DER SPIEGEL 2015.03: Rechte Spaßgesellschaft

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I m Zentralgasthof von Weinböhla haben die Veranstalter ein sicheres Gespür dafür, was bei den Menschen im säch- sischen Elbtal ankommt: „Sternstunden des volkstümlichen Schlagers“ gehören zum Programm, ebenso ein Dresdner Ka- barettist, der als Honecker-Imitator beliebt ist. Auch Thilo Sarrazin ist hier bereits auf- getreten. Es ist ein Freitagabend im vergangenen November, draußen vor der Tür stehen etwa 50 Demonstranten, junge Leute zu- meist. Sie nennen den Autor einen „Men- schenfeind und Schwätzer“. Auf einem Transparent steht: „Wer glaubt, dass Sar- razin die Wahrheit spricht, der glaubt auch, dass die Erde eine Scheibe ist.“ Drinnen im historischen Ballsaal befinden sich zehn- mal so viele Menschen. Sie feiern Sarrazin als einen unbequemen Denker, der aus- spricht, was sie fühlen. Es sind Büroange- stellte, Kleinunternehmer, Handwerker, normale Sachsen. Im Publikum sitzen Siegfried Däbritz und Thomas Tallacker. Sie haben Sarrazins Bestseller „Deutschland schafft sich ab“ gelesen, aber Lektüre genügt ihnen nicht mehr. Fast jeden Montag sind Däbritz, der als Security-Mann arbeitet, und Innenaus- statter Tallacker ganz vorn dabei, wenn in Dresden eine junge, im Spätherbst noch kaum bekannte Gruppe auf die Straße zieht, die sich Pegida nennt, „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“. Die beiden Männer gehören zum Orga- nisationsteam von Pegida, mit acht Gleich- gesinnten bilden sie den harten Kern der Anti-Islam-Bewegung. Sie diskutieren in regelmäßigen Treffen ihre inhaltliche Agenda, sie bereiten die montäglichen De- monstrationen vor, sie halten Kontakt zu Protestgruppen in anderen Orten. Kurz vor Weihnachten haben sie einen eigenen Verein gegründet. Und Woche für Woche wächst seit No- vember die Zahl der Pegida-Anhänger. Zu- letzt versammelten sich 18000 Menschen in der Innenstadt. An diesem Montag soll es weitergehen – nach dem Anschlag auf die Redaktion von „Charlie Hebdo“ er- warten die Organisatoren einen erneuten Teilnehmerrekord bei ihrem „Großen Abendspaziergang“, zu dem sie diesmal um „Trauerflor für die Terroropfer von Paris“ bitten. Während in Berlin oder Köln bislang nur wenige Hundert „Patriotische Euro- päer“ demonstrierten, entwickelt sich Dresden zum Zentrum der Bewegung, zur Attraktion für Islamfeinde. Aus ganz Deutschland reisen sie inzwischen in die sächsische Landeshauptstadt, um sich dem Protestzug anzuschließen. Aber was bewegt die Köpfe hinter der scheinbar spontanen, irgendwie aus dem Nichts entstandenen Gruppe? Wie bürger- lich ist die Bewegung? Wer prägt deren Identität, wie kam es zu ihrem seltsam umständlichen Namen, und wie wurde die Angst vor einer vermeintlichen Überfrem- dung zum wichtigsten Mobilisierungs- motiv? Weil die Anführer Auskünfte gegenüber der Presse häufig verweigern, hat der SPIE- GEL nach mehreren Interviewabsagen in einer Spurensuche Informationen über Protagonisten des Organisationsteams zu- sammengetragen. Herausgekommen ist das Bild einer Truppe, die aus Zufall zu- sammenfand und bald vom eigenen Erfolg 34 DER SPIEGEL 3 / 2015 FOTO: SEAN GALLUP / GETTY IMAGES Pegida-Aufmarsch in Dresden Rechte Spaßgesellschaft Populismus Ein Security-Mann und ein gescheiterter CDU-Stadtrat gehören zu den Anführern von Pegida. Ihre Biografien erklären die Ursprünge der Protestbewegung.

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Ein Security-Mann und ein gescheiterter CDU-Stadtrat gehören zu den Anführernvon Pegida. Ihre Biografien erklären die Ursprünge der Protestbewegung

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Im Zentralgasthof von Weinböhla habendie Veranstalter ein sicheres Gespür dafür, was bei den Menschen im säch-

sischen Elbtal ankommt: „Sternstundendes volkstümlichen Schlagers“ gehörenzum Programm, ebenso ein Dresdner Ka-barettist, der als Honecker-Imitator beliebtist. Auch Thilo Sarrazin ist hier bereits auf-getreten.

Es ist ein Freitagabend im vergangenenNovember, draußen vor der Tür stehenetwa 50 Demonstranten, junge Leute zu-meist. Sie nennen den Autor einen „Men-schenfeind und Schwätzer“. Auf einemTransparent steht: „Wer glaubt, dass Sar-razin die Wahrheit spricht, der glaubt auch,dass die Erde eine Scheibe ist.“ Drinnenim historischen Ballsaal befinden sich zehn-mal so viele Menschen. Sie feiern Sarrazinals einen unbequemen Denker, der aus-spricht, was sie fühlen. Es sind Büroange-stellte, Kleinunternehmer, Handwerker,normale Sachsen.

Im Publikum sitzen Siegfried Däbritzund Thomas Tallacker. Sie haben SarrazinsBestseller „Deutschland schafft sich ab“gelesen, aber Lektüre genügt ihnen nicht

mehr. Fast jeden Montag sind Däbritz, derals Security-Mann arbeitet, und Innenaus-statter Tallacker ganz vorn dabei, wenn inDresden eine junge, im Spätherbst nochkaum bekannte Gruppe auf die Straßezieht, die sich Pegida nennt, „PatriotischeEuropäer gegen die Islamisierung desAbendlandes“.

Die beiden Männer gehören zum Orga-nisationsteam von Pegida, mit acht Gleich-gesinnten bilden sie den harten Kern derAnti-Islam-Bewegung. Sie diskutieren inregelmäßigen Treffen ihre inhaltlicheAgenda, sie bereiten die montäglichen De-monstrationen vor, sie halten Kontakt zuProtestgruppen in anderen Orten. Kurzvor Weihnachten haben sie einen eigenenVerein gegründet.

Und Woche für Woche wächst seit No-vember die Zahl der Pegida-Anhänger. Zu-letzt versammelten sich 18000 Menschenin der Innenstadt. An diesem Montag solles weitergehen – nach dem Anschlag aufdie Redaktion von „Charlie Hebdo“ er-warten die Organisatoren einen erneutenTeilnehmerrekord bei ihrem „GroßenAbendspaziergang“, zu dem sie diesmal

um „Trauerflor für die Terroropfer von Paris“ bitten.

Während in Berlin oder Köln bislangnur wenige Hundert „Patriotische Euro -päer“ demonstrierten, entwickelt sichDresden zum Zentrum der Bewegung, zurAttraktion für Islamfeinde. Aus ganzDeutschland reisen sie inzwischen in diesächsische Landeshauptstadt, um sich demProtestzug anzuschließen.

Aber was bewegt die Köpfe hinter derscheinbar spontanen, irgendwie aus demNichts entstandenen Gruppe? Wie bürger-lich ist die Bewegung? Wer prägt derenIdentität, wie kam es zu ihrem seltsam umständlichen Namen, und wie wurde dieAngst vor einer vermeintlichen Überfrem-dung zum wichtigsten Mobilisierungs -motiv?

Weil die Anführer Auskünfte gegenüberder Presse häufig verweigern, hat der SPIE-GEL nach mehreren Interviewabsagen ineiner Spurensuche Informationen überProtagonisten des Organisationsteams zu-sammengetragen. Herausgekommen istdas Bild einer Truppe, die aus Zufall zu-sammenfand und bald vom eigenen Erfolg

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Pegida-Aufmarsch in Dresden

Rechte SpaßgesellschaftPopulismus Ein Security-Mann und ein gescheiterter CDU-Stadtrat gehören zu den Anführern von Pegida. Ihre Biografien erklären die Ursprünge der Protestbewegung.

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Deutschland

überrascht wurde. Däbritz und Tallacker,die gemeinsam die Sarrazin-Lesung be-sucht hatten, stehen dabei für eine beson-dere sächsische Melange: eine gute Portionprovinzieller Bürgerlichkeit gepaart mitStammtisch-Ressentiments und ein wenigLust am Krawall.

Angefangen hat es am 10. Oktober 2014.Lutz Bachmann, der in Kesselsdorf beiDresden ein kleines Fotostudio betreibtund als Initiator der Bewegung gilt (SPIE-GEL 51/2014), postete auf YouTube ein Vi-deo; es zeigt eine Dresdner Solidaritäts-kundgebung für die kurdischen Kämpfergegen den „Islamischen Staat“. Einen Tagspäter gründete er auf Facebook die ge-schlossene Gruppe „Friedliche Europäergegen die Islamisierung des Abendlandes“,aus der Pegida hervorging.

Dort trafen normale Bürger auf Chau-vinisten und Rassisten, wie ein Blick indie virtuellen Netzwerke Bachmannszeigt. Einige der Abendland-Verteidigerder ersten Stunde waren auch Mitgliederin Facebook-Gruppen wie „Ich hab’s ge-fickt, jetzt gehört’s mir“ und „Schluck run-ter, Schatz“. Sie feiern in Nacht- undNacktbars, halten Kontakte zu männer-bündischen Motorradklubs und zur Fan-szene des Fußball-Drittligisten DynamoDresden. Pegida begann als rechte Spaß-gesellschaft.

Am 16. Oktober, noch vor der erstenDemonstration, meldete sich in Bach-manns Facebook-Gruppe auch SiegfriedDäbritz zu Wort. „Wir wollen uns hier zu-sammenfinden um gegen die fortschreiten-de Islamisierung unseres Landes anzutre-ten. Wir wollen nicht, das terroristische,islamistische Kräfte ihre Glaubenskriegeauf unseren Straßen austragen. Wir sindgegen IS, PKK, Al Kaida und wie sie alleheißen“, schrieb Däbritz.

Auch eine der später zentralen Protest-parolen taucht bereits in seinem Facebook-Beitrag auf: „Aus diesem Grund lasst unszusammen auf die Straße gehen und unse-

rer Regierung zeigen, das WIR DAS VOLKSIND und das wir die Schnauze voll habenvon Bevormundung, political correctness,Islamisierung und der ständigen Beschimp-fung als Nazis, nur weil wir für unser Landund unser Europa eintreten!“

Däbritz und Tallacker gehören zu denfrühen Ideengebern von Pegida. Beide sindin kleinen Verhältnissen in der DDR großgeworden, beide engagierten sich nach derWende in den Parteien der bürgerlichenMitte. Und beide gelten an ihrem WohnortMeißen nach wie vor als „normale“ Bürger,als angesehene Mittelständler.

Neben seinem Bewachungsjob betreibtDäbritz, 39, gemeinsam mit seinen Elterneine Pension in der Altstadt von Meißen.Der Vater war lange Jahre Funktionär derlokalen FDP, auch sein Sohn machte zu-nächst bei den Liberalen Karriere – 2009wurde er in den Vorstand der MeißenerFDP gewählt.

In den Sitzungen und auf Parteitagenfiel Däbritz kaum auf, dafür postete er im Internet Zitate von Adolf Hitler. Er beschimpfte Muslime als „mohammeda -nische Kamelwämser“ oder „Schluchten-scheißer“. Über die Kurden, die sich demTerror des „Islamischen Staates“ wider -setzen, schrieb er: „Sie sind genauso einegroße Gefahr für das zivilisierte Europa /Deutschland wie alle anderen Strömungeninnerhalb der Mohammedaner.“

Däbritz ist Mitglied der WaffenlobbyGerman Rifle Organisation, soll Kontakteins Rocker- und Hooliganmilieu unterhal-ten und Anhänger der German DefenceLeague sein, einer Gruppe von Islamhas-sern, die vom Verfassungsschutz beobach-tet wird. Bereits im Herbst nahm er an dergewalttätigen „Hooligans gegen Salafis-ten“-Demonstration in Köln teil.

Auch Tallacker, 46, hat sich in den ver-gangenen Jahren radikalisiert. Lange Zeitsaß er als CDU-Mitglied im Stadtrat vonMeißen. Noch bis vor eineinhalb Jahrenwirkte er in der Initiative „Buntes Meißen“

mit, die gegen Rassismus eintritt. Er ent-warf Flyer für das Bündnis, baute vor Ver-anstaltungen die Bühne auf. An Weihnach-ten lud er Obdachlose zum Essen ein. Erführt ein Geschäft für Innenausstattung,ist Fan der Toten Hosen, am Sonntagschaut er gern Tatort.

Ganz anders präsentierte er sich im In-ternet. Schon im Sommer 2013, als er nochim Stadtrat saß, schrieb er auf Facebook:„Was wollen wir mit dem zu 90% ungebil-deten Pack was hier nur Hartz 4 kassiertund unseren Sozialstaat ausblutet.“ Er beleidigte die politische Konkurrenz: „Diegrünen Schlampen sind doch nicht ganzdicht.“ Nach Berichten über eine Messer-stecherei an einem Badesee mutmaßte er:„Bestimmt wieder ein in seiner Entwick-lung gestörter oder halb verhungerter Ra-madan Türke.“

Freunde von Tallacker sagen, er sei we-nig gefestigt gewesen in seinem Weltbild,leicht zu verführen, aber kein Neonazi.Vielleicht tat sich die CDU auch deshalbso schwer, konsequent gegen ihn vorzu-gehen. So hielt Geert Mackenroth, Uni-ons-Landtagsabgeordneter aus dem Kreis Meißen und seit Kurzem Ausländerbeauf-tragter der sächsischen Landesregierung,Sanktionen zunächst nicht für zwingendnotwendig. Erst als der öffentliche Druckzunahm, drängte die CDU Tallacker, das Stadtratsmandat niederzulegen – underöffnete ein Ausschlussverfahren gegenihn.

Acht Männer und zwei Frauen bildenden Verein Pegida. Neben Bachmann, Dä-britz und Tallacker gehören die Wirt-schaftsberaterin Kathrin Oertel als Spre-cherin und ein Geschäftsmann dazu, derin Dresden lange Zeit das Hamam „Zumkleinen Muck“ betrieb.

Die Gruppe stritt in der Anfangszeitüber den Namen. Einzelne Organisatorenwaren mit „Friedliche Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ unzu-frieden. Einer kritisierte: „Ich finde den

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Pegida-Aktivisten Tallacker, Oertel, Bachmann: Attraktion für IslamfeindeFO

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Namen viel zu nett und gutmenschenfrak-tionskompatibel. Haben wir das nötig??Warum muss unbedingt friedliebend rein?Europäer? Ich bin deutscher … NATIO-NAL ist das Wort.“ Ein anderer schrieban Bachmann: „lutz, ich trete aus, für diegruppe bin ich zu rechts … trotzdem vielerfolk, und wenn es an die waffen geht,sag bescheid.“

Die Pegida-Gründer diskutierten auch,wie sie verhindern könnten, in der Öffent-lichkeit als Rechtsextremisten gesehen zuwerden. „Wir möchten betonen, das dieshier KEIN SAMMELBECKEN für RechteSpinner, Neonazis oder dergleichen wer-den soll, sondern der erste Schritt für einDeutschland und Europa, in dem man wie-der sagen darf was man möchte, in demPatriotismus kein Verbrechen mehr ist“,mahnte Däbritz. Und Bachmann schriebin Rumpel-Deutsch: „das die nahsi-keulekommt ist klar, nur warum sollte man esdenen die sie schwingen so leicht machenanstatt von vornherein eine klare positionzu beziehen: PATRIOT, kein Nahsi!“

Möglicherweise wäre die Demonstra -tionswelle bereits im Spätherbst wiederim Sande verlaufen, ohne dass eine breiteÖffentlichkeit außerhalb Sachsens von ihrNotiz genommen hätte. Bis Anfang No-vember hatten jeweils lediglich einige Hun-dert Bürger an den Montagsspaziergängenteilgenommen.

Am 6. November aber trat der deutsch-türkische Autor Akif Pirinçci in Dresdenbei einer Lesung auf. In seinem Buch„Deutschland von Sinnen“ hetzt Pirinçcigegen Muslime, Homosexuelle und die ver-meintliche verlogene „Toleranz-Republik“.Auf der Veranstaltung waren viele, dieauch Pegida unterstützen, darunter Sieg-fried Däbritz. Er posierte im Internet mitPirinçci-Buch in der Hand und in einem T-Shirt, auf dem das Wort „Gutmensch“durchgestrichen ist.

Verantwortet hatte den Abend mit demantiislamischen Populisten der MeißenerFDP-Kreisvorsitzende. Auch dass die Ver-anstaltung überhaupt stattfinden konnte,war einem sächsischen Liberalen zu ver-danken. Wenige Tage vor dem Termin hat-te das Dresdner Goethe-Institut, in dessenRäumen die Lesung geplant war, abgesagt.Das Hotel Holiday Inn sprang kurzfristigein. Dessen Geschäftsführer ist der frühereDresdner FDP-Ortsvorsitzende.

Aus dem Umfeld der Pegida-Organisa-toren heißt es, Pirinçcis Auftritt habe demProtest neuen Schub verliehen. Zur erstenKundgebung nach der Lesung erschienenmehr als 1500 Demonstranten, so viele wienie zuvor.

Auch Däbritz hat die Performance vonAutor Pirinçci offenbar beflügelt. Inzwi-schen wurde der frühere FDP-Mann Mit-glied der rechtspopulistischen AfD.

Maximilian Popp, Andreas Wassermann

ben. Sicherlich sind Sie auch gegen Radi-kalismus und für eine bessere Unterbrin-gung von Kriegsflüchtlingen. SPIEGEL: Und was lesen Sie zwischen denZeilen?Zick: Da erkenne ich die alte Idee einerhomogenen Wertegemeinschaft, in wel-cher der Islam keine Rolle spielen darf.Oder nur eine untergeordnete, falls sich

die zugewanderten Muslimeals angepasst beweisen. Inte-ressant finde ich aber auch, mitwelcher Obsession Pegida-An-hänger Genderthemen disku-tieren und sich beispielsweisean der geschlechtergerechtenSprache in Behörden und Uni-versitäten abkämpfen. Die se-xuelle Selbstbestimmung ge-hört überraschenderweise jaebenfalls zur Pegida-Agenda.SPIEGEL: Haben Sie eine Erklä-rung dafür?Zick: Adorno hätte seine Freu-de daran. Ein übertriebenes In-teresse an sexuellen Dingen istfür ihn schließlich ein Kenn-zeichen der deutschen Autori-tätshörigkeit. SPIEGEL: Ist die nicht längstüberwunden?Zick: Sie müssten mal die Hass-Mails lesen, die ich erhielt,nachdem ich im ARD-„Presse-club“ aufgetreten war. „So etwas wie Sie als Professordürfte es nicht geben“, heißtes dann. Oder: „Ihnen müssteman Berufsverbot erteilen.“Generell ist die Sehnsucht nachStrafen in dieser Szene groß. SPIEGEL: Was würde passieren,wenn Pegida regierte?Zick: Nach unseren Daten glau-ben die Leute auf der Straße,

dass man nur hart durchregieren müsse.Und dass dies am besten eine Führungs-persönlichkeit könnte. Der SPIEGEL würdeverboten werden, das ist ja klar. Dann wer-den Professoren ausgetauscht. Und alleswird nur noch an Kosten und Nutzen gemessen. Wer leistet etwas, wer leistetnichts? Entschieden wird das allerdingsnicht nach rationalen Maßstäben, sondern

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Deutschland

SPIEGEL: Herr Zick, die Bundesrepublik istdas beliebteste Land der Welt, den Deut-schen geht es wirtschaftlich gut, sie werdenals liberal, friedlich und weltoffen gefeiert.Was treibt nun ausgerechnet Bürger ausder Mittelschicht auf die Straße?Zick: Wir beobachten in unseren Umfragenschon seit einiger Zeit einen verrücktenEffekt: Gerade in den obersten Schichten,bei den Reichsten der Befrag-ten, nimmt die Fremdenfeind-lichkeit besonders zu.SPIEGEL: Und warum ist das so?Zick: Norbert Elias hat das Phä-nomen schon vor 50 Jahren inseiner Studie über „Etablierteund Außenseiter“ analysiert.Er zeigte damals am Beispieleiner englischen Gemeinde,wie alteingesessene Anwohnergenerell die Zugezogenen ineinem Arbeiterviertel abwer-teten und mit Gerüchten übereine vermeintlich hohe Krimi-nalität gegen sie Stimmungmachten. Wir Soziologen spre-chen seither von Etablier ten -vorrechten. Sie sind der Proto -typ des Vorurteils: Wer schonimmer da war, nimmt für sicheine Stellung in Anspruch, die den Nachgezogenen – denAußenseitern – angeblich nichtzukommt. SPIEGEL: Und das ist für Sie dasGrundmotiv der deutschenProtestbürger?Zick: Ich sehe eine wachsendeAbwehr des Neuen im Land.60 Prozent der Befragten wa-ren in einer unserer jüngstenStudien der Meinung: „Jetztmüssen wieder deutsche Tra-ditionen im Vordergrund ste-hen.“SPIEGEL: Welches Gesellschaftsmodellschwebt den Pegida-Anhängern, den „Pa-triotischen Europäern gegen die Islamisie-rung des Abendlandes“, denn vor?Zick: Wenn Sie das Positionspapier von Pe-gida lesen, könnten Sie vieles unterschrei-

Das Gespräch führten die Redakteure Frank Hornig undJörg Schindler.

„Adorno hätte seine Freude“

SPIEGEL-Gespräch Der Bielefelder Konfliktforscher Andreas Zick erklärt die Motive von Pegida, die schleichende Radikalisierung der

deutschen Gesellschaft und die Folgen des Pariser Anschlags.

34%der Befragten meinen, wir sollten in der Öffentlichkeit wieder sehr viel selbstbe-wusster gegenüber Migranten auftreten. 42% lehnen dies ab.

Umfrage: Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung, November 2013 bis Januar 2014; rund 800 befragte Deutsche ohne Migrationshintergrund; Angaben in Prozent; an 100 fehlende Prozent: unentschieden

60%der Befragten halten es für wichtig, dass wir in Deutschland unsere Identität, unsere Werte und Eigenschaften wieder stärker in den Mittel-punkt rücken. 14% lehnen dies ab.