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Info DaF Informationen Deutschals Fremdsprache Herausgegeben vom Deutschen Akademischen Austauschdienst in Zusammenarbeit mit dem Fachverband Deutsch als Fremdsprache Nr. 4 35. Jahrgang August 2008 Inhalt Artikel Dietmar Rösler Deutsch als Fremdsprache mit digitalen Medien – Versuch einer Zwischenbilanz im Jahr 2008 373 Sandra Ballweg und Antje Stork DaF-Lehrende und das Europäische Sprachenportfolio 390 DaF im Ausland Zeki Uslu Deutschlehrerausbildung in der Türkei: Neustrukturierung und Curriculumrevision 401 Didaktik DaF / Aus der Praxis Thomas Keith Mysteriöser Besuch. Zeitgenössische Literatur im Unterricht Deutsch als Fremdsprache – ein Modell samt Erfahrungsbericht zu Reinhard Lettaus »Besuch« 412 Akila Ahouli Zum Stellenwert von volkstümlichen Erzähltexten in der Didak- tik Deutsch als Fremdsprache. Ein literaturdidaktischer Beitrag zum fremdsprachlichen Curriculum am Beispiel des frankopho- nen West- und Zentralafrika 424 Zur Diskussion gestellt Manfred Kaluza »Der Laie ist dem Linguisten sein Feind«. Anmerkungen zur Auseinandersetzung um Bastian Sicks Sprachkolumnen 432

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InfoDaFInformationen Deutsch als Fremdsprache

Herausgegebenvom DeutschenAkademischen

Austauschdienstin Zusammenarbeit

mit demFachverband

Deutsch als Fremdsprache

Nr. 4 35. Jahrgang August 2008

InhaltArtikel Dietmar Rösler

Deutsch als Fremdsprache mit digitalen Medien – Versuch einerZwischenbilanz im Jahr 2008 373

Sandra Ballweg und Antje StorkDaF-Lehrende und das Europäische Sprachenportfolio 390

DaF im Ausland Zeki UsluDeutschlehrerausbildung in der Türkei: Neustrukturierung undCurriculumrevision 401

Didaktik DaF /Aus der Praxis

Thomas KeithMysteriöser Besuch. Zeitgenössische Literatur im UnterrichtDeutsch als Fremdsprache – ein Modell samt Erfahrungsberichtzu Reinhard Lettaus »Besuch« 412

Akila AhouliZum Stellenwert von volkstümlichen Erzähltexten in der Didak-tik Deutsch als Fremdsprache. Ein literaturdidaktischer Beitragzum fremdsprachlichen Curriculum am Beispiel des frankopho-nen West- und Zentralafrika 424

Zur Diskussion gestellt

Manfred Kaluza»Der Laie ist dem Linguisten sein Feind«. Anmerkungen zurAuseinandersetzung um Bastian Sicks Sprachkolumnen 432

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Deutsch als Fremdsprache mit digitalen Medien –Versuch einer Zwischenbilanz im Jahr 2008

Dietmar Rösler

ZusammenfassungDiskutiert wird der Stand der Entwicklung des DaF-Lernens mit digitalen Medien unter sechsGesichtspunkten. Im Bereich der Lehrmaterialentwicklung werden neue Möglichkeiten derErstellung eines Lehrwerks on demand, in der Lehrwerkanalyse die einer Vereinigung vonWerk- und Rezeptionsanalyse aufgezeigt. Danach werden Perspektiven für die BereicheEinbeziehung der Korpusanalyse, animierte Grammatikdarstellungen und programmiertesFeedback diskutiert. Als sechster Bereich wird das Potenzial der digitalen Medien fürkooperatives Lernen besonders unter der Fragestellung behandelt, ob sie einen Beitrag zurFörderung einer weitergehenden Selbstbestimmung der Lernenden leisten können.Videofassung des Vortrags auf der 36. Jahrestagung des FaDaF in Düsseldorf am 23.05.2008.In: DaF-Netzwerk. Europäisches Netzwerk Deutsch als Fremdsprache (Online). URL:http://www.daf-netzwerk.org/tagungen/

0. VorbemerkungDiese Zwischenbilanz konzentriert sichauf die folgenden Bereiche: Auswir-kungen der digitalen Distributionsweisenauf Fremdsprachenlernen und Lehrmate-rialentwicklung, Veränderungen derLehrwerkanalyse durch die Digitalisie-rung von Lehrmaterial, Veränderungen,die von Korpusanalyse und animiertenGrammatikdarstellungen in das Fremd-sprachenlernen hineingetragen werdenkönnten, Bedeutung von Online-Tutorie-rung und programmiertem Feedback, Ko-operationen von individuellen Lernendenoder Gruppen von Lernenden mit digi-talen Medien und Lernertexte für Lerner.

Letzteres, die Diskussion um Lernertextefür Lerner, ist m. E. zur Zeit eine derproduktivsten Entwicklungen. Durch dieGeschichte des Fremdsprachenunter-richts hindurch hat es immer wieder Aus-brüche aus dem traditionell eher durchLehrer und Lehrmaterial bestimmten Un-terricht mit dem Ziel gegeben, der inhalt-lichen Selbstbestimmung1 und den Mit-teilungsabsichten der Lernenden mehrRaum zu geben bzw. diese seit der sog.kommunikativen Wende zumindest the-oretisch2 zum Leitgedanken des Fremd-sprachenlernens werden zu lassen.Durch die digitalen Medien scheint m. E.nun die Möglichkeit gegeben zu sein, der

1 Die Attraktivität eines Teils der sog. alternativen Methoden machte ja nicht zuletzt aus,dass diese den Mitteilungsabsichten und inhaltlichen Interessen der Lernenden absolute– und manchmal verabsolutierte – Vorfahrt vor Vermittlungsbemühungen zur Formeinräumen, was unter dem Gesichtspunkt der möglichst optimalen Vermittlung derFremdsprache insgesamt sowohl zu spannenden Neuerungen als auch zu durchausnicht unproblematischen Nebenwirkungen führen kann (vgl. Rösler 1984: 139–180).

2 Dass zwischen dieser Absicht und dem Alltag der kommunikativen Lehrmaterialent-wicklung und des kommunikativen Unterrichts manchmal größere Lücken klaffen,kann an dieser Stelle nicht weiter ausgeführt werden (vgl. dazu Rösler 2008).

Info DaF 35, 4 (2008), 373–389

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inhaltlichen Selbstbestimmung der Ler-nenden mehr Raum zur Verfügung zustellen und damit die berühmte unhinter-gehbare Künstlichkeit des Fremdspra-chenunterrichts doch ein klein wenig zuhintergehen.

1. Auswirkungen der digitalen Distri-butionsweise: zielgruppengenaueresLehrwerk on demand?Zunächst einmal ist beim Stichwort Dis-tribution die triviale Tatsache festzuhal-ten, dass ein Text, den man als pdf-Dateiverschickt, schneller und kostengünsti-ger beim Empfänger ankommt als eindicker Briefumschlag. Entsprechend häu-fig findet man auf den Internet-Seitenvon Verlagen herunterladbare Arbeits-blätter, mp3-Dateien o. ä. zu ihren Lehr-werken1. Die darüber hinausgehende,unter lehrmaterialanalytischen Gesichts-punkten interessantere Frage ist die, obeinfach nur der Transport preisgünstigerwird oder ob auch im Hinblick auf dieQualität eines Lehrwerks ein Fortschrittzu verzeichnen ist. Wenn z. B. von Leh-renden oder Lernenden Audiodateienheruntergeladen werden, die es zwarauch als Kassette oder CD zu kaufen gibt,die aber an bestimmten Orten nicht ge-kauft wurden, dann ist das unter demGesichtspunkt der Betrachtung einesLehrwerks als ›Werk‹ unerheblich, dennam Produkt selbst hat sich nichts verän-dert. Aber an den Orten, an denen nunAudiodateien verwendet werden, die beianderer Distribution vorher nicht zumEinsatz kamen, besteht die Chance, dasssich die Qualität des Unterrichts verän-dert2. Darüber hinaus könnten sich auchdie Lehrwerke selbst ändern, wenn durchdie digitalisierte Distribution nicht nur

das Vorhandene schneller und preisgüns-tiger an die Lehrenden und Lernendengebracht wird, sondern wenn über diedigitale Distribution hinaus die schnellenVerbindungen dazu genutzt würden,Lehrwerke zielgruppen- und lerner-genauer zu gestalten.So könnten z. B. mehr und bessere Glos-sare und Lehrerhandbücher entstehen.Man stelle sich ein Lehrerhandbuch nichtals Buch zwischen zwei Deckeln sondernals Datenbank vor, in der sowohl Lehrer,die gerade anfangen zu unterrichten, alsauch Lehrer, die mit einem Lehrwerkschon lange arbeiten und deshalb interes-sante Alternativen zur Routine brauchen,für sie geeignete ausführliche Erklä-rungen zur Arbeit mit einer Lektion, Er-klärungen zum Text, Alternativen zurArbeit mit diesem Text usw. finden (vgl.zu den verschiedenen möglichen Funkti-onen von Lehrerhandbüchern und ihremBeitrag zur Adaption von Lehrmaterialan konkrete Lernergruppen Rösler 1984:201–221).Und beim Stichwort Glossare zu einspra-chigen, im deutschsprachigen Raum er-stellten Lehrwerken kann man sich nichtnur vorstellen, dass es mehr von ihnengibt zu Ausgangssprachen, für die esbisher noch keine Glossare gab, sondernvor allem, dass diese Glossare anderssind, dass sie nicht lediglich auf einge-schränktem Platz 1:1-Entsprechungenliefern, sondern auch Bildmaterial, Ver-weise auf Texte, in denen Wortschatzunterschiedlich verwendet wird, Ver-weise auf korpuslinguistische Recher-chen zu einem Wort, Verbindungen zuinterkulturellen Erklärungen, die dieGrenzen von Wortschatzarbeit und Lan-deskunde verschwinden lassen usw. usw.

1 Vgl. als ein Beispiel von vielen: http://www.hueber.de/seite/downloads_daf2 Das wäre also eine erfreuliche Nebenwirkung der andersartigen Distribution, ich weiß

nicht, wie frequent dieses Phänomen ist, ich kenne es nur anekdotisch von Aussagenvon Kollegen aus vom deutschsprachigen Raum weit entfernten Ländern.

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Erstellt werden könnten derartige Erwei-terungen zu bisher eher vernachlässigtenTeilen von Lehrwerken dezentral, von re-gionalen Autoren-Teams, aber auch koo-perativ in Ausbildungsseminaren vonLehrern, in Lehrerfortbildungen usw. Inderartigen Kontexten sind schon immerMaterialadaptionen vorgenommen, Er-gänzungen, Hilfestellungen u. ä. produ-ziert worden usw., und danach sind sie inden Schubladen der Beteiligten als Kopiengelandet und vielleicht noch im unmittel-baren Umfeld verwendet worden. Da esnun technisch möglich ist, dezentral zuproduzieren und zentral zu dokumentie-ren, könnte es auch didaktisch möglichsein, diese Vielfalt von Variationen zusam-menzubringen zu einer komplexen Doku-mentation von Lehrmaterial, die es jedemNutzer an seinem Ort erlaubt, auf dasjeweils zielgruppengenaueste Materialzuzugreifen bzw. auf das am wenigstenzielgruppenungenaue und dann entspre-chend daran weiterzuarbeiten, dieseÜberarbeitung evtl. wieder in die Daten-bank einzugeben usw.Wenn man sich Lehrwerke langfristig alsaus Datenbanken generiert werdendeEntitäten vorstellt1, könnte das geradefür das Fach Deutsch als Fremdspracheim Bereich der Lehrmaterialproduktioneinen großen Fortschritt darstellen. Dennzu den Defiziten von Deutsch als Fremd-sprache im Vergleich z. B. zu Englisch alsFremdsprache gehört es ja, dass Lerner invielen Teilen der Welt abhängig davonsind, dass im deutschsprachigen Raumqualitativ hochwertige Lehrwerke pro-

duziert werden, die dann aber notge-drungen einsprachig2 sind und in be-stimmten sprach- und kulturkontrasti-ven Aspekten und bezogen auf das Ein-gehen auf Lernerfahrungen notwendi-gerweise nicht zielgruppengenau seinkönnen. Ein derartiges Lehrwerk ginge inseiner bunten Vielfalt weit über das Kon-zept der Regionalisierung von Lehrwer-ken aus den frühen 80er Jahren hinaus(vgl. z. B. Bochow/Schroedter-Albers1981 oder Gerighausen/Seel 1984).Optimistisch gesehen könnten also diedigitalen Kommunikationswege zu einerneuen Art von Produktion von Lehrma-terial führen, zur zielgruppengenauerenProduktion eines Lehrwerks on demand,das aus einer Datenbank generiert wirdund das nicht nur bisher vernachlässigteTeile eines Lehrwerks verstärkt, sonderngenerell die Lehrwerkproduktion quali-tativ verändert. Eine mögliche Vorstel-lung ist, dass man dabei mit einem Kernvon didaktisch vielfach variiert darge-stellten grammatischen Strukturen arbei-tet, um den herum sich eine vielfältigelernerbezogene Peripherie bezogen aufunterschiedliche Themen, unterschied-liche Lernweisen usw. entwickelt (vgl.dazu ausführlicher Rösler 2006a). Pessi-mistisch müsste man allerdings dagegen-halten, dass die neuen Distributionsmög-lichkeiten auch dazu führen könnten,dass sich dominierende weltweit vertrie-bene einsprachige Lehrwerke nochschneller und intensiver verbreiten, dasses also zu einer Art Lehrwerk-Microsoftkommen könnte.

1 Wobei es bei diesem Gedankengang zunächst einmal nicht darauf ankommt, ob mansich dabei ein lediglich digital vorhandenes Lehrwerk, ein Lehrwerk, dessen Teileausgedruckt und gebunden an die Lernenden weitergegeben werden, oder Mischungendavon vorstellt. Das Datenbankkonzept zielt zunächst einmal nur darauf ab, zielgrup-penangemessenere Vielfalt zu ermöglichen.

2 Abgesehen von Glossaren und einigen Versuchen, zweisprachige Arbeitsbücher hinzu-zufügen, die aber die grundlegend einsprachige Ausrichtung dieser Lehrwerke nichtändern.

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2. Auswirkung der Entwicklung vondigitalem Material auf die Lehrwerk-analyseDie Digitalisierung von Lehrmaterialkönnte zu einem Ende der Lehrwerkana-lyse, wie man sie heute kennt, führen.Dieser Satz mag etwas dramatisch klin-gen, ist aber m. E. nicht ganz von derHand zu weisen. Die Lehrwerkanalysefür DaF hat unterschiedlich produktivePhasen erlebt, nach Sternstunden mit denMannheimer Gutachten, den GutachtenDeutsch für ausländische Arbeiter undden entsprechenden hitzigen Diskussi-onen (vgl. Kommission für LehrwerkeDaF 1978; Engel/Krumm/Wierlacher1979, die heftigen Reaktionen auf dieMannheimer Gutachten in Heft 2, 1978der Zeitschrift Zielsprache Deutsch undBarkowski u. a. 1986) gab es längere ›Ru-hephasen‹, in denen die Lehrwerkana-lyse zwar ab und zu durch einige Arbei-ten vorangetrieben wurde, sich im Alltagaber eher in einem mehr oder wenigerentwickelten Rezensionswesen manifes-tierte. Zur Grundkonstellation der Lehr-werkanalyse für DaF gehörte schon im-mer, dass es eine nicht unproblematischepersonelle Vermischung von Materialma-chern und Kritikern gab. Dieses Phäno-men ist lange bekannt, wie das folgendeZitat aus dem Jahre 1979 zeigt:

»Es gibt kein Lehrwerk, in dessen Impres-sum nicht auch die Namen derer zu findensind, die auch an anderer Stelle an derfachdidaktischen Diskussion teilnehmen.Soll ein Kollege, der an einem Lehrwerkmitgearbeitet hat, das Lehrwerk, an demein anderer Kollege beteiligt ist, als fehler-haft oder ungeeignet abqualifizieren? Dasverstößt nicht nur gegen die ›guten Sitten‹im Umgang gebildeter Menschen; manwürde auch riskieren, dass der Kollege hin-geht und dasselbe tut.« (Neuner 1979: 34)

An dieser Grundproblematik der Lehr-werkanalyse im Bereich DaF hat sichseither nichts verändert, unter Kontrollezu halten ist sie nur durch größtmögliche

Transparenz durch Offenlegung von In-teressenkollisionen und größtmöglicheZurückhaltung der Materialmacher imAngesicht der Versuchung, bei Artikelnund Vorträgen über ein vermeintlich›neutrales‹ lehrwerkbezogenes ThemaWerbung für ihr aktuelles Werk zu betrei-ben. Bezogen auf digitales Lehrmaterialändert sich an dieser Grundproblematiknichts, solange es sich dabei nur um eineCD zu einem Lehrwerk handelt oder umeine frei zugängliche oder kostenpflich-tige Seite mit Ergänzungen im Netz.Hinzu tritt im digitalen Kontext m. E. nunallerdings eine Veränderung, die dieLehrwerkanalyse, wie sie bisher betrie-ben wird, beendet: entweder findet sie inZukunft nicht mehr statt oder sie erreichteine neue Qualität.Der Lehrwerkanalytiker aus den Zeitenvon Deutsch aktiv ging in die Bibliothekoder die Buchhandlung, besorgte sichBücher und Kassetten, später auch CDs,und analysierte los. Er betrieb zumeistWerkanalyse und keine empirisch fun-dierte Rezeptionsanalyse, was sicher zubedauern war, aber er hatte immerhinseinen Analysegegenstand – das Werk –vollständig vor sich. Was ist aber dasÄquivalent zum ›Werk‹ bei einem digi-talen Lehrwerk? Wenn das digitale Lehr-werk ein ernst zu nehmendes Komplett-angebot sein will, dann muss es beimjetzigen Stand der Entwicklung von pro-grammiertem Material mit einer Tutorie-rungskomponente versehen sein, und dieQualität dieser Tutorierung sagt wahr-scheinlich mehr über die Qualität desGesamtangebots aus als die Qualität ein-zelner Texte und Aufgaben. Wer alsoeinen Online-Kurs als Lehrwerk analy-sieren will, kann sich nicht einfach nurdas Material anschauen, er muss sehen,wie dieser Kurs tatsächlich abläuft.Optimistisch betrachtet und positiv ge-wendet würde dies bedeuten, dass es inder Lehrwerkanalyse endlich zu empi-

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rischer Rezeptionsforschung kommenmuss, die das Lehrwerk in Interaktionmit den Lernenden und Lehrenden be-trachtet. Konsequent zu Ende gedachthätte man es dabei sogar mit dem Endeder Lehrwerkanalyse durch die Aufhe-bung auf eine höhere Ebene zu tun. Da essich bei der Analyse eines tutoriertenOnline-Werks in Aktion eigentlich umdie Analyse dessen handelt, was alsÄquivalent zum traditionellen Unterrichtim Klassenzimmer zu betrachten ist,würde die Lehrmaterialanalyse aufgehenin empirische Unterrichtsforschung, dieja eigentlich die Interaktion von Leh-renden, Lernenden und Material zumGegenstand hat, auch wenn die Rolle desMaterials dabei nicht immer die ihr ei-gentlich gebührende Beachtung findet.So ein ›Ende‹, ein Ausbrechen aus demselbstgewählten Getto des werkanaly-tischen Vorgehens, wäre eine erfreulicheWeiterentwicklung der Lehrwerkana-lyse, bei der die werkanalytischen Vorge-hensweisen nicht verschwinden, sondernals notwendige Blicke auf Struktur, The-men usw. von Material in das rezeptions-analytische Vorgehen integriert würden.Aktuelle Versuche, Lehrmaterial in Ak-tion zu analysieren, beziehen sich auf dieAnalyse des Umgangs von Lernendenmit Selbstlernmaterial und zeigen, wiekomplex und methodisch raffiniert mansich diese Wende der Lehrwerkanalysevorzustellen hätte (vgl. Schmidt 2007oder Würffel 2006).Pessimistisch, aber m. E. leider wohlnicht ganz unrealistisch betrachtetkönnte das verstärkte Aufkommen von

digitalen Kursen hingegen dazu führen,dass es überhaupt keine ernsthafte Lehr-werkanalyse mehr geben wird. Mein sub-jektiver Eindruck von Fachtagungen derletzten zehn Jahre ist, dass die entspre-chenden Sektionen von mehr oder weni-ger offen als solchen deklarierten Präsen-tationen von Materialien, meist unter ei-ner an die Fragestellung des Rahmenthe-mas angelehnten Thematik, dominiertwurden und kritische lehrmaterialanaly-tische Auseinandersetzungen in der Min-derheit blieben. Diese Diskurshoheit der›Bastler‹ ist vielleicht ein – notwendiges1

– Übergangsphänomen, es wird aber ver-schärft durch die Frage nach dem Zu-gang. Zugang erhält man bei Online-Kursen zu ausgewählten Probestücken,diese dienen der Werbung, nützen abernichts für eine distanzierte Analyse.Wenn Lehrwerkanalyse im digitalenZeitalter überleben soll, muss also nichtnur dafür gesorgt werden, dass die Prä-sentation von Online-Materialien durchdie Produzenten auch klar als solche er-kenntlich ist, sondern auch dafür, dassZugänge zu den Kursen für Forscher, dienicht identisch mit den Machern sind,selbstverständlich sind, so dass eine Ana-lyse der tatsächlichen Nutzungen vonOnline-Kursen möglich wird.

3. Interessante aktuelle Tendenzen: ani-mierte Grammatik und Einbeziehungder KorpusanalyseAus Platzgründen nur ganz kurz sollenin diesem Kapitel exemplarisch zweiganz unterschiedliche Aspekte angespro-chen werden, die zeigen, wie der Fremd-

1 Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Es ist sehr wichtig und bei sokomplexen Gegenständen wie digitalen Lehrmaterialien unbedingt notwendig, dass sichMacher austauschen, gute Ideen verallgemeinern und so weitgehend wie möglichkooperieren. Dazu bedarf es des Diskurses der Macher. Diese Diskussionen sind abersystematisch zu trennen von empirischen lehrwerkanalytischen Forschungen zu digitalemLehrmaterial, so wie auch die Präsentation von traditionellem Print-Material auf Kon-gressen zu trennen ist und oft auch getrennt wird von lehrwerkanalytischen Vorträgen.

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sprachenvermittlung durch Digitalisie-rung neue Wege erschlossen werden kön-nen, die Frage nach der Relevanz ani-mierter Grammatik und die nach derReichweite der Einbeziehung der Kor-pusanalyse.

3.1 Animierte GrammatikWenn man auf die Entwicklung vonLehrwerken zurückblickt, lässt sich fest-stellen, dass im Laufe der Zeit verstärktversucht worden ist, mit Visualisie-rungen zu arbeiten, die den Lernendendas Verstehen erleichtern sollen (vgl. dieBeispiele in Funk/König 1991). Wennman sich hingegen die ersten Gramma-tikdarstellungen im Netz anschaut, blicktman meist auf Bleiwüsten, auf kopiertekomprimierte Grammatikdarstellungen,die hinter die Qualität der Visualisie-rungen in ›Papierwerken‹ zurückfielen.Deren Standard müssten die digitalenDarstellungen also auf jeden Fall zu-nächst nachvollziehen. Aber durch dieDigitalisierung können die Bilder dasLaufen lernen, d. h. prinzipiell ist zuüberlegen, inwieweit eine animierteGrammatik eine Erleichterung und Lern-hilfe für die Lernenden darstellen könnte.Ein beliebter grammatischer Gegen-stand für eine Animierung sind z. B.Wechselpräpositionen1, eine Figur stelltetwas auf einen Tisch, steht auf einemsolchen o. ä. Für einen Selbstlerner, derallein und ohne Interaktion im Klassen-zimmer Deutsch lernt, ist so ein kleinerFilm, der das Prinzip der Wechselpräpo-sitionen verdeutlicht, eventuell hilfreich.Aber in jedem Klassenraum kann einLehrer die Wechselpräpositionen ohneSchwierigkeiten demonstrieren, es gibtgenug Leute und Gegenstände, die in

einen Raum gehen, in einem Raum sind,etwas in eine Tasche, unter einen Tischoder wohin auch immer stellen oderlegen, worauf die Gegenstände dannunter dem Tisch sind usw. Wenn manweiß, wie aufwändig es ist, gute ani-mierte Grammatikdarstellungen zu pro-duzieren, dann stellt sich zunächst dieFrage, für welche grammatischen Phä-nomene sich der Aufwand eigentlichlohnt.M. E. sollten Visualisierungen zunächstbesonders dazu benutzt werden, kogni-tiv explizit kaum noch zu vermittelndeKonzepte leichter zugänglich zu ma-chen. So könnte ein schwieriges Kapitelder deutschen Grammatik, die Stellungim Mittelfeld2, von einer animiertenGrammatik profitieren, die Komplexitätganzheitlicher darstellen kann als expli-zite Erläuterungen zu Neuem und Be-kanntem, zu Links- und Rechtstendenz,Pronominalisierungen usw. Man stellesich z. B. eine Straße vor, auf der unter-schiedliche Arten von Parkverboten undHalteeinladungen vorhanden sind undunterschiedliche Angaben- und Ergän-zungsautos vorbeigefahren kommen,die je nach pronominalem oder nomi-nalem Zustand an bestimmten Stellenparken, von einem Parkwächter von be-stimmten Stellen verwiesen werdenusw. usw. Wenn Animierungen dazuführen, dass etwas Komplexes undSchwieriges leichter verstanden wird,dann tragen sie zu einer neuen Qualitätdes Lernens bei. Wenn Selbstverständli-ches oder leicht Verständliches illustriertwird oder wenn die Aufmerksamkeitder Lernenden durch eine Animierung,die eher Ornament ist, vom eigentlichzu Lernenden abgelenkt wird, dann

1 Vgl. z. B. http://www.passwort-deutsch.de/lernen/band2/lektion8/aktivitaet02. htm#2 Bei diesem Gegenstand scheint mir inzidentelles Lernen einem kognitiv expliziten

Zugang vorzuziehen zu sein, der entweder zu stark simplifiziert (Beispiel: tekamolo)oder der leicht das Ausmaß einer Linguistik-Vorlesung erreicht.

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wird eher ein Problem als eine Hilfestel-lung produziert. Animationen eignensich zur Darstellung sequenzieller oderkausaler Sachverhalte, aber nur solangeauch dies nicht zu einer Reizüberflu-tung oder Ablenkung führt.

»An der falschen Stelle eingesetzt nehmensie daher wichtige Ressourcen von anderenessenziellen Verarbeitungsaufgaben weg.… Die scheinbar leichte Verständlichkeit,die durch multimediale Animationen häu-fig suggeriert wird, verhindert … richtigesVerstehen.« (Roche/Scheller 2004: 14)

3.2 Korpuslinguistik für den und imDaF-Unterricht?Ein zweiter Bereich, der hier nur kurzerwähnt werden soll, ist das Potenzial,das durch die Verbindung von Compu-tertechnologie und linguistischer Me-thodik für den Fremdsprachenunter-richt nutzbar gemacht werden kannbzw. könnte, das Potenzial der Korpus-linguistik. Diese ist in der Anglistik wei-ter entwickelt als in der Germanistik,das gilt sowohl für ihren Kernbereich,die Linguistik, als auch für Versuche, siefür das Fremdsprachenlernen produktivzu machen (vgl. z. B. Mukherjee 2004und Mukherjee/Rohrbach 2006). Aberauch im Bereich DaF wird durch die2008 in der Zeitschrift Deutsch als Fremd-sprache eröffnete Reihe von Beiträgen(vgl. Fandrych/Tschirner 2008 undMeißner 2008) die Diskussion systemati-siert, und mit FALKO wächst an derHumboldt Universität ein annotiertesFehlerkorpus für DaF heran (vgl. Lüde-ling u. a. 2008).In der Linguistik hat die Korpusanalyseeine methodische Neuorientierung be-wirkt, an die Stelle einzelner Belegstellenoder der Introspektion des Muttersprach-lers tritt die Analyse immer größererMengen von Daten. Für den Fremdspra-chenunterricht ist die Korpuslinguistikauf zwei Ebenen interessant.

Zunächst ist sie, wiederum auf zwei Ebe-nen, Lieferantin von Informationen. Zumeinen stellt sie empirisch überprüfte Aus-sagen zur Frequenz von sprachlichenPhänomenen zur Verfügung, von denenLehrmaterialmacher zumindest jenseitsvon B1 bei der Erstellung von spezi-elleren Materialien profitieren können.Zum anderen kann die Korpusanalyseda, wo sie Lernerkorpora analysiert, hilf-reiche Daten liefern; annotierte Fehler-korpora können über die große Zahl zueiner interessanten Ergänzung psycho-linguistischer Erwerbsforschung werden.In diesen beiden Fällen ist die Korpuslin-guistik eine interessante Bezugswissen-schaft für die Fremdsprachendidaktik.Offener ist m. E. zur Zeit noch die didak-tisch weitergehende Frage, ob und inwie-weit ein korpuslinguistisches Vorgehenauch Teil des institutionell gesteuertenLernens werden sollte, z. B. dadurch,dass Lerner größere Mengen von sprach-lichem Material unter für sie zum jewei-ligen Stand ihres Spracherwerbs rele-vanten Gesichtspunkten durchforsten,inwieweit also die Korpuslinguistik ei-nen Beitrag zum entdeckenden Lernenleisten kann. Dies scheint zunächst eineFrage zu sein, die für Lernende in derMittelstufe und Oberstufe von Interesseist, z. B. bei der Beschäftigung mit Kollo-kationen (vgl. z. B. Ludewig 2005). Wieproduktiv ein korpuslinguistisches Vor-gehen für DaF-Lernende tatsächlich ist,wird sich erst sagen lassen, wenn ent-sprechende Unterrichtsforschung vor-liegt. Perspektivisch festhalten kann manaber, dass ein korpuslinguistisches Vor-gehen zumindest theoretisch das Poten-zial in sich trägt, selbstbestimmtes Ler-nen, das in der Fremdsprachendidaktikzumeist stärker auf Inhalte bezogen dis-kutiert wird, auch im Bereich der eherformbezogenen Fragestellungen voran-zutreiben.

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4. Tutorierung und programmiertesFeedbackFeedback ist kein neues Thema derFremdsprachendidaktik, es gewinnt aberim Kontext der stärkeren Individualisie-rung, die durch digitale Medien möglichwird (vgl. dazu genauer Rösler 2006b)1,besondere Bedeutung. Feedback gebentraditionell Lehrer und Mitlernende.Wenn das Lernen nicht mehr in einemRaum stattfindet, in dem Lehrende undLernende gleichzeitig anwesend sind,kann der Lehrer durch einen Online-Tu-tor ersetzt werden, was zunächst einmalden Verlust einiger nonverbaler Feed-back-Möglichkeiten mit sich bringt, imHinblick auf Erreichbarkeit für individu-ell gewählte Lernzeitpunkte aber evtl. fürdie Lernenden auch eine Verbesserungdarstellen kann. (Zu den verschiedenenBesetzungen des Begriffs Tutor im Kon-text der Diskussion um das Fremdspra-chenlernen mit digitalen Medien vgl.Rösler 2004: 194 ff.). Wie gut oder wieschlecht ein Online-Tutor ist, hängt nichtzuletzt davon ab, ob er ein Sprachlernhel-fer und Sprachberater ist oder eineschlecht bezahlte Hilfskraft, die nur›Häkchen macht‹. Wenn ein Team gutausgebildeter Online-Tutoren Selbstler-nenden zu verschiedenen Zeitpunktenzur Verfügung steht und sie angemessenberät, dann ist Online-Tutorierung zu-mindest eine ernst zu nehmende Angele-genheit.Ein Phänomen, über das noch relativwenig bekannt ist, das aber m. E. imKontext der digitalen Medien eine größe-re Rolle spielen wird als bisher, ist dasFeedback durch Mitlerner, besondersüberall da, wo Lernende individuell aneinem Lernprogramm arbeiten, sich abermit anderen Lernenden im gleichen

Raum befinden. Hier kann das schonimmer vorhandene Tuscheln mit demNachbarn im Klassenzimmer, wenn manals Lerner mal wieder nicht verstandenhat, was der Lehrer gesagt hat, ihn abernicht unterbrechen wollte, oder wennman sich schnell vergewissern möchte,ob man eine Aufgabe richtig gelöst hat,zu einem immer wichtiger werdendenBestandteil von Lernprozessen werden.In einem digitalen Kontext, in dem dasLernprogramm nur eines der offenenFenster auf dem Computer ist und dieLernenden sich gegenseitig bei zeitgleichvorhandenen Online-Wörterbüchern,Grammatiken, beliebigen Informations-seiten usw. informieren und beraten kön-nen, könnte mit derartigen Peer-Bera-tungen ein qualitativ sehr interessanterSchritt liegen in Richtung eines vielleichtin Zukunft wachsenden Bereichs des, pa-radox formuliert, kooperativen Alleinler-nens (vgl. dazu die Untersuchung vonSchmidt 2007 zum gemeinsamen Arbei-ten mit Selbstlernsoftware).Beim Thema Feedback und digitale Me-dien stellt sich neben der Erforschungvon durch Computer vermittelten Rück-meldungen von Menschen an andereMenschen vor allem die Frage, was fürAlleinlernende eigentlich ein sinnvollesFeedback des impliziten, also des in dasMaterial programmierten, Tutors ist.Programmiertes Feedback basiert aufdem Abgleichen von Mustern. Je mehrein Materialmacher vorhersieht, welcheFehler Lernende machen werden, und jemehr Energie er darauf verwendet, aufdiese Fehler zu reagieren, desto differen-zierter kann sein Feedback aussehen. Dasgilt für simple Hot Potatoes-Übungen (vgl.http://hotpot.uvic.ca/) ebenso wie fürelaboriertere programmierte Aktivitäten.

1 M. E. wird durch die digitalen Medien sowohl eine stärkere Individualisierung als aucheine Stärkung von Kooperationen beim Fremdsprachenlernen möglich.

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Es handelt sich dabei um eine Fleißarbeit,die für die Macher frustrierend sein kann.Wer viel Energie in eine schöne Flash-Präsentation steckt, kann sicher sein, dassdie Lernenden die Präsentation sehenund hoffentlich auch gut finden. Wer sehrviel Zeit in die Antizipation von Lerner-reaktionen und entsprechende Rückmel-dungen der Lernsoftware steckt, weißnicht, ob irgendetwas von dieser vielenArbeit überhaupt wahrgenommen wird.Das führt dazu, dass bei vielen Übungendas Feedback sicher weniger differen-ziert ist, als es technisch sein könnte. Beioffenen Aufgaben1 bleibt ohnehin, wennkein Online-Tutor zur Verfügung steht,an den Lösungen eingesandt werdenkönnen, nur die Möglichkeit der Mus-terantwort, und Musterantworten sindeine zweischneidige Sache. Eine ihrer un-erwünschten Nebenwirkungen kannsein, dass ein Lerner, der eine interes-sante Lösung produziert hat, sehr verun-sichert wird, weil er seine gefundeneLösung nicht in Beziehung zur Musterlö-sung setzen kann.Der hohe Arbeitsaufwand für das Vor-hersehen von und Reagieren auf unter-schiedliche Lernereingaben verbundenmit der mangelnden Sichtbarkeit desFeedback mag einer der Gründe dafürsein, dass das Feedback bei manchenAufgaben in der Lernsoftware stark ver-besserungswürdig zu sein scheint. Darü-ber hinaus ist aber auch nicht hinrei-chend geklärt, wann für welche Ler-nenden bei welcher Aufgabe welche Artvon Feedback denn eigentlich gutesFeedback ist.Zu Anfangszeiten der Lernsoftware-Ent-wicklung las man manchmal, Feedbacksolle freundlich sein und nicht verschre-

cken. Aber das kann zu Problemen füh-ren, wie mein Selbstversuch aus demJahre 1998 zeigte:

»Bei einer graphisch sehr ansprechend ge-stalteten Übung, bei der ich Substantiveneinen definiten Artikel zuordnen muß,macht es offensichtlich einen Unterschied,welchen falschen Artikel ich verwende,denn manchmal erhalte ich bei Fehlern einaufmunterndes ›stimmt nicht ganz‹,manchmal ein strenges ›das stimmt nicht‹.Sollte es hier eine von der germanistischenLinguistik noch nicht entdeckte Tendenzzum semiakzeptablen Zweitgenus fürSubstantive geben, deren Angabe diefreundlichere Fehlermeldung auslöst?«(Rösler 1998: 11)

In einer derartigen Situation muss einLerner ins Grübeln kommen, er mussannehmen, dass die unterschiedlichenReaktionen des Programms bedeuten,dass er unterschiedlich schlecht reagierthat. Die programmierte Freundlichkeitkann also dazu führen, dass im Kopf derLernenden fehlgeleitete Verallgemeine-rungen in Gang kommen.Ein anderes Kriterium für die Feedback-Gestaltung, das häufig anzutreffen ist,könnte formuliert werden als: je ausführ-licher desto besser. Wenn das Feedbackdes Programms, wie es in den Anfangs-zeiten von Übungen auf dem Computermanchmal vorkam, einfach lautete, »Ei-nige der Antworten sind nicht ganz rich-tig«, dann wäre sicher ein ausführlicheresFeedback besser gewesen. Aber washeißt ausführlich? Soll eine Grammatik-übung im Feedback z. B. eine Erklärungliefern, einen Link auf eine Seite, in derdas Phänomen dargestellt wird? Oder istdas nicht viel zu aufwändig für einenLerner, der bei einer geschlossenenÜbung nur schnell wissen möchte, obwas er angeklickt hatte richtig oder falsch

1 Die Auswahlmöglichkeiten, die Autorensysteme anbieten, führen wohl auch dazu, dassim Netz mehr geschlossene Aufgaben zur Verfügung stehen, als man das für didaktischsinnvoll halten mag.

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war. In der Untersuchung von Schmidt2007 drückte sich Feedbackverdrossen-heit dadurch aus,

»dass viele Schülerinnen als Folge der be-schriebenen Negativerfahrungen die er-scheinenden Meldungen häufig entwedervollständig ignorieren, indem sie sie unge-lesen sofort nach ihrem Erscheinen wegkli-cken, oder aber nur sehr oberflächlichwahrnehmen. So kommt es natürlich häufigvor, dass durchaus gute, informierende,fehlerspezifische Kommentare ebenfallsvollständig unbeachtet bleiben« (Schmidt2007: 291).

Wichtig ist in der momentanen Situationwohl, dass die Antwort auf die Frage,was ein angemessenes Feedback ist, ler-nerabhängig gestellt werden muss: Diesogenannte Generation Netzkind, fürdie das Etablieren sozialer Beziehungenim Netz ebenso zum Alltag gehört wiedie schnelle Suche nach Informationenim Netz und das schnelle Wegklickenvon etwas, was nicht sofort als relevantangesehen wird, wird vielleicht sehr an-ders mit kognitiv arbeitendem Feedbackumgehen als ein älterer Lernender mitanderen Computer- und Lernerfahrun-gen.Befänden wir uns in einer Naturwissen-schaft und nicht in einem Niemands-land der Forschungsförderung wie derFremdsprachendidaktik, dann hättenwir sicher schon längst ein millionen-schweres Grundlagenforschungspro-gramm aufgebaut, bei dem versuchtwürde zu ermitteln, welche Kriterien fürprogrammiertes Feedback belastbarsind, bezogen auf unterschiedliche Ler-nertypen, Lernziele, Übungstypen usw.Die häufig beklagte fehlende Breite derempirischen Fremdsprachenforschungist auch hier ein Hindernis dafür, dass

über Argumentationen entlang der re-flektierten Erfahrung kaum hinausge-gangen wird (vgl. aber z. B. Arbeitenwie Nagata 1993 zu Ausführlichkeit vonFeedback und Lernerfolg oder Pujola2001 zu unterschiedlichen Verwen-dungsmöglichkeiten und Zweischrittig-keit). Was man jedoch einigermaßen si-cher sagen kann, ist, dass ganz langfris-tig im Bereich Feedback für program-miertes Material ein großer qualitativerSchritt voran erst gemacht werden kann,wenn Pattern-Matching und die Antizi-pation von Lernereingaben ergänzt undevtl. einmal sogar ersetzt werden durcheine intelligente Analyse der Lernerein-gaben, d. h. wenn Fremdsprachendidak-tik und Forschung zur künstlichen Intel-ligenz auf einer Ebene zusammenkom-men, die über die Analyse von Einzel-beispielen hinausgeht. Das wird abernoch eine sehr lange Zeit auf sich war-ten lassen (vgl. dazu Gamper/Knapp2002 oder Puskas 2005).

5. Kooperatives Arbeiten mit digitalenMedienKooperationen gab und gibt es vor undaußerhalb des Arbeitens mit digitalemMaterial. Tandems gab es, bevor es E-Tandems gab, Klassenkorrespondenzen,bevor per E-Mail usw. die Raumüber-windung zwischen Lernergruppen anverschiedenen Orten beschleunigtwurde1 (vgl. als Überblick Rösler 2004:49–69). Rasant geändert haben sich inden letzten 10 Jahren die technischenMöglichkeiten für Kooperationen.Mussten vor ca. 10 Jahren für die Unter-suchung von Tamme 2001 zur Ausbil-dung von Online-Tutoren noch bei vie-len der Teilnehmer Modems installiert

1 Vgl. als Überblick über laufende Projekte die Sammlung im Netz http://www.schule.de/englisch/DaF.htm von Reinhard Donath, der für Einstieger auch sehrnützliche Hinweise für das Gelingen von Kooperationsprojekten bereitstellt: http://www.englisch.schule.de/tipps_neu.htm#zehn.

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werden, sind heute alle Beteiligten amGießener elektronischen Praktikum (vgl.Würffel 2004) in der LernplattformMoodle zu Hause. Das bedeutet zu-nächst einmal nur, dass technisch überden einen Modus der schriftlichen Inter-aktion per E-Mail hinaus inzwischeneine ganze Palette von Kommunikati-onsmöglichkeiten bereit steht, synchronund asynchron, geschrieben und ge-sprochen, in Wikis, Chats, Foren oderper Skype. Die didaktisch relevanteFrage lautet, ob dabei der didaktischeFortschritt mit dem technologischenFortschritt Schritt gehalten hat.Mit E-Mail und Chat waren digitaleKommunikationsweisen in den Fremd-sprachenunterricht eingetreten, die inBezug auf konzeptionelle Schriftlichkeitund Mündlichkeit nicht immer einfacheinzuordnen sind und die für dieFremdsprachendidaktik unter dem Ge-sichtspunkt der Diskussion der Förde-rung von Mündlichkeit und Schriftlich-keit interessant waren (vgl. die Analysevon Lemnitzer/ Naumann 2001; zu denBesonderheiten der Kommunikation indidaktischen Chats vgl. Platten 2003).Problematisch war es m. E. zu glauben,dass mit den E-Mails und Chats eineRenaissance des Schreibens stattgefun-den hatte, stattgefunden hatte aber aufjeden Fall eine Renaissance des Tippens.Hier kann nun durch die Erweiterungder technischen Möglichkeiten eineAusdifferenzierung erfolgen. Mit Skypekönnte es eher als mit den getipptenChats tatsächlich dazu kommen, dassdie Förderung der mündlichen Kommu-nikationsfähigkeit im Fremdsprachen-unterricht stärker in den Fokus des Ler-nens mit digitalen Medien tritt, und mitWikis (zum Schreiben von DaF-Ler-nenden im Wiki vgl. Platten 2008) undBlogs könnte es nun tatsächlich zu einerRenaissance des Schreibens und dabei

durch das Potenzial der social softwaresogar zu einer Stärkung des koopera-tiven Schreibens kommen (vgl. dazuausführlicher Würffel 2008).Digitale Kooperationsprojekte habenzumeist versucht, zumindest die inhalt-liche Selbstbestimmung der Lernendenmöglichst weitgehend unbeschädigt zulassen, der Selbstbestimmung der Ar-beitsweisen waren durch die ›Sach-zwänge‹ der vorhandenen Kommunika-tionsweisen, zunächst beschränkt auf E-Mail, Grenzen gesetzt. Durch die Vielfaltder technischen Optionen in Lernplatt-formen ist in Kooperationsprojektenjetzt eine weitergehende Selbstbestim-mung von Arbeitsweisen der Wahl,eines synchronen oder asynchronenVorgehens usw. durch die Lernendenmöglich; einer Zwischenbilanz in zehnJahren bleibt es vorbehalten festzuhal-ten, ob diese größere Freiheit der Wahlder Mittel zu größerer Selbstbestim-mung bei der Wahl der Arbeitsweisengeführt hat.Auch bei größerer Begeisterung für diesich bietenden Möglichkeiten von Lern-plattformen sollte man jedoch nicht ver-gessen, dass die Grundprobleme sprach-und kulturgrenzenüberschreitenderKommunikation durch diese nicht ausder Welt geschafft worden sind, so dassauf die Gefahren in jedem einzelnen Pro-jekt ebenso wie in der Aus- und Fortbil-dung von Fremdsprachenlehrern geach-tet werden muss (vgl. dazu z. B. Müller-Hartmann 2000 und O’Dowd/Ritter2006). Trotz der erweiterten Kommunika-tionsmöglichkeiten gilt weiterhin der Ge-meinplatz: Wenn man sich nichts zu sa-gen hat, ist es egal, wie luxuriös dieLernplattform ist, in der man sich nichtszu sagen hat. Die entscheidende Fragelautet weiterhin: Haben Lernende in Ko-operationsprojekten anderen Lernendenetwas mitzuteilen?

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6. Lernertexte für LernerDass Lernende anderen Lernenden oderihrer Umwelt etwas mitteilen wollen unddass dieses Mitteilungsbedürfnis die Ba-sis des Fremdsprachenlernens sein sollte,ist kein durch digitale Medien aufgekom-menes Konzept, sondern Grundannahmealler Versuche, emanzipatorischenFremdsprachenunterricht zu machen,und Ausgangsüberlegung der Projektdi-daktik. Inwieweit tragen durch digitaleMedien realisierte Interaktionen dazubei, diese Grundannahme stärker im Un-terrichtsalltag zu verankern? Diese Fragesoll in zwei Teilfragen überführt werden,

in die Frage, inwieweit ›lehrmaterial-freie‹ selbstbestimmte Textproduktiondurch social software in anderer Weisemöglich ist als bisher, und in die nicht sooffensichtliche, m. E. aber für die Ent-wicklung des gesteuerten DaF-Lernenshochrelevante Frage danach, ob durchdie Digitalisierung auch im traditionellenLehrmaterialkonzept so etwas wie einestärkere Einbeziehung von Lernertextenmöglich ist.

6.1 Freie Lernertexte im NetzAbb. 1 zeigt einen von einem Lerner insInternet gestellten Text.

Wenn derartige Texte von Lernendenproduziert und der Welt kund getanwerden, ohne dass dieses eine Bezie-hung zum Unterricht hat, dann handeltes sich zunächst einmal um nichts ande-res als um eine mediale Erweiterungvon Transfermöglichkeiten. So wie einLerner früher einen muttersprachlichen

Touristen im Urlaub angesprochen ha-ben mag, um sein erworbenes Deutschauszuprobieren, und dabei keinesfallskorrekt gesprochen hat, so kann er jetztdie ganze Welt ansprechen, um sein er-worbenes Deutsch auszuprobieren, under hofft natürlich, dass die Welt ihn zurKenntnis nimmt.

Abb. 1: Von einem DaF-Lerner außerhalb des institutionellen Lernens ins Netz gestellter Text.Quelle: http://huachengaussingapur.blog.de/2008/05/10/ersteintrag-4155058(Abrufdatum: 21.5.2008)

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Etwas anderes ist es, wenn diese Artenvon Aktivitäten innerhalb des Klassen-zimmers in die Wege geleitet werden,wenn also Lehrende die Lernenden dazubringen, sich der Welt mitzuteilen. Hierkann m. E. die Idee des freien Sich-Mittei-lens in Konflikt geraten mit der Schutz-funktion, die Lehrende einer Gruppe vonLernenden gegenüber haben, denn imGegensatz zur Ermunterung zu selbstbe-stimmtem Schreiben, das zu Plakaten imKlassenzimmer, einer Lesung auf einemElternabend oder zu einem Brief an einePartnerklasse führte, liest plötzlich dieganze Welt mit, wenn die Texte nichtentsprechend per Intranet oder sonstigeSchutzmechanismen mit einer Zugangs-beschränkung versehen sind. Nunkönnte man einwenden, dieser Verweisauf die Schutzfunktion sei sehr altmo-disch, wir lebten schließlich in einer Weltdes medialen Exhibitionismus, und vondaher sind diese Bedenken wahrschein-lich tatsächlich ein bisschen altväterlich,trotzdem sollte man nicht ganz außerAcht lassen, dass ein gegen sprachlicheNormen verstoßender oder inhaltlichselbstentblößender Text natürlich auchgegen den Verfasser verwendet werdenkann, z. B. eine ganze Zeit später bei einerBewerbung, und dass man vielleichtüberlegen sollte, inwieweit ein allzuschnelles Ermuntern der Lernenden, sichin der Zielsprache gleich der ganzen Weltmitzuteilen, tatsächlich so notwendig ist.Trotzdem muss man festhalten, dass mitderartigen weltweit zugänglichen Publi-kationen die Möglichkeit gegeben ist,über die Grenzen des Klassenzimmershinauszutreten, und je stärker es z. B.passiert, dass eine Gruppe von Ler-nenden ein digitales Produkt erstellt unddann in sozialen Netzwerken ›werbend‹

dafür sorgt, dass Leute, die keinen didak-tischen Grund dafür haben1, dieses Pro-dukt wahrzunehmen, es freiwillig zurKenntnis nehmen, desto stärker findenSchritte über das Klassenzimmer hinausin Richtung ›natürliche Kommunikation‹statt, die über die Interaktionsmöglich-keiten klassischer Projektdidaktik hin-ausgehen.

6.2 Freie Lernertexte in einer didak-tischen LernumgebungWährend der Text in Abb. 1 ein Beispieldafür ist, wie Lernende die digitalen Me-dien dafür nutzen, ohne didaktischenKontext sich in der Fremdsprache ande-ren mitzuteilen (und zu hoffen, dass ir-gendwo in der Welt ›draußen‹ jemanddiesen Text als für sich so relevant emp-findet, dass er auf ihn antwortet), ist Abb.2 ein Beispiel für weitgehend freiesSchreiben in einem didaktischen Raum.Abb. 2 zeigt die Startseite der interak-tiven Schreibwerkstatt der Lernumge-bung für Jugendliche auf Mittelstufenni-veau, Jetzt Deutsch Lernen. Diese Schreib-werkstatt stellt ein Wiki bereit, gibt Start-informationen und einen inhaltlichen Im-puls. Danach sind die Lernenden freieAutoren, die mit anderen Autoren koope-rieren. Verglichen mit dem völlig freienText in Abb. 1 findet also eine Steuerungstatt. In diesem konkreten Fall ist sie sehrgering, Ort, allgemeine Hilfestellung undImpuls werden gegeben (vgl. dazu aus-führlicher Platten 2008).Man kann sich derartige Wikis auch mitstärkeren Eingriffen vorstellen, z. B. miteinem Tutor, der textsortenbezogeneRatschläge gibt, kooperative Aktivitätenmoderiert usw. Und man kann sich einderartiges Wiki noch freier vorstellen,indem selbst der thematische Impuls

1 Also weder Lehrer, Partnerklasse, Eltern oder sonstige kommunikativ ›zwangsver-pflichtete‹ Personen sind.

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noch weggelassen wird und lediglichein bereitgestellter Schreibraum übrigbleibt. Unterschiedlich sein könnenauch die Motive der Schreiber: sind sieals individuelle Lerner in die Schreib-werkstatt geraten, sind sie von ihrenLehrern dazu ›überredet‹ worden, istgar eine ganze Lernergruppe als Teil desUnterrichts zu diesem ›freien‹ Schreibenverpflichtet worden? Hier bedarf esnoch einer ganzen Reihe von Untersu-chungen, bis man mehr darüber weiß,welcher Grad von Steuerung, thema-tischen Anreizen und evtl. auch unter-richtlichen Begleitungen für welche Ler-ner mit welchen Lernerfahrungen mitwelchem Sprachstand für kooperativesSchreiben im Wiki angemessen ist.

6.3 Integration von Lernertexten inLehrmaterialAufgrund der Bedeutung, die Lehrmate-rial für das gesteuerte Fremdsprachenler-nen hat, zumindest ebenso wichtig istm. E. die Frage, ob es über diese erwei-

terten Möglichkeiten des kooperativenfreien Schreibens von Texten durch Ler-nende hinaus auch dazu kommen kann,im Lehrmaterial den Texten von Ler-nenden stärkeres Gewicht zukommen zulassen. Lernertexte in Lehrwerken warentraditionell vereinzelte Texte von Ler-nenden, die z. B. auf ein Preisausschrei-ben geantwortet hatten. Mit der Flexibili-tät der digitalen Medien ist es nun mög-lich, diese Art der Integration von Ler-nertexten voranzutreiben. Abb. 3 zeigtein weiteres Beispiel aus der Lernumge-bung Jetzt Deutsch Lernen. Dort hatte manangefangen, Texte von Lernenden als Re-aktionen auf die Texte der Lernumge-bung ins Netz zu stellen, und ging da-nach einen Schritt weiter: die Texte derLernenden wurden selbst zu didaktischbearbeiteten Texten, die die Basis vonLerneinheiten bilden.Man kann entweder sagen, damit seiensie genau so gut oder genauso schlechtwie alle anderen Lehrwerktexte, mankann aber auch hoffen, dass, wenn derar-

Abb. 2: Kooperatives Schreibenin einem didaktischen Kontext.http://www.goethe.de/z/jetzt/dejwiki/dejwiki.htm (Abrufda-tum 21.5.2008)

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tige Texte kontinuierlich erneuert, weiter-gesponnen werden usw., auch in Lehr-werken – wenn man sich, wie in Kap. 1dargestellt, Lehrwerke als Datenbankenund nicht als statische Sequenzen vor-stellt – mit diesen Texten eine stärkereAnnäherung an Interessen der Ler-nenden erfolgen kann. Denn von denLernenden kann ein für sie unangemes-sener Text in ›ihrem‹ Lehrwerk als Auf-forderung verstanden werden, selbst ak-tiv zu werden, zu schreiben, zu inszenie-ren und diese Texte dann wieder anderenLernenden zur Verfügung zu stellen, sodass in einem Datenbank-Konzept vonLehrwerk Texte von Lernenden gleichbe-rechtigt neben von Materialmachern ge-schriebenen oder gefundenen stehenkönnten, für andere und von anderenLehrenden und Lernenden ausgewähltnicht danach, ob sie von berühmten Au-toren, Lehrwerkmachern oder Ler-nenden stammen, sondern weil sie fürbestimmte Lernende mit bestimmtenLernzielen zu einem bestimmten Zeit-punkt die angemessenen Texte sind. Unddamit hätte man sich dann ein Stückchenweiter an so etwas wie ›didaktische Au-

thentizität‹ angenähert, an einen Authen-tizitätsbegriff, der nicht den Texturheberoder die Textbeschaffenheit verabsolu-tiert, sondern sich auf die komplexe Situ-ation gesteuerten Fremdsprachenlernenseinlässt.

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Abb 3: Didaktisierte Lernertexteim Lehrmate r i a l . h t tp : / /www.goe the .de /z / j e tz t /de -j l e r t e . h t m ( A b r u f d a t u m21.5.2008)

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Dietmar RöslerVon 1986 bis 1996 Hochschullehrer amDepartment of German des King’s Col-lege der University of London. Seit 1996Professur für Deutsch als Zweit- undFremdsprache an der Justus-Liebig-Uni-versität Gießen. Forschungsschwer-punkte: das Verhältnis von gesteuertemund natürlichem Zweit- und Fremdspra-chenlernen, Lehrmaterialanalyse, Inter-kulturelle Kommunikation, Grammatik-vermittlung und Sprachtechnologie undFremdsprachenlernen. Ausführliche In-formationen finden sich unter: http://www.uni-giessen.de/cms/fbz/fb05/germanistik/iprof/daf/

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DaF-Lehrende und das Europäische Sprachen-portfolio

Sandra Ballweg und Antje Stork

Zusammenfassung Um das Europäische Sprachenportfolio sinnvoll in den DaF-Unterricht zu integrieren,müssen die Lehrenden mit Zielen und Arbeitsmöglichkeiten vertraut sein. Dieser Beitragstellt die Ergebnisse einer Befragung von DaF-Lehrpersonen zu Bekanntheit, Akzeptanz,Erfahrungen und Fortbildungsbedarf in Bezug auf das ESP vor. Aus diesen Ergebnissenwerden in Form von Thesen Konsequenzen für die Lehreraus- und -fortbildung abgeleitet.

1. Einleitung Die Entwicklung von Europäischen Spra-chenportfolios (ESP) wurde 1997 im Rah-men der Abschlusstagung des Projekts»Language Learning for European Citi-zenship« beschlossen. Im Jahr 2000 emp-fahlen die Erziehungsminister der Mit-gliedsländer im Europarat (in der so ge-nannten Erklärung von Krakau; vgl.Schärer 2004: 18)1 die Einführung desSprachenportfolios und die Schaffungvon günstigen Bedingungen für eineweite Verbreitung. Folgendermaßen er-läutert der mittlerweile 47 Staaten umfas-sende Europarat das Dokument:

»It is a document in which those who arelearning or have learned a language –whether at school or outside school – canrecord and reflect on their language learn-ing and cultural experiences«. (Europarat)

In dieser allgemeinen Beschreibungwerden der schulische und außerschu-

lische Kontext, das sprachliche und kul-turelle Lernen, das gegenwärtige undvergangene Lernen gleichermaßen an-gesprochen, und zwar mit dem Ziel so-wohl der Dokumentation als auch derReflexion. Selbstverständlich ist die Umsetzungdieser – doch recht abstrakten – Ideenin der Unterrichtspraxis nicht immereinfach. Die Hauptlast liegt bei denLehrpersonen, denen die Aufgabe zu-kommt, die Fremdsprachenlernendenmit dem Konzept des EuropäischenSprachenportfolios vertraut zu machenund sie zur Weiterarbeit damit zu moti-vieren (vgl. Leupold 2007: 59). Von2004 bis 2007 beschäftigten sich des-halb zwei Projekte des EuropäischenFremdsprachenzentrums2 (EFSZ/ECML) in Graz mit der Implementie-rung des ESP (vgl. ECML: online; Boss-hard 2007).

1 Der Text der »Resolution on the European Language Portfolio« ist abrufbar unter: http://www.coe.int/T/DG4/Portfolio/?L=E&M=/main_pages/documents.html.

2 Das Europäische Fremdsprachenzentrum ist eine Einrichtung des Europarats und hatden Auftrag, die Mitgliedstaaten bei der Implementierung von schulsprachenpoliti-schen Maßnahmen zu unterstützen, Innovationen im Sprachunterricht zu fördern sowieein neues Berufsbild für Sprachenlehrende zu entwickeln (vgl. http://www.ecml.at/efsz/efsz1.html).

Info DaF 35, 4 (2008), 390–400

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1. Projekt C5 »ELP implementation sup-port / Soutien à la mise en œuvre duPEL (impel)«, Projektkoordinator:Hans Ulrich Bosshard (Schweiz). Zielwar, Informationen und Erfahrungenzur ESP-Implementierung zu sammelnund auszutauschen, Instrumente zurPlanung, Pilotierung und zum Einho-len von Feedback zu erarbeiten sowiedie gesammelten Informationen u. a.mit Hilfe einer Internetseite (http://elp.ecml.at/) zu verbreiten.

2. Projekt C6 »Training teachers to use theEuropean Language Portfolio: ELP_TT«unter der Leitung von David Little (Ir-land). Es richtete sich nicht nur an Leh-rende, sondern besonders auch an dieAusbilder/innen von Lehrpersonenund hatte die Konzeption und Organi-sation von Workshops zum ESP sowiedie Entwicklung von Materialien undAktivitäten für den Unterricht zum Ziel.

Vor dem Hintergrund dieser systemati-schen und umfassenden Aktivitäten zurImplementierung des ESP und besondersauch zur Lehrerausbildung in diesem Be-reich interessierte uns, ob und wie dasEuropäische Sprachenportfolio im Unter-richt, und zwar vor allem im Deutsch-als-Fremdsprache-Unterricht, tatsächlicheingesetzt wird. In unserer Studie, diewir in diesem Beitrag vorstellen möchten,haben wir uns auf die Sicht der Lehrper-sonen für Deutsch als Fremdsprache kon-zentriert und mittels eines Fragebogensgefragt, wie im Fremdsprachenunterrichtmit dem Portfolio umgegangen wird, wieund in welchen Bereichen das ESP oderTeile davon tatsächlich eingesetzt wer-den, welchen Zweck es erfüllt und wel-che der inzwischen 95 akkreditierten Mo-delle bekannt sind. Ziel war es, einen

breiten Einblick in die Akzeptanz desESP bei Lehrpersonen und deren Erfah-rungen damit zu gewinnen und darausKonsequenzen für die Lehreraus- und-fortbildung zu ziehen. Im Folgenden möchten wir zunächst kurzauf einige aktuelle Fakten zum Europä-ischen Sprachenportfolio in Deutschlandeingehen. Danach werden wir den Aus-gangspunkt und Hintergrund unserer Un-tersuchung vorstellen, die Ergebnisse prä-sentieren und schließlich daraus Thesenfür die Aus- und Fortbildung von DaF-Lehrpersonen ableiten.

2. Das Europäische Sprachenportfolioin Deutschland Die Geschichte der Entwicklung des Eu-ropäischen Sprachenportfolios, sein Auf-bau (Sprachenpass, Sprachenbiografie,Dossier) sowie seine Zielsetzungen wur-den bereits an anderer Stelle ausführlichdargelegt (vgl. z. B. Rieder 2002, Schärer2003, Helbig-Reuter 2004a und b, Benn-dorf-Helbig 2005, Kolb 2007). Aus diesemGrund widmen wir uns hier der aktuel-len Situation in Deutschland (Stand:April 2008). Nachdem 1998 das erste Sprachenportfo-lio in Deutschland erprobt wurde, liegennun von derzeit insgesamt 95 akkredi-tierten Portfoliomodellen fünf Modellefür unterschiedliche Zielgruppen inDeutschland vor1: – Nordrhein-Westfalen (4.2000) – Sekun-

darstufe I; – Thüringen (32.2002a, b und c) – Primar-

stufe, Sekundarstufe I, SekundarstufeII

– Hamburg (46.2003) – Sekundarstufe I; – Thüringer Volkshochschulverband

(77.2006) – Erwachsene;

1 Vgl. http://www.coe.int/T/DG4/Portfolio/?L=E&M=/main_pages/portfolios. html.Die Nummer in Klammern hinter dem jeweiligen Portfoliomodell bezeichnet dieAkkreditierungsnummer des Europarats.

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– Verbundprojekt »Sprachen lehren undlernen als Kontinuum« (90.2007) – Pri-mar- und Sekundarstufe.

Vier weitere Modelle sind im europäi-schen Kontext entstanden und beinhalteneine deutsche Version: – EAQUELS/ALTE (6.2000) – Erwach-

sene (elektronische Version); – European Language Council (35.2002-

DE) – Hochschule; – Milestone (37.2002) – heranwachsende

bzw. erwachsene Migranten; – Universität Sofia Universität Sofia

(48.2003-DE) – Berufstätige. Für den DaF-Unterricht in Deutschlandsind die Modelle des Thüringer Volks-hochschulverbands für Erwachsene, desEuropean Language Council für denHochschulbereich und das Modell »Mi-lestone« für Migrantinnen und Migran-ten von besonderem Interesse. In einemProjekt des Thüringer Volkshochschul-verbandes, das durch das BAMF (Bun-desamt für Migration und Flüchtlinge)gefördert wird, soll das dortige Modellfür den Einsatz in Integrationskursen (A1bis B1) getestet und bis Ende Juli 2008eine Version für Zuwanderinnen und Zu-wanderer erstellt werden. Bezogen auf das Schuljahr 2007/2008schätzt Rolf Schärer, der Generalbericht-erstatter des Europarats, die Anzahl derproduzierten bzw. verteilten Exemplaredes Europäischen Sprachenportfolios aufca. 3 Millionen (vgl. Schärer 2008). InDeutschland wird die Anzahl der Ler-nenden, die das Europäische Sprachen-portfolio benutzen, für das Schuljahr2004/2005 auf 87.867 beziffert, und zwar44.000 in der Primarstufe, 24367 in derSekundarstufe I, 17500 in der Sekundar-stufe II, 1000 im beruflichen Bereich und1000 Erwachsene (vgl. Schärer 2007). Da-bei handelt es sich zwar um Schätzungen,sie zeigen aber, dass das ESP in Deutsch-land vor allem im schulischen Bereicheingesetzt wird und nur vergleichsweise

marginal im Fremdsprachenunterrichtmit Erwachsenen. Leupold (2007: 60)konstatiert, dass das Interesse am Euro-päischen Sprachenportfolio in Deutsch-land, vor allem im Sekundarstufenbe-reich, geringer geworden ist. Er führt daszum einen darauf zurück, dass in derFachdiskussion andere Themen wie z. B.die Bildungsstandards ins Rampenlichtgerückt sind, und zum anderen darauf,dass der Ansatz der Selbstevaluation beiSchüler/innen auf Unverständnis stößt.

3. Das ESP aus der Sicht von Lehrenden

3.1 Ausgangspunkt: Erfahrungen aus ei-nem Seminar Ausgangspunkt unserer Überlegungenwaren die Ergebnisse von Lehramtsstu-dierenden der Fächer Englisch, Franzö-sisch und Spanisch im Rahmen einesuniversitären Seminars zum ESP. AchtStudierendengruppen haben in einer sogenannten Praxisphase Lehrpersonenverschiedener Schulformen (Grund-schule, Hauptschule, Realschule, Gym-nasium, Gesamtschule, Berufsschule) inHessen befragt, ob sie das ESP kennen, obsie damit arbeiten und wie sie es ein-schätzen. Zusammenfassend hat sich da-bei ergeben, dass viele der Lehrendenschon einmal davon gehört, aber wenigesich ausführlicher damit beschäftigt ha-ben. Noch weniger Lehrkräfte haben be-reits damit in ihrem Fremdsprachenun-terricht gearbeitet. Lehrer/innen, diedem ESP skeptisch gegenüberstanden,gaben häufig als Gründe an: »Mir bleibt dafür einfach keine Zeit«, »Damit kenne ich mich nicht aus« oder »Es ist sinnvoll erst in höheren Klasseneinsetzbar«. Eine Lehrerin lehnt das ESP ab, »weil esdem Sprachenlernen in der Praxis nichtso viel nutzt, wie es sich die praxisfernenTheoretiker denken«.

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Von einem Berufsschullehrer kam derEinwand, dass die Kontrolle ziemlichaufwändig werden würde, weil bei denSchülern die selbstständige Arbeitsweisenicht so stark ausgeprägt sei. Lehrende, die sich mit dem ESP intensi-ver auseinandergesetzt und auch bereitsdamit gearbeitet haben, sahen es häufigpositiver. Sie beurteilten es als eine neueund effektive Lern- und Lehrform. EineLehrerin, die sich in ihrer Examensarbeitausführlich mit dem ESP beschäftigt hat,hielt es für sehr sinnvoll, da es den Schü-ler/innen die Möglichkeit biete, den eige-nen Leistungsstand zu evaluieren undFortschritte in der Lernentwicklung zuerkennen. Die Ergebnisse decken sich mit Beobach-tungen und Erfahrungen, die andernortsgemacht wurden und in der Fachliteraturdokumentiert sind. Königs (2003: 117)kommt zu dem Schluss, dass in der Pra-xis zwar der Portfolio-Gedanke bekanntist, jedoch nicht die damit verbundenenunterrichtlichen Implikationen. NachBosshard (2004: 10) ruft das ESP zweiReaktionen hervor: Einige Lehrpersonenbegreifen es als eine isolierte Maßnahmeund beklagen den Mehraufwand; vonanderen Lehrkräften wird es als Kristalli-sationspunkt von verschiedenen pädago-gischen und didaktischen Innovationenbegriffen. Westhoff (2004: 55) weist dar-auf hin, dass die pädagogische Funktiondes ESP von den Lehrenden einen »sub-stantiellen didaktischen Sichtwechsel«erfordert. Jensen (2004: 17) spricht voneinem »Paradigmawandel im Unterrichtund in der Unterrichtsplanung«. Da wir die Ergebnisse recht ernüchterndfanden, wollten wir anschließend heraus-finden, ob sich für die DaF-Lehrenden einähnliches Bild ergibt. Sie arbeiten inDeutschland in anderen Berufsfeldern(Erwachsenenunterricht an Volkshoch-schulen, Sprachenschulen, Universitä-ten) und ihre Aus- und -Fortbildung un-

terscheidet sich grundlegend von derje-nigen der schulischen Fremdsprachen-lehrenden, vor allem durch wenigerstarke institutionelle Anbindung und Re-gelungen. Während die Lehrkräfte inHessen zu Fortbildungen verpflichtetsind (Erwerb von so genannten Fortbil-dungspunkten), erfolgt die Fort- undWeiterbildung von DaF-Lehrkräften zu-meist auf freiwilliger Basis. Des Weiterenliegt bei den Lehrenden in diesem Be-reich nicht immer eine didaktisch-metho-dische Ausbildung im Fach Deutsch alsFremdsprache vor, sondern so genannte»Quereinstiege« (beispielsweise von Ger-manist/innen) sind möglich.

3.2 Befragung von DaF-Lehrenden In einem ersten Schritt haben wir imWintersemester 2007/08 Fragebögen anvier Volkshochschulen, vier Sprachen-zentren von Universitäten in Deutsch-land und einer Germanistik-Abteilungeiner englischen Universität verteilt. Zielwar es, etwas über die Bekanntheit unddie Einsatzbereiche des ESP sowie überdie Einstellung der Lehrpersonen zu er-fahren. Schon bei den Leitungen war die Reak-tion in vielen Fällen sehr zurückhaltend.In mehreren Fällen wurde erklärt, dassdas ESP bisher an der Institution nochnicht thematisiert wurde und dass sienicht damit rechnen, dass die Lehrendendamit vertraut sind. Im Kontakt mitLehrpersonen selbst wurde dieser Ein-druck bestätigt. Viele erklärten, dass siedazu nichts sagen könnten und warennicht bereit, einen Fragebogen auszufül-len. Aus 9 Einrichtungen, die Unterrichtim Bereich DaF anbieten, erhielten wirdann trotz zum Teil persönlicher Anwe-senheit und trotz einer großen Zahl anbefragten Lehrkräften an großen Institu-tionen, vor allem Volkshochschulen undSprachenzentren an Universitäten, nur 9Fragebögen von Lehrpersonen aus vier

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verschiedenen Institutionen zurück, beideutlich über 100 Lehrkräften, die ange-sprochen worden waren. Vier der Frage-bögen wurden von der englischen Uni-versität zurückgesendet. Die niedrige Rücklaufquote, die von eini-gen angesprochenen Lehrpersonen auchexplizit mit mangelndem Wissen überdas Europäische Sprachenportfolio be-gründet wurde, zeigt deutlich, wie wenigverbreitet das Instrument zumindest imDaF-Unterricht ist. Bei der Betrachtung der Aussagen derneun befragten Lehrpersonen fällt zu-nächst auf, dass drei Lehrkräfte angaben,noch nicht vom Europäischen Sprachen-portfolio gehört zu haben, obwohl sieüber eine formale Ausbildung im BereichDeutsch als Fremdsprache sowie in einerweiteren Fremdsprachendidaktik ver-fügten. Alle drei Befragten waren an derenglischen Universität tätig und hattenden Fragebogen auf Bitten ihrer Vorge-setzten eingereicht. Eine Lehrerin er-klärte, sie habe weder im Studium, nochin Praktika, noch im Kollegium vom ESPgehört. Die – allesamt weiblichen – Lehrendenaus verschiedenen Altersgruppen warenzunächst aufgefordert, zwei bis vier As-soziationen zum ESP festzuhalten (vgl.Anhang, Frage 1). Dabei wurden fol-gende, eingangs zum Teil schon ge-nannte, Punkte notiert: Transparenz (2x),Selbsteinschätzung (2x), Lernbegleitung,Europäischer Referenzrahmen, internati-onal vergleichbare Informationen überSprachkenntnisse, Gemeinsamer Europä-ischer Referenzrahmen, Europarat, Do-kumentation, Nachweis von Sprachaus-bildung, Bürokratie, Mehrsprachigkeit,autonomes Lernen, Sprachniveau, Fort-schritt bzw. Lernfortschritt, Portfolios imDeutsch- oder Religionsunterricht. Auffällig ist die Breite an Assoziationen.Die Nennungen des Referenzrahmens alseines der Rahmenkonzepte und der Eu-

roparat als Initiator beziehen sich dabeiauf Grundüberlegungen und das Ge-samtkonzept. Der Europarat benenntZiele und Funktionen des Portfolios zumeinen im »pädagogischen Bereich«, wor-unter auch die hier genannte Selbstein-schätzung und die Lernerautonomie fal-len, zum anderen im Bereich der Doku-mentation, auf den sich die meisten Nen-nungen beziehen, wie etwa die Vergleich-barkeit, die Transparenz, der Nachweisüber die Sprachausbildung und der As-pekt des Sprachniveaus. Zusammenfas-send lässt sich bei den Antworten aufdiese erste Frage sagen, dass bei denAssoziationen der organisatorische Rah-men und die dokumentarische Funktionim Mittelpunkt standen, die pädagogi-sche Funktion der Motivation, Reflexionund Selbststeuerung eine stark unterge-ordnete Rolle spielten und wenige Asso-ziationen sich auf Erfahrungen aus dereigenen Unterrichtspraxis richteten. Die nächste Frage bezog sich auf diebekannten Modelle (vgl. Frage 2). Hierwurde lediglich eines genannt, nämlichdas Schweizer Portfolio 15+. Die Vermu-tung, dass den Lehrpersonen keine kon-kreten Modelle bekannt waren, wird un-termauert durch die Aussage, dass nochkeine der Lehrpersonen eine Fortbildungoder Informationsveranstaltung zumESP besucht hatte (Frage 3) und dasslediglich an einer der vier Institutionendie Einführung des Instruments bereitsthematisiert wurde (vgl. Frage 5). Dennoch gaben zwei Lehrpersonen an,das ESP bereits einzusetzen (vgl. Frage4), und zwar einmal, um »Anregungenfür die Lernberatung« zu gewinnen, undbei der anderen Lehrperson, um durchdie Arbeit mit den Checklisten an derSelbsteinschätzung zu arbeiten. Ideen fürdie Arbeit mit dem Portfolio hatten zweiweitere Lehrpersonen. Eine schlug vor,das ESP zur Dokumentation des Lern-standes sowie zur Förderung der Lerner-

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autonomie zu verwenden. Für die Lehr-person sei dies von Vorteil, so die Be-fragte, weil Vergleichbarkeit gewährleis-tet sei. Die andere Lehrperson sah denSprachenpass als Instrument der »Selbst-einschätzung und -kontrolle über dasSprachenlernen und die Fortschritte«und schien damit in einigen Aspekten dieFunktion des Sprachenpasses mit der derSprachenbiografie zu verwechseln. Im weiteren Verlauf des Fragebogenswurde von einer Lehrperson angemerkt,dass durch den Noten- und Zeitdruck inder Auslandsgermanistik kaum Zeit fürPortfolioarbeit bliebe. Eine andere Lehr-person bewertete die Arbeit mit dem Port-folio vor allem in Kursen für sinnvoll, dieüber eine längere Zeit laufen. In beidenFällen stand somit die Zeit im Vorder-grund. Ferner wird die Notwendigkeiteiner veränderten Lernkultur betont.

»Ich denke, es ist als Ganzes in reinenSprachkursen durchaus sinnvoll, obwohldas Lernverhalten der Studenten sichgrundlegend ändern müsste.«

In einem weiteren Kommentar erläuterteeine Lehrperson ihre Erfahrungen, die siemit dem ESP als Mittel für die Lernbera-tung gemacht hatte und die sich daraufbezogen, dass Portfolioarbeit erst gelerntwerden muss:

»Es ist für Lernende zunächst schwierig,sich damit auseinanderzusetzen, da es denStudent/innen meist schwer fällt, sichselbst einzuschätzen (der Lehrer ist der, dereinschätzt), bei einigen Student/innen habeich aber im Laufe der Zeit bemerkt, dass esihnen Spaß macht, Lernfortschritte zu do-kumentieren, dadurch erhalten sie auch oftein besseres Gefühl für die Zielsprache.«

Abschließend erklärten alle befragtenLehrpersonen (vgl. Frage 6), dass sie sichUnterstützung bei der Arbeit mit demEuropäischen Sprachenpor t fo l iowünschten, und zwar in Form von Fort-bildungen (9 Nennungen), konkreter Un-terrichtsmaterialien (2 Nennungen), ei-

nes systematischen Austauschs mit Kol-legen und einer Integration in Lehrwerke(je eine Nennung).

3.3 Befragung von DaF-Studierenden Vor dem Hintergrund des geringen Be-kanntheitsgrades des ESP bei DaF-Lehr-personen und des großen Fortbildungs-bedarfs schlossen wir eine Befragung un-ter DaF-Studierenden an der Philipps-Universität Marburg an, die ebenfalls imLaufe des Wintersemesters 2007/08durchgeführt wurde. Befragt wurden 33Studierende zwischen dem 1. und 10.Fachsemester, die mehrheitlich zwischen20 und 29 Jahre alt waren. 13 von ihnenstudierten noch eine weitere Fremdspra-chendidaktik, vor allem Englisch, Fran-zösisch und Spanisch für das Lehramt anGymnasien. Diese Daten waren deshalbvon Interesse, weil das unserer Ansichtnach die Wahrscheinlichkeit erhöhenmüsste, dass sich diese Studierenden ineiner der fachdidaktischen Veranstaltun-gen der anderen Fächer bereits mit demESP auseinandergesetzt hatten. DieseVermutung bestätigte sich allerdingsnicht: 9 von ihnen kannten das ESP nicht. Sie gehörten damit zu 18 der insgesamt 33Studierenden, die angaben, noch nie vomESP gehört zu haben. Bei sechs weiterenBefragten wurde nicht deutlich, ob sietatsächlich mit dem Instrument vertrautwaren, da sie es mit den »Ähnlichkeitenund Unterschieden innerhalb von Spra-chenfamilien«, »Sammlungen von Spra-chen«, »Reflexion des Seminars«, »ver-schiedene Begriffe aus internationalen Be-reichen zusammengesetzt« und »Proto-koll« in Verbindung brachten. So bliebennoch 9 von 33 Studierenden, die den Be-griff des ESP zuordnen konnten. Den Befragten in dieser Gruppe war keinModell des ESP bekannt. Die Assoziatio-nen zum ESP waren sehr vielfältig undließen zum Teil auf eine informierteKenntnis des Instruments schließen. Ne-

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ben den zuvor genannten, unklaren An-gaben wurden noch folgende Punkte er-wähnt: Sprachenpass, Sprachenbiografie,Dossier; lernen, Vorlagen, Richtlinien;Sprachniveaus, Selbsteinschätzung,Sprachenpass; Internationale Referenz,Lernentwicklung; GER, interkulturelleKommunikation; Sprachenpass, persön-licher Lernplan, autonomes Lernen. 29 Studierende gaben an, in einer Lehr-veranstaltung noch nie vom ESP gehörtzu haben, zwei Befragte hatten sich imAusland damit beschäftigt, und zwar ein-mal in Frankreich und einmal in Taiwan,was besonders interessant ist. Drei Be-fragte erklärten, dass dem ESP in ver-schiedenen Lehrveranstaltungen eine Sit-zung gewidmet oder es dort zumindestkurz angesprochen wurde. Nur zwei der Studierenden waren zumZeitpunkt der Befragung schon als Lehr-personen tätig. Beiden war das ESP be-kannt, beide hatten es aber noch nicht inihrem eigenen Unterricht eingesetzt; ineinem Fall, weil der Unterricht im außer-europäischen Ausland stattgefundenhatte. Da das ESP im Allgemeinen recht unbe-kannt war, konnten nur sechs der Befrag-ten angeben, wie und zu welchem Zwecksie es im Unterricht einsetzen würden.Folgende Vorschläge wurden gemacht: – Selbstevaluation: zur besseren Ein-

schätzung der eigenen Kenntnisse bzw.Defizite, um die Kenntnisse eigenstän-dig weiterentwickeln zu können;

– Lernerautonomie, Evaluation der eige-nen Lernleistung, bewusster Lernen,Hilfe bei der Zeitplanung;

– ESP vorstellen, Tipps geben: die Lernerdazu bringen, selbst über ihre Kennt-nisse zu reflektieren; Vergleich der Er-gebnisse (Anfang und Ende des Semes-ters): motivieren, falls Fortschritte zusehen sind;

– persönlich eintragen, z. B. jede Woche;seine Kenntnisse einschätzen zu kön-

nen; persönliche Beratung: Wie führeich das Sprachenportfoliobuch, was ge-hört dazu;

– Lerntagebuch: Fortschritte erkennen; – persönlichen Lernplan entwerfen: au-

tonomes Lernen; Sprachenpass: Beur-teilung, wo die Schwächen der Lernerliegen, welche Lernprobleme der Ler-ner hat.

Insgesamt zeigten diese Kommentare einerecht reflektierte Vorstellung der Arbeitmit dem Portfolio, wie etwa die Notwen-digkeit der Beratung, das Portfolio alsDiagnose-Instrument, die motivierendeFunktion durch die Dokumentation derFortschritte und vor allem die Selbstevalu-ation und Lernerautonomie, die angeregtund angeleitet werden sollen. Auch unter den Studierenden war derFortbildungsbedarf hoch. 19 der 33 Stu-dierenden wünschten sich Unterstüt-zung, die anderen gaben an, das Portfolionicht zu kennen und äußerten keineWünsche. 16 Studierende wünschten sichLehrveranstaltungen zu diesem Thema,10 wünschten Erfahrungsberichte ausder Praxis, 7 plädierten für eine Integra-tion von Portfolioelementen in Lehrwer-ken, 12 für eigenständige Lehrmateria-lien zur Portfolioarbeit.

4. Thesen zur DaF-Lehreraus- und -fort-bildung Aus den bisher erhobenen Daten lassensich als Schlussfolgerungen einige The-sen ableiten, die wir abschließend vor-stellen möchten:

These 1: DaF-Lehrpersonen vernachlässigen häufigerdie pädagogische Funktion des EuropäischenSprachenportfolios. Da das Europäische Sprachenportfolioinsgesamt bei DaF-Lehrpersonen rechtunbekannt ist, werden auch selten dieverschiedenen Einsatzmöglichkeiten desInstruments in ihrer vollen Bandbreite

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berücksichtigt. Insgesamt fällt jedoch auf,dass die pädagogische Funktion einedeutlich geringere Rolle zu spielenscheint als die dokumentarische. Die Assoziationen, die die Lehrpersonenzum ESP angaben, bezogen sich sowohlauf den organisatorischen Rahmen alsauch auf die Dokumentationsfunktion.Nicht oder kaum berücksichtigt wurdendie motivationale Funktion sowie die Ten-denz, nicht permanent bewertend zu ar-beiten und Individualität zuzulassen unddadurch zumindest teilweise auf Objekti-vität zu verzichten (vgl. Pietsch 2005: 54). Die Bandbreite der Portfoliofunktionen,wie sie Gehring (2006: 21) darstellt, wirdnicht ausgeschöpft. – Das Portfolio als Darbietungsmedium

stellt anhand ausgewählter Beispieleaktuelle Lernergebnisse dar.

– Das Portfolio als Dokumentationsme-dium enthält Daten über sprachlicheLernprozesse und Lernergebnisse, dieüber einen längeren Zeitraum entstan-den sind und ein Gesamtbild vermit-teln.

– Als Produktionsmedium fordert es denregelmäßigen Gebrauch der Zielspra-che.

– Als Evaluationsmedium animiert eszur Selbstreflexion und zur Einschät-zung individueller Entwicklungen.Außerdem hilft es, lernstrategischeEntscheidungen zu treffen und dientals Ausgangspunkt für individuelleund differenzierte Bewertung.

– Das Portfolio schafft als sprachenpoliti-sches Medium Vergleichbarkeit fürSprachentwicklung und Sprachkom-petenz innerhalb Europas.

Dieses ganze Spektrum an Einsatzmög-lichkeiten und Funktionen wird weder imkonkreten Unterricht noch in allgemeinenÜberlegungen zum ESP berücksichtigt. Der Grund für die Vernachlässigung die-ses wichtigen Aspekts ist sicherlich darin

zu suchen, dass das Europäische Spra-chenportfolio mit der dahinter liegendenGesamtkonzeption sowohl bei jetzigenals auch bei zukünftigen DaF-Lehrperso-nen weitgehend unbekannt ist. Da dieLehrenden (auf der Mikroebene, vgl.Bosshard 2007: 30) dafür verantwortlichsind, das ESP in die tägliche Routine desLehrens und Lernens einzubauen, ist eszwingend erforderlich, dass sie umfas-send über das Instrument informiertsind. Ohne diese Grundvoraussetzung istes nicht möglich, die Ziele des Europaratsin Deutschland umzusetzen.

These 2: Umfassende Fortbildungen zum ESP sinddringend notwendig. Neben der expliziten Forderung der Be-fragten nach Unterstützung bei der Ar-beit mit dem Instrument machen sowohldie geringe Bekanntheit des Instrumentsals auch falsche Vorstellungen ein umfas-sendes Fortbildungsangebot unerläss-lich. Unkenntnis der Ziele und der Mög-lichkeiten des Einsatzes können dazuführen, dass die notwendige Regelmä-ßigkeit der Portfolioarbeit (vgl. Kaiser/Kaiser 2006: 162) nicht gewährleistet istoder dass sporadisch einzelne Seiten ei-ner Portfoliomappe abgearbeitet werden.Das Europäische Sprachenportfolio (undder Europäische Referenzrahmen) solltenin der DaF-Lehreraus- und -fortbildungcurricular fest verankert werden. Die hier vorgeschlagenen Fortbildungensollten sich nicht nur über wenige Stun-den erstrecken, sondern in größeremUmfang folgende Aspekte berücksichti-gen, die zum Teil auch mit den Inhaltender Workshops des ELP_TT-Projektsübereinstimmen (vgl. ECML: online): – Was ist das ESP und was sind die Ziele? – Welche akkreditierten Modelle liegen

vor und wie finde ich das für meineZielgruppe geeignete?

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– Wie ist das System der GemeinsamenReferenzniveaus aufgebaut und wie ar-beite ich damit?

– Wo und wie kann ich das Portfolio inmeinem Unterricht am gewinnbrin-gendsten einsetzen?

– Wie kann ich das ESP für sprachlichesund interkulturelles Lernen nutzen?

– Welche Möglichkeiten gibt es für einenEinstieg in die Arbeit mit dem ESP?

Darüber hinaus sollten Überlegungeneinbezogen werden, die sowohl für dieArbeit mit dem ESP als auch für Port-folioarbeit im Allgemeinen gelten. Aufdiese Weise können sich die Lehrendenstärker mit der pädagogischen Funktionauseinandersetzen: – Wie kann ich meine Lernenden an me-

takognitive Lernweisen, beispielsweisean die Selbsteinschätzung und an diePlanung des weiteren Lernprozesses,heranführen?

– Was sind die Prinzipien von Portfolio-arbeit? (individuelle Förderung durchkontinuierliche Rückmeldung, Aufga-benorientierung, (Selbst-) Reflexivitätim Lernen, Transparenz der Leistungs-erwartung, Kommunikation über Leis-tung, partizipative Leistungsbewer-tung) (vgl. Häcker 2007: 108f.)

Dabei ist es nützlich, wenn Lehrendezunächst Erfahrungen damit sammeln,ein eigenes Portfolio anzulegen, um soGrenzen und Nutzen der Methode zuerkunden. Dafür eignet sich zum einendas ESP, zum anderen aber auch einLehrportfolio (z. B. EPOSTL; vgl. Newby2007), an dem die Lehrpersonen prozess-orientiert arbeiten können. Auch für die Portfolioarbeit im Unter-richt ist die Erprobung und Reflexiondarüber, eventuell auch mit Leiter/innenvon Fortbildungsveranstaltungen, uner-lässlich, um einen eigenen Umgang da-mit zu finden. Nur was einer Lehrpersonselbst zusagt, kann er oder sie sinnvoll imUnterricht vertreten. Wird lediglich eine

Mappe abgearbeitet, so wird das Prinzipder Individualität ad absurdum geführt,weshalb wir auch eine zu starke Fokus-sierung auf vorgefertigte Materialien undHandreichungen ablehnen.

These 3: Die Arbeit mit dem ESP erfordert eine andereForm von DaF-Unterricht. Eine der Lehrpersonen erklärte, um er-folgreich mit dem Portfolio zu arbeiten,müsse sich das Lernverhalten der Leh-renden grundlegend ändern. Dem stim-men wir zu. Allerdings möchten wir die-sen Änderungswunsch gerne breiter fas-sen und erklären, dass sich die Lehr- undLernkultur grundlegend ändern muss.Metakognitives Lernen, also das Nach-denken über erfolgreiches Lernen, solltenicht länger als Zeitverschwendungempfunden werden, sondern der Nutzendurch einen effektiven Strategieeinsatzsollte betont werden. Die veränderteLernkultur beinhaltet ferner eine Abkehrvon einer defizitorientierten Leistungs-feststellung hin zu einer prozessorientier-ten Arbeit, an deren Ende eine individu-elle, kompetenzorientierte Leistungsdar-stellung durch den Lernenden selbststeht (vgl. Häcker 2006: 16). Darüber hin-aus kann Arbeit mit dem EuropäischenSprachenportfolio nicht das Abarbeiteneiner vorgefertigten Mappe bedeuten. Ohne die Grenzen eines solchen Instru-ments außer Acht zu lassen, kann dochbehauptet werden, dass ein reflektierterund besonnener Einsatz einigen Nutzenverspricht (vgl. z. B. Leupold 2007: 61,Schärer 2008).

5. Ausblick Für die Zukunft bleibt zu wünschen, dassdas Instrument des ESP und die dahinterliegenden Unterrichtsprinzipien an Be-kanntheit gewinnen und eine veränderteUnterrichtskultur damit Einzug in denDaF-Unterricht hält. Dem Wunsch nach

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Fortbildungen, Begleitungen, einem Aus-tausch mit Kolleg/innen sollte dazu inausreichendem Umfang nachgekommenwerden. Da die Perspektive der Entscheidungs-träger in Bildungseinrichtungen für dieImplementierung des EuropäischenSprachenportfolios im DaF-Bereich wich-tig ist, werden wir in einem nächstenSchritt untersuchen, wie die Leiter/innenvon Sprachkursanbietern, beispielsweiseVolkshochschulen und Sprachenzentrenan Universitäten, die Einführung des ESPan ihren Institutionen einschätzen undwelche Vor- und Nachteile sie durch dieEinführung des Instruments erwarten.

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mationen zur Deutschdidaktik 26, 1 (2002),80–90.

Schärer, Rolf: »Sprachenportfolio«. In:Bausch, Karl-Richard; Christ, Herbert;Krumm, Hans-Jürgen (Hrsg.): HandbuchFremdsprachenunterricht. 4., vollständigneu bearbeitete Auflage. Tübingen; Basel:Francke, 2003, 387–390.

Schärer, Rolf: »Das Europäische Sprachen-portfolio. Eine Bestandsaufnahme undPerspektiven«, Babylonia 2 (2004), 18–20.

Schärer, Rolf: European Language Portfolio:Interim Report 2006. Executive Summary.Strasbourg: Language Policy Devision,2007. http://www.coe.int/T/DG4/Port-folio/?L=E&M=/main_pages/docu-ments.html (Zugriff: 24.03.2008).

Schärer, Rolf: European Language Portfolio:Interim Report 2007. Strasbourg: Langu-age Policy Devision, 2008. http://w w w. c o e . i n t / T / D G 4 / P o r t f o l i o /? L = E & M = / m a i n _ p a g e s / d o c u -ments.html (Zugriff: 24.03.2008).

Westhoff, Gerard: »Akzeptanz der pädago-gischen Funktion des ESP. Problemana-lyse – Lösungsansätze«, Babylonia 2(2004), 53–56.

Anhang Fragebogen zum Europäischen Sprachen-portfolio

Männlich/weiblich

Alter: 22–35, 36–50, über 50

Dozent für Deutsch als Fremdsprache seit_______, Institution__________

Unterrichten Sie auch andere Sprachen? Ja/nein. Wenn ja, welche?

Haben Sie eine Fremdsprachendidaktik stu-diert? Ja/nein. Wenn ja, welche? Wenn ja,wo?

1. Nennen Sie spontan zwei bis vier Be-griffe, mit denen Sie das EuropäischeSprachenportfolio (ESP) assoziieren.

2. Mit welchem Modell/welchen Modellendes Europäischen Sprachenportfolios ha-ben Sie sich bisher beschäftigt?

3. Haben Sie eine Fortbildung oder Infor-mationsveranstaltung zum EuropäischenSprachenportfolio besucht? Ja/nein.Wenn ja, wo und in welchem Rahmen?

4. Haben Sie das Europäische Sprachen-portfolio oder Teile daraus schon in Ih-rem Unterricht eingesetzt? Ja/nein. Wennja, wie und zu welchem Zweck? Wenn ja,welche Erfahrungen haben Sie damit ge-macht? Wenn nein, warum nicht? Wennnein, könnten Sie sich vorstellen, das ESPeinzusetzen? Wie und zu welchemZweck?

5. Wurde die Einführung des ESP in ihrerInstitution thematisiert?

6. Wünschen Sie sich Unterstützung bei derArbeit mit dem ESP? Wenn ja, Fortbil-dungsveranstaltungen? Teambespre-chungen mit Kolleg/innen, Integrationim Lehrwerk, Lehrmaterial/Unterrichts-modell? Sonstiges?

7. Haben Sie weitere Anmerkungen zumEuropäischen Sprachenportfolio?

Der Fragebogen für Studierende entsprichtweitgehend den o. g. Fragen für Lehrendeund wurde lediglich an einigen Stellen mo-difiziert, um ihn der Zielgruppe anzupas-sen.

Sandra Ballweg Magister in Anglistik, Politikwissen-schaft und Deutsch als Fremdsprache2006; Diplom in Deutsch als Fremdspra-che 2007. Mehrjährige Lehrerfahrung inDeutsch als Fremdsprache und Englisch.Seit 2007 wissenschaftliche Mitarbeiterinim Fachgebiet Mehrsprachigkeitsfor-schung/DaF/DaZ der TU Darmstadt,derzeit Promotionsprojekt zu Portfolioar-beit im fremdsprachlichen Schreibunter-richt.

Antje Stork Dr. phil.; Studium Deutsch und Franzö-sisch (1. Staatsexamen), Promotion imJahr 2003 zum Vokabellernen. Mehrjäh-rige Lehrerfahrung Deutsch als Fremd-sprache. Seit 1999 wissenschaftliche Mit-arbeiterin an der Philipps-UniversitätMarburg, derzeit Habilitationsprojekt zuLerntagebüchern im Fremdsprachenun-terricht.

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Deutschlehrerausbildung in der Türkei: Neustrukturierung und Curriculumrevision

Zeki Uslu

Zusammenfassung In den letzten Jahren wurden im türkischen Schulwesen erhebliche Veränderungenverwirklicht. Aufgrund dieser Entwicklungen wurden die Lehrerausbildungsprogrammein den pädagogischen Fakultäten grundlegend umstrukturiert. Die generelle Neustruktu-rierung in der Planung für die türkische Lehrerausbildung hat sich auch auf die Planungder Deutschlehrerausbildung ausgewirkt. In diesem Beitrag geht es um die Curriculumsre-vision für die Deutschlehrerausbildung in der Türkei. In der neuen curricularen Planungsind folgende Innovationen zu bemerken: die fachpraktische Ausrichtung wurde verstärkt,die Zahl der Wahlfächer wurde vermehrt und die zweite Fremdsprache hat jetzt imCurriculum ihren Platz. Diese Planung gibt der Allgemeinkultur eine besondere Gewich-tung. Alle diese Neuerungen können im Allgemeinen als positiv betrachtet werden. Mitdiesem Curriculum hat jede Abteilung die Chance, die Wahlfächer unter bestimmtenGesichtspunkten selbst zu gestalten und Schwerpunkte zu setzen.

1. Einleitung In den türkischen Schulen werden heutehauptsächlich die drei FremdsprachenEnglisch, Deutsch und Französisch un-terrichtet, in Großstädten, wie z. B. inIstanbul, gibt es private Schulen, in de-nen neben diesen genannten Sprachenauch das Italienische, Russische oder Ja-panische vermittelt wird. Zur Zeit ist dasEnglische mit großem Abstand die meist-gelernte Fremdsprache, es dominiert alsodie türkische Fremdsprachenpolitik, wassich natürlich negativ auf das Angebotanderer Fremdsprachen wie Deutschoder Französisch auswirkt. Das Erlernenweiterer Fremdsprachen neben dem Eng-lischen wird allerdings gefördert unddemzufolge wurde in den Schulen ab derfünften Klasse die zweite Fremdsprache

als Pflichtfach eingeführt. So ist das Deut-sche in der Sprachenskala an die zweiteStelle gerückt, das damit die Chance be-kommt, sich neben dem Englischen alszweite Fremdsprache zu etablieren, wasfür die Realisierung einer Sprachenviel-falt in der Türkei von erheblicher Rele-vanz ist (vgl. Tapan 2000: 38). In der Türkei existieren zur Zeit 69 Päda-gogische Fakultäten, in denen Lehre-rinnen und Lehrer ausgebildet werden(YÖK 2007: 69), es gibt 15 Abteilungenfür Deutschlehrerausbildung an Pädago-gischen Fakultäten, zwölf davon habeneine Vorbereitungsklasse. Das Vorberei-tungsjahr nicht mitgerechnet, dauert dasStudium für das Deutschlehreramt insge-samt vier Jahre, bzw. acht Semester. JedesJahr immatrikulieren sich ungefähr 800

DaF im Ausland

Info DaF 35, 4 (2008), 401–411

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Studenten in den Abteilungen für dasFach Deutschdidaktik. Die Absolventendes Faches Deutschdidaktik, das an denPädagogischen Fakultäten im Fachbe-reich Fremdsprachendidaktik studiertwerden kann, sind berechtigt, alsDeutschlehrer in den Pflichtschulen undin den Höheren Schulen zu unterrichten.Diese veränderten Rahmenbedingungenhaben dazu geführt, dass seit mehrerenJahren vom Ministerium für NationaleErziehung keine neuen Deutschlehrermehr eingestellt werden. Deutschlehrer,die auf dem normalen Weg keine Auf-nahme in den Schuldienst finden können,bemühen sich, auf anderen Wegen Stellenan den Schulen zu bekommen, oder alsÜbersetzer, Dolmetscher oder Touristen-führer in den touristischen Gebieten derTürkei Beschäftigungsmöglichkeiten zufinden. Ziel dieses Artikels soll es sein, unterdiesen Ausgangsbedingungen die aktu-ellen Entwicklungen in der Deutschleh-rerausbildung in der Türkei darzustellen.

2. Neustrukturierung bei der Lehreraus-bildung In den letzten Jahren wurden im türki-schen Schulwesen grundlegende Verän-derungen vorgenommen. Mit dem Erlassdes neuen Schulgesetzes im Jahre 1997wurde das Schulsystem in der Türkei neugeordnet. Die fünfjährige Grundschulzeitwurde auf acht Jahre verlängert. DieSchulreform beinhaltet auch, die Lehrer-ausbildung in den Universitäten, die Stu-dienprogramme und Inhalte der Veran-staltungen zu verändern. Mit dieser Ab-sicht regelte der Hochschulrat (YÖK) dieLehrerausbildung in den Universitätenneu, mit dem Ziel, die Lehrerinnen undLehrer in der Türkei nur noch an Pädago-gischen Fakultäten auszubilden. Deshalbwurden die Lehrerausbildungspro-gramme in den Pädagogischen Fakultä-ten grundlegend umstrukturiert.

Die Lehrerausbildung an allen Universi-täten in der Türkei wurde schon voreiniger Zeit verbindlich vom Hochschul-rat geregelt; damals wurde ein neuesCurriculum für die Lehrerausbildung er-stellt, das ab dem Studienjahr 1998–1999in die Studienprogramme der erzie-hungswissenschaftlichen Fakultäten ein-geführt wurde. Mit dieser Neustrukturie-rung beabsichtigten der Hochschulratund das Erziehungsministerium, qualifi-zierte Lehrerinnen und Lehrer auszubil-den und die Kluft zwischen Theorie undPraxis zu überwinden. Diese curricularePlanung räumte daher dem Schulprakti-kum und der Schulhospitation einen ho-hen Stellenwert ein. In diesem Rahmen wurde vom Hoch-schulrat ein Projekt entwickelt, das allePädagogischen Fakultäten einbezog. Di-ese Projekt-Zusammenarbeit zwischenSchule und Fakultäten führt eine neueDimension der fachpraktischen Lehrer-ausbildung ein, weil u. a. auch eine Akkre-ditierung vorgeschrieben wird, wodurchdie Qualität der Lehrerausbildung erhöhtund systematischerweise entwickelt wer-den soll (YÖK 1999). Einige relevante Anlässe und Gründe fürdie Umstrukturierung der Lehrerausbil-dung nennt der Hochschulrat wie folgt(T. C. Yüksek Ögretim 1998: 14–19): – bisher gibt es, was die Inhalte, Kredit-

punkte und die Zahl der Studiengängeder Lehrerausbildung betrifft, großeUnterschiede zwischen den einzelnenAbteilungen;

– es gibt nur wenig Kooperation zwi-schen den Lehrkräften der Pädagogi-schen Fakultäten und den Schulen desErziehungsministeriums;

– die Inhalte und Ausbildungsziele derStudiengänge unterscheiden sich stark;

– es gibt kaum Verbindungen zwischenden Abteilungen an verschiedenenHochschulen;

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– der Theorie wird größere Aufmerk-samkeit geschenkt als der Praxis;

– die Zahl der berufsbezogenen Fächerist sehr gering;

– ein Angebot an Wahlfächern fehlt; – die eigentliche Zielsetzung der Lehrer-

ausbildung der Pädagogischen Fakul-täten wird vernachlässigt, weil sich derInhalt der Studiengänge der Lehrer-ausbildung größtenteils am Niveau derMagister- und Doktorandenveranstal-tungen orientiert.

3. Das Curriculum für Deutschlehrer-ausbildung von 1998 Eine Neustrukturierung wurde also be-reits in den Lehrprogrammen für dieDeutschlehrerausbildung seit 1998 ver-sucht, die damals von den Hochschulenim Allgemeinen positiv bewertet wurde,weil eine bis dahin vernachlässigte be-rufsbezogene Deutschlehrerausbildungeingeführt werden sollte (vgl. Tapan2000; Güler 2000; Çakir 2002); stark kriti-siert wurde aber die Reduzierung derStundenzahl insbesondere im BereichSprachkompetenz und der Sprachlehre(vgl. Maden 2000; Abali/Aktaş 2000;Uslu 2002; Serindağ/Aksöz/Balci 2006).Die Abteilungen behaupteten, dass dieneue Planung die Sprachfertigkeiten unddie Grammatik vernachlässigen würde.Die Kritiken beinhalteten u. a. die fol-genden Punkte: a) Die besonderen Voraussetzungen derStudierenden an den deutschen Abtei-lungen wurden nicht berücksichtigt:Deutsch ist nach Englisch erst zweiteFremdsprache. Die Studierenden habensich im sekundären Bereich jahrelang mitEnglisch beschäftigt und die Universi-tätsaufnahmeprüfung auch in Englischbestanden. Die Deutschkenntnisse dieserGruppe sind für ein Studium im Rahmender Deutschlehrerausbildung nicht aus-reichend. So mussten an den meistenAbteilungen der Deutschlehrerausbil-

dung Vorbereitungsklassen eingerichtetwerden, an denen die Studierenden in-tensiv Deutsch lernen. Studenten mitsehr geringen oder sogar ganz ohneDeutschkenntnisse besuchen die einjähri-ge Vorbereitungsklasse, aber ein einjähri-ger Intensivkurs in der Vorbereitungs-klasse reiche nicht aus, Deutschkennt-nisse auf dem erforderlichen Niveau zuerwerben, obwohl dies das Ziel der Vor-bereitungsklasse sein soll. Deswegenwurde insbesondere die extreme Redu-zierung der Stundenzahl im Bereich derdeutschen Grammatik kritisiert (Schmidt2000: 10). b) Es wurde festgestellt, dass das neueStudienprogramm die besonderen Vor-aussetzungen der Deutschen Abteilun-gen nicht berücksichtigt und eher für dieEnglischen Abteilungen geeignet ist. Diesbetrifft sowohl die Voraussetzungen derStudierenden – wie oben erklärt – alsauch die Arbeitsmöglichkeiten der Ab-solventen. Denn erstens verfügen dieStudierenden in den englischen Abtei-lungen im Gegensatz zu denen in dendeutschen über eine ausreichendeSprachkompetenz für ihr Fachstudium,zweitens haben sie die Möglichkeit, amEnde des Studiums als Lehrer in ihremFach zu arbeiten. Leider gilt das für dieStudierenden im Bereich Deutsch nicht. c) Die Rahmenbedingungen der Abtei-lungen in verschiedenen Regionen wur-den außer Acht gelassen. Dass ein Stan-dardprogramm verbindlich vom Hoch-schulrat in allen Abteilungen verschie-dener Regionen vorgeschrieben wird,verursachte in vielen Fakultäten erhebli-che Schwierigkeiten, weil sich die deut-schen Abteilungen sowohl im Bereichder Lehrkräfte, aber auch in den ande-ren Rahmenbedingungen unterschei-den. In manchen Abteilungen, beson-ders in den so genannten Entwicklungs-universitäten auf dem Lande, fehlenLehrkräfte für die neu eingeführten

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Lehrveranstaltungen. Es gibt kaum pro-movierte oder habilitierte Lehrkräfte, sodass Lehrveranstaltungen von Assisten-ten oder Lektoren durchgeführt werdenmüssen. Andererseits haben viele Hoch-schuldozenten vorwiegend Germanistikstudiert, was sich auch in den philologi-sierten Studieninhalten widerspiegelt(Güler 2000: 82). d) Die geringen Wahlmöglichkeiten imStudium verringern die Studienmotiva-tion der Studierenden. Bei einem größe-ren Wahlangebot wäre es möglich, dasCurriculum in der Durchführung flexib-ler zu gestalten. Damit könnte jede Abtei-lung zwar die grundlegenden Prinzipien

des Curriculums an den eigenen Rah-menbedingungen ausrichten, aber auchdie Leistungsbereitschaft der Studieren-den in lernerorientierten Seminaren stei-gern.

4. Die Curriculumrevision von 2006 Die seit 1998 durchgeführte curricularePlanung an den Abteilungen fürDeutschlehrerausbildung wurde im Juli2006 revidiert. Angesichts der vorge-brachten Kritik wurde eine Reihe vonÄnderungen vorgenommen. Die nachfol-gende Tabelle veranschaulicht die Lehr-veranstaltungen in den Studiengängen,Stundenzahlen usw.:

1. Semester

2. Semester

Lehrveranstaltungen T U K

FW Deutsche Grammatik I 3 0 3

FW Mündliche Kommunikationsfertigkeiten I 3 0 3

FW Lesefertigkeit I 3 0 3

FW Schreibfertigkeit I 3 0 3

BW Einführung in die Pädagogik 3 0 3

AK Türkisch I: Aufsatz 2 0 2

AK Computer I 2 2 3

Gesamt 19 2 20

Lehrveranstaltungen T U K

FW Deutsche Grammatik II 3 0 3

FW Mündliche Kommunikationsfertigkeiten II 3 0 3

FW Lesefertigkeit II 3 0 3

FW Schreibfertigkeit II 3 0 3

FW Vergleichende Landeskunde 3 0 3

BW Erziehungspsychologie v2 0 2

AK Computer II 2 2 3

AK Türkisch II: Konversation 2 0 2

Gesamt 21 2 22

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3. Semester

4. Semester

5. Semester

Lehrveranstaltungen T U K

FW Deutsche Grammatik III 3 0 3

FW Sprachwissenschaft I 3 0 3

FW Methodische Ansätze im Deutschunterricht I 3 0 3

FW Deutsche Literatur I 3 0 3

FW Fortgeschrittene Lese- und Schreibfähigkeit I 3 0 3

FW Lehrmethoden und -prinzipien 3 0 3

AK Wahlfach 1 2 0 2

Gesamt 20 0 20

Lehrveranstaltungen T U K

FW Kontrastive Grammatik 3 0 3

FW Sprachwissenschaft II 3 0 3

FW Methodische Ansätze im Deutschunterricht II 3 0 3

FW Deutsche Literatur II 3 0 3

FW Fortgeschrittene Lese- und Schreibfertigkeit II 3 0 3

BW Lehrtechnologie und Materialentwurf 2 2 3

AK Wissenschaftliche Forschungsmethoden 3 2 3

Gesamt 20 2 21

Lehrveranstaltungen T U K

FW Spracherwerb 2 0 2

FW Methodik des Deutschunterrichts I 2 2 3

FW Analyse und Didaktik von literarischen Texten I 3 0 3

FW Wahlfach I 2 0 2

BW Klassenverwaltung 2 0 2

AK Geschichte der Wissenschaft 2 0 2

AK Zweite Fremdsprache I 2 0 2

AK Effektive Kommunikationsfertigkeiten 3 0 3

Gesamt 18 2 20

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6. Semester

7. Semester

8. Semester

Tabelle 1: Das neue Curriculum (2006) für die Deutschlehrerausbildung in der Türkei1

Lehrveranstaltungen T U K

FW Fremdsprachendidaktik für Kinder 2 2 3

FW Methodik des Deutschunterrichts II 2 2 3

FW Analyse und Didaktik von literarischen Texten II 3 0 3

FW Wahlfach II 2 0 2

BW Prüfung und Bewertung 3 0 3

AK Geschichte des türkischen Bildungswesens 2 0 2

AK Zweite Fremdsprache II 2 2 2

AK Anwendungen für Sozialdienst 1 2 2

Gesamt 17 6 20

Lehrveranstaltungen T U K

FW Wahlfach III 2 0 2

FW Deutsche Lehrwerkanalyse 2 2 3

FW Materialerstellung und -anwendung im Deutschen 2 2 3

BW Schulerfahrung 1 4 3

BW Schülerbetreuung 3 0 3

AK Prinzipien und Revolutionsgeschichte Atatürks I 2 0 2

AK Zweite Fremdsprache III 2 0 2

Gesamt 14 8 18

Lehrveranstaltungen T U K

FW Wahlfach IV 2 0 2

FW Vorbereitung und Bewertung der deutschen Prüfungen 3 0 3

BW Praktikum 2 6 5

BW Wahlfach 2 0 2

AK Prinzipien und Revolutionsgeschichte Atatürks II 2 0 2

AK Wahlfach II 2 0 2

Gesamt 13 6 16

1 FW: Fachwissen BW: Berufswissen AK: Allgemeinkultur T: Theoretische Stunden: 143 U: Praktische Stunden: 28 K: Kreditstunden: 157

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5. Die Studieninhalte Die Lehrveranstaltungen im Curriculumlassen sich in drei Gruppen unterschei-den: – Lehrveranstaltungen für Fachwissen:

91 (58 %) – Lehrveranstaltungen für Berufswissen:

30 (20 %) – Lehrveranstaltungen für Allgemein-

kultur: 36 (22 %)

5.1 Fachwissen Lehrveranstaltungen für Fachwissensind Veranstaltungen, die den angehen-den Deutschlehrkräften die vier Sprach-fertigkeiten vermitteln sollen. Eine hohesprachliche Kompetenz ist die Grundvo-raussetzung für einen qualifiziertenDeutschlehrer (Tapan 2000: 39). DeutscheGrammatik, Sprech-, Schreib-, Hör-, undLesefertigkeiten, Landeskunde und Lite-ratur des Zielsprachenlandes können alsFachwissen bewertet werden. Da dieDeutschlehrerausbildung nicht im Ziel-sprachenland stattfindet, sind diese Stu-dieninhalte von ganz besonderer Bedeu-tung. Zwar werden die methodisch-didakti-schen Lehrveranstaltungen wie Methodik/Didaktik des Deutschunterrichts, Methodi-sche Ansätze im Deutschunterricht, Fremd-sprachendidaktik im Primarbereich, Erstel-lung und Auswertung von Deutschprüfun-gen im Curriculum als Fachwissen ausge-wiesen, sie sollten aber eigentlich unterBerufswissen erscheinen, denn diese Stu-dieninhalte bilden einen integralen Teildes Ausbildungssystems und der berufli-chen Vorbereitung und müssen dement-sprechend in allen Fächern eine Rollespielen. Im neuen Curriculum sind kaum erhebli-che Änderungen in Lehrveranstaltungenfür Fachwissen enthalten, bestenfallswurden die Namen mancher Studienin-halte geändert. Die wichtigsten Ände-rungen sind, dass die deutsche Gramma-

tik nun statt wie bisher in zwei, jetzt indrei Semestern vermittelt werden sollund dass Kontrastive Grammatik undLandeskunde in das neue Programm auf-genommen wurde. Das Fehlen dieserStudieninhalte war stark kritisiert wor-den. Es ist zu hoffen, dass diese Änderun-gen sich auf die Entwicklung der Sprach-kompetenz der Studierenden auswirken.Eine andere wichtige Neuigkeit ist, dassvier neue Wahlveranstaltungen im Be-reich des Fachwissens in das Curriculumaufgenommen worden sind, was ich fürsehr nützlich halte, denn das ermöglicht,dass die Abteilungen je nach Personal-lage Studieninhalte auswählen. Die bis-her bestehenden Schwierigkeiten bei derUmsetzung der vom Hochschulrat ver-bindlich bestimmten Studieninhalte lie-ßen sich dadurch lösen.

5.2 Berufswissen Nicht jeder, der eine Fremdsprache be-herrscht, kann Fremdsprachenlehrerwerden, denn die Kompetenz einesFremdsprachenlehrers besteht nicht nurin guten Sprachkenntnissen, sondern v. a.auch in der Fähigkeit, Kenntnisse undFertigkeiten an die Schüler weiterzuge-ben. In den Deutschlehrerabteilungen istfachliches Wissen kein Selbstzweck, son-dern es soll auf die künftige Berufstätig-keit vorbereiten (Neuner 1994: 12). Füreine effektive Lehrerausbildung ist esalso von großer Bedeutung, dass das er-worbene Fachwissen und die Fachdidak-tik mit der Berufspraxis in eine produk-tive Beziehung gebracht werden (Tapan2000: 39). Die berufsbezogenen Fächer sind in die-sem neuen Programm mit 20 % vertreten.Aber diese Zahl besteht nur aus denLehrveranstaltungen, die im Curriculummit »BW« bezeichnet wurden (vgl. Ta-belle 1). Im neuen Curriculum werdenLehrveranstaltungen wie Einführung indie Pädagogik, Psychologie der Pädagogik,

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Lehrmethoden und -prinzipien, Klassenver-waltung, Schülerbetreuung, Schulerfahrungund Schulpraktikum als Fächer für Berufs-wissen genannt. Diese pädagogischenFächer zielen allgemein auf den Lehrer-beruf und werden von den Lehrkräftender erziehungswissenschaftlichen Abtei-lung durchgeführt. Für Lehrveranstal-tungen wie z. B. Methodische Ansätze imDeutschunterricht, Spezifische Lehrmetho-den und Fremdsprachendidaktik für Kindertrifft das nicht zu. Die methodisch-didaktischen Fächer las-sen sich in zwei Gruppen einteilen: – die pädagogischen Fächer, die auf den

Lehrerberuf zielen und – Fächer, die eine direkte Beziehung zur

Deutschlehrerausbildung haben. Wenn wir diese Fächer beide zusammenbewerten, steigt die Zahl der Fächer fürBerufswissen auf 26 %. Damit bilden diemethodisch-didaktischen Fächer einendominanten Anteil innerhalb des gesam-ten Programms, was sich positiv auf dieLehrerausbildung auswirken kann. Mit der neuen Planung wird versucht,die fachpraktische Ausrichtung zu ver-stärken. So wird z. B. ein großer Teil derLehrveranstaltungen wie Schulerfahrung,Schulpraktikum, Spezifische Lehrmethoden,Lehrtechnologie und Materialentwurfdurchgeführt, wodurch die Studierendendie Möglichkeit bekommen, ihre fach-praktische Ausbildung an den Schulenund Seminaren mit 12 Wochenstundenzu verwirklichen. Die Schulerfahrung nimmt mit drei Kre-ditstunden einen wichtigen Platz im Pro-gramm ein, wobei die Studierenden ihreersten Schulerfahrungen im 7. Semestermachen. Diese Lehrveranstaltung bestehtaus zwei Teilen: der theoretische Teilwird mit einer Wochenstunde in Formeines Seminars von der Abteilung durch-geführt. Der größere vierstündige Teil,der auf die Beobachtung der Deutschleh-rerstudenten ausgerichtet ist, wird durch

Hospitationen gesteuert. Im 8. Semesterbeginnen die Deutschlehrerstudentenmit dem Schulpraktikum, das mit zweiWochenstunden Seminar und sechs Wo-chenstunden an den jeweiligen Betreu-ungsschulen durchgeführt wird. ImSchulpraktikum werden die Studieren-den von den Lehrkräften der Erziehungs-wissenschaftlichen Fakultät beobachtetund anhand eines Bewertungsbogens be-urteilt.

5.3 Allgemeinkultur Lehrveranstaltungen für Allgemeinkul-tur können in Curricula der Lehrerausbil-dung als Bezugswissenschaften bewertetwerden. Diese Studieninhalte sind imneuen Programm Türkisch, Geschichteder Türkei, Wissenschaftsgeschichte, tür-kische Bildungsgeschichte, Computer,wissenschaftliche Forschungsmethodenund die zweite Fremdsprache. Wie zuerkennen ist, erhält die Allgemeinbil-dung mit ihren 22 % unter dem Begriff»Allgemeinkultur« im neuen Programmeine besondere Gewichtung. Ein guterLehrer soll sowohl in seinem Fach alsauch in Allgemeinkultur bewandert sein– ein Lehrer, der nur ein Fachwissen-schaftler ist, kann im Lehrerberuf nichterfolgreich sein, denn der Fremdspra-chenunterricht ist der Ort für die Begeg-nung der Kulturen, die zu einer Relativie-rung und Erweiterung der eigenen Kul-tur beiträgt. Bei der Fremdsprachenleh-rerausbildung soll die interkulturelleKompetenz als ein wichtiges Lernzielverfolgt werden, so dass der Anteil von22 % im neuen Programm also angemes-sen ist. Eine der Vorbedingungen des Lehramtsist die Aufnahmeprüfung für die Beam-tenlaufbahn. Die Absolventen derDeutschlehrerausbildung müssen diesePrüfung bestehen, was eine bestimmtePunktzahl erfordert. Diese seit den letz-ten 5 bis 6 Jahren geltende Prüfung be-

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steht z. B. aus Fragen über die Allgemein-kultur. Parallel zum Studium besuchendie Studierenden meistens auch privateVorbereitungskurse, um sich besser aufdiese Prüfung vorzubereiten, die beson-ders die Studieninhalte Wissenschaftsge-schichte und Geschichte des türkischenBildungswesens umfasst. Dass eine zweite Fremdsprache im Curri-culum ihren Platz gefunden hat, kann alseine erfreuliche Verbesserung des Pro-gramms betrachtet werden. Der bisherausschließliche Unterricht von Englischwurde in den letzten Jahren intensiv kri-tisiert (vgl. Tapan 2003), so dass einezweite Fremdsprache seit 2001 als obliga-torisches Fach an den Primar- und Se-kundar-Schulen eingeführt wurde; hier-durch bekommt Deutsch die Chance, sichneben dem Englischen als zweite Fremd-sprache zu etablieren. Damit ist aller-dings auch die Notwendigkeit fürFremdsprachenlehrer entstanden, einezweite Fremdsprache zu erlernen. Zwei der Lehrveranstaltungen für Allge-meinkultur sind Wahlveranstaltungen. Inunserer Abteilung sind das z. B. »Einfüh-rung in die Philosophie« und »Kontras-tive Gedichtanalyse«, was sich aus demzur Verfügung stehenden Lehrangebotergab.

6. Schlussbemerkung In den letzten Jahren wurden durch dietürkische Politik im Bereich der Lehrer-ausbildung erhebliche Veränderungenvorgenommen. Diese Entwicklungenbzw. die Neustrukturierung des türki-schen Schulwesens haben das Ziel, einer-seits den traditionellen Ansatz für dasLehramt zu verändern und andererseitsden autoritären, am Auswendiglernenorientierten und die Kreativität verhin-dernden Stil in der türkischen Lehreraus-bildung zu überwinden. Das ist diegrundlegende Voraussetzung für einLand, das eine dynamische und junge

Bevölkerung hat, damit es seine größtenAusbildungsprobleme lösen und eine er-folgreiche Zukunft sicherstellen kann. Die generelle Neustrukturierung in derPlanung für die türkische Lehrerausbil-dung ergibt sich auch aus der Planungder Deutschlehrerausbildung. In diesem Beitrag wurde die neue curri-culare Planung mit folgenden Schlussfol-gerungen für die Deutschlehrerausbil-dung analysiert: Bei der Curriculumsrevision im Jahre2006 wurde die Kritik berücksichtigt, diean früheren Programmen geübt wurde,denn die neuen Studieninhalte für dieDeutschlehrerausbildung unterscheidensich nunmehr grundsätzlich von den an-deren Studiengängen wie Französischund Englisch. Die Lehrveranstaltungen sind in die Teil-bereiche Fachwissen, Berufswissen undAllgemeinkultur gegliedert worden. Da-nach ist Fachwissen im Curriculum mit58 % Anteil, Berufswissen mit 20 % undAllgemeinkultur mit 22 % vertreten. Di-ese vom Hochschulrat vorgelegte Festle-gung sollte hinterfragt werden, insbeson-dere weil die Bereiche Methoden desDeutschunterrichts, Ansätze für Deutschun-terricht, Fremdsprachenunterricht für Kinderim Programm zum Bereich Fachwissengezählt werden, obwohl sie eigentlichauch zum Bereich Berufswissen gerech-net werden könnten. So betrachtet erhöhtsich der Anteil des Berufswissens auf26 %. Fast alle neuen Studieninhalte betreffendie Veranstaltungen für Allgemeinkultur,die damit eine besondere Gewichtungerfährt. Es ist anzumerken, dass damitdie Absicht verfolgt wird, die ange-henden Deutschlehrerinnen und -lehrerfür die Beamteneingangsprüfung vorzu-bereiten. Die Zahl der Wahlveranstaltungen wurdeauf sieben vermehrt, vier davon sind fürFachwissen, zwei für Allgemeinkultur

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und eine für Berufswissen. So hat jedeAbteilung die Chance, die Wahlveranstal-tungen unter bestimmten Gesichtspunk-ten selbst zu gestalten und je nach ihreneigenen Möglichkeiten Schwerpunkte zusetzen. Damit kann auch die Motivationder Studierenden erhöht werden. Wenndie Wahlfächer gut organisiert werden,können sie einen wichtigen Beitrag zurAusbildung der Studierenden leisten. Die zweite Fremdsprache ist zum erstenMal im Programm vorgesehen. DieserStudieninhalt, der in den Bereich der All-gemeinkultur gehört, wird ein erheblichesDefizit beseitigen. Deutsch wird nunmehrin den türkischen Schulen als zweiteFremdsprache nach Englisch angeboten.Dagegen ist in der neuen Planung leiderkeine Lehrveranstaltung mehr vorgese-hen, die sich mit den methodisch-didak-tischen Überlegungen des Deutschen alszweite Fremdsprache befasst. Zum Bei-spiel kann eine Veranstaltung wie›Deutsch nach Englisch‹ im Programm alsWahlveranstaltung angeboten werden. Es ist kein Geheimnis, dass eine Curricu-lumsrevision oder eine Umstrukturie-rung kein Allheilmittel für die Lehreraus-bildung sein kann. Allerdings sind dievorliegenden Veränderungen im Lehr-programm für die Deutschlehrerausbil-dung insgesamt positiv zu bewerten,auch wenn zu erwarten steht, dass sienicht in allen Abteilungen identisch ver-wirklicht werden können, wie oben be-reits ausgeführt wurde. Neben der Curriculumsrevision mussnun allerdings auch bedacht werden,dass qualifizierte Lehrkräfte ausgebildetwerden und die Zusammenarbeit zwi-schen den Abteilungen intensiviert wird.Für eine effektive und moderne Ausbil-dung der Deutschlehrer in der Türkei istes notwendig, dass sich die zuständigenInstitutionen in regelmäßigen Abständenzusammenfinden, um das Curriculumweiter zu verbessern.

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zum neuen Curriculum«. In: Berufsbezo-gene Deutschlehrerausbildung. Dokumenta-tion zum Workshop am 26./27. Mai 2000 inİstanbul. Istanbul: KG Ajans, Goethe-Ins-titut und Türkischer Deutschlehrerver-ein, 2000, 75–78.

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Zeki Uslu Dr. phil.; geb. 1962; 1981–1985 Deutsch-lehrerausbildung in Selçuk Universität,Konya; 1986–1987 Deutschlehrer in Bat-man Ortaokulu; 1988 Assistent an derAbteilung für DeutschlehrerausbildungUniversität Dicle/Diyarbakir; 1990–1992Magisterstudium: Universität Istanbul,Institut für Sozialwissenschaften,Deutschdidaktik; 1996 Promotionsarbeitan der Universität Istanbul mit demThema: »Die Kausalitätsfunktion im Deut-schen und im Türkischen«; 1997 Lehrbeauf-tragter an der Abteilung für Deutschleh-rerausbildung, Universität Dicle. An derAbteilung für DaF-Dicle Universität/Diyarbakir/Türkei unterrichtet der Au-tor Deutsche Grammatik, Ansätze undMethoden des fremdsprachlichenDeutschunterrichts, Einführung in dieLinguistik, Spracherwerb und Überset-zung.

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Mysteriöser Besuch. Zeitgenössische Literatur imUnterricht Deutsch als Fremdsprache – ein Modellsamt Erfahrungsbericht zu Reinhard Lettaus»Besuch«

Thomas Keith

Zusammenfassung Anhand von Lettaus Kurzprosa »Besuch« wird gezeigt, wie mit einem Text aus der deutschenNachkriegsliteratur auf eine nicht genuin literaturwissenschaftliche Weise im UnterrichtDeutsch als Fremdsprache gearbeitet werden kann. Die Ziele, die dabei verfolgt werden kön-nen, sind die Förderung sprach- und textanalytischer, allgemein-reflexiver wie (literarisch)textproduktiver Kompetenzen. Außerdem kann der ausgewählte Text ein Bewusstsein fürinterpretatorische Unabschließbarkeit von (moderner) Literatur wecken oder vertiefen.

1. Präliminarien zum Einsatz von Litera-tur im DaF-Unterricht Die Fragen danach, ob, wozu und – vorallem – wie Literatur, und besonders mo-derne oder zeitgenössische, in den Unter-richt Deutsch als Fremdsprache (DaF)integriert werden soll und kann, wurdenund werden lebhaft erörtert. Bekanntsind die einschlägigen Plädoyers desDaF-Doyen Harald Weinrich für die Lite-ratur mit den griffigen Formeln: eineFremdsprache ohne ihre Literatur zu leh-ren sei Barbarei, und nur die Literaturmache den Sprachunterricht erträglich(vgl. Weinrich 1988). Hans JürgenKrumm und Paul R. Portmann-Tselikaskonstatierten vor einigen Jahren im Vor-wort eines von ihnen zu diesem Themaherausgegebenen Bandes:

»Literatur steht nicht mehr am Ende desCurriculums, als Krönung und Abschlusseines grammatik- und wortschatzorien-tierten Basisunterrichts, sondern ist inte-graler Bestandteil eines von Anfang an ge-

brauchs- und textbezogenen Sprachunter-richts geworden.« (Krumm/Portmann-Tse-likas 2002: 13)

Wilfried Krenn weist dagegen in seinemBeitrag zu dieser Publikation darauf hin,dass in den gängigen Lehrwerken fürErwachsene »Literatur wohl weiterhin einstiefmütterliches Dasein« führt und imGemeinsamen Europäischen Referenz-rahmen für Sprachen literarische Pro-satexte erst auf dem Niveau B2 auftau-chen. Verantwortlich für die mangelndeIntegration der Literatur in die Curriculahält er »Konzepte und Argumentations-muster der Literaturwissenschaft«, »diezentrale Fragestellungen und Notwendig-keiten des Fremdsprachenunterrichtsignoriert haben« (Krenn 2002: 15–17). Im folgenden Bericht aus der Praxis wer-den ein Unterrichtsmodell zu einemKurzprosa-Text aus der deutschen Nach-kriegsliteratur vorgestellt und die Erfah-rungen damit geschildert. Sie stammenaus dem Unterricht mit verschiedenen

Didaktik DaF / Praxis

Info DaF 35, 4 (2008), 412–423

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Gruppen russischer Studierender mitdem Hauptfach ›deutsche Philologie‹.Der Text wurde im Fach Sprachpraxiseingesetzt, das im Wesentlichen ein the-menbezogener Sprachunterricht ist.1 Auf Krenns Kritik am »Transfer literatur-wissenschaftlicher Theoriebildung aufdie Didaktik« (Krenn 2002: 20) kann undsoll hier nicht eingegangen werden. SeineAnmerkungen sind insofern berücksich-tigt, als das Modell zum einen bereits abNiveau B1 einsetzbar ist und zum ande-ren nicht genuin literaturwissenschaft-lich vorgeht.

2. Die Textauswahl

Reinhard Lettau: Besuch Ein Herr steht an der Tür. Er zittert.

Wir bitten ihn herein. Er kommt und setztsich. »Sie wissen nicht, was ich gesehen habe«,sagt er. »Wo haben Sie es gesehen«? fragen wir. »Fast überall«, sagt er. »Überall, wo ichbin«. »Wann haben Sie es gesehen«? fragen wir. »Ich sehe es fast immer«, sagt er. »Auch hier, vor unserem Haus«? fragen wir. »Direkt vor ihrem Haus«, sagt er. »Also nicht unter bestimmten Umständen?Auch nicht zu bestimmten Tageszeiten?Nicht auf Jahreszeiten beschränkt«? »Keinesfalls beschränkt«, sagt er. »Auch hier, bei uns, im Haus, auf demStuhl«? »Das fragen alle«, sagt er zitternd. Er erhebtsich und geht. (Lettau 1973: 148)2

1 Überhaupt ist die russische Germanistik auf den Spracherwerb und auf linguistischeFragestellungen konzentriert – Literatur spielt eine untergeordnete Rolle, die Curriculabeschränken sich fast ausschließlich auf literaturgeschichtliche Vorlesungen, die meistensin russischer Sprache gehalten werden und Originaltexte kaum zu Wort kommen lassen;die zeitgenössische deutschsprachige Literatur ist dabei auf weiten Feldern terra incognita.

2 »Besuch« ist der zwölfte aus dem 57 Kurzprosatexte umfassenden Zyklus »AuftrittManigs«. Die einzelnen Texte (keiner länger als eine Seite) bauen nicht aufeinander aufund hängen nur durch die Figur Manigs und einige thematische Gemeinsamkeitenmiteinander zusammen. Ihre Reihenfolge ist, bis auf Anfang und Schluss, großteilsaustauschbar. Eine isolierte Betrachtung von »Besuch« ist daher zu rechtfertigen. Zum Verständnis des Textes trägt der Rahmen des Zyklus kaum etwas bei. Im Gegensatzzu »Besuch« geben wenige Texte Dialoge wieder, überhaupt wird wenig gesprochen. Oftwerden menschliche Körperbewegungen beschrieben, deren Zweck meist nicht unmit-telbar einleuchtet. Insgesamt elf Texte behandeln Besuchssituationen (dabei findet mannoch mehrmals das Verb »hereinbitten«). In nahezu allen Texten tritt entweder »einHerr« oder »Manig« (sehr selten »Herr Manig«) auf; im ersten Text des Zyklus mit demTitel »Auftritt Manigs« »ein Herr«, im zweiten dann »Manig«, was den Schluss nahelegen kann, bei dem Herrn handle es sich um Manig, zumal in einem Text explizit einzunächst namenloser Herr später als Manig identifiziert wird. Figuren, die neben Manigoder dem Herrn agieren, sind meist weitere »Herren«, öfter »Freunde«, »Nachbarn«,mitunter eine oder die »Gesellschaft«, »Partner«, »andere«, »Menschen« oder »Leute«,einmal auch »Genossen«. In insgesamt sieben Texten begegnet man der Konstellation»der Herr« und »wir«, in acht »Manig« und »wir« – alle diese Texte stehen vor allem inAnschluss an »Besuch«. Ein »ich« meldet sich selten zu Wort, öfter stehen (neben »wir«)Konstruktionen mit »man« oder im Passiv. Manig bleibt im Laufe des Zyklus genauso unbestimmt und undurchschaubar in seinenAbsichten wie in »Besuch«. Hans Magnus Enzensberger charakterisierte ihn so: »Wer ist Manig? Schlechten Gewissens sage ich: ein Strichmännchen. Schlechten Gewis-sens; denn Manig ist keine Karikatur, er ist Abkürzung eines Dämons. Manig scheint ausTusche zu sein, so behend, so leicht ist er aufs Papier gesetzt. Manig will nicht stillhalten.Manig hüpft, er huscht, er wetzt über Seiten. Festhalten läßt er sich nicht, an Definition istnicht zu denken. Von Satz zu Satz verwandelt er sich.« (In: Lettau 1973: 303)

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Auf diesen Text, der auch in einer Antho-logie des Goethe-Instituts Moskau abge-druckt ist (Richter 1999: I, 459), fiel dieWahl, da er für den Unterricht mehrereVorteile bietet: er ist – kurz, – rein sprachlich leicht verständlich – er-

klärt werden musste allenfalls die Wen-dung ›jemand hereinbitten‹, ggf. noch›beschränkt‹ und ›sich erheben‹,

– lebensweltlich leicht nachvollziehbar,was die Situation eines (spontanen?ungebetenen?) Besuchs betrifft, alsomit hohem Empathiepotenzial,

– mit seinen zahlreichen Leerstellen (umdiesen rezeptionsästhetischen Begriffzu übernehmen) ein Musterbeispiel füreine offene Textstruktur, die die intrin-sische Motivation der Lernenden, sichdamit auseinanderzusetzen, stimuliert,also appellativ wirkt.

Für die Realisierung des vorgeschlage-nen Unterrichtsentwurfes braucht manetwa eine Unterrichtsstunde, also 40–45Minuten Zeit.

3. Unterrichtsmodell und Erfahrungendamit Die folgenden Ausführungen orientierensich an einer jüngst erschienenen mate-rial- und lehrreichen literaturdidakti-schen Monographie von Ingrid Mum-mert (Mummert 2006). Das zu Grunde liegende literaturdidakti-sche Modell (Mummert 2006: 40, modifi-ziert übernommen von Kreft 1977) glie-dert sich in mehrere Phasen.

3.1 Rezeptionsphase Der Text – ohne Überschrift – wird an dieLernenden verteilt, mit Angabe des Au-tors und seiner Lebensdaten (1929–1996),und danach gelesen, wobei sich als diewirkungsvollste Präsentationsform dasVorlesen mit drei Sprechenden erwiesenhat, also Erzählstimme, der Herr und dieWir-Stimme.

Wird der Text nicht in einem speziellenLiteraturunterricht eingesetzt, so ist aufeinen expliziten Hinweis, man beschäf-tige sich nun mit Literatur, zu verzichten,um keine meist durch den Schulunter-richt geprägten Erwartungen zu wecken,denen dann kaum entsprochen wird –egal, ob das für die Lernenden eine ange-nehme oder lästige Erfahrung bedeutete:für die hier verfolgten Zwecke ist siejedenfalls hinderlich. Ziel ist »eine Textbegegnung, die zu-nächst ohne jeden Eingriff der Lehrper-son stattfinden sollte«, um Literatur nichtgemäß eigenen pädagogischen oder lite-raturwissenschaftlichen Zielsetzungenzu instrumentalisieren (Abraham/Kesper 2005: 185). Gesammelt werden –nach einer kurzen Bedenkpause – spon-tane erste Reaktionen: Irritationen, Fra-gen, Assoziationen an persönliche Erin-nerungen und Erfahrungen oder ersteDeutungen. Leitfragen dazu sind: – Was fällt Ihnen auf? Was irritiert? – Was ist unklar? – Was fällt Ihnen dazu ein? (vgl. Mum-

mert 2006: 41) Das Spektrum der Reaktionen reicht ge-wöhnlich von – allgemeinen Bemerkungen und Irritati-

onen zur Struktur des Textes (»Das istein Rätsel…«, »Und wie geht es wei-ter«? / »Ist das das Ende des Textes«?)und

– Fragen zu den Figuren (»Wer ist dieserHerr«? – meistens wird eher nach demHerrn gefragt als nach dem ›Wir‹)

– und ihrem Verhalten (»Warum zitterter? Friert er? Hat er Angst«?; »Was hater gesehen«?, »Warum geht er«?/»Wo-hin geht er«?) über

– erste Spontandeutungen (»Ein Ver-rückter«, »Das ist Jesus Christus, derwiedergekommen ist«, »Er hat dasGlück gesehen«) bis zu

– Erzählungen über ähnliche ungewöhn-liche Besuchserlebnisse.

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Aus diesen Äußerungen sind in einemzweiten Schritt unter der strukturieren-den und ggf. anleitenden Moderation derLehrperson systematisch Fragen an denText zu entwickeln. Es bietet sich an, mit den beiden Figurenzu beginnen, die im Text auftreten: – Wer ist der Herr? – Wer sind ›wir‹? Danach ist die Kommunikationssituationzu analysieren: – Was teilt der Herr mit? – Welche Fragen stellen ›wir‹? Welche

nicht? – Warum diese Fragen (und (die) an-

dere(n) nicht)? Leerstellen finden sich auch im Verhaltender Figuren außerhalb des Dialogs: – Warum zittert der Herr? – Warum bitten ›wir‹ ihn herein? – Warum geht er? Schließlich die Frage, in der der Kern desRätsels zu stecken scheint, als das derText von den meisten gelesen wird: – Was hat der Herr gesehen?

3.2 Textarbeit

3.2.1 Methodisches Ausgehend von diesen Fragen wird derText in einem ergebnisoffenen Gesprächdiskursiv erschlossen. Gewillt, das Gespräch systematisch ent-sprechend den eben aufgelisteten Fragenzu gliedern, wird die Lehrperson aufeinen methodischen Konflikt stoßen, wieihn Rüdiger Krechel für den Umgang mitkonkreter Poesie im Unterricht be-schreibt:

»Ein ›straffer Unterricht‹ müsste erfordern,dass ein Problem bei allen Lernern prinzipi-ell geklärt ist, ehe das nächste in Angriffgenommen wird. Doch straffe Unterrichts-zügel zerstören leicht eine offene und frei-ere Gesprächsatmosphäre, wie sie der Ar-beit mit einem ästhetischen Text adäquatist.« (Krechel 1983: 166)

Als Maxime empfiehlt sich, Abwei-chungen zuzulassen, also Sprünge zwi-schen den einzelnen Fragen (zumal sieteilweise eng zusammenhängen), aberdann immer wieder auf den Punkt zu-rückzuführen, also eine »methodischeEntscheidung für ›längere Zügel‹« (Kre-chel 1983: 167). Der ausgewählte Text ist auf Grund sei-ner an entscheidenden Stellen offenenStruktur geradezu paradigmatisch dazugeeignet, bei den Studierenden ein Be-wusstsein für die Polyvalenz von Litera-tur, insbesondere moderner und zeitge-nössischer, zu entwickeln. Ein solchesBewusstsein war bei den meisten Perso-nen, mit denen ich gearbeitet habe, wenigausgeprägt. Deshalb sollte bei jeder Ant-wort, bei jeder Deutung, mit der sie sichoft schnell zufrieden geben wollen, nach-gehakt werden: Lassen sich noch weitereVarianten finden? Und es ist darauf hin-zuweisen, dass die Entscheidung für einebestimmte Variante erst im Rahmen einerGesamtdeutung getroffen werden kann,die nur im Anschluss an die Klärung derEinzelfragen versucht werden kann.

3.2.2 Zu den einzelnen Fragen an den Text

Der Herr: Nahezu alle Rezipierenden imaginierenein ähnliches Bild von ihm, wie die Nach-frage nach der Vorstellung von seineräußeren Erscheinung erwies: ein Mannmittleren Alters im dunklen oder grauenMantel mit seriösem Auftreten (mitunterdurch die Attribute graue Haare, Brilleoder Hut unterstrichen). Manche stellenihn sich etwas ärmlich, abgerissen vor. An dieser Stelle kann man visuell konkre-tisieren, um die Imaginationskraft derLernenden zu stimulieren und den Textfür sie anschaulicher zu machen. Fallssich dazu inspirierte Studierende finden,könnten sie ein Bild des Herrn an dieTafel malen. Für andere präsentiere ich

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mehrere Männer-Porträts (ich benutzedazu die Sammlung »Klick! Fotoaktion›Deutsche sehen Deutsche‹« des Goethe-Instituts (siehe www.fotomuseum.de),man kann aber auch passende Bilder ausZeitschriften ausschneiden). Die Gruppeeinigt sich nach angeregtem Gesprächüber die Bilder immer schnell auf einPorträt, das den oben beschriebenen Zü-gen entspricht.1 Weitere Mutmaßungen zur Person desHerrn, die auch in den Spontanreaktio-nen auf den Text bereits anklangen (»einVerrückter«, »Jesus Christus«) beziehensich bereits auf den Inhalt des Dialogsund sind daher vorerst zurückzustellen.

Wir: Über ›uns‹ werden keine näheren Infor-mationen gegeben, auch nicht zur Art derGesprächsführung (die Häufung von nurals Halbsätze formulierten Fragen gegenEnde des Textes könnte auf Hektik, Ner-vosität, Beunruhigung hindeuten). Da›wir‹ offensichtlich gemeinsam eine Woh-nung oder ein Haus bewohnen, stellensich die Lernenden eine (kleine) Familieoder ein Ehepaar vor. Auf die Idee, dasPersonalpronomen auf eine abstraktereEbene zu heben, etwa: ›wir alle‹, kam andiesem Punkt noch niemand, so dassdiese Variante vorerst zurückgestelltwerden kann, zumal sie erfahrungsge-mäß bei der Gesamtdeutung ohnehinaufgeworfen werden wird.2

Die Kommunikationssituation: »Sie wissen nicht, was ich gesehen habe«ist ein indirekter Sprechakt, eine implizitperformative Äußerung (vgl. Lühr 1993:269–277). Dieser Sprechakt verfolgt ein

perlokutionäres Ziel, will eine bestimmteWirkung erzeugen, eine – hier sprachli-che – Reaktion hervorrufen. John Langshaw Austin, der Begründerder Sprechakt-Theorie, führt den perlo-kutionären Akt so ein:

»Wenn etwas gesagt wird, dann wird dasoft, ja gewöhnlich, gewisse Wirkungen aufdie Gefühle, Gedanken oder Handlungendes oder der Hörer, des Sprechers oderanderer Personen haben; und die Äußerungkann mit dem Plan, in der Absicht, zu demZweck getan worden sein, die Wirkungenhervorzubringen.« (Austin 1972: 116. Aus-führlich geht Austin auf die perlokutionä-ren Sprechakte in der achten bis zehnten derzwölf Vorlesungen von »How to do thingswith words« ein: Austin 1972: 110–149)

Auch ohne von Austin zu wissen, erken-nen das die Lernenden, wenn sie gefragtwerden: ›Wie reagieren Sie, wenn man zuihnen sagt: »Sie wissen nicht, was ichgesehen habe«?‹ (Und das ist unabhängigdavon, ob dabei »Sie«, »nicht«, »ich« oder»gesehen« betont wird). ›Wir‹ im Text fragen aber nicht nach, wasder Herr gesehen hat – wie es die üblichekommunikative Reaktion wäre –, son-dern holen Informationen zu den nähe-ren Umständen ein, nämlich zu Ort undZeit: Wo? (1. Frage) und Wann? (2. Frage)(auf diese Frage bekommen ›wir‹ dieAntwort, dass das Sehen noch andauert:nach dreimaligem »gesehen« geht derText zu »ich sehe« über), dann konkreti-siert: »Auch hier, vor unserem Haus«? (3.Frage) bzw. Beschränkung auf bestimmteTages- oder Jahreszeiten (4. Frage),schließlich, die Frage nach dem Ort noch-mals konkretisierend: »Auch hier, beiuns, im Haus, auf dem Stuhl«? (5. Frage).

1 Auch die übrigen Texte des Manig-Zyklus halten sich mit Informationen zum Äußerendes Herrn oder Manigs sehr zurück. In je einzelnen Texten werden Bart bzw. Schnurr-bart erwähnt, ein großer und »gebogener« Mund sowie eine freundliche Nase; anKleidungsstücken sieht man einen (roten) Hut, ein Hemd mit Gürtel und einen blauenÜberwurf.

2 Im gesamten Zyklus kann man diese Variante explizit formuliert drei Mal finden.

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Auf die Frage, welche Gründe das uner-wartete Frageverhalten haben könnte,lassen sich folgende Antworten finden: 1. ›Wir‹ wollen nicht wissen, was er gese-

hen hat – dann ist aber das Interesse fürdie näheren Umstände kaum erklärbar,vielmehr wäre dann als erste Entgeg-nung »Lassen Sie mich damit in Ruhe«o. ä. zu erwarten.

2. ›Wir‹ wissen, was er gesehen hat – undwollen daher nur die näheren Um-stände präzisiert haben. Daraus folgt,dass ›wir‹ entweder mit dem Herrnbereits Kontakt hatten und darüber ge-sprochen haben oder es ihm ansehenkönnen.

3. ›Wir‹ wagen nicht (direkt) danach zufragen (sondern versuchen es auf Um-wegen herauszufinden): das würde im-plizieren, dass ›wir‹ etwas Unaus-sprechliches, wahrscheinlich FurchtEinflößendes vermuten. (Was zurnächsten Frage führt, woher diese Ver-mutung rührt).

4. ›Wir‹ können/dürfen nicht fragen, waser gesehen hat: das ist eine Tabu-Frage,entweder weil es sich um ein Objekthöchster Ehrerbietung handelt (so wiein manchen Religionen der Name derGottheit nicht direkt genannt wird)oder einer anderen (willkürlichen?)Konvention entsprechend (dann er-gäbe sich eine ähnliche Kommunikati-onssituation wie im Kinderspiel ›Ichsehe was, was du nicht siehst‹).

Das Unterrichtsgespräch muss nicht aufalle diese Varianten kommen, sollte sichaber längere Zeit diesem für die im Textdargestellte Kommunikationssituationzentralen Punkt widmen. Dabei begegnet man bei manchen Ler-nenden oder auch bei ganzen Gruppenzunächst dem Problem, dass sie die Leer-stellen zwar benennen, also die passen-den Fragen stellen, aber keine Entschei-dung zu ihrer Füllung treffen könnenoder wollen. Bei russischen Studierenden

sehe ich eine Ursache dafür im russischenBildungssystem, in dem die Wissensre-produktion im Zentrum steht, nicht Leis-tungen eigenständiger Imaginations-kraft. Da man es in den seltensten Fällenmit einem Unwillen zu tun hat, sich aufdie durch den Text aufgeworfenen Fra-gen einzulassen, ist hierfür genügendZeit, aber auch Ermunterung und Anlei-tung zu geben.

Warum zittert der Herr? Diese Frage kann nebenbei zur Wort-schatz-Erweiterung benutzt werden: Wa-rum zittert man? Man kann vor Kälte, vorAngst oder Nervosität oder vor Wut zit-tern, bei Fieber (Schüttelfrost) oder aufEntzug (Alkoholismus, Drogensucht).

Warum bitten ›wir‹ ihn herein? Wie bei der vorherigen Frage, bietet essich auch hier an, von der Lebenspraxisder Lernenden auszugehen: Wen bittenSie herein? Freunde, Bekannte, Nach-barn; jedenfalls Leute, die man kennt –Unbekannte werden gewöhnlich nichthereingebeten, allenfalls lässt man sie her-ein, falls sie überzeugende Argumentedafür vorbringen können (z. B. Vertreterder Staatsgewalt: Polizei, Gerichtsvoll-zieher; auch kommerzielle Vertreter,wenn sie ein interessant erscheinendesAngebot vorzubringen haben). Ist der Herr aus der Erzählung mit ›uns‹bekannt? Dagegen spricht, dass er als einHerr eingeführt wird und auch in derweiteren Erzählung anonym bleibt. Wiestellt er es also an, dass ›wir‹ ihn herein-bitten? Der zweite Satz des Textes erzählt,dass er zittert – und das ist eine derwenigen über bloße Bewegungen (ste-hen, sich setzen, aufstehen und gehen)hinausgehenden Bestimmungen, die derText über ihn gibt. Dieses Zittern wurdeja eben angesprochen. Es liegt nahe, ei-nen Zusammenhang zwischen Zitternund Hereinbitten herzustellen, wie es diemeisten Lernenden auch tun: der Herr tut

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›uns‹ Leid, deshalb bitten ›wir‹ ihn her-ein. So lässt sich, zurückgreifend auf dieVorstellungen von der äußeren Erschei-nung des Herrn, auch erklären, warumihn manche ärmlich oder gar abgerissenimaginieren: das Mitleid wird so zusätz-lich motiviert.

Warum geht er? Diese Frage konkretisiert sich im Ge-spräch darüber (implizit) zur Frage, ob eseinen Zusammenhang zwischen den Fra-gen an den Herrn und seinem Aufbruchgibt. Besonders für die letzte Fragekönnte man einen solchen Zusammen-hang suggerieren, da sie diejenige ist, dieder Herr nicht direkt beantwortet (»Dasfragen alle«) und nach der er sich erhebtund geht. Was könnte so ein Zusammen-hang sein? Folgende Vorschläge werdengemacht bzw. könnten gemacht werden: – Die letzte Frage langweilt den Herrn,

weil sie alle stellen. Deshalb will er dasGespräch nicht fortsetzen.

– Die letzte Frage ist dem Herrn zudumm, weil ›wir‹ es doch sehen müss-ten, wenn es »[a]uch hier, bei uns, imHaus, auf dem Stuhl« ist. Mit jeman-dem, der über eine derart beschränkteWahrnehmungsfähigkeit wie ›wir‹ ver-fügt, lohnt sich für ihn kein weiteresGespräch.

– Die letzte Frage war zu konkret, des-halb bricht der Herr das Gespräch ab.›Wir‹ haben also ein Tabu verletzt,ohne es aber zu wissen.

– Diese drei Varianten kann man auchauf die gesamte Gesprächsführung be-ziehen: zu viele Fragen, zu neugierige,zu dumme etc. führen zum Abbruchdes Gesprächs.

– Wie Parzival in der Gralsburg Am-fortas die (erlösende) Frage nicht stellt,so unterlässt auch ›unsere‹ Fragerei dieentscheidende Frage. (Ist es: »Was ha-ben Sie gesehen/Sehen Sie«?) Der Herr

sieht deshalb keinen Sinn in einer Fort-setzung des Gesprächs.

Doch bleibt es unklar, warum er geradean dieser Stelle abbricht. Und es ergebensich weitere Fragen: Welche Konsequen-zen hat es für den Herrn, dass die ent-scheidende Frage nicht gestellt wurde?Worin besteht sein Leiden (soll das Zit-tern darauf hinweisen, hat es etwas damitzu tun?), wodurch ist es verursacht, undwas wäre also seine Erlösung? Wiewürde die entsprechende Frage lauten?(Analog zu »Parzival«: »Was fehlt Ih-nen«?) Warum haben ›wir‹ die entschei-dende Frage nicht gestellt? (Aus Zurück-haltung? Aus Unwissenheit?) Und wel-che Konsequenzen kommen dadurchjetzt auf ›uns‹ zu? (Parzival wird ver-flucht…) – Die letzte Frage war genau die richtige,

die ›uns‹ zur Wahrnehmung oder zurErkenntnis dessen geführt hat, was derHerr gesehen hat. (Was das ist, ver-schweigt der Text dann aber).

Was hat der Herr gesehen? – Vorschläge wie »seinen Schatten« las-

sen den Text als ein Ratespiel mit einerlustigen Pointe erscheinen. Motiviertwird diese Deutung offenbar durch dieAussage »Überall, wo ich bin«, die auf-fällig ist, weil sie aus dem Rahmen dessonstigen Dialogschemas fällt: derHerr fügt nur an dieser Stelle seinerAntwort einen weiteren Halbsatzhinzu. Diese semantisch schillerndeZusatzinformation kann auch einfachso gelesen werden, dass die Wahrneh-mung als persönliche, unmittelbare,nicht vermittelte (etwa durch die Me-dien: Presse, TV o. ä.) vorgestellt wird,die durch ihre Bindung an die eigenePräsenz verbürgt werden soll.

Wenn in diesem Kontext das Zittern er-klärt werden soll, wird der Herr zumParanoiker, der sich vor seinem eigenenSchatten fürchtet.

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– Auch die Erklärung, der Herr habe eineSehstörung, ist sehr schnell mit demText fertig.

– Wenn man dem Herrn weniger clow-neske Motive unterstellt als in der ers-ten Variante, dann muss das, was ergesehen hat, etwas Unsichtbares, Abs-traktes sein, sonst wäre die Frage»Auch hier, bei uns, im Haus, auf demStuhl«? sinnlos. ›Sehen‹ ist dann alsonicht wörtlich, sondern als ›wahrneh-men‹, ›erkennen‹ o. ä. zu lesen. Hierkann zurückgegriffen werden auf dieersten Spontandeutungen: Dass es sichnicht um ein Sehen im Wortsinn han-deln kann, führte bei manchen zu derVermutung, man habe es mit einemKranken, geistig Verwirrten, Gestörtenoder mit einem Berauschten zu tun(Fieberphantasien, Visionen, Halluzi-nationen etc.).

Und er muss etwas gesehen haben, wasüberall und immer sein kann. Die Vor-schläge dazu sind ganz verschieden: dasGlück, das Böse, die eigene Vergangen-heit, die Vergänglichkeit, das nahe Welt-ende, Gott etc. – Eine andere Auflösung, die manchmal

vorgeschlagen wird, lautet, dass derHerr eigentlich nichts (Besonderes) ge-sehen hat, sondern ›unser‹ Bewusst-sein schärfen will. Wofür? Hier könnendie eben genannten Inhalte eingesetztwerden. Diese Deutung unterscheidetsich nur in der Nuance, dass der Herrkein außergewöhnliches Wahrneh-mungs-, Bewusstseins- oder Erkennt-niserlebnis hat, sondern nur daraufhinweisen will, dass etwas Bestimmtesüberall und immer ›gesehen‹ werdenkann, wenn man auf die richtige Weiseoder mit der entsprechenden Einstel-lung an die Dinge herangeht.

– Für die oben eingeführte Parzival-Vari-ante müsste davon ausgegangen wer-den, dass der Herr eigentlich nichts(Besonderes) gesehen hat, sondern mit

seiner ersten Äußerung die Aufmerk-samkeit auf sich lenken und eine be-stimmte Frage provozieren will, diefreilich nicht gestellt wird. Die sich ausdieser Auflösung ergebenden weiterenFragen wurden oben bereits genannt.

– Der Herr lässt sich im Gegensatz zuden bisherigen Deutungsansätzenauch als böswillige Figur interpretie-ren, die nichts gesehen hat, aber davon– in rätselhafter Manier – spricht, um›uns‹ zu täuschen und zu verunsi-chern. Nachdem sie das Interesse ge-weckt und gesteigert, aber nicht befrie-digt hat, geht sie folgerichtig.

– Oben wurde die Möglichkeit angedeu-tet, dass ›wir‹ wissen, was der Herrgesehen hat (und deshalb nicht danachfragen), auch wenn wir noch nicht mitihm Kontakt hatten, was bedeutenwürde, dass wir es ihm ansehen kön-nen. Was das nun sein könnte, darauflässt sich aber schwerlich eine plau-sible Antwort finden. Diese Deutungkann daher, ist man an dieser Stelle derDiskussion angelangt, ausgeschlossenwerden.

– Keine der Personen, mit denen ich denText bisher (in Russland) analysierte,stellte einen Bezug zu historischenund/oder politischen Ereignissen her.Das kann an einem vor allem bei derjüngeren Generation verbreiteten Des-interesse an Geschichte und Politik lie-gen; vielleicht auch daran, dass das imText explizit Angesprochene auf einerallgemein-abstrakten Ebene liegt. Fürjemanden, der mit dem deutschen Ver-gangenheitsbewältigungsdiskurs ver-traut ist, drängen sich meines Erach-tens folgende Deutungsmöglichkeitenauf: der Herr hat den allgemeinen, all-täglichen (immer noch/schon wiederexistierenden) Faschismus in den Köp-fen gesehen, oder die (allgegenwärtige)Verdrängung des historischen, oderkonkreter die alten Nazis, die immer

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noch unter ›uns‹/uns sind, oder umge-kehrt: die Opfer, an die ein (dafür)sensibler Beobachter überall und im-mer erinnert werden kann.

Da den Lernenden keine Deutung vorge-setzt oder aufgedrängt werden soll, ver-zichtete ich darauf, diese Aspekte in dieDiskussion einzubringen. Zumal meinerErfahrung nach die meisten russischenStudierenden gelangweilt abwinken,wenn sie mit der deutschen Vergangen-heitsbewältigung konfrontiert werden.Das muss dennoch sein, denke ich, vorallem bei Studierenden der deutschenSprache, da ihnen sonst ein wesentlicherAspekt zum Verständnis der gegenwärti-gen deutschen Kultur (hier im weitestenSinne verstanden) fehlt – die Frage istnur, ob die Besprechung von Lettaus »Be-such« der passende Rahmen dafür ist.Für mich habe ich diese Frage verneint.

3.2.3 Eine Gesamtdeutung? Nach der Erörterung all dieser Aspektekönnen die spontanen Interpretations-entwürfe aus der ersten Phase wiederaufgenommen und abgewogen werden.Aus der bisherigen Textarbeit lassen sichweitere Interpretationslinien benennen.Dabei schließen sich bestimmte Antwor-ten auf die einzelnen Fragen als Deu-tungsansätze gegenseitig aus, wie bereitsan den entsprechenden Stellen darge-stellt; andere sind miteinander zu ver-schiedenen Interpretationen kombinier-bar. Eine abschließende Gesamt-Deutung er-scheint für »Besuch« freilich kaum prak-tikabel. Mummert, deren Konzeptioneine solche Deutung als eine Etappe vor-sieht, gibt dazu folgende Leitfragen vor:Welche Bedeutung finde ich am wahr-scheinlichsten und warum? Wie kann ichmeine Deutung am Text belegen? (Mum-mert 2006: 84). Am Text belegen kannman hier gleichermaßen viel (Mögliches)wie wenig (Konkretes), so dass eine Ent-

scheidung für die wahrscheinlichste In-terpretation zwangsläufig eine willkürli-che sein muss. Dieser Befund ist zwar für moderne Lite-ratur charakteristisch – Franz KafkasWerk und die immense exegetische Lite-ratur darüber sind das Musterbeispiel –,aber für viele Lernende unbefriedigendund/weil ungewohnt. Nicht selten kaman dieser Stelle die Frage: Aber wer istder Herr denn nun?/Aber was hat erdenn gesehen? Dass sie die Verweige-rung einer eindeutigen Antwort daraufaushalten müssen, muss und kann denLernenden bei dieser Gelegenheit klargemacht werden. Und wenn sie das ak-zeptieren, haben sie bereits viel und We-sentliches gelernt. »Alle Kunstwerke, und Kunst insgesamt,sind Rätsel; das hat von altersher die Theo-rie der Kunst irritiert«. »Verstehen selbst istangesichts des Rätselcharakters eine proble-matische Kategorie. […] Kunstwerke, dieder Betrachtung und dem Gedanken ohneRest aufgehen, sind keine.« (Adorno 1995:182, 184)

3.3 Produktionsphase Um das eben Ausgeführte zu unterstrei-chen und noch aus einer anderen Pers-pektive zu verdeutlichen, bietet es sichan, eine Produktionsphase an die Ana-lyse anzuschließen, in der nochmals diegrundsätzliche Polyvalenz des Textesklar wird. Um einen summierenden Blick auf denText als Ganzes zu gewinnen, sollen dieLernenden zuerst einen Titel finden. Die ersten Vorschläge liegen zwischender Nennung dessen, was der Herr lautden je eigenen Deutungen gesehen hat(also z. B. »Glück«, »Vergänglichkeit«)und einer Bezeichnung für die Hauptfi-gur des Textes (»Ein Herr«) oder diedargestellte Situation (»Ein Herr vor un-serer Tür«, »Fragen an einen Herrn« o. ä.).Ich schließe den Hinweis an, dass derOriginaltitel keine Deutungshinweise

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gibt, sich auf die dargestellte Situationbezieht und kurz und pointiert ist, ggf.kann man ergänzen: ein Wort. Dannkommt ziemlich schnell der Vorschlag»Gast«, »Besucher« o. ä. Bei der diese Teilphase abschließendenPräsentation des Originaltitels ist daraufhinzuweisen, dass ›Besuch‹ im Deut-schen einerseits die Handlung des Besu-chens (vgl. »einen Besuch machen« =»jemanden/etwas besuchen«), anderer-seits auch den Gast bezeichnen kann (vgl.»Wir haben Besuch« = »Wir habenGäste«). Lettaus Text spielt mit dieserDoppeldeutigkeit, ohne dass sich darausinterpretatorische Hinweise gewinnenließen. Als zweite Aufgabe ist der Text fortzuset-zen. Das offene Textende und die Verwei-gerung einer gültigen Interpretation, diezumindest einige Lernende unzufriedenzurücklassen, sind hierzu ein willkom-mener Anlass. Die Aufforderung, in einpaar Sätzen den Text im Lichte der be-sprochenen Fragen an ihn und der eige-nen Deutungsvorstellungen weiterzu-führen, ist dazu völlig ausreichend. DieLernenden konzentrieren sich dabei aufdie Fragen: Wohin geht der Herr? Wiereagieren ›wir‹?, ohne dass diese als Leit-fragen für die Produktionsphase vorge-geben werden müssten. Diese Phase ist für die Lehrperson wahr-scheinlich die interessanteste, weil sichhier zum einen eine unerwartete Vielfaltvon Interpretationen auftut, an der sich –zum anderen – auch Lernende beteiligen,die sich im Unterrichtsgespräch (generelloder auch nur zu diesem Text) eher zu-rückhalten. Die häufigsten Fortsetzungsvariantenseien hier kurz in Zusammenfassungenwiedergegeben: – Der Herr geht und lacht (irr) – oder ist – im Gegenteil – niedergeschla-

gen (weil er (wieder einmal) nicht ver-standen wurde).

– Der Herr geht weiter zu den Nachbarn,und der Text setzt sich in einer Endlos-schleife fort.

– ›Wir‹ sind durch den Besuch irritiert,desorientiert, schockiert, bleiben ratloszurück oder denken noch lange darü-ber nach, was uns der Herr mitteilenwollte.

In manchen Fortsetzungen erreicht dieVerwirrung, die der Besuch gestiftet, hatexistenzielle Dimensionen, steigert sichmitunter bis zum Suizid. – ›Wir‹ erkennen nach dem Besuch

(plötzlich), was der Herr mitteilenwollte oder/und was er gesehen hat:siehe die oben besprochenen Varian-ten.

– ›Wir‹ sind, nachdem der Herr gegan-gen ist, überzeugt, dass ›wir‹ es miteinem Verrückten zu tun hatten.

– ›Wir‹ liefern die Auflösung des Textes,dass ›wir‹ den Herrn kennen und lüf-ten seine Identität: ein – vielleicht et-was sonderbarer, (leicht) verrückter –Nachbar oder Freund oder ein allge-mein bekannter Sonderling, der ›uns‹und andere schon öfter in ähnlicheGespräche verwickelt hat. Das kannmit der bereits angeführten Fortset-zung einer plötzlichen Erkenntniskombiniert werden: (aber) dieses Malwurde uns auf einmal klar, was ereigentlich meint.

Die beiden zuletzt genannten Fortset-zungen nehmen dem Text seine beunru-higende Dimension, indem sie alles aneinen bekannten, gewohnten Platz stel-len. Obwohl mir diese Lösungen im Ver-hältnis zum Ausgangstext wenigerüberzeugend scheinen als die anderen,plädiere ich dafür, die Rolle der Lehr-person weiterhin auf die eines Modera-tors zu beschränken, der selbst keineWertungen vornehmen soll. Zwischenden verschiedenen Fortsetzungen abwä-gen kann die Lerngruppe in einer ab-

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schließenden Diskussion, wenn die Ler-nenden daran noch Interesse haben undihre Energie sowie die Zeit dafür ausrei-chen. Wichtig ist aber der Hinweis, dass dieFortsetzung sich stilistisch an den TextLettaus anschließen soll, da das mancheLernende nicht berücksichtigen, weil siesich offenbar auf die Vermittlung desInhalts ihrer Variante fixieren. Ein Stil-bruch – so die öfter praktizierte Auflö-sung des ›wir‹ in konkrete Personen(z. B. »mein Mann und ich…«) – mussinhaltlich motiviert sein, etwa alsPointe. Falls mehrere der Fortsetzungenstilistisch aus dem durch den Aus-gangstext vorgegebenen Rahmen fallen,empfiehlt sich an dieser Stelle eine Stila-nalyse mit dem anschließenden Auftragan die Lernenden, ihre Texte dement-sprechend zu überarbeiten (möglicher-weise als Hausaufgabe). Wenn die Fort-setzungen dagegen den Stil des Aus-gangstextes erfasst haben, kann aufdiese Analyse verzichtet werden, da sieerfahrungsgemäß bei den Lernendeneher unbeliebt ist und als langweiligempfunden wird, wofür wohl Erfahrun-gen aus dem Schulunterricht prägendsind. Die wichtigsten stilistischen Charakteris-tika von »Besuch«: Es wird ausschließlich aus dem Alltags-gebrauch allgemein vertraute Lexik ver-wendet; eine Fortsetzung sollte lexika-lisch ebenso verfahren. Was die Syntax angeht, so finden sichzwei Typen parallel gebauter Sätze: 1. »Er« oder »Wir« + Verb + ggf. Um-

standsangabe oder Fortsetzung mit»und« + Verb. Nach diesem Mustersind die ersten vier Sätze und der letzteSatz des Textes gebildet (eine Aus-nahme von diesem Schema ist nur derTextanfang, wo »er« als »ein Herr«eingeführt wird).

2. »…« + »fragen wir« oder »sagt er« (inder letzten Zeile mit dem Zusatz »zit-ternd«). Entsprechend wechseln sichFrage- mit Aussagesätzen ab. So ist derdialogische Mittelteil des Textes ge-baut. Mehrere Antworten des Herrnund die letzten Fragen sind dabei nurHalbsätze.

Fragen und Antworten greifen manch-mal gegenseitig ihre Inhalte wieder auf,so dass der Text stellenweise repetitivstrukturiert ist. Zu dieser Strukturierungträgt auch die Wiederholung von »auchhier« und »nicht« in den letzten Fragenbei. Ein solcher repetitiver Aufbau ist füralltagssprachliche Dialoge durchaus üb-lich. Eine Fortsetzung des Textes ist also nachden analysierten Prinzipien syntakti-scher Schlichtheit, Parataxe, eines Paral-lelismus und einer gewissen lakoni-schen Gleichförmigkeit zu strukturie-ren.

4. Fazit Dieses Modell, dieser Bericht aus derUnterrichtspraxis sollte zeigen, wie miteinem Text aus der deutschen Nach-kriegsliteratur auf eine nicht genuin lite-raturwissenschaftliche Weise im Unter-richt Deutsch als Fremdsprache gearbei-tet werden kann. Die Ziele, die dabeiverfolgt werden können, sind die Förde-rung sprach- und textanalytischer, allge-mein-reflexiver wie (literarisch) textpro-duktiver Kompetenzen. Außerdem kannder ausgewählte Text ein Bewusstsein fürinterpretatorische Unabschließbarkeit(moderner) Literatur wecken oder vertie-fen. Ich habe mit »Besuch« im Unterricht vorallem gute Erfahrungen gemacht, mit umden Text bemühten lebhaften und auf-schlussreichen Gesprächen und Diskus-sionen sowie interessanten selbst produ-zierten Texten der Lernenden.

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Zum Stellenwert von volkstümlichen Erzähl-texten in der Didaktik Deutsch als Fremdsprache

Ein literaturdidaktischer Beitrag zum fremdsprachlichenCurriculum am Beispiel des frankophonen West- und Zen-tralafrika1

Akila Ahouli

Zusammenfassung Volkstümliche Erzähltexte verhalten sich als Formen einer Nationalliteratur schlechthin. Da-her verdienen sie eine besondere Behandlung bei einer fremdsprachlichen Literaturdidaktik.Im Kontext eines DaF-Unterrichts im frankophonen West- und Zentralafrika, dessen Kultursich durch eine starke Prägung von Oraltradition auszeichnet, kann sich der Einsatz von sol-chen Texten als aufschlussreich erweisen, denn es kommen hierbei zwei verschiedene undkonkurrierende Kulturformen zur Sprache: einerseits eine durch Schriftlichkeit dominierteeuropäische bzw. deutsche Kultur, andererseits eine auf Oralität beruhende afrikanische Kul-tur. Welches sind die Eigentümlichkeiten der deutschen volkstümlichen Erzähltexte bei derVermittlung von kulturspezifischem Wissen und interkulturellen Sprachkompetenzen insbe-sondere für Lernende aus einer oralen Kultur wie der afrikanischen? Nach welchen Kriterienkann in diesem Zusammenhang ein Literaturkanon volkstümlicher Erzähltexte hergestelltwerden? Wie und zu welchem Zweck soll man überhaupt mit diesen Texten umgehen? DieseFragen liegen dem vorliegenden Beitrag zugrunde.

Fremdsprachige Literatur spiegelt zwarnicht eins zu eins Realitäten der Fremd-sprachenkultur wider, sie liefert aber inder ihr eigenen Manier landeskundlicheInformationen über die Kultur, in der sieentstanden ist. Die Auseinandersetzungmit ihr ermöglicht insbesondere im Kon-text eines Fremdsprachenunterrichts ei-nen ›interkulturellen Dialog‹. Ein solcherDialog setzt allerdings bei den Lernen-

den die Vertrautheit mit eigenkulturellerLiteratur voraus. In den durch Oralitätstark geprägten Kulturen wie den afrika-nischen bedeutet diese Vertrautheitzwangsläufig auch das Wissen über diemündliche Erzähltradition. Jeder afrika-nische Fremdsprachenlernende ist mehroder weniger mit einer solchen Erzähltra-dition vertraut. Daher sind in Afrika2

Volkserzählungen im Rahmen eines DaF-

1 Der vorliegende Aufsatz ist die überarbeitete Fassung eines Vortrages, den ich imSeptember 2007 anlässlich der 38. Jahrestagung der Gesellschaft für Angewandte Linguistik(GAL) in Hildesheim gehalten habe.

2 Wenn ich in diesem Aufsatz den Namen »Afrika« und mit ihm einhergehendeAbleitungen verwende, so beziehe ich mich vorwiegend auf das französischsprachigeWest- und Zentralafrika.

Info DaF 35, 4 (2008), 424–431

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Unterrichts von besonderer Bedeutung.Sie bieten nämlich Anlass zu interkultu-rell-ästhetischen Erfahrungen. Eine Lite-raturdidaktik, die sich im DaF-Unterrichtmit Volkserzählungen befasst, sollte indieser Hinsicht auf interkulturelles Ler-nen als Ziel und als Unterrichtsprinzipeingestellt sein.1 Volkstümliche Erzähltexte unterscheidensich von anderen literarischen Gattungenunter anderem durch ihre Einbettung indas kollektive Gedächtnis eines Volkesund sind mithin in der Tradition derOralität verankert. Volksmärchen sind imGrunde genommen

»individuell bearbeitete Erzählungen mitüberkommenen Inhalten, Motiven undSymbolen, die in einfacher Sprache undnicht komplexer Struktur die soziale Wirk-lichkeit des Mangels durch die wunderbareFiktion der Glückserfüllung poetisch aus-gleichen« (Freund 1996: 183).

Selbst wenn sie individuell bearbeitetsind, entstehen Volkserzählungen ausdem Volk und kehren wieder zu diesemzurück. Insofern können sie mehr als jedeandere epische Gattung zur (Re)Kons-truktion einer kulturellen Identität beitra-gen. Letztere fungiert als wichtiges Ele-ment bei einer interkulturell orientiertenLiteraturdidaktik. Grimms Kinder- undHausmärchen werden hierbei als Prototypdeutscher Volksmärchen angesehen. Zuden Volkserzählungen gehören auch Er-zählformen wie Fabeln, Sagen, Legen-den, Mythen und Märchen. Es handeltsich bei deutschen Volkserzählungen imWesentlichen um vor etwa zwei Jahrhun-derten verschriftlichte Texte, also um das,

was Lothar Bluhm als ›Buchmärchen‹bezeichnet hat, d. h. um »literarisierte Erzählungen […], die dem anVolksmärchen herangetragenen Erwar-tungshorizont entsprechen« (Bluhm 2000:12).

Aus dem gegenwärtigen Blickwinkelscheinen diese Erzählungen im deut-schen Kulturraum obsolet und wirklich-keitsfern zu sein, ebenso wie die oraleKultur, die sie trägt. Im afrikanischenKulturraum, wo mündliche Traditionenund Kulturen noch lebendig sind, habenVolkserzählungen einen »unmittelbaren Bezug zum Alltag. Sie spie-geln praktische Lebenserfahrungen widerund enthalten Botschaften zur Bewältigungder großen Probleme, vor denen die Men-schen in Afrika Tag für Tag stehen« (Bran-des 2002: 9).

Deutsche Volksmärchen unterscheidensich außerdem von afrikanischen struk-turell, stofflich, motivisch, figürlich undwertepädagogisch. Hier möchte ich kon-krete Beispiele anführen. Deutsche und afrikanische Volksmärchenunterscheiden sich voneinander durchihre Eingangs- und Schlussformeln. Eintypischer Erzählanfang deutscher Volks-märchen lautet: »Es war einmal…« oder»Vor langer Zeit lebte…«. Eine typischeSchlussformel ist z. B. »… und wenn sienicht gestorben sind, so leben sie noch heute«.Der frankophon-afrikanische DaF-Ler-nende, der bis zu einem gewissen Gradmit der französischen Erzähltraditionvertraut ist, wird theoretisch mit solchenFormeln klarkommen, da ähnliche For-meln in den französischen Buchmärchenexistieren: »Il était une fois…«, »Il y a

1 Jeder Fremdsprachenunterricht ist vom Prinzip her unbedingt ein Anlass zu kulturellenBegegnungen. Doch ein Fremdsprachenunterricht, der auf Interkulturalität als Lernzielund als Lehrprinzip eingestellt ist, systematisiert und optimiert solche Begegnungen. Ergeht nicht von einer Defizithypothese aus, die Fremdheit als ein zu überwindendesDefizit behandelt, sondern vielmehr von einer Differenzhypothese, die die Gleichwer-tigkeit aller an den Begegnungen beteiligten Kulturen und Sprachen bedingt.

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longtemps de cela vivait…«, »Je passe parmon pré, mon conte est terminé«. Aberwenn man das interkulturelle Lernenvertiefen möchte, so muss man auf einentraditionellen afrikanischen Erzählduk-tus zurückgreifen. So wie das Erzählenselbst, ergeben sich auch Eingangs- undSchlussformeln afrikanischer Volksmär-chen aus einer Interaktion zwischen Er-zähler und Publikum. Diese Interaktionist ein Dialog1, der folgendermaßen ver-läuft:

1. Beim Ewe-Volk südlich von Togo undBenin

Erzähler: Hört das Märchen an! Publikum: Möge das Märchen kommen! Erzähler: Das Märchen geht, geht, geht undsetzt sich auf [Namen der Hauptfiguren].

Der Erzähler führt nacheinander die Na-men der Hauptfiguren ein, wobei dasPublikum jeweils mit der Formel »Es setztsich auf ihn/sie«! antwortet. Am Ende derErzählung formuliert der Erzähler eineMorallehre aus der Geschichte, gibt dieQuelle seiner Geschichte an und wirddann mit der Formel »Sei herzlich willkom-men!« vom Publikum beglückwünscht.

2. Beim Batanga-Volk im Süd-Kamerun

Erzähler: Zuhörer, dieses Märchen wirdnicht lange dauern. Publikum: Quatsch. Ein Märchen dauert im-mer lange. Aber lass es uns hören. Erzähler: Na schön! Hier ist es.

3. Beim Wolof-Volk im Senegal Dort beendet ein traditioneller Märchen-erzähler seine Geschichte mit der Formel

»Hier geht das Märchen in das Meer. Derjenige,dem es als Erstem gelingen wird, den Haucheinzuatmen, der geht ins Paradies«!

All diese Formeln, die bei der Verschrift-lichung afrikanischer Volksmärchenkaum berücksichtigt sind, stellen einevolksspezifische Auffassung von Mär-chen dar und ermöglichen damit eineninterkulturellen Vergleich. Volksmärchen thematisieren im Allge-meinen den Konflikt zwischen Gute undBöse, wobei das Gute am Ende immerden Sieg davonträgt. Diese Konstellationscheint eher universal als kulturell be-dingt. Allerdings ist hervorzuheben, dassdas ›Gute‹ und das ›Böse‹ in den starkdurch Animismus geprägten afrika-nischen Volksmärchen keine absolutenKategorien darstellen, sondern immer si-tuativ erfassbar sind. In den durch dasChristentum beeinflussten deutschenVolkserzählungen scheinen diese Kate-gorien a priori definiert zu sein. Dämo-nen, Hexen oder Bestien sind per se bösar-tige Figuren. Ein interkulturell angelegterUmgang mit einer fremdkulturellenVolkserzählung kann zunächst zu derErkenntnis darüber führen, wie sich einbestimmtes Volk das Gute und das Bösevorstellt. In einer interkulturellen Kon-frontation wird dann diese Vorstellungmit der eigenkulturellen Auffassung soverglichen, dass beide sich gegenseitigerhellen. Auch die Märchenfiguren sind von Kul-tur zu Kultur unterschiedlich. Der Figu-rencharakterzug ›Schlauheit‹ wird in denafrikanischen Fabeln häufig durch denHasen oder die Spinne vertreten. In dendeutschen Fabeln übernimmt der Fuchsgenerell diesen Charakterzug. Im Hinter-grund dieser Typisierung steht oft einganzes Symbolspiel. Farben-, Zahlen-oder Naturgegenstandssymbolik verän-dern sich von Kultur zu Kultur. InGrimms Märchen- und Sagensammlun-

1 Ich habe diesen Dialog fast Wort für Wort aus der Originalsprache ins Deutscheübersetzt.

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gen wird zum Beispiel das Schwärzender Haut als Zeichen für Verwünschungaufgefasst. Insofern gewährt das in ei-nem fremdkulturellen Volksmärchen auf-tauchende Symbolspiel auch Einblicke indie Fremdkultur. Aufgrund ihres starken Bezugs zur Reali-tät können sich Sagen in einem interkul-turell ausgerichteten Fremdsprachenun-terricht als sehr aufschlussreich erweisen.Märchen und Fabeln können Varianten inFremdkulturen haben, doch eine Sage istimmer sehr eng mit einem Volk und miteinem Ort verbunden. So schreiben die Brüder Grimm in derVorrede zu Deutsche Sagen: »[D]ie Sage hat das Besondere, daß sie anetwas Bekanntem und Bewußtem hafte, aneinem Ort oder einem durch die Geschichtegesicherten Namen.« (zitiert nach Röllecke1994: 11)

Sie fordere »mehr Ernst und Nachden-ken« (Brüder Grimm, zitiert nach Rölle-cke 1994: 12). So bezieht sich zum Beispieleine Sage wie Die Kinder zu Hameln oderDie Bremer Stadtmusikanten ausschließlichauf die Stadt Hameln bzw. auf die StadtBremen und auf deren Traditionen. Sol-che Sagen wären schwer zu verlagern, siemüssen daher als kulturspezifische›Volkstexte‹ betrachtet werden. JedesVolk hat seine eigenen Sagen, die seineIdentität mitgestalten. In volkstümlichen Erzähltexten kommenbestimmte sprachliche Besonderheitenhäufig vor, wodurch der Wortschatz unddie Ausdrucksweise der Lernenden ver-bessert werden kann. Es geht dabei näm-lich um »geflügelte Worte« wie zum Bei-spiel metaphorische Redewendungen,Redensarten und Sprichwörter. DieseWorte müssen hervorgehoben und imKontext erläutert werden. Dann müssendie Lernenden aufgefordert werden, fürsolche geflügelten Worte Entsprechun-gen aus der eigenen Kultur bzw. aus derMuttersprache zu finden. Dort, wo Fran-

zösisch als Bildungssprache gilt, ist esratsam, Analogien vor allem aus der er-wähnten Sprache aufzuspüren. Dabeimüssen die Lernenden vor etwaigen fauxamis gewarnt werden. Im Übrigen tragen Volkserzählungendazu bei, die Sprichwörter und die Re-densarten, die aus den in diesen Erzäh-lungen dargestellten Erfahrungen herausformuliert sind, besser zu erfassen. Auchin diesem Zusammenhang kann eine in-terkulturell orientierte fremdsprachlicheMärchendidaktik im afrikanischen Kon-text sehr ergiebig sein. Zusätzlich zur Amtssprache Französischwerden in den frankophonen LändernWest- und Zentralafrikas viele andere ein-heimische Sprachen verwendet, von de-nen die meisten über die Grenzen einesLandes hinwegreichen, zum BeispielHaussa, Wolof und Ewe, wodurch sie einekulturelle Einheit bilden. Die kulturelleIdentität des frankophonen West- undZentralafrika schlägt sich nicht zuletzt indem Aufbau der schulischen Curriculader zu dieser Region gehörenden Ländernieder. Nicht von ungefähr werden diesenLändern gemeinsame Lehrmaterialien imDaF-Unterricht zur Verfügung gestellt.Das vierbändige Lehrbuch Ihr und Wir, dasaus einer Zusammenarbeit von afrika-nischen und deutschen Experten entstan-den ist, wird in folgenden Ländern einge-setzt: Benin, Burkina Faso, Kamerun, Ga-bun, Mali, Zentralafrikanische Republik,Senegal und Togo. In diesen Ländern wirdDeutsch als zweite Fremdsprache nachEnglisch in der Sekundarschule unterrich-tet. Im ersten Band des Lehrwerkes Ihr undWir (hrsg. von ZfA/Goethe Institut 1991)kommen Volkserzählungen nicht vor. Imzweiten Band (hrsg. von ZfA/Goethe Ins-titut 1992) stehen zwei Sagen: Die Loreley(vgl. ZfA/Goethe Institut 1992: 70) undDer Mäuseturm von Bingen (vgl. ZfA/Goe-the Institut 1992: 76). Beide Sagen liefern

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jeweils volkstümliche Informationen überden Ursprung und die Bedeutung dergleichnamigen Denkmäler, nämlich desLoreley-Felsens und des Mäuseturms vonBingen. Im dritten Band (hrsg. von ZfA/Goethe Institut 1993) befinden sich dieFabel Der Bauer und der Esel (vgl. ZfA/Goethe Institut 1993: 25) als Text zumLeseverstehen und ein Fragment desVolksmärchens Schneewittchen (vgl. ZfA/Goethe Institut 1993: 79) als Text zur gram-matischen Übung. Systematisch geht aberder vierte Band (hrsg. von ZfA/GoetheInstitut 1995) interkulturell mit Volkser-zählungen um. Diese sind sowohl deut-scher als auch afrikanischer Herkunft undgenregemäß ziemlich mannigfaltig: Para-bel, Sage, Legende und Märchen sind imBand vorhanden. Nun aber wird dieserBand nicht in allen oben erwähnten Län-dern eingesetzt. In den Ländern Togo,Benin, Burkina-Faso, Senegal usw., woDeutsch erst ab der 11. Klasse (Seconde) alsSchulfach ins Curriculum aufgenommenist, werden bis zur 13. Klasse (Terminale)die drei ersten Bände verwendet. Ein effi-zienter interkultureller Umgang mit deut-schen Volkserzählungen kann frühestensab der 13. Klasse stattfinden, denn dasKenntnisniveau der Lernenden im Deut-schen entspricht in dieser Klasse etwa derStufe B1 nach dem Gemeinsamen Europä-ischen Referenzrahmen des Europarats

für Sprachen.1 Bis zu dieser Klasse habendie Lernenden sowohl durch Fremdspra-chenunterricht Deutsch als auch durchandere Fächer wie Geschichte, Geogra-phie und Philosophie oder durch Medien-nachrichten und Augenzeugenberichteauch Einblicke in die zeitgenössischedeutsche Landeskunde und Kultur be-kommen. Diese Vorkenntnisse überDeutschland sind deswegen wichtig, weildie Didaktik der deutschen Volkserzäh-lungen die westafrikanischen Lernendendazu führen soll, die geschichtliche Ent-wicklung der Ideen in Deutschland bzw.den aktuellen Stand der Dinge im Hin-blick auf die Vergangenheit und auf denfrüheren Volksglauben besser zu begrei-fen.

»Ein realistischer Zugang zur fremden Kul-tur und Literatur ist […] von den aktuellenpolitisch-sozialen und kulturellen Verhält-nissen und von der gegenwärtigen Litera-turszene in Deutschland her zu gewinnen.«(Esselborn 2003: 483)

Die Multiethnizität der Klasse kommtebenfalls dem interkulturellen Umgangmit volkstümlichen Erzähltexten zugute.Die Multiethnizität der Klasse sowie diemultikulturelle Kompetenz der afrika-nischen Lernenden gewährleistet eine fa-cettenreiche und multiperspektivischeinterkulturelle Auseinandersetzung mitdeutschen Volkserzählungen.2

1 Der Gemeinsame europäische Referenzrahmen des Europarats für Sprachen bestimmtsechs (6) Sprachbeherrschungsniveaus von A1 bis C2, wobei A1 das niedrigste und C2 dashöchste Niveau repräsentiert. Beim Niveau B2 heißt es, der Lerner »kann die Hauptpunkteverstehen, wenn klare Standardsprache verwendet wird und wenn es um vertraute Dingeaus Arbeit, Schule, Freizeit usw. geht. Er kann die meisten Situationen bewältigen, denenman auf Reisen im Sprachgebiet begegnet. Er kann sich einfach und zusammenhängendüber vertraute Themen und persönliche Interessengebiete äußern. Er kann über Erfahrun-gen und Ereignisse berichten, Träume, Hoffnungen und Ziele beschreiben und zu Plänenund Ansichten kurze Begründungen oder Erklärungen geben«.

2 Afrika ist auf frappierende Weise ein multiethnischer Kontinent. In meisten Schulklassenin Afrika stammen die Lernenden aus unterschiedlichen ethnischen Gruppen. Hinzukommt auch, dass die afrikanischen Lernenden durch die schulische Erziehung vertrautmit europäischen Kulturen gemacht worden sind. Daraus ergibt sich ein kulturellerBackground, der eine interkulturell orientierte Fremdsprachendidaktik begünstigt.

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Die Effizienz einer Anwendung vondeutschen volkstümlichen Erzähltextenhängt aber auch von der Aufstellungeines adäquaten Literaturkanons ab. DaLiteraturlisten »schließlich nur nocheinem erstarrten und nicht mehr reflek-tierten Bildungsverständnis« dienen, istbeim literarischen Curriculum ein »of-fener Kanon« zu empfehlen, der die »Ein-beziehung neuer Literatur«, »Revisionenneuer Erkenntnisse« sowie »Entschei-dungen in konkreten Unterrichtssituati-onen« ermöglicht. Bei der Schaffungeines literarischen Kanons haben aller-dings folgende Kriterien zu gelten: Lite-raturwissenschaftliche Kriterien, Adres-satenbezogenheit und Orientierung anden Zielen des Fremdsprachenunter-richts. Des Weiteren sollen literarischeTexte

»unter dem Gesichtspunkt ausgewählt wer-den, ob sie sich für Interpretations- undKommunikationsgespräche eignen und soindirekt die Erweiterung der Kompetenz inder Fremdsprache fördern« (Glaap 1995:153).

Die oben angeführten Orientierungsmar-ken sind nicht zuletzt für die Auswahlvolkstümlicher Erzähltexte in der Litera-turdidaktik gültig. Doch wenn solcheTexte im Literaturunterricht mit demLernziel ›interkulturelle Kompetenzen‹eingesetzt werden sollen, müssen auchinterkulturelle Aspekte bei der Auswahlmit in Betracht gezogen werden. Darausergeben sich folgende Kriterien: Volks-tümlichkeit des Erzähltextes, seinesprachliche Zugänglichkeit und seine Fä-higkeit, hypothetisch als poetische und kul-turelle Alterität zu fungieren. Unter dem Kriterium ›Volkstümlichkeitdes Erzähltextes‹ ist die klare Zugehörig-keit des Textes zum kulturellen Gemein-

gut eines Volkes zu verstehen. Bei derAuswahl von volkstümlichen Erzähltex-ten in einem interkulturell orientiertenfremdliterarischen Curriculum sindTexte aus dem kollektiven Gedächtnisdes Zielsprachenvolks den Kunstmär-chen vorzuziehen. Darüber hinaus müs-sen solche Texte in der ZielspracheDeutsch gelesen werden, denn dies be-günstigt am besten den Fremdspracher-werb und zugleich einen Einblick in dieZielsprachenkultur. Mit dem Kriterium ›sprachliche Zugäng-lichkeit‹ des Textes ist gemeint, dass derText für die Lernenden lesbar und ver-ständlich sein muss. Insofern sind inMundart verfasste Texte aus dem Corpusauszuschließen,1 denn die afrikanischenLernenden haben es bei einem Fremd-sprachenunterricht nicht mit einem be-stimmten Dialekt der Zielsprache zu tun,sondern mit der Standardsprache. DieLernenden werden dadurch überfordert,einen Text in einem zielsprachigen Dia-lekt zu lesen und zu verstehen. Solltenmundartliche bzw. veraltete Wörter undÄußerungen allerdings in einem stan-dardsprachigen Text vorkommen, somüssen diese hervorgehoben, im Kontexterläutert und ggf. Entsprechungen ausder aktualisierten Standardsprache desDeutschen herausgefunden werden. Die-ses Verfahren ermöglicht neben vielenanderen Vorteilen Einsichten in die Dia-chronie der Zielsprache und damit einbesseres Verständnis der Wörter und Re-dewendungen. Beim dritten Kriterium, nämlich der Fä-higkeit des Textes, hypothetisch als poeti-sche und kulturelle Alterität zu fungie-ren, wird vorausgesetzt, dass sich derText als fremdkulturell auf einen Ver-

1 Die Beschäftigung mit Grimms mundartlichen Märchen wie »Der Alte Hildebrand«oder »Die drei Vügelkens« wären aus sprachlichen Gründen in einem DaF-Unterricht inWestafrika kontraproduktiv.

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gleich bzw. auf eine Auseinandersetzungmit eigenkulturellen Texten oder Erfah-rungen einlässt. Mit anderen Worten sollman sich zunächst der Relevanz einessolchen Vergleichs vergewissern. DerVergleich ist aber erst möglich, wennErfahrungen und Kenntnisse aus der ei-genen Kultur bzw. aus der eigenen Lite-ratur vorhanden sind (siehe dazu:Alioune Sow 1986: 121; Simo 1987: 694).In Bezug auf den Märchenunterricht inAfrika sind Buchmärchen als Material-vorlage zu empfehlen, weil die meistenDaF-Lehrenden keine deutschen Mutter-sprachler sind und teilweise deswegennicht nach dem Duktus der deutschenOraltradition erzählen können. Außer-dem ist Geschichtenerzählen eine selbst-ständige Kunst, die eine entsprechendeBegabung verlangt. Freilich können, jenach den rezeptiven und produktivenFertigkeiten (z. B. Hörverstehen, Sprech-fähigkeit), die gefördert werden wollen,hierbei auch auditive und audiovisuelleMedien in Einsatz gebracht werden. Aufjeden Fall verschärft diese Methode deninterkulturellen Vergleich und bringt da-bei zugleich intermediale Parameter mitin den Vergleich ein. Die afrikanischenDaF-Lernenden können dadurch die Er-fahrungen und Kenntnisse, die sie beiihrer ersten Sozialisation in der oralenKultur ihrer Heimat gesammelt haben,und das aus dem fremdliterarischen Textgewonnene kulturelle Wissen in eineminterkulturellen Gespräch miteinanderverknüpfen. Zu diesen Kriterien ist selbstverständlichhinzuzufügen, dass der auszuwählendeText das Interesse der Lernenden zu erre-

gen vermögen muss. Hierbei können dieempirischen Erfahrungen des DaF-Leh-renden ins Spiel gebracht werden. Ich möchte zum Schluss festhalten, dasseine interkulturell angelegte Didaktik derVolkserzählungen im Rahmen des DaF-Unterrichts den afrikanischen LernendenAnlass zum Erwerben von sprachlichenund interkulturellen Kompetenzen bie-tet. Sie ermöglicht ihnen, eigene Volkser-zählungen neu zu reflektieren und ohneMinderwertigkeitskomplex als Teil derumfangreichen Weltliteratur einzustufen. Da eine Auseinandersetzung mit Volks-erzählungen im DaF-Unterricht die Pers-pektive der afrikanischen Lernenden aufbesondere Weise schärft und dem inter-kulturellen Lernen Vorschub leistet,sollte sie entsprechend gefördert werden.Und zumal sich frankophone LänderWest- und Zentralafrikas mit der Anwen-dung des Lehrwerks Ihr und Wir klar fürInterkulturalität als Lernziel und Unter-richtsmethode beim DaF-Unterricht er-klärt haben, plädiere ich für den Einsatzvon mehr Volkserzählungen beim DaF-Unterricht in den letztgenannten Län-dern. Für die Lernenden, die sich nichtmit dem vierten Band des Lehrwerks Ihrund Wir in der Sekundarschule befassthaben, kann dies im ersten Semesterbeim Deutschsprachkurs an der Univer-sität – etwa an den Départements d’Alle-mand, deren Curricula interkulturell auf-gebaut sind – nachgeholt werden, nochbevor das Lehrbuch Deutsch für die Mittel-stufe (Adler/Steffens 1993)1 oder ein ver-gleichbares Lehrwerk zum Einsatzkommt.

1 Es handelt sich dabei um ein Lehrwerk, das zwar seinen Schwerpunkt nicht aufInterkulturalität legt, das aber seit langer Zeit als Lehrbuch im Grundkurs (1. und 2.Semester) und im Sprachkurs (3. und 4. Semester) am Département d’Allemand derUniversität Lomé gebraucht wird.

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Literatur Adler, Klaus; Steffens, Benno: Deutsch für die

Mittelstufe. Texte und Übungen. München:Hueber, 1993.

Bluhm, Lothar: »Märchen. Versuch einerliteratursystematischen Beschreibung«.In: Märchen-Stiftung Walter Kahn(Hrsg.): Märchenspiegel. Zeitschrift für in-ternationale Märchenforschung und Mär-chenpflege, MSP 1/00. Baltmannsweiler:Schneider Hohengehren, 2000, 12–13.

Brandes, Volkhard: »Vorwort« zu: NasrinSiege: Kalulu und andere afrikanische Mär-chen. Frankfurt am Main: Brandes & An-sel, 2002, 9–10.

Brüder Grimm (Hrsg.): Deutsche Sagen.Ausgabe auf der Grundlage der erstenAuflage. Editiert und kommentiert vonHeinz Rölleke (Bibliothek deutscherKlassiker 116). Frankfurt am Main: Deut-scher Klassiker Verlag, 1994, 11–24.

Esselborn, Karl: »Interkulturelle Literatur-didaktik«. In: Wierlacher, Alois; Bogner,Andrea (Hrsg.): Handbuch interkulturelleGermanistik. Stuttgart; Weimar: Metzler,2003, 480–486.

Freund, Winfried: Märchen. Eine Einführung.München: Fink, 1996.

Glaap, Albert-Reiner: »Literaturdidaktikund literarisches Curriculum« In: Bausch,Karl-Richard; Christ, Herbert; Krumm,Hans-Jürgen (Hrsg.): Handbuch Fremd-sprachenunterricht. 3. überarbeitete underweiterte Auflage. Tübingen: Francke,1995, 149–156.

Märchenstiftung Walter Kahn (Hrsg.): Mär-chenspiegel. Zeitschrift für internationaleMärchenforschung und Märchenpflege, MSP1/100. Baltmannsweiler: Schneider Ho-hengehren 2000, 12–13.

Simo, David: »Germanistik und Selbstfin-dung. Zur Dialektik Fremdverstehen-Selbstverstehen« In: Wierlacher, Alois(Hrsg.): Perspektiven und Verfahren inter-kultureller Germanistik. Akten des I. Kon-gresses der Gesellschaft für interkulturelleGermanistik. München, 1987, 693–700.

Sow, Alioune: Germanistik als Entwicklungs-wissenschaft? Überlegungen zu einer Litera-turwissenschaft des Faches »Deutsch alsFremdsprache« in Afrika. Hildesheim; Zü-rich; New York: Olms, 1986.

Zentralstelle für das Auslandsschulwe-sen/Goethe Institut (Hrsg.): Ihr und Wir.Textbuch I. Hamburg: Heinevetter, 1991.

Zentralstelle für das Auslandsschulwe-sen/Goethe Institut (Hrsg.): Ihr und Wir.Textbuch II. Hamburg: Heinevetter, 1992.

Zentralstelle für das Auslandsschulwesen/Goethe Institut (Hrsg.): Ihr und Wir. Text-buch III. Hamburg: Heinevetter, 1993.

Zentralstelle für das Auslandsschulwesen/Goethe Institut (Hrsg.): Ihr und Wir. Text-buch IV. Hamburg: Heinevetter, 1995.

Akila Ahouli Geb. 1977 in Lomé (Togo). Nach demAbitur (Bac A4: Philosophie und Litera-tur) Studium der Germanistik, Romanis-tik und Erziehungswissenschaft an derUniversité de Lomé und an der LeibnizUniversität Hannover. 2001: Magisterar-beit über das Thema: »Das Unerhörteund die Entfremdung in Franz Kafkas DieVerwandlung und in Birago Diops DieHaxe«. 2003–2006 Promotionsstudium ander Leibniz Universität Hannover miteinem DAAD-Stipendium. Thema derDoktorarbeit: »Stilisierung und Funktio-nalisierung einer oralen Kultur und einesmündlichen Erzählens in afrikanischenund deutschsprachigen Erzähltexten«.2005: Erwerbung einer DaF-Zusatzquali-fikation an der Leibniz Universität Han-nover. Seit März 2007 Dozent an derUniversité de Lomé. Honorarlehrer imGoethe Institut Lomé.

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»Der Laie ist dem Linguisten sein Feind«

Anmerkungen zur Auseinandersetzung um Bastian SicksSprachkolumnen

Manfred Kaluza

1. Einleitung: Flurbereinigung undÜberlieferungszusammenhang Zwei Tatsachen machen die Beschäfti-gung mit Sprache zu einer verflixten An-gelegenheit. Da alle sie benutzen, ist derSchritt, sie zum Gegenstand der Erkennt-nis oder Kritik zu machen, scheinbar einkleiner. Viele Selbstberufene treten aufden Plan und stiften Verwirrung, weil sievorgeben, die Sorgen und Nöte derSprachbenutzer ernst zu nehmen. BastianSick ist einer von ihnen, ein Parvenu,dessen Einlassungen zur deutschen Spra-che eine große Öffentlichkeit erreichenund mit ihrer Mischung aus Unterhaltungund Belehrung viele Menschen anspre-chen. Werner Roggausch verortet ihn ander »Schnittstelle von Sprachwissen-schaft, Pädagogik und Unterhaltung«(Roggausch 2007: 527). Solch schillerndeParadiesvögel aber sind den wahrhaft Be-rufenen, den Wissenschaftlern, die die

Sprache als ihren Gegenstand definieren,kurz den Linguisten, und den Sprachleh-rern, die sie zum Gegenstand der Vermitt-lung machen, ein Dorn im Auge. IhreAufgabe sehen sie darin, auf dem weitenFeld der Beschäftigung mit Sprache eineFlurbereinigung durchzuführen, das Feldzu vermessen, in kleinere Felder mit spezi-alisiertem Anbau zu unterteilen, Begriffedafür zu prägen und darauf zu achten,dass die Grenzen scharf markiert bleiben.1

So wurde den Selbstberufenen, die sichum den Zustand der Sprache sorgen undsie deshalb pflegen möchten, das Feld derLaien-Linguistik (Antos 1994) zugeteilt,dem Maintz/Elspaß jegliche Legitimitätabsprechen. Sie dulden in ihrem Text Sickallenfalls auf dem Feld der Unterhaltung,bekanntlich »Geschmackssache«, auf denFeldern der Sprachpädagogik, ge-schweige denn der Linguistik, hat er ihrerMeinung nach nichts zu suchen.

Zur Diskussion gestellt

1 Ein Beispiel von Maitz/Elspaß: »Es gibt ja im Grunde zwei Arten von Grammatiken (…),nämlich 1. linguistische (wissenschaftlich-beschreibende) und 2. didaktisch oder päda-gogisch angelegte Grammatiken (Lernergrammatiken)«. (Maitz/Elspaß 2007: 517)

Info DaF 35, 4 (2008), 432–442

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Neben der notwendigen, aber nicht im-mer übersichtlichen Flurbereinigung gibtes eine zweite Komplikation: den Überlie-ferungszusammenhang. Alles über Spra-che scheint bereits gedacht und gesagt zusein, mag es uns bewusst sein oder nicht.Ersparen wir uns an dieser Stelle die Ur-sprungserzählungen (»Am Anfang wardas Wort«), und die bedeutenden Er-kenntnisse früher Hochkulturen. DieGriechen, sprachphilosophisch und er-kenntnistheoretisch bahnbrechend, warenjedoch genau wie die Römer sehr auf ihreeigene Sprache fixiert und linguistischnicht so interessiert. Erst das viel geschol-tene »finstere« Mittelalter blickte in sei-

nem »Herbst« über die Grenzen der eige-nen Sprache hinaus und untersuchte im-mer systematischer die Volkssprachen, diesich von dem antiken Erbe emanzipiertenund im Laufe der Zeit aus verschiedenenregionalen Varianten eine zumindest imSchriftverkehr verbindliche Standard-sprache herausbildeten. Eine dieser Sprachen war die deutsche,zu allen Zeiten heftig umkämpft wie dieanderen Sprachen auch. Wer würde be-streiten, dass die folgende tabellarischeGegenüberstellung den Positionen, wiesie Maintz/Elspaß und Roggausch inInfo DaF 34, 5 (2007) vertreten haben,nahe kommt?

Mehr als 200 Jahre, grundlegende Er-kenntnisse und viel voll geschriebenesPapier weiter, lässt sich der Unterschiedzwischen den beiden Texten so formulie-ren: Maintz/Elspaß beginnen mit sprach-lichen Tatsachen und enden bei gesell-schaftlichen Zielvorstellungen. Rog-gausch beginnt mit sprachlichen Zielvor-stellungen und endet bei gesellschaft-lichen Tatsachen. Maintz/Elspaß’ deskriptiv-positivisti-sches Verständnis von sprachlicher Rich-tigkeit wäre in der Tat »banal und belang-los«, wenn es die diesem Verständnisunterliegenden Zielvorstellungen vonder Sprachgemeinschaft1 nicht gäbe.

Maintz/Elspaß halten Sicks Kolumnenfür nicht zeitgemäß, denn sie passennicht zu einer »modernen, toleranten Ge-sellschaft« (vgl. Maintz/Elspaß 2007:516). Diese Sprachgemeinschaft beruhtauf abstrakten Leitbildern, auf die sich(hoffentlich) eine Mehrheit schnell eini-gen kann: Vor der Sprache sind allegleich, niemand sollte aufgrund seinestatsächlichen Sprachgebrauchs diskrimi-niert werden, weder sozial, regional nochgeschlechtsspezifisch. Maintz/Elspaß’skrupulöse, differenzierte, genaue Be-schreibung des tatsächlichen Sprachge-brauchs, mit faktischer Richtigkeit ausge-stattet, findet in einer Sprachgemein-

Sturm und Drang Aufklärung Diatopisch Dialekte aller Regionen Sächsisch-Meißnerischer Dialekt Diastratisch Sprache der niederen Schichten Sprache der Schriftsteller

(Wieland) oder der oberen Schichten (Adelung)

Ziel Ursprungsnähe, Emotionalität Verfeinerung, Deutlichkeit Legitimation quasi-demokratisch elitär-traditionell

(Sprachnormenkonzepte in Aufklärung und Sturm und Drang, entnommen aus Scharloth2000: 48)

1 Ich benutze die Begriffe ›Sprachgemeinschaft‹ und ›Gesellschaft‹ synonym, obwohl sienicht deckungsgleich sind.

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schaft statt, die nur als Ideal in ihrenKöpfen, eben als Zielvorstellung, exis-tiert. Roggausch verfährt umgekehrt, seinAusgangspunkt ist ein abstraktes Kons-trukt, die Standardsprache, die in realitervon niemandem gesprochen oder ge-schrieben wird, und er begibt sich vondort in die Niederungen einer Sprachge-meinschaft voller Defizite, Ungleich-heiten, Diskriminierungen, Kränkungen.Man muss den kulturpessimistischenDuktus seines Textes nicht unbedingt tei-len, um den realistischen Gehalt einernormbasierten Sprachgemeinschaft zuerkennen und sein Bedürfnis nach Orien-tierung zu verstehen. Ich möchte meine folgenden Anmer-kungen zu dieser Auseinandersetzungzweiteilen und zunächst zur StreitfragePosition beziehen: Sind Bastian Sicks Ko-lumnen für den Deutsch als Fremdspra-che-Unterricht geeignet? Hier folge ichder kritischen, diese Frage verneinendenPosition von Maintz/Elspaß. Im zweitenTeil möchte ich mich mit dem Sprach-und Wissenschaftsverständnis vonMaintz/Elspaß auseinandersetzen, des-sen Pointe ich in dem Dilemma des Goe-theschen Zauberlehrlings sehe, der dieGeister, die er ruft, nicht mehr loswird.Das Sprach- und Wissenschaftsverständ-nis von Maintz/Elspaß, die aus dem tat-sächlichen, vor allem mündlichenSprachgebrauch faktische Richtigkeit fol-gern, führt zu einem »babylonischen Va-rietätengewirr«1, das nach Leuten wieSick, die einem breiteren Publikum Infor-mationen und auch Orientierung im »Irr-garten Sprache« geben wollen, geradezuschreit. Es ist mehr als amüsant zu lesen,wie Maintz/Elspaß in ihrem Text versu-

chen, von Zauberlehrlingen in die Rolleder alten Meister zu schlüpfen, denen esobliegt, den Geist von Sicks Kolumnenwieder in die Flasche zu bannen. Dassihnen dies nicht gelingt, ja gar nicht gelin-gen kann, möchte ich trotz meiner unver-hohlenen Sympathie für ihre Zielvorstel-lungen im zweiten Teil zeigen. Hier folgeich Roggausch, der Sprachgebrauch undSprachwandel als »normgesteuert« cha-rakterisiert. In bester Laienmanier werdeich induktiv vorgehen und ein Beispieldiskutieren.

2. Der Anlass: Sind Bastian SicksSprachkolumnen für den Deutsch alsFremdsprache-Unterricht geeignet? Ich halte Sicks Kolumnen nicht für geeig-net für den Deutsch als Fremdsprache-Unterricht, egal auf welcher Stufe, insbe-sondere aber dort, wo mit einer Spracher-werbsprogression gearbeitet wird. Hierfolge ich den Argumenten von Maintz/Elspaß und finde es auch legitim, imUnterschied zu Roggausch, Sick »an Ka-tegorien der wissenschaftlichen Gram-matik zu messen« (Maintz/Elspaß 2007:527), da die Wissenschaftsorientierungein wesentliches Kriterium für den imUnterricht zu vermittelnden Stoff seinsollte. Zusammenfassend lassen sich folgendeGründe gegen die Benutzung von SicksKolumnen anführen: 1. Sie sind, im Unterschied zu Gramma-

tiken und Sprachlehrwerken, unsyste-matisch aufgebaut. Aus den Titeln derKolumnen kann man häufig nicht ih-ren Gegenstand erkennen, sie ladeneher zum zerstreuten Blättern als zumkonzentrierten Lesen ein. Zum Nach-

1 Dem »Varietätengewirr« folgt das »Begriffsgewirr«. Einen in seiner Aussichtslosigkeitheroischen Versuch, das »Drunter und Drüber beim Definieren« zu lichten, unternimmtLöffler (2004).

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schlagen irgendwelcher Probleme sindsie gänzlich ungeeignet.

2. Sie sind manchmal fehlerhaft, oft ein-fach nur ungenau, so schlägt Sick in derKolumne »Deutsch strikes back!« (SickFolge 3 2006: 87–95) statt aktuell ge-bräuchlicher englischer Fremdwörternicht nur deutsche Wörter, sondernauch eingebürgerte Fremdwörter vor,ohne dies deutlich zu machen.

3. Sie sind weitgehend irrelevant, da siehäufig auf Zweifelsfällen, Kuriositätenund Spitzfindigkeiten beruhen.

4. Sie unterscheiden zu wenig und zuungenau zwischen mündlichem undschriftlichem Sprachgebrauch.

5. Sie geben die Quellen ihrer Weisheitnur gelegentlich und dann auch nochungenügend preis. Für den Sprachleh-rer ist es schwer, die diskutierten Bei-spiele zu überprüfen und sie gegebe-nenfalls zu relativieren oder zu korri-gieren.

6. Sie sind für Deutschlerner, ich be-haupte selbst für Muttersprachler, sehrschwer zu lesen. Dies hängt mit denMerkmalen der Textsorte »Kolumne«zusammen, die meinungsbetont undkommentierend ist und viele stilis-tische Eigentümlichkeiten des Verfas-sers aufweist. Zwar lassen die Kolum-nen eine grobe Struktur erkennen, diedie wiederholte Lektüre erleichtert,aber der Schreibstil, eine Mischung aussachlich, informativ, schnoddrig, veral-bernd, herablassend, noch dazu ge-spickt mit »aktualitätstrunkenen« Ver-satzstücken aus der bundesrepublika-nischen Medienlandschaft, macht dieLektüre im Unterricht oder zu Hauseselbst für fortgeschrittene Lerner sehr,sehr schwer. Diese ungute stilistischeMischung zeigt sich bereits in derdurch ein unterschiedliches Druckbildabgesetzten Hinführung zum Thema,steigert sich in den häufig genutzten,auf einer Skala von »gequält witzig«

bis »an die Schmerzgrenze peinlich«anzusiedelnden Rahmenerzählungen,und erreicht in der bemühten und ge-häuften Integration der diskutiertenBeispiele in den laufenden Text ihrenHöhepunkt. Die hin und wieder ange-hängten Tabellen können, wenn sienicht der Rubrik »Aufgespießt« zuzu-ordnen sind, aus Sprachlehrwerkenund Lernergrammatiken systemati-scher, vollständiger und fehlerfreierentnommen werden.

7. Aus Punkt 6 folgt, dass ein möglicherErkenntnisgewinn in keinem Verhält-nis zum Aufwand steht, den man zursprachlichen Erschließung der Kolum-nen benötigt. Zugespitzt formuliert:Welche Lernziele soll ein Fremdspra-chenunterricht erreichen, der BastianSicks Kolumnen empfiehlt und be-nutzt?

8. Das Hauptargument für Sick, nämlichin Zeiten der sprachlichen Verunsiche-rung bei einer großen Leserschaft einBewusstsein für den Gebrauch derSprache zu schaffen, gilt ebenfalls eherfür Muttersprachler. Und auch hiernagt bereits der Zweifel. Setzt die Lek-türe nicht ein bestimmtes Bildungsni-veau und ein, möglicherweise autodi-daktisch gewonnenes, Sprachbewusst-sein voraus? Was bleibt also jenseits derUnterhaltung? Erst recht, wie sollenDeutschlerner, die ihr Sprachbewusst-sein und ihr Reflexionsvermögendurch das Erlernen einer Fremdspra-che bereits schulen, von der Lektüreder Kolumnen profitieren, zumal ihrBildungswert gegen null tendiert?Keine kultur- und sprachgeschicht-lichen Referenzen, kein funkelnderAphorismus, der einem GedankenForm gibt, nur postmoderne Intertex-tualität und Ironie.

Allenfalls kann man sich Sicks Kolumnenals Unterrichtsgegenstand in thematischorientierten Kursen innerhalb linguisti-

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scher Studiengänge vorstellen, wenn esum Laien-Linguistik (Sprachpflege,Sprachkritik, Sprachberatung) geht, undda schneidet Sick nicht nur im Vergleichmit dem Studienabbrecher und sprach-lichen Scharfrichter Karl Kraus schlechtab. Es ist auch zweifelhaft, ob BastianSick im sprachkritischen und sprachpfle-gerischen Überlieferungszusammenhangeine wesentliche Rolle spielen wird. Alsein »Zeitgeistphänomen« wird er wohlbald wieder vergessen sein.

3. »Über den Anlass hinausgehend«:Das Sprach- und Wissenschaftsver-ständnis von Maintz/Elspaß

Das Beispiel: Die tun-Fügung Im Mai 2005 strahlte der FernsehsenderArte den Fernsehfilm »In Sachen Kamin-ski« aus. Die Geschichte beruht auf einertatsächlichen Begebenheit; es handeltsich, wie der Titel bereits suggeriert, umeinen Justizfall. Einem Ehepaar wurdevon deutschen Gerichten das Sorgerechtfür ihre beiden Töchter (im Film eineTochter) mit der Begründung entzogen,dass »die Eltern intellektuell nicht in derLage sind, ihre Kinder ordnungsgemäßzu erziehen«. Die Kinder kamen in Pfle-gefamilien und der Fall wurde vor demEuropäischen Gerichtshof für Menschen-rechte in Straßburg verhandelt, der wie-derum die Rechtsprechung der bundes-republikanischen Instanzen aufhob unddie Kinder ihren Eltern zuführte. Schonder faktische, chronologisch geordneteund juristisch relevante Teil der Leidens-geschichte liest sich wie die Skizze einesDrehbuchs.1 Die Verfilmung dieses tragischen Falles,atmosphärisch stimmig inszeniert undmit hervorragenden Schauspielern be-

setzt, geizt nicht mit Schwarz-weiß: hierdie fürsorglichen, liebenden Eltern, dortdie herzlosen und kalten Agenten desStaates. Doch wie stellt man den CasusBelli, die intellektuellen Defizite der El-tern, dar? Wie bringt man die Zuschauerdazu, von einer konkreten filmischenDarstellung auf ein abstraktes Merkmalzu schließen? (Die folgenden Beispielebeziehen sich hauptsächlich auf den Va-ter, außerordentlich beeindruckend ge-spielt von Matthias Brandt, dem Sohnvon Willi Brandt). Ein äußeres Merkmal, wie z. B. eine großeBrille mit dicken Gläsern? Kann man voneiner Sehschwäche auf den Intellektschließen? Trug oder trägt nicht ein Groß-teil hoch gebildeter und belesener osteu-ropäischer Dissidenten solche Modelle?Oder der tatsächliche mündliche Sprach-gebrauch? Kann man vom Sprachge-brauch auf die Begabung schließen? Aufdie Frage der Tochter, was ein »Brock-haus« sei, antwortet der Vater: »Wennman was nicht wissen tut, dann ist dasnicht schlimm.« Ist der inhaltliche Aspektdieses Beispiels ein Indikator für Minder-begabung? Sicherlich nicht, denn werwagte eine Schätzung, für wie viel Pro-zent der Bevölkerung in Deutschland derBrockhaus kein Nachschlagewerk, son-dern ein Fertighaustyp ist, und das trotzder Markierung durch das Maskulinum.Nein, der Drehbuchschreiber wählte die»tun-Fügung«, und den hier nicht behan-delten possessiven Genitiv, die vom Vater(und auch von der Mutter) gebetsmüh-lenhaft und ostentativ gebraucht werden,um beim Zuschauer den Schluss auf in-tellektuelle Defizite auszulösen. Dieses ernste Beispiel bekommt eine an-ekdotische Wendung. Im September 2005fand in Oxford ein Treffen für ehemalige

1 http://www.coe.int/T/D/Menschenrechtsgerichtshof/Dokumente_auf_Deutsch /Volltext/Urteile/20020226_Kutzner_U.asp#TopOfPage) [Zugriff: 28.12.2007]

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DAAD-Lektorinnen und Lektoren inGroßbritannien und der Republik Irlandstatt. Im Rahmen des Fortbildungspro-gramms besuchte ich eine Arbeitsgruppevon Prof. Elspaß mit dem Titel »WhichGerman? Variation in German and theteaching of German as a foreign Lan-guage«. Prof Elspaß präsentierte nebenvielen anderen Beispielen für Standard-varietäten des Deutschen die »tun-Fü-gung«. Sie werde gesprochen (tatsächlichgebraucht) und sei deshalb akzeptiert.Auf meinen Einwand, die gehäufte Be-nutzung genau dieser Form sei mir voreinigen Wochen in einem Fernsehfilm alssignifikantes Merkmal für Minderbega-bung begegnet, wollte und konnte ernicht eingehen, und das nicht nur, weilder tatsächliche Gebrauch als Folgerungdie faktische Richtigkeit nach sich zieht.Es schien, als lebten Linguist und Sprach-lehrer in Paralleluniversen.

4. Strukturanalogie und Sprachgemein-schaft als »ärgerliche Tatsache« Ohne die großen Unterschiede zwischendem Wissenserwerb im Alltag und demin der Wissenschaft verkleinern zu wol-len (siehe dazu Antos 1996: 28–34),möchte ich doch auf eine Strukturanalo-gie hinweisen. Zwei Phänomene werdenmiteinander in Beziehung gesetzt und eswird ein kausaler Zusammenhang herge-stellt. Der Drehbuchschreiber stellt dentatsächlichen mündlichen Sprachge-brauch seiner Hauptfiguren dar, legt ih-nen Worte in den Mund, um beim Zu-schauer eine Korrelation mit intellektu-ellen Defiziten auszulösen.1

Solche Korrelationen auf induktiver Basiswerden so vollzogen wie der tatsächlicheSprachgebrauch, ohne Regelbeschrei-bungen, ohne Grammatiken, was ja »nichtnur überflüssig, sondern geradezu sinn-los« (Maintz/Elspaß 2007: 517) ist. AuchLinguisten korrelieren häufig auf induk-tiver Basis den tatsächlichen Sprachge-brauch mit außersprachlichen Merkmalenwie Sozialstruktur, Kognition und regio-nale Verteilung. Das Problem besteht da-rin, diesen erhobenen Daten faktischeRichtigkeit zuzubilligen. An keiner Stellewird deutlich, warum aus Äußerungeneinzelner Sprecher faktische Richtigkeitfür die Sprachgemeinschaft gefolgert wer-den soll. Ja, mir ist aus dem Text vonMaintz/Elspaß gar nicht klar geworden,wer eigentlich spricht: einzelne Sprecheroder die Sprachgemeinschaft. Der Soziologe Ralf Dahrendorf (1977) be-zeichnet die Gesellschaft als »ärgerlicheTatsache«. Gemeint ist damit, dass unserVerhalten, also auch unser Sprachge-brauch, von den Erwartungen der Gesell-schaft quasi »ferngesteuert« wird, so dasswir uns diesen Erwartungen nie entzie-hen können (»Tatsache«), ob wir wollenoder nicht (»ärgerlich«). Diese Erwar-tungen sind normativ gesteuert, sie zie-hen positive oder negative Sanktionen(bis hin zum Kindesentzug!) nach sich.Sie lassen sich auf Wertvorstellungen zu-rückführen, ein Abstraktionsschritt, derim tatsächlichen Sprachgebrauch häufignicht vollzogen wird, und außerdemkaum berücksichtigt, dass Wertvorstel-lungen in einer Sprachgemeinschaft im-mer in Konflikt miteinander liegen, wasnicht zuletzt die Kontroverse in Info DaF

1 Dieser Zusammenhang ist keineswegs wissenschaftlich erwiesen. Noch eine Anekdote:In einem »Schnellschuss« hat der Erziehungswissenschaftler und Präsident der FreienUniversität Berlin, Prof. Dieter Lenzen, genau diesen Korrelationsschluss (sprachlicheDefizite � intellektuelle Defizite) bei Kindern mit Migrationshintergrund (vor allemtürkischen) nahe gelegt. Bedauerlicherweise in der Berliner Lokalpresse, was zu einemSturm der Entrüstung führte und ein Dementi veranlasste.

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zeigt. Auch wir bewerten unseren Ge-sprächspartner, wenn er sehr häufig die»tun-Fügung« benutzt, allerdings sindunsere Werturteile ihrerseits wieder be-stimmt von unserer Position in der Ge-sellschaft und den damit verbundenenErwartungen. So lassen sich unterschied-liche Reaktionsweisen auf den Vater er-klären. Für Maintz/Elspaß wäre der Va-ter vielleicht ein interessantes Beispiel fürden Gebrauch der tun-Fügung in derAlltagssprache einer bestimmten Regionbzw. Schicht, für einen Sprachlehrer feh-lerhaftes Deutsch, für einen Personalchefschlechtes Deutsch. Nicht der tatsächliche Sprachgebrauchbestimmt, was richtig oder falsch, korrektoder unkorrekt, gelungen oder misslun-gen, angemessen oder unangemessen ist,sondern die Bewertung durch dieSprachgemeinschaft, die allerdings nachder »normativen Reichweite« ihrer Be-wertungen sehr differenziert werdenmuss.1 Bis in den Elfenbeinturm derdeskriptiv-positivistischen Linguistik/Grammatik verfolgen uns normgesteu-erte Erwartungen.

5. Dominanz der Performanz In der Streitfrage um die tun-Fügunghätte eine Unterscheidung zwischen demmündlichen und schriftlichen Sprachge-brauch weiterhelfen können, aber eskann nicht sein, was nicht sein darf. Einenegative Bewertung einer im gespro-chenen Alltagsdeutsch geläufigen Formwürde dem Sprachverständnis vonMaintz/Elspaß zuwiderlaufen und ihrForschungsparadigma konterkarieren.Beides leidet meiner Meinung nach untereiner Überbetonung des mündlichenSprachgebrauchs. Schon spricht Gerhard

Helbig (2007) von einer »performativenWende«. Er weist darauf hin, dass eine zustarke Orientierung an der Performanz »… mindestens nach dem Verständnis Cho-mskys – auch ausdrücklich psychologischund anders bedingte Defekte einschließt,d. h. Äußerungen, deren Oberflächenstruk-tur nicht wohlgeformt ist« (Helbig 2007: 8).

Ausgerechnet die Sprecher, deren Ober-flächenstruktur nicht »wohlgeformt« ist,haben die größten Schwierigkeiten, sol-che Strukturen in der »standardsprach-lichen Schriftlichkeit« zu vermeiden. Sieversperren Maintz/Elspaß ihre »argu-mentative Hintertür«: »Selbst die Sprecher, die die (von BastianSick, M. K.) zitierten Strukturen benutzen,würden diese wohl kaum in der standard-sprachlichen Schriftlichkeit gebrauchen.«(Maintz/Elspaß 2007: 520)

Eine Brücke zum schriftlichen Sprachge-brauch, der weniger spontan und reflek-tierter ist, außerdem mehr Möglichkeitender Selbstkorrektur zulässt, kann so nichtgebaut werden. Überall lauert in der »ge-schriebenen Standardvarietät« eine »sprach-aristokratische, vorwissenschaftlich-nor-mative Haltung«, ein »aristokratisch-in-toleranter« Umgang mit Sprache.

6. Forschungsparadigma Der Begriff »Paradigma« stammt vondem berühmten amerikanischen Wissen-schaftshistoriker Thomas S. Kuhn, der inseinem Buch Die Struktur wissenschaft-licher Revolutionen die irrationalen undpsychologischen Aspekte herausgearbei-tet hat, die einen »Paradigmenwechsel«in einzelnen Wissenschaften auslösen.Maintz/Elspaß stehen nicht allein mitihrer Auffassung, sie beschreiben sich alsMitglieder einer Gruppe, wie aus demfolgenden Zitat deutlich wird:

1 Ammon (2004) identifiziert als »normsetzende Instanzen«: Modellsprecher- oder -schrei-ber, Sprachkodifizierer, Sprachexperten (»Fach- oder auch Laienlinguisten«), Sprach-normautoritäten.

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»… und gegen die (Sicks Auffassung vonSprachrichtigkeit und Sprachpflege, M. K.)wir – zusammen mit zahlreichen Kolle-gInnen an deutschen und ausländischenHochschulen weltweit – auf argumenta-tiven Wegen zu kämpfen versuchen.«(Maintz/Elspaß 2007: 516)

Was ist der inhaltliche und methodischeKern dieses Paradigmas? Die Beschreibung des mündlichenSprachgebrauchs in allen Variantenmeint die Rehabilitierung der Alltags-sprache/Umgangssprache. Das Interesserichtet sich also auf die Lebenswelt der sogenannten kleinen Leute, die ohne großeschriftliche Hinterlassenschaften dem be-schleunigten technologischen und sozi-alen Wandel besonders stark ausgesetztsind und deshalb eine Stimme benötigen,die ihre Lebenswelt vor dem Verschwin-den bewahrt. Diese Verschiebung des In-teresses gilt nicht nur in der Linguistik,sondern auch in anderen Disziplinen, wiez. B. der Europäischen Ethnologie, denKulturwissenschaften, vor allem aber inder Geschichtswissenschaft (Oral his-tory). Der zentrale Unterschied zwischenden genannten Disziplinen und der Lin-guistik der Alltagssprache liegt darin,

»… dass Sprache als ein Gegenstand derBetrachtung der Erklärung deutlich nähersteht als alle anderen möglichen Betrach-tungsgegenstände. Denn da wir grundsätz-lich alles nur durch Sprache erklären kön-nen, so ergibt sich bei Sprache als Betrach-tungsgegenstand die erkenntnistheore-tische Besonderheit, dass Sprache sich nurdurch Sprache, also durch sich selbst erklä-ren lässt.« (Wängler 1966: 23)

Von der Bedeutung der Äußerungen undhäufig auch vom pragmatischen Kontext,in dem sie gemacht werden, abstrahiertder Linguist. Die Perspektive ist »vonunten«, wie ein Blick in die Publikationenvon Prof. Elspaß (2004, 2007) verrät. Wirdder Sprachwandel diachron untersucht,ist es eine »Diskriminierungsgeschichte«der Alltagssprache, geschrieben von, in

ihren Augen, Laienlinguisten. Schlechte(nicht wohlgeformte) Sprache wird dem-entsprechend gemacht, wie spannendesprachhistorische Studien u. a. zur »tun-Fügung« (vgl. Davies/Langer 2006: 211–223) belegen. In auffallendem Kontrast zu dem diachro-nen Aspekt dieses Forschungsparadigmassteht die synchrone Auffassung vonSprachwandel, die Maintz/Elspaß in ih-rem Text darlegen. Ohne diese Auffassungim Detail zu durchleuchten, fällt doch auf,dass der Sprachwandel selbst regulierenderfolgt, Norm setzende Personen oder Ins-tanzen keine Rolle spielen. Sie erinnert andie Geschichte vom Hasen und Igel, beider der Hase, der Linguist, eine Moment-aufnahme des gegenwärtigen Sprachge-brauchs erstellt, und der Sprachwandelwegen seines kontinuierlichen Fortschrei-tens wie der Igel »Ich bin all hier!« ruft.Möglicherweise kann dieser Widerspruchzwischen synchroner und diachronerSichtweise nicht gänzlich aufgehobenwerden. Für die Kontroverse interessanterist hier die folgende Übereinstimmung:Antos (1996: 35) weist darauf hin, dass inder Beschäftigung mit der Alltagsspracheeine Gefahr für die Linguistik liegt, denndie Laien-Linguistik beruft sich ebenfallsauf den sprachlichen Alltag.

7. Was tun mit der »tun-Fügung«? Wie auf dem Lektorenseminar, so werdenauch in ihrem Artikel die sprachpädago-gischen Implikationen nicht klar benannt.Eine »soziolinguistisch fundierte Sprachbera-tung« (Maintz/Elspaß 2007: 525) wird ge-fordert, aber warum soll in diesen »bera-tungsversessenen« neoliberalen Zeitendie Sprachberatung seriöser sein alsSprachpflege und Sprachkritik? Und wiehat man sie sich vorzustellen? Ich möchteein Beispiel aus der Soziolinguistik heran-ziehen, um mir selbst überhaupt vorstel-len zu können, welche Implikationen die-

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ser Ansatz für die Sprachdidaktik und denSprachunterricht haben könnte. Der englische Soziolinguist Basil Bern-stein arbeitete auf induktiver Basis mitKorrelationen. Er erhob zunächst Daten,aus der gesprochenen Sprache wieMaintz/Elspaß, die »langue« (de Saus-sure) oder »Kompetenz« (Chomsky) in-teressierte ihn nicht, und arbeitete ausderen Analyse einen elaborierten undeinen restringierten Code heraus.

»Diese sprachlichen Codes sind für Bern-stein die Vermittlungsinstanz in dem Ver-hältnis von Sozialstruktur und Kognition.Die Sozialstruktur bringt gewisse Weisendes Sprechens hervor, die ihren Wertorien-tierungen angemessen als Codes relativverfestigt sind und ein gewisses Eigenlebenbekommen.« (Schlieben-Lange 1991: 50)

Anders als Maintz/Elspaß weicht Bern-stein den Konsequenzen seiner Erkennt-nisse für den pädagogischen Bereichnicht aus:

»Die Schule sollte nicht versuchen, den öf-fentlichen Sprachgebrauch (Bernstein nenntden restringierten Code auch public = öf-fentlich, M. K.) auszurotten, der ja nicht nurseine eigene Ästhetik besitzt, sondern denSprechenden auch psychisch mit seinesglei-chen und seinen lokalen Traditionen ver-knüpft. Da dieser (= restringierte) Sprech-modus den Sprecher psychologisch mit sei-nesgleichen und auf soziologischer Ebenemit den lokalen Traditionen verbindet, darfdie öffentliche Sprache des Sprechers nichtabgewertet werden, da sonst die Gefahreiner Entfremdung groß ist.« (Zitiert nachSchlieben-Lange 1991: 51)

Ich vermute, aber es ist wirklich nur eineVermutung, dass die hier gefordertenpädagogischen Konsequenzen für nicht»wohlgeformte« Sprechweisen der Auf-fassung von Maintz/Elspaß sehr nahekommen, was man auch aus den leichtgereizten Bemerkungen zur regionalenHerkunft Sicks schließen könnte. Alleinsie machen solche sprachpädagogischenKonsequenzen nicht deutlich.

8. Kehraus mit Bastian Sick: »Es machtimmer Tuut-Tuut!« (2006: 63–68) Zurück zur Empirie. Was schreibt BastianSick zur »tun-Fügung«? Sparen wir unsdie Rahmenerzählung, die in diesem Fallauch wirklich witzige Teile enthält, undkommen wir gleich zur Sache. Sick listetzunächst Bedeutungen von tun auf undgibt an, durch welche Verben tun ersetztwerden kann. Ein überflüssiger Vergleichmit dem englischen »to do«, dann einBeispiel für eine regionale Varietät, dasRheinische, bei der tun fast immer passt,ein neutral formulierter Hinweis auf eineim Schwäbischen geläufige Variante(Statt »ich würde« sagt man dort »ichtät«). Überschreiten wir nun mit Sick denRubikon, die hier zur Diskussion ste-hende Grenze zwischen dem deskrip-tiven und dem normativen Bereich. »Inbestimmten Fällen zulässig«, heißt es da,um das eigentliche Verb zu betonen undden Konjunktiv zu umgehen, in anderenFällen »haben wir es mit einem umgangs-sprachlichen Phänomen zu tun«. Die Ver-wendung von tun als Hilfsverb wird als»Masche« bezeichnet, um sich das Kopf-zerbrechen über die Konjugationsformender Verben zu ersparen. (Ein Beispiel fürden schnoddrigen Stil und die Probleme,die Deutschlerner mit den Kolumnen ha-ben können). Dies sei eine »Simplifizie-rung der Grammatik«, »ein in Deutsch-land zwar weit verbreiteter, aber nichtgerade eleganter Vorgang«. Und nun die Konklusion:

»Die Deutschen lieben die Tuterei und dasTäterä, das war schon immer so, und wereben gern so sprechen tut, der möge es inGottes Namen tun, ich tät es zwar andersmachen, aber das tut nichts zur Sache.«(Sick 2006: 68)

Was steht im Atlas zur deutschen Alltags-sprache, dem Augsburger Forschungs-projekt von Prof. Elspaß, zur tun-Fügung?Als Erläuterung zum Beispiel »das täte ichgern probieren« kann man dort lesen:

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»Während Konstruktionen mit tun als Hilfs-verb nach den Grammatiken überwiegendals unkorrekt gelten, besonders in den Prä-sens-Formen (Das tu ich mal probieren),scheinen Fügungen mit der Konjunktiv II-Form tät- akzeptierter zu sein«. (vgl. Engel1996: 476)1

Kennzeichen beider Stellungnahmensind relativierende und tolerierende For-mulierungen: Bei Sick »nicht gerade ele-gant« und die Konklusion, bei Elspaß»als unkorrekt gelten« und »scheinen ak-zeptierter zu sein«. Das sieht doch ähn-licher aus als uns der Artikel in Info DaFglauben macht, oder nicht?

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Antos, Gerd: Laien-Linguistik. Studien zuSprach- und Kommunikationsproblemen imAlltag. Am Beispiel von Sprachratgebernund Kommunikationstrainings. Tübin-gen: Niemeyer, 1996 (Reihe Germanisti-sche Linguistik, 146).

Atlas zur deutschen Alltagssprache (AdA). Be-arbeitet von Stephan Elspaß und RobertMöller 2003 ff. (www.uni-augsburg.de/alltagssprache).

Dahrendorf, Ralf: Homo Sociologicus. EinVersuch zur Geschichte, Bedeutung und Kri-tik der Kategorie der sozialen Rolle. 15. Auf-lage. Opladen: Westdeutscher Verlag,1977 (Studienbücher zur Sozialwissen-schaft, 20).

Davies, Winifred V.; Langer, Nils: The mak-ing of bad language. Lay Linguistic Stigmati-sations in German: Past and Present. Frank-furt a. M. u. a.: Lang, 2006 (Variolingua,28), 211–223.

Elspaß, Stephan: »Standardisierung desDeutschen. Ansichten aus der neuerenSprachgeschichte von ›unten‹«. In: Ei-

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Elspaß, Stephan; Langer, Nils; Scharloth,Joachim; Vandenbussche, Wim (Hrsg.):Germanic Language Histories ›from below‹(1700–2000). Berlin; New York: de Gruy-ter, 2007 (Studia Linguistica Germanica,86).

Engel, Ulrich: Deutsche Grammatik. 3., korri-gierte Auflage. Heidelberg: Groos, 1996.

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Kuhn, Thomas S.: Die Struktur wissenschaft-licher Revolutionen. Zweite revidierte undum das Postskriptum von 1969 ergänzteAuflage. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1987(suhrkamp taschenbuch wissenschaft,25).

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Maitz, Péter; Elspaß, Stephan: »Warum der›Zwiebelfisch‹ nicht in den Deutschun-terricht gehört«, Info DaF 34, 5 (2007),515–526.

Roggausch, Werner: »Antwort auf PéterMaitz/Stephan Elspaß und Einladungzur Diskussion«, Info DaF 34, 5 (2007),527–530.

Scharloth, Joachim: »Sprachmentalitäten inSpätaufklärung und Sturm und Drang.Eine ethnographische Annäherung an-hand von Beispielen aus Schubarts Deut-scher Chronik«. In: Deminger, Szilvia; Fö-gen, Thorsten; Scharloth, Joachim;Zwickl, Simone (Hrsg.): Einstellungsfor-schung in der Soziolinguistik und Nachbar-disziplinen. Studies in Language Attitudes.Frankfurt a. M. u. a.: Lang, 2000 (Variolin-gua, 10), 41–59.

1 http://www.philhist.uni-augsburg.de/lehrstuehle/germanistik/sprachwissenschaft/ada/zweite_runde/probieren/ [Zugriff 29.1.2008]

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Schlieben-Lange, Brigitte: Soziolinguistik.Eine Einführung. 3., überarbeitete und er-weiterte Auflage. Stuttgart: Kohlhammer,1991 (Urban-Taschenbücher, 176).

Sick, Bastian: Der Dativ ist dem Genitiv seinTod. Folge 3: Neues aus dem Irrgarten derdeutschen Sprache. Köln: Kiepenheuer &Witsch, 2006.

Wängler, Hans Heinrich: »Zur Grundfrageder modernen Linguistik«, The GermanQuarterly 39, 1 (1966), 62–76.

Manfred Kaluza Studium der Germanistik, Geschichte,Philosophie und Erziehungswissen-schaften in Göttingen, DAAD-Lektor inAberdeen/Schottland (1986–1989) undHong Kong (1991–1997), Studienrat amStudienkolleg der FU Berlin.