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2 Mittenverlauf von Tiefbohrungen Tiefbohrwerkzeuge sind im Allgemeinen einschneidig aus- gelegt. Damit kann die Richtung der resultierenden Kraft aus den Schnittkräften besser vorherberechnet werden. In dem Werkzeugsektor, in dessen Richtung die Schnittkräfte wirken, haben Tiefbohrwerkzeuge meist zwei Führungsleisten, über die sowohl die Schnitt- als auch die Passivkraft in die gerade entstandene Bohrungswand abgeleitet werden [1]. Damit bleiben die durch die Kräfte hervorgerufenen Momente sehr klein und das Werkzeug erfährt fast keine Auslenkung. Es führt sich in der gerade entstandenen Bohrung selbst. Als zu- sätzlichen positiven Effekt ebnen die Führungsleisten die fri- sche Bohrungswand ein. Somit verbessert sich bei leistenge- führten Werkzeugen die Bohrungsqualität sowohl hinsichtlich des Mittenverlaufs als auch der Oberflächenrauheit [2–4]. Beim BTA-Tiefbohren werden drei kinematische Verfah- rensvarianten unterschieden (Bild 1) [5]. Wird mit stehen- dem Werkstück und rotierendem Werkzeug gearbeitet, ist ver- fahrensbedingt der größte Mittenverlauf zu erwarten. Bei der Zerspanung mit stehendem Werkzeug ist der Mittenverlauf be- reits deutlich reduziert, während er im Gegenlauf von Werk- stück und Werkzeug selbst bei großen Bohrlängen extrem ge- ring bleibt. In allen Fällen ist der Verlauf verglichen mit dem Verlauf von Wendelbohrern derart gering, dass nicht mit ei- nem Werkzeugbruch infolge von zu starker Werkzeugbiegung zu rechnen ist. Welche Verfahrensvariante eingesetzt wird, hängt im Allgemeinen von der Werkstückgeometrie und den Möglichkeiten der Werkzeugmaschine ab. 3 Einflussfaktoren auf den Mittenverlauf Tiefbohrwerkzeuge bestehen grundsätzlich aus einem lan- gen und biegeweichen Schaft mit einem Schneid- und Füh- rungsbereich an der Bohrerspitze. Die während des Bohrpro- zesses auftretenden Schnittkräfte führen aufgrund dieses be- sonderen Werkzeugaufbaus zu einer Werkzeugverlagerung in der Bohrung und begünstigen so den Mittenverlauf. Mit Hilfe von FEM-Simulationen wurden am ISF die Verlagerungs- mechanismen von Einlippentiefbohrwerkzeugen untersucht. Hierdurch konnten Optimierungspotentiale hinsichtlich kon- struktiver Modifikationen zur Reduktion der Werkzeugver- lagerung und damit des Mittenverlaufs der erzeugten Bohrun- gen aufgedeckt werden [6]. Neben den Schnittkräften haben bei Tiefbohrwerkzeugen noch weitere Faktoren einen Einfluss auf den Mittenverlauf. Durch seinen schlanken Aufbau beeinflusst das Eigengewicht des Bohrers die waagerechte Lage des Werkzeugs mit zuneh- mender Bohrerlänge. Auch kann bei Rotation des Werkzeugs bereits vor Beginn des Bohrvorgangs durch die Fliehkraft eine Schaftbiegung entstehen, die keinen Anbohrvorgang in der gewünschten Lage mehr zulässt. Der Anbohrvorgang im Ge- samten hat einen großen Einfluss auf den zu erwartenden Fertigungstechnik, Bohren Thermische Beeinflussung des Mittenverlaufs beim BTA-Tiefbohren K. Weinert, M. Hagedorn, C. Peters wt Werkstattstechnik online Jahrgang 93 (2003) H. 10 695 Inhalt Ein wesentliches Qualitätsmerkmal von Bohrungen, insbeson- dere Tiefbohrungen, ist neben Durchmessertoleranz, Bohrungsoberflä- che und den verschiedenen Rundheitskennwerten der Mittenverlauf. Im Rahmen der hier vorgestellten Untersuchungen wird gezeigt, dass der Mittenverlauf beim BTA-Tiefbohren durch gezielte Wärmeeinbrin- gung während des Bohrprozesses beeinflusst werden kann. In diesen ersten Versuchen ist die thermische Energie mit Hilfe eines Autogen- brennschweißgerätes kontinuierlich mit dem Werkzeugvorschub in das Bauteil eingebracht worden. Thermal manipulation bore hole’s centre line in Deep Hole Drilling Abstract In drilling the deviation of the real bore hole’s centre line from the ideal centre line is an essential criterion for its manufacturing quality. Especially for the deep hole drilling process this aspect must be considered. This article describes research activities regarding the manipulation of the tool’s deviation by heat application on the outer surface of the workpiece during the BTA-drilling process. In these ex- periments a standard welding device was used for the heat applica- tion. Erstveröffentlichung Prof. Dr.-Ing. Dr. h. c. Klaus Weinert, Dipl.-Ing. Michael Hagedorn, Dipl.-Ing. Carsten Peters Institut für Spanende Fertigung – Universität Dortmund Baroper Str. 301, D-44227 Dortmund Tel. +49 (0)231 / 755-4860, Fax +49 (0)231 / 755-5141 E-Mail: [email protected] Internet: www.isf.de 1 Einleitung Wendelbohrer neigen mit zunehmender Bohrtiefe dazu, sich radial aus der Soll-Richtung auszulenken. Dies liegt vor allem daran, dass sich die Schnittkräfte bei zweischneidigen Werkzeugen durch Fertigungstoleranzen und unterschiedliche Verschleißzustände der Schneiden nicht aufheben und so stets resultierende Radialkräfte am Werkzeug entstehen. Diese werden bei Wendelbohrern relativ weit von der Wirk- stelle entfernt über das Bohrfutter der Spindel abgeführt, wo- durch große Momente das Werkzeug belasten. Bei Länge- Durchmesser-Verhältnissen von mehr als fünf führt dieser Ef- fekt einerseits zu einer schlechten Bohrungsqualität hin- sichtlich des Mittenverlaufs, andererseits kann im ungüns- tigsten Fall ein Werkzeugbruch die Folge der starken Biegebe- lastung des Bohrers sein. Um diesen Einfluss abzumildern, werden entsprechende Wendelbohrer an den Nebenschneiden mit Führungsfasen versehen.

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2 Mittenverlauf von Tiefbohrungen

Tiefbohrwerkzeuge sind im Allgemeinen einschneidig aus-gelegt. Damit kann die Richtung der resultierenden Kraft aus den Schnittkräften besser vorherberechnet werden. In dem Werkzeugsektor, in dessen Richtung die Schnittkräfte wirken, haben Tiefbohrwerkzeuge meist zwei Führungsleisten, über die sowohl die Schnitt- als auch die Passivkraft in die gerade entstandene Bohrungswand abgeleitet werden [1]. Damit bleiben die durch die Kräfte hervorgerufenen Momente sehr klein und das Werkzeug erfährt fast keine Auslenkung. Es führt sich in der gerade entstandenen Bohrung selbst. Als zu-sätzlichen positiven Effekt ebnen die Führungsleisten die fri-sche Bohrungswand ein. Somit verbessert sich bei leistenge-führten Werkzeugen die Bohrungsqualität sowohl hinsichtlich des Mittenverlaufs als auch der Oberflächenrauheit [2–4].

Beim BTA-Tiefbohren werden drei kinematische Verfah-rensvarianten unterschieden (Bild 1) [5]. Wird mit stehen-dem Werkstück und rotierendem Werkzeug gearbeitet, ist ver-fahrensbedingt der größte Mittenverlauf zu erwarten. Bei der Zerspanung mit stehendem Werkzeug ist der Mittenverlauf be-reits deutlich reduziert, während er im Gegenlauf von Werk-stück und Werkzeug selbst bei großen Bohrlängen extrem ge-ring bleibt. In allen Fällen ist der Verlauf verglichen mit dem Verlauf von Wendelbohrern derart gering, dass nicht mit ei-nem Werkzeugbruch infolge von zu starker Werkzeugbiegung zu rechnen ist. Welche Verfahrensvariante eingesetzt wird, hängt im Allgemeinen von der Werkstückgeometrie und den Möglichkeiten der Werkzeugmaschine ab.

3 Einflussfaktoren auf den Mittenverlauf

Tiefbohrwerkzeuge bestehen grundsätzlich aus einem lan-gen und biegeweichen Schaft mit einem Schneid- und Füh-rungsbereich an der Bohrerspitze. Die während des Bohrpro-zesses auftretenden Schnittkräfte führen aufgrund dieses be-sonderen Werkzeugaufbaus zu einer Werkzeugverlagerung in der Bohrung und begünstigen so den Mittenverlauf. Mit Hilfe von FEM-Simulationen wurden am ISF die Verlagerungs-mechanismen von Einlippentiefbohrwerkzeugen untersucht. Hierdurch konnten Optimierungspotentiale hinsichtlich kon-struktiver Modifikationen zur Reduktion der Werkzeugver-lagerung und damit des Mittenverlaufs der erzeugten Bohrun-gen aufgedeckt werden [6].

Neben den Schnittkräften haben bei Tiefbohrwerkzeugen noch weitere Faktoren einen Einfluss auf den Mittenverlauf. Durch seinen schlanken Aufbau beeinflusst das Eigengewicht des Bohrers die waagerechte Lage des Werkzeugs mit zuneh-mender Bohrerlänge. Auch kann bei Rotation des Werkzeugs bereits vor Beginn des Bohrvorgangs durch die Fliehkraft eine Schaftbiegung entstehen, die keinen Anbohrvorgang in der gewünschten Lage mehr zulässt. Der Anbohrvorgang im Ge-samten hat einen großen Einfluss auf den zu erwartenden

Fertigungstechnik, Bohren

Thermische Beeinflussung des Mittenverlaufs beim BTA-Tiefbohren K. Weinert, M. Hagedorn, C. Peters

wt Werkstattstechnik online Jahrgang 93 (2003) H. 10 695

Inhalt Ein wesentliches Qualitätsmerkmal von Bohrungen, insbeson-dere Tiefbohrungen, ist neben Durchmessertoleranz, Bohrungsoberflä-che und den verschiedenen Rundheitskennwerten der Mittenverlauf. Im Rahmen der hier vorgestellten Untersuchungen wird gezeigt, dass der Mittenverlauf beim BTA-Tiefbohren durch gezielte Wärmeeinbrin-gung während des Bohrprozesses beeinflusst werden kann. In diesen ersten Versuchen ist die thermische Energie mit Hilfe eines Autogen-brennschweißgerätes kontinuierlich mit dem Werkzeugvorschub in das Bauteil eingebracht worden. Thermal manipulation bore hole’s centre line in Deep Hole Drilling Abstract In drilling the deviation of the real bore hole’s centre line from the ideal centre line is an essential criterion for its manufacturing quality. Especially for the deep hole drilling process this aspect must be considered. This article describes research activities regarding the manipulation of the tool’s deviation by heat application on the outer surface of the workpiece during the BTA-drilling process. In these ex-periments a standard welding device was used for the heat applica-tion.

Erstveröffentlichung

Prof. Dr.-Ing. Dr. h. c. Klaus Weinert, Dipl.-Ing. Michael Hagedorn, Dipl.-Ing. Carsten Peters Institut für Spanende Fertigung – Universität Dortmund Baroper Str. 301, D-44227 Dortmund Tel. +49 (0)231 / 755-4860, Fax +49 (0)231 / 755-5141 E-Mail: [email protected] Internet: www.isf.de

1 Einleitung

Wendelbohrer neigen mit zunehmender Bohrtiefe dazu, sich radial aus der Soll-Richtung auszulenken. Dies liegt vor allem daran, dass sich die Schnittkräfte bei zweischneidigen Werkzeugen durch Fertigungstoleranzen und unterschiedliche Verschleißzustände der Schneiden nicht aufheben und so stets resultierende Radialkräfte am Werkzeug entstehen. Diese werden bei Wendelbohrern relativ weit von der Wirk-stelle entfernt über das Bohrfutter der Spindel abgeführt, wo-durch große Momente das Werkzeug belasten. Bei Länge-Durchmesser-Verhältnissen von mehr als fünf führt dieser Ef-fekt einerseits zu einer schlechten Bohrungsqualität hin-sichtlich des Mittenverlaufs, andererseits kann im ungüns-tigsten Fall ein Werkzeugbruch die Folge der starken Biegebe-lastung des Bohrers sein. Um diesen Einfluss abzumildern, werden entsprechende Wendelbohrer an den Nebenschneiden mit Führungsfasen versehen.

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Mittenverlauf. Jeder Fehler, der zu diesem Zeitpunkt auftritt, wird während des gesamten Bohrvorgangs mitgeführt. Zudem ist das Anbohren eine problematische Bohrphase, da sich zu diesem Zeitpunkt die Führungsleisten noch nicht an der Boh-rungswand abstützen können. So wird der Bohrkopf durch die Schnittkräfte aus der gewünschten Lage ausgelenkt. Auch nach erfolgtem Anbohrvorgang besteht die Gefahr der Biege-linienbildung, wenn der Bohrkopf sich bereits in der Bohrung befindet. Aufgrund des nicht mehr parallel zur gewünschten Bohrungsachse liegenden Kopfs wird das gesamte Werkzeug in Richtung der Bohrkopfneigung abgelenkt. Während des stationären Bohrprozesses hat auch die Vorschubkraft einen Einfluss auf eine Ablenkung des Werkzeugs. Gemäß dem Prin-zip der Euler’schen Knickung besitzen lange, schlanke Körper bei Belastung in Längsachsenrichtung die Tendenz, sich in der Mitte durchzubiegen, was ebenfalls zu einer Ablenkung des Bohrkopfes aus der gewünschten Achse führt [7].

Neben diesen mechanischen Einflüssen auf den Mittenver-lauf gibt es noch weitere wesentliche Prozessgrößen, die die-sen maßgeblich beeinflussen können. Zum einen sind dies die Prozessparameter wie Schnittgeschwindigkeit und Vorschub, zum anderen die Eigenschaften des Werkstückwerkstoffs. Hier können bereits kleinste Inhomogenitäten dazu führen, dass der Bohrer von harten Einschlüssen weg oder zu weichen Pha-sen hin abgelenkt wird [7].

In der Vergangenheit sind verschiedene Versuche unter-nommen worden, den unerwünschten Mittenverlauf von Boh-rungen von außen gezielt zu beeinflussen und so eine Ablen-kung des Bohrers zu verhindern beziehungsweise bewusst herbeizuführen. Dabei kamen Werkzeuge mit beweglichen Schneiden und Führungsleisten zum Einsatz, um das Werk-zeug direkt abzulenken oder das Kräftesystem an der Schneide so zu beeinflussen, dass eine Bahnkorrektur erfolgt [8–10]. In weiteren Untersuchungen wurde versucht, durch kinematische Ver-änderungen den Mittenverlauf zu beeinflussen [11]. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, vor-gebohrte Bohrungen durch ziehen-des Aufbohren, wie Auskammerboh-ren und Auskammerfräsbohren, zu

korrigieren [12–16]. Mit Hilfe von Pulsationen im Kühl-schmierstoffstrom konnte der Mittenverlauf beim Einlippen-bohren gezielt beeinflusst und reduziert werden [17].

4 Versuchsdurchführung und Auswertung

Im Gegensatz zur mechanischen und der durch Änderun-gen in der Prozesskinematik hervorgerufenen gezielten Verän-derung des Mittenverlaufes beim Tiefbohren, wird am Institut für Spanende Fertigung ein auf thermischer Beeinflussung des Werkstücks beruhendes Prinzip untersucht. Die Grundlage für die Werkstückbeeinflussung stellt die Änderung der Mate-rialeigenschaften des zu bearbeitenden Werkstoffs beim Er-wärmen dar. Hierzu zählen einerseits das Aufweiten der Probe durch Wärmedehnung sowie das Verringern der Härte bei hö-heren Temperaturen.

In ersten Stichversuchen konnte nachgewiesen werden, dass eine thermische Beeinflussung des Mittenverlaufs beim BTA-Tiefbohren möglich ist. In den Experimenten wurden Bohrungen von 60 mm Durchmesser in 500 mm lange Wellen aus C60 mit einem Außendurchmesser von 83 mm einge-bracht. Der Bohrprozess wurde mit stehendem Werkstück und drehendem Werkzeug durchgeführt. Im Bohrabschnitt zwi-schen 100 mm und 350 mm erfolgte die thermische Beein-flussung des Werkstücks (Bild 2). Hierzu kam ein Autogen-schweißgerät zum Einsatz, dessen Düse manuell an die Au-ßenfläche des Werkstücks gehalten und kontinuierlich mit Vorschubgeschwindigkeit des Prozesses parallel zur Werk-zeugbewegung geführt wurde.

Vorversuche zur thermischen Beeinflussung der Werkstü-cke an bereits gebohrten Proben haben ergeben, dass die

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Bild 2. Prinzipielle Versuchsdurchführung

Bild 1. Prozesskinematiken beim Tiefbohren und deren Einfluss auf den Mittenverlauf [5]

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und „moderate“ thermische Einwirkung). Das Ergebnis der Untersuchungen fasst Bild 4 zusammen. In Bild 4 a sind deut-lich die Auswirkungen der thermischen Beeinflussung wäh-rend des Bearbeitungsvorgangs zu sehen. Bei hoher ther-mischer Einwirkung findet bei Einsatz des Autogenbrenners eine Aufschmelzung der Werkstückoberfläche statt. Wie der untere Teil des Diagramms in Bild 4 b zeigt, wird das Werkzeug bei unbeeinflusstem Prozess zur gedachten Wirklinie des Wär-meeintrags hin abgelenkt. Der Einfluss des Vorschubes ist da-bei von untergeordneter Bedeutung. Durch geringe ther-mische Einwirkung kann der Mittenverlauf bei hohem Vor-schub auf nahezu Null reduziert werden. Bei niedrigem Vor-schub und moderater thermischer Einwirkung wird der Bohrer sogar in die entgegengesetzte Richtung, das heißt weg vom Wärmeeintrag, abgelenkt. Dieser Effekt macht sich deutlicher bei geringem Vorschub und hoher thermischer Einwirkung be-merkbar. Der Grund für die größer werdende Beeinflussung bei geringen Vorschüben liegt in der Dauer der Wärmeeinwirkung, die wesentlich länger ist als bei hohen Vorschubwerten. Hier-durch wird die Probe einseitig entsprechend stärker erhitzt.

Für die Ablenkung des Werkzeugs von der Wärmequelle weg können ursächlich zwei Gründe angeführt werden. Einer-seits wird während des Bearbeitungsvorgangs auf der erwärm-ten Seite weniger Material zerspant, da aufgrund der Wär-medehnung Werkstoff radial nach außen bewegt wird, das zer-spante Volumen jedoch konstant bleibt. Hierdurch resultiert auf der Seite der Wärmeeindringzone eine dickere Bohrungs-

Wärmeeindringzone räumlich sehr begrenzt ist, wodurch eine gezielte Beeinflussung des Probenmaterials möglich ist. Eine rechnerbasierte Analyse mit Hilfe der Finite-Elemente-Me-thode macht die stationäre Wärmeverteilung in der Bohrungs-wand während des Erwärmens deutlich (Bild 3). Für die Simu-lation wurde eine Oberflächentemperatur im Bereich der Flamme von 1000 °C und eine Abkühlung durch Konvektion an ruhender Luft angenommen. Der Einfluss des Tiefbohröls während des realen Bearbeitungsprozesses wurde vernachläs-sigt. Das Ergebnis der transienten Temperaturfeldberechnung stimmt weitgehend mit während der Aufheizphase gemesse-nen Werten an der Bohrungsinnenwand überein.

Bei den Versuchsreihen wurde die Schnittgeschwindigkeit vc = 100 m/min konstant gehalten und lediglich der Vorschub zwischen f = 0,1 mm und f = 0,25 mm variiert. Darüber hinaus ist die Stärke der thermischen Einwirkung über den Abstand der Brennerflamme zum Werkstück verändert worden („hohe“

wand als im gegenüberliegenden Bereich. Andererseits wird das Werkzeug durch die Schrumpfung des Werkstücks nach Weiterbewegung der Wärmequelle abgedrängt. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Führungsleisten des Werkzeugs ver-gleichsweise lange im Kontakt mit dem sich abkühlenden Be-reich der Bohrungswand sind und sich dieser deutlich stärker zusammenzieht als die gegenüberliegende Werkstückseite.

5 Zusammenfassung

Die hier vorgestellten Untersuchungen zeigen, dass der Mittenverlauf beim BTA-Tiefbohren durch gezielte Wärmeein-bringung beeinflusst werden kann. Dabei ist in diesem Fall die thermische Energie mit Hilfe eines Autogenbrennschweiß-gerätes kontinuierlich mit dem Werkzeugvorschub in das Bau-teil eingebracht worden. Die Richtung des Mittenverlaufs hat sich in allen Fällen von der Seite der Wärmeeinbringung weg-bewegt. Der Betrag der Verlagerung des Bohrers zur Werk-stückachse stand dabei in direkter Abhängigkeit zur Menge der Wärmeeinbringung. Für weitere Untersuchungen ist vor-gesehen, die thermische Beeinflussung des Werkstücks mit Hilfe der induktiven Erwärmung zu bewerkstelligen. Damit ist eine erheblich bessere Dosierung des Wärmeeintrags möglich. Zudem wird die Außenoberfläche des Werkstücks bei indukti-ver Erwärmung deutlich weniger geschädigt als durch die Brennflamme.

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Bild 3. FEM-Simulation des Wärmefeldes in der Ringprobe

Bild 4. Versuchsergebnisse

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Literatur

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