycel wachsen Fruchtkörper aus – aber nur wenndie Bedingungen dazu günstig sind.

Pilzmycelien können sehr gross und alt werden. Mit mole-kularen Methoden wurde die Ausdehnung einer einzelnenHallimasch-Kolonie (Armillaria bulbosa) auf 5 ha bestimmt,das Gewicht wurde auf 10 Tonnen und das Alter auf 1500Jahre geschätzt. Pilze gehören somit zu den grössten undältesten Lebewesen.

Bis heute sind rund 70 000 Pilzarten beschrieben: weltweitschätzt man die Artenzahl jedoch auf über 1 Million, deut-lich mehr als bei Blütenpflanzen. Pilze kommen in den ver-schiedensten Formen vor, von Einzellern bis zu vielzelligen

reizker). Andere findet man aus-schliesslich in Laubwäldern oder in Na-delwäldern. Aus dem Fichtenwaldkennt man über 150 verschiedene My-korrhizapilzarten, aus Eichenwäldernüber 100 und aus Erlenwäldern rund50. Im Wurzelwerk eines einzigen Bau-mes leben in der Regel mehrere ver-schiedene Mykorrhizapilze nebenein-ander. Es gibt Mykorrhizapilze, die spe-ziell mit Sämlingen und jungen Bäu-men im Dickungsalter Mykorrhizen bil-den, z.B. Fälblinge (Hebeloma sp.) oderLacktrichterlinge (Laccaria sp.); andereArten findet man dagegen nur in Be-ständen im Baumholzalter, wie Röhr -linge (Boletus sp.) und Täublinge (Rus-sula sp.).Die Wurzeln der Waldbäume in un-

seren Breitengraden sind durchwegsmit Mykorrhizen besetzt. Hierbei han-delt es sich in den meisten Fällen umdie sogenannten «ektotrophen Mykor - rhi zen» oder «Ektomykorrhizen». Die-ser Mykorrhizatyp wird daran erkannt,dass der Pilz die Feinwurzel mit einemdichten Pilzmantel umhüllt und der Pilzzwischen den Rindenzellen ein durch-gehendes Pilzgewebe bildet (Abb. 7).

und kompliziert aufgebauten Gebilden. Von den sogenann-ten Gross pilzen (Makromyceten) – Pilze, die von Auge gutsichtbare Fruchtkörper bilden – zählt man in der Schweizrund 6000 Arten.

Pilze bilden ein eigenes Reich, da sie weder den Pflanzennoch den Tieren zugeordnet werden können. In Bezug aufihre Ernährung gleichen sie eher den Tieren als den Pflan-zen: Sie sind wie die Tiere oder wie wir Menschen Kohlen-stoff-heterotroph, das heisst sie sind auf eine externe or-ganische Kohlenstoffquelle angewiesen, um sich ernährenzu können, ganz im Gegensatz zu den grünen Pflanzen, diemittels Photosynthese diese Stoffe selber herstellen können.

Je nachdem, woher Pilze ihre Nahrung beziehen, kann mansie in verschiedene Gruppen einteilen: symbiotische Pilze(leben in einer Lebensgemeinschaft mit Pflanzen, z.B. My-korrhizapilze, Flechtenpilze), saprobe Pilze (bauen organi-sches Material ab) und parasitische Pilze (leben auf Kostenvon lebenden Organismen).

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Funktion der Mykorrhiza

a) Austausch von Nährstoffen

Die Mykorrhiza ist ein Organ, in wel-chem – wie bei einer Handelsbörse –Stoffe zwischen Baum und Mykorrhiza-pilz ausgetauscht werden. Währendder Baum das Photosyntheseprodukt Zucker an den Mykorrhizapilz abgibt,erhält er von diesem im Gegenzug ver-schiedene Nährstoffe wie Stickstoff (N)und Phosphor (P), welche der Pilz mitden feinen Pilzfäden aus den kleinstenBodenporen aufgenommen hat. DieDurchdringung des Bodens durch diePilzfäden, welche von der Mykorrhizaaus in den Boden ausstrahlen, ist um einVielfaches intensiver als durch die Wur-zelhaare (Abb. 6). Deshalb weisenPflanzen mit Mykorrhizen oft erhöhteKonzentrationen an Stickstoff undPhosphor im Gewebe auf (Abb. 5). Fürden Austausch der Stoffe zwischen Pilzund Baum bedarf es einer speziellenAustauschzone, des sogenannten Har -tig‘schen Netzes (nach dem deutschenForstbotaniker T. Hartig benannt). Die-ses Netz besteht aus einem dichten Pilz-gewebe, welches sich zwischen denRindenzellen der Feinwurzeln installiertund so einen engen Kontakt zwischenden beiden Partnern gewährleistet.Werden Mykorrhizen quergeschnitten,so sieht dieses Pilzgewebe unter demMikroskop netzartig aus, weshalb esHartig‘sches Netz genannt wird. Pilz-mantel und Hartig‘sches Netz haben dieEigenschaft, Phosphor zu speichern,und zwar als langkettige Polyphospha-te, sogenannte «Polyphosphat-Granu-la», welche in fester Form in den Pilz-zellen lagern.Mykorrhizen entstehen innerhalb von

Tagen bis Wochen. Mit der Mykorrhiza-bildung stoppt das Längenwachstumder Feinwurzeln und die Ausbildungvon Wurzel haaren wird unterdrückt(Abb. 3). Die Pilzfäden, die von den My-korrhizen aus in den Boden ausstrahlen,übernehmen deren Funktion der Nähr-stoff- und Wasseraufnahme. Die Le-bensdauer der Mykorrhizen beträgt inder Regel ein bis zwei Vegetationspe-rioden, wobei die Wurzeln im Frühjahraus dem sie umhüllenden Pilzmantelherauswachsen können und vom glei-chen oder von einem neuen Mykorrhi-zapilz besiedelt werden.

Abb. 4. Fruchtkörper und dazugehörige Mykorrhizen (von oben nach unten) des Zitronentäublings (Rus-sula ochroleuca); des Anisklumpfusses (Cortinarius odorifer), eines Vertreters der Schleierlinge, der arten-reichsten Gattung unter den Mykorrhizapilzen; des violetten Lacktrichterlings (Laccaria amethystina), dervor allem die Wurzeln von jungen Baumsämlingen besiedelt; des unterirdische Fruchtkörper bildenden Pil-zes Arcangeliella borziana; der Perigordtrüffel (Tuber melanosporum).

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Abb. 5. Pflanzen mit Mykorrhizen (dunkelgrün), wie hier im vorliegenden Fall Fichtenkeimlinge mit demLack t richterling mykorrhiziert, weisen erhöhte Stickstoff- und Phosphor-Konzentrationen im Pflanzen-gewebe auf; dies im Gegensatz zu Pflanzen ohne Mykorrhizen (hellgrün).

Abb. 7. Der Aufbau einer Mykorrhiza ist am Bei-spiel dieses mykorrhizierten Fichtenkeimlings dar-gestellt (oberes Bild). Im Querschnitt ist ein dich-ter Pilzmantel und das Hartig’sche Netz im Innernder Mykorrhiza zu erkennen (mittleres Bild). DerAustausch von Kohlenstoff (C) und Nährstoffen(N, Stickstoff; P, Phosphor) geschieht hauptsäch-lich zwischen den Rindenzellen (blau; unteresBild) und Hartig’schem Netz (rot).

Abb. 6. Pilzfäden eines Mykorrhizapilzes durchdringen den Boden und vergrössern damit die aktiveOberfläche zur Aufnahme von Wasser und Nährstoffen, welche in den sogenannten Rhizomorphen (Fa-denbündeln) direkt zu den Mykorrhizen transportiert werden.

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b) Schutz vor Schadstoffen

Mykorrhizen können die Bäume auchvor toxischen Effekten von Schadstof-fen schützen. Seit der Industrialisierungim 19. Jahrhundert gehören zum Bei-spiel Schwermetalle zu den emissions-bedingten Luftverunreinigungen, dienach atmosphärischem Transport auchim Wald deponiert werden. Im Unter-schied zu den für die Pflanzen lebens-notwendigen Schwermetallen, z.B. Ei-sen, Zink, oder Kupfer, sind andereSchwermetalle wie Blei, Cadmium, Nik-kel, Quecksilber oder Chrom toxisch.Da Schwermetalle nicht abgebaut wer-den können, werden sie in der Biosphä-re angereichert und stellen zunehmendein Gefährdungspotential für lebendeOrganismen dar. Mykorrhizapilze erwei-sen sich zum Teil als erstaunlich robustgegenüber erhöhten Schwermetallge-halten im Boden; gewisse Schwerme-talle, wie auch Aluminium, werden imPilzmycel gebunden, an Polyphosphat-Granula im Zellinnern, an Zellwändeund -kerne, und an spezielle Proteine(Abb. 8). Bei mykorrhizierten Pflanzenwerden die Schwermetalle somit bereitsim Pilzmantel abgefangen und sie ge-langen dadurch nur in einem reduzier-ten Mass in die Pflanzenwurzel. DieseEigenschaft kommt einer eigentlichenFilterfunktion der Mykorrhiza gleich.Der Nachteil ist, dass diese Schwerme-talle in den Pilzfruchtkörpern angerei-chert werden, und dies kann zu ge-sundheitsgefährdenden Konzentratio-nen in Speisepilzen führen.Ähnlich wie bei den Schwermetallen

verhält es sich mit den radioaktivenSubstanzen. Diese werden ebenfallsnach atmosphärischem Transport inWäldern deponiert, im Falle von radio-aktivem Cäsium erstmals nach Atom-bombentests in den fünfziger und sech-ziger Jahren. Die Hauptquelle in Europastellte jedoch der Reaktorunfall inTschernobyl 1986 dar. Zusammen mitStrontium gehört Cäsium zu den be-deutensten radioaktiven Substanzen,vor allem auch wegen der langen Halb-wertszeit von ca. 30 Jahren. Die Gehal-te an radioak tivem Cäsium in unserenWaldböden variieren stark, die höch-sten Werte werden im Tessin gemessen.Im Boden ist das Cäsium biologisch inPilzen und Bakterien gebunden, wes-halb es einerseits von den Pflanzen nurwenig aufgenommen und andererseitsaus dem Ökosystem kaum ausgewa-

schen wird. Cäsium wird in den Pilzhy-phen ähnlich wie die Schwermetalle ak-kumuliert, und ebenso können hoheCäsiumkonzentrationen vor allem inFruchtkörpern gewisser Mykorrhizapil-ze festgestellt werden.

c) Weitere Funktionen derMykorrhiza

Nebst einer verbesserten Nährstoff-und Wasseraufnahme und einem er-höhten Schutz vor Schadstoffen weisenmykorrhizierte Pflanzen auch eine er-höhte Toleranz gegenüber verschiede-

nen abiotischen und biotischen Stress-faktoren auf. So verhilft die Bildung vonpilzspezifischen Zuckerarten wie Man-nitol oder Arabitol zu einer erhöhtenToleranz der mykorrhizierten Wurzelngegenüber Frost. Antibiotikabildungund Induktion der Gerbstoffbildung inden Wurzeln sowie die Förderung einergünstigen Mikrobenfauna im Pilzmantelbewirken zudem eine erhöhte Abwehr-kraft gegenüber krankheitserregendenBodenorganismen. Im weiteren bewirktdie Bildung von Phytohormonen (z.B.Auxin, Gibberellin, Zytokinin, Aethylen)durch die Mykorrhizapilze eine Förde-rung des Pflanzenwachstums.

Abb. 8. In dieser längsgeschnittenen Fichtenmykorrhiza ist erkennbar, dass das giftige Aluminium(blaue Farbe) vorwiegend im Mykorrhizapilz festgelegt ist (oberes Bild). Insbesonders wird das Alumi-nium an die Pilzzellwände im Mantel und im Hartig’schen Netz gebunden (unteres Bild).

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Gefährdung der Mykorr hiza -pilze durch Stickstoff

Seit Jahrzehnten steigen die durch Ak-tivitäten des Menschen verursachtenEmissionen von Luftschadstoffen unddamit auch die Einträge von Säurenund Stickstoff in die Wälder. Pro Hektarund Jahr werden in der Schweiz etwa20 bis 80 kg Stickstoff atmosphärischeingetragen, aus Landwirtschaft, Indu-strie, Heizungen und Verkehr. Stick -stoff ist für die Ernährung der Pflanzennotwendig; allerdings können sich er-höhte Stickstoffeinträge indirekt nega-tiv auf die Bäume auswirken, indem siedie Mykorrhizapilze beeinträchtigen.So kann experimentell nachgewiesenwerden, dass das Mycelwachstum imBoden reduziert wird (Abb. 9).Aus Feldbeobachtungen und Dün-

gungsexperimenten weiss man heute,dass erhöhter Stickstoffeintrag die Viel-falt der Ektomykorrhizapilze – gemes-sen anhand der Fruchtkörper – dra-stisch reduziert, während jene der saproben Pilzarten unverändert bleibt.

Abb. 9. Erhöhte Stickstoffeinträge in den Boden bewirken im Vergleich zur Kontrolle (linkes Bild) einenRückgang der Pilzfäden von Mykorrhizapilzen im Boden; dadurch wird das Substrat schlechter zu-sammengehalten (rechtes Bild).

Abb. 10. Mykorrhizen lassen sich im Labor auchkünstlich erzeugen, indem unter sterilen Be -dingungen ein Mykorrhizapilz an die Wurzeln eines Sämlings geimpft wird. Manchmal werdendabei sogar Fruchtkörper gebildet wie bei diesem Fälbling.

Eine Verschiebung in der Zusammen-setzung der Mykorrhizapilze kann auchmit Mykorrhizauntersuchungen im Bo-den nachgewiesen werden. GewisseMykorrhizapilze bilden unter erhöhtemStick stoffeintrag keine Mykorrhizenmehr aus. Aufgrund dieser Resultate istzu befürchten, dass gewisse Pilzartenverschwinden werden. Auswirkungensolcher Ver änderungen auf ihre Sym-biosepartner, die Waldbäume, könnenheute noch kaum abgeschätzt wer den. Hohe Stickstoffkonzentrationen wir-

ken sich auch negativ auf die struktu-relle Ausbildung der Mykorrhizen aus.Durch diese strukturellen Veränderun-gen wird der Austausch von Nährstof-fen und Kohlenhydraten zwischen Pilzund Pflanze reduziert, was sich negativauf die Baumgesundheit und dieFrucht körperbildung der Mykorrhizapil-ze auswirken kann.

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Ohne Wald keine Pilze – OhnePilze kein Wald?

Ohne Wald gäbe es mit Sicherheit kei-ne Mykorrhizapilze und wir würden vie-le der bekannten Speisepilze wie Stein-pilze, Eierschwämme, Täublinge, Milch-linge und Trüffeln vergeblich suchen. Wie verhält es sich nun umgekehrt?

Die Frage, ob ein Wald ohne Mykorrhi-zapilze leben könnte, ist nicht ohneweiteres zu beantworten; wir habenwenig praktische Erfahrung, da es inunseren Wäldern zum Glück noch im-mer und überall genügend Mykorrhiza-pilze gibt. Sicher ist jedoch, dass aufnährstoffarmen Böden Waldbäume oh-ne Mykorrhizapilze kaum fähig wären,mineralische Nährstoffe in genügenderMenge aufzunehmen. Aus experimen-tellen Untersuchungen weiss manauch, dass Waldbäume ohne Mykorrhi-zapilze chancenlos sind in der Abwehrvon pathogenen Erregern im Wurzelbe-reich und insgesamt anfälliger werdengegenüber Stress, zum Beispiel gegen-über Trockenheit und Frost und schäd-lichen Umwelteinflüssen. Mykorrhiza-pilze sind folglich für die Waldbäume le-bensnotwendig und es ist anzuneh-men, dass unsere Wälder ohne Mykor-rhizapilze ganz anders aussehen wür-den.

Mykorrhizapilze und wald-bauliche Massnahmen

Mykorrhizapilze und Waldbäume ste-hen in einer gegenseitigen Abhängig-keit. Geht es einem der beiden Partnerschlecht, leidet auch der andere darun-ter. So wird bei einem Windwurf oder

Abb.11. Positiver Einfluss einer Durchforstung auf die Zusammensetzung der Pilzflora (Mykorrhiza pilzeund übrige Pilzarten). Die starke Durchforstung (35% Stammzahlreduktion) wurde im Winter 1987/88in einem alten, dicht bestockten Mischwald im Pilzreservat La Chanéaz (FR) durchgeführt.

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Mykorrhizapilze

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einem Räumungsschlag die Bildung vonFruchtkörpern von Mykorrhizapilzensofort eingestellt, da die dazu nötigenKohlehydrate des Baumes nicht mehrzur Verfügung stehen. Findet der Pilznicht sofort einen neuen Baumpartner,kann er dank der Kohlehydratreservenin den Wurzelstöcken zwar noch einigeJahre weiterleben, für die Bildung vonFruchtkörpern reicht dieser «Notvor-rat» jedoch nicht mehr aus.Wie eine Untersuchung im Pilzreser-

vat La Chanéaz gezeigt hat, kann mitwaldbaulichen Massnahmen die Pilzflo-ra positiv beeinflusst werden (Abb. 11).Ein alter und dicht bestockter Misch-wald, der arm an Pilzen war, wurdestark durchforstet. In der Folge explo-dierte die Pilzflora förmlich. Viele Pilz-

fruchtkörper wurden neu auf der Flä-che gefunden, vor allem Mykorrhizapil-ze. Eine mögliche Erklärung dafür ist,dass die Kronen der verbleibendenBäume nun mehr Platz zur Verfügunghatten und mit einem Wachstums-schub reagierten. Dies konnte mit Jahr-ringmessungen gezeigt werden. Mög -licherweise sind die während Jahrendarbenden Pilzmycelien im Boden da-durch wieder mit neuer Energie in Formvon Kohlenhydraten versorgt und zurFruchtkörperbildung angeregt worden.Wertvolle Speisepilze, wie der Stein-pilz, der Maronenröhrling oder derFrauentäubling, die früher auf dieserFläche nicht gefunden wurden, konn-ten nach der Durchforstung gesammeltwerden.

• Die Durchforstung dichter dunkler Altbestände kann dieBiodiversität und die Fruchtkörperproduktion der Mykor-rhizapilze fördern.

• Je mehr verschiedene Baumarten in einem Wald wachsen,desto grösser ist die Artenvielfalt der Mykorrhizapilze; je-de Baumart hat ihr eigenes Set an Pilzpartnern.

• Was tun nach Sturmschäden? Bei der Räumung von Wind-wurflächen sollte zu den noch verbleibenden Jungpflan-

zen Sorge getragen werde. Sie sind Refugium für Mykor-rhizapilze, die ihre Baumpartner verloren haben und hel-fen mit, diese Mykorrhizapilze in die neue Baumgenera-tion hinüberzuretten.

• Im Interesse der Pilze sollte auf das Abbrennen vonSchlag abraum bei der Holzernte im Wald verzichtet wer-den. Das Liegenlassen oder Stehenlassen einzelner Tot-holzstämme ist wünschenswert, um die Entwicklung vonseltenen Pilzarten zu fördern.

Konkrete forstliche Massnahmen zur Förderung der Mykorrhizapilze

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Schlussbemerkungen

Wenn man sich vergegenwärtigt, wel-che wichtigen Funktionen Mykorrhiza-pilze für den Baum erfüllen – im Zu-sammenhang mit der Nährstoffaufnah-me, der Erhöhung der Stressresistenzund der mechanischen Vernetzung desBodens – ist der festgestellte Rück gangder Mykorrhizapilze eine ernst zu neh-mende Erscheinung. Die Erhaltung derArtenvielfalt der Pilzflora ist also nichtnur unter naturschützerischen Aspek-ten, sondern auch aus forstlicher Sichtein wichtiges Anliegen. Ein angemesse-ner Schutz der Pilzflora ist deshalb sicher gerechtfertigt.

Weiterführende Literatur:BRUNNER, I. 2001. Ectomycorrhizas: their role in fo-rest ecosystems under the impact of acidifyingpollutants. Perspectives in Plant Ecology, Evolu-tion and Systematics 10, 13–27.

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Adresse der Autoren:Dr. Simon EgliDr. Ivano BrunnerEidg. Forschungs anstalt WSLZürcherstrasse 111 CH-8903 [email protected]@wsl.ch

Abb. 12. Der Perlpilz (Amanita rubescens) ist häu-fig in Fichtenwäldern zu finden, wie hier auf die-ser rumänischen Briefmarke dargestellt (Samm-lung K. Häne).

Merkblatt für die Praxis ISSN 1422-2876

Konzept

Forschungsergebnisse werden zu Wissens-Konzentraten und Handlungsan leitungen fürPraktikerinnen und Praktiker aufbereitet. Die Reihe richtet sich an Forst- und Naturschutz-kreise, Behörden, Schulen, interessierte Laien usw. Pro Jahr erscheinen 3 bis 4 Ausgaben.

Französische Ausgaben erscheinen in der Schriftenreihe Notice pour le praticien ISSN 1012-6554

Italienische Ausgaben erscheinen in loser Folge in der Zeitschrift Sherwood, Foreste ed Alberi Oggi.

Die neuesten Ausgaben (siehe www.wsl.ch/merkblatt)

Nr. 46: WOHLGEMUTH, T.; BRIGGER, A.; GEROLD, P.; LARANJEIRO, L.; MORETTI, M.; MOSER, B.; REBE-TEZ, M.; SCHMATZ, D.; SCHNEITER, G.; SCIACCA, S.; SIERRO, A.; WEIBEL, P.; ZUMBRUNNEN, T.;CONEDERA, M., 2010: Leben mit Waldbrand. Merkbl. Prax. 46: 16 S.

Nr. 45: LÜSCHER, P.; FRUTIG, F.; SCIACCA, S.; SPJEVAK, S.; THEES, O., 2010: Physikalischer Boden-schutz im Wald. Bodenschutz beim Einsatz von Forstmaschinen. 2. Aufl. Merkbl.Prax. 45: 12 S.

Nr. 44: FORSTER, B.; MEIER, F., 2010: Sturm, Witterung und Borkenkäfer. Risikomanagementim Forstschutz. 2. Aufl. Merkbl. Prax. 44: 8 S.

Nr. 43: CSENCSICS, D.; GALEUCHET, D.; KEEL, A.; LAMBELET, C.; MÜLLER, N.; WERNER, P.; HOLDEREG-GER, R., 2008: Der Kleine Rohrkolben. Bedrohter Bewohner eines seltenen Lebens-raumes. Merkbl. Prax. 43: 8 S.

Nr. 42: DI GIULIO, M.; TOBIAS, S.; HOLDEREGGER, R., 2007: Landschaftszerschneidung in Bal-lungsräumen. Was wissen wir über die Wirkung auf Natur und Mensch? Merkbl.Prax. 42: 8 S.

Managing Editor

Martin MoritziEidg. Forschungs anstalt WSLZürcherstrasse 111 CH-8903 BirmensdorfE-mail: [email protected]/publikationen/

Layout:Jacqueline Annen, WSL

Druck: Sihldruck AG, Zürich