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1DettlingGesundheitswirtschaftsrecht

GesundheitswirtschaftsrechtMaster-Studium GesundheitsmanagementSS 2014

Einheit 1: Interdisziplinäre Grundlagen I

Dr. Heinz-Uwe DettlingOPPENLÄNDER RechtsanwälteStuttgart

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Gesundheitswirtschaftsrecht

Vorstellung

Ihre Erwartungen an die Vorlesung?

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Gesundheitswirtschaftsrecht

Nahziel Klausur Beispiele der letzten Jahre im Ilias Stoff-Orientierung durch „Signalfarben“ in den

Vorlesungs-Folien Rot

• Kann spezifisch abgefragt werden Blau

• Enthält Grundlagen, die vorausgesetzt, aber nicht spezifisch abgefragt werden

Schwarz• Kann Material für abgefragte Beispiele enthalten

Daumenregeln Definitionen, die m.E. richtig, wissenschaftlich allerdings

(noch) nicht allgemein anerkannt sind Werden nicht in der Klausur abgefragt, sind aber für das

Verständnis nützlich

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Gesundheitswirtschaftsrecht

Fernziel Gesundheitsmanagement (1) Fach- und Führungskraft mit interdisziplinärer

Ausrichtung Eine wichtige Voraussetzung

• Souveräne Beherrschung der Interdisziplinarität• Insbesondere im Gesundheitswesen

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Gesundheitswirtschaftsrecht

Fernziel Gesundheitsmanagement (2) Interdisziplinarität des Gesundheitswesens (1)

Gesundheitswesen als „Schmelztiegel der Wissenschaften“

• Aufeinandertreffen von– Medizin– Ökonomie– Politik– Recht

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Gesundheitswirtschaftsrecht

Fernziel Gesundheitsmanagement (3) Interdisziplinarität des Gesundheitswesens (2)

Herausforderung der Interdisziplinarität (1)• Unterschiedliche Inhalte• Unterschiedliche Grundlagen

– Unterschiedliche Menschenbilder– Unterschiedliche Annahmen zu den

Entscheidungsmaßstäben des Einzelnen– Unterschiedliche Weltbilder

– Unterschiedliche Entscheidungsmaßstäbe der Disziplinen, u.a. unterschiedliches Verständnis von

– Rationalität– Wissenschaftlichkeit– Werten

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Gesundheitswirtschaftsrecht

Fernziel Gesundheitsmanagement (4) Interdisziplinarität des Gesundheitswesens (3)

Herausforderung der Interdisziplinarität (2)• Verständnis der Grundlagen

– Wissenschaft und Wissenschaftlichkeit (Vorlesung 1)– Evidenzbasierte Medizin– Systemtheorie– Organismus- und Krankheitsbegriff

– Ethik und Entscheidungstheorie (Vorlesung 2)– Metaethik

– Ethik als Theorie der Entscheidungsmaßstäbe– Wunsch- und Nutzentheorie– Bedürfnis, Wille und Interesse als gemeinsame Pole

– Ethik im deskriptiven Sinne– Lehre von den existierenden Entscheidungsmaßstäben

– Ethik im normativen Sinne– Lehre von den richtigen Entscheidungsmaßstäben

– Gemeinsamkeiten und Unterschied von Wirtschaft und Recht

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Gesundheitswirtschaftsrecht

Fernziel Gesundheitsmanagement (5) Interdisziplinarität des Gesundheitswesens (4)

Herausforderung der Interdisziplinarität (3)• Praktischer Hauptunterschied

– Welches ist der Höchstwert: Geld oder Gesundheit?– Unterschiede je nach eigenen Maßstäben

– Gesundheit– Patienten

– Geld– Gesunde Versicherte– Krankenkassen und Krankenversicherungen– Leistungserbringer

– Medizin: Gesundheit– Ökonomie: Geld– Politik und Recht: mal Gesundheit, mal Geld– Geld-Gesundheits-Konflikt als Grund- und Dauerthema des

Gesundheitswesens

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Gesundheitswirtschaftsrecht

Fernziel Gesundheitsmanagement (6) Interdisziplinarität des Gesundheitswesens (5)

Herausforderung der Interdisziplinarität (4)• Standpunktrelativität als Verständnisgrundlage

– Unterschiedliche Bewertungen als Folge unterschiedlicher Maßstäbe

– Kenntnis der verschiedenen Standpunkte als Schlüssel für das Verständnis

– des Gesundheitswesens,– gesundheitspolitischer Diskussionen– von „Gesundheitsreformen“– von einzelnen Regelungen

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Gesundheitswirtschaftsrecht

Grundaufbau der Vorlesung Allgemeiner Teil: Verständniswissen (Querschnitt)

Interdisziplinäre Grundlagen des Gesundheitswesens

Prinzipien und Rechtsquellen des Gesundheitswesens

Besonderer Teil: Detailwissen (Längsschnitt) Arzt- und Patientenrecht Krankenhausrecht Arzneimittelrecht

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Einheit 1: Interdisziplinäre Grundlagen I

Lernziele Einheit 1

Wissenschaftstheorie Grundsätze der evidenzbasierten Medizin

Systemtheorie Organismus- und Krankheitstheorie

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Einheit 1: Interdisziplinäre Grundlagen I

Wissenschaftlichkeit im Gesundheitswesen (1) § 2 SGB V

Qualität und Wirksamkeit der Leistungen haben dem „allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse“ zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen.

„Zulassung“ neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der GKV (§ 135 SGB V)

diagnostischer und therapeutischer Nutzen der neuen Methode sowie deren medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit werden „nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse in der jeweiligen Therapierichtung“ geprüft

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Einheit 1: Interdisziplinäre Grundlagen I

Wissenschaftlichkeit im Gesundheitswesen (2) Was ist wissenschaftlich? Landgericht Stuttgart, Pharma Recht 1984, 76, 78 ff.

15 Professoren, Chefärzte und Privatdozenten wurden als Sachverständige zum Verständnis des Begriffs der

„wissenschaftlich (nicht) allgemein anerkannten Behandlungsmethoden und Arzneimittel“ angehört

Wurde früher in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der privaten Krankenversicherung verwendet

Ergebnis: 15 verschiedene Ansichten zum Verständnis der Wissenschaftlichkeit

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Einheit 1: Interdisziplinäre Grundlagen I

Wissenschaftlichkeit im Gesundheitswesen (3) BGH, NJW 1993, 2369 ff.

„Wissenschaft“ ist in Zusammenhang mit der Medizin „alles das, was an den wissenschaftlichen Hochschulen in der Bundesrepublik an Forschung und Lehre stattfindet“

• Institutioneller Wissenschaftsbegriff (Schulmedizin)• Nicht: Alternativmedizin, Behandlung durch Heilpraktiker• Gleichwohl

– lt. BGH auch Alternativmedizin/Behandlung durch Heilpraktiker vom Leistungsumfang privater Krankenversicherungen umfasst

• Aber: Ausschluss für Methoden, die dem Bereich der „Wunderheilung und der Scharlatanerie“ zuzuordnen sind

– Absolute Grenze der „Wissenschaftlichkeit“– Notwendigkeit der Erwähnung zugleich Zeichen der

Verzweiflung („Irrationalität“) kranker Menschen– „Geistheiler“-Entscheidung BVerfG v. 20.03.2007 – 1

BvR 1226/06

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Einheit 1: Interdisziplinäre Grundlagen IWissenschaftlichkeit im Gesundheitswesen (4) Wissenschaftstheorie (1)

Meta-Problem• Kategorisierung von etwas als Wissen setzt „Wissen vom

Wissen“ voraus• „Henne-Ei-Problem“

– Woher stammen die Maßstäbe für die Maßstäbe?

Ursprung „Niemandsland“• Art. 10 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der

Europäischen Union (EUGRCh)– Jede Person hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens-

und Religionsfreiheit.– Dieses Recht umfasst die Freiheit, die Religion oder

Weltanschauung zu wechseln

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Einheit 1: Interdisziplinäre Grundlagen I

Wissenschaftlichkeit im Gesundheitswesen (5) Wissenschaftstheorie (2)

Anfang• Willkürliche Wahl eines Grundmaßstabs für die Richtigkeit

von Überzeugungen– Echte, maßstabfreie, willkürliche Entscheidung– Maßstabs-Relativität des Wissensverständnisses– „Allgemeine Anerkennung“ einer bestimmten

Wissenschaftstheorie ist theoretisch und praktisch unmöglich– Folge: es gibt nicht „die Wissenschaftstheorie“, sondern viele

Wissenschaftstheorien• „Relativer Relativismus“

– Ist ein Grundmaßstab für die Richtigkeit von Vorstellungen einmal gewählt, sind von diesem Fixpunkt aus „absolute“, „objektive“ Urteile über die Richtigkeit und Unrichtigkeit von Vorstellungen möglich

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Einheit 1: Interdisziplinäre Grundlagen I

Wissenschaftlichkeit im Gesundheitswesen (5) Wissenschaftstheorie (2)

Deskriptive Wissenschaftstheorie (1)• Beschreibung der wichtigsten existierenden

Grundmaßstäbe für „richtige Überzeugungen“ (Wissens-Axiome)

• Religiöses Wissens-Axiom (Maßstab religiöser Weltanschauung)

– Bekenntnis (voraussetzungsloses „Glauben“)• Philosophisches Wissensaxiom (Maßstab philosophischer

Weltanschauung)– Spekulation („reine Logik“)

• Empirisches Wissensaxiom (Maßstab empirischer Weltanschauung)

– Sinneswahrnehmung (Erfahrung)

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Einheit 1: Interdisziplinäre Grundlagen I

Wissenschaftlichkeit im Gesundheitswesen (6) Wissenschaftstheorie (3)

Deskriptive Wissenschaftstheorie (2)• Wahl-Entscheidung unserer säkularen Gesellschaft

– Empirisches Basisaxiom: Sinneswahrnehmung (Erfahrung)– Empirische Wissenschaftstheorie als „offiziell richtiger“

Grundansatz– Empirische Weltanschauung als „herrschende Lehre“

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Einheit 1: Interdisziplinäre Grundlagen I

Wissenschaftlichkeit im Gesundheitswesen (7) Wissenschaftstheorie (4)

Normative Wissenschaftstheorie (1)• Wissen und Wissenschaftlichkeit innerhalb der

empirischen Wissenschaftstheorie– Anerkannt

– Wissen von Einzeldaten aufgrund methodisch ordnungsgemäßer Beobachtung

– Umstritten– Sind allgemeine Regeln „Wissen“ oder stets

nur Hypothesen?

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Einheit 1: Interdisziplinäre Grundlagen I

Wissenschaftlichkeit im Gesundheitswesen (8) Wissenschaftstheorie (5)

Normative Wissenschaftstheorie (2)• Daumenregeln (1)

– „Wissen“ („Erkenntnis“) sind subjektive Tatsachenvorstellungen

– Subjektiv-gedankliche Vorstellung über Eigenschaften von Zuständen oder Vorgängen,

– die mit subjektiv-gedanklicher Realitätsvorstellung verknüpft ist

– Einzeldaten oder allgemeine Regeln– Methodisch objektiv richtiges Wissen sind gemessen an dem

empirischen Überzeugungsaxiom

– subjektiven Tatsachenüberzeugungen, bei denen die mit der Tatsachenvorstellung verknüpfte Realitätsvorstellung auf der unmittelbaren oder mittelbaren Übereinstimmung mit Sinneswahrnehmungen beruht („empirisches Wissen“)

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Einheit 1: Interdisziplinäre Grundlagen I

Wissenschaftlichkeit im Gesundheitswesen (9) Wissenschaftstheorie (6)

Normative Wissenschaftstheorie (3)• Daumenregeln (2)

– (Empirisch) Wissenschaftliche Erkenntnisse (1)– Subjektive Tatsachenüberzeugungen, die– (1) über empirische Alltagserkenntnisse, d.h. das

hinausgehen, was Personen mit durchschnittlichen Kenntnissen sowie Sinnes- und Einsichtsfähigkeiten unmittelbar mit Hilfe der Sinne oder mittelbar über die Sinne mit Hilfe technischer Instrumente gedanklich abbilden (skizzieren) können

– (2) gedanklich aufgrund besonderer Qualifikation aus unmittelbaren oder mit technischer Hilfe mittelbaren Wahrnehmungen der Sinne (Erfahrungen) abgeleitet sind

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Einheit 1: Interdisziplinäre Grundlagen I

Wissenschaftlichkeit im Gesundheitswesen (10) Wissenschaftstheorie (7)

Normative Wissenschaftstheorie (4)• Daumenregeln (3)

– (Empirisch) Wissenschaftliche Erkenntnisse (2)– Subjektive Tatsachenüberzeugungen, die– (3) im Verhältnis zu empirischen Alltagserkenntnissen

besonders umfangreich, besonders exakt oder besonders verlässlich sind und

– (4) nicht durch bessere, auf Sinneswahrnehmung beruhende Erkenntnisse widerlegt sind (Evidenzhierarchie)

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Einheit 1: Interdisziplinäre Grundlagen I

Wissenschaftlichkeit im Gesundheitswesen (11) Evidenzbasierte Medizin (1)

Grundsatz• der behandelnde Arzt soll zusätzlich zu seinen eigenen

Kenntnissen und Erfahrungen die jeweils beste, aufgrund systematischer Recherche verfügbare externe medizinische Evidenz („the best available external clinical evidence from systematic research“) für seine Entscheidung über die medizinische Versorgung individueller Patienten heranzieht, um damit die Richtigkeit (Realitätsgerechtigkeit) seiner Entscheidungen zu fördern

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Einheit 1: Interdisziplinäre Grundlagen I

Wissenschaftlichkeit im Gesundheitswesen (12) Evidenzbasierte Medizin (2)

Wissenschaftsmethodische Grundlage• Induktivismus

– Schluss von Beobachtungen in Einzelfällen auf allgemeine Regeln

– Beispiel: Wirksamkeit eines Arzneimittels– Aus einer größeren Zahl an therapeutischen Erfolgen

bei der Anwendung des Arzneimittels wird geschlossen, dass die Erfolge weder auf Spontanheilungen noch auf Placeboeffekte, sondern auf die Wirkungen des Arzneimittels zurückzuführen sind (BVerwGE 94, 215, 222 f.)

• Gegensatz: Falsifikationismus– „kritischer Rationalismus“ (Popper)– Regeln können nicht bestätigt, sondern nur widerlegt werden– In der Wissenschaftstheorie viel diskutiert, im

Gesundheitswesen praktisch unbrauchbar

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Einheit 1: Interdisziplinäre Grundlagen I

Wissenschaftlichkeit im Gesundheitswesen (13) Evidenzbasierte Medizin (3)

Evidenzquellen und Evidenzhierarchie, § 5 Abs. 6 Arzneimittel-Nutzenbewertungsverordnung

I a Systematische Übersichtsarbeiten von Studien der Evidenzstufe Ib (sog. „Meta-Analysen“)

I b Randomisierte klinische Studien II a Systematische Übersichtsarbeiten der Evidenzstufe IIb II b Prospektiv vergleichende Kohortenstudien III Retrospektiv vergleichende Studien IV Fallserien und andere nicht vergleichende Studien V Assoziationsbeobachtungen, pathophysiologische Überlegungen, deskriptive

Darstellungen, Einzelfallberichte, nicht mit Studien belegte Meinungen anerkannter Experten, Konsensuskonferenzen und Berichte von Expertenkomitees

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Einheit 1: Interdisziplinäre Grundlagen I

Wissenschaftlichkeit im Gesundheitswesen (14) Evidenzbasierte Medizin (4)

I b Randomisierte klinische Studien (1)

• Interventionelle Studie (Behandlung nach Prüfplan)• § 4 Abs. 23 Satz 1 AMG: Definition klinische Prüfung bei

Menschen– jede am Menschen durchgeführte Untersuchung, die dazu

bestimmt ist, klinische oder pharmakologische Wirkungen von Arzneimitteln zu erforschen oder nachzuweisen oder Nebenwirkungen festzustellen oder die Resorption, die Verteilung, den Stoffwechsel oder die Ausscheidung zu untersuchen, mit dem Ziel, sich von der Unbedenklichkeit oder Wirksamkeit der Arzneimittel zu überzeugen

• Experiment mit dem Ziel des Erkenntnisgewinns– nicht der Heilung, – Unterschied zum Heilversuch

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Einheit 1: Interdisziplinäre Grundlagen I

Wissenschaftlichkeit im Gesundheitswesen (14) Evidenzbasierte Medizin (4)

I b Randomisierte klinische Studien (2)• Randomisiert

– Vergleich mit anders behandelten Kontrollgruppen (Vergleichsgruppen)

– Zuordnung erfolgt nach Zufallsprinzip– Behandlung der Kontrollgruppe durch Placebo oder

Standardtherapie• In der Regel auch doppelverblindet

– Weder Proband/Patient noch Arzt weiß, ob der Proband/Patient der Prüfgruppe oder der Kontrollgruppe angehört

• Hohes Maß an Verlässlichkeit wegen geringer Manipulationsmöglichkeiten

• Englisch: „randomized controlled trial“ („RCT-Studie“)

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Einheit 1: Interdisziplinäre Grundlagen I

Wissenschaftlichkeit im Gesundheitswesen (15) Evidenzbasierte Medizin (5)

„Kohortenstudien“• Beobachtungen, bei denen bestimmte Personengruppen

(Kohorten) als repräsentative Stichprobe über eine definierte Zeitspanne beobachtet werden

• Nichtinterventionelle Beobachtungsstudien– Primärzweck der Anwendung ist die Heilung– Anwendung erfolgt im Rahmen der normalen, medizinisch

notwendigen Behandlung– Erkenntnisdokumentation nur „Nebeneffekt“

• Prospektiv– Planung vor der Anwendung

• Retrospektiv– Planung und Durchführung nach der Anwendung

• Kohortenstudien sind „bias“-anfälliger und damit weniger verlässlich als interventionelle, randomisierte Studien

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Einheit 1: Interdisziplinäre Grundlagen I

Wissenschaftlichkeit im Gesundheitswesen (16) Evidenzbasierte Medizin (6)

IV Fallserien und andere nicht vergleichende Studien • Zusammenstellung mehrerer Fallberichte

– „Fallberichte“ sind in Fachzeitschriften publizierte Berichte über eine einzelne Person mit einer Besonderheit

• Fallberichte sind „bias“-anfälliger und damit weniger verlässlich als geplante Kohortenstudien und erst recht als interventionelle, randomisierte Studien

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Einheit 1: Interdisziplinäre Grundlagen I

Wissenschaftlichkeit im Gesundheitswesen (17) Evidenzbasierte Medizin (7)

Stufe V• Noch weniger verlässlich

– Einzelne Assoziationsbeobachtungen– Beobachtungen des gemeinsamen Auftretens von

Ereignissen– Anwendung eines Arzneimittels und bestimmter

therapeutischer Effekt– Theoretische pathophysiologische Überlegungen– nicht mit Studien belegte Meinungen anerkannter Experten– nicht mit Studien belegte „Beschlüsse“ von

Konsensuskonferenzen und Berichte von Expertenkomitees

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Einheit 1: Interdisziplinäre Grundlagen I

Systemtheorie (1) Systemtheorie als Grundlagenwissenschaft

Systemtheorie entfaltet sich erst seit der Mitte des letzten Jahrhunderts aus der Biologie

• Begründer: Ludwig von Bertalanffy Parallele Herausbildung der „Komplexitätstheorie“

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Einheit 1: Interdisziplinäre Grundlagen I

Systemtheorie (2) Mechanismus vs. Komplexität (1)

Zwei grundlegend unterschiedliche Strömungen innerhalb der empirischen Wissenschaftstheorie

Mechanisches Weltbild (Determinismus)• Enges Wissenschaftsverständnis

– Erste Phase des Empirismus– Bis heute herrschend– Bis etwa Mitte des 20. Jahrhunderts praktisch

alleiniges Wissenschaftsverständnis– Nur exakt Berechenbares ist „wissenschaftlich“ – Nur die „exakten“ Wissenschaften sind

Wissenschaften– Charakter der Medizin als Wissenschaft fraglich

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Einheit 1: Interdisziplinäre Grundlagen I

Systemtheorie (3) Mechanismus vs. Komplexität (2)

Systemisches Weltbild (Komplexitätstheorie)• Erweitertes Wissenschaftsverständnis

– Alles Existente ist Gegenstand wissenschaftlicher Erforschung und wissenschaftlicher Erkenntnisse

– Es gibt Wissenschaften mit exakt und nicht exakt berechenbaren Gegenständen

– Lineare Welt und nicht-lineare Welt sind Gegenstand der Wissenschaft

– Aristoteles– Eine Wissenschaft kann nicht genauer sein als

ihr Gegenstand– Nikomachische Ethik

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Einheit 1: Interdisziplinäre Grundlagen I

Systemtheorie (3) Mechanisches Weltbild

Maschine als Leitbild• Maschine ist ein linear-determiniertes System• Lineare Systeme basieren auf linear-proportionalen

Wechselwirkungen, bei denen sich Ursache und Wirkung jeweils im gleichen Verhältnis ändern,

– kleine Ursachen erzielen kleine Wirkungen, große Ursachen große Wirkungen

• Linear-proportionale Wechselwirkungen basieren auf stark wirkenden Ordner-Elementen und fehlenden oder nur geringen Freiheitsgraden der sonstigen, an den Wechselwirkungen beteiligten System-Elemente

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Einheit 1: Interdisziplinäre Grundlagen I

Systemtheorie (4) Systemisches Weltbild (1)

Systembegriff (1)• Kein allgemein anerkannter Systembegriff• Vereinfacht: System als aus wechselwirkenden

Einzelelementen bestehende Ganzheit• Kern: Erzeugung neuer Eigenschaften durch das

Zusammenwirken mehrerer Elemente (Emergenz als Systemergebnis)

• Wichtige Funktionsbedingungen– Kompatibilität und Stärkeverhältnisse der

Systemelemente

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Einheit 1: Interdisziplinäre Grundlagen I

Systemtheorie (5) Systemisches Weltbild (2)

Systembegriff (2)• Daumenregel

– Mehrheit von Elementen (Systemelemente), – die untereinander für eine gewisse Zeit in Kontakt stehen

(Systemverbindung) und– aufgrund der Kompatibilität ihrer Eigenschaften

einschließlich ihrer Kräfteverhältnisse (Funktionskompatibilität und Funktionsbalance)

– unter bestimmten Bedingungen (Funktionsbedingungen)– in einer Weise zusammenwirken

(Systemfunktionsprogramm),– dass sie während der Dauer ihres Zusammenwirkens

(Systemdauer) – andere Eigenschaften erzeugen, als ohne ihr

Zusammenspiel existierten (Systemergebnis)

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Einheit 1: Interdisziplinäre Grundlagen I

Systemtheorie (6) Systemisches Weltbild (3)

Umfassende Wissenschaftstheorie Gegenstand: lineare und nichtlineare Systeme Nichtlineare Systeme (1)

• Basieren auf nicht-proportionalen Wechselwirkungen und schwach determinierenden Ordnern

– kleine Unterschiede in den Anfangsbedingungen können große Unterschiede in den späteren Erscheinungen verursachen

– US-Meteorologe Edward Lorenz bildhaft – Flügelschlag eines Schmetterlings in Brasilien

verursacht Tornado in Texas (sog. „Schmetterlingseffekt“)

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Einheit 1: Interdisziplinäre Grundlagen I

Systemtheorie (7) Systemisches Weltbild (4)

Nichtlineare Systeme (2)• Nichtproportionalität ist Folge erhöhter Freiheitsgrade und

Variabilität der an der Systemfunktion beteiligten Elemente– Zeigt die Bedeutung der Stärkeverhältnisse– Keine stark determinierenden Ordner-Elemente bei

nichtlinearen Systemen• Schwach determinierende Order

– Aber auch schwach determinierende Ordner-Elemente beeinflussen andere, noch schwächer wirkende Elemente in bestimmter Richtung und verleihen ihnen gewisse, mit den Methoden der Statistik und Wahrscheinlichkeitstheorie kalkulierbare Tendenzen

• Nichtlinear-komplexe Systeme (schwach) „konditionierte“ Systeme

• Große Bedeutung von Statistik und Wahrscheinlichkeits-rechnung

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Einheit 1: Interdisziplinäre Grundlagen I

Organismus- und Krankheitstheorie (1) Religiöse und philosophische Organismus-

theorien Metaphysische Organismustheorien

• z.B. sog. „Vitalismus“ Entstehung von Leben aus speziellen Kräften

• übernatürlichen Kraft („Entelechie“) (Driesch 1907)• „Lebensschwungkraft“ (Bergson, 1927)

Empirische Organismustheorien Mechanistische Wissenschaftstheorie

• Organismus als Maschine (Maschinenmodell) Komplexitätstheorie

• Organismus als nichtlinear-komplexes, konditioniertes System

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Einheit 1: Interdisziplinäre Grundlagen I

Organismus- und Krankheitstheorie (2) Organismen als komplexe Systeme (1)

Lebende Organismen als Paradigmen komplexer Systeme

„Systembiologie“ als Kombination von Mechanismus und Komplexitätstheorie

• Analyse der Teile und • systemisches Denken in Zusammenhängen

Drei Merkmale von Organismen (= Leben)• Aufbau aus einer, mehreren oder vielen

biologischen Zellen als kleinsten Einheiten, • Stoffwechsel in den Zellen • selbständige Vermehrung der Zellen

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Einheit 1: Interdisziplinäre Grundlagen I

Organismus- und Krankheitstheorie (3) Organismen als komplexe Systeme (2)

Organismen als biochemische Systeme (1)• Zellen/Organismen sind (Sub-)Systeme, deren

Entstehung, Stoffwechsel und Vermehrung durch biochemische Wechselwirkungen der Systemelemente konstituiert werden

• Biochemische Wechselwirkungen sind schwach determiniert und damit nichtlinear, gleichwohl konditioniert

– Gene als schwach determinierende Ordner– Biochemische Wechselwirkungen erfolgen

häufig, aber nicht immer in gleicher Weise

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Einheit 1: Interdisziplinäre Grundlagen I

Organismus- und Krankheitstheorie (4) Krankheit (1)

Rechtsprechung• BGH: jede, auch nur unerhebliche oder vorübergehende Störung

der normalen Beschaffenheit oder der normalen Tätigkeit des Körpers ist, die geheilt, d.h. beseitigt oder gelindert werden kann

• BSG: jeder regelwidrige Körper- oder Geisteszustand, der die Notwendigkeit einer Heilbehandlung oder Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat.

– Regelwidrig ist ein Körper- oder Geisteszustand, wenn er vom Leitbild des gesunden Menschen abweicht.

– Eine Abweichung vom Leitbild des gesunden Menschen liegt vor, wenn der Versicherte aufgrund seines Körper- oder Geisteszustandes unter Berücksichtigung medizinischer und psychosozialer Gesichtspunkte nicht zur Ausübung der „normalen psychophysischen Funktionen“ in befriedigendem Umfang in der Lage ist

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Einheit 1: Interdisziplinäre Grundlagen I

Organismus- und Krankheitstheorie (5) Krankheit (2)

Medizin• Mechanischer Krankheitsbegriff

– Krankheiten als durch Fehlfunktionen von Zellen determinierte und wie bei Maschinen durch schlichte „Reparatur“ der geschädigten Einzelteile heilbare Erscheinungen

• „biopsychosozialer“ Krankheitsbegriff– Krankheiten als für die Funktionsfähigkeit des Organismus

relevante, negative Wechselwirkung zwischen Körperbestandteilen oder Körperbestandteilen und sonstigen Elementen

– systemrelevante Dysfunktionen,– Anhaltspunkte für die Systemrelevanz der Dysfunktion:

– Verursachung eines früheren Todes– erhebliche Schmerzen oder ähnliche Leiden– erhebliche Einschränkungen einer selbstbestimmten,

aktiven Lebensgestaltung

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Organismus- und Krankheitstheorie (6) Krankheit (3)

Präzisierung des biopsychosozialen Krankheitsbegriffs• Bezogen auf den biologischen Funktionskreis liegt einer

Störung mit Krankheitswert vor, wenn• (1) dysfunktionale Wirkungsprozesse in Körperzellen oder

aus ihnen gebildeten Geweben oder Organen ablaufen, die

• (2) nicht (sofort) durch das körpereigene Regelkreissystem beseitigt oder ausgeglichen werden, und dadurch

• (3) im Sinne eines Ausbreitungseffekts in systemrelevanter Weise die Funktionsfähigkeit des Organismus als Gesamtsystem beeinträchtigt wird oder beeinträchtigt werden kann

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Einheit 1: Interdisziplinäre Grundlagen I

Organismus- und Krankheitstheorie (7) Krankheit (4)

Beispiel Morbus Pompe• Seltene progressive Muskelerkrankung• Genetischer Defekt (Inkompatibilität eines System-Ordners)

verhindert die Produktion eines bestimmten Enzyms– Dysfunktion in Körperzellen (Mikroebene)

• Enzymmangel führt zu Ansammlungen von Glykogen insbesondere im Herzmuskel, der Atem- und Skelettmuskulatur

– Dysfunktion auf der Mesoebene• Exzessiven Speicherung von Glykogen in der Muskulatur führt zu

Lähmungen und Atmungsstörungen– Dysfunktion auf der Makroebene

– Rollstuhlpflichtigkeit und künstliche Beatmung– Tod

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Einheit 1: Interdisziplinäre Grundlagen I

Organismus- und Krankheitstheorie (8) Gesundheit

WHO• Gesundheit ist ein Zustand des völligen körperlichen, seelischen

und sozialen Wohlbefindens und nicht nur das Freisein von Krankheit oder Gebrechen.

Richtig (Daumenregel)• Gesundheit ist unbeeinträchtigte Funktionsfähigkeit des

Organismus als Gesamtsystem– Freiheit von Krankheit und Gebrechen

• Gesund und „normal“ ist, was der Funktionsfähigkeit des konkret-individuellen Organismus als Gesamtsystem dient

– Maßstab sind jeweils die individuellen Verhältnisse des konkret betroffenen Organismus

– Durchschnittswerte sind nur (widerlegliche) Anhaltspunkte und „Daumenregeln“

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Einheit 1: Interdisziplinäre Grundlagen I

Fazit Das Gesundheitswesen ist geprägt durch Interdisziplinarität Verschiedene Disziplinen legen verschiedene Welt- und

Menschenbilder zugrunde Gleichwohl existieren in gewissem Umfang Gemeinsamkeiten

Empirismus• Ablehnung des philosophisch-spekulativen „Rationalismus“

und religiöser Wunderheilung Induktivismus

• Ablehnung des Falsifikationismus Komplexitätstheorie

• Statistik und Wahrscheinlichkeit vs. Determinismus und Mechanismus

Evidenzbasierte Medizin Organismus- und Krankheitstheorie

• Organismen sind komplexe biochemische Systeme• Krankheiten sind systemrelevante Dysfunktionen in

Organismen als komplexen biochemischen Systemen