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Akteure in Wirtsc Politik und 70 UFZ-MAGAZIN Governance und

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Akteure in WirtscPolitik und

70 UFZ-MAGAZIN

Governance und

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Ökonomen, Juristen, Soziologen und Politikwissenschaftler am UFZ analysieren,wie verschiedene Akteure innerhalb bestimmter gesellschaftlicher Rahmenbedin-gungen zusammen wirken. Dazu müssen sie zunächst identifiziert und verstandenwerden. Die Wissenschaftler untersuchen die Aushandlungsprozesse zwischen denAkteuren – auch Governance genannt –, die über die Nutzung und Gestaltung von Landschaften entscheiden. Sie entwickeln Politikinstrumente wie Auflagen,Abgaben oder Zertifikate und versuchen zu klären, wer worüber informiert oderberaten werden muss, damit Wissen und Erkenntnisse in Entscheidungsprozessenauch angewendet werden.

Sprecherin des Forschungsthemas „Governance, Institutionen und Nachhaltigkeitsstrategie“:Dr. Heidi Wittmer, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Departments Ökonomie

haft, Gesellschaft kennen

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Institutionen –

Wer entscheidet eigentlich, wie unsere Umwelt genutzt wird? S. 72

Internationale Wasserkonflikte S. 76

Akteure und Konflikte im Stadtumbau S. 78

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wie unsere UmweltWer entscheidet eigentlich,

genutzt wird?

Heidi Wittmer und Doris Böhme

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Eine Vielzahl von gesellschaftlichenAkteuren aus Staat, Privatwirt-schaft und ziviler Gesellschaft –

zum Beispiel Gemeinden, Regional- undVerkehrsplaner, Wasserversorgungs-unternehmen, Privathaushalte, Land-und Forstwirte, Bürgerinitiativen oderUmweltverbände – bestimmt, wieUmweltressourcen genutzt und Land-schaften gestaltet werden. Wer glaubt,dass in erster Linie staatliche Stellenüber Politik entscheiden und die übrigenAkteure den politischen Vorgaben zu fol-gen haben, liegt falsch. Seit etwa zehnJahren sind die Grenzen eines solchenPolitikverständnisses deutlich gewor-den. Heute werden immer mehr Ent-scheidungen in kollektiven Aushand-lungsprozessen zwischen den genanntenAkteuren getroffen. Diese Prozesse –unter dem Stichwort Governance disku-tiert – verlangen von Wissenschaftlern

und Beteiligten eine neue Herange-hensweise. Wenn sie verstehen wollen,warum die Umwelt von wem wie ge-nutzt wird, müssen sie die Entschei-dungsprozesse durchleuchten, die rele-vanten Akteure identifizieren und wis-sen, wie diese innerhalb gesellschaft-licher Rahmenbedingungen zusammenwirken. Mit dieser Basis könnenPolitikmaßnahmen und -empfehlungenfür eine nachhaltigere Nutzung derUmwelt entwickelt werden.

Das A und O der Umweltforschung:Vernetzen

Trifft ein einzelner Mensch Ent-scheidungen darüber, wie er die Umweltnutzt, orientiert er sich an Regeln oderInstitutionen, also Gesetzen und Verord-nungen, aber auch an Politikinstrumen-ten, wie der Eigenheimzulage oder derKilometerpauschale. Regeln und Politik-

instrumente sowie individuelle und kol-lektive Entscheidungen sind Gegen-stände der Sozialwissenschaften – dazugehören im UFZ die Rechts-, Politik-und Planungswissenschaften, die Sozio-logie und die Ökonomie. Im Forschungs-thema „Governance und Institutionen“erarbeiten die Sozialwissenschaftler Vorschläge, wie einzelne Regeln undInstrumente verändert werden solltenoder wo es Abstimmungsbedarf zwi-schen verschiedenen Bereichen gibt.

Sollen Instrumente und Regeln denUmweltproblemen besser gerecht wer-den, sind allerdings auch naturwissen-schaftliche Kenntnisse erforderlich: bei-spielsweise ökologisches Wissen zumArtenschutz, hydrologische Modelle fürdas Gewässermanagement oder Kennt-nisse über die Ausbreitung und Wir-kung von Schadstoffen, um Altlasten zu sanieren.

Haben Sie schon einmal versucht herauszufinden, wer in einemAmt oder einer Behörde für welche Entscheidung zuständig ist?Sie wurden von Pontius zu Pilatus geschickt? Es hat Sie vielZeit gekostet? Nun stellen Sie sich vor, Wissenschaftler habenneue Erkenntnisse darüber gewonnen, wie Landschaften nach-haltiger genutzt werden können. Also so, dass die biologischeVielfalt erhalten bleibt, Wasserressourcen geschützt werden, weni-ger Flächen versiegelt werden, sich Städte nachhaltig entwickelnkönnen – damit unsere Kinder und Enkelkinder zukünftig genausoviel von der Umwelt haben, wie wir heute. Wie kommt das Wissennun dorthin, wo es gebraucht wird, um Entscheidungen darüber zu treffen, wie unsere Umwelt genutzt wird? Wer muss eigentlichinformiert und beraten werden, damit die Erkenntnisse in denrelevanten gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen verwendetwerden können? Welche Informationen werden gebraucht?Und wer entscheidet? Keine triviale Sache.

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An dieser Stelle wird sehr deutlich,dass Sozialwissenschaften und Natur-wissenschaften aufeinander angewiesensind. Die Voraussetzungen für einenintensiven Austausch zwischen denunterschiedlichen Disziplinen sind amUFZ hervorragend – sie sind alle untereinem Dach versammelt.

Von A wie Ausgleich bis Z wieZielkonflikte

Im Rahmen der Biodiversitäts-forschung am UFZ untersuchen dieSozialwissenschaftler, welche Instru-mente und Koordinierungsmechanis-men im Naturschutz existieren und wiediese verbessert werden können. Wiekann beispielsweise ein Ausgleich für die Kommunen und Landnutzergeschaffen werden, die vor Ort die

Kosten von Naturschutzgebieten zu tra-gen haben, deren Nutzen aber weit überderen Grenzen hinaus wirksam ist?Darüber hinaus bauen die Wissen-schaftler gemeinsam eine „nationaleBioplattform“ auf, um erstens zu-sammenzutragen, was die Wissenschaftin Deutschland zu den Themen

Naturschutz und Biodiversität unter-sucht. Zweitens wollen sie herausfin-den, welche Art von Fragen Politik undNaturschutzverwaltung an die Wissen-schaft haben. Und drittens soll die inter-essierte Öffentlichkeit darüber infor-miert werden, warum es notwendig istund wie es möglich ist, die biologischeVielfalt zu schützen.

Flüsse oder ganze Flussgebiete zumanagen, ist nicht simpel. Nicht beikleineren Flussgebieten wie der WeißenEster; erst recht nicht bei solchen, dieLandesgrenzen überschreiten wie dieElbe oder der Jordan. Wie können dieseGewässer vernünftig genutzt werden,ohne sie über die zulässigen Grenzenhinweg zu belasten? Nicht selten stehensich verschiedene Nutzer mit sehrunterschiedlichen Interessen gegenü-

ber. Die Wissenschaftler nehmen typi-sche Konflikte – beispielsweise zwi-schen Ober- und Unterliegern an einemFluss – genau unter die Lupe, um sie zuverstehen und Lösungen vorzuschla-gen. Sie untersuchen außerdem, ob undwie sich Politikinstrumente wieWasserrechte oder Wasserpreise auf das

Verhalten der Menschen auswirken, mitder Ressource Wasser umzugehen.

Die Siedlungs- und Verkehrsfläche inDeutschland nimmt täglich um etwa 120 Hektar zu – das entspricht etwa derFläche von 120 Fußballfeldern. Ziel derBundesregierung ist es, den Flächen-verbrauch auf 30 Hektar pro Tag zu

begrenzen. Deshalb beschäftigen sichdie Wissenschaftler mit der Frage, wel-che neuen Instrumente am besten ge-eignet sind, dieses Ziel zu erreichen.Sind es handelbare Flächenausweisungs-rechte, Kooperationslösungen, Abgabenoder auch Änderungen des bestehendenPlanungsrechts? (Siehe Beitrag S. 16)

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Wir befinden uns im Zeitalterschrumpfender Städte – ein Phänomen,das nicht nur Ostdeutschland oderOsteuropa betrifft. Wie können sichStädte trotz anhaltender Bevölkerungs-abnahme nachhaltig entwickeln?Wissenschaftler untersuchen, welcheMöglichkeiten und Grenzen die unter-schiedlichen politischen Steuerungs-

konzepte bieten, die in Wachstums-zeiten entwickelt wurden, welcheAkteure wie in den Stadtumbau in-volviert sind und welche Konflikt-strukturen bestehen.

Sie analysieren außerdem anBeispielen der politischen Entschei-dungsunterstützung, wie so genanntepartizipative Entscheidungsprozesse

funktionieren können, damit Inte-ressensvertreter oder die betroffeneBevölkerung an öffentlichen Ent-scheidungen im Umweltbereich besserbeteiligt werden können.

Der rote FadenIn politischen Entscheidungspro-

zessen – insbesondere im Umwelt-bereich – spielen naturwissenschaftli-che Erkenntnisse eine immer größereRolle. Das macht deutlich, dass sichGovernanceforschung wie ein roterFaden durch die Umweltforschung ziehen muss – ganz gleich, ob es umBiodiversität, Flussgebietsmanage-ment, Flächenversiegelung oder Stadt-umbau geht. Andererseits bedeutet das wachsende Interesse der Politik,dass sich Forschung noch stärker amgesellschaftlichen Bedarf ausrichtenmuss.

Die Agrarwissenschaftlerin und Sozioöko-

nomin Dr. Heidi Wittmer ist wissenschaftliche

Mitarbeiterin im Department Ökonomie.

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InternationaleWasser-

konflikte

Ines Dombrowsky und Doris Böhme

Weltweit gibt es 263 internationaleFlussgebiete – wichtige Wasser-ressourcen, die mehr und mehr in

das Bewusstsein öffentlicher und wissen-schaftlicher Debatten treten. Zum einen,weil sie ausgebeutet werden. Zum ande-ren, weil sie Grenzen überschreiten unddamit Ursache für zwischenstaatlicheKonflikte werden können. Besonders kri-tisch ist die Situation in ariden Gebietenwie dem Nahen Osten. Aber auch in was-serreichen Regionen gibt es häufigKonflikte, wenn die Nutzung internationa-ler Gewässer geregelt werden soll.

Können Verträge und institutionelleRegelungen dabei helfen, dass an grenz-überschreitenden Wasserressourcen ko-operiert wird? Welche Interessen undAnreize haben die betroffenen Gewässer-anlieger und Akteure? Wie sind die bereitsabgeschlossenen internationalen Wasser-verträge gestaltet? Funktionieren sie?Diesen und vielen anderen Fragen gehenÖkonomen des UFZ nach. Sie analysierendie Situation nicht nur politisch-öko-nomisch, sondern berücksichtigen auchnaturwissenschaftliche Zusammenhängeund völkerrechtliche Rahmenbedingun-gen. Ziel ist es, die zuständigen Gremien

bei der Ausgestaltung solcher Verträge zuberaten.

Um typische Konfliktstrukturen an in-ternationalen Gewässern aufzudecken,haben die Wissenschaftler verschiedeneWassernutzungen und deren Auswirkun-gen unter die Lupe genommen. Wird bei-spielsweise Wasser für industrielle oderlandwirtschaftliche Zwecke aus dem Flussentnommen, Abwasser eingeleitet oderwerden Böden überdüngt, ist das eineBelastung für das Gewässersystem, alsoein negativer Effekt. Infrastrukturmaßnah-men wie die Abwasseraufbereitung oderWasserrückhaltung für den Hochwasser-schutz haben dagegen positive Effekte.Die entscheidende Frage ist: Für wen?

Ober sticht Unter?Der Unterlieger an einem Fluss dürfte

sich über Abwasserreinigung, wenigerDünger und Hochwasserschutz desOberliegers freuen, über Schadstoffe hin-gegen nicht. Aber welches Interesse sollteder Oberlieger daran haben, seineWasserentnahme oder die Einleitung vonSchadstoffen über das Notwendige hin-aus zu verringern? Hier hilft eine öko-nomische Betrachtung: Schränkt der

Oberlieger zum Beispiel seine Nutzung ingewissem Umfang ein, verursacht diedazu notwendige Maßnahme Kosten.Fallen die Kosten geringer aus als derNutzen, den der Unterlieger davon hat,entsteht Spielraum für Verhandlungen.Der Unterlieger könnte sich an derMaßnahme des Oberliegers finanziell be-teiligen. Im Falle der Kläranlage kannman darüber streiten, da der Oberliegerlaut Verursacherprinzip sein eigenesAbwasser reinigen sollte, um einen nega-tiven Effekt zu beseitigen oder zu verhin-dern. Im Hochwasserschutz ist eine Be-teiligung des Unterliegers denkbar, wenner damit die Planungen des Oberliegers inseinem Sinne beeinflussen kann. Schließ-lich würden beide davon profitieren.

Wasserrecht und VölkerrechtDie ökonomische Betrachtung zeigt,

dass es auch im Falle negativer Effektehäufig Kooperationspotenziale gibt, sofernsich die Parteien auf Wasserrechte einigen.Die Ökonomie kann jedoch nicht zeigen,wie eine solche Einigung über Wasser-rechte aussehen sollte. In diesem Zu-sammenhang verweist das Völkerrechtauf das Prinzip einer gerechten Wasser-

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aufteilung, Das Problem ist allerdings,dass es im internationalen System keineInstanz gibt, die die Wasserrechte vonStaaten definiert. Das bedeutet, dass sichAnrainerstaaten schon selbst darübereinigen müssen. Dabei gibt das Völker-recht Kriterien an die Hand; ob diese aberberücksichtigt werden, hängt von denjeweiligen Staaten ab.

Die bisherige Bestandsaufnahme derWissenschaftler hat ergeben: In knapp derHälfte der 263 internationalen Fluss-gebiete wurden bislang Verträge zurgrenzüberschreitenden Wassernutzung

abgeschlossen. In etwa einem Viertel gibtes zwischenstaatliche Kommissionen. Esbleibt an dieser Stelle offen, ob das Glasdamit halb voll oder halb leer ist.

Die Ökonomin und Ingenieurin Ines Dom-

browsky ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im

Department Ökonomie.

Das Wasserrecht ist ein Teilgebiet des öffentlichen Rechts, das die Bewirt-schaftung von Gewässern regelt. Bewirtschaftung heißt in diesem Zusammen-hang die Gestaltung von Gewässern, die Nutzung von Wasser als Trinkwasseroder zur Bewässerung in der Landwirtschaft, für industrielle Prozesse oderzur Kühlung von Brauchwasser. Das Wasserrecht hat die Aufgabe, sauberesWasser – Flüsse, Seen, Grundwasser – vor nachteiligen Eingriffen undBelastungen zu schützen und bereits verunreinigte Gewässer zu sanieren.Das Wasserrecht regelt auch den Schutz von Mensch und Eigentum vorWassergefahren (Hochwasserschutz).Das deutsche Wasserrecht wird in das Wasserhaushaltsrecht und dasWasserwegerecht unterteilt. Im Wasserhaushaltsrecht besitzt der Bund nurdie Kompetenz für die Rahmengesetzgebung, die Wassergesetze sindLändersache. Neue Impulse erhält das Wasserrecht durch die EuropäischeWasserrahmenrichtlinie (WRRL), die 2000 in Kraft trat und dieBewirtschaftung von Flussgebietseinheiten auf eine völlig neue Grundlagestellt. Vorrangiges Umweltziel der WRRL ist es, bis zum Jahre 2015 einen„guten Zustand" für alle Gewässer zu erreichen.Das Völkerrecht identifiziert Prinzipien einer zwischenstaatlichenWassernutzung. In diesem Zusammenhang wurde 1997 die UN-Konventionüber das Recht der nicht-schifffahrtlichen Nutzung internationaler Wasser-läufe verabschiedet.

WISSENSWERTES

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Wassernutzung inSantiago de Chile

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Stadtschrumpfung – noch vor weni-gen Jahren ein nahezu unbekannterBegriff – ist heute ein Topthema

der nachhaltigen Stadtentwicklung. DerLeerstand wächst, nicht nur in ost-deutschen Städten, sondern auch imRuhrgebiet, in Nordengland oderLothringen. Wie kann dem Wohnungs-leerstand begegnet werden? Welche Teileder Stadt werden auch in Zukunft nochgebraucht? Wo entstehen neue Grün-züge? Welche Veränderungen sind beiNahverkehr und Wasserversorgungnötig? Was passiert auf leer fallenden

Brachen? Und wer sitzt am Tisch, wenndiskutiert, geplant und entschiedenwird, wie sich Städte entwickeln werden?Wohnungsleerstand verursacht auf dereinen Seite zwar eine ganze Reihe vonProblemen – auf der anderen Seite bietetdie Schrumpfung aber auch die Chance,Wohnviertel neu zu strukturieren: kürze-

re Wege, mehr Grün und ein besseresWohnumfeld. Bund und Länder habendeshalb vor vier Jahren ein Programm

„Stadtumbau Ost“ ins Leben gerufen,mit dem schrumpfende Städte für weni-ger Bewohner fit gemacht werden sollen.

Ob dabei mehr Stadt durch wenigerHäuser entsteht oder einfach nur dieAbrissbirne regiert, hängt jedoch nichtnur von guten oder schlechten Ideen derStadtplaner ab. Denen fehlt es anErfahrungen – entsprechend groß istihre Unsicherheit. Stadtumbau tangierteine Vielzahl von Akteuren, die sich mitihren eigenen Interessen und Ziel-stellungen in den Prozess einmischen.Ob Nachhaltigkeitsziele nicht nur aufge-stellt, sondern auch umgesetzt werdenkönnen, hängt daher nicht allein vonklugen Konzepten ab, sondern vor allemdavon, wie die verschiedenen Interessenunter einen Hut gebracht werden.

Nahezu paradigmatisch können dieseGovernanceprobleme derzeit im „Stadt-umbau Ost“ studiert werden: Denn hierwerden in über 260 ostdeutschen

Kommunen Pläne für den neuen TypStadt entwickelt, und dabei findet eineVielzahl von Aushandlungsprozessenstatt, in denen Wohnungsunternehmen,Banken und Stadtverwaltungen denUmbau ganzer Wohnviertel verhandeln.

Abriss oder Sanierung?Um diese Aushandlungen besser zu

verstehen, haben Sozialwissenschaftlerdes UFZ im Rahmen des Projektes„Akteurskonstellationen und Konflikt-strukturen im Stadtumbau“ am Beispieldes Leipziger Stadtteils Grünau erstmalsdie politische Seite des Stadtumbausunter die Lupe genommen. Dafür beob-achteten die Wissenschaftler zwei Jahrelang den Stadtumbau in Grünau, führ-ten Interviews mit Verwaltungsan-gestellten, Bankern und Wohnungs-unternehmen, analysierten Dokumenteund nahmen an wichtigen Treffen zwi-schen Entscheidungsträgern teil. Sie

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und Konflikteim Stadtumbau

Matthias Bernt und Doris Böhme

Akteure

Noch 40.000 Einwohnerzählt Leipzig Grünau.

Einst lebten dort 90.000.In den letzten Jahren wur-

den bereits 3.500Wohnungen abgerissen.

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stießen auf erhebliche Steuerungs-probleme, die dazu führen, dass derStadtumbau bislang nicht besondersnachhaltig ausfällt. Warum ist das so?Über Nachhaltigkeit im Stadtumbauwird zwar viel geredet, aber in der Praxisfindet kaum eine Operationalisierungvon Nachhaltigkeitszielen statt. Um einmöglichst hohes Maß an Flexibilität fürdie nötigen Aushandlungsrunden zuerhalten, verzichten öffentliche und pri-vate Akteure fast vollständig darauf, dieerklärte Bereitschaft zu einem „nachhal-tigen Stadtumbau“ mit konkreten Ziel-stellungen zu verbinden.

Eine weitere Ursache sehen dieWissenschaftler darin, dass eine ganzeAnzahl wichtiger Akteure bislang nichtan den Planungen für den Stadtumbaubeteiligt ist. Infrastrukturbetreiber, pri-vate Vermieter und Bewohner fehlenmeist am Verhandlungstisch. Infolge des-sen gehen auch die Interessen dieser

Akteure kaum in die Aushandlungen ein.Die Planung ist lückenhaft undbeschränkt sich vor allem darauf, woh-nungswirtschaftliche Probleme zu be-wältigen. Auf diese Weise entstehen zwarneue Frei- und Grünflächen – sie sindaber kaum in eine Grünplanung einge-ordnet und gehorchen in ihrer Gestaltungvor allem dem Imperativ möglichstgeringer Pflegekosten.

Unter dem Label „Stadtumbau“ läuftzudem fast ausschließlich der Abriss leer stehender Wohnhäuser – Auf-wertungsmaßnahmen dagegen unter-bleiben. Hier schlagen vor allem dieFörderprogramme von Bund undLändern zum Stadtumbau negativ zuBuche, denn diese sind so konstruiert,dass Abriss profitabler ist als Umbauoder Sanierung. Ambitionierte Ideen eini-ger Grünauer Genossenschaften ver-schwanden aus Mangel an Geld schnellwieder in der Schublade.

Geld allein reicht nichtGefangen in einem engen Korsett

finanzieller „Sachzwänge“ bleibt so vom Anspruch auf Nachhaltigkeit in derPraxis nur wenig übrig. Soll derStadtumbau nicht nur die wirtschaft-lichen Probleme der Wohnungsunter-nehmen lösen, sondern tatsächlich auchzu einer „nachhaltigeren“ Stadt mitmehr Grün, mehr Lebensqualität, kürze-ren Wegen und weniger Schadstoffenführen, sind deutliche Veränderungennötig. Hierfür müssen Nachhaltigkeits-ziele konkretisiert, das Netzwerk der am Stadtumbau Beteiligten über dieWohnungsunternehmen und die Verwal-tung hinaus erweitert und die Förderungüberarbeitet werden. Dazu braucht esvor allem politischen Willen.

Der Politikwissenschaftler Dr. Matthias Bernt

ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Depart-

ment Stadt- und Umweltsoziologie.

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Unter dem Label „Stadtumbau“ läuft fast ausschließlich der Abriss leer stehender Wohnhäuser – Aufwertungsmaß-nahmen dagegen unterbleiben.