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www.ssoar.info Eine Typologie des Informationsverhaltens der Deutschen in der Corona-Pandemie unter Berücksichtigung von Themenverdrossenheit Reinhardt, Anne; Brill, Janine; Rossmann, Constanze Erstveröffentlichung / Primary Publication Konferenzbeitrag / conference paper Empfohlene Zitierung / Suggested Citation: Reinhardt, A., Brill, J., & Rossmann, C. (2021). Eine Typologie des Informationsverhaltens der Deutschen in der Corona-Pandemie unter Berücksichtigung von Themenverdrossenheit. In F. Sukalla, & C. Voigt (Hrsg.), Risiken und Potenziale in der Gesundheitskommunikation: Beiträge zur Jahrestagung der DGPuK- Fachgruppe Gesundheitskommunikation 2020 (S. 31-42). Leipzig: Deutsche Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft e.V. https://doi.org/10.21241/ssoar.74688 Nutzungsbedingungen: Dieser Text wird unter einer CC BY Lizenz (Namensnennung) zur Verfügung gestellt. Nähere Auskünfte zu den CC-Lizenzen finden Sie hier: https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de Terms of use: This document is made available under a CC BY Licence (Attribution). For more Information see: https://creativecommons.org/licenses/by/4.0

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Eine Typologie des Informationsverhaltensder Deutschen in der Corona-Pandemie unterBerücksichtigung von ThemenverdrossenheitReinhardt, Anne; Brill, Janine; Rossmann, Constanze

Erstveröffentlichung / Primary PublicationKonferenzbeitrag / conference paper

Empfohlene Zitierung / Suggested Citation:Reinhardt, A., Brill, J., & Rossmann, C. (2021). Eine Typologie des Informationsverhaltens der Deutschenin der Corona-Pandemie unter Berücksichtigung von Themenverdrossenheit. In F. Sukalla, & C. Voigt(Hrsg.), Risiken und Potenziale in der Gesundheitskommunikation: Beiträge zur Jahrestagung der DGPuK-Fachgruppe Gesundheitskommunikation 2020 (S. 31-42). Leipzig: Deutsche Gesellschaft für Publizistik- undKommunikationswissenschaft e.V. https://doi.org/10.21241/ssoar.74688

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Eine Typologie des Informationsverhaltens der Deutschen inder Corona-Pandemie unter Berücksichtigung von

Themenverdrossenheit

Anne Reinhardt, Janine Brill, Constanze Rossmann

Universität Erfurt

Zusammenfassung

Gesundheitskrisen wie die Corona-Pandemie verlangen einen steten Informationsfluss ausgehend von offiziellenBehörden über die Medien zu den Bürger*innen, um einerseits Panik zu vermeiden und andererseits relevanteInformationen zu den aktuellsten Schutzmaßnahmen an die Bevölkerung zu distribuieren. Ausschlaggebend für denErfolg dieser Kommunikationsmaßnahmen ist jedoch die individuelle Bereitschaft, die bereitgestelltenInformationen auch zu rezipieren. Einem Repertoire-Ansatz folgend erforscht die Studie bestehende Muster imInformationsverhalten der Deutschen zu Beginn der Pandemie sowie deren Veränderungen zwischen März undApril 2020. Sie untersucht weiterhin, welche Bedeutung soziodemografische Merkmale sowie individuelle, mit derintensiven Berichterstattung in Verbindung stehende Faktoren (Themenverdrossenheit, wahrgenommeneInformiertheit) für die Informationssuche haben. Eine zweiwellige Online-Befragung im Panel-Design (N = 1065)diente der Beantwortung dieser Fragen. Im Zuge der Analysen konnten drei zentrale Nutzungstypen mitunterschiedlichen Informationsrepertoires identifiziert werden: Wenignutzende, Traditionalist*innen undVielnutzende, wobei die Themenverdrossenheit den zentralen Faktor für die Erklärung vonInformationsvermeidung darstellt. Dies wirft die Frage auf, wie intensiv die Berichterstattung über ein Thema seinsollte, um ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Informationsbedürfnis und Informationssättigung zu erreichen.

Keywords: Corona-Pandemie, Informationsverhalten, Medienrepertoire, Themenverdrossenheit

© Anne Reinhardt, Janine Brill, Constanze Rossmann (2021). Eine Typologie des Informationsverhaltens der Deutschen in der Corona-Pandemie unter Berücksichtigung von Themenverdrossenheit. In F. Sukalla & C. Voigt (Hrsg.), Risiken und Potenziale in derGesundheitskommunikation. Beiträge zur Jahrestagung der DGPuK-Fachgruppe Gesundheitskommunikation 2020, S.31-42. DOI:

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Summary

Health crises like the corona pandemic require a continuous flow of information by official authorities throughmass media to the citizens to prevent panic and distribute relevant information on recent preventive measures to thepopulation. Crucial for the success of these communicational measures, however, is the individual willingness ofpeople to receive the provided information. Referring to the media repertoire approach, this study examines existingclusters of informational behavior at the beginning of the pandemic as well as changes thereof between March andApril 2020. Furthermore, this study examines the relevance of sociodemographic characteristics and individualfactors that cohere with intensive media coverage (topic fatigue, information sufficiency) for information seekingbehavior. An online panel with two survey waves (N = 1065) was conducted to examine these questions. As part ofthe analyses, three types of users with various information repertoires were identified: Rare Users, TraditionalUsers, and Frequent Users – whereby topic fatigue is the main predictor of information avoidance. This raises thequestion of how intense the coverage on an issue should be to achieve a balance between the need for informationand information saturation.

Keywords: Corona pandemic, information seeking behavior, media repertoire, issue fatigue

© Anne Reinhardt, Janine Brill, Constanze Rossmann (2021). Eine Typologie des Informationsverhaltens der Deutschen in der Corona-Pandemie unter Berücksichtigung von Themenverdrossenheit. In F. Sukalla & C. Voigt (Hrsg.), Risiken und Potenziale in derGesundheitskommunikation. Beiträge zur Jahrestagung der DGPuK-Fachgruppe Gesundheitskommunikation 2020, S.31-42. DOI:

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Informationsverhalten in Zeiten der Corona-Pandemie

Gesundheitskrisen stellen die Gesellschaft vor extremeHerausforderungen (Falkheimer & Heide, 2012;Seeger & Reynolds, 2008). Um Panik oder irrationalesVerhalten in einer solchen Krise möglichst gering zuhalten, ist ein steter Informationsfluss von offiziellenBehörden über die Medien zu den Bürger*innen vonzentraler Bedeutung (Heath, 2012; Seeger et al., 2010).Dieser ist auch deshalb so wichtig, da – wie amBeispiel der Corona-Pandemie deutlich wird –wissenschaftliche Erkenntnisse häufig erst nach undnach entstehen und sich verändern, weshalb auchdarauf basierende Handlungsempfehlungen aktualisiertwerden müssen. Eine intensive Medienbericht-erstattung ist daher essentiell, um die Bevölkerung mitdem nötigen Wissen über die geltendenSchutzmaßnahmen zu versorgen und sie für diese zusensibilisieren (Garfin et al., 2020).

Die Corona-Pandemie dominierte im Frühjahr 2020die Medienagenda über alle Kanäle hinweg (z.B.Eisenegger et al., 2020). Doch trotz – oder geradeangesichts – der Fülle an Informationsmöglichkeiten,nutzen die wenigsten Individuen alle ihnen zurVerfügung stehenden Kanäle und Angebote. Siegreifen vielmehr auf einen Fundus selektierter Medienzurück, sogenannte Medienrepertoires (Hasebrink &Hepp, 2017; Hasebrink & Popp, 2006). Der Begriffumschreibt die kombinierte Nutzung verschiedenerMedien bzw. medialer Angebote und fragt: „What isthe result of different forms of selectivity, how domedia users combine their media contacts into acomprehensive pattern of media use, into their mediarepertoire?“ (Hasebrink & Popp, 2006, S. 371). Anstattdie isolierte Medienrezeption einzelner Kanäle in denFokus zu rücken, betrachtet der Repertoire-Ansatz dieMediennutzung somit aus einer ganzheitlicherenPerspektive. Geschuldet ist diese Herangehensweisedem „multimedia environment“ (Hasebrink & Popp,2006, S. 370): So steht Rezipierenden eine enormgroße und stetig wachsende Zahl medialer Angebotezur Verfügung, welche sie je nach Präferenz undVorkenntnissen selektieren und in ihre Nutzungs-gewohnheiten integrieren können.

Der vorliegende Beitrag bedient sich dieses Ansatzes,um das Informationsverhalten zu Beginn der Corona-Pandemie zu ergründen. Da im Gesundheitskontextnicht nur massenmediale Angebote, sonderninsbesondere auch Gespräche mit medizinischen

Expert*innen oder dem persönlichen UmfeldbedeutsameInformationsquellendarstellen(z.B.Weberet al., 2020), wird der Repertoire-Begriff dabei umeine interpersonale Dimension erweitert – statt deralleinigen Mediennutzung werden Informationsreper-toires in den Fokus gerückt. Diese Herangehensweisebietet den Vorteil, Muster im Informationsverhaltender deutschen Bevölkerung umfassend beschreiben unddiese in der Kommunikationspraxis nutzbar machen zukönnen. So ist es einerseits denkbar, dass bestimmteInformationskanäle gleichzeitig in verschiedenenInformationsrepertoires vertreten sind – und dieNachrichtendistribution über diese Quellen damitbesonders viele Individuen erreicht. Andererseits ist esjedoch ebenfalls möglich, dass es Personengruppen miteinem sehr begrenzten Informationsrepertoire gibt. DasWissen über das Informationsverhalten der Bevöl-kerung ist damit unabdingbar, um die Bürger*innenbestmöglich mit den wichtigsten Informationen zurPandemie versorgen zu können. Die ersteForschungsfrage lautet daher wie folgt:

FF1: Welche Repertoires der Corona-Informationssuchelassen sich zu Beginn der Pandemie in der deutschenBevölkerung identifizieren?

Beeinflussende Faktoren der Informationssuche

Ein weiterer Gedanke, der dem Medienrepertoire-Ansatz zugrunde liegt, ist der stete Wandel derMedienumwelt (Hasebrink & Hepp, 2017). Durch dieErforschung kombinierter Mediennutzungsgewohn-heiten kann nachgezeichnet werden, inwiefernbestimmte Medienkanäle und -angebote in einbestehendes Repertoire integriert werden und welcheFolgen dies für die bisherige Mediennutzung hat.Medienrepertoires können dabei durch strukturelle,positionelle und individuelle Determinanten beeinflusstwerden (Hasebrink & Popp, 2006; Rosengren, 1995).Während auf struktureller Ebene ein Wandel in derMedienumwelt, beispielsweise durch die Einführungeines neuen Mediums, verankert ist, beschreibenpositionelle Faktoren vorrangig die gesellschaftlicheLage eines Individuums: „Within the framework of arepertoire-oriented approach, the research question willbe to what extent a certain position influences therelations between different media and the respectiveoverall patterns of media use“ (Hasebrink & Hepp,2007, S. 375). Gemäß Hasebrink und Hepp (2006) fällthierunter insbesondere der Einfluss soziodemo-grafischer Merkmale wie Alter, Geschlecht undBildung. Zur Kategorie der individuellen Faktoren

© Anne Reinhardt, Janine Brill, Constanze Rossmann (2021). Eine Typologie des Informationsverhaltens der Deutschen in der Corona-Pandemie unter Berücksichtigung von Themenverdrossenheit. In F. Sukalla & C. Voigt (Hrsg.), Risiken und Potenziale in derGesundheitskommunikation. Beiträge zur Jahrestagung der DGPuK-Fachgruppe Gesundheitskommunikation 2020, S.31-42. DOI:

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werden hingegen psychologische Einflüsse gezählt, diedie Mediennutzung steuern (Hasebrink & Popp, 2006).Dies können sowohl persönliche Eigenschaften einesIndividuums sein (trait) oder Merkmale, die alsReaktion auf einen Stimulus auftreten (state). Bezogenauf die Corona-Pandemie besteht eine hoheWahrscheinlichkeit, dass die intensive Bericht-erstattung über die Thematik einen solchen Stimulusdarstellt, welcher sowohl die wahrgenommeneInformiertheit (information sufficiency) der Bevölke-rung beeinflussen als auch Themenverdrossenheitauslösen kann.

Das Konzept der wahrgenommenen Informiertheit liegtim Risk Information Seeking and Processing Modelbegründet (RISP; Griffin et al., 2004). Es postulierteine Reihe von Faktoren, welche die Bereitschaft,Informationen zu suchen und sich intensiv mit ihnenauseinanderzusetzen, beeinflusst, darunter etwaVorstellungen vom Informationsangebot, Risikowahr-nehmung, Informationsaufnahmekapazität und sub-jektive Informationsnormen (Ajzen & Timko, 1986;Griffin, Neuwirth, et al., 2004). Weiterhin wirdangenommen, dass die wahrgenommene Kluftzwischen dem vorhandenen und benötigten Wissenausschlaggebend dafür ist, wie eine Informationverarbeitet wird (systematisch vs. heuristisch) und dasindividuelle Informationsverhalten ausfällt (z.B. aktivvs. vermeidend; Griffin, Powell, et al., 2004; Yang etal., 2014). Da das Erreichen eines Schwellenwertes derInformationssättigung (sufficiency threshold) dasInformationsverhalten der Menschen stark beeinflussenkann (Griffin, Neuwirth, et al., 2004), liegt dieVermutung nahe, dass dies auch Konsequenzen inBezug auf die Ausprägung ihrer Informations-repertoires hat.

Die intensive Medienberichterstattung über dasCoronavirus kann jedoch nicht nur dazu führen, dasseine Informationssättigung eintritt, sondern auch, dassPersonen mit Widerstand auf die Thematik reagierenund sie folglich eine Themenverdrossenheitentwickeln. Diese wird nach Schumann (2011)definiert als „dual-process phenomenon comprised ofemotional and cognitive components“ (S. 3).Charakteristisch für das Konstrukt ist demnach, dassPersonen nichts mehr von einem bestimmten Themahören oder sehen möchten (zentrale Kognition) und sicheine negative Einstellung gegenüber derBerichterstattung und/oder dem Thema entwickelt(zentrale Emotion; Arlt & Wolling, 2017; Kuhlmann etal., 2014; Metag & Arlt, 2016). Diese kognitiven undemotionalen Effekte spiegeln sich konkret in fünf

Dimensionen wider: einer ablehnenden Haltunggegenüber der Thematik, einem geringen Involvement,einerwahrgenommenenInformationsüberlastung,einerAbwertung der Qualität der Berichterstattung sowieihrer Einstufung als manipulativ und feindselig (Metag& Arlt, 2016). Unklar ist, ob sich im Zuge derbeginnenden Corona-Pandemie eine Themenver-drossenheit bei den deutschen Bürger*innen entwickeltund, wenn ja, wie sich diese auf ihr Infor-mationsverhalten ausgewirkt hat.

Das Forschungsinteresse dieses Beitrags besteht dahernicht nur in der Erforschung der bestehendenInformationsrepertoires zu Beginn der Pandemie,sondern insbesondere auch in ihrem Wandel. Da nichtdavon auszugehen ist, dass strukturelle Faktoren (z.B.Einführung eines neuen Mediums) hierbei eine Rollespielen, rückt die Studie neben positionellen Faktoreninsbesondere den Einfluss der wahrgenommenenInformiertheit sowie der empfundenen Themen-verdrossenheit in den Fokus. Die Forschungsfragenlauten entsprechend wie folgt:

FF2: Wie haben sich die Repertoires der Corona-Informationssuche in der deutschen Bevölkerungzwischen März und April 2020 verändert?

FF3: Welche positionellen (Alter, Geschlecht, Bildung)und individuellen Faktoren (Themenverdrossenheit,wahrgenommene Informiertheit) beeinflussen dasInformationsverhalten in der Corona-Krise?

Methode

Studiendesign und Vorgehen

Zur Beantwortung der Forschungsfragen wurde eineOnline-Befragung im Panel-Design durchgeführt. Nachder Zustimmung zur Teilnahme- und Daten-schutzerklärung wurden die Teilnehmenden zu zweiMesszeitpunkten zu ihrer Meinung bezüglich desCoronavirus und der geltenden Schutzmaßnahmensowie zu ihrem Informationsverhalten im Kontext derPandemie befragt. Die durchschnittliche Bear-beitungszeit der Fragebögen lag bei 23 Minuten (T1:M = 23.74, SD = 14.22 ; T2: M = 22.64, SD = 10.21).

Messinstrumente

Die Studie beinhaltete sowohl Fragen zur individuellenInformationssuche als auch zu psychologischenDeterminanten des Informationsverhaltens derDeutschen in der Corona-Pandemie. Für den

© Anne Reinhardt, Janine Brill, Constanze Rossmann (2021). Eine Typologie des Informationsverhaltens der Deutschen in der Corona-Pandemie unter Berücksichtigung von Themenverdrossenheit. In F. Sukalla & C. Voigt (Hrsg.), Risiken und Potenziale in derGesundheitskommunikation. Beiträge zur Jahrestagung der DGPuK-Fachgruppe Gesundheitskommunikation 2020, S.31-42. DOI:

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vorliegenden Beitrag waren dabei die folgendenKonstrukte von zentraler Bedeutung:

Allgemeine Informationssuche (T1 und T2): Über einefünfstufige Likert-Skala (1 = „nie“ bis 5 = „täglich“)wurde ermittelt, welche Kanäle die Deutschen in denvergangenen zwei Wochen genutzt haben, um sich überdas Coronavirus zu informieren. Die Items umfasstensowohl traditionelle Medien (TV, Radio, Zeitungen,Zeitschriften), neue Medien (Internet, Social Media,Podcasts, Notfall-/Warn-Apps) als auch interpersonaleQuellen (medizinisches Personal, Familie/Freunde).

Detaillierte Mediennutzung (T1 und T2): Neben derallgemeinen Informationssuche wurde weiterhin diedetaillierte Mediennutzung der Teilnehmenden aufeiner fünfstufigen Likert-Skala erhoben (1 = „nie” bis5 = „täglich”). Hierzu zählte sowohl ihre Zeitungs-(zwölf Items, z.B. BILD, SZ, Regionalzeitungen), TV-(vier Items, z.B. Nachrichten auf privaten Sendern,Nachrichten auf lokalen öffentlich-rechtlichenSendern), Internet- (sechs Items, z.B. Webseiten vonGesundheitsbehörden, Portale, Blogs) als auch SocialMedia-Nutzung (sieben Items, z.B. Facebook,WhatsApp, Instagram) der vergangenen zwei Wochen.

Themenverdrossenheit (T2): Die Themenverdrossenheitwurde über 16 Items auf einer fünfstufigen Likert-Skala ermittelt (1 = „trifft gar nicht zu“ bis 5 = „trifftvoll und ganz zu“; angelehnt an Metag & Arlt, 2016).Diese deckt die folgenden Unterdimensionen ab:Überlastung (drei Items, z.B. „Das Thema ist mir zukomplex“), Ablehnung (drei Items, z.B. „Von demThema kann ich nichts mehr sehen oder hören“),Qualität der Berichterstattung/manipulativer Charakter(vier Items, z.B. „Die Berichterstattung über das Themahat nur das Ziel, die Leute zu beeinflussen“) undInvolvement (sechs Items, z.B. „Ich möchte mich gernenäher über das Thema informieren“ [-]). Die Itemswurden zu einem Mittelwert-Index zusammengefasst(α = .83; M = 2.47, SD = 0.96).

Wahrgenommene Informiertheit (T2): Die wahrge-nommene Informiertheit wurde in Anlehnung anGriffin, Powell et al. (2004) durch die Abfrage deswahrgenommenen vorhandenen Wissens zumCoronavirus sowie des wahrgenommenen benötigtenWissens ermittelt (100-stufige Schieberegler-Skala).Die Differenz beider Konstrukte bildete schließlichden Wert der wahrgenommenen Informiertheit (Skalavon -100 bis +100; M = 1.33, SD = 26.41).

Sampling und Stichprobe

Der Fragebogen wurde über den Online-Panel-Anbieter respondi verbreitet. Die Stichprobe warrepräsentativ für Alter, Geschlecht und Bildungsniveauder Deutschen ab 18 Jahren. Die erste Befragungswellewurde vom 23. bis 31. März 2020 erhoben, wobei N =1378 Personen den Fragebogen vollständig beant-worteten. Hiervon nahmen insgesamt N = 1065Personen auch am zweiten Messzeitpunkt teil, welcherrund zwei Wochen nach dem Abschluss der erstenErhebungswelle lag (15. bis 21. April 2020; die genaueLänge der Befragungszeiträume wurde vom Erreichender anvisierten Stichprobengröße bestimmt). DieDropout-Quote lag bei 22.7 Prozent. Anzumerken isthierbei, dass sich die deutsche Bevölkerung zu beidenMesszeitpunkten im ersten Lockdown befand, jedochzum zweiten Befragungszeitraum erste vorsichtigeLockerungen der geltenden Einschränkungen beschlos-sen wurden (z.B. teilweise Öffnungen des Schul- undGeschäftsbetriebs am 20.04.2020). Die finaleStichprobe zu T2 war zu 51.0 Prozent weiblich (n =543). 68.1 Prozent der Proband*innen wiesen einniedrigeres Bildungsniveau auf (n = 725). DasDurchschnittsalter lag bei 49.0 Jahren (SD = 15.25).

Datenanalytisches Vorgehen

Die Datenanalyse erfolgte in SPSS (Version 27). UmAussagen über intersubjektive Veränderungen imWellenverlauf treffen zu können, wurden nurdiejenigen Fälle in den Berechnungen berücksichtigt,die zu beiden Messzeitpunkten an der Befragungteilgenommen hatten (N = 1065). Zur Ermittlung derInformationsrepertoires der Deutschen wurde proMesszeitpunkt eine hierarchische Clusteranalyse(Ward-Methode, Varimax-Rotation) durchgeführt(FF1, FF2). Als clusterbildende Variablen gingen dieallgemeine Informationssuche sowie die detailliertenNutzungsvariablen in die Berechnung ein. Vor derDurchführung der Analyse wurden die Variablenzunächst z-standardisiert sowie statistische Ausreißermittels der Clustermethode des nächstgelegenenNachbars eliminiert.

Die Einflussfaktoren des Informationsverhaltens zumzweiten Messzeitpunkt wurden über eine bi-när logistische Regression ermittelt (FF3). AlsPrädiktoren dienten dabei die erhobenen positionellenFaktoren (Alter, Geschlecht, Bildung) sowieindividuelle Determinanten des Informationsverhaltens(Themenverdrossenheit, wahrgenommene Infor-miertheit).

© Anne Reinhardt, Janine Brill, Constanze Rossmann (2021). Eine Typologie des Informationsverhaltens der Deutschen in der Corona-Pandemie unter Berücksichtigung von Themenverdrossenheit. In F. Sukalla & C. Voigt (Hrsg.), Risiken und Potenziale in derGesundheitskommunikation. Beiträge zur Jahrestagung der DGPuK-Fachgruppe Gesundheitskommunikation 2020, S.31-42. DOI:

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Ergebnisse

Repertoires der Corona-Informationssuche

Die erste Forschungsfrage zielte auf die Ermittlung derInformationsrepertoires zu Beginn der Corona-Pandemie ab (T1). Die hierarchische Clusteranalyseließ dabei auf drei Kategorien schließen (siehe Anhang1). Das erste Cluster bildeten demnach DieWenignutzenden (nT1 = 204, 22.8%). Wie aus demNamen hervorgeht, suchten diese im Typen-Vergleichseltener nach Informationen zum Coronavirus. DieseTendenz spiegelte sich in Bezug auf nahezu alleInformationskanäle wider – die einzige Ausnahme stell-te Facebook dar, welches von dieserGruppe vergleichsweise etwas häufiger zurInformationsbeschaffung verwendet wurde.

Ein erweitertes Informationsrepertoire wies der zweiteTypus auf: Die Traditionalist*innen (nT1 = 516, 57.6%).Personen dieser Kategorie suchten insbesondere inklassischen Massenmedien (TV, Radio) nach Infor-mationen zum Pandemiegeschehen, wobei sie vorallem Nachrichtenformate auf privaten TV-Sendern inihr Informationsverhalten integrierten. Unterdurch-schnittlich häufig nutzten sie hingegen das Internetsowie Social Media-Angebote zu Informations-zwecken.

Der dritte Typus, Die Vielnutzenden, stellte die kleinsteGruppe dar (nT1 = 176, 19.6%). Zugehörige Personennutzten alle abgefragten Kanäle überdurchschnittlichhäufig, um sich über das Coronavirus zu informieren.Konkret bedeutet dies, dass Die Vielnutzenden sowohlin Bezug auf interpersonale Informationskanäle(Familie/Freunde, medizinisches Personal), mas-senmediale Angebote (Radio, Zeitungen, Zeitschriften)als auch Neue Medien (Internet, Social Media, Apps,Podcasts) die stärkste Nutzung aufwiesen. Lediglich inihrer Nutzungsgewohnheit von TV-Nachrichten zeigtensie eine schwächere Nutzung als Die Tradi-tionalist*innen.

Repertoires der Corona-Informationssuche im Laufe derPandemie

Die zweite Forschungsfrage beschäftigte sich mitVeränderungen des Informationsverhaltens im Verlaufder Pandemie. Zur Beantwortung wurde – analog zumersten Messzeitpunkt – eine hierarchische Cluster-analyse der Variablen zu T2 durchgeführt. Abermalskonnten hierbei drei Informationsrepertoiresidentifiziert werden, die sich zu großen Teilen mit

denjenigen der ersten Befragungswelle deckten (sieheAnhang 2).

So stellten auch zum zweiten Messzeitpunkt DieWenignutzenden (nT2 = 322, 35.2%) und DieVielnutzenden (nT2 = 54, 5.9%) die Pole desInformationsverhaltens dar: Während Erstgenannte eineher schwach besetztes Informationsrepertoireaufwiesen, fiel dieses bei Letztgenannten erneut sehrkomplex aus. Auch das dritte Cluster lag bereits in derersten Befragungswelle vor, wobei sich leichteAdaptionen bezüglich der genutzten Informations-kanäle zeigten: Demnach bestand das Corona-Informationsrepertoire der Traditionalist*innen (nT2 =539, 58.9%) auch zu T2 hauptsächlich ausFernsehnachrichten, jedoch wurden nun auchPrintmedien (Zeitungen, Zeitschriften), Internet-angebote (Webseiten von Gesundheitsorganisationenbzw. Ministerien) und Social Media (Facebook,WhatsApp) integriert.

Die Betrachtung der relativen Verteilung derCluster ergab dabei einen deutlichen Wandel imWellenverlauf (FF2). Den größten Zuwachs ver-zeichneten Die Wenignutzenden, welchen zum zweitenMesszeitpunkt 12.4 Prozent (n = 118) mehr Personenangehörten. Ein Schwund von 13.7 Prozent (n = 122)wurde hingegen bei den Vielnutzenden erkennbar.Relativ stabil blieb die Gruppe der Traditionalist*innen,die lediglich um 1.3 Prozent zunahm (n = 23).

Auch auf innersubjektiver Ebene zeigten sichVeränderungen hinsichtlich der Gruppenzugehörigkeit.So zeichneten sich lediglich 21.9 Prozent derVielnutzenden (n = 32) auch zum zweitenMesszeitpunkt durch ein überdurchschnittlich starkausgeprägtes Informationsverhalten aus. Stattdessenließen sich 69.2 Prozent (n = 101) derVielnutzenden (T1) zur zweiten Erhebung der Gruppeder Traditionalist*innen und 8.9 Prozent (n = 13) derGruppe der Wenignutzenden zuordnen.

Personen, die zum ersten Messzeitpunkt dem Typusder Traditionalist*innen angehörten, blieben zu 61.0Prozent (n = 289) ihrem Nutzungsverhalten treu.Lediglich 1.7 Prozent (n = 8) wanderten zur Gruppeder Vielnutzenden über. Im Vergleich dazu ist derZulauf zu den Wenignutzenden deutlich erheblicher:37.3 Prozent (n = 177) der Tra-ditionalist*innen (T1) gehörten zum zweiten Mess-zeitpunkt dieser Gruppe an.

Ein diametrales Muster hierzu zeigte sich bei

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denjenigen Personen, die zum ersten Messzeitpunkt derGruppe der Wenignutzenden angehörten: Während 53.0Prozent (n = 98) kein verändertes Informations-verhalten aufwiesen, wurden 45.9 Prozent (n = 85)nach zwei Wochen der Gruppe der Tradi-tionalist*innen zugeordnet. Hingegen veränderten nur1.1 Prozent (n = 2) der Wenignutzenden (T1) ihrVerhalten so stark, dass sie zum zweiten Messzeitpunktals Vielnutzende charakterisiert werden konnten.

Einhergehend mit den Veränderungen in derZellenbesetzung ergaben sich Unterschiede in derVerteilung der soziodemografischen Merkmale imWellenverlauf. Waren Die Traditionalist*innen zumersten Messzeitpunkt noch deutlich älter als die DieVielnutzenden (MT1 = 43.06, SD = 15.18) und DieWenignutzenden (MT1 = 42.73, SD = 14.55), war dies zuT2 nicht mehr der Fall. Zu diesem Zeitpunkt stelltenDie Wenignutzenden das älteste Cluster dar(MT2 = 50.71, SD = 14.39), gefolgt von denTraditionalist*innen (MT2 = 49.12, SD = 15.14) und denVielnutzenden (MT2 = 43.33, SD = 15.84). Weiterhinerfuhr auch die Verteilung der Bildungsvariable eineVeränderung, jedoch mit gleichbleibender Tendenz:Demnach waren Die Vielnutzenden im Schnitt etwashöher gebildet (nT1 = 101, 57.4%; nT2 = 34, 63.0%),wohingegen niedriger gebildete Individuen eherden Wenignutzenden (nT1 = 112, 54.9%; nT2 = 233,72.4%) bzw. Traditionalist*innen (nT1 = 416, 80.6%;nT2 = 362, 67.2%) angehörten. Bezüglich desGeschlechts zeigten sich keine signifikantenUnterschiede zwischen den Gruppen.

Determinanten des Informationsverhaltens

Die dritte Forschungsfrage beschäftigte sich mit denEinflussfaktoren des Informationsverhaltens zumzweiten Messzeitpunkt. Da sich die Gruppengrößen derCluster sehr stark voneinander unterschieden undinsbesondere der Typus der Vielnutzenden imGruppenvergleich deutlich unterrepräsentiert war(nVieln. = 54; nWenign. = 322; nTrad. = 539), wird ausstatistischer Sicht ein direkter Vergleich der Gruppenerschwert. Aus diesem Grund – sowie der inhaltlichenAnnäherung der Vielnutzenden an den Typus derTraditionalist*innen – haben wir uns dafür entschieden,das Informationsverhalten in zwei Kategorienzusammenzufassen und als dichotome abhängigeVariable in eine binär logistische Regression zuintegrieren: Informationssuche (bestehend aus denClustern Die Vielnutzenden und Die Tra-ditionalist*innen) vs. -vermeidung (bestehend aus demCluster Die Wenignutzenden).

Das Modell der logistischen Regression ist statistischsignifikant, χ2(5) = 44.72, p < .001. Es erklärt etwa 6.7Prozent (Nagelkerke R2) der Varianz der abhängigenVariable und konnte 66.9 Prozent der Fälle korrektklassifizieren. Wie aus Tabelle 1 hervorgeht, trugen diepositionellen Faktoren Alter, Bildung und Geschlechtnicht zur Erklärung des Informationsverhaltens bei (p >.05). Bezüglich der individuellen Faktoren zeigte sichhingegen ein signifikanter Effekt für dieThemenverdrossenheit (Wald(1) = 34.86, p < .001):Steigt die Themenverdrossenheit um eine Einheit an,so sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass ein Individuumnach Informationen sucht, um 36.5 Prozent. Diewahrgenommene Informiertheit hatte im Gegensatzdazu keinen Einfluss auf das Informationsverhalten derBefragten (p > .05).

Tabelle 1Determinanten des Informationsverhaltens (binärlogistische Regression)

Diskussion

Die Studie rückte das Informationsverhalten derDeutschen zu Beginn der Corona-Pandemie in denFokus. Konkret wurde hierbei der Frage nachgegangen,auf welche Corona-Informationsrepertoires dieBevölkerung im März 2020 zurückgriff und wie sichdiese innerhalb von rund zwei Wochen veränderten.Weiterhin wurde gemäß des Medienrepertoire-Ansatzes untersucht, welche positionellen undindividuellen Faktoren die Zuwendung bzw.Vermeidung von Informationen erklären, wobei sichgezielt der Bedeutung der wahrgenommenenInformiertheit und Themenverdrossenheit zugewandtwurde.

Die Ergebnisse verdeutlichen, dass das Infor-mationsverhalten der Deutschen in der Corona-Pandemie stark polarisierte: Statt verschiedenerInformationsrepertoires konnten vielmehr Infor-mationstypen ausfindig gemacht werden, welche sichhauptsächlich in der Anzahl der genutztenInformationskanäle voneinander unterschieden. DieExtrema dieser Skala bildeten Die Wenignutzendensowie Die Vielnutzenden. Beide Cluster zeichneten sich

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dadurch aus, dass sie im Vergleich besonders wenigebzw. besonders viele Quellen verwendeten, um aktivnach Informationen zum Coronavirus zu suchen.Zwischen diesen Polen bewegten sich DieTraditionalist*innen, die hauptsächlich klassischeMassenmedien zur Informationsbeschaffung nutzten.Basierend auf diesen Befunden kann kritischhinterfragt werden, inwiefern die Berücksichtigung derdetaillierten Mediennutzung im Rahmen derClusteranalysen tatsächlich zielführend war – oder obdie Einbeziehung der allgemeinen Informationskanäle(11 Items) ausreichend gewesen wäre, um die obenbeschriebenen Typen zu identifizieren. Dabei sei andieser Stelle jedoch hervorzuheben, dass einigeUnterschiede zwischen den gebildeten Gruppen erstdurch die gewählte Herangehensweise sichtbar wurden:So nutzten beispielsweise Die Traditionalist*innenbesonders häufig TV-Nachrichten zuInformationszwecken, jedoch vorrangig auf regionalenund privaten Fernsehsendern. Keine besondereNutzung wiesen sie hingegen in Bezug aufinternationale bzw. überregionale Nachrichten-programmen auf – im Gegensatz zu den Vielnutzenden.Die gewählte Herangehensweise ermöglichte es damit,sowohl Unterschiede auf übergeordneter Ebene(allgemeine Informationskanäle) als auch aufuntergeordneter Ebene (Angebote innerhalb derInformationskanäle) zu identifizieren.

Die Befunde weisen weiterhin auf eine Schnittmengeim Nutzungsverhalten der Traditionalist*innen und derVielnutzenden hin, welche im Verlauf derBefragungswellen zunahm: So könnten diese beidenGruppen insbesondere über TV-Nachrichten, aber auchoffizielle Webseiten von Gesundheitsbehörden bzw.Ministerien mit relevanten Informationen rund um diePandemie und die geltenden Schutzmaßnahmenversorgt werden. Eine weitaus problematischereZielgruppe stellen aus Kommunikator*innen-Perspektive Die Wenignutzenden dar, welche ein ehervermeidendes Informationsverhalten aufweisen.Besonders kritisch ist dabei das deutliche Wachstumdieser Gruppe im Verlauf der Befragung zu betrachten:So gehörte zum ersten Messzeitpunkt nur rund jede*rfünfte Teilnehmende zur Gruppe der Wenignutzenden,rund zwei Wochen später jedoch bereits etwa jede*rDritte. Waren Die Vielnutzenden im März 2020prozentual noch etwa gleichauf mit denWenignutzenden, sank ihre Anzahl im April 2020deutlich. Lediglich die Gruppengrößeder Traditionalist*innen blieb über denBefragungszeitraum relativ konstant.

Es stellt sich somit die Frage, welche Faktoren für diebeschriebenen Veränderungen im Wellenverlaufverantwortlich sind. Es zeigte sich dabei, dass wederdas Alter noch das Geschlecht oder der Bildungsstanddas Informationsverhalten erklären konnten –stattdessen stand allein die Themenverdrossenheit ineinem Zusammenhang mit dem Informationsverhalten,wobei bestätigt werden konnte, dass eine steigendeThemenverdrossenheit zur Vermeidung vonInformationen rund um das Coronavirus und diegeltenden Schutzmaßnahmen beitrug. Keinensignifikanten Einfluss hatte hingegen diewahrgenommene Informiertheit: Es spielte demnachkeine Rolle, ob die Teilnehmenden bereits einensufficiency threshold (Griffin, Neuwirth, et al., 2004)erreicht hatten oder nicht.

Zur besseren Interpretierbarkeit der Ergebnisse soll andieser Stelle auf die Limitationen der Studiehingewiesen werden. So lag der Befragungszeitraumzwischen März und April 2020 und damit in derFrühphase der Pandemie. Die Befunde besitzen somitinsbesondere für diesen Zeitraum Gültigkeit. KeineAussagen können hingegen darüber getroffen werden,wie sich das Informationsverhalten der Deutschen imVerlauf des vergangenen Pandemie-Jahres veränderthat. Angesichts des nicht abreißenden, großenStellenwertes der Thematik in den Medien sowie unterAnbetracht der deutlichen Zunahme der Wenig-nutzenden innerhalb kürzester Zeit ist jedoch davonauszugehen, dass im Verlauf des vergangenen Jahresnoch mehr Menschen der Thematik überdrüssigwurden und Informationen aktiv vermieden haben.Aktuellere Studien sollten dieser Vermutungnachgehen.

Weitere methodische Limitationen ergeben sich ausder logistischen Regression. Da der Typus derVielnutzenden zum zweiten Messzeitpunkt mit einerZellenbesetzung von n = 54 im Gruppenvergleichdeutlich kleiner ausfiel, wurde zur Beantwortung derdritten Forschungsfrage – anstelle einer multi-nominalen logistischen Regression – einebinär logistische Regression gerechnet. Folglichkönnen zwar Aussagen darüber getroffen werden,welche Variablen eine generelle Informa-tionszuwendung begünstigten oder hemmten, jedochnicht über die Faktoren, die die Zuordnung zu einemder drei Cluster beeinflusst haben.

Weiterhin ist anzumerken, dass als Prädiktorenausnahmslos die zum zweiten Messzeitpunkt erhobenenKonstrukte in die Regression eingingen. Auf diese

© Anne Reinhardt, Janine Brill, Constanze Rossmann (2021). Eine Typologie des Informationsverhaltens der Deutschen in der Corona-Pandemie unter Berücksichtigung von Themenverdrossenheit. In F. Sukalla & C. Voigt (Hrsg.), Risiken und Potenziale in derGesundheitskommunikation. Beiträge zur Jahrestagung der DGPuK-Fachgruppe Gesundheitskommunikation 2020, S.31-42. DOI:

https://doi.org/10.21241/ssoar.74688.

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Weise können ausschließlich Aussagen zuunmittelbaren Zusammenhängen zwischen denpositionellen und individuellen Faktoren sowie demModus der Informationssuche getroffen werden. Dasowohl die Themenverdrossenheit als auch diewahrgenommene Informiertheit nicht Teil desMessinstruments der ersten Befragungswelle waren, isteine Ermittlung längerfristiger Effekte hingegen nichtmöglich.

Zudem konnte die logistische Regression lediglich zurErklärung von rund sieben Prozent der Varianzbeitragen. Es scheint naheliegend, dass neben denbetrachteten individuellen Einflussfaktoren(Themenverdrossenheit, wahrgenommene Informier-theit) weitere Prädiktoren zur Vorhersage desInformationsverhaltens beitrugen. Gemäß desRISP (Griffin, Powell, et al., 2004) könnten diesbeispielsweise die Informationsaufnahmekapazität,subjektive Informationsnormen oder auch daswahrgenommene Risiko einer COVID-19-Infektionsein. Zukünftige Forschungsarbeiten könnten an dieserStelle ansetzen, um weitere relevante Einflussfaktorender Informationssuche im Krisen-Kontext zuidentifizieren.

Fazit

Die Befunde der Studie deuten darauf hin, dass eineintensive Informationsvermittlung ungewollte Effektehervorrufen kann. Die Ergebnisse werfen die Frageauf, wie intensiv die Kommunikation über diePandemie ausfallen darf und gleichsam auch ausfallensollte, um einerseits einem Themenverdruss vor-zubeugen und andererseits dennoch alle relevantenInformationen an die Bevölkerung zu distribuieren. Eswird somit der schmale Grat zwischenInformationsbedürfnis und Informationsüberlastungsichtbar, welcher unbedingt von Gesundheits-kommunikator*innen bei der Aufbereitung undBereitstellung von Informationen Beachtung findensollte.

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Anhang 1. Unterschiede des Informationsverhaltens zwischen den Typen zum ersten Messzeitpunkt (ANOVA).

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Anhang 2. Unterschiede des Informationsverhaltens zwischen den Typen zum zweiten Messzeitpunkt(ANOVA).

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