Beate Leßmann: Individuelle Lernwege im Schreiben und Rechtschreiben - Leseprobe: Schreiben im...

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20 Meine Eltern sind die Besten auf der Welt. Ich liebe euch. Ich war bei Papa in Hamburg. II. Unterricht im 1. Schuljahr: Grundlagen schaffen 1. Individuelles Schreiben – von Anfang an! Jedes Kind soll in seiner Persönlichkeit gewürdigt, gefordert und gefördert werden. Diese Maßgabe ist der Schlüssel für sinnvolles Lernen, mit dem sich auch die Türen im Haus des Schreiben- und des Rechtschreiblernens öffnen. Dies geschieht, wenn Kinder durch das freie Verfassen von eigenen Texten die Möglichkeit erhalten, ihre eigene Welt mit in die Schule zu bringen. Die Kinder haben von Anfang an die Möglichkeit, eigene Ideen, Entdeckungen und Erfahrungen positiver wie negativer Art in den Schulalltag einzubringen, auch wenn dies im schriftsprachlichen Bereich zunächst noch bruchstückhaft geschehen wird. Durch das Lob der Lehrerin, die sich über jeden Buchstaben und jede kleine Wortbotschaft freut, wird die Arbeit des Kindes genauso wie die Per- son des Kindes gewürdigt. Eine solche Erfahrung motiviert natürlich zum Schreiben – ein Grundanliegen des 1. Schuljahres. Doch die Kinder werden nicht nur ermutigt, weiterhin zu schreiben, sie werden auch ermutigt, weiterhin Persönliches zu äußern und sich mit Kopf und Herz einzubringen. Indem der Schulalltag sie immer wieder dazu herausfordert, werden sie langfristig gesehen in ihrer Persönlichkeit gestärkt. Die Schaffung von Selbstvertrauen und Persönlichkeitsstärkung wird hier als eines der wichtigsten Ziele der Arbeit in der Grundschule angesehen und bildet eine Vor- aussetzung, um dem herrschenden Leistungsdruck und anderen gesellschaftlichen Anforderungen standhalten zu können. Rechtschreiblernen in dem hier beschriebenen Kontext basiert auf veränderten Voraussetzungen: Die Wertschätzung der individuellen Persönlichkeit bildet die Grund- lage des Rechtschreiberwerbs. Sie bildet den Ausgangspunkt für den sich kontinuierlich aufbauen- den Grundwortschatz des einzelnen Kindes. Es werden die Wörter der Kinder aufgegriffen, mit denen sie ihre eigenen Eindrücke und Erfahrungen zum Ausdruck bringen. Die für die Kinder bedeu- tungsvollen Wörter bilden das Übungsmaterial für den Recht- schreiberwerb. Die Wertschätzung der individuellen Persönlichkeit ist auch Basis für das gezielte Training an einzelnen Übungsschwerpunkten – etwa die Arbeit an grundlegenden Fähigkeiten, die für das Erlernen der Recht- schreibung erforderlich sind. So geschieht die Auswahl der entspre- chenden Übungen nach der Durchsicht und Analyse eines verfassten Kindertextes und unter Berücksichtigung der individuellen Schreib- und Rechtschreibentwicklung (s.u.) des einzelnen Kindes. Für die Unterrichtspraxis im 1. Schuljahr heißt das: Die Kinder sollten von Anfang an regelmäßig genügend Zeit haben, eigene Wörter und erste Geschichten – kleine Sätze – zu verfassen.

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Beispielseiten zu folgenden Themen: Schreiben eigener Texte im Tagebuch von Anfang an Schreiben mit und ohne Vorgabe, Schreiben zu Literatur Nachdenken über eigene Texte (Autorenrunden) aus: Leßmann, Beate: Individuelle Lernwege im Schreiben und Rechtschreiben, Band I: Klasse 1 und 2, Dieck-Verlag (www.dieck-buch.de)

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Meine Eltern sind die Besten auf der Welt.Ich liebe euch.

Ich war bei Papa in Hamburg.

II. Unterricht im 1. Schuljahr: Grundlagen schaffen

1. Individuelles Schreiben – von Anfang an!Jedes Kind soll in seiner Persönlichkeit gewürdigt, gefordert undgefördert werden. Diese Maßgabe ist der Schlüssel für sinnvollesLernen, mit dem sich auch die Türen im Haus des Schreiben- unddes Rechtschreiblernens öffnen.

Dies geschieht, wenn Kinder durch das freie Verfassen von eigenenTexten die Möglichkeit erhalten, ihre eigene Welt mit in die Schule zubringen. Die Kinder haben von Anfang an die Möglichkeit, eigeneIdeen, Entdeckungen und Erfahrungen positiver wie negativer Art inden Schulalltag einzubringen, auch wenn dies im schriftsprachlichenBereich zunächst noch bruchstückhaft geschehen wird. Durch dasLob der Lehrerin, die sich über jeden Buchstaben und jede kleineWortbotschaft freut, wird die Arbeit des Kindes genauso wie die Per-son des Kindes gewürdigt. Eine solche Erfahrung motiviert natürlichzum Schreiben – ein Grundanliegen des 1. Schuljahres.Doch die Kinder werden nicht nur ermutigt, weiterhin zu schreiben,sie werden auch ermutigt, weiterhin Persönliches zu äußern undsich mit Kopf und Herz einzubringen. Indem der Schulalltag sieimmer wieder dazu herausfordert, werden sie langfristig gesehen inihrer Persönlichkeit gestärkt. Die Schaffung von Selbstvertrauenund Persönlichkeitsstärkung wird hier als eines der wichtigstenZiele der Arbeit in der Grundschule angesehen und bildet eine Vor-aussetzung, um dem herrschenden Leistungsdruck und anderengesellschaftlichen Anforderungen standhalten zu können.

Rechtschreiblernen in dem hier beschriebenen Kontext basiert aufveränderten Voraussetzungen:

Die Wertschätzung der individuellen Persönlichkeit bildet die Grund-lage des Rechtschreiberwerbs.Sie bildet den Ausgangspunkt für den sich kontinuierlich aufbauen-den Grundwortschatz des einzelnen Kindes. Es werden die Wörterder Kinder aufgegriffen, mit denen sie ihre eigenen Eindrücke undErfahrungen zum Ausdruck bringen. Die für die Kinder bedeu-tungsvollen Wörter bilden das Übungsmaterial für den Recht-schreiberwerb.

Die Wertschätzung der individuellen Persönlichkeit ist auch Basis fürdas gezielte Training an einzelnen Übungsschwerpunkten – etwa dieArbeit an grundlegenden Fähigkeiten, die für das Erlernen der Recht-schreibung erforderlich sind. So geschieht die Auswahl der entspre-chenden Übungen nach der Durchsicht und Analyse eines verfasstenKindertextes und unter Berücksichtigung der individuellen Schreib-und Rechtschreibentwicklung (s.u.) des einzelnen Kindes.

Für die Unterrichtspraxis im 1. Schuljahr heißt das:Die Kinder sollten von Anfang an regelmäßig genügend Zeit haben,eigene Wörter und erste Geschichten – kleine Sätze – zu verfassen.

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Sie werden dann bei ausreichendem Freiraum sich mit ihrer eigenenPersönlichkeit einbringen und die Wörter verschriftlichen, die ihnenwichtig sind.Mit diesen ersten Wortfetzen, „Wortskeletten“ (vgl. Scheerer-Neu-mann) oder „Wortruinen“ (vgl. Spitta) liefern sie selbst den Anfangihres eigenen Grundwortschatzes, der im Laufe der Grundschulzeit zueinem umfangreichen, persönlichen Wortschatz heranwachsen wird.Dass ein solcher Wortschatz als Übungsmaterial die Kinder wesent-lich besser zum regelmäßigen Üben motivieren kann als ein vorge-gebener, fremdbestimmter Wortschatz, ist naheliegend.Wie man dies im Einzelnen ermöglichen kann, soll im Folgendenbeschrieben werden.

1.1 Regelmäßiges Verfassen eigener Texte – mit Tagebuch undBuchstabentor

Wichtigste Grundlage meiner Planung schon im Vorfeld des1. Schuljahres war der Abschied von der Fibel. Eine Fibel konnte fürmeine o.g. Absichten kein sinnvoller Baustein sein.Anstelle vorgegebener Inhalte sollten die Wörter und Geschichtender Kinder meiner Klasse maßgeblich sein – zum Schreiben, aberauch zum Lesenlernen, soweit wie möglich. Und für das Schaffenvon entsprechenden Schreibsituationen war eine Fibel auch nichtnötig. Das Leben in der Schule und mit der Klasse bot neben demaußerschulischen Erleben genug Anlässe zum Schreiben.Auch eine Kombination aus Fibel und anderen Materialien, die mehrFreiraum ermöglichten, überzeugte mich nicht. Beide Möglichkei-ten zusammen würden soviel Zeit und Energie kosten, dass dabeiweder der eine noch der andere Weg zufriedenstellend beschrittenwerden würde.Also entschied ich mich, jedem Kind lediglich ein Schreibbuch mit li-nierten Seiten und eine geeignete Anlauttabelle zur Verfügung zu stel-len. Das noch leere Buch wurde bei uns von Anfang an „Tagebuch“genannt, da es zu jeder Zeit benutzt werden durfte – egal ob zuHause, in der Schule oder im Urlaub. Es war durch seinen festen Ein-band sehr stabil und hatte etwa 70 Seiten, die für die meisten Kinderüber das 1. Schuljahr hinaus reichten. Natürlich beeindruckte diesesdicke Buch die Erstklässler. DieVorstellung, dass sie selbst schonbald ihre Worte und Geschichtenhineinschreiben durften, motiviertesie sehr. Ebenso die Erwartung,dass sie über das Schreiben vonWörtern und Geschichten dasLesen lernen würden.

Die gewählte Anlauttabelle hieß von Beginn an „Buchstabentor“, da dieverschiedenen Phoneme und Grapheme in Form eines Tores angeordnetsind (Anlauttabelle nach Jürgen Reichen10).

Halligalli

Statt Fibel:

Tagebuch!!!

Mimi am .

Momo am .

10 Reichen, J., Hannah hat Kino im Kopf. Die Reichen-Methode LESEN DURCH SCHREIBEN und ihre Hin-tergründe für LehrerInnen, Studierende und Eltern, Hamburg 20064.Informationen zu Konzept und Material bei: Verlag Heinevetter (www.heinevetter-verlag.de).In dem hier beschriebenen Unterricht wurde mit der vorigen Ausführung der Anlauttabelle vonJürgen Reichen gearbeitet.

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1.3 Schreiben – mit und ohne Vorgabe

a) Schreiben – ohne thematische VorgabeWenn wir Kindern regelmäßig den Freiraum für das Schreiben ei-gener Texte geben, können wir uns von der Vorstellung befreien, wirmüssten ihnen Schreibanlässe anbieten. Die Kinder stellen sich –wie auf einen regelmäßig stattfinden Erzählkreis – auch auf das re-gelmäßig stattfindende Schreiben ein und wissen oft schon vorher,worüber sie etwas schreiben möchten. Je mehr Freiraum wir ihnengeben, desto individueller sind die Ausprägungen ihrer eigenenTexte. Dann entstehen „wahreTagebücher“.

b) Schreibanlässe – Anregungen und BeispieleSchreibanlässe ergänzen das „freie“ – thematisch nicht gebundene– Schreiben. Anlässe ergeben sich unmittelbar aus dem Klassen-oder Schulleben: Situationen auf dem Schulhof, Besuch in derKlasse, gemeinsames Essen, Kochen, Backen, Klassenfeste, Aus-flüge, Feiern, aber auch jahreszeitlich bedingte Aktionen, Beob-achtungen in der Natur...Viele Schreibanlässe ergeben sich aus den Themen des Unterrichts,so v.a. Fragen und Themen des Sachunterrichtes oder des Religi-onsunterrichtes. Integratives Arbeiten wird hier zur Selbstverständ-lichkeit. Es müssen grundsätzlich keine künstlichen Sprachverwen-dungssituationen geschaffen werden, obgleich manch eine bewusstgeplante Unterrichtsreihe zur Schaffung von Schreibimpulsen, etwamithilfe von Kunst, Musik, Stillephasen, Traumreisen... besondereHöhepunkte für den Einzelnen und die Klassengemeinschaft bildenkönnen29. Doch Höhepunkte sind Ausnahmen und eben nicht dieRegel. Das Leben in der Schule an sich bietet vielfältige Möglichkei-ten, Sprache zu entdecken und sinnvoll zu verwenden.Darüber hinaus kann der Einsatz von Bildern, Bilderbüchern, Foto-sammlungen, ein Briefkasten im Zimmer usw. zusätzlich zumSchreiben anregen (s. I., 1.3 Schreibwelten schaffen und Schreib-kultur fördern).Das Schreiben im Tagebuch ist unersetzlich. Es steht im Mittelpunktdes Schreiblernprozesses. Zusätzlich kann ein Computer dasSchreibangebot bereichern. Verschiedene Verlage bieten diverseProgramme speziell für Schreibanfänger an.

Schreiben mit dem Computer

lag Lichtenau 2002.29 Leßmann, B./Gaschk, A., Unterwegs im Zauberland der Sprache, der Farben und Formen, Heins-

Ich habe ein neues Zimmer.

Ich war im Internet aufwww.wasguckstdu.de

Ich war bei Philipp. Wir haben gespielt unddann sind Jugendliche ins Nachbarhausreingekommen und haben eine Party gefei-ert. Die Polizei ist gekommen.

Ich habe etwas herausgefunden, nämlichdass Eileen in Mirko aus der 1a verliebt ist.Ich war krank.

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Erstellung eines ICH-Plakates– den eigenen Namen schreiben oder

drucken– Namen von Familienmitgliedern schrei-

ben– Lieblingsspielzeug,

-essen u.a.– erste kleine Geschichten

GustavMan sieht ihn da.Man sieht ihn hier.Er verschwindet, wenn man guckt.Wenn man nicht guckt,taucht er auf.Aber wenn man hingucken (will),sieht man ihn doch,weil er läuft.

Beschriftung des Klassenraumes– Bezeichnungen für verschiedene Möbel

oder Gegenstände aus dem Klassenraumaufschreiben und an die entsprechendenStellen kleben

Sofa Tafel

Fenster

Briefe schreiben– z.B. Brief des Klassentieres beantworten– Briefe an Lehrerin und Mitschüler/innen

schreiben und beantworten

Beschriftung zu Tierfotos– Postkarten, Bilder, Fotos aus Zeit-

schriften... in einer Kiste gesammelt

Pony

Ein Dinosaurierfrisst Gras.

Feste, jahreskreisbedingte Themen– z.B. St. Martin, Nikolaus, Weihnachts-

wünsche, Ramadan/Zuckerfest

Islam: Koran, Zuckerfest

Weihnachten kommt das Christkind

Ereignisse des Klassenlebens– z.B. Ausflüge Schatzsuche“– Fotos von klassen- oder schulinternen Veran-

staltungen

Schatzsuche

Schulfest (Ich habe in den Elefantenpo ge-schossen)

Schreiben zu Sachthemen– z.B. Thema Zähne

– z.B. Thema Gesunde Ernährung

– z.B. Thema Sauberkeit/Putzen

Beschriftung von Lieblingsgegenstän-den aus einer Fühlkiste– Fell, Murmel...

Schreiben zu Versuchen – Forschen– z.B. Vermutungen in Mathe

Ich vermute, dass man mit 3mehr machen kann als mit 5.

3x täglich Zähne putzen.Nicht so viele Bonbons.

Fitmacher und Schlappmacher

vorher / nachher

Beispiele zu Schreibanlässen aus dem 1. Schuljahr:

30Brinkmann, Erika; Brügelmann, Hans, IDEEN-KISTE 1 (Schrift-Sprache), Ein Fundusfür LehrerInnen, der Unterricht öffnen hilft, vpm (verlag für pädagogische medien) Ham-burg 1993, erweiterte Fassung 20006.Dehn, Mechthild, Schlüsselszenen zum Schrifterwerb, Weinheim/Basel 1994.Spitta, Gudrun, Kinder schreiben eigene Texte: Klasse 1 und 2, Frankfurt am Main 1988.

Weitere Anregungen finden sich u.a. in folgenden Büchern/Materialien30:

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Beobachtungen

c) Schreiben – im Kontext von LiteraturLiteratur – Bilderbücher, Kinderbücher, auch in Form von Hörkasset-ten bzw. -CDs und Filmen können das eigene Schreiben beflügeln.Bilderbücher werden vielerorts vorgelesen, um einen Schreibimpulszu initiieren, wie das o.g. Beispiel von der kleinen Raupe Nimmer-satt auch nahelegen könnte.Achtung: Literatur sollte auf keinen Fall nur unter dem Gesichtspunktdes Schreibens Einzug in die Grundschule halten. Die Literatur hat ihreneigenen Wert, der im Mittelpunkt steht. Auf keinen Fall sollte jeder Be-gegnung mit Literatur eine Schreibaufgabe folgen – oder vorangehen.Dennoch darf die Kraft, die durch den Umgang mit Literatur ent-steht, gerne ihren Ausdruck im Schreiben finden.So greifen Kinder in ihren freien Schreibzeiten oft auf Literatur zu-rück, der sie in der Schule, zu Hause, im Kindergarten oder an an-deren Orten begegnet sind – ohne dass ein Anlass dazu besteht.Dies kann auf ganz unterschiedlichen Ebenen passieren:

– Kinder finden Bücher, Cassetten, Filme, auch Lieder und Gedichteso faszinierend, dass sie diese in ihr Tagebuch abschreiben,nacherzählen oder einzelne Stichworte nennen.

– Kinder beschäftigen sich mit Protagonisten, mit einzelnen Situatio-nen, schreiben eine Geschichte weiter oder tun ihre Meinung kund.

Troja Knuffelkuh

Die Sache mit demPferd in TrojaWas für ein he-roisches Durchein-ander! Möchte jaschon gerne wissen,warum die Trojanernicht darauf gekom-men sind, dass dasPferd voller Grie-chen war.

KnuffelkuhDas ist Grego-rius, der Maul-wurf. Er kriechtdurch seinenlangen, dunklenMaulwurfsgang.Am liebsten isster Würmer. Aberer hat nieman-den, mit dem ersie teilen kann.

Felix Robinson Crusoe Winnetou

WinnetouDer Häuptling der Apachen.

Irgendwo auf diesemschönen Planeten wohntein ganz besonders netterMensch. Das ist niemandanderes als du. Und weilich gehört habe, dass duÜberraschungen genausogerne magst wie ich.Aus einem Felix-Buch

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– Kinder übernehmen in ihren eigenen Texten Muster aus der Lite-ratur, beispielsweise die Märchenformel „Es war einmal“, Perso-nen oder Tiere aus Büchern, aber auch ganze Text- oder Buch-strukturen.

– Kinder lernen aus Sachliteratur und schreiben ihr Wissen auf.

Die Begegnung mit Literatur formt Muster in den Köpfen und Herzen derKinder, die wieder anderen Mustern begegnen und sich so in einem krea-tiven Prozess zu neuen, ganz eigenen Texten verbinden.Niemals sollten wir einen Text abwerten mit Bemerkungen wie „Die Ideeist ja gar nicht von dir!“ Im Gegenteil: Wenn Kinder solche Texte vorstel-len, fragen wir auch hier mit den Kindern der Klasse gemeinsam nachdem Guten eines jeden Textes: „Toll, er hat von dem Film erzählt“, „Sie hates so ähnlich geschrieben wie in der Geschichte, die du uns erzählt hast!“,„Er hat etwas aus dem Buch übernommen, das er sich ausgeliehen hat –das muss ich auch mal lesen!“ usw. Solch ein wertschätzender Umgangmit literaturgespeisten Texten ermutigt auch die anderen, zu lesen unddurch Literatur entstandene Eindrücke aufzuschreiben.

Die Auseinandersetzung mit Literatur ist ein eigenes großes Thema,das alle Bereiche des Deutschunterrichtes sowie fachübergreifen-des Arbeiten betrifft.Hier liegt der Fokus auf der Auseinandersetzung mit Literatur durchSchreiben. Neben der wirklich freien, authentischen schriftsprach-lichen Auseinandersetzung, wie sie beobachtbar ist und hier be-schrieben und illustriert wurde (alle oben abgebildeten Textbeispielesind in freien Schreibphasen – also ganz ohne weiteren Impuls –entstanden), sollen nun noch einige ausgewählte Zugänge zur Aus-einandersetzung mit Literatur für den Unterricht angeführt werden,bei denen das Schreiben der Textrezeption dient (und nicht umge-kehrt das Lesen dem Schreiben dient).

Pippi Langstrumpf MarienkäferPippi LangstrumpfPippi Langstrumpfhat sich mal gesuchtund hat sich ein Flie-gefahrrad gebaut.Pippi Langstrumpfbrauchte ein Fahrradund eine Hupe undeinen Hebel und Holz.Geschrieben vonSophie.

Ein Marienkäferim GartenEs war einmal einMarienkäfer. Er warganz süß.Er setzte sich aufmeine Fensterbank.Er hatte siebenPünktlein. Er wareinfach süß.

Eiszeit WalWollmammutWährend der Eiszeit inEuropa und Asien ver-breitet. Körperhöhebis zu 3,50 m Längebis 7 m.Vor ca 10.000 Jahrenausgestorben.

Über einen WalDer Walschwimmt imWasser.Er springt hoch.Er macht auchseine Schwanz-flosse in die Luft.

Anregungen

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Texte im 1. Schuljahr:Erlebtes,

ausgedachte Geschichten,Briefe, Beobachtungen,

Beschreibungen,Fragen, Sachtexte,Witze, Gedichte,Lieder, Träume,

Krimis...

– Kinder wählen aus einem klei-nen Angebot von Bildern (zuzentralen Textstellen) ein Bildaus, zu dem sie die Kernaus-sage aufschreiben

– Eine Geschichte zu einemThema oder zur Überschriftassoziieren/träumen – vor derTextbegegnung

– Leseschein zu einemgelesenen Buch ausfüllen

Die vorgestellten Methoden verstehen sich – wie alle in diesemBuch empfohlenen Bausteine – als ergiebige, langfristig angelegteMethoden, auf die der Einzelne eigenständig zurückgreifen kann,etwa in seiner Tagebucharbeit, auf die ich aber auch in meinem Un-terricht immer wieder zurückgreifen kann und sollte. Ein über-schaubarer Fundus an methodischen Bausteinen, die immer wie-der angewendet, modifiziert und weiterentwickelt werden, ist we-sentlich effektiver als der Durchmarsch durch ständig neue metho-dische Arrangements.Für die Beschäftigung mit Lektüre und die Dokumentation des eige-nen Leseprozesses tritt neben das Tagebuch das Lesejournal, in demdas Kind u.a. festhält, was es gelesen hat (s. 2. Schuljahr: III. 2.4.).

1.4 Textvielfalt im 1. Schuljahr – Grundlage für die gesamteSchreibentwicklung

Die Betrachtung der im 1. Schuljahr ohne Schreibanlass entstan-denen Texte überrascht und erfreut: Die Kinder schreiben nicht nurindividuell bedeutsame Erlebnisse und einfallsreiche Geschichten,sondern ebenso Beobachtungen, Beschriftungen, Sachtexte, Fra-gen, Gedichte, Lieder, Briefe, Witze... Sie lassen sich inspirierenvon Literatur. Sie erfinden eigene „Textformen“, die in keiner Text-sortensammlung für die Grundschule zu finden sind.Didaktiker, die behaupten, Kinder im 1. Schuljahr würden überwie-gend Botschaften in Briefform und erlebte Geschichten – allenfallsausgedachte Geschichten – verfassen, irren sich. Ärgerlich ist dasv.a. dann, wenn aufgrund solcher Theorien den Kindern schon garnichts anderes mehr zugetraut wird. Es besteht dann die Gefahr,dass die Kinder durch den schulischen Unterricht eine Einengungerfahren (ausgelöst auch durch die ausschließliche Verwendungdes Begriffes „Geschichten“ – die bewusste Verwendung des Be-

– Titel schreiben undergänzen (Bild, Text)

wir sind quittoder rötte häschen?

Der fliegende KofferIch war im Urwald. Ich war in meinemKoffer und bin geflogen.

Das Ich-bin-Ich - Maxi.Ich habe ein Lesebuch ge-kriegt. Das Buch heißt „Ni-ckel ist der Beste“. Und eineHängematte und einen Felix-Stempel und ein Pferdebild.

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griffs „Texte“ ist nötig), die vermutlich in der „Aufsatzerziehung“ gip-felt, wenn das Kind nur noch für den Lehrer oder für die Noteschreibt und die vorgegebenen Muster zu erfüllen sucht.Ludwig Otto beschreibt diese Gefahr im Zusammenhang mit einer inEngland durchgeführten Studie folgendermaßen: „In der Schule wirddie anfängliche Vielfalt der Schreibfunktionen von Klassenstufe zuKlassenstufe zunehmend reduziert, bis schließlich der Schüler –etwas schematisch dargestellt – für den Lehrer in seiner Eigenheitals Zensor ... schreibt“31.Geben wir den Kindern Freiraum, sodass sie zeigen dürfen, was siekönnen anstatt sie einzuengen durch zu viele oder zu häufige Vor-gaben. Verschaffen wir ihnen und dadurch unserem Unterricht eineoptimale Grundlage für die weitere Schreibentwicklung, die an ihrenTexten anknüpft. Je breiter die Basis der entstehenden Texte ist,desto mehr Anknüpfungspunkte entstehen für die Weiterentwick-lung der Schreibfähigkeiten.Durch das Vorlesen von Texten in der Klasse und das langsam begin-nende Nachdenken über die vorgelesenen Texte werden die Mitschü-ler/-innen motiviert, auch neue, andersartige Texte zu verfassen. DieKinder selbst eröffnen sich untereinander neue Schreibmöglichkeiten.Nicht selten schreiben im Anschluss an einen oder zwei Textvorträgegleich mehrere Kinder der Klasse ähnliche Texte. Sie erproben neueTextvarianten und bauen ihre Schreiberfahrung immer weiter aus.Meine Aufgabe als Lehrerin besteht nun darin, den Unterricht so zuorganisieren, dass es nicht nur Räume zum Schreiben, sondernebenso zum Präsentieren, zum Vorlesen und Veröffentlichen derTexte gibt. Die Kinder erhalten dann nicht nur von mir eine positiveRückmeldung wie im Tagebuch, sondern auch von den anderen Kin-dern der Klasse oder einer kleinen Gruppe.Eine Kultur des positiven Feed-backs ist wünschenswert und trai-nierbar. Sie ist gleichermaßen für die Stärkung der individuellen Per-sönlichkeit wie auch für die Aufrechterhaltung der Schreibmotiva-tion über einen längeren Zeitraum unerlässlich.Indem die Kinder ein positives Feed-back formulieren, setzen sie sichgleichzeitig mit dem Text genauer auseinander. Sie lernen dabei, ihreAufmerksamkeit auf die guten, interessanten oder ihrer Meinung nachgelungenen Textteile zu fokussieren. Eine gute Hinführung zur spätereinsetzenden Suche nach „Schreibgeheimnissen“ (s. III. 3.2 a) und derkünftigen Überarbeitung von Texten (s. 3. Schuljahr).In einem ersten Schuljahr ergaben sich in den Gesprächen bereitsfolgende Schreibgeheimnisse:Die Zuhörer baten Autoren darum, sie zu informieren, um wen essich in einem Text dreht, also nicht nur Fürwörter wie „er“, „sie“ zugebrauchen, sondern die Person oder das Tier vorzustellen.Eines Tages schrieb ein Kind über seinen Text eine Überschrift. Dieanderen Kinder empfanden dies als hilfreich und fingen nun ebensoan, Überschriften für ihre Texte zu suchen.Durch das regelmäßige Vortragen von Texten entwickelt sich ganzunwillkürlich das Bild eines Adressaten, den man erreichen möchte.

berg 1996.31 Ludwig, O.: Einige Gründe, die Entwicklung der Funktionen des Schreibens bei Kindern und Ju-

gendlichen zu untersuchen, in: Andresen, H./Giese, H.W./Januschek, F. (Hrsg.), Osnabrücker

EinKrimi!!!

Nen Krimimuss ich gleich

auch malschreiben!

Erste Schreibgeheimnisse

Wer?

Überschrift

Adressatenbezug