DavidKaldewey MethodologischeÜberlegungenzum … · 2014. 3. 26. · Augustinus...
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David Kaldewey
Differenzierungs-theorie undKultursoziologie
Ein kultursoziolo-gisches Updateder Differenzie-rungstheorie
MethodologischeÜberlegungen
Konsequenzenfür historischePerspektiven derKultursoziologie
Methodologische Überlegungen zumVerhältnis von Kultursoziologie und
Differerenzierungstheorie
David Kaldewey
Graduiertenkolleg »Präsenz und implizites Wissen«Institut für Soziologie, Universität Erlangen
Beitrag zur Sektionsveranstaltung der Sektion Kultursoziologie imRahmen des DGS-Kongresses in Bochum/Dortmund:
»Die Geschichtlichkeit der Kultur – historische Perspektiven derKultursoziologie«
02.10.2012
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Ein kultursoziolo-gisches Updateder Differenzie-rungstheorie
MethodologischeÜberlegungen
Konsequenzenfür historischePerspektiven derKultursoziologie
Differenzierungstheorie und Kultursoziologie
Ein kultursoziologisches Update der Differenzierungstheorie
Methodologische Überlegungen
Konsequenzen für historische Perspektiven derKultursoziologie
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Ein kultursoziolo-gisches Updateder Differenzie-rungstheorie
MethodologischeÜberlegungen
Konsequenzenfür historischePerspektiven derKultursoziologie
Was ist der Gegenstand derDifferenzierungstheorie?
I »Kultursysteme« (Dilthey)I »Wertsphären« (Weber)I »Subsysteme der Gesellschaft« (Parsons)I »Funktionssysteme« (Luhmann)I »Teilsysteme« (Schimank)I »Soziale Felder« (Bourdieu)I »macrosocial supercategories« (Harris)
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Ein kultursoziolo-gisches Updateder Differenzie-rungstheorie
MethodologischeÜberlegungen
Konsequenzenfür historischePerspektiven derKultursoziologie
Was ist der Gegenstand der Kultursoziologie?
I Zum einen erscheint Kultur als ein sozialer Teilbereichunter anderem, so insbesondere bei Parsons, der vierprimäre Subsystemen der Gesellschaft unterscheidet:
I (A) WirtschaftI (G) PolitikI ( I ) GemeinwesenI (L) Kultur
I Zum anderen erscheint »Kultur« als Komplementär-begriff zu »Struktur«. Oft geht damit eine implizitehart/weich-Unterscheidung einher (Göbel 2005; Hays1994; Sewell 1992), auch eine entsprechendedisziplinäre Binnendifferenzierung wird angedeutet:
I Realsoziologie / Kultursoziologie (Scheler)I Struktursoziologie / Kultursoziologie (Alkemeyer)I Sozialwissenschaften / Kulturwissenschaften
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Varianten der Struktur/Kultur-Unterscheidung
I Marx: Basis / ÜberbauI Scheler: Realfaktoren / IdealfaktorenI Weber: Lebensordnungen / WertsphärenI Bourdieu: (Sozialer) Raum der Positionen /
(Symbolischer) Raum der WerkeI Neoinstitutionalismus: Aktivitätsstruktur /
Formalstruktur (»action« / »talk«)I Luhmann I: Gesellschaftsstruktur / SemantikI Luhmann II: Operation / Beobachtung
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Die systemtheoretische Struktur/Semantik-Debatte (Stäheli, Kogge, Stichweh, Göbel,Burkart, Srubar)
I Auch Semantik fungiert als StrukturI Kritik am NachträglichkeitstheoremI Kritik an der Vernachlässigung der Alltagssemantik
gegenüber der »gepflegten Semantik«I Kritik an der Beschränkung auf eine
»Transformationsbegleitforschung für den Übergangvon stratifikatorischer zu funktionaler Differenzierung«(Göbel)
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Konsequenzen aus der Struktur/Semantik-Debatte
I Die Semantik kann sich zur Struktur rekonstruktiv,antizipativ oder sogar konstitutiv verhalten (Stichweh)
I Empirisch fruchtbar machen lässt sich dieStruktur/Semantik-Unterscheidung weniger bzgl. derGesamtgesellschaft als bzgl. konkreter(Funktions-)systeme
I Eine zentrale Prämisse des späten Luhmanns ist, dassSysteme über eine operative und eine semantischeEbene verfügen – und dass auf beiden EbenenDifferenzierungsprozesse stattfinden
I Überraschende Parallele in der handlungstheoretischenDifferenzierungstheorie:
I Schwinn (2001): strukturelle und ideelle Ebene der»Sphären« (Form/Geist)
I Schmidt (2005): Lebensordnungen / Wertsphären
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Einführung des Diskursbegriffs
I Ausgehend von der Unterscheidung einer operativenund einer semantischen Ebene von Systemen könnenzwei Formen der Innendifferenzierung unterschiedenwerden: Subsysteme und Diskurse
I Definitionen des Diskursbegriffs:I Bora (2005): Diskurs als »eine Form der internen
Differenzierung von Sozialsystemen«I Stichweh (2006): Diskurs als ein »System
verselbständigter semantischer Produktion, das in sichselbst zirkuliert«
I Forschungspraktische Vorteile des Diskursbegriffs:I Vermeidung der Singularisierung des Kultur- bzw.
SemantikbegriffsI Diskurse sind nicht »autopoietisch geschlossen«I Diskurse als eigenständige Untersuchungsgegenstände
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Von der Struktur/Semantik-Unterscheidung zurTrias: System / Diskurs / Semantik
I Verhältnis Diskurs / SemantikI Diskurse sind Strukturen, die unter der semantischen
Oberfläche operierenI Anders als etwa semantische Felder sind Diskurse also
nicht unmittelbar empirisch zugänglichI Verhältnis Diskurs / System
I Diskurse sind nicht gänzlich freischwebend, sonderneingebettet in systemische Strukturen bzw. in diesemantische Ebene von Systemen
I In handlungstheoretischer Perspektive könnte derSystembegriff ersetzt werden durch Konzepte wie»Seinslagen« oder »Diskursgemeinschaften«
I Kurz: Die Rekonstruktion von Diskursen geschiehteinerseits empirisch, u. a. über Semantikanalysen,andererseits theoretisch, d. h. ausgehend vonVermutungen über die Operationsweise von Systemen
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Beispiel: Skizze eines integrativen soziologischenWissenschaftsbegriffs3 Die Semantik der Wissenschaft
Semantische Ebene der Wissenschaft Differenzierung von Diskursen, z. B.:
MethodendiskurseTheoriediskurseAutonomiediskursePraxisdiskurse
Operative Ebene der Wissenschaft Differenzierung von Subsystemen, z. B.:
ForschergruppenDisziplinäre GemeinschaftenEpistemische KulturenNetzwerke, Kollektive, Hybride etc.
Organisationale Ebene der Wissenschaft Differenzierung von Organisationen, z. B.:
UniversitätenAkademienForschungsinstituteZeitschriften, Verlage
Abbildung 3.3Skizze eines integrativen Wissenschaftsbegriffs
tischen Superkategorie der modernen Gesellschaft (vgl. Kap. 3.1). In einem ganzähnlichen Sinne wird die Systemtheorie heutzutage weniger als Makro-Soziolo-gie denn als als operative Theorie begriffen, die »den Vollzug der Gesellschaftin konkreten Operationen« beschreibt (Nassehi 2004, S. 105). Eben deshalb ver-mag die Konzeption einer Semantik der Wissenschaft auch Beiträge zu den vonden anderen Paradigmen besetzten Domänen zu leisten. Auf eine weitergehen-de und umfassende Diskussion aller wissenschaftssoziologisch relevanten Aspekteder Systemtheorie wird hier jedoch ebenso verzichtet wie auf eine entsprechen-de Rezeption der konkurrierenden Ansätze. In Abbildung 3.3 ist zumindest ingroben Zügen angedeutet, wie auf dieser Grundlage ein integratives Modell derWissenschaft entworfen werden könnte. Die Grafik zeigt auch, dass die hier ver-tretene Luhmann-Lektüre eine partielle ist, da sie sich auf die semantische Ebenebeschränkt. Deren Erforschung, das wird sich im Folgenden zeigen, ist dennochanspruchsvoll genug.
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Luhmanns Wissenschaftsbegriff – orthodox
3.3 Die Härte des Codes und die Ambiguität der Semantik
Code Code
Programme Referenz
. & . &Methoden
⇠Funktion:
Binarisierung, d. h.Diskriminierung zw.richtiger und falscher
Verwendung derCodewerte
⇠Selbstreferenz
Theorien⇠
Funktion:Externalisierung, d. h.
Konstitution desGegenstandes
wissenschaftlicherErkenntnis
⇠Fremdreferenz
Selbstreferenz⇠
re-entry des Systemsz. B. als
›Erkenntnis‹›Wahrheit‹
›Wissenschaft‹›Autonomie‹›Funktion‹
›Grundlagenforsch.‹
Fremdreferenz⇠
re-entry der Umweltz. B. als
›Gegenstand‹›Nützlichkeit‹
›Praxis‹›Heteronomie‹
›Leistung‹›Angewandte Forsch.‹
wissenschaftlichenWissens
wissenschaftlichenWissens
& .
Selbstbeobachtung, Selbstbeschreibung,& . Reflexion, Reflexionstheorie
⇠Limitationalität Reflexion
⇠ ⇠Funktion: Funktion:
Transformation unbestimmbarer Konstitution der Identität des Systemsin bestimmbare Komplexität in Differenz zu seiner Umwelt
Abbildung 3.1Die Semantik der Wissenschaft nach Luhmann (1990)
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Luhmanns Wissenschaftsbegriff – revisited
3.4 Die Diskursivität der Semantik
Code
Semantik
Methodendiskurse Theoriediskurse Autonomiediskurse Praxisdiskurse⇠
Funktion:Binarisierung
bzw. Codierung derSelbstreferenz
wissenschaftlichenWissens
⇠Funktion:
Externalisiserungbzw. Codierung der
Fremdreferenzwissenschaftlichen
Wissens
⇠Funktion:
Identitätsarbeit mitSchwerpunkt auf den(selbstreferentiellen)Funktionsaspekt des
Systems
⇠Funktion:
Identitätsarbeit mitSchwerpunkt auf den(fremdreferentiellen)Leistungsaspekt des
System
. & . & . & . &Limit. Reflex. Limit. Reflex. Limit. Reflex. Limit. Reflex.
Abbildung 3.2Die Semantik der Wissenschaft und ihre Diskurse
(in Anlehnung an Luhmann 1990)
man verschiedene Diskurstypen unterscheiden: Auf der einen Seite Methoden-und Theoriediskurse, auf der anderen Seite Autonomie- und Praxisdiskurse.
Während Luhmann die Funktionskomplexe der Limitationalität (Theorien,Methoden) und der Reflexion (Selbstbeschreibungen etc.) unverbunden neben-einander stehen lässt, wird hier vorgeschlagen, sich im Rahmen der Theorie-bildung auf die vier Diskurstypen zu konzentrieren, um dann im Hinblick aufkonkrete, empirisch rekonstruierte Diskurse zu fragen, ob und in welcher Wei-se diese Limitationalitäts- und/oder Reflexionsfunktionen erfüllen; oder andersformuliert, ob und in welcher Weise sie als Limitationalitätsdiskurse und/oderReflexionsdiskurse fungieren. Folgt man den luhmannschen Präsuppositionen,dann müsste man vermuten: Methodendiskurse und Theoriediskurse sind Limi-tationalitätsdiskurse, Autonomiediskurse und Praxisdiskurse dagegen sind Re-flexionsdiskurse. Diese Subsumtion scheitert aber an der Empirie, wie sich unteranderem auch in den Fallstudien der Kapitel 5 bis 7 zeigen wird, wie aber bereitsvorweg mit wenigen Überlegungen gezeigt werden kann.
Reflexionsdiskurse, so kann man ausgehend von der bisherigen Begriffsbil-dung festhalten, dienen dazu, die Einheit des Systems in Differenz zu seinerUmwelt zu beobachten, zu beschreiben, zu reflektieren, und in eine für die weite-ren Operationen des Systems anschlussfähige Identität zu transformieren – mankönnte deshalb, wie schon angedeutet, anstelle von Reflexionsdiskursen auch vonIdentitätsarbeit oder von Identitätsdiskursen sprechen. Verfolgt man nun klas-
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These: Die Trias (System / Diskurs / Semantik)ermöglicht neue Perspektiven für die historisch-soziologische Forschung
I Semantik (insb. in Form semantischer Felder) alsempirisches Material, erschließbar u. a. mit denklassischen Methoden der Begriffsgeschichte und derlinguistischen Semantik
I Diskurse als Forschungsgegenstände mittlererReichweite
I Historische Ausdifferenzierung von Funktionssystemenund entsprechenden Sozialstrukturen als theoretischesHintergrundwissen (historisch und soziologisch)
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Studie: »Wahrheit und Nützlichkeit –Autonomiediskurse und Praxisdiskurse alsSelbstbeschreibungen des Wissenschaftssystems«
I Empirisches Material: Historische Semantiken von derantiken Trias von Theorie, Praxis und Poiesis bis zurmodernen Unterscheidung von Grundlagenforschungund angewandter Forschung
I Forschungsgegenstand: Autonomiediskurse undPraxisdiskurse
I Theoretisches Hintergrundwissen:Wissenschaftsgeschichte, Wissenschaftsphilosophie undWissenschaftssoziologie (mit Schwerpunkt aufLuhmanns »Die Wissenschaft der Gesellschaft«)
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Historisch-soziologische Fallstudien
I Theorie und Praxis als Lebensformen(von der Antike bis zur Renaissance)
I Die Idee der nützlichen Universität(vom 12. bis 18. Jahrhundert)
I Reine und angewandte Wissenschaft(vom 18. Jahrhundert bis heute)
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Beispiele für semantische Felder
5 Theorie und Praxis als Lebensformen
Hauswirtschaft Politik Philosophie Handwerk(o koc) (pÏlic) (filosof–a) (tËqnh)
Seelenteile(Platon)
Begehren(‚pijum–a)
Mut(jumÏc)
Vernunft(lÏgoc)
Wissensweisen(Platon)
erkennend-theoretisch(‚pist†mhgnwstik†)
praktisch-tätig
(‚pist†mhpraktik†)
Lebensformen(Aristoteles)
Leben desGenusses
(b–ocÇpolaustikÏc)
bürgerlich-politisches
Leben(b–oc politikÏc)
theoretisch-philosophisches
Leben(b–oc jewrhtikÏc)
dianoetischeTugenden(Aristoteles)
sittlicheEinsicht
(frÏnhsic)
wissenschaftlicheErkenntnis(‚pist†mh),
inuitiver Verstand(nouc),
philosophischeWeisheit(sof–a)
praktischesKönnen(tËqnh)
Handlungsformen(Aristoteles)
Praxis(praxic)
Theorie(jewr–a)
Poiesis(po–hsic)
Abbildung 5.1Semantiken der griechischen Antike
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Beispiele für semantische Felder
5 Theorie und Praxis als Lebensformen
Diesseits Jenseits
Clemens von Weg der Werke Weg der GnosisAlexandria (Írga) (gnwsic)
Evagrius reinigende Praxis theoretische ErkenntnisPonticus (praktikÏc) (gnwstikÏc)
. & . &1. Stufe:
Leidenschafts-losigkeit(Çpàjeia)
2. Stufe:Liebe
(Çgàph)
1. Stufe:Anschauungder Natur(jewr–afusik†)
2. Stufe:Anschauung
Gottes(jewr–ajeologik†)
Augustinus 1. Stufe der Innerlichkeit 2. Stufe der Innerlichkeit(›actio‹) (›contemplatio‹)
Das nach außen tätige Leben Das nach außen beschauliche Leben(›genus vitae negotiosum‹) (›genus vitae otiosum‹)
& .Synthese
(›genus compositium‹)
Gregor der Nächstenliebe GottesliebeGroße & .
Liebe als innere Klammer(›Ipse amor notitia est‹)
Thomas von ›vita activa‹ ›vita contemplativa‹Aquin . &
Beschauung dergöttlichenWirkungen
Beschauung dergöttlichenWahrheit
Abbildung 5.4Semantiken des Frühchristentums und der Mönchstheologie
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Beispiele für semantische Felder6 Die Idee der nützlichen Universität
Kirche Staat Universität
Alexander von Roes:– drei Potenzen,
›sacerdotium‹(Priester-/Papsttum)
›regnum‹/›imperium‹(König-/Kaisertum)
›studium‹(Wissenschaft)
– drei Völker, Italien Deutschland Frankreich
– drei Stände, ›populus‹ ›militia‹ ›clerus‹
– drei menschlicheGrundtriebe
›amor habendi‹(Haben-Wollen)
›amor dominandi‹(Herrschen-Wollen)
›amor sciendi‹(Wissen-Wollen)
Tolomeus von Lucca ›divinus cultus‹(Gottesdienst)
›secularis potestas‹(weltliche Gewalt)
›sapientia scholastica‹(Schulweisheit)
Wilhelm von Nangis ›fides‹(Glaube)
›militia‹(Ritterschaft)
›sapientia‹(Weisheit)
Friedrich Schlegel Religion/Seele Staat/Körper Wissenschaft/Geist
Jacob Burckhardt Religion Staat Kultur
Abbildung 6.1Die Semantik der drei Potenzen im 13. und ihr Nachhall im 19. Jahrhundert
(in Anlehnung an Grundmann 1951/52)
scholastica‹), während letzterer mit einer äquivalenten Figur die Überlegenheitseiner eigenen Nation gegenüber anderen Ländern zu demonstrieren sucht: Frank-reich und sein König, so meint er, seien dreifach begnadet durch den Glauben(›fides‹), die Ritterschaft (›militia‹), und die Weisheit (›sapientia‹) – dafür ste-he die dreiblättrige Lilienblüte des französischen Königswappens (Grundmann1951/52, S. 9–16; 1960, S. 60 f.). »Als hätte der Gedanke an die zusammenge-hörige Dreiheit von Glaube, Macht und Wissenschaft in der Luft gelegen«, soresümmiert Grundmann, »greift ihn jeder auf, um ihn in seine Denkform einzu-fügen und umzuprägen« (1951/52, S. 16).
Auch wenn in einigen der von Grundmann verarbeiteten Quellen das ›studi-um‹ sehr konkret für die Pariser Universität steht, so deutet sich in anderen Quel-len eben der Abstraktionsschritt an, der das ›studium‹ zu einer überregionalenReferenz macht. In der folgenden Zeit entwickelt sich die zunächst an lokale Schu-len gebundene Gelehrsamkeit demnach zur »Großmacht Wissenschaft« (ebd.,S. 18). In der Terminologie der vorliegenden Arbeit kann man also durchaus sa-gen, dass im 13. Jahrhundert gebräuchliche Begriffe wie ›studium‹, ›sapientia‹
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Beispiele für semantische Felder
6.3 Der Praxisdiskurs der Aufklärung
Kirche Universität Staat
17. Jh. Weisheit Gelehrsamkeit Klugheit& . & .
›scientia‹ ›historia‹
Universalismus Kosmopolitismus Partikularismus
Polemik der ›Pedanterie‹ ›Galanterie‹(frühen) (universitäre (höfischeAufklärung Gelehrsamkeit) Geselligkeit)
›Schulfüchserey‹ ›honnête homme‹›Wortkrämerey‹ ›galant homme‹
›Mönchsbarbarei‹ ›Buchgelehrsamkeit‹
18. Jh. Glauben Wahrheit Nützlichkeit& .
›nützliche Wissenschaften‹
Resewitz 1776 ›Gelehrter‹ ›Geschäftsmann‹(findet d. Wahrheit) (wendet d. Wahrheit an)
Schiller 1789 ›philosophischer Kopf‹ ›Brotgelehrter‹
Kant 1798 ›Geschäftsleute oder ›eigentliche Gelehrte‹ ›Geschäftsleute oderWerkkundige der Werkkundige derGelehrsamkeit‹ Gelehrsamkeit‹
Theologie Philosophie Jurisprudenz. &
reine historischeVernunfterkenntnis Erkenntnis
Religion Wissenschaft Politik
Abbildung 6.2Die Semantik der Gelehrsamkeit im 17. und 18. Jahrhundert
(in Anlehnung an Stichweh 1991)
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Beispiele für semantische Felder
7 Von der reinen Wissenschaft zur angewandten Forschung
Theorie Praxis
Boethius (6. Jh.) ›scientia speculativa‹ ›scientia practica‹
Schule von Toledo ›medicina theorica‹ ›medicina practica‹
Hugo (12. Jh.) ›geometria theorica‹ ›geometria practica‹
Van Roomen (1602) ›mathematica pura‹ ›mathematica mixta‹
Bacon (1605) ›pure mathematics‹ ›mixed mathematics‹
Wolff (1716) ›mathesis theoretica‹ ›mathesis practica‹›mathesis pura sive simplex‹ ›mathesis impura sive mixta‹
Wallerius (1751) ›chemia pura‹ ›chemia applicata‹
Reine Wissenschaft Angewandte Wissenschaft
Abbildung 7.2Vorstufen des dichotomen Modells
untersuchte Fall des Chemikers Wallerius und der Selbstdarstellung der ChemieMitte des 18. Jahrhunderts ist nun vor allem deshalb interessant, weil hier dergordische Knoten der vielfältigen antiken, scholastischen und frühneuzeitlichenSinnschichten mit einer einzigen semantischen Setzung durchschlagen wird. Eslohnt sich deshalb, Wallerius’ semantische Strategie noch etwas genauer zu be-trachten.
Johan Gottschalk Wallerius’ Neukonzeption der Chemie (1751)
Wie oben schon angedeutet, hatte die frühe Chemie im universitären Kontextmit allerlei Vorurteilen zu kämpfen, die vor allem mit ihrer unabdingbaren Ver-ortung im Labor, mit ihrer experimentellen Praxis einhergingen. Gemäß dentraditionellen Vorstellungen handelte es sich bei der Chemie eben deshalb umeine bloße Kunst (›ars‹), nicht aber um eine Wissenschaft (›scientia‹). Für dieInstitutionalisierung der Disziplin und für die dafür benötigte gesellschaftlicheUnterstützung war dieser »Ruch des Unakademischen, Handwerklichen und nochdazu Unreinlichen« ein elementares Hindernis (Meinel 1985, S. 28). Um in denRang einer Wissenschaft aufzusteigen, galt es deshalb zunächst, die meist nur inForm isolierter Fakten vorliegenden Ergebnisse der praktischen Forschung mit-tels allgemeingültiger Theorien, Methoden und Nomenklaturen in die Form eines
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Beispiele für semantische Felder7.5 Tod und Leben des linearen Modells
1. Stufe 2. Stufe 3. Stufe 4. Stufe
——————— research ——————— ——— innovation ———
Mees (1920) ——— pure ——— applied development manu-factoring
Huxley (1934) background basic ad hoc development
Schumpeter (1939) invention innovation
Bernal (1939) —— pure/fundamental —— applied
Stevens (1941) fundamental pioneering applied test-tube,pilot plant
production
Bichowsky (1942) ——— pure ——— —— laboratory work —— factory
Bush (1945) ——— basic ——— applied development
Steelman (1947) fundamental background applied development
Canadian, DRS(1947)
pure background applied development analysis,testing
Furnas (1948) fundamental/exploratory applied development production
Conant in NSF uncommitted —— programmatic ——(1951)Brozen (1951) —— fundamental/basic —— applied development production,
serviceMaclaurin (1953) ——— pure ——— invention innovation finance,
acceptanceDearborn et al. —— uncommitted —— applied development(1953)US, NSF (1953) ——— basic ——— applied development
UK, DSIR (1958) ——— basic ——— applied development prototype
OECD Frascati —— fundamental —— applied development non-researchManual (1963)US, Waterman(1965)
free basic mission-related basic
applied
Brooks (1967) basic/pure/fundamental
mission-oriented
basic
applied
OECD Frascati pure oriented applied experimentalManual (1970) basic basic development
Abbildung 7.5Variationen des linearen Modells, 1920–1970
(in Anlehnung an Godin 2006a,b)
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Historische These I
Bedeutung der antiken und mittelalterlichen Theorie/Praxis-Semantik sowie der Unterscheidung zweier entsprechenderLebensformen (»vita contemplativa« und »vita actia«) fürdie spätere Ausdifferenzierung der modernen Wissenschaft:Die historischen Analysen machen eine religiöse und einepolitische Wurzel der Semantik der Wissenschaft sichtbar.
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Historische These II
Die Semantik der Universität und die Semantik derWissenschaft fallen im Mittelalter und in der frühen Neuzeitineinander. Die Spannung von »Wahrheit« und»Nützlichkeit«, d.h. die Frage nach der Identität derWissenschaft und ihrem Verhältnis zu Staat und Kirchekönnen deshalb auf der Ebene der Organisation gelöstwerden: In Form der Vier-Fakultäten-Universität.
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Historische These III
Die Unterscheidung von Grundlagenforschung undangewandter Forschung sowie das im 20. Jahrhundertemergierende »lineare Innovationsmodell« ermöglichen eineAustarierung von Autonomie- und Praxisdiskursen auf derEbene der Semantik des Wissenschaftssystems selbst. Esentstehen Einheitsnarrative, die die unterschiedlichenFormen autonomer und praxisrelevanter Wissenschaft zuintegrieren vermögen. Diese Identitätsarbeit findet ihrenhistorischen Ausdruck in der Substitution der Semantik der»reinen« Wissenschaft durch diejenige der»Grundlagenforschung« seit den 1940er Jahren.
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