CLASS aktuell 2 / 2011

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CLASS aktuell Association of Classical Independents in Germany 2011/Nr.2 Schwetzinger Festspiele Die Schatztruhe aus Südwesten Amilcare Ponchielli Virtuosenfutter für Bläser Norddeutscher Kammerchor Überzeugendes Debut Beethoven Orchester Bonn & Claudius Tanski Audiophile Reverenz an Franz Liszt Mit Elfenbein und Ebenholz Cyprien Katsaris

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Magazin für Klassik, Jazz und Worldmusik

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CLASS a k t u e l lA s s o c i a t i o n o f C l a s s i c a l I n d e p e n d e n t s i n G e r m a n y

2 011 / N r. 2

Schwetzinger Festspiele Die Schatztruhe aus

Südwesten

Amilcare PonchielliVirtuosenfutter für Bläser

Norddeutscher Kammerchor

Überzeugendes Debut

Beethoven Orchester Bonn & Claudius Tanski

Audiophile Reverenz an Franz Liszt

Mit Elfenbein und EbenholzCyprien Katsaris

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CYPRIEN KATSARIS ARCHIVES · VOL. 8 SCHUBERT · CYPRIEN KATSARIS ARCHIVES · VOL. 8 SCHUBERT ·

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Cyprien Katsaris live at the

Schubertiade Festival July 3, 1993

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Katsaris plays Liszt, Vol. 1CD 1 – Gipsy & Romantic · CD 2 – Avant-Garde, Hommage à Wagner, The PhilosopherP21 041-N · 2 CD

Franz Liszt ist vermutlich der vielseitigste Komponist, was den Facetten reichtum seines Musikschaffens anbelangt. Die Dop-pel-CD des ersten Teils dieser Aufnahmereihe präsentiert fünf Gesichter von Liszt, die alle gleichermaßen faszinierend sind:a) Liszt als Zigeuner mit seiner weltberühmten Ungarischen Rhapsodie Nr. 2 (mit den Kadenzen von Liszt) und den nicht weniger schönen Rhapsodien Nr. 3, 5 und 7.b) Liszt als Romantiker, mit seinem bewegenden Liebestraum Nr. 3, seinen lyrischen Elegien und Klavierstücken sowie seinem großartigen und leidenschaftlichen Konzert Nr. 2, hier zu hören mit dem großartigen Deutschen Symphonie-Orchester unter der Leitung von Arild Remmereit.c) Für den genialen Avantgardisten Liszt stehen sein Trauervorspiel und Trauermarsch, Unstern! - Sinistre und Trübe Wolken mit den zuweilen fremdartigen und atonalen Harmonien, die Skrjabin, Debussy und Schönberg vorwegnehmen.d) Seinem Freund und Schwiegersohn Wagner setzt er nach dessen Tod ein Denkmal mit den beiden Trauergondeln, R. W. Venezia und Am Grabe Richard Wagners.e) Den Schlusspunkt bildet der Philosoph Liszt mit seinem größten Meisterwerk, der Sonate in h-Moll, in der man die Schöp-fung und das Schicksal der Menschheit erahnen kann.

Cyprien Katsaris live at the Schubertiade Festival July 3, 1993P21 042-A · 2 CD

Bei diesem Schubert-Solo abend, den Cyprien Katsaris am 3. Juli 1993 im Rahmen der „Schubertiade“ (Konservatorium Feld-kirch, Österreich) gab, spielte er drei Meisterwerke, die Schubert kurz vor seinem Tod komponierte: die beiden ersten Klavier-stücke D. 946 und seine letzte Sonate Nr. 23 D. 960 sowie eine Serie von Ländlern und drei Lieder (Ständchen, Der Müller und der Bach, Ave Maria) in einer Transkription von Liszt. Als Zugabe improvisierte Cyprien Katsaris über Themen von Tschai-kowski und Wagner und spielte zum Abschluss das großartige Adagio aus dem von Bach transkribierten Oboenkonzert von Marcello.

The Complete Mozart Piano Concertos, Vol. 7P21 039-N · CD

Die siebte CD aus der Gesamteinspielung aller Klavierkonzerte von Mozart, die Cyprien Katsaris mit der Salzburger Kammer-philharmonie unter der Leitung von Yoon K. Lee anlässlich von Livekonzerten aufgenommen hat, vereint zwei ganz besondere Werke: sein letztes Konzert, Nr. 27, KV 595 und sein erstes Konzert, Nr. 5, KV 175. Letzteres ist eigentlich das erste von Anfang an für Cembalo und Orchester konzipierte Werk des siebzehnjährigen Komponisten. Das Rondo KV 382 ist eine alternative Fassung für den Schlusssatz des Konzerts KV 175.

Live in Shanghai, October 2, 2007The International Piano Festival of Shanghai Conservatory of MusicP21 035-N · DVD

Der UNESCO-Botschafter für Frieden, Cyprien Katsaris, gab am 2. Oktober 2007 in Schanghai einen Soloabend, der latein-amerikanischer Musik (aus Peru, Paraguay, Brasilien, Kuba, Argentinien, Uruguay und Mexiko) gewidmet war. Assistiert von einer chinesischen Dolmetscherin kommentierte er damals das originelle Programm von der Bühne aus auf Französisch und Englisch. In dem Wunsch, zur Verständigung zwischen den Völkern insbesondere angesichts von Konfl ikten beizutragen, nahm Cyprien Katsaris seine Kommentare in weiteren zehn Sprachen auf: Hebräisch/Arabisch, Griechisch/Türkisch, Spanisch/Portu-giesisch/Italienisch, Russisch/Deutsch und Japanisch. Auf der Aufnahme ist Cyprien Katsaris also in zwölf Sprachen zu hören.

Neuerscheinungen

www.cyprienkatsaris.net

CODAEX Deutschland GmbHLandsberger Str. 492 · 81241 München

[email protected]://blog.codaex.de

C y p r i e n K a t s a r i s

Hören Sie sich die vielen Musikbeispiele aus dem Katalog PIANO 21 unter www.cyprienkatsaris.net an! Sie werden darin den Eklektizismus des Pianisten Cyprien Katsaris entdecken und sein breit gespanntes Repertoire kennenlernen – von Bach, Beethoven, Chopin, Schumann, Grieg, Tschaikowski, Rachmaninow und Prokofjew … – über außergewöhnliche Raritäten, wie Theodorakis, Jensen, Eller, Latour, um nur einige zu nennen, bis hin zur Gesamtaufnahme der Klavierkonzerte von Mozart, die der Künstler derzeit herausbringt.

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AUSGABE 2011/2 3

Eigentlich soll ich Ihnen ein nettes Grußwort schreiben, das Lust macht, dieses Heft durchzublättern,und neugierig macht auf gute Musik und neue CDs. Eine harmlose Sache, denken Sie? Und doch:Ich kann nicht. Es geht nicht. Ich käme mir vor wie ein Baalspriester, der einem gefräßigen Dämonwehrlose Kinder opfert. Sie sind die wehrlosen Kinder. Der Dämon ist die Musik. Er wird Sie fressen.

Musik ist gefährlich! Wissen Sie überhaupt, in welche Gefahr Sie sich begeben, wenn Sie Musik hören? Kennen Sie nichtdie Legende von der Loreley? Die Geschichte vom Rattenfänger? Den Mythos von den Sirenen? Im Ernst: Musik kann Ihr Untergang sein! Die seelischen Erschütterungen, die sie bewirkt, können Siedauerhaft um Ihre Gesundheit bringen! Haben Sie gewusst, dass eine Meyerbeer-Oper mal bei einemMusikkritiker eine Epilepsie ausgelöst hat? Bei Wagners „Tristan und Isolde“ sind sogar schon mehrereDirigenten leblos zusammengebrochen, auch manche Sinfonien gelten geradezu als notorische Todes-bringer. Ein Thomas Mann hat seine Geschichten ja nicht aus der Luft gegriffen: Sein Herr Friedemann,seine Frau Klöterjahn, sein Anwalt Jacoby sterben nicht zufällig an musikalischer Erregung!

Es ist nämlich wissenschaftlich erwiesen: Musikhören erhöht die Atemfrequenz, steigert den Blutdruck,aktiviert den Muskeltonus, bringt den Puls auf Fahrt. Musik kann nervöse Anfälle, Herzbeschwerdenund Kreislaufzusammenbrüche auslösen. Bei einer psychiatrischen Studie wurde festgestellt, dassStockhausen zu Schlaflosigkeit und Impotenz führt und Penderecki Kopfschmerzen, Magenverstimmungenund Durchfall bewirkt. Im alten China hat man die Musik daher sogar als Todesstrafe für Verbrechereingesetzt: „Flötenspieler und Trommler sollen ihm so lange vorspielen, bis er tot zu Boden sinkt“,lautete die polizeimeisterliche Anweisung.

Naturvölker wussten über die bösen Zauberkräfte der Musik schon immer Bescheid. Ganze Schreckens-herrschaften beruhten auf dem Terror der Klänge: Wollte man einen afrikanischen Herrscher ent-machten, stahl man ihm sein dämonisches Balafon. Und als Kolumbus versuchte, die friedlichen Indianer mit Musik auf sein Schiff zu locken, vermuteten diese sofort schwarze Magie – und beschossendie Spanier wütend mit ihren Pfeilen.

Immerhin: Durchblättern können Sie das Heft ja mal, da passiert Ihnen noch nichts. Aber hüten Sie sich vor dem Musikhören: Mit den Nebenwirkungen ist nicht zu spaßen. Und wenn wir schon dabeisind: Gehen Sie auch auf keinen Fall mehr aus dem Haus, denn rund 4.000 Verkehrstote gibt es jedesJahr in Deutschland. Daheim bleiben können Sie aber auch nicht, denn im Haushalt passieren die meisten Unfälle. Wissen Sie was? Tun Sie doch einfach, was Sie wollen. Hören Sie meinetwegen Musik.Ich habe Sie gewarnt.

Hans-Jürgen Schaal

9 Mein schönste ZierDebut des Norddeutschen Kammerchors

10 CLASS - Blickpunkte Neuveröffentlichungen vorgestellt von CLASS

4 Von strahlender Glorie umgebener GeniusEine audiophile Reverenz

5 Ohne irgendeine EinschränkungInterview mit Cyprien Katsaris

6 Schatztruhe aus SüdwestenNeue Aufnahmen der Edition Schwetzinger SWR Festspiele

7 Instrumentenmacher und FlötenvirtuoseHeiko ter Schegett spielt Telemanns Blockflötensonaten

8 Wunschkonzert mit Virtuosenfutter Wiederentdeckte Bläserkonzerte von Ponchielli

CLASS aktuell 2/2011Inhalt

Auflage: 126.500Titelfoto: © Carole Bellaïche Grafik: Ottilie Gaigl

CLASS Association of Classical Independents in Germany e.V.Bachstraße 35, 32756 Detmold, Telefon 05231-938922www.class-germany.de · [email protected]

Alle Tonträger dieser Ausgabe finden Sie auch unter www.bielekat.de

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NEU BEI WERGO:Hans G Helms

fa:m’ ahniesgwowErste vollständige Gesamteinspielung

Vertriebe:Deutschland: Note 1, Tel.: 06221/[email protected]Österreich: Lotus Records, Tel.: 06272/[email protected]: Tudor, Tel.: 044/[email protected]

Fordern Sie bitte unseren Katalog an!WERGO, Weihergarten 5, 55116 Mainz, [email protected], www.wergo.de

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Hans G Helms’ legendäres Sprachkunstwerkfa:m’ ahniesgwow – das Erfahrungen während der Herrschaft des Naziterrors bis hin zur Ära des Konsumzwangs vielschichtig verarbeitet – hat bis heute nichts an Brisanz verloren. Im Grenzbereich zwischen Literatur und musikalischer Komposition werden kon ventionelle Sprachgegebenheiten ge-sprengt, Worte, Silben und Laute aus Hoch-und Umgangssprache, politischer Rede undLiebeslyrik, Bürokratie und Literatur zu neuenSinnkomplexen synthetisiert.

Das Kultwerk in einer äußerst überzeugendenVersion interpretiert das phonetisch-musika -lische SprachKunstTrio sprechbohrer.

sprechbohrerSigrid Sachse / Harald Muenz / Georg Sachse

Koproduktion mit dem Hessischen Rundfunk 2009 Gefördert von der Kunststiftung NRW.

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4 AUSGABE 2011/2

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Das Beethoven Orchester Bonn unterder Leitung von Stefan Blunier und derPianist Claudius Tanski präsentierenzum 200. Geburtstag des österreichisch-

ungarischen Komponisten Orchesterwerke undKlaviermusik, darunter die Ouvertüre zu Goethes„Torquato Tasso“ und der „Totentanz“ aus 1849.Als klangliche Besonderheit ist die Einspielungder „Trauergondel“ in einer feinsinnigen Orches-trierung von John Adams enthalten.

„Durch Nacht zum Licht“ könnte das Mottodieser SACD sein. Nach Liszts eigenen Worten liegtseiner sinfonischen Dichtung „Tasso – Lamento eTrionfo“ die Idee eines „im Leben verkannten, imTode aber von strahlender Glorie umgebenen Ge-nius“ zu Grunde. Und selbst im „Totentanz“, derwohl berühmtesten Schöpfung des Jubilars imBereich der konzertanten Musik, ist die Hoffnungin einigen Variationen über das „Dies irae“ deut-lich spürbar: Orchester und ein vor Intensitätberstender Solist entwickeln ein opulent gigan-tisches Klangfest für die Ohren.

Claudius Tanski ergänzt mit dieser Einspie-lung sein Repertoire mit mehr als 20 MDG-CDs,die weltweit hervorragende Kritiken erhielten undmit zahlreichen Preisen ausgezeichnet wurden. AlsZugabe hat er drei unterschiedlich progressive,zum Teil von Leid und Resignation geprägte eherleise Klavierstücke Liszts ausgewählt, um dem200-Jährigen seine Reverenz zu erweisen. Diesgilt insbesondere für die zweite Fassung der„Trauergondel“, die in der Klavierversion direkt inAnalogie zur Orchestrierung der ersten von JohnAdams zu hören ist. Und wenn am Ende der SACDnahtlos der Bach-Choral „Es ist genug“ in einerKlaviertranskription erklingt, dann wird nach denersten überraschend lisztschen Akkorden tat-sächlich etwas von strahlender Glorie spürbar.

In der kurzen Zeit, die Stefan Blunier seinem

Von strahlender Glorie umgebener GeniusClaudius Tanski und das Beethoven Orchester Bonn erweisen Franz Liszt eine audiophile Reverenz

Anton Bruckner Sinfonie d-Moll „Nullte“ WAB 100Marsch WAB 963 Orchesterstücke WAB 97Beethoven Orchester Bonn / Stefan Blunier, Ltg.MDG 937 1673-6 (Hybrid-SACD)

Aktuelle Konzerte: Beethoven Orchester Bonn

23. 05. 2011 Ljubljana (Slowenien)24. 05. 2011 Villach (Österreich)

25. / 26. / 27. 05. 2011 Festspielhaus Salzburg

www.beethoven-orchester.de | www.claudius-tanski.com

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Claudius TanskiStefan Blunier

Beethoven Orchester Bonn vorsteht, hat er einebeeindruckende Diskographie erstellt. Erst kürz-lich sind bei MDG selten zu hörende Orchester-werke von Anton Bruckner erschienen, darunterseine „Nullte“ Sinfonie, sowie die vier Orchester-sätze, die wohl zu den ersten Orchesterwerken desKomponisten gehören. Jedenfalls haben wir es miteiner vollständigen und nie nachkorrigierten Sin-fonie Bruckners zu tun: eine hochwillkommeneRarität im Vergleich der vielen Varianten seinerSinfonien. Diese sorgfältig im MDG-typischen2+2+2 Surround-Klang produzierten Aufnahmenzeigen ebenfalls alle guten Qualitäten dieses tra-ditionsreichen Orchesters, das allerdings auch mitseinen Live-Dokumentationen, z.B. der OperGolem von d’Albert oder der Sinfonien von FranzSchmidt, deutliche Akzente setzte.

Thomas Trappman

Franz Liszt: Totentanz; Paraphrase über „Dies irae“ für Pianoforte und OrchesterTasso - Lamento e TrionfoDie Trauergondel II + Werke für Klavier soloClaudius Tanski, KlavierBeethoven Orchester Bonn / Stefan Blunier, Ltg.MDG 937 1678-6 (Hybrid-SACD)

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AUSGABE 2011/2 5

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Nach zwanzig Jahren der Zusammenarbeitmit allen großen Labels haben Sie Ihr eige-nes Label PIANO 21 gegründet. Weshalb?Cyprien Katsaris: Weil ich mir mein Reper-toire ohne irgendeine Einschränkung aussu-chen können will. Das ganze Unterfangen gehtauf Januar 2001 zurück, also den Beginn des21. Jahrhunderts; und deshalb entschied ichmich für die absolut passende BezeichnungPIANO 21. Das Label ist sozusagen das Vehikelfür meine eigenen Aufnahmen, von deneneinige auch Liveaufnahmen sind. Darunter sindsowohl Neueinspielungen und Mitschnitte ausprivaten und Radioarchiven verschiedenerLänder als auch Neuauflagen. Mit PIANO 21kann ich meiner zweifachen Leidenschaftfrönen, nicht nur das große Repertoire zuvermitteln – was sich von selbst versteht –sondern auch selten gespielte und wenigerbekannte Werke zu entdecken.

Ganz offensichtlich sind Tonaufnahmen fürSie sehr wichtig. Warum?Schallplatten üben schon seit meiner frühenKindheit eine große Faszination auf mich aus.Ende der 40er Jahre wanderte meine Familievon Zypern nach Kamerun aus; meine Elternliebten Musik und hatten eine umfangreicheLP-Sammlung. Meine Mutter erinnert sich da-ran, dass ich schon im Alter von fünf oder sechsMonaten versuchte, La Raspa, ein ganz popu-läres Lied aus Mexiko, nachzusingen. Ich selbsterinnere mich, stundenlang LPs von Tschai-kowksy (Slawischer Marsch), Wagner (Fliegen-der Holländer), Beethoven (die Pastorale unddas Kaiserkonzert) usw. angehört zu haben.

Heißt das, Sie fühlten sich schon immer –von Anfang an – zur Musik hingezogen?Oh ja! Da fällt mir noch etwas ein: Als meineMutter mich erwartete, wünschte sie sich einenSohn, der Dirigent werden sollte. Dreimal dür-fen Sie raten, welchen Berufswunsch ich imAlter von vier Jahren hatte: Verkehrspolizist!Sie war darüber ganz entsetzt, bis ihr eineFreundin sagte: „Reg Dich nicht auf, zumindestmachen Dirigenten und Verkehrspolizisten

dieselben Armbewegungen!“ Aber es stimmtschon, ich fühlte mich immer als Musiker.

Haben Sie die Absicht, auch Dirigent zu werden?Bisher bin ich von diesem „Virus“ verschontgeblieben, der viele meiner Pianistenkollegenbefallen hat. Wenn Sie Orchestermusiker fragen,so werden die Ihnen immer antworten, dass essehr lange dauert, bis ein Pianist ein wirklichguter Dirigent wird. Ich persönlich bemühemich immer, so professionell wie möglich zusein, und ziehe es daher vor, unmittelbar fürdie Töne verantwortlich zu sein, die ich mitmeinen eigenen Händen produziere!

Sie haben gerade das Wort „Töne” verwendet. Was bedeutet Musik für Sie? Die Feststellung, dass Musik „Tonkunst“ ist,mag banal klingen. Ob sich jedoch Kunst desMediums der Töne, Farbe, Zeichnung oder Ma-lerei usw. bedient – immer ist sie die qualitativhöchste Form der Kommunikation über dieÄsthetik. Derjenige ist ein großer Musiker, derdiesem Medium Ton seine Persönlichkeit undsein Bestreben als spirituelles Wesen auf-drücken kann. Ich bin davon überzeugt, dassKünstler in unserer verrückten Gesellschafteine wichtige Rolle zu spielen haben. Ähnlicheinem Arzt, der einem Kranken durch die In-jektion einer Arznei Linderung verschafft, trägtder Künstler dadurch, dass er uns einige Mo-mente des Glücks schenkt, wesentlich dazu bei,die Zuhörer von ihren täglichen Ärgernissenund Problemen abzulenken – zumindest wäh-rend der zwei Stunden, die ein Konzert dauert,oder so lange, wie es braucht, um die Schön-heit eines Gemäldes auf sich wirken zu lassen.Anders gesagt, versuche ich mit meinem Auf-tritt die Voraussetzungen zu schaffen, die unsallen, die wir in einem Konzertsaal sitzen,helfen, eine höhere Ebene der Spiritualitätund der Freude zu erreichen. Und wenn dieMenschen am Ende eines Konzerts glücklichsind, dann ist dieses wunderbare Mittel gegenUnglück und Wahnsinn, das Musik heißt, sei-ner Rolle und Aufgabe gerecht geworden.

Haben Sie Lieblingskomponisten?Es ist immer der Komponist, den ich geradespiele, der größte für mich. Deshalb liebe ichalle Komponisten!

Was macht für Sie den grundlegendenUnterschied zwischen einem Konzert undeiner Aufnahme aus?Wenn ich bei einer Aufnahme mit meinerLeistung nicht zufrieden bin, dann kann iches natürlich noch einmal versuchen. Aber dannbesteht die Gefahr einer gewissen Routine, dieich hasse. Deshalb versuche ich immer, denZauber und die emotionale Spannung einesKonzerts entstehen zu lassen. Schließlich sindMikrofone das gefürchteste Publikum …

Gibt es Länder, in denen Sie lieber auftreten,als in anderen?Überhaupt nicht. Ob ich in der Carnegie Halloder im antiken Theater der Akropolis in Athenauftrete, in der Berliner Philharmonie oder inSchanghai, wie am ersten Januar, überall binich glücklich, meinem Publikum die Schönheitder Musik zu vermitteln. Das verleiht mir Flügel!

Und was ist mit dem Jetlag?Kein Problem für mich – ich liebe Flugzeuge!

Sind Sie Pilot?Nein, aber ich habe viel Spaß an fernge-steuerten Modellflugzeugen und besitze andie 60 (kleine) Hubschrauber!

Ohne irgendeine EinschränkungDer Klaviervirtuose Cyprien Katsaris begeistert und bereichert die inter-nationale Musikszene bereits seit mehreren Jahrzehnten. Anlässlich seines60.Geburtstages hat Linda Haase mit dem vielseitigen Musiker gesprochen.

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Frühlingszeit ist Festspielzeit in Schwetzin-gen. 1952 rief der Süddeutsche Rundfunkdie Schwetzinger Festspiele ins Leben,der Südwestrundfunk führt sie seit 1998

erfolgreich weiter. Mit jährlich mehr als 550 Aus-strahlungen auf allen Kontinenten sind dieSchwetzinger SWR Festspiele im Laufe der Zeit zueinem der bedeutendsten Klassik-Festivals und zumgrößten Klassik-Rundfunkfestival der Welt avanciert.

Seit drei Jahren sind die Aufnahmen, die imVorfeld der Festspiele veröffentlicht werden,Vorboten einzigartiger Musikerlebnisse. Die CD-Edition präsentiert ausschließlich Live-Mit-schnitte, allesamt künstlerische Höhepunkteund Raritäten aus der über fünfzigjährigenGeschichte des Festivals. Beeindruckend ist dieRiege der Pianisten, die in Schwetzingen gastier-ten und die jetzt auf CD zu hören sind: ClaudioArrau mit zwei Klavierabenden (1963 und 1973),Friedrich Gulda (1959) und der Tastenpoet Alexis Weissenberg mit einem reinen Chopin-Abend aus dem Jahr 1972. Svjatoslav Richtergab zwei legendäre Konzerte in Schwetzingen.1993 spielte der damals 78-jährige Pianist zumersten und letzten Mal öffentlich Gershwins jazziges Klavierkonzert „Concerto in F“. Richterhatte Gershwins Werke schon immer geschätzt,

Jahr eine Aufnahme mit Hermann Prey. Zeit seinesLebens war der Bariton ein hingebungsvollerSänger des deutschen Liedes. Seine zahlreichenAufnahmen im Laufe seiner fünfzigjährigenmusikalischen Karriere belegen es. Im Mit-schnitt eines Liederabends vom 15. Mai 1963gestaltet der Sänger neben Liedern von Brahmsund Strauss auch weniger bekannte Stücke vonPeter Cornelius, Hans Pfitzner und WolfgangFortner. Zwei weitere Veröffentlichungen vonKonzertmitschnitten bestätigen das hohe Sänger-niveau der Festspiele: Teresa Berganza und FritzWunderlich widmeten sich im Rahmen ihrerSchwetzinger Konzerte – die Sopranistin 1985und der Tenor 1965, ein Jahr vor seinem tragi-schen Tod – dem Liedgesang.

Zu Sternstunden avancierten auch die Kam-mermusikabende. Auf CD veröffentlicht sind die Konzerte des Amadeus Quartetts und desGeigers Gidon Kremer. Zusammen mit dem Pianisten Oleg Maisenberg setzte Kremer 1977,kurz nach seiner Übersiedlung in den Westen,interpretatorische Maßstäbe. Das 1947 in London gegründete Amadeus-Quartett gehörtebis in die 70er Jahre zu den führenden Quar-tetten der Welt. Unvergessen sind seine inten-siven und klangschönen Interpretationen vonklassischen und romantischen Werken. Vorallem mit Schuberts berühmtem Quartett „DerTod und das Mädchen“ hinterließ das Amadeus-Quartett einen überwältigenden Eindruck. Diebei SWRmusic veröffentlichte CD enthält da-rüber hinaus die Einspielung des drittenStreichquartetts von Benjamin Britten.

Virginia Tutila

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Svjatoslav Richter, Konzert 1993Camille Saint-Saens (1835-1921) Konzert für Klavier und Orchester Nr. 5,F-Dur op. 103 (Ägyptisches)George Gershwin (1898-1937) Concerto in F für Klavier und OrchesterRadio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWRDirigent: Christoph Eschenbach SWRmusic/hänssler CLASSIC, Best.-Nr.: 93.707

Svjatoslav Richter, Klavierabend 1994 Edvard Grieg – Lyrische StückeCésar Franck – Prélude, chorale et fugueMaurice Ravel – Valses nobles et sentimentales, MiroirsSWRmusic/hänssler CLASSIC, Best.-Nr.: 93.712

Liederabend 1963Lieder von Peter Cornelius, Hans Pfitzner,Wolfgang Fortner, Johannes Brahms,Richard StraussHermann Prey, Tenor / Günther Weißenborn, Klavier SWRmusic/hänssler CLASSIC, Best.-Nr.: 93.713

Alexis Weissenberg, Klavierabend 1972Frédéric Chopin – Polonaise-Fantaisie As-Dur op. 61, Klaviersonate Nr. 3 h-Moll op. 58,Fünf Nocturnes, Ballade f-Moll op. 52 Nr. 4SWRmusic/hänssler CLASSIC, Best.-Nr.: 93.710

aber unter dem Sowjetregime dessen Musiknicht spielen dürfen. Ein Jahr später gastierteSvjatoslav Richter wieder in Schwetzingen, ergab einen unvergessenen Klavierabend mit Wer-ken von Grieg, Franck und Ravel.

Die Reihe der Gesangsraritäten der EditionSchwetzinger Festspiele präsentiert in diesem

Schatztruhe aus Südwesten Neue Aufnahmen der Edition Schwetzinger SWR Festspiele

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Die populärsten Blockflöten-Werkestanden früher in der Zeitung: GeorgPhilipp Telemann gründete 1728 den„Getreuen Music-Meister“, um vor-

nehmlich eigene Kompositionen bekannt zu ma-chen. Kein Wunder, wenn heute Telemanns Block-flötensonaten millionenfach gespielt werden.Heiko ter Schegget und sein Ensemble über-raschen nicht nur mit einer kantablen, höchstlebendigen und inspirierenden Wiedergabe, son-dern präsentieren tatsächlich Entdeckungen.

Kein anderer Komponist des 18. Jahrhun-derts hat so viele Werke in so hoher Qualitäthinterlassen wie Telemann. Man munkelt die Ver-schwendungssucht seiner Frau habe ihn zu dieserSchaffenskraft animiert. Sei es wie es sei, jeden-falls ist er kurz nach ihrem Tod ein sehr wohl-habender Mann geworden, sicher nicht zuletzt

durch seine sehr umtriebigen Verkaufsmethodenvia Abonnements. Auch seine unzähligen Block-flötensonaten gehören seither zum Standard fürjeden Flötisten, und selbst im Archiv der Bachshaben sich Telemanns Partituren erhalten.

Die sechs „Nouvelles sonatines“ aus den Jahren1730/31 galten lange Zeit als verschollen. Bis vorkurzem war die Sammlung nur durch ein einzigesFragment der Melodiestimme bekannt. Erst kürz-lich sind die handschriftlichen Parti-turen der Sonatinen Nr. 2 und 5 ausder Sammlung des Dresdner Hofesaufgetaucht, die vermutlich in dieserForm das erste Mal überhaupt auf-genommen werden konnten.

Wie schon auf seiner Händel-Ein-spielung spielt Heiko ter Scheggetverschiedene originale und kopierteFlöteninstrumente der Zeit. Dereigentliche Star dieser Einspielungist diesmal eine originale Altblock-flöte aus dem 18. Jahrhundert. DasInstrument wurde zu TelemannsLebzeiten vom deutschen Instru-mentenbauer Johann Heytz herge-

stellt und wird in der Sammlung von Frans Brüggen in Amsterdam aufbewahrt. Zwischen demwunderbaren Klang dieser 300 Jahre alten Kost-barkeit und originalgetreuen Nachbauten histo-rischer Instrumente durch Heiko ter Scheggetergeben sich für den Hörer dieser wie immerbei MDG sorgfältig im raumfüllenden 2+2+2Surround-Sound produzierten SACD äußerstreizvolle Vergleiche. Thomas Trappmann

Instrumentenmacher und FlötenvirtuoseHeiko ter Schegget präsentiert Telemanns Blockflötensonaten

Georg Philipp Telemann Sonaten und Sonatinen für Blockflöte und B. c.Heiko ter Schegget, Blockflöte; Mieneke van der Velden, GambeBenny Aghassi, Fagott; Zvi Meniker, CembaloMDG 905 1693-6 (Hybrid-SACD)

Georg Friedrich Händel Sonaten für Blockflöte und CembaloHeiko ter Schegget, BlockflöteZvi Meniker, CembaloMDG 905 1564-6 (Hybrid-SACD) F

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Originale Altflöte von Johann Heytz (um 1725 mit Elfenbein) und Kopie nach Heytz (Heiko ter Schegget, 2009)

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8 AUSGABE 2011/2

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Seine Bläserkonzerte gehören zu den vir-tuosesten Werken der Romantik. AmilcarePonchielli hat sich Mitte des 19. Jahr-hunderts mit erfolgreichen Stücken für

konzertierende Bläser profiliert, undman hört es in jedem Takt, dasssich der Italiener eigentlichschon immer zum Musikdra-matiker berufen fühlte. DieMecklenburgische Staats-kapelle Schwerin und dieSolisten Giuliano Sommer-halder, Roland Fröscherund Simone Sommerhalderpräsentieren uns in einematemberaubenden Parforcerittdie Konzerte für Trompete,Euphonium und Oboe.

Die Oboe hatte bereits in derBarockzeit ein Höchstmaß an Virtuo-sität erreicht. Der Trompete gelang das erstspäter mit der Erfindung der Ventile, die fortaneine spektakuläre Beweglichkeit ermöglichten.

Was für atemberaubende Koloraturen und ra-sante Stretta-Wirkungen konnte Ponchielli diesemInstrument nun auf den Leib komponieren…

Erst 1844 wurde in Wien das Euphoniumpatentiert: Für dieses neuartige Blas-

instrument in Tenorlage kompo-nierte Ponchielli als erster ein

Konzert, das allerdings vomSolisten höchste technischeund klangliche Wendigkeitverlangt und erst im ver-gangenen Jahr zum erstenMal überhaupt öffentlichaufgeführt wurde.

Warum diese Werke lan-ge Zeit keine Rolle im Kon-

zert gespielt haben, erklärtvielleicht die Tatsache, dass sie

Ponchielli speziell für seine BandaNazionale von Cremona arrangieren

musste: ein mit ausschließlich Blasinstru-menten besetztes Orchester. Erst die hier mit viel Geschick von Max Sommerhalder vorgenom-

mene „Rückübertragung“ auf das symphonischromantische Orchester ermöglicht die Auf-führung in heutiger Zeit.

Die Solisten dieser Einspielung gehören zurjüngeren Generation, sind aber bereits weltweitsolistisch unterwegs. Giuliano Sommerhalder(Trompete) wechselt gerade vom Gewandhausin Leipzig zum Concertgebouw-Orchester nachAmsterdam. Simone Sommerhalder (Oboe)spielt seit 2010 im Santa Cecilia-Orchester Rom,nachdem er zuvor ebenfalls im Gewandhausengagiert war. Roland Fröscher (Euphonium)unterrichtet eine Bläserklasse am Konservatoriumin Bern. Die Solisten dieser Super-Audio-CD finden zu einer hervorragenden Partnerschaft mitdem engagierten Spiel der MecklenburgischenStaatskapelle Schwerin unter der Leitung vonMatthias Foremny. Egal, ob für Trompete, für Oboeoder für Euphonium: Diese Musik ist ein Festfür jeden Klangfanatiker mit einem Hang zurgroßen Oper. Lisa Eranos

Amilcare Ponchielli

Giuliano Sommerhalder, Matthias Foremny,Simone Sommerhalder, Roland Fröscher

© Einzelfotos der Collage: Kirsten Nijhof (G. Sommer-halder), Silke Winkler (M. Foremny), Dániel Vass (S. Sommerhalder), Michael Schär (R. Fröscher) © Foto Amilcare Ponchielli: Ganzini, c. 1880, Cremona,Biblioteca Statale

Wunschkonzert mit Virtuosenfutter

Die wiederentdeckten Bläserkonzerte von Ponchielli

Amilcare Ponchielli (1834-1886)Konzerte für Trompete op. 123, 146 & 198Gran Capriccio für Oboe op. 80 Konzert für Euphonium op. 155 Giuliano Sommerhalder, Trompete Simone Sommerhalder, Oboe Roland Fröscher, Euphonium Mecklenburgische Staatskapelle Schwerin Matthias Foremny, Ltg.MDG 901 1642-6 (Hybrid-SACD)

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AUSGABE 2011/2 9

Johannes Eccard war um 1600 einer der be-deutendsten geistlichen Komponisten, dessenWerke noch heute in bekannten Sammlungen

evangelischer Kirchenmusik zu finden sind. DerNorddeutsche Kammerchor unter der Leitungvon Maria Jürgensen ehrt den Thüringer zu des-sen 400. Todestag mit der Erstaufnahme seinereinzigen vollständig erhaltenen Messe, ergänztdurch eine abwechslungsreiche Sammlung vonKantional-, Choral- und bis zu sechstimmigenmotettischen Sätzen.

Bis zum 18. Lebensjahr wuchs Eccard im pro-testantischen Umfeld seiner Heimat auf und er-hielt Gesangsunterricht in der Hofkapelle Weimar.Ab 1571 lernte er als Mitglied der bayerischenHofkapelle das gesamte Repertoire der katholi-schen Kirchenmusik und die weltliche Musik einesprachtliebenden Hofes kennen. KapellmeisterOrlando di Lasso gab ihm damals Kompositions-unterricht. Kurz kehrte Eccard nach Mühlhausenzurück, dann trat er eine Stelle bei Jakob Fugger

in Augsburg an. Hier entstand die fünfstimmigeMesse „Mon coeur se recommende à vous“, dieauf ein Chanson seines Kompositionslehrerszurückgeht. Eccard hatte nun seinen Platz in derkatholischen Kirchenmusik gefunden, mussteaber einsehen, dass ihm als Protestant weitereKarriereschritte verbaut waren.

In Königsberg fand Eccard 1579 eine neuemusikalische Heimat: In Diensten des Markgrafenvon Ansbach baute der Musiker eine evangelischeKantorei auf und komponierte eine Vielzahl vonmehrstimmigen geistlichen Liedern, die auf-grund von Sammelpublikationen auch überre-gionale Beachtung fanden. Als Eccards Spezia-lität galten die „Kantionalmotetten“, in denen erden Motettenstil mit liedhafter Melodik verband.Seine Königsberger Kompositionen hatten sonachhaltige Wirkung, dass Johannes Brahms siemehr als 200 Jahre später in das Repertoire seiner Chöre aufnahm und die Werke Eccardsdamit auf eine Stufe stellte mit denen von Giovanni Gabrieli und Heinrich Schütz.

Im Norddeutschen Kammerchor hat MariaJürgensen im Jahr 2005 erfahrene Chorsängeraus ganz Deutschland zu einem ambitioniertenEnsemble zusammengeführt. Dass die Werke so überaus stimmig, eindrucksvoll und wohl-klingend aus den Lautsprechern strömen, ist sicherlich auch der hervorragenden Akustikder Klosterkirche Cismar zu verdanken, die der3D-Surroundaufnahme auf dieser SACD absolutzur „Schönsten Zier“ gereicht. Lisa Eranos

Johannes Eccard: „Mein schönste Zier“Messe zu fünf StimmenKantionalmotetten durch das KirchenjahrNorddeutscher Kammerchor / Maria Jürgensen, Ltg.MDG 902 1694-6 (Hybrid-SACD)

Edition

HänsslerGünterProfil

NEUHEITEN NEUHEITEN Giuseppe VerdiCANZONE Friedrich Haider, Klavier César Augusto Gutiérrez Paul EdelmannDiana Damrau CD: TLS1005

Felix MendelssohnELIAS Michael Volle · Andrea RostMarjana Lipovsek · HerbertLippert · Letizia ScherrerThomas Cooley · BarbaraFleckenstein · Chor undSymphonieorchester des Bayerischen RundfunksWolfgang Sawallisch 2CD: PH07019

Edition StaatskapelleDresden, Vol. 29 Franz Schubert:Sinfonie Nr. 7„Unvollendete“ Johannes Brahms:Sinfonie Nr. 3Staatskapelle Dresden Colin DavisCD: PH08043

Edition StaatskapelleDresden, Vol. 31 Anton Bruckner:Sinfonie Nr. 8Staatskapelle DresdenChristian Thielemann2SACD: PH10031

Gustav MahlerSinfonie Nr. 9WDR Sinfonieorchester KölnJukka-Pekka SarasteCD: PH10035

Georg Philipp Telemann Kantaten und Oden Akademie für Alte Musik BerlinRené Jacobs CD: PH11012

Edition

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Profil Medien GmbH . Edition Günter Hänssler www.haensslerprofil.de

Vertrieb: NAXOS DEUTSCHLAND GmbH . www.naxos.de

Aktuelle Konzerte:

Norddeutscher Kammerchor

17. 06. 2011 Kunst- und Kulturtage, Klosterkirche Cismar

18. 06. 2011 Chorvesper, St. Jakobi zu Lübeck

19. 06. 2011 Ev. Messe, Hauptkirche St. Michaelis Hamburg

www.norddeutscherkammerchor.de

Mein schönste ZierDer Norddeutsche Kammerchor debütiert mit Werken des Frühbarock-Meisters Johannes Eccard

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10 AUSGABE 2011/2

CLASS a k t u e l l Im Blickpunkt

Antonio Vivaldi (Luigi Dallapiccola)Sechs Sonaten für CelloMartin Rummel, VioloncelloTill Alexander Körber, KlavierJames Tibbles, CembaloMusicaphon M56917

Sechs Sonaten im Vergleich: Einmal dasOriginal, daneben die Bearbeitung. Die Be-schäftigung mit der Musik des Barock warin Italien des beginnenden 20. Jahrhun-derts unter Komponisten sehr verbreitet.Man versuchte, an die große Zeit der italie-nischen Instrumentalmusik anzuknüpfen,nachdem im 19. Jahrhundert die Oper un-angefochten im Vordergrund gestanden warund in der schöpferischen Tätigkeit das Ins-trumentale allzu stark in den Hintergrundhatte treten lassen. Auch Luigi Dallapiccolabeteiligte sich an der Wiederentdeckungder italienischen Musik des Barock. SeineEdition der 6 Sonaten für Violoncello undBasso Continuo von Antonio Vivaldi ausdem Jahre 1955 nimmt allerdings eineSonderstellung in der Auseinandersetzungmit historischer Musik ein. Auf den erstenBlick erscheint Dallapiccola lediglich alsHerausgeber der Vivaldischen Sonaten.

Barock-Revision Wie er im Vorwort erläutert, korrigierte

er lediglich vermutliche Schreib- bzw.Druckfehler in der Cello- und in der Ge-neralbassstimme, welch letztere von derlinken Hand des Pianisten gespielt wird.

Höchst eigenartig dagegen ist die „realization of the Figured Bass“. Das be-scheidene Wort „Realization“ lässt vermu-ten, dass der Herausgeber hier nach derüblichen Weise die Generalbassziffern inNoten aussetzen würde, damit der moder-ne Spieler die richtigen Akkorde mit derrechten Hand greifen könne. Tatsächlichaber hat Dallapiccola einen höchst eigen-ständigen Part für die rechte Hand desPianisten geschaffen, welche das Klavieraus der Rolle des Begleitinstruments herausholt und es zum Dialogpartner desCellos macht. Diese hinzukomponierteKlavieroberstimme nun stellt die beidenvon Vivaldi komponierten Stimmen ineinen völlig neuen Kontext.

Kammermusik

Turning Points Prokofjew, Tschaikowsky, Bach,Gershwin, Mendelssohn Musik für Violine und Klavier Mikhail und Sonya Ovrutsky Berlin Classics 0300060BC

Eine musikalisch-biographische Be-standsaufnahme legt der junge GeigerMikhail Ovrutsky gemeinsam mit seinerSchwester Sonya auf dieser CD vor. ImJahr 1980 in Moskau geboren, ging erschon mit fünf Jahren auf eine Schule fürmusikalisch Hochbegabte. Mit elf Jahrenzog er mit seiner Familie in die USA, wosich eine völlig neue Welt für ihn auftat. Er besuchte unter anderem die JuilliardSchool und lernte eine ganz andere Mu-sikauffassung kennen. Mit sechzehn kamder nächste große Schritt, er kam nachKöln, um beim berühmten GeigenlehrerZakhar Bron zu studieren. Hier lebt er bisheute, ist mittlerweile Brons Assistent undgeht als Künstler seinen Weg. In diesemjungen, aber schon reichhaltigen Lebentrifft die russische Schule auf westlicheTraditionen, und all dies spiegelt sichauch in den eingespielten Stücken wider.Sie sind mit Orten, Erinnerungen undbesonderen Stimmungen verbunden,über die Mikhail Ovrutsky im Booklet-Interview auch ausführlich berichtet.

Den Anfang machen Prokofjews lyri-sche „Fünf Melodien“ und Tschaikowskysgefühlvolles „Souvenir d'un lieu cher“ –beides quasi in der Muttersprache beiderMusiker formuliert. In Bachs konzentrier-ter Solosonata BWV 1001 und Mendels-sohns F-Dur-Sonate von 1838 hingegenzeigt sich die Fragwürdigkeit solcher Eti-kettierungen. Wer hier zuviel Romantisie-rung befürchtet, wird durch eine großeEmotionalität überrascht, die dennoch sogar nichts Aufgesetztes, Übertriebenes hat.Mit einigen Melodien aus Gershwins „Porgyand Bess“ machen die beiden Ovrutskysendgültig klar, daß sie alle musikalischenDialekte beherrschen. Geige und Klaviersind wunderbar natürlich und ausgewo-gen eingefangen – ein rundum empfeh-lenswertes Album für Freunde intensiverKammermusik!

Mauro Giuliani Werke für Flöte und Gitarre Andrea Lieberknecht, FlöteFrank Bungarten, GitarreMDG 905 1635-6 (Hybrid-SACD)

Andrea Lieberknecht und Frank Bun-garten präsentieren die ideale Verbindungihrer beiden Instrumente nun schon zumzweiten Mal auf CD. War ihre „Serenadeto the Dawn“ den modernen Stücken des20. Jahrhunderts gewidmet, haben diebeiden herausragenden Musiker sich jetztdie Kompositionen von Mauro Giulianiaufs Notenpult gelegt.

Traumpaar Flöteund Gitarre

In seiner Heimat nennen sie ihn den„apulischen Orpheus“. Mit 25 ging MauroGiuliani als perfekter Cellist nach Wienund spielt dort die Uraufführung der 7. Sinfonie von Beethoven. Schon baldmachte er Furore mit seinem äußerst vir-tuosen Gitarrenspiel. Seine 1812 veröffent-lichte „Schule für Gitarre“ gilt noch heuteals Wegweiser. Mit seinen Konzerten fürGitarre und Orchester feierte er Triumphe,und in allen europäischen Salons wurdenseine Werke für kleine Besetzung so sehrgeschätzt, dass er einen reichen Fundus anhoch anspruchsvollen Hausmusiken schuf.

Giuliani komponierte Musik mittenaus dem Leben. Seine Notturni op. 86etwa sind voller Poesie. Da flirten Flöteund Gitarre, dass der Schlussakkord nacheinem Nachspiel ruft. Und selbst dieSammlung der „Original Märsche“ (amRande des Wiener Kongresses) klingt ganzund gar nicht martialisch, sondern ehercharaktervoll. Dass er auch die große Formbeherrscht, beweist seine Serenata op. 127.Das „Grand Potpourri“ für Flöte undGitarre, das Quintett aus „Semiramide“und die Serenade schwelgen nur so inZitaten berühmter Opern-Arien und Can-zonetten… Es ist erstaunlich, wie leicht-füßig, präzise und reich an Klangfarbendie bekannten Melodien in so vorzüglichausgehörten Variationen aus den Laut-sprechern perlen.

The Peasant GirlViktoria Mullova, ViolineMatthew Barley, Cello/Arr.Paul Clarvis, Percussion Sam Walton, PercussionJulian Joseph, KlavierOnyx 4070

Dem Cellisten Matthew Barley gelingtes immer wieder Menschen und Kulturenzu verbinden und Genres und Barrierenzu überwinden. Gemeinsam mit den Mu-sikern seiner Gruppe „Between the Notes“stellt er ein neues Projekt auf die Beine, in dem die Ausnahme-Geigerin ViktoriaMullova mit von der Partie ist. Ihre Aus-einandersetzung mit kreativer zeitgenössi-scher Musik, Weltmusik, Jazz und Popmündet in immer neue hoch interessanteund absolut überzeugende Vorhaben. DieIdee zu „The Peasant Girl“ wuchs mit demProjekt. Zunächst suchten Matthew Barleyund Viktoria Mullova einige Stückezusammen, die ihnen einfach gefielen.

Dabei entdeckten sie, dass dieseWerke von Kodaly, Bartok und DjangoReinhardt ihre Wurzeln in Ungarn habenund viele ihren Ursprung in der ländli-chen Bevölkerung. Das Lied „The PeasantGirl“ von Weather Report, das ebenfallszum Repertoire des Projektes gehört,wurde dann zum programmatischen Titeldieser Einspielung. Die Musik mit emo-tionalem Gewicht aus Klassik, Zigeuner-musik und Jazz wird von Viktoria Mullova und dem Ensemble um MatthewBarley in einmaligen Arrangements mitVerve und Herzblut interpretiert. Einevielfältige musikalische Palette an Stim-mungen mit herausragenden Interpreten,die spüren lassen, dass Grenzen über-wunden werden können. Eine musikali-sche Leistung, die begeistert.

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CLASS a k t u e l l

AUSGABE 2011/2 11

Im Blickpunkt

Musik für Saxophon aus Deutschland 1952-1969Werke von Girnatis, Leinert, Krol,Heiden, Reutter, Fiebig, Raphael Frank Lunte, AltsaxophonTatjana Blome, KlavierEDA 33

Herausragende Werke deutscherKomponisten für Saxophon und Klavieraus den ersten beiden Dekaden nach dem 2. Weltkrieg bietet diese CD, über-wiegend in Ersteinspielungen. Die stilis-tische und ästhetische Bandbreite derKompositionen dokumentiert die wech-selvolle Geschichte des Saxophons nachder Stigmatisierung durch die National-sozialisten und das Ringen der Kompo-nisten mit dem Image des Instruments,aber auch mit den Dogmen und Verdiktender Nachkriegsmoderne.

Lost GenerationEine Hommage an das moderne Saxo-

phon und an eine fast vergessene Kompo-nistengeneration. – Das Duo Frank Lunteund Tatjana Blome gründete sich 2001mit dem Vorhaben, Original-Kompositio-nen für Saxophon und Klavier (zunächstaus Berlin, später auch aus ganz Deutsch-land) einzuspielen und aufzuführen.Neben reger Konzerttätigkeit tritt das Duoauch bei Festivals auf, zuletzt bei derGreifswalder Bachwoche und dem Inter-nationalen Festival für zeitgenössischeMusik in Rostov am Don (Russland).Mehrfach war das Duo im Rahmen derBerliner Langen Nacht der Museen zuhören. 2003 wurden die beiden Musikerin Moskau mit der Andrej-Sacharow-Medaille geehrt.

Johannes BrahmsViolinsonatenArabella Steinbacher, ViolineRobert Kulek, KlavierPentatone PTC 5186367

„Es kommt darauf an, das in Musik um-zusetzen, was man in seinem tiefsten Inne-ren spürt“ lautet ein Zitat von ArabellaSteinbacher. Dieses Ziel verfolgt die Geigerin zusammen mit dem PianistenRobert Kulek auf ihrer neuesten Auf-nahme mit sämtlichen Werken für Violineund Klavier von Johannes Brahms. Bereitsim letzten Jahr traten die beiden Interpre-ten mit den eingespielten Violinsonatenbei mehreren Konzerten auf, was zu einergroßen Übereinstimmung im gemein-samen Spiel beiträgt.

Geheime Botschaften

Bei den hier aufgenommenen Werkenhandelt es sich um Kompositionen mitverstecken Botschaften und hoch emotio-nalem Hintergrund. Beispielsweise überdas Adagio der Violinsonate in G-Dur,welches als Hommage an Felix Schumann,dem totkranken Patenkind des Kompo-nisten, gerichtet ist, schreibt Brahms selber an die Mutter Clara Schumann:„Wenn Du Umstehendes recht langsamspielst, sagt es Dir vielleicht deutlicher, als ich es sonst könnte, wie herzlich ichan Dich und Felix denke.“ Beiliegendschickte er die ersten 24 Takte des Ada-gios. Wenige Tage später verstarb ClaraSchumanns Sohn.

Weitere Besonderheit dieser Aufnah-me ist die FAE Sonate, welche ein Gemein-schaftswerk von Albrecht Dietrich, RobertSchumann und Johannes Brahms ist. DieInitialen FAE stehen für das Lebensmotto„frei aber einsam“, welches von dembefreundeten Geiger Joseph Joachim insLeben gerufen worden war und hier in Noten umgesetzt wurde. Lediglich das von Brahms verfasste Scherzo wird bis-lang noch aufgeführt und wurde für dieseAufnahme eingespielt.

Gustav Allan Pettersson Konzert für Violine und Streichquartett3 Stücke für Violine und KlavierSonaten Nr. 2, 3 + 7 für 2 ViolinenYamei Yu, Violine; Andreas Seidel, ViolineChia Chou, KlavierLeipziger StreichquartettMDG 307 1528-2

Als Jugendlicher verkaufte PetterssonWeihnachtskarten, bis das Geld für dieerste Violine reichte. Mit 19 schaffte er alsAutodidakt die Aufnahmeprüfung am Kon-servatorium Stockholm. Neun Jahre späterwurde er Orchestermusiker und investiertesein Gehalt in Kompositionsunterricht. Seinerstes umfangreiches Werk, das Konzertfür Violine und Streichquartett, wurde 1951aufgeführt. In einer temperamentvollenWiedergabe präsentiert Yamei Yu mit demLeipziger Streichquartett, gemeinsam mitdem Geiger Andreas Seidel und dem Pianisten Chia Chou kammermusikalischeWerke des schwedischen Komponisten.

Obwohl er eine Zeitlang in Paris beiArthur Honegger, Darius Milhaud, OlivierMessiaen und René Leibowitz Unterrichtnahm, gingen die Einflüsse von Moderneund Nachkriegs-Avantgarde an Petterssonvorbei. Und so dürfen Klavier und Violinedurchaus auch mal im Wohlklang schwel-gen. Die „Sieben Sonaten für zwei Violinen“aus dem Jahr 1951 spiegeln dann seinenindividuellen Stil höchst eindrucksvoll wie-der: Aus der intimen Kenntnis des Instru-ments heraus geht Pettersson bis an dieGrenzen des Möglichen: Er weiß, was ersich und seinen Interpreten an Virtuositätzumuten kann.

Von der Entstehung des Concerto pourviolon et Quatuor à cordes 1949 berichtetPetterson, er habe es bei einer Radtourkomponiert: „Fast an jeder Weggabelungmusste ich anhalten, um die Töne aufzu-schreiben…“ Aus der Tour wurde nichts,aber wir hören überrascht ein ebenso gewichtiges wie im besten Sinne eigen-williges Violinwerk. Fazit: Eine ebensowillkommene wie spannende Einspielungzum 100. Geburtstag von Allan Pettersson,einem Komponisten, den wir allzu leichtübersehen hätten.

Johannes Brahms Sämtliche Lieder Vol. 2 Christine Schäfer, Sopran Graham Johnson, Klavier Hyperion CDJ 33122

Die Sopranistin Christine Schäfer setztgemeinsam mit Graham Johnson diekürzlich begonnene Gesamtaufnahmealler Lieder von Johannes Brahms fort.Und wieder beindruckt Christine Schäfermit ihrer wandlungsfähigen Stimme.

Wandlungsfähig undfacettenreich

Spielerisch, aufmüpfig, verliebt, eifer-süchtig oder melancholisch – all dieseFacetten, zeigt sie in den Brahms-Liedern.Sie kokettiert in „Das Mädchen spricht“,sie trauert in „Abschied“, sie strahlt vorFreude und Glück in „Juchhe“ und sieschwelgt verliebt in „Die Liebendeschreibt“. An den Konzertabenden, für dieJohannes Brahms seine Lieder schrieb,stellte er an das Ende des Programmseinige seiner Volkslieder. Sie sollten denunbeschwerten Ausklang des Abends bil-den. Graham Johnson übernahm dieseIntention und setzt ans Ende jeder CDeinige der Volkslieder.

Mit diesen beschließt Christine Schä-fer ihr abwechslungsreiches Programmeinmal mehr mit Flexibilität im Ausdruckund herrlichem Glanz.

Eine gelungene Einspielung.

Lied

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12 AUSGABE 2011/2

CLASS a k t u e l l Im Blickpunkt

Orchester und Konzert

Anton Rubinstein (1829-1894)Klavierkonzert Nr. 3 G-Dur op. 45Klavierkonzert Nr. 4 d-Moll op. 70Grigorios Zamparas, KlavierPhilharmonia BulgaricaJon Ceander MitchellCentaur CRC 3032

Anders als heute wurde Rubinstein zu Lebzeiten nicht nur als herausragen-der Pianist, sondern auch als bedeutenderKomponist wahrgenommen, der subs-tantielle Beiträge zur Entwicklung desromantischen Klavierkonzerts leistete undmit diesen Werken in der zweiten Hälftedes 19. Jahrhunderts wahre Triumphe feiern konnte. Doch innerhalb wenigerGenerationen geriet sein komposito-risches Schaffen in Vergessenheit. Daranhatte, wie bei vielen Komponisten, derNationalsozialismus seinen Anteil, indemer Rubinsteins Werk bannte. Aber auch in der Sowjetunion war er wegen seinesromantischen Stils nicht mehr gelitten.Und handwerklich war Rubinstein einSchlamper; seine Partituren und Orches-terstimmen wimmeln vor Fehlern, was beider Revision und aufführungspraktischenEinrichtung seiner Werke bis heute einProblem darstellt und deren Verbreitungnatürlich auch nicht gerade förderte.

Bedeutendes vomSchlamper

Zwei seiner fünf hochromantischenKlavierkonzerte sind auf dieser CD zuhören. Rubinstein orientierte sich in derOrchesterbesetzung ganz am deutschenOrchester der Klassik und Frühromantik:doppelte Holzbläser, Hörner, Trompeten,Pauken und Streicher. Beethoven lässt(formal) grüßen, aber harmonisch weistdas Werk schon weit voraus. Wie Rubinstein selbst wohl diese beiden Klavierkonzerte interpretiert haben mag,kann man noch aus einer Aufnahme mitRubinsteins Schüler Joseph Hofmannerahnen, die zum Glück archivarischnoch zugänglich ist.

Sehnsucht. Hoffnung. WeltgeschehenLübeck Philharmonic live Vol. 8:

Arthur Honegger: Sinfonie Nr. 2 für Streicher und Trompete ad libitumJacques Castérède: Concertino für Trompete, Posaune,Streicher, Klavier und SchlagzeugRichard Strauss: Also sprach Zarathustra, op. 30

Guido Segers, TrompeteDany Bonvin, PosaunePhilharmonisches Orchester der Hansestadt Lübeck Roman Brogli-SacherMusicaphon M 56926 (Hybrid-SACD)

Hoffnung: Mitten im Grauen des zweitenWeltkriegs entstand Honeggers 2. Sinfonie,von Paul Sacher am 18.5.1942 in Zürichuraufgeführt. Honegger gelingt es, überdrei Sätze eine Spannung von Resignationund unerwarteter später Hoffnung auf-zubauen, die den Hörer unmittelbar inden Bann schlägt. Sehnsucht: CastérèdesConcertino entstand 1958 am Ende einesmehrjährigen Romaufenthaltes des fran-zösischen Komponisten und reflektierteine heitere, unbeschwerte Zeit seinesLebens. Ein Werk, das Spielfreude undVirtuosität mit ansprechenden klangli-chen Reizen verbindet.

Symphonischer Ohrwurm

Weltgeschehen: Nietzsches „Also sprachZarathustra“, dichterische Formung seinesGedankenguts, war für Strauß zu einemKultbuch geworden. Ganze Abschnitte lern-te er auswendig und setzte sie in Beziehungzu sich und seiner Umwelt. Aus dieser Aus-einandersetzung entstand seine sechstesymphonische Dichtung, deren Urauffüh-rung er selbst am 27.11.1896 in Frankfurtdirigierte – es wurde ein enthusiastischerErfolg, und heute ist dieses Werk geradezuzum Synonym für Strauss als Orchester-komponist geworden. Über die Grenzen derKlassikliebhaber hinaus wurde es bekanntdurch seinen eindrucksvollen Einsatz alsFilmmusik in Stanley Kubricks monumen-talem Science-Fiction-Film „2001“.

Jean SibeliusSämtliche Werke Vol. 12:Die sieben SymphonienLahti SymphonieorchesterOsmo Vänskä, Jaakko KuusistoBIS-CD-1933

Darauf werden viele Liebhaber,Sammler und Freunde dieser monumen-talen Edition gewartet haben: Die vor-letzte Folge der Serie bringt die Werke,für die Sibelius weltweit vor allem be-kannt geworden ist (neben seinen sym-phonischen Dichtungen, die bereits aufFolge 1 zu hören waren und sind, mit derdie Serie 2007 eröffnete): seine Sympho-nien. Die gehören unbestritten zu denganz großen Werken des 20. Jahrhun-derts. Hier werden sie in einer Interpre-tation durch Osmo Vänskä präsentiert,dem American Record Guide zu FolgeDER Sibelius-Interpret unserer Tage.

Unverzichtbares fürSammler

Vänskä dirigiert das Lahti Sympho-nieorchester, dessen Chefdirigent er 20Jahre lang war. Ergänzt wird die Editiondurch Fragmente und Alternativfassun-gen (ähnlich wie bei Bruckner sindderer nicht wenige), die einen faszinie-renden Blick in die Werkstatt des Kom-ponisten erlauben und von denen hiereinige in Weltersteinspielung zu hörensind. Unter den Alternativfassungen findet sich auch die 1915 entstandeneVersion der Symphonie Nr. 5 sowieFrühfassungen von Sätzen aus den Sym-phonien 1, 2, 3, 4 und 7.

Max Bruch (1838-1920)Violinkonzert Nr. 1 op. 26Romanze F-Dur op. 85Streichquintett a-moll op. posth.Vadim Gluzman, ViolineSandis Steinbergs, ViolineMaxim Rysanov, Ilze Klava, ViolaReinis Birznieks, CelloBergen Philharmonie, Andrew LittonBIS-SACD-1852 (Hybrid-SACD)

Durch die 82 Jahre seines Lebens istBruch den musikalischen Idealen seinerJugend treu geblieben, und das waren Schu-bert, Mendelssohn, Schumann und deut-sche Volkslieder. Das Ergebnis: währender um 1880 als adäquater Zeitgenosse vonBrahms wahrgenommen wurde, galt er beiseinem Tod 1920 als hoffnungslos veraltet.

Aus der Zeit gefallenDabei ist seine Musik von exquisiter

Klangauffassung, schöner Melodiefüh-rung und bewunderswertem Formsinn.Sein 1. Violinkonzert, am 7. Januar 1868(ein Tag nach Bruchs 30. Geburtstag)vom Widmungsträger Joseph Joachim inBremen uraufgeführt, wurde zu einemspektakulären Erfolg gleich von der Urauf-führung an. Es wurde so überaus populär,dass Bruch in späteren Jahren Angst hatte,nur noch als „One-Hit-Wonder“ wahrge-nommen zu werden. Ironisch erließ er ein„Polizeiliches Verbot, betreffend M. B.’serstes Concert“. Gluzman kombiniert den„Hit“ hier mit einer Rarität, einer Violin-version der Romanze F-Dur, eigentlich fürViola und Orchester geschrieben. Bruchverfasste später eine Version für Violineund Klavier, und deren Stimme spielt derAusnahmegeiger Gluzman mit der für ihntypischen Virtuosität und glutvollen Musi-kalität nun zur Orchesterbegleitung derOriginalfassung. Das abschließende Streich-quintett, zupackend, voll jugendlicher Ener-gie, hochromantisch und im Kontext derBruchschen Kompositionsästhetik rund-um gelungen, verblüfft stilistisch in der Tat,wenn man sich klarmacht, dass es zur sel-ben Zeit wie Schönbergs „Pierrot lunaire“,Stravinskys „L’histoire du soldat“ undSaties „Parade“ geschrieben wurde.

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CLASS a k t u e l l

AUSGABE 2011/2 13

Im Blickpunkt

Roland Kunz (*1960)Der Seele Ruh.Oratorium nach Worten von MeisterEckhart; orchestriert von Frank ZabelAndreas Scholl, AltusOrlando und die UnerlöstenCarl Amadeus Hiller, Thomas Sporrer,Odaikoorpheus chor münchenMünchner Rundfunkorchester Anu TaliNewPast NP3721 (2 CD)

„Ein Jahrhundertwerk! Heute ist einStück Musikgeschichte geschrieben wor-den. ,Der Seele Ruh’ hat das Potential, dieBedeutung der Carmina burana zu erlan-gen und kommt den besten Stücken vonLeonard Bernstein nahe.“ Mit solch enthu-siastischen Worten feierte Wilfried Hiller,Orff-Schüler, Komponist und Leiter derInternationalen Orgeltage Nürnberg, dasWerk bei der Uraufführung am 11. Juni2010. Und er hat nicht übertrieben. Denndem studierten Altisten (Ausbildung u.a.bei Kowalski, Cordier und Esswood), Key-boarder und Musikwissenschaftler Kunz,Gründer und Leiter der Band „Orlandound die Unerlösten“, gelingt dank seinerunbefangenen Verschmelzung von Klassik,Jazz, Moderne und Pop, seiner Neugierauf interessante Klangwirkungen, seineroffensichtlichen Begeisterung für dieJahrhunderte alten mystischen Texten Meister Eckarts ein faszinierendes – ja,was eigentlich? – klangliches Gesamt-kunstwerk. Die Texte Eckharts, von alt-testamentarischer Wucht und Sprach-gewalt, werden von Kunz adäquat musi-kalisch ausgedeutet.

Raffinierter Klangkosmos

Der Komponist und Pianist Frank Zabelhat dessen Vorlage raffiniert orchestraleingekleidet. Es entsteht ein an Farbenund Formen reicher archaischer und zu-gleich moderner Klangkosmos. Ein Werk,das keinen Hörer unberührt lassen dürfte.

Franz Liszt (1811-1886)ChristusSólyom-Nagy, Andor, Németz, Réti,Gregor, Básti / Budapest ChorusBudapest Zoltán Kodály MädchenchorSándor Margittay, Orgel und HarmoniumUngarisches Staatsorch., Miklós ForraiHungaroton HCD 32700

Volle zwanzig Jahre hat Liszt an demriesenhaften Christus-Oratorium gearbeitet,vom ersten Kompositionsplan bis zur Ur-aufführung. Fertig gestellt hat er es schließ-lich in Rom, in seiner römischen Periode,die von 1861 bis 1869 dauerte. In dieserZeit nahm er die kleinen geistlichen Weihenan, und nach dem Virtuosen der Wander-jahre, dann dem Hofkapellmeister, trat nunder „Abbé Liszt“ ins Musikleben, der zu-rückgezogen seine Tage mit schöpferischerArbeit hinter den Mauern des KlostersMadonna del Rosario auf dem MonteMario verbrachte. Die Texte entnahm erder „reinen Quelle“, wie er sagte, also derHeiligen Schrift, Gedichten mittelalterlicherHymnendichter und aus der katholischenLiturgie. Und dies führte dazu, dass grego-rianische Melodien das musikalische Ba-sismaterial liefern, von Liszt mit wunder-barer Vielseitigkeit verwendet. Ein kontem-platives, reflektorisches Werk entstand, dassich auf der Ebene der Seele abspielt, einOratorium ohne kontinuierlichen Hand-lungsfaden, ja sogar (fast) ohne „Darstel-ler“: Christus selbst z.B. erscheint alshandelnde Person ganze zweimal. Die Ur-aufführung des drei Stunden dauernden,aus vierzehn Sätzen in drei Teilen bestehen-den Werkes fand schließlich am 29. Mai1873 in der Weimarer Herder-Kirche statt.

Ein Speer in dieZukunft

Der Komponist selbst leitete die drei-hundert Chorsänger und das großbesetzteOrchester im Beisein seiner Tochter Cosima und seines Schwiegersohns RichardWagner. Liszts Freundin, die Fürstin Sayn-Wittgenstein, bemerkte sehr richtig, dasChristus-Oratorium sei unzweifelhaft „einerder Speere, die Liszt in den unendlichenRaum der Zukunft schleudert“.

Oratorium Oper

Giovanni Bottesini (1821-1889)Ero e LeandroMercier, Pasolini, ScandiuzziChorus Claudio MonteverdiOrchestra Filarmonica del PiemonteAldo SalvagnoRegie: Laura Borello, Gregorio ZurlaDynamic CDS33670 (DVD Video) Ersteinspielung

Bottesini? Das ist doch der mit demKontrabass... und dirigiert hat er wohlauch... Hat er in der Tat, zum Beispiel dieUraufführung der „Aida“ aus der Federseines engen Freundes Giuseppe Verdi am 24.12.1871 in Kairo. AusgedehnteKonzertreisen führten ihn immer wiederauch nach Nord- und Mittelamerika.1855 leitete er zusammen mit Berlioz ein international besetzte Orchester inParis anlässlich der Weltausstellung. AberBottesini war eben auch ein sehr erfolg-reicher Komponist; neben vielen bis heuteauf den Spielplänen stehenden Werkenfür den Kontrabass (und weiterer Kam-mermusik) hat er nicht weniger als sieben Opern geschrieben.

Oper vom Kontra-bassisten

Die bis heute bekannteste, Ero eLeandro, hatte am 11. Januar 1879 mitgroßem Erfolg in Turin Premiere. Die lyrische Tragödie in drei Akten schriebBottesini auf einen Text von Arrigo Boito.Trotz nur ganzen drei handelnden Figu-ren versteht es der Komponist, durch ungewöhnliche und sorgfältige Instru-mentierung, einfallsreiche Melodik undVerwendung einer reichen Chromatik(durchaus unter dem Einfluss Wagners,mit dem der Italiener ansonsten nichtsanfangen konnte) immer wieder Span-nung aufzubauen. Ein Werk, das Verglei-che etwa mit Ponchiellis „La Gioconda“oder Boitos „Mefistofele“ in keiner Weisezu scheuen braucht.

Francesco Cilea (1866-1950)Adriana LecouvreurCarosi, Alvarez, Cornetti, Antoniozzi,Del Savio, Casalin, De ChiaraOrchester und Chor des Teatro Regio Torino / Renato PalumboDynamic CDS 628

Mit „Adriana Lecouvreur“ hatte Cileaseinen internationalen Durchbruch. DasLibretto basiert auf dem „Komödien-drama“ oder der „Tragikomödie“ vonEugène Scribe und Ernest Legouvé, 1849geschrieben und war lange Zeit nicht nurin Frankreich, sondern auch in Italienäußerst populär. Kein Wunder, denn dieRolle der Adriana ist wie gemacht fürgroße Tragödinnen; Sarah Bernhardt undEleonora Duse haben sie verkörpert. ImDezember 1900 begann der Komponistmit der Arbeit an diesem Stoff (an demihn sicherlich auch das Szenario des aus-gehenden Rokoko interessierte), und diezog sich hin. Die Instrumentierung derersten drei Akte erfolgte erst im Sommer1902, die Uraufführung schließlich am6.11.1902 in Mailand im Teatro Lirico. In den Folgejahren wurde das Werk invielen Städten Europas, Nord- und Süd-amerikas inszeniert.

FaszinierendeUmsetzung

Was nun Cileas Umsetzung des Scribe-Stoffes auf die Opernbühne so faszinie-rend macht, ist seine organische Formund die Balance zwischen Komödie undDrama in einem einheitlich durchge-haltenen melodischen Fluss, der gekenn-zeichnet ist von zärtlich-elegischem Ge-sang. In den vielen Momenten intensiverKantabilität zeigt sich die starke lyrischeAder Cileas, verbunden mit der hohenQualität einer immer wirkungsvollen undüberaus sorgfältigen Instrumentierung.

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14 AUSGABE 2011/2

Jan Pieterszoon SweelinckOrgelwerke Vol. 1Fantasia à 4 (a1/b-a-c-h)Erbarm dich mein o Herre GottToccatas, Allemanda etc.Harald Vogel, Schwalbennestorgel St. Marien, LemgoMDG 914 1690-6 (Hybrid-SACD)

Der Niederländer Jan PieterszoonSweelinck hat wie kein anderer Musikerden nordeuropäischen Orgelstil des 17. Jahrhunderts geprägt. Seine beson-dere Klangwelt ist jetzt wieder erlebbar:In der Marienkirche in Lemgo hat eine400-jährige Schwalbennest-Orgel aus derRenaissance-Zeit überlebt, deren fehlen-de Pfeifen exakt nach den historischenVorlagen rekonstruiert wurden. Fazit: eineinzigartiges Instrument von europäischemRang ist aus dem Tiefschlaf erweckt.

Zu den ersten Schülern Sweelincks ge-hörte Cornelius Conradi, der später in dieDienste von Graf Simon VI. in Lemgo trat.In dessen Residenz durfte Conradi dieSchwalbennest-Orgel von St. Marien ausdem Jahr 1595 spielen.

VogelstimmenToccaten, Choral- und Psalmvariatio-

nen, eine Echo-Fantasie, das Capricciosowie Liedvariationen und die große B-A-C-H-Fantasie… Die Einspielung stelltein breites Spektrum von SweelincksKompositionen für Tasteninstrumente vor,darunter auch erstmals eingespielte Werke.Das Booklet verzeichnet akribisch diejeweilige Registrierung. Vor allem aberüberrascht die auch akustisch hervorra-gende Mehrkanal-Produktion mit einerkurzweiligen Orgelführung als Bonus.

Harald Vogel gilt als eine führendeAutorität auf dem Gebiet der norddeut-schen Orgelmusik und der Vermittlungalter Spielweisen auf Original-Instrumen-ten. Unter seinen vielen Einspielungenbesitzt die mit vielen Preisen ausgezeich-nete Gesamtaufnahme der OrgelwerkeBuxtehudes bei MDG einen wichtigendokumentarischen Wert.

Franz Liszth-moll-SonateMarc-André Hamelin, KlavierHyperion CDA 67760

Ganz gleich wie viele CDs in diesemJahr zu Ehren von Franz Liszt schon veröffentlicht wurden, wenn Marc-AndréHamelin Werke von Liszt spielt, wirdsicher jeder Klavierliebhaber hellhörig.

Hamelin beginnt mit „Fantasie undFuge über B-A-C-H“, in der der alteBarock-Meister eine Liszt’sche Hommageerhält. Es folgt das in sich gekehrte„Bénédiction du Dieu dans la solitude“,dem Hamelin ganz die überladene Sen-timentalität nimmt und mit stiller Be-schaulichkeit einen bleibenden Eindruckhinterlässt. Das Supplement „Venezia eNapoli“ aus den Années de pèlerinage bildet eine Art Entrée zum Hauptwerk der CD. Marc-André Hamelin spielt die h-moll-Sonate, die als eines der bedeu-tendsten und technisch anspruchsvollstenWerke der Klavierliteratur gilt.

Höhepunkt der Klavierliteratur

Zudem markiert die Sonate einenHöhepunkt im Gesamtschaffen des Kom-ponisten. Vielfach wurde versucht die fastausufernde Form der Sonate zu gliedern.Liszt legt sein Werk nicht in der üblichenSonatensatzform an, sondern lässt dieeinzelnen Teile ohne Pause ineinanderübergehen. Virtuose Solokadenzen wei-sen darauf hin, dass der Komponist mög-licherweise ein „Konzert ohne Orchester“verfassen wollte. Charakteristisch sind diewenigen Kernmotive, die sich durch dasWerk ziehen. Hamelin ist hier ganz in sei-nem Element. Die melodischen Wendun-gen kostet er ebenso aus, wie die virtuo-sen Passagen. Es gelingt ihm, das beinahemonströse Werk unter einen einzigenSpannungsbogen zu legen und den Zu-hörer von der ersten bis zur letzten Notein seinen Bann zu ziehen. Ein großesLiszt-Recital mit einem der berühmtestenKlaviervirtuosen unserer Zeit.

CLASS a k t u e l l Im Blickpunkt

KlavierOrgel

Die großen Zeiten des HarmoniumWerke von Karg-Elert, Saint-Saëns,Lefébure-Wely, Lemmens, Dubois,Bizet, Guilmant, AlmagroJoris Verdin (Référence Harmonium Vol. 1)Gallo GAL-CD-1326

Das Harmonium verdankt seine Erfin-dung der Ende des 18. Jahrhundertsimmer drängender werdenden Frage, wieman bei Tasteninstrumenten die Dynamikeines ausgehaltenen Tones besser kontrol-lieren kann. Orgelbauer wie Erard expe-rimentieren mit neuen Registern, Klavier-bauer entwickeln neue Typen von Ham-merklavieren, Clavichord und Cembaloverschwinden allmählich aus der musika-lischen Praxis – aber niemand findet einepraktische, kompakte, dauerhafte Lösung.Bis 1842 François Alexandre Debain seinHarmonium zum Patent anmeldet.

Dynamisch gestaltet

Endlich gab es ein Instrument, dasden Wünschen der Zeit entsprach. Dennauf dem Harmonium kann man einen Tonaushalten, wie auf der Orgel, ihn aberdennoch dynamisch gestalten. Es ist aberein Missverständnis, wenn man annimmt,das Harmonium habe „nur“ die Orgel er-setzen sollen, auch wenn sich in der Folgein vielen Kirchen Harmonien fanden. Daslag nie in der Absicht des Erfinders.Jedenfalls trat dieses neuartige Instru-ment einen Siegeszug durch Europa,Amerika und Asien an. Diese Aufnahmebietet einen Einblick in das klassischeKonzertrepertoire des Instruments aus denLändern, in denen es sich am stärkstendurchgesetzt hat. Musik, die gedacht warfür einen Kammermusiksaal, einen Salonoder Ausstellungsraum. Die CD spannt denBogen von den Anfängen mit Lefébure-Wely und Saint-Saëns bis zum ersten Drit-tel des 20. Jahrhunderts (Karg-Elert), alsdas Interesse am Harmonium allgemeinwieder erlosch. Verdin spielt an einemInstrument von Victor Mustel von 1891.

Felix Mendelssohn BartholdyDie sechs Sonaten für Orgel(Historische Orgeln und Komponisten Vol. 4)Jan Lehtola, OrgelAlba ABCD324 (Hybrid-SACD)

Während Mendelssohns Präludienund Fugen in Form und Aufbau auf klas-sische Traditionen zurückgreifen, sindseine Sonaten von solchen historischenVerpflichtungen frei und zeitgenössischeMusik im Wortsinn. Diese sechs Sonatensind so gesehen sein Vermächtnis an die Organisten. Schon die Zeitgenossenhaben diese Bedeutung erkannt, denndie Sammlung erschien zeitgleich beivier Verlegern in vier Ländern. Lehtolaspielt diese Kostbarkeiten an der klang-lich wunderbaren, romantischen Orgelvon Marcussen und Sohn (1865 erbaut)in Uusikaupunki (Finnland).

Das VermächtnisJan Lehtola, heute einer der profilier-

testen Organisten Skandinaviens, erhieltseine Ausbildung u.a. bei Jacques vanOortmerssen, Jean Boyer, Ludger Lohmannund Naji Hakim. Er schloss seine Studien1998 mit dem Konzertdiplom mit höchs-ter Auszeichnung ab. Seither ist Lehtolaauf Konzerttourneen durch ganz Europazu hören sowie als Teilnehmer inter-national renommierter Wettbewerbe. Erunterrichtet an der Sibelius Akademie in Helsinki.

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Josef Matthias HauerMusik mit Hölderlin Lieder Klavierstücke op. 25 Holger Falk, TenorSteffen Schleiermacher, KlavierMDG 613 1686-2

Arnold Schönberg gilt als Erfinder derZwölftontechnik. Sein Landsmann JosefMatthias Hauer machte ihm diesen Rufstreitig. An seinem Geburtshaus in WienerNeustadt lässt sich Hauer noch heute als„Entdecker des Zwölftonspiels“ feiern. Ge-nützt hat es ihm wenig: Auf den Konzert-bühnen sind seine Kompositionen sehrselten zu hören. Steffen Schleiermacher undder Tenor Holger Falk rufen uns HauersWerk mit einer Aufnahme von vertontenHölderlin-Gedichten in Erinnerung.

PatentstreitDie stilistische Bandbreite der Hauer-

Lieder ist groß. „Ich fand Lieder zwar inZwölftonreihen, aber mit tonalem har-monischen Gerüst. Ihr Ausdrucksbogenreicht vom dramatischen Stimmeinsatz,vom gar schlichten Kunstlied bis zumSprechgesang. In den späteren Kompo-sitionen treffen innerhalb eines Liedeslyrisch Gesungenes und Sprechgesangdirekt aufeinander“, zeigt sich HolgerFalk nach seiner ersten Begegnung mitHauers Werken überrascht.

Op. 25 bietet Steffen SchleiermacherGelegenheit, seine solistischen Fähigkei-ten unter Beweis zu stellen. Der Pianistzeigt uns, wie er die kleinen „Klavier-stücke mit Überschriften nach den Worten von Friedrich Hölderlin“ versteht,die ebenfalls ohne Tempo- und Dynamik-vorgaben notiert sind. Jeder Klavier-schüler, der diese Stücke als typische Beispiele für die Musik des 20. Jahrhun-derts üben musste, wird dabei erkennen,wie weit er von den Fertigkeiten desführenden Interpreten für die Klavier-musik dieser Zeit entfernt ist ...

CLASS a k t u e l l

AUSGABE 2011/2 15

Im Blickpunkt

Neue Musik

La Spagna Variationen über ein spanischesThema von da Milano, Prätorius,de la Torre, Ghiselin, Dalza, Negri,Kotter, Weck, Desprez, Trabaci,van Eyck, Sweelinck, Cabezon u.v.a.Atrium Musicae de MadridGregorio PaniaguaBIS-SACD-1963 (Hybrid-SACD)

Ein Lied geht um die Welt... „La Spagna“ gehörte zu den erfolgreichstenMelodien des 16. und auch noch des 17. Jahrhunderts (ähnlich vielleicht wieeinige Zeit früher „Est-ce Mars“, über dasnahezu jeder niederländische Komponistseinerzeit eine Messe schrieb). Kaum eineuropäischer Komponist von Rang undNamen, der damals nicht eine Bearbei-tung dieser Melodie vorgelegt hätte.Paniagua, der Viola da gamba bei AugustWenziger und Dirigieren bei Sergiu Celibidache studiert hatte, und sein vonihm 1964 gegründetes legendäres En-semble machten anhand dieses Werkes1980 eine Reise durch Europa und veröf-fentlichten eine der bis heute bestverkauf-ten BIS-Aufnahmen (zunächst auf LPerschienen, dann auf BIS-CD-163 umge-stellt). Zum besonderen Erfolg der Ein-spielung trug seinerzeit insbesondere dieüberragende Klangqualität bei.

Audiophiler Genuss

Zur Freude audiophil orienter Lieb-haber alter Musik kommt hier die Wie-derveröffentlichung auf Super Audio CD(allerdings verständlicherweise ohneMehrkanalfassung). Direkt von den origi-nalen analogen Mastertapes wurde inshochauflösende DSD-Format transferiert.Ein besonderes, den Besitzern und Nut-zern eines SACD-Players vorbehaltenesSchmankerl ist Hans Kotters „SpaniolKochesberger“, der nur auf dem SACD-Layer enthalten und zu hören ist.

Alte Musik

Georg Philipp Telemann (1681-1767)Die Blockflöten-Kollektion: 12 Fantasien; Blockflöten-Duette, Sonaten für Blockflöte und B.c., sämtliche Doppel-konzerte, Ouvertüren, Konzerte, SonatinenClas Pehrsson, Dan Laurin, BlockflöteDrottningholm Baroque EnsembleOlof Larsson, Viola da gambaMichael McCraw, BarockfagottPenelope Evinson, TraversoMaxumi Kamata, CembaloMime Yamahiro Brinkmann, CelloBIS-CD-1488 (6 CDs)

Wofür Telemann zu Lebzeiten als einerder größten Komponisten gefeiert wurde,nämlich sein quantitativ unglaubliches Ge-samtwerk, dafür wurde er später geschol-ten. Verächtlich hat ihm die Nachwelt langeZeit seinen gigantischen Output als „billigeVielschreiberei“ vorgehalten. Absolut unfair,denn die Qualität (Ausnahmen bestätigendie Regel) ist genauso beeindruckend wiedie schiere Anzahl der Stücke. Seine ele-gante Art, scheinbar mühelos Einflüsse ver-schiedener Kulturen zu einem typischenPersonalstil zu verschmelzen, ohne sich zuwiederholen, stets innovativ und auf derHöhe der Zeit zu bleiben, aktuelle Ent-wicklungen aufzunehmen, ist bewunderns-wert. Telemann schrieb sowohl für die (inFrankreich) populärere Traversflöte wiefür die Blockflöte. Die Abgrenzung ist un-scharf; die Werke konnten und können aufbeiden Instrumenten ausgeführt werden.

Elegant und innovativ Den größten Teil dieser für Flöten-

instrumente gedachten Werke findet manin dieser Sammlung, ausgeführt von inter-national bekannten und beliebten Spezia-listen für historische Aufführungspraxis.Darunter natürlich an erster Stelle zunennen Clas Pehrsson und Dan Laurin.Pehrsson studierte historische Auffüh-rungspraxis bei Ferdinand Conrad, Hans-Martin Linde und Nicolaus Harnoncourt.Der weltweit aktive Dan Laurin hat wiePehrsson eine ganze Reihe von Ein-spielungen für das Label BIS vorgelegt,darunter die erste Gesamtaufnahme desmonumentalen „Fluyten Lusthof“ von Jacobvan Eyck auf nicht weniger als 9 CDs.

Geistliche Musik

Johann Sebastian Bach (1685-1750)Sämtliche Kantaten Vol. 48:O ewiges Feuer, o Ursprung der Liebe,BWV 34; Sei Lob und Ehr dem höchs-ten Gut, BWV 117; Was Gott tut, dasist wohlgetan (I), BWV 98; Gott, manlobet dich in der Stille, BWV 120Blazikova, Blaze, Mizukoshi, KooijBach Collegium Japan, Masaaki SuzukiBIS-SACD-1881 (Hybrid-SACD)

Mit dem festlichen Jubel der Kantate 43„O ewiges Feuer, o Ursprung der Liebe“,geschrieben für Pfingsten 1727, aberzurückgehend auf eine frühere Hochzeits-kantate, eröffnet Folge 48 der geprie-senen Serie. Der Jubel kehrt wider in der beschließenden Kantate „Gott, manlobet dich in der Stille“, komponiert 1742für den Festgottesdienst zur Ratswahl inLeipzig. Der Beginn der Kantate muss fürdie Leipziger Ratsherren und die Festge-meinde eine Überraschung gewesen sein,denn sie beginnt nicht mit einem trompe-tenglänzenden Tutti, was zu diesem Anlasswohl zu erwarten gewesen wäre, sonderntextgemäß mit einem „stillen“, klanglichverhaltenen und eher lyrischen Solosatzmit Streichern und Oboen.

Festlicher Jubel Dann aber setzt wuchtig und wir-

kungsvoll der Chor mit vollem Orchesterein: „Jauchzet, ihr erfreuten Stimmen“...Doch das Programm hält auch Momenteder Kontemplation und stillen Schönheitbereit wie etwa die berühmte Altarie „Ichwill dich all mein Leben lang“ aus Kantate117, hier innig gesungen vom Altus RobinBlaze. Kantate 98 bietet eine andereanrührende Arie: „Hört, ihr Augen, auf zu weinen“, vorgetragen vom schlankenSopran Hana Blazikovas, die mittlerweileauch schon zum festen „Inventar“ dieserSerie zählt.

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… als Auftakt zu einer kreativen Kooperation. Die Besetzung desEnsemble Pyramide umfasst Flöte,Oboe, Violine, Viola, Violoncello und Harfe. Durch die jahrelangeZusammenarbeit in der identischenFormation entstand ein unverwech-selbarer Ensembleklang und einebesondere stilistische Flexibilität im Umgang mit Musik,vom Barock bis zum 21. Jahrhundert.

In seinen Konzertprogrammen zeigtdas Ensemble gerne überraschendemusikgeschichtliche Zusammenhängeauf, indem es Alte und Neue Musikeinander gegenüberstellt. Damit verbunden ist der Aufbau eines be-sonderen Repertoires, zu dem nebenden Quartetten und Quintetten der

Klassik die französische Kammermusikmit Harfe aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gehört.

Das Ensemble widmet sich auch derWiederaufführung in Vergessenheitgeratener Werke. Es vergab in denletzten Jahren Kompositionsaufträgean Elena Firsova (Großbritannien),Gao Ping (China/Neuseeland) undRudolf Kelterborn (Schweiz).

Das Ensemble Pyramide veranstaltetseit 1995 eine eigene Konzertreihe inZürich. Für seine aussergewöhnlicheEnsemble- und Repertoirearbeiterhielt das Ensemble im Jahr 2006 diekulturelle Auszeichnung der StadtZürich „Werkjahr für Interpretation“.

Hans-Dietmar Zolliker

Der Arrangeur schreibt über seine Arbeit: „Diese Transkriptionen sind als Verwirklichungeines musikalischen Traums zu verstehen: Wie würde es klingen, wenn Claude Debussyein Stück für das Ensemble Pyramide geschrieben hätte? Die Grundlage der Instrumentationen bilden die Klavierfassungen aller vier Werke; diejeweiligen Orchesterfassungen wurden aber auch zu Rate gezogen, besonders wenn sievom Komponisten stammen oder von ihm autorisiert wurden.Es versteht sich von selbst, dass ich nicht versucht habe, Ravel, Debussy oder Pierné zu ver-bessern, das wäre ein aussichtsloses Unternehmen und anmassend dazu. Mein Ziel wares lediglich, dieser Musik, die mir so viel bedeutet, eine kammermusikalische Form zuverleihen, die ihre Intimität unterstreicht.“

a Portrait CDX-21006Wolfgang A. Mozart Quartett für Oboe und Streichtrio C-dur KV Anh. 171 (1778) Henri Dutilleux Quintette pour flûte, violon, alto, violoncelle et harpe (1943) *Wolfgang A. Mozart Adagio und Allegro f-moll KV 594 für Flöte, Oboe, Violine, Viola und Violoncello (1790) *Jacques Ibert Trio für Violine, Violoncello und Harfe (1944)Maurice Ravel Pavane pour une infante défunte (1899) *

Suites Françaises CDX-21005 (Im Handel ab Ende August 2011)Maurice Ravel Le tombeau de Couperin (1914-1917) * Claude Debussy Petite Suite (1889) * – Six épigraphes antiques (1914) *Gabriel Pierné Album pour mes petits amis op. 14 (1887) *

* Transkriptionen: Markus Brönnimann

V E R T R I E B E :Deutschland: Naxos | Oesterreich: Gramola | Schweiz: Musiktraum (Guild)

L A B E L S S T E L L E N V O R :

Ensemble Pyramide bei Divox

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DIVOX PRÄSENTIERT DAS

ENSEMBLE PYRAMIDEZU DESSEN 20-JÄHRIGEM JUBILÄUM…

CDX-21006

CDX-21005

Ensemble Pyramide: Markus Brönnimann, Flöte, PiccoloBarbara Tillmann, Oboe, Englischhorn Ulrike Jacoby, Violine Muriel Schweizer, Viola Anita Jehli, Violoncello Jaël Bertschinger, Harfe

Andreas Ruge, Tonmeister

www.ensemble-pyramide.chwww.divox.com | [email protected]