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Führen ist eine Entscheidung: Als Fundraiser in agil(er) führen mit und ohne Positionsmacht Stefanie Hirschfeld Inhalt 1 Einleitung ..................................................................................... 2 2 Topograe des organisationalen Geländes: Dynamiken und Phänomene rund um die Funktion von Fundraiser innen .......................................................... 3 3 Frischer Wind: Agil(er) denken und handeln ................................................ 9 4 Fazit und Ausblick ............................................................................ 15 Literatur ........................................................................................... 15 Zusammenfassung Im Hinblick auf fehlende Institutional Readiness sehen Fundraiser innen (Diese Schreibweise bezieht ausdrücklich alle sozialen Geschlechter ein und trägt der Tatsache Rechnung, dass Fundraising überwiegend von Frauen praktiziert wird. An allen Stellen, an denen nicht ausdrücklich beide Formen genannt werden, gilt diese Form für alle Geschlechter.) ihre Organisationen meist in einer Bringschuld. Wenn sie andere Perspektiven einnehmen, können sie erfolgreicher sein, denn in einer zunehmend komplexen Welt braucht es beweglichere Formen von Kom- munikation und Führung. Eine Person, die spürt, dass eine Veränderung sinnvoll, nützlich und notwendig ist und die sich entscheidet, die Verantwortung für diese Veränderung zu übernehmen , führt. Der Beitrag ermutigt Fundraiser innen, das eigene Tätigkeitsfeld agil(er) zu gestalten und sich auch als Führungskraft zu verstehen. S. Hirschfeld (*) Potenzial bewusst gestalten Mehrdimensionale Organisationsberatung, Kassel, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Urselmann (Hrsg.), Handbuch Fundraising, Springer Reference Wirtschaft, https://doi.org/10.1007/978-3-658-08461-5_32-1 1

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Führen ist eine Entscheidung: AlsFundraiser�in agil(er) führen – mit undohne Positionsmacht

Stefanie Hirschfeld

Inhalt1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 Topografie des organisationalen Geländes: Dynamiken und Phänomene rund um

die Funktion von Fundraiser�innen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 Frischer Wind: Agil(er) denken und handeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 Fazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

ZusammenfassungIm Hinblick auf fehlende Institutional Readiness sehen Fundraiser�innen (DieseSchreibweise bezieht ausdrücklich alle sozialen Geschlechter ein und trägt derTatsache Rechnung, dass Fundraising überwiegend von Frauen praktiziert wird.An allen Stellen, an denen nicht ausdrücklich beide Formen genannt werden, giltdiese Form für alle Geschlechter.) ihre Organisationen meist in einer Bringschuld.Wenn sie andere Perspektiven einnehmen, können sie erfolgreicher sein, denn ineiner zunehmend komplexen Welt braucht es beweglichere Formen von Kom-munikation und Führung. Eine Person, die spürt, dass eine Veränderung sinnvoll,nützlich und notwendig ist – und die sich entscheidet, die Verantwortung für dieseVeränderung zu übernehmen –, führt. Der Beitrag ermutigt Fundraiser�innen, daseigene Tätigkeitsfeld agil(er) zu gestalten und sich auch als Führungskraft zuverstehen.

S. Hirschfeld (*)Potenzial bewusst gestalten – Mehrdimensionale Organisationsberatung, Kassel, DeutschlandE-Mail: [email protected]

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020M. Urselmann (Hrsg.), Handbuch Fundraising, Springer Reference Wirtschaft,https://doi.org/10.1007/978-3-658-08461-5_32-1

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SchlüsselwörterFührung · Fundraiser�in · Hierarchie · Agil · Rolle

1 Einleitung

Fehlende Institutional Readiness wird von vielen Fundraiser�innen als ein zentralesHindernis für erfolgreiches Fundraising betrachtet und dementsprechend beklagt.Dabei neigen viele dazu, ihre Organisationen in einer Bringschuld zu sehen – undsich selbst als Leidtragende misslicher Umstände. Die These der Autorin lautet:Fundraiser�innen können erfolgreicher sein, wenn sie beginnen, ihr Tätigkeitsfeld inden Organisationen agil(er) zu gestalten und sich selbst nicht nur als Fach-, sondernauch als Führungskraft zu verstehen. „Agilität“ bezeichnet nach Slogar (2018) dieFähigkeit einer Organisation, die Veränderung relevanter externer und internerEinflussfaktoren wahrzunehmen und flexibel darauf zu reagieren. So ist in diesemBeitrag mit „agil“ eine Denk- und Handlungslogik gemeint, die neue Impulse undBewegungen – sozusagen einen frischen Wind – in traditionell strukturierte Orga-nisationen bringt. Meist geschehen Veränderungsprozesse hin zu größerer organisa-tionaler Beweglichkeit in kleinen Schritten. Um diese Qualität der kleinen Schrittezu unterstreichen, verwende ich einen beweglich geklammerten Komparativ, bei-spielsweise agil(er) oder agil(er)e.

Um wirksame Ideen für eine agil(er)e Gestaltung organisationaler Strukturen undArbeitsprozesse entwickeln zu können, muss man die Dynamiken verstehen, die ineiner Organisation wirken. Daher betrachten wir im zweiten Teil dieses Beitragszunächst einige Dynamiken und Phänomene des organisationalen Geländes, in demFundraiser�innen sich bewegen, durch zwei unterschiedliche theoretische Brillen,die systemische und die hierarchisch-logische. Die Betrachtung der Strukturland-schaft Fundraising (Hirschfeld 2018) schult den systemischen Blick auf Organisa-tionen und sensibilisiert für die Wahrnehmung organisationaler (Konflikt-)Dynamikenrund um das Fundraising. Durch die Brille der hierarchischen Logik blicken wir auftypische Merkmale dieser traditionellen Organisationsform. In einer Welt, die immerkomplexer wird, braucht es agil(er)e Formen von Zusammenarbeit und Führung, umerfolgreich zu bleiben. Daher sind die Zeiten günstig, Führung zu übernehmen – unddas auch ohne Positionsmacht. Im dritten, praxisorientierten Teil geht es um einenParadigmenwechsel im Führungsverständnis: Die Entscheidung, für die Gestaltungnotwendiger Veränderungen die Verantwortung zu übernehmen und diesen Prozessbewusst als Führungsarbeit zu verstehen (Oestereich und Schröder 2017). Die mehr-dimensionale Perspektivität dieses Beitrags, die die Ebene des Individuums, desTeams und der Organisation einbezieht, möchte Fundraiser�innen ermutigen, künftigstärker im Bewusstsein einer Führungskraft zu handeln und ihr Tätigkeitsfeld agil(er)zu gestalten.

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2 Topografie des organisationalen Geländes: Dynamikenund Phänomene rund um die Funktion vonFundraiser�innen

2.1 Das System Organisation und die StrukturlandschaftFundraising

Sinn und Zweck einer Organisation ist es, eine Antwort auf die Frage zu geben,warum sie existiert und worin ihr Beitrag für die Gesellschaft besteht. Alle Elemente,die zur Erfüllung dieses Sinns, also zur Bewältigung der Aufgaben und zumErreichen der Ziele, notwendig sind, gehören zum System der Organisation. MitElementen können Funktionen, Abteilungen oder Bereiche gemeint sein. JedeOrganisation entscheidet, welches Element welche Aufgaben übernimmt und wiedie Elemente durch geeignete Strukturen und Prozesse so miteinander verknüpftwerden, dass die Organisation ihren Zweck erfüllen kann. Jede Organisation – obVerein, Stiftung, Behörde oder Startup – hat ihre eigene Funktionslogik. In diesemVerständnis sind Organisationen nicht allein als Netzwerk menschlicher Akteure inarbeitsteiligen Bezügen zu verstehen (Müller-Christ und Pijetlovic 2018). Die Logikvon Organisationen kann sogar ganz ohne menschliche Beziehungen beschriebenwerden; sie funktioniert demnach unabhängig von konkreten Personen. In seinersoziologischen Organisationstheorie beschreibt Luhmann (2011) Organisationen alssich selbst erhaltende soziale Systeme, die allein aus der Kommunikation vonEntscheidungen entstehen. Organisationen sind hochkomplexe, lebendige Systeme,die nicht wie mechanische Maschinen funktionieren, in denen nach monokausalenPrinzipien ein Impuls A verlässlich eine Wirkung B hervorruft. Im Gegenteil –Prozesse, Einflüsse und Wirkungen bedingen sich gegenseitig in vielfältiger Weise.Organisationen können dazu angeregt werden, sich selbst zu reflektieren, aus Erfah-rungen zu lernen und sich dadurch – ganz im Sinne eines agilen Verständnisses –zukunftsorientiert weiterzuentwickeln (Hofert 2016).

In unserem Zusammenhang betrachten wir zunächst die organisationsinternenBeziehungen und die damit verbundenen Dynamiken in Bezug auf die Funktion derFundraiser�in. Abb. 1 skizziert modellhaft das Beziehungsgefüge, in dem Fund-raiser�innen sich bewegen.1 Vorab ein kurzes Wort zum Wesen von Modellen undden verwendeten illustrierenden Beispielen: Modelle reduzieren die Komplexität derWirklichkeit und beschreiben grundlegende Wirkzusammenhänge, indem sie sieverallgemeinern. Der Nutzen besteht darin, dass Wirkmechanismen deutlich werdenkönnen, die ohne eine solche Systematik vielleicht nicht bewusst würden. Modelleund illustrierende Beschreibungen sind daher in diesem Kontext eher im Sinne vonLandkarten zu betrachten denn als Darstellung von Wirklichkeiten. Insofern fördertauch bei der Betrachtung der Modelle oder der illustrierenden Beschreibungen eine

1Nachfolgend greife ich Aspekte und Ausführungen aus meiner Veröffentlichung „Fundraisingzwischen Ökonomisierung und Mitmenschlichkeit. Emotionale, soziale und organisationale He-rausforderungen und Chancen“ (Hirschfeld 2018) auf.

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flexible Denk- und Handlungslogik ein tieferes Verstehen: Die Situationen könnenganz verschieden sein und sogar völlig anders als erwartet – entscheidend ist dasgrundlegende Muster, das darin sichtbar wird.

Die relevanten Elemente des nachstehend erläuterten Modells sind folgende: DieFunktion der Fundraiser�in als Teil der Organisation, jedoch außerhalb des Kernge-schäfts; das Kerngeschäft der Organisation mit unterschiedlichen Bereichen (Vorstand,Marketing, Finanzwesen, Dienstleistungen); Projekte der Organisation sowie eineAuswahl der relevanten Umwelten und des Marktes: Spender�innen, Empfänger�in-nen, konkurrierende Organisationen und gesellschaftliche Rahmenbedingungen.

Abb. 1 zeigt modellhaft, dass Fundraiser�innen in ein komplexes Beziehungsge-füge eingebettet sind. Als zentrale Figur in einem dichten Beziehungsgeflecht habensie sowohl eine Mittlerfunktion zwischen der Organisation und ihren Umwelten alsauch innerhalb der Organisation. Damit markiert die Funktion der Fundraiser�ineinen Brennpunkt, an dem zahlreiche interne und externe Prozesse zusammenlaufen.

2.2 Die Konfliktlandschaft Fundraising und ihr Potenzial

In einem systemischen Verständnis von Organisationen machen wir uns die Bezie-hungen der Elemente zueinander bewusst, berücksichtigen dabei alle Beteiligten inihren Funktionen und nehmen auch ihre Position in der Organisation mit in den

Abb. 1 Strukturlandschaft Fundraising, (Quelle: Eigene Darstellung nach Hirschfeld 2018)

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Blick. Ziel dieser forschenden Betrachtung ist es, die Verhaltensmuster und Dyna-miken zu erkennen, die zwischen den Elementen bestehen, insbesondere solche, diemöglicherweise zu Konflikten führen. Abb. 2 zeigt die „Konfliktlandschaft Fund-raising“ mit internen und externen Dynamiken, die auf die Fundraiser�in einwirken.

Sowohl die Implementierung als auch die Professionalisierung von Fundraisinghaben eine starke Wirkung auf eine Organisation. In beiden Fällen sind organisatori-sche, strukturelle und kulturelle Veränderungen erforderlich. Vereinfachend gesagt:Erfolgreiches Fundraising induziert Organisationsentwicklung und braucht siezugleich. Ist dies in einer Organisation den Leitungskräften oder den Mitarbeitendennicht bewusst, werden Fundraiser�innen als Störfaktor erlebt, die die Veränderung vonArbeitsprozessen notwendig machen und damit Unruhe hervorrufen. Während dieFundraiser�in davon ausgeht, dass sie auf Augenhöhe mit den anderenMitgliedern derOrganisation agiert, können fehlende organisatorische, strukturelle und kulturelleVoraussetzungen zu Abhängigkeiten führen, die durch persönlichen Einsatz, Freund-lichkeit und eine intensive informelle Kommunikation kompensiert werden müssen.

Abb. 2 Konfliktlandschaft Fundraising, (Quelle: Eigene Darstellung nach Hirschfeld 2018)

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Eine weitere Herausforderung liegt in der Dynamik von Macht und Ohnmacht imVerhältnis der Fundraiser�in zur Organisation. Ökonomischer Erwartungsdruckder Leitungsebene, Willkürentscheidungen sowie unzureichende Ressourcen sindAusdruck der Position, die die Fundraiser�in im hierarchischen Gefälle (vgl.Abschn. 2.3) oftmals einnimmt. Eine These könnte lauten, dass diese Logik zu einerKonkurrenz zwischen den Verantwortlichen auf der Leitungsebene und der Fund-raiser�in führt, die im Hinblick auf die Profilierung der Organisation und dieAuswahl der Fundraising-Projekte auf der informellen Ebene eine machtvolle Posi-tion einnimmt. Zudem delegiert die Leitungsebene, die per Definition für daswirtschaftliche Überleben der Organisation zuständig ist, einen Teil dieser Verant-wortung an die Fundraiser�in und begibt sich damit in eine Abhängigkeit, dieunbewusst als Kränkung wahrgenommen werden kann. Ökonomischer Erwartungs-druck und die finanzielle Verantwortung dafür, beträchtliche Geldsummen zu akqui-rieren, stellen ebenfalls Belastungsfaktoren dar. Rechtfertigungsdruck, beispielsweisebezüglich der Auswahl von Fundraising-Projekten, besteht nicht nur gegenüber denMitarbeitenden, sondern letztlich auch im Hinblick auf ihre Existenz als solche. Es istschwer vorstellbar, dass Mitarbeitende in anderen Positionen so offensiv danachgefragt werden, wann sie ihr Gehalt erwirtschaftet haben werden, wie das bei Fund-raiser�innen der Fall ist. Die Beziehung zu den Spender�innen kann durch denWiderspruch belastet sein, dass es einerseits um die Pflege der Beziehung geht,andererseits jedoch die Maximierung der Spendeneinnahmen im Fokus der Aufmerk-samkeit steht. Voraussetzung für erfolgreiches Fundraising ist es, Mitarbeitende undKolleg�innen bei spezifischen und zusätzlichen Anforderungen für Fundraising zubegeistern und für die aktive Mitarbeit zu gewinnen. Da hierfür oftmals geeigneteKommunikationsräume fehlen, stellt das Umgehen mit Widerstand in der Organisa-tion wohl eine der größten Herausforderungen dar.

Externe Faktoren wirken auf die Organisation und damit mittelbar auf die Fund-raiser�in. Dazu zählen: Die permanente Anforderung zur Professionalisierung beigleichzeitigem Wissen, dass ein zu professionelles Handeln das Negativimage desFundraisings verstärkt, der Ökonomisierungsdruck sowie der Wettbewerbs- undProfilierungsdruck auf einem umkämpften Spendenmarkt. Zusammenfassend lassensich die Herausforderungen, mit denen Fundraiser�innen emotional, sozial undorganisational konfrontiert sind, mit dem Bild einer Kakofonie von Anforderungentreffend beschreiben.

Gleichzeitig prädestiniert aus meiner Sicht gerade diese beschriebene Gemenge-lage Fundraiser�innen dazu, eine führende Rolle einzunehmen und Strukturen zugestalten, die einem erfolgreichen Fundraising dienlich sind (vgl. Abschn. 3).

2.3 Merkmale der hierarchischen Ordnung von Organisationenund Handlungsansätze

In Zeiten rasanter, disruptiver und wenig vorhersehbarer Entwicklungen erweisensich traditionelle Organisationsformen als nicht mehr flexibel und anpassungsfähiggenug. Das liegt im Wesen der Sache begründet, denn die traditionelle Hierarchie

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wurde gerade für das Gegenteil konzipiert: Verlässlichkeit und Stabilität hervor-zubringen und dabei immer effizienter zu werden. Das hat sich über Jahrhundertebewährt. Dass diese Zeiten vorbei sind, erleben aktuell immer mehr Unternehmen inimmer mehr Branchen. Zwar wird bereits seit langer Zeit darauf hingewiesen, dasses andere Organisationsformen braucht, die grundsätzlich auf eine größere Anpas-sungsfähigkeit und Agilität ausgerichtet sind (Guntern 1992), doch erst mit demLeidensdruck der letzten Jahre entwickeln sich nun brauchbare Konzepte der agilenKooperation, Entscheidungsfindung und Steuerung (Kaegi und Zängl 2018).

Merkmale klassisch-hierarchisch strukturierter Organisationen sind folgende: Über-und Unterordnung, Arbeitsteilung, Spezialisierung auf bestimmte Aufgaben und fest-gelegte Entscheidungsbefugnisse. Meist visualisiert ein Organigramm (s. Abb. 3) denhierarchischen Aufbau und die Anweisungsstruktur einer Organisation. Es zeigt, inwelcher fachlichen Unterteilung die Aufgaben bearbeitet werden und wer an welcherEntscheidungsposition angesiedelt ist.

Ausgehend von der hierarchischen Logik einer Organisation wissen die Oberenauf jeder Stufe mehr als diejenigen, die sich darunter befinden (1). Von denjenigen,die an der Spitze der Hierarchie stehen, wird daher erwartet, dass sie auf alle Frageneine Antwort haben, Entscheidungen treffen und sich für das Überleben der Orga-nisation verantwortlich fühlen (Schwarz 2019). Diejenigen, die „oben“ sind, wissen,wie es geht, und kommunizieren nach „unten“, was und wie etwas gemacht werdensoll. Diese Art der Informationskaskade wird auch als Top-Down-Kommunikationbezeichnet (2). Sie geht häufig mit einem „Stille-Post-Effekt“ einher, bei dem nur ein

Abb. 3 Merkmale und Dynamiken einer hierarchischen Organisationsstruktur, (Quelle: EigeneDarstellung)

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Teil dessen, was kommuniziert wurde, „unten“ ankommt. Umgekehrt bedeutet das,dass eine Idee, die an der Basis entsteht, zunächst Stufe um Stufe ihren Weg nach„oben“ nehmen muss (3), um an autorisierter Stelle beraten und genehmigt zuwerden. Die Entscheidung wiederum wird Stufe um Stufe nach unten gereicht.Und so sind Entscheidungswege und -verfahren oft so lang, dass sie mit den internenVeränderungsimpulsen oder der Geschwindigkeit der sich verändernden Umweltnicht Schritt halten können. Als Kollateralschaden sind hier immer wieder dieDemotivation und Frustration der beteiligten Akteur�innen zu beklagen.

In der Vergangenheit wurde von Führungskräften vor allen Dingen Expertentumerwartet, und häufig wurden die besten fachlichen Experten zu Führungskräftengemacht. In einer Welt jedoch, die immer komplexer wird, in der Wissen sich inrasanter Geschwindigkeit vervielfacht, in der Wirkzusammenhänge häufig undurch-schaubar sind und in der es mehrere mögliche Wege gibt, um ein Ziel zu erreichen,kann eine Person oder eine Fachabteilung in vielen Fällen nicht mehr alle Faktorenim Blick haben, die notwendig sind, um gute Entscheidungen zu treffen. Hier stelltsich die Frage, wie die Qualität von Entscheidungen bei komplexen Fragestellungendurch andere Kommunikationsprinzipien erhöht werden kann.

Die Organisation in vertikalen Linien führt auch dazu, dass die eigene Linie imFokus der Aufmerksamkeit steht (4). Die Verantwortung, die eine Mitarbeiter�inempfindet, gilt für ihren oder seinen Teilbereich jedoch nicht für das Gesamtergeb-nis. Dabei ist zusätzlich von Bedeutung, dass jede Linie ihre eigene Funktionslogikmit zugehörigen Werte-Prinzipien besitzt. So arbeiten beispielsweise in Non-Profit-Unternehmen Fundraising, Finanzwesen, Projektentwicklung, Öffentlichkeitsarbeitoder – in Wirtschaftsunternehmen – Produktion und Vertrieb mit unterschiedlichenLogiken. Um das gemeinsame Ziel zu erreichen, müssen die unterschiedlichenLogiken – und manchmal differierenden Werte – immer wieder ausbalanciert wer-den. Ein Beispiel: Im Fundraising geht es um Geld – darum, Geld zu investieren,Geld zu akquirieren, Geld zu nehmen. Während Fundraising nach wirtschaftlichenPrinzipien und mit der Logik arbeitet, durch den Einsatz möglichst geringer Mittelmaximale Gewinne zu erwirtschaften, steht für die gemeinnützige Organisation dasErreichen ihrer ideellen Ziele im Vordergrund. Zwar gilt die Verpflichtung zu sozial-wirtschaftlichem Handeln, jedoch nicht das Prinzip der Gewinnmaximierung. Diebeiden unterschiedlichen Werte-Prinzipien „Profit und Not-for-Profit“ können nichtim Sinne eines „richtig und falsch“ grundsätzlich geregelt werden. Je nach Situationist es notwendig, beide Seiten abzuwägen und zu entscheiden, welches Vorgehen indiesem Fall stimmig ist (Hirschfeld 2018).2

Wir leben in einer der veränderungsintensivsten Epochen in der Geschichte derMenschheit, in der sich in kurzer Zeit so viel auf einmal verändert wie noch niemalszuvor. Anforderungen zur Veränderung sind keine Ereignisse mehr, die kurzfristigauftreten und vorübergehen. Realität ist das Prinzip ständigen Wandels. Klassisch-hierarchische Strukturen und Praktiken geraten zunehmend an die Grenzen ihrer

2Für eine ausführliche Darstellung notwendiger Widersprüche im Bereich des Fundraisings siehe„Fundraising zwischen Ökonomisierung und Mitmenschlichkeit“ (Hirschfeld 2018).

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Leistungsfähigkeit, da sie offensichtlich immer weniger in der Lage sind, erfolgreichmit den Anforderungen einer immer komplexer werdenden Welt umzugehen. Dahersind sie keine zukunftsweisende Struktur für Organisationen (Kaegi 2019). FürOrganisationen geht es künftig mehr darum, „Beidhändigkeit“ zu entwickeln – dieFähigkeit, einerseits auf die Kontinuität des Bewährten zu setzen und ihr Kernge-schäft intensiv voranzubringen und gleichzeitig in Entwicklung für die Zukunft zuinvestieren und neue Möglichkeiten zu erforschen (Duwe 2018).

3 Frischer Wind: Agil(er) denken und handeln

3.1 Paradigmenwechsel – Führung übernehmen ist eine Frageder Entscheidung

Wie wir gesehen haben, sind Organisationen und Unternehmen stärker denn je auf-gefordert, sich auf sich verändernde Bedingungen einzustellen und beweglichereStrukturen zu entwickeln. Zeitgemäße Ansätze sind gefragt, mit denen Organisationensich in die Lage versetzen, schneller und flexibler auf Veränderungen zu reagieren.Während traditionell die Spitze der Organisation für Innovation zuständig ist, sollte ineinem agil(er)en Verständnis jede einzelne Mitarbeiter�in die Möglichkeit haben,Einfluss auf Veränderungen zu nehmen, beispielsweise, indem jede Person wichtigeEntwicklungen, die sie beobachtet, strukturell definiert in die Organisation einbringenkann (Kaegi und Zängl 2018).

Vor diesem Hintergrund sind die Zeiten günstig, um auch ohne PositionsmachtFührung zu übernehmen. Denn nicht nur flexiblere Formen von Kooperation undKommunikation, sondern auch agil(er)e Formen von Führung, mehr Selbstverant-wortung und Selbstorganisation sind gefragt. Schon seit einiger Zeit wandeln sichFührungsrollen immer mehr von der Rolle der besten fachlichen Expert�in undinhaltlichen Problemlöser�in zur Rolle der Gestalter�in von passenden, nützendenBedingungen (Laloux 2017). Führung wird damit insgesamt vielfältiger und dyna-mischer, der jeweiligen Situation angemessen. Als Qualitätsmerkmal guter Führungwird mehr und mehr auch die Kompetenz verstanden, sich selbst zu führen. ZurSelbstführung gehören die Bereitschaft, sich selbst zu reflektieren, im Geist und deneigenen Handlungsoptionen beweglich zu sein, sowie die Kraft, aus sich selbstheraus Verantwortung zu übernehmen. Das kann für Fundraiser�innen einen Para-digmenwechsel bedeuten. Statt sich als Leidtragende unzureichend empfundenerStrukturen und Umstände zu sehen und sich entsprechend zu verhalten, können siedie Initiative ergreifen: Sie können ihr Denken und Handeln sowie – damit ein-hergehend – die organisationale Situation verändern. Mit dieser Entscheidung, Ver-änderung aktiv zu gestalten, übernehmen Fundraiser�innen Führungsarbeit. In diesemSinne ist eine Person, die spürt, dass eine Veränderung sinnvoll, nützlich und notwen-dig ist – und die die Verantwortung für die Gestaltung dieser Veränderung übernimmt– eine Führungskraft. Bei dieser Definition von Führung kann jede Person in unter-schiedlichen Kontexten Führungsverantwortung übernehmen. So interpretiert – unddas ist das Herzstück eines agile(re)n Denkens und Handelns –, wird Führung von

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einer Position im Organigramm zu Führungsarbeit – einer Rolle mit bestimmtenKompetenzen, die auch temporär, also für einen begrenzten Zeitraum, ausgeübtwerden kann. Zudem ist Führung nicht mehr nur bestimmten Personen zugeordnet,sondern versteht sich als Ergebnis eines Prozesses der sozialen Interaktion, beispiels-weise, indem Rahmenbedingungen und Rollen miteinander ausgehandelt und verein-bart werden. Und wenn die Interaktion zwischen Menschen im Unternehmen in denFokus von Führung rückt, erhalten auch Kommunikation und Austausch zwischenIndividuen einen neuen Stellenwert. Dies ist eine Bedeutungsverschiebung, die Kom-munikation in den Mittelpunkt der täglichen Führungsarbeit stellt (Duwe 2018) undals Qualitätsmerkmal von Führungshandeln priorisiert.

Wie schon beschrieben, sind Fundraiser�innen aufgrund ihrer Funktion undKompetenzen prädestiniert, Veränderungsprozesse in ihren Organisationen zu initi-ieren (Hirschfeld 2018). Zumal Fundraiser�innen und Führungskräfte weitere zen-trale Gemeinsamkeiten haben: In klassisch-hierarchisch strukturierten Unternehmenist es bislang originäre Aufgabe der oberen Führungsebenen, die Beziehung zumMarkt zu gestalten, indem sie Veränderungen als Grundlage für künftige Strategienwahrnehmen und für das Unternehmen nutzbar machen. Wie bereits ausgeführt,kommt insbesondere Fundraiser�innen die Aufgabe zu, zwischen dem Außen unddem Innen der Organisation zu vermitteln. Dies kann z. B. bedeuten, dass sie sichbesonders auf die (sich verändernden) Erwartungen von Geldgeber�innen konzen-trieren und die Erkenntnisse, die sie dabei gewinnen, in die Entwicklung vonFundraising-Projekten einfließen lassen. Die wichtigste Kompetenz, die eine Fund-raiser�in oder eine Führungskraft braucht, um wirksam zwischen den verschiedenenSeiten vermitteln zu können, ist die Fähigkeit, beziehungs- und ergebnisorientiert zukommunizieren. Fundraising ist Beziehungsarbeit – konkret Arbeit an der Bezie-hung zu Geldgeber�innen –, bei der die Kommunikation wesentlich dazu beiträgt,Vertrauen aufzubauen und die Beziehung zu pflegen. Diese Haltung und das zuge-hörige Handwerkszeug lernen Fundraiser�innen von der Pike auf. Eine gut ausge-bildete Kommunikations- und Beziehungskompetenz ist der Schlüssel zum Erfolg:für Fundraiser�innen wie für Führungskräfte gleichermaßen.

3.2 Organisationale Kräfte bündeln und ausrichten

Organisationen lernen vor allen Dingen durch Bewegungen innerhalb der Organi-sation. Organisationales Lernen ist ein wesentlicher Faktor für Veränderung. Unver-zichtbare Voraussetzungen dafür sind einerseits Wertschätzung des Bestehenden undandererseits eine aktive Bearbeitung der bestehenden Probleme und Konflikte (Fal-ler und Faller 2018). Wenn die Entscheidung gefallen ist, eine gestaltende Verant-wortung für Veränderung und damit Führung zu übernehmen, geht es im nächstenSchritt darum, ein Bild der gewünschten Zukunft zu kreieren, die durch diese Ver-änderung entstehen soll: In welcher Art und Weise soll die Zusammenarbeit rele-vanter Akteur�innen gestaltet sein? Wie sieht in diesem Szenario die Rolle derFundraiser�in aus, die sich zur Führungsarbeit entschieden hat? Diese Art desVorgehens setzt auf die Kraft der Perspektiverweiterung, die eine wünschenswerte

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organisationale Zukunft bietet. Von hier geht der Blick zurück in die Gegenwart, umgemeinsam zu planen, wie organisationale Kräfte so gebündelt und ausgerichtetwerden können, dass die erwünschte Zukunft sich entwickeln kann (Scharmer undSenge 2015).

Eine Möglichkeit, wirksam Einfluss auf die Art und Weise der Zusammenarbeitin komplexen Entscheidungs- und Entwicklungsprozessen zu nehmen, besteht darin,beteiligte Akteur�innen und Schlüsselpersonen gezielt miteinander zu vernetzen unddie Bildung von Quer-zur-Linie-Teams (Ferrari und Rühl 2016) zu initiieren(Abb. 4). In einer solchen lateralen Form der Kooperation wird die Gestaltungskom-petenz dahin gebracht, wo die Themen bewegt werden: Diejenigen, die für eineEntscheidung verantwortlich oder direkt von ihr betroffen sind, kooperieren inunmittelbarem Kontakt mit Personen, die einen zielführenden Beitrag zum Themaleisten können oder anderweitig eine unmittelbare Verantwortung tragen. Solch einagil(er)es Team sollte zudem cross-funktional zusammengesetzt sein, das heißt, dieMitglieder sollten aus verschiedenen Fachdisziplinen und Hierarchieebenen stam-men. Unterschiede zwischen den Beteiligten sind erwünscht, denn ein heterogenesTeam, in dem jedes Mitglied seine Expertise und unterschiedliche Perspektiveneinbringen kann, ist deutlich besser in der Lage, mit Komplexität kreativ umzugehen(Burow 2018).

Um das Potenzial einer agile(re)n Führungsarbeit für Fundraiser�innen zu heben,braucht es klare Beschreibungen im Hinblick auf die Handlungs- und Prozesser-

Abb. 4 Ein agile(re)s Team als laterale Form der Kooperation, (Quelle: Eigene Darstellung nachFerrari und Rühl 2016)

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wartung an die neue Rolle, einen definierten Kompetenzrahmen sowie Regeln fürVorgehensweisen. Auch die zur Rolle gehörigen Kompetenzen sollten möglichstbald mit den Akteur�innen an den relevanten Schnittstellen geklärt werden. Sinnvollist zunächst die Klärung mit der vorgesetzten Führungskraft, daran schließt sich dieKlärung mit den Kolleg�innen auf der gleichen Ebene oder den Mitgliedern desagile(re)n Teams an. In einem agil(er)en Verständnis der Rolle der Fundraiser�in als– temporäre oder kontextbezogene – Führungskraft könnte es beispielsweise zu denvereinbarten Befugnissen gehören, agil(er)e Teams ins Leben zu rufen, wenn ein fürdas Fundraising relevantes Thema die Zusammenarbeit verschiedener organisatio-naler Bereiche oder Funktionen erfordert. Es kann sinnvoll sein, solch ein neues,agil(er)es Vorgehen zunächst als Pilotprojekt zu starten, es zu erproben, Erfahrungenzu sammeln und daraus zu lernen (Laloux 2017). Nach einer vereinbarten Testphasewird entschieden, ob sich das agil(er)e Verfahren in dieser Form als sinnvollerwiesen hat oder wo es möglicherweise angepasst werden muss. Eine Entscheidungder Leitungsebene, agil(er)e Formen der Zusammenarbeit zu nutzen, und die aktiveUnterstützung der Fundraiser�in in ihrem neuen Rollenverständnis ist aus meinerSicht für das Gelingen ausgesprochen hilfreich, jedoch nicht unbedingte Vorausset-zung.

Bei der Entwicklung von Fundraising-Projekten ist es im Sinne eines agil(er)enDenkens und Handelns unerlässlich, die Fundraiser�in frühzeitig einzubinden. Auf-grund ihrer besonderen Position in der Organisation an der Schnittstelle von außen(Markt, Umwelt) und innen (Organisation) (vgl. Abschn. 2.1) könnte der Fund-raiser�in in einem agil(er)en Team beispielsweise bewusst die „Rolle der Kund�in“zukommen. Aus der Perspektive dieser Rolle könnte es in der Entwicklung vonFundraising-Projekten ihre Aufgabe sein, die Sicht der potenziellen Geldgeber�in-nen zu vertreten und kontinuierlich mitzudenken, ob ein Projekt für einen erfolgrei-chen Spendendialog geeignet ist. In diesem Sinne ist ein Fundraising-Projekt dannoptimal geeignet, wenn die Chancen gut sind, dass es von den Geldgeber�innen(vom Markt) akzeptiert wird und gleichzeitig die Bedürfnisse der relevanten orga-nisationalen Akteur�innen erfüllt. Andersherum gedacht, könnte die Fundraiser�inden Impuls für ein neues Fundraising-Projekt in die Organisation hineintragen, wennsie spezielle Bedürfnisse bei den Geldgeber�innen registriert oder ihr solche ange-tragen werden. Damit ist nicht nur die Fundraiser�in strukturell stärker in dieEntwicklung von Fundraising-Projekten eingebunden, sondern alle relevanten Ak-teur�innen sind mit ihren jeweiligen organisationalen Perspektiven daran beteiligt.Auf diese Weise kann in einem gemeinsamen Dialog auch das Profil der Organisa-tion weiterentwickelt und geschärft werden. Damit wird nochmals deutlich, dasserfolgreiches Fundraising nicht allein die Sache der Fundraiser�in ist, sondern derErfolg der ganzen Organisation – in diesem Fall vertreten durch Repräsentant�innenin einem agil(er)en Team – und ihrer zielführenden Zusammenarbeit. Allen Betei-ligten kann klar werden: „Dieses Thema ist unsere gemeinsame Sache.“

Um die Rollen und gegenseitige Erwartungen zu klären, können folgende Leit-fragen gestellt werden: „Welche Ziele wollen wir erreichen? Woran erkenne ich/-meine vorgesetzte Führungskraft/die Organisation den Erfolg? Was brauchen wirwechselseitig voneinander, damit ich meine/wir unsere Ziele erreichen? Wer über-

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nimmt wann welche Aufgabe und welche Verantwortung? Welche Regeln undEntscheidungskompetenzen bzw. -verfahren gelten?“ Es ist sinnvoll, Reflexions-und Aktualisierungszeiträume für die Rollenvereinbarung festzulegen. Gerade inZeiten großer Veränderungen oder wenn das Umgehen mit Rollenkonzepten nochneu ist, kann ein Abgleich in regelmäßigen Abständen angezeigt sein. Ist dieserProzess abgeschlossen, ist die Rolle der Führungsarbeit in diesem Kontext formali-siert. Nun kann die Fundraiser�in nicht nur aus empfundener Verantwortung, son-dern auch aus der Kraft der geklärten Rolle heraus als Führungskraft handeln.

Ein wesentlicher Aspekt von Führungsarbeit ist es, Kommunikation zu organi-sieren. Mit der Initiierung eines agil(er)en Teams wird ein Kommunikationsraumgeschaffen, in dem unterschiedliche Interessen und Perspektiven zusammengeführt,koordiniert und geeignete Lösungen für komplexe Fragestellungen entwickelt wer-den können – und zwar für einen spezifischen Kontext, mit passenden Kompetenzenund in angemessener Zeit. Zu Beginn der Zusammenarbeit ist es wichtig, das„Wofür“ miteinander zu klären. „Was ist der Sinn und Zweck unserer Zusammen-arbeit in diesem agil(er)en Team? Was soll durch unsere Zusammenarbeit anderssein, als es bisher ist?“ Auch hier kann es beflügelnd wirken, die Kraft von Bilderneiner erwünschten organisationalen Zukunft zu nutzen: Gemeinsam entwickelteZukunftsbilder sind die stärksten Treiber für einen Wandel (Burow 2018). Ist das„Warum“ der Zusammenarbeit geklärt, dann ist es nur noch ein kleiner Schritt, dieAntworten auf die Fragen nach dem „Was tun wir?“ (Aufgaben) und „Wie tun wires?“ (Methoden) folgerichtig abzuleiten. Voraussetzung dafür, dass ein agil(er)er undauf mehr Beteiligung ausgerichteter Arbeitskontext gelingt, sind Experimentier- undFehlerfreundlichkeit, die Fokussierung darauf, gute Lösungen zu generieren, und dieBereitschaft, sich selbst zu organisieren. Nur ein solchermaßen freundliches Klimalädt dazu ein, auch mal querzudenken und etwas Neues auszuprobieren (Hofert2018). Hilfreich ist es auch hier, Widersprüche zuzulassen und das traditionelleDenken des „Entweder – oder“ durch ein „Sowohl – als auch“ zu ersetzen.

Zum agil(er)en Gestalten von Kommunikation gehört auch die Einführung vonregelmäßigen Reflexionsschleifen, die es der Gruppe von Zeit zu Zeit erlauben, inDistanz zum aktuellen Tagesgeschäft zu gehen und gemeinsam die Qualität derZusammenarbeit zu reflektieren. Drei einfache Fragen strukturieren die Reflexion:Was läuft gerade gut? Was läuft nicht so gut? Was wollen wir künftig anders machen?Auch am Ende einer Besprechung können diese einfachen Fragen helfen, miteinanderzu reflektieren und aus den Erkenntnissen zu lernen – also zielfördernde, nützlicheVerhaltensweisen zu stärken und weniger nützliche anzupassen. Auf diese Weise kannsich aus einer Arbeitsgruppe, die zunächst zu einem Thema zusammengekommensind, ein agil(er)es Team entwickeln, das gemeinsame Ziele verfolgt. Im Laufe der Zeitkann auch das Vertrauen zueinander wachsen, es entstehen mehr Zusammengehörig-keit, größere Handlungsfähigkeit und schlussendlich eine gemeinsame Verantwortungfür das Ergebnis.

Das Gestalten agil(er)er Bedingungen, das Ermöglichen geregelter Kommunika-tion, die Klärung von Erwartungen, Regeln und Rollen wirken nicht mehr nur imSystem, sondern auch auf das System. Der größte Hebel einer Führungskraft liegt inder Veränderung der formalen Strukturen und Prozesse einer Organisation. Wir-

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kungsorientierte Führungsarbeit bedeutet, Rahmen zu schaffen, in dem relevanteAkteur�innen sinnvolle Strukturen entwickeln und zielführende Arbeitsprozessevereinbaren können. Bis über solche strukturellen Veränderungen entschieden ist,„höhlt steter Tropfen den Stein“: stetige Impulse initiieren agil(er)e Formen vonKommunikation und Kooperation.

3.3 Mit agil(er)em Denken und Handeln die Wirksamkeit alsFührungskraft stärken

Die Basis für eine agil(er)e Führungsarbeit sind Pioniergeist, Neugier und Mut,Neues auszuprobieren. Entscheidend ist der Wandel im Bewusstsein, der Führungnicht mehr nur als Position in der Hierarchie, sondern vielmehr als Rolle versteht, dieergriffen, geklärt und gestaltet werden kann. Als Fundraiser�innen und Fachkräfteneigen wir eher dazu, in klar umrissenen Aufgaben zu denken. Zur Führungsarbeitgehört es, über die eigenen Schnittstellen hinauszudenken, in Zielen und Möglich-keiten und mit einem Blick auf das große Ganze der Organisation. Analyse, Hand-werkszeug, Strategie haben ihre Bedeutung – gleichzeitig braucht es jedoch mentaleBeweglichkeit, Gespür und Fingerspitzengefühl für günstige Gelegenheiten.

Mit agil(er)em Denken und Handeln Ihre Wirksamkeit stärken• Machen Sie sich ein möglichst konkretes Bild von Ihrer Situation und analysieren

Sie die (Konflikt-)Dynamik.• Denken Sie zunächst in Funktionen, Strukturen und Abteilungslogiken:

Wer sind die beteiligten Akteur�innen? Worum geht es –worum könnte es (noch)gehen?

• Wenn Sie spüren, dass eine Veränderung sinnvoll, nützlich und notwendig ist,übernehmen Sie die Verantwortung für die Gestaltung dieser Veränderung undgehen Sie in Führung.

• „Wer ein Ziel hat, findet Wege . . .“3 – kreieren Sie Ihr visionäres Zukunftsbild fürIhre Führungsarbeit und denken Sie aus dieser Perspektive, wenn Sie geeigneteMaßnahmen entwickeln.

• Initiieren Sie die Bildung von Kommunikationsräumen: Wer müsste mit wemüber welches Thema sprechen, um zeitnah gute Entscheidungen zu treffen oderzielführende Lösungen zu finden?

• Klären Sie Ihre agil(er)e Führungsrolle, Ihren Handlungsrahmen sowie Erwar-tungen und Regeln. Behalten Sie im Blick, ob es neue/andere Strukturen, Pro-zesse oder Entscheidungsverfahren braucht.

• Installieren Sie Reflexionsmöglichkeiten: für sich selbst, für Ihr Team, ggf. für dieOrganisation.

• Seien Sie achtsam für die Kräfte in Ihrem Umfeld, erkennen Sie das Potenzialeiner Situation und ergreifen Sie die günstige Gelegenheit.

3Laotse zugeschrieben, 6. Jhd. vor unserer Zeitrechnung.

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• Entdecken Sie die Befürworter�innen und Unterstützer�innen Ihrer Vorhabenund vernetzen Sie sich.

• Kommunikation ist Ihr wirksamstes Handwerkszeug. Seien Sie authentisch undprägnant: Sprechen Sie von Herzen und fassen Sie sich kurz.

4 Fazit und Ausblick

Wir haben gesehen, dass es zeitgemäße, agil(er)e Formen von Führung braucht, umals Organisation die eigene Beweglichkeit und die Veränderungsgeschwindigkeit zuerhöhen und dadurch zukunftsfähig zu werden. In der Praxis existieren nach wie vorunterschiedliche Führungsansätze und unterschiedliche Interpretationen von Führennebeneinander. Auch in agil(er)en Kontexten mit mehr Raum für Selbstorganisationbleibt es Aufgabe von Führung, förderliche Rahmenbedingungen zu gestalten, indenen die besten Ideen für den Erfolg der Organisation entwickelt werden und alleBeteiligten ihre Stärken einbringen können. Auch gilt das Prinzip der Beidhändig-keit – in dem Sinne, das Bewährte zu schätzen und gleichzeitig dem Neuen Raum zugeben. Indem Fundraiser�innen Verantwortung für die Gestaltung von Veränderungübernehmen, gehen sie in Führung – unabhängig davon, ob sie mit Positionsmachtausgestattet sind oder nicht. Als Führungskraft ermöglichen sie eine andere Art derKommunikation, schaffen geeignete Rahmenbedingungen für eine ergebnisorien-tierte Zusammenarbeit und gestalten agil(er)e Kontexte, die zu mehr Selbstorgani-sation einladen. Die Fähigkeit zur Reflexion – sowohl auf der individuellen Ebeneals auch auf der Ebene des Teams oder der gesamten Organisation – gilt alsKernkompetenz, die in Zukunft einen entscheidenden Unterschied machen wird.Daher braucht es kommunikative Reflexionsmaßnahmen, die die Möglichkeitgeben, die Notwendigkeit von Veränderungen – im wahrsten Sinne des Wortes –zu be-greifen. Auf diese Weise kann die Bereitschaft entstehen, andere Formen derKooperation zu entwickeln und diese zu erproben. „Ich habe verstanden, dass ich aufnichts warten muss, sondern bei mir selbst mit kleinen Schritten, anfangen kann.“Mit diesem Feedback aus einem meiner Workshops möchte ich Fundraiser�innenermutigen, ihr Tätigkeitsfeld aktiv zu gestalten, passende Formen der Kooperationzu initiieren und in Führung zu gehen – agil(er) und unabhängig davon, ob mit oderohne Positionsmacht. So kann sich Institutional Readiness entwickeln und dieOrganisation Schritt für Schritt wandeln. Und bei allen Beteiligten kann das Gefühlwachsen: „Fundraising geht uns alle an!“

Literatur

Burow, Olaf-Axel. 2018. Führen mit Wertschätzung. Der Leadership-Kompass für mehr Engage-ment, Wohlbefinden und Spitzenleistung, 1. Aufl. Weinheim/Basel: Beltz.

Duwe, Julia. 2018. Beidhändige Führung. Wie Sie als Führungskraft in großen OrganisationenInnovationssprünge ermöglichen. Berlin: Springer Gabler.

Faller, Dorothea, und Kurt Faller. 2018. Achtsames Management. Führungskompetenzen in Zeitenhoher Komplexität. Frankfurt a. M.: Wolfgang Metzner.

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Ferrari, Elisabeth, und Johanna Rühl. 2016. Organisationen oszillieren. Management durch Kom-plexität. Aachen: FerrariMedia.

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Hirschfeld, Stefanie. 2018. Fundraising zwischen Ökonomisierung und Mitmenschlichkeit. Emo-tionale, soziale, organisationale Herausforderungen und Chancen. Wiesbaden: Gabler.

Hofert, Svenja. 2016. Agiler führen. Einfache Maßnahmen für bessere Teamarbeit, mehr Leistungund höhere Kreativität. Wiesbaden: Springer Gabler.

Hofert, Svenja. 2018. Das agile Mindset. Mitarbeiter entwickeln, Zukunft der Arbeit gestalten.Wiesbaden: Springer Gabler.

Kaegi, Urs. 2019. Professionelles Handeln organisieren. Organisationale Hierarchie und professio-neller Habitus. SozialAktuell 51(6): 14–16.

Kaegi, Urs, und Peter Zängl. 2018. Was ist Management. In Organisationsentwicklung – ChangeManagement, Hrsg. Beck Wöhrle et al., 1. Aufl. Baden-Baden: Nomos.

Laloux, Frédéric. 2017. Reinventing Organizations visuell. Ein illustrierter Leitfaden sinnstiftenderFormen der Zusammenarbeit. Unter Mitarbeit von Etienne Appert und Mike Kauschke. Mün-chen: Verlag Franz Vahlen.

Luhmann, Niklas. 2011. Organisation und Entscheidung, 3. Aufl. Wiesbaden: VS.Müller-Christ, Georg, und Denis Pijetlovic. 2018. Komplexe Systeme lesen. Das Potential von

Systemaufstellungen in Wissenschaft und Praxis. Berlin: Springer Gabler.Oestereich, Bernd, und Claudia Schröder. 2017. Das kollegial geführte Unternehmen. Ideen und

Praktiken für die agile Organisation von morgen, 1. Aufl. München: Vahlen.Scharmer, Claus Otto, und Peter M. Senge. 2015. Theorie U. Von der Zukunft her führen:

Presencing als soziale Technik, 4. Aufl. Heidelberg: Carl-Auer (Management).Schwarz, Gerhard. 2019. Die ,,Heilige Ordnung“ der Männer. Hierarchie, Gruppendynamik und

die neue Genderlogik, 6., überarb. Aufl. Wiesbaden: Springer.Slogar, Andreas. 2018. Die agile Organisation. München: Hanser.

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