Interdepence vs. Independence as Social Value Orientations

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Wintersemester 1996/97 Seminar 12623 S "Kultureller Umgang mit psychischer Gesundheit und Krankheit" Dozent: Prof. M. Zaumseil "Independence" und "Interdependence" als kulturelle Wertorientierungen Hausarbeit am Institut für Psychologie der Freien Universität Berlin von Wolfgang Theil Stewardstr. 3/16 14169 Berlin Tel. 030 / 813 9388

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Examines how core western values like independence, freedom and individual personhood contrast with traditional, family-based "communal" values. Explores the social institutions western society established to make its core values a reality: private property, contract law, credit and money.

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Wintersemester 1996/97

Seminar 12623 S

"Kultureller Umgang mit psychischer Gesundheit und Krankheit"

Dozent: Prof. M. Zaumseil

"Independence" und "Interdependence" als kulturelle Wertorientierungen

Hausarbeit am Institut für Psychologie der Freien Universität Berlin

von

Wolfgang Theil

Stewardstr. 3/16

14169 Berlin

Tel. 030 / 813 9388

Page 2: Interdepence vs. Independence as Social Value Orientations

Inhalt"Independence" und "Interdependence" als kulturelle Wertorientie-

rungen .........................................................................................................................1

Inhalt............................................................................................................................2

Einleitung.....................................................................................................................3

Independence vs. interdependence in der kulturvergleichenden Psy-

chologie .......................................................................................................................5

Independence vs. interdependence in der Kulturgeschichte: Die hi-

storischen Wurzeln der abendländischen Zivilisation und die Punkte

des Zusammenstoßes der independenten und der interdependenten

Wertorientierung........................................................................................................15

Independence vs. interdependence in der Diskussion des Abend-

landes: Die Ambivalenz und Widersprüchlichkeit der Beurteilungen ........................22

Das kulturvergleichende und -historische Forschungsprogramm von

Heinsohn/Steiger .......................................................................................................31

Schluß .......................................................................................................................40

Literatur .....................................................................................................................44

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3

EinleitungIn ihrem Sammelband "Cross-Cultural Roots of Minority Child Development" stellen

Patricia M. Greenfield und Rodney M. Cocking fest:

"Die Psychologie als Wissenschaft vom Individuum war ein Kind der Philosophie des Individualis-

mus. Wir entdecken jetzt, daß das unabhängige, autonome Individuum keine universelle Tatsache

ist, sondern ein kulturspezifisches Wertesystem über die Entwicklung einer Person darstellt. Es gibt

ein wichtiges alternatives Wertesystem über die Entwicklung einer Person, das von ungefähr 70%

der Weltbevölkerung vertreten wird. Es heißt "gegenseitige Abhängigkeit" (interdependence)1 oder

Kollektivismus."2

Obwohl die Psychologie das Thema "independent self" versus "interdependent self"

erst seit den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts langsam entdeckt, ist das dahinter-

steckende Problem historisch viel älter - nämlich so alt wie die abendländische Zivili-

sation, also an die 2 ½ tausend Jahre. Von flächendeckender globaler Virulenz ist es

jedoch erst seit ca. 300 Jahren, denn erst seit Beginn der Moderne werden in den

Menschenrechten zunehmend alle Menschen zu freien und gleichen "independent

selves" alias Bürgern erklärt. Dieser Prozeß wird Emanzipation genannt und wurde

von den Theoretikern der Aufklärung naturrechtlich legitimiert: widerspreche feudale

Herrschaft der menschlichen Natur, so verwirkliche die staatliche Garantie von Eigen-

tum, (Vertrags-) Freiheit und Gleichheit die in der menschlichen Natur angelegte Ten-

denz zur Freiheit. Die Geschichte wurde im Rahmen dieser das moderne Denken lan-

ge dominierenden naturrechtlichen Vorstellungen als "Verwirklichung der Freiheit"

aufgefaßt (besonders pointiert in Hegels Geschichtsphilosophie und ihrer Marxschen

Erweiterung).

Seit es die gegensätzlichen Wertorientierungen der "interdependence" und der "inde-

pendence" gibt, wird über sie auch kontrovers diskutiert. Diese Diskussion ist durch

ambivalente Beurteilungen der beiden Wertorientierungen gekennzeichnet. Soziologen

führen diese Debatte schon etwas länger als Psychologen und haben dabei Be-

1Eine bedeutungsmäßig deckungsgleiche Übersetzung des Begriffspaars "independence" vs. "interdepen-dence" ins Deutsch bereitet Schwierigkeiten. "Independence" bedeutet "Unabhängigkeit". Aber bedeutet"interdependence" nur "Abhängigkeit"? Im Deutschen hat "Abhängigkeit" eindeutig negativ wertende Kon-notationen, wie ein Blick ins Synomymwörterbuch zeigt: dort finden sich "Hörigkeit", "Unterwürfigkeit","Bevormundung", "Knechtschaft", "Fessel" und "Sucht" sowie "Unreife", "Unmündigkeit", "Bevormundung","Hörigkeit" als nahe bedeutungsverwante Synomyme. Im weiteren semantischen Umfeld finden sich"Knechtschaft", "Unfreiheit", "Unselbständigkeit". Das englische "interdependence" dagegen hat dieseeher negativen Konnotationen meineswissens nicht. Vielleicht zeigt schon das Bedeutungsumfeld desBegriffs "Abhängigkeit" seine eher negative Wertung, die sich im Zuge der Durchsetzung der modernenbürgerlichen Gesellschaft gegenüber dem mittelalterlichen Feudalismus und wahrscheinlich früher noch inder Antike herausgebildet haben mag. Abhängigkeit markierte dabei jene feudale Hörigkeit, die die bür-gerlichen Aufklärer nach jahrhundertelanger Funktionsfähigkeit moralisch vewarfen und die Unabhängig-keit, Freiheit und Autonomie "des Menschen" (tatsächlich nur: des Bürgers alias Eigentümers) als Gegen-konzept propagierten (Greenfields "philosophical individualism"). Schon an solchen Schwierigkeiten zeigtsich die Ambivalenz des Themas.

2P.M. Greenfield/R.R. Cocking (1994): Cross-Cultural Roots of Minority Child Development. Hillsdale/NJ:Lawrence Erlbaum, p. 3, Übersetzung von mir

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griffspaare wie "Traditionalismus vs. Modernismus", "Gemeinschaft vs. Gesellschaft"

(F. Tönnies), "Naturzustand vs. Kulturzustand (alias bürgerlicher Zustand alias Zivilisa-

tion)" (z.B. I. Kant), "vorbürgerlich vs. bürgerlich" (K. Marx) etc. verwendet.

Die Betrachtung der ambivalenten Beurteilung der beiden Wertorientierungen in unter-

schiedlichen Denkströmungen der Moderne ist für die Psychologie und das Seminart-

hema „kultureller Umgang mit psychischer Krankheit und Gesundheit“ deshalb so

wichtig, weil sie zu ganz entgegengesetzten (normativen) Definitionen von (psychi-

scher) Krankheit und Gesundheit geführt hat: Gilt der abendländisch-aufklärerischen

Position die Orientierung der "independence" als normal, "natürlich" und gesund, die

Orientierung der "interdependence" dagegen als anpasserisch, kriecherisch und frei-

heitsfeindlich, so gilt Zivilisationskritikern umgekehrt die Rationalität der "interdepen-

dence" als normal, "natürlich" und gesund, während die zur Rationalität der "indepen-

dence" gehörende (bürgerliche) Gesellschaftsform als von unnatürlichen Zwängen und

Sozialpathologien geprägt gesehen wird. Konsequenterweise verspricht die eine Ori-

entierung Heil(ung) durch die Verwirklichung der freiheitlichen Rationalität der "inde-

pendence", während die andere sich Heil(ung) gerade von der Aufhebung bzw. Ab-

schaffung der Rationalität der "independence" verspricht. Natürlich gibt es dabei auch

Positionen, die ein „Gemisch“ beider Orientierungen propagieren.

In dieser Arbeit werde ich zunächst referieren, wie sich das Problem "interdependente"

vs. "independente" Wertorientierung aus der Sicht angloamerikanischer Kulturpsy-

chologInnen darstellt. In einem zweiten Schritt will ich in aller Kürze die sozialhistori-

sche Entstehung des Gegensatzes beider Wertorientierungen skizzieren, um im dritten

Schritt anhand einiger typischer (soziologischer) Positionen die Ambivalenz der darauf

bezogenen Diskurse aufzuzeigen, die sich auch in der Psychologie wiederfindet. Da

die Rationalität der „Independence“ auf abendländischen Grundwerten (Eigentum,

Freiheit, Gleichheit) basiert, wird die Psychologie um eine Parteinahme für oder gegen

diese Werte letztenendes nicht herumkommen. Sie täte gut daran, dieser Grund-

satzentscheidung, die in existierenden Strömungen durchaus unterschiedlich ausfällt

und zuweilen auch ganz unterbleibt, fast immer aber unzureichend und bloß schlag-

wortartig begründet wird, eine zureichende Analyse der auf Eigentum, Freiheit und

Gleichheit basierenden Gesellschaftsform und ihrer Probleme zugrundezulegen.

Es soll schließlich ein in der Psychologie bisher nicht zur Kenntnis genommenes sozi-

alhistorisch-sozialtheoretisches Forschungsprogramm vorgestellt werden, das nicht

universalistisch und gleichzeitig "verstehend/subjektorientiert" angelegt ist und der

Psychologie beim Verstehen der "interdependenten" und der "independenten"

Wertorientierung vielleicht nützlicher sein könnte als gängige Versuche einer Soziolo-

gie der Moderne. Die Soziologie befindet sich bekanntlich in einer Krise und ist dabei,

den Anspruch auf das Verstehen der abendländischen Zivilisation aufzugeben (mo-

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mentan diskutieren Soziologen unter der Überschrift "Ende der Soziologie" vor allem

ihre eigene Überflüssigkeit, statt über Eigentum, Zins, Geld, Fortschritt und Krise

nachzudenken).

Natürlich ist es schwierig, in einer so kurzen Arbeit einen derartigen Umfang an Mate-

rial zu präsentieren, das ja immerhin die abendländische Geschichte als Ganzes be-

trifft. Ich halte das aber dennoch für sinnvoller als die Konzentration auf einige Einzel-

punkte. Denn nur durch eine derartige Gesamtperspektive ist nach und nach ein

Überblick schaffendes Begriffsnetz zu knüpfen, das die wesentlichen Strukturen und

Zusammenhänge sichtbar macht und sich nicht in der Betriebsblindheit einzelwissen-

schaftlicher Konzepte verliert, die sich ihres historischen Ortes und Stellenwerts gar

nicht bewußt sind. Kulturvergleichende Psychologie ist einer derart breiten Perspektive

ja verpflichtet; ich ergänze hier lediglich den historischen Aspekt (Abschn. 2).

Man mag weiter einwenden, daß „eigentlich psychologische“ Fragen in dieser Arbeit

nur unzureichend behandelt werden und es sich mehr um eine soziologisch-

/sozialhistorische Arbeit handele. Ich würde darauf antworten, daß das zwar auf den

ersten Blick zutreffen mag. Aber die in dieser Arbeit angezielten Klärungen sind m.E.

notwendige Voraussetzung einer Diskussion von traditionell als „individualpsycholo-

gisch“ bezeichneten Problemen, die den historisch spezifischen sozialen Kontext der-

artiger Probleme angemessen berücksichtigt. Ohne ein Verständnis dieses Kontexts

nämlich bleibt auch das Verständnis typischer individueller Probleme verkürzt und

isoliert. Dieses verkürzte Verständnis wird sich dann wahrscheinlich auch in verkürzte

Problembewältigungsstrategien umsetzen. Aus diesem Grund halte ich es für ge-

rechtfertigt, vor die Diskussion typischer individueller Probleme eine Analyse der kultu-

rellen Kontexte zu setzen, in denen diese individuellen Probleme auftauchen. Dies

wiederum braucht v.a. deshalb so viel Zeit und Raum, weil das überkommene psy-

chologische Denken kulturelle Kontexte ausgeblendet hat und auch die Soziologie

erhebliche Schwierigkeiten mit dem Verstehen der abendländischen Zivilisation hat -

jener auf Eigentum, Zins, Geld und Wettbewerb beruhenden Zivilisation, deren

Grundwerte Eigentum, Freiheit und Gleichheit die Basis des Wertkomplexes der „In-

dependence“ bilden.

Independence vs. interdependence in der kulturvergleichendenPsychologieDer von P.M. Greenfield und R.R. Cocking herausgegebene Reader "Cross-Cultural

Roots of Minority Child Development" enthält eine Reihe von Aufsätzen von "Nati-

ves" aus unterschiedlichen Kulturen, die in den USA oder Kanada leben und die Un-

terschiede zwischen der Sozialisation in den USA (bzw. Kanada) und ihrem Her-

kunftsland herausgearbeitet haben. Ich werde im folgenden einige der zentralen Er-

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gebnisse referieren und aus der Perspektive meines Vorwissens kommentieren und

ggf. kritisieren oder ergänzen.

Greenfield hebt in ihrem zusammenfassenden Eingangsaufsatz "Independence and

Interdependence as Developmental Scripts" die Gefahr des Universalismus hervor: die

Psychologie strebe eine "universal science of the person", d.h. eine kulturunabhängi-

ge, kulturübergreifend gültige Persönlichkeitstheorie an. Dabei stehe sie aber ständig

in der Gefahr, Spezifika der eigenen kulturellen Umgebung, nämlich der westlichen

Zivilisation, in der die Psychologie als universitär institutionalisierte Einzelwissenschaft

ja überhaupt erst entstanden ist, für überhistorische und kulturunabhängige Universa-

lien zu halten. Demgegenüber wird in dem Reader angestrebt, auch kulturgeschichtli-

ches und kulturvergleichendes Wissen einzubeziehen und so falsch universalisierte

Merkmale der westlichen Zivilisation kulturell zu relativieren.

In dem Reader wird der Versuch unternommen, Sozialisationsprobleme ethnischer

Minderheiten in den USA aus gegensätzlichen Wertorientierungen der US-

Gesellschaft und der Herkunftsgesellschaften der Minderheiten verständlich zu ma-

chen. Damit ist schon mitgesagt, daß methodisch eine qualitative und subjektorien-

tierte Herangehensweise gewählt wurde, die den Schwerpunkt auf die Herausarbei-

tung der Ziele und Wertorientierungen der Handelnden legt:

"Only by viewing behavior and thought processes in relation to people´s goals and values is it possi-

ble to go beyond the identification of cultural or other group differences and understand the adaptive

fuction and meaning of those differences for the actors."3

Dabei wählen die Autoren zwei "value themes"4: "interdependence" vs. "independence"

und "subsistence survival" vs. "schooling".

Die Wertorientierung der "independence" dominiere in der euro-amerikanischen Kultur,

die Wertorientierung der "interdependence" in asiatischen, afrikanischen, lateinameri-

kanischen und z.T. auch südeuropäischen Kulturen sowie in der weitgehend zerstörten

Kultur der "native Americans", also der "indianischen" Ureinwohner.

"Independence" ist nach einer Auflistung von Kim&Choi5 verbunden mit

3P.M. Greenfield: Independence and Interdependence as Developmental Scripts: Implications for Theory,Research and Practice. In: P.M. Greenfield/R.R. Cocking (1994): Cross-Cultural Roots of Minority ChildDevelopment. Hillsdale/NJ: Lawrence Erlbaum, p. 1-40 (3)

4Hier ist anzumerken, daß das Konzept "kultureller Werte" selber so lange ein verkürztes bleibt, als dieseWerte nur als von der Mehrheit einer Kulturgemeinschaft vertretene quasi zirkulär aus sich selbst herauserklärt werden. Vielmehr wären solche "Werte" durch die Rekonstruktion der Umstände und Funktionenihrer Entstehung historisch verständlich zu machen. Unterbleibt dies, können kontrastierende "value the-mes" dennoch als vergleichende deskriptive Konzepte helfen, gegensätzliche kulturelle Verhaltensweisenzusammenzufassen und Fragen nach den Gründen ihrer Unterschiede und Entstehung aufzuwerfen -nicht jedoch den Gegensatz verständlich machen. Dazu ist eine historische und soziologische Analyse dergesamten Gesellschaftsstruktur und ihrer Entstehung erforderlich (s.u.).

5U. Kim/S.H. Choi: Individualism, Collectivism and Child Development: A Korean Perspective. In: Green-field/Cocking, a.a.O., p. 227-257 (232)

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• Ich-Bewußtsein

• Autonomie

• Emotionaler Unabhängigkeit

• Individueller Initiative

• einem Recht auf Privatheit

• Hedonismus

• Finanzieller Sicherheit

• Bedürfnissen nach spezifischer Freundschaft und

• Universalismus

Die "interdependente" Orientierung dagegen betone

• Wir-Bewußtsein

• Kollektive Identität

• Emotionale Abhängigkeit

• Gruppensolidarität

• Teilen

• Verpflichtungen

• Bedürfnisse nach stabiler und vorab festgelegter Freundschaft und

• Partikularismus.

Was dabei mit den Schlagworten "Universalismus vs. Partikularismus" im einzelnen

gemeint ist, wird von den Autoren allerdings im dunkeln gelassen und, wie in "akade-

mischen" Diskursen leider üblich, nicht anhand mit Beispielen verdeutlicht. Außerdem

fällt auf, daß Kim/Choi durchweg "Persönlichkeitseigenschaften" auflisten und nicht

"Handlungsstrategien".

Hofstede beschreibt den Gegensatz von independence und interdependence (unter

dem alternativen Titel "individualism vs. collectivism") kurz und bündig (und einleuch-

tender) so:

"Individualism pertains to societies in which the ties between individuals are loose; everyone is ex-

pected to look after himself or herself and his or her immediate family. Collectivism, as its opposite,

pertains to societies in which people from birth onwards are integrated into strong, cohesive in-

groups, which throughout people´s lifetime continue to protect them in exchange for unquestioning

loyalty."6

Hätte er dazugesagt, daß den "loose ties" der "individualistic societies" nichts anderes

als verfassungsmäßig und bürgerlich-rechtlich institutionalisierte, das Existenzrisiko

6G. Hofstede: Organizations and cultures: Software of the mind. New York: McGraw-Hill 1991, p. 51, zit. n.Kim&Choi, a.a.O., S. 232

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"individualisierende" eigentumsbasierte Vertragsfreiheit (und damit die Möglichkeit

ständigen Wechsels der Vertragspartner) zugrundeliegt, bei der die Besitzverhältnisse

durch Eigentumsrechte geregelt sind, während die "loyalties" der "collectivistic socie-

ties" auf unaufslöslichen Solidar- und Abgabenpflichten und damit auf einem "soziali-

sierten Existenzrisiko" beruhen, bei dem die Besitzverhältnisse und Sozialbeziehungen

nicht durch bürgerliche Eigentums- und Vertragsrechte, sondern durch starre Sitten

und Traditionen geregelt sind, hätte er es noch klarer gehabt.

Die Psychologie nun sei, so Greenfield, ein "Kind der Philosophie des Individualismus".

Sie gebe sich zwar als wertfrei aus, propagiere aber tatsächlich in einem versteckten

Normativismus die Wertorientierung des "independent self" als "natürliche". Sie ent-

decke erst in jüngster Zeit langsam, daß es auch die "andere" Wertorientierung der

"interdependence" gebe, die zudem von der Mehrheit (70%) der heutigen Weltbevölke-

rung vertreten werde.

Jedes der beiden Wertsysteme habe seine eigenen "psychological costs": werde die

"interdependente" Orientierung in Gesellschaften, wo sie dominiere, als Unterdrückung

individueller Entwicklung erfahren, so werde die "independente" Orientierung in Ge-

sellschaften, in denen sie dominiere, als Entfremdung ("alienation") erlebt. Hervorge-

hoben wird von Greenfield interessanterweise nicht die m.E. psychologisch zentrale

Dimension der Sicherheit: kann sich das Individuum in "interdependent" orientierten

Gesellschaften abgesichert, aber auch eingebunden in starre und feste Pflichten füh-

len, ohne sich permanent für oder gegen bestimmte Handlungsmöglichkeiten ent-

scheiden zu müssen, so ist der Preis der Abwesenheit festgelegter Pflichten (Ver-

tragsfreiheit) in "independent" orientierten Gesellschaften individuelle Unsicherheit,

permanenter Entscheidungszwang bis hin zur Orientierungslosigkeit7 (z.B. "der Ju-

gend") und zuweilen auch Einsamkeit.

Werden in "interdependent" orientierten Gemeinwesen traditionell festgelegte Hand-

lungsmuster und Pflichten vorgefunden, in die man sich hineinzuentwickeln und denen

man sich zu fügen hat, so können in "independent" orientierten Gesellschaften diese

Handlungsmuster aus einem vielfältigen Angebot von Handlungsmustern (Ausbildun-

gen, Fernsehen, Medien-VIPs etc.) selber zusammengeschustert werden - aber das

Individuum muß das auch tun, wobei ein Mißerfolg dann ausschließlich ihm selbst

zugeschrieben wird und auch von ihm selbst "ausgebadet" werden muß. Die einzige

abstrakte Pflicht, der auch in "independent" orientierten Gesellschaften niemand ent-

kommt, ist die Pflicht zum Geldverdienen, da das Geld das universelle Medium der

Freiheit ist, quasi das "Lebensmittel", das unverzichtbare "Lebenselixier" des indepen-

dent self. Auf welche Weise das versucht wird, d.h. welches Produkt oder welche

7US-Youngsters und Twens nennen das OPTION PARALYSIS: "Die Neigung, sich bei unbegrenzter Aus-wahl für nichts zu entscheiden". Vgl. Douglas Couplands Kultbestseller "Generation X", S. 197

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Dienstleistung das Individuum potentiellen Kunden oder Arbeitgebern letztlich anbietet,

bleibt dem Einzelnen dabei selber überlassen (Freiheit der Berufswahl). Da "indepen-

dent" orientierte freiheitliche Gesellschaften (im Kern) als Konkurrenz um knappes

Geld8 organisiert sind,in der es immer auch Verlierer geben muß, ist dort auch "Lei-

stung" unausweichlich "Pflicht".

Greenfield listet dann, die Aufsätze ihrer Kolleginnen und Kollegen zusammenfassend,

eine ganze Reihe von Beobachtungen über charakteristische Unterschiede zwischen

"interdependenter" und "independenter" Orientierung auf.

So stellt sie fest, daß Schriftlichkeit zur Kultur der "independence" gehört: sind viele

der traditionalen "interdependent" orientierten Kulturen schriftlos (das gilt sogar fürs

feudale europäische Mittelalter, in dem die Schrift in den Klöstern "überwinterte" und

nur von den als Textkopisten arbeitenden Mönchen benutzt und von Generation zu

Generation weitergegeben wurde), so bringe etwa in Nigeria importierte Schriftlichkeit

auch den Wunsch nach Privatheit und die Ablehnung des lauten und dichten afrikani-

schen Hauslebens mit sich, um ungestört lesen zu können. Ich möchte dazu ergän-

zen, daß Schriftlichkeit in abendländischen Gesellschaften v.a. deswegen nötig ist, um

eine unabhängige Überprüfbarkeit und Einklagbarkeit vertraglicher Vereinbarungen zu

erreichen, während die nichtvertraglichen Transaktionen in eigentumslosen (d.h. nur

Besitz kennenden) traditionalen Gesellschaften im Prinzip ohne Verschriftlichung ihrer

Vereinbarungen auskommen. So dürfte historisch die Entwicklung des Rechts auch

der Entwicklung der Schrift einen mächtigen Anstoß gegeben haben9.

Die unterschiedlichen Wertorientierungen kommen auch im Mutter-Kind-Verhältnis

zum Ausdruck. So finden sich in Gesellschaften mit "interdependenter" Orientierung

wie der koreanischen und der japanischen "co-sleeping-arrangements" und häufigere

Körperkontakte zwischen Mutter und Kind. Lebra10 betont, daß japanische Mütter oft-

mals "passiv präsent" im Kinderzimmer seien, ohne irgendwelche Pflegeaktivitäten zu

betreiben, auch dann, wenn das Kind schlafe. Amerikanische Mütter dagegen betrie-

ben, wenn sie denn da seien, aktive Pflegeaktivitäten, ließen dann aber das schlafen-

de Kind allein. Japanische Mütter betrachteten ihre Kinder tendenziell als Teil ihres

Körpers.

8Diese gesellschaftstheoretische These bildet den Kern des Paradigmas der "Theorie der Geldwirtschaft"der von H. Riese begründeten Berliner Schule der monetärkeynesianischen Ökonomie. vgl. W. Theil: Ei-gentum, Zins und zinsinduzierte Geldknappheit. Ein Beitrag zur Heinsohn/Steiger-Riese-Kontroverse.Beitrag zum Symposion "Eigentum, Zins und Geld - zum neuen Buch von Gunnar Heinsohn und OttoSteiger" am 29.11.1996 am FB Wirtschaftswissenschaft der FU Berlin. Erscheint demnächst im Rahmender "Studien zur monetärkeynesianischen Ökonomie", Metropolis Verlag, Marburg; s.a. H.J. Stadermann:Geldwirtschaft und Geldpolitik. Einführung in die Grundlagen. Wiesbaden: Gabler 1994

9vgl. G. Heinsohn: Privateigentum, Patriarchat, Geldwirtschaft. Eine sozialtheoretische Rekonstruktion zurAntike. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1984, S. 58

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Im Zusammenhang damit lernten die Kinder weniger verbal, als "by osmosis", d.h.

durch einfaches Dabeisein, Beobachten und Mittun. Der rein verbale Lernmodus da-

gegen sei charakteristisch für das Schulsystem in Lohnarbeitergesellschaften (und

natürlich auch für die Universitäten), und bilde einen vom alltäglichen Lebens- und

Reproduktionszusammenhang abgetrennten, reduzierten Lernmodus. Zu diesen

Aspekten der historisch ganz neuartigen Form schulischer Sozialisation hat Philippe

Ariès schon 1960 seine (mittlerweile klassische) Arbeit "Geschichte der Kindheit" bei-

gesteuert, in der er - Lebras Aussagen bestätigend - schreibt:

"Man kann sagen, daß ei Erziehung dank dem Zusammenleben von Kind bzw. Jugendlichem und

Erwachsenen jahrhundertelang auf dem Lehrverhältnis beruhte. Es lernte die Dinge, die es wissen

mußte, indem es den Erwachsenen bei ihrer Verrichtung half ... Seit dem Ende des 19. Jahrhun-

derts hat sich in der Verfassung der Lebensformen ... ein bemerkenswerter Wandel vollzogen ... Die

Schule ist als Mittel der Erziehung an die Stelle des Lehrverhältnisse getreten. Das bedeutet, daß

das Kind sich nicht länger einfach nur unter die Erwachsenen mischt und das Leben direkt durch

den Kontakt mit ihnen kennenlernt ... Das Kind (wird) nun in einer Art Quarantäne gehalten, ehe es

in die Welt entlassen wird. Diese Quarantäne ist die Schule, das Kolleg. Damit beginnt ein langer

Prozeß der Einsperrung der Kinder (wie der Irren, der Armen und der Prostituierten), der bis in unse-

re Tage nicht zum Stillstand kommen sollte und den man als »Verschulung« bezeichnen könnte."11

Respekt für die Alten ist ein weiterer wichtiger Aspekt der "interdependenten" Orien-

tierung. Hierfür wird von Greenfield auch ein Erklärungsversuch angeboten: in traditio-

nalen Gesellschaften bildeten die Alten einen Speicher an Wissen, Erfahrung und

Weisheit, den Hort der Tradition, den sie an die nächste und übernächste Generation

verbal weitergäben, also eine wichtige "Sozialisationsfunktion" übernähmen. In indu-

striellen Gesellschaften mit "independenter" Orientierung und technischem Fortschritt

dagegen veralte das Wissen der Alten schnell. Seine Weitergabe werde in die Soziali-

sationsinstitutionen verlegt, die Alten verlören damit ihre in traditionalen Gesellschaften

zentrale Sozialisationsfunktion.

In Gesellschaften mit interdependenter Orientierung seien großfamiliäre Strukturen

wichtig. In Gesellschaften mit independenter Orientierung dagegen dominieren klein-

familiäre Strukturen, gibt es sogar einen Trend weg von der Familie hin zur kinderlo-

sen Lebensgemeinschaft oder gar zum "Singletum": Familienzerfall12. "Interdepen-

dent selves" definierten sich über die Familienzugehörigkeit, während sich das "in-

dependent self" typischerweise über seinen Beruf definiere.

10T.S. Lebra: Mother and Child in Japanese Socialization: A Japan-U.S.-Comparison. In: Green-field/Cocking, a.a.O., p. 227-258

11P. Ariès (1960): Geschichte der Kindheit. München: dtv 1978, S. 47f12Zur Erklärung des modernen Familienzerfalls vgl. meine Arbeit "Sozialhistorisch-psychologische Diagno-stik familienrechtlicher Begutachtung oder: Warum verschwindet die moderne Familie von der histori-schen Bildfläche? unveröff., Berlin 1996

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Sogar bei den Namensgebungen selbst scheint das zuzutreffen. Findet man im skan-

dinavischen Kulturkreis, besonders in Island, überwiegend Namen mit den Endungen -

dottir (Tochter) und -son (Sohn), (Brunhild Gunnarsdottir = Brunhilde, die Tochter des

Gunnar) die unzweifelhaft auf die Familienzugehörigkeit bzw. Abstammung verweisen,

so finden sich im deutschsprachigen und angloamerikanischen Namensgebungen

oftmals Berufsbezeichnungen: Schmidt (=Schmied), Müller (selfevident), Koch,

Schneider, Weber, Schiffer, Ma(h)ler, Beck(er) (=Bäcker), Glaser, etc.

Und noch etwas fällt auf: redet man in westlichen Gesellschaften über "Ausländer",

dann werden diese - neben ihrer "beruflichen" Beschäftigung - nach ihrer Nationalität

zugeordnet: ein amerikanischer Psychologe, ein koreanischer Tänzer, ein japanischer

Sumokämpfer etc. Die "Nation" aber ist immer (mindestens dem historischen Ur-

sprung nach) ein Nationalstaat. "Staat" aber in dem Sinn, daß er in seinem Territorium

das Eigentum als Grundlage bürgerlicher Freiheit und "independence" garantiert, ist

ein Zentralkonzept der westlichen Zivilisation, der Nationalstaat ein Produkt ihrer mo-

dernen Version. Automatisch werden also Ausländer nach ihrer Staatszugehörigkeit

und ihrem Beruf einsortiert, also automatisch zu "arbeitenden Staatsbürgern" "ge-

macht". In Stammesgesellschaften dagegen gibt es keinen Staat und keine Nation.

Daher mag ein Fremder nach seiner Herkunft eingeordnet werden. Aber er wird nicht

zum "Staatsbürger" gemacht. Das territoriale Moment (geographische Bedeutungsbe-

züge) haben beide Einordnungen dabei natürlich gemeinsam.

Ähnlich wie Greenfield betonte übrigens der Soziologe Max Weber, wie zentral die

Konzeption des "Berufs" für die "protestantische Ethik und den Geist des Kapitalismus"

ist:

"Der Gelderwerb ist - sofern er in legaler Weise erfolgt - innerhalb der modernen Wirtschaftsordnung

das Resultat und der Ausdruck der Tüchtigkeit im Beruf, und diese Tüchtigkeit ist, wie nun unschwer

zu erkennen ist, das wirkliche A und O der Moral Franklins ... . In der Tat: jener eigentümliche, uns

heute so geläufige und in Wahrheit doch so wenig selbstverständliche Gedanke der Berufspflicht:

einer Verpflichtung, die der Einzelne empfinden soll und empfindet gegenüer dem Inhalt seiner »be-

ruflichen« Tätigkeit, gleichviel worin sie besteht, gleichviel insbesondere, ob sie dem unbefangenen

Empfinden als reine Verwertung seiner Arbeitskraft oder gar nur seines Sachgüterbesitzes (als

»Kapital«) erscheinen muß: dieser Gedanke ist es, welcher der »Sozialethik« der kapitalistischen

Kultur charakteristisch, ja in gewissem Sinne für sie von konstitutiver Bedeutung ist."13

"Personal Achievement" (Leistung, Werk, beruflicher Erfolg) ist also fürs "independent

self", soziale bzw. familiäre Beziehungen sind fürs "interdependent self" zentral.

Schließlich weist Greenfield noch darauf hin, daß der "interdependence complex" mit

als weiblich geltenden Eigenschaften korrespondiere, während der "individualistic

complex" "männlicher" Kultur entspreche.

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Nach dieser Auflistung vergleichender Beobachtungen verschiedener Aspekte von

"interdependent" und "independent" orientierten Gesellschaften rückt Greenfield ein

anderes, verwandtes Konzept in den Mittelpunkt: "Socialization for Survival" vs. "So-

cialization for Educational Development", wobei sie ersteres als charakteristisch für

Subsistenzwirtschaften, letzteres als charakteristisch für Marktwirtschaften ansieht.

Von LeVine14 wurde als Grund für den häufigeren Körperkontakt zwischen Mutter und

Kind in traditionalen Gesellschaften zunächst die hohe Kindersterblichkeit angenom-

men, die den Schutz der Kinder notwendig mache. In modernen Gesellschaften mit

guter medizinischer Versorgung und niederer Kindersterblichkeit dagegen falle diese

Notwendigkeit weg. Diese Theorie wird indes von Ho15 infrage gestellt. Er stellte näm-

lich fest, daß in Babies in asiatischen Kulturen auch dann häufigeren Körperkontakt

mit ihren Müttern haben, wenn die Kindersterblichkeit niedrig ist. Auch zwischen Bil-

dungsniveau und Häufigkeit des Körperkontakts konnte Ho keine Korrelation ausma-

chen: auch gut ausgebildete asiatische Mütter hatten häufigeren Körperkontakt mir

ihren Kindern.

Ich will hier noch folgende eigene Überlegung einfügen: in großfamilial organisierten

traditionalen Gesellschaften können Mütter ihre Fähigkeiten zur Kinderpflege und -

Erziehung von der älteren Generation beziehen. Denn in der Regel leben 3 Generatio-

nen eng zusammen, und die "mittlere" Generation kann hoffen, von der der "älteren"

Generation Hilfe und Anleitung bei der Erziehung zu bekommen. Die Erfahrung der

Erziehung wird also quasi direkt von Frau zu Frau, von Mutter zu Tochter weitergeben.

In modernen, "kleinfamilial" organisierten Lohnarbeitergesellschaften16 wohnt die

Großmutter meist nicht im Hause der Tochter, die deshalb ihr Erziehungs- und Pfle-

gewissen nicht direkt von der älteren Generation beziehen kann. Vielmehr muß sie auf

diverse Erziehungsratgeber (also Bücher mit gegenüber direkter menschlicher Anlei-

tung reduziertem Informationsgehalt) und Volkshochschulkurse o.ä. zurückgreifen.

Auch damit mögen die für moderne Lohnarbeitergesellschaften typischen Erziehungs-

probleme und Tendenzen zur Kindesvernachlässigung, die dann Kinderpsychotherapie

etc. nötig machen, zusammenhängen: durch den Verlust oder mindestens die Reduk-

tion der direkten gegenständlich-mündlichen Tradierung des Erziehungswissens von

13M. Weber (1904/1905): Die Protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. Gütersloh: GTB 1991,S. 44f.

14R.A. LeVine: Women´s Schooling, Patterns of Fertility, and Child Survival. In: Educational Researcher 16,1987, 21-27

15D.Y.F. Ho: Cognitive Socialization in Confucian Heritage Cultures. In: Greenfield/Cocking, a.a.O., p. 285-315

16zum historischen Vergleich der unterschiedlichen Familienformen und den bedeutungs-begründungsanalytischen Gründen moderner "Familienprobleme", die den Staat zur Entwicklung einesvielfältigen Beratungs- und Therapieinstrumentariums veranlaßt haben, meine Arbeit "Sozialhistorisch-psychologische Diagnostik familienrechtlicher Begutachtung oder: warum die moderne Famile von derhistorischen Bildfläche verschwindet", unveröff. Hausarbeit am Institut f. Psychologie der FU Berlin, 1996

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13

Generation zu Generation und durch die Ersetzung dieser Tradierung durch wissen-

schaftliche Erziehungsratgeber in schriftlicher Buchform, mag ein Informationsverlust

enstehen, der oftmals zu Hilflosigkeit der Eltern bei der Erziehung beiträgt.

Der US-Kulturkritiker Christopher versteht diese Erziehungsprobleme zwar nicht, be-

schreibt sie aber immerhin:

"The invasion of the family by industry, the mass media, and the agencies of socialized parenthood

has subtly altered the quality of the parent-child connection. It has created an ideal of perfect pa-

renthood while destroying parent´s confidence in their ability to perform the most elementary functi-

ons of childrearing. The American mother, according to Geoffrey Gorer, depends so heavily on ex-

perts that she "can never have the easy, almost unconscious, self-assurance of the mother of more

patterned societies, who is following ways she knows unquestioningly to be right. According to

another observer, the „immature, narcissistic" American mother "is so barren of spontaneous mani-

festation of maternal feelings" that she redoubles her dependence on outside advice. "She studies

vigilantly all the new methods of upbringing and reads treatises about physical and mental hygiene."

She acts not on her own feelings of judgment but on the "picture of what a good mother should be."

The woman who came to a psychiatrist after reading books on child development from which she

"felt that she had not been able to learn anything" dramatizes, in heightened form, the plight of the

modern parent. She pursued such informaton, her psychiatrist reported, "as if she were interested in

passing some kind of examination or in producing a child that would win some contest. --- She had

to become a perfect mother." Yet her relations with her child suffered from "a striking lack of affect."

Tormented by "a feeling of inexperience and clumsiness in handling tasks with which she had no

previous acquaintance," she compared herself to someone who had never seen or ridden in a car

and was trying to learn to drive it from a mechanic´s manual. Another mother "felt she knew nothing

about mothering, literally ... She could go mechanically through the motions of looking after her

child´s needs, but she never really understood what her daughter required and she felt she was re-

sponding completely without empathy as one would automatically follow instructions from a manu-

al."17

Laschs "Erklärung" für all diese Probleme kulminiert dann leider in der zirkulären Per-

sonalisierung18 "Narzißmus" – eine der zahlreichen wenig nützlichen scheinerklären-

den Worthülsen, die die moderne Psychologie am laufenden Band produziert.

Die Schule, so Greenfield weiter, fördere Individualismus, weil in der Schule Koopera-

tion als "cheating" (Schummeln) bestraft und eine eindeutig individuell zureichenbare

Leistung gefordert werde. Weiterhin unterminiere die schulisch geforderte Schriftlich-

keit interdependente Traditionen: Dinge (v.a. Bücher) würden in der Schule zu den

wichtigen Wissensquellen erklärt, während in der interdependenten Wertorientierung

Menschen, nämlich die Alten, die wichtigsten Wissensquellen darstellten (s.o.). Die der

interdependenten Orientierung eigene Lernform der "legitimate peripheral participati-

on" (J. Lave), bei der die Kinder durch Dabeisein, Beobachten und Nachmachen der

17C. Lasch: Culture of Narcissm. American Life in An Age of Diminishing Expectations. New York: Norton1978, p. 169f.

18zum Begriff vgl. K. Holzkamp: Persönlichkeit - Funktionskritik eines Begriffs. In: Forum Kritische Psycho-logie 22, 1988, S. 123-133.

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14

lebenswichtigen Tätigkeiten der Erwachsenen "sozialisiert" würden, werde in der

Schule das Lernen vom Kontext der alltäglichen Reproduktionsaktivitäten abgetrennt19.

Auch das in der Schule geforderte "kritische Denken" und das Vertreten eigener

Standpunkte könne den in der interdependenten Orientierung geforderten Respekt für

die Eltern und Älteren unterminieren.

Weiterhin reduziere der Schulbesuch die Bereitschaft, ökonomische Vorteile mit der

Familiengemeinschaft zu teilen. Die Schule reduziere die soziale Funktionseinheit der

Großfamilie zur Kleinfamilie und vielleicht bis hin zum Individuum ("Single").

Wenn "interdependente" Orientierungen von Einwanderern in Gesellschaften mit "in-

dependenter" Orientierung mitgebracht werden, würden die "interdependenten" Orien-

tierungen noch über einige Generationen hinweg beibehalten, werden dann aber durch

die herrschenden "independenten" Orientierungen überlagert und verdrängt.

19vgl. zu den Veränderungen der kindlichen Sozialisation durch das Aufkommen des Schulwesens imÜbergang zur Neuzeit vgl. auch P. Aries (1960): Geschichte der Kindheit. München: dtv 1977

Page 15: Interdepence vs. Independence as Social Value Orientations

15

Independence vs. interdependence in der Kulturgeschichte: Diehistorischen Wurzeln der abendländischen Zivilisation und diePunkte des Zusammenstoßes der independenten und der interde-pendenten WertorientierungDas Problem eines Gegensatzes von independent self und interdependent self ent-

stand mit der Entstehung und Durchsetzung der antiken und modernen bürgerlichen

Gesellschaft gegenüber nichtbürgerlichen Vergesellschaftungsformen (Stamm, Feu-

dalismus). Diese unterscheiden sich nicht graduell, sondern fundamental. So schreibt

etwa der Ethnologe E.R. Service über die Unterschiede zwischen vorbürgerlicher so-

cietas und antik-bürgerlicher civitas (röm. civis - der Bürger; daher "Zivilgesellschaft" =

bürgerliche Gesellschaft):

"Die societas, im Gegensatz zur civitas, ist eine familistische und egalitäre Gesellschaftsform ohne

Regierung, ohne Privateigentum, Unternehmer oder Markt und ohne sozio-ökonomische Klassen. ...

In der gesamten Kulturevolution verläuft der schärfste erkennbare Bruch zwischen primitiven Kultu-

ren (societas) und der Zivilisation. ... Eines der interessantesten und wichtigsten Probleme der Völ-

kerkunde besteht im konkreten Ausmalen dieses Übergangs und der theoretischen Überbrückung

des Abgrundes zwischen unserem Verständnis primitiver Kultur und den Anfängen der Zivilisation.20

Bis heute gilt den Wissenschaften nun allerdings die Entstehung der abendländischen

Zivilisation in der Antike, der römischen civitas und der griechischen polis, als unver-

standen. So schreiben die prominenten Altertumsforscher Austin und Vidal-Naquet:

"Die Geburt der polis ist dunkel (...) Die Ursachen für die Entstehung der polis sind nicht gut be-

kannt."21

Dennoch ist den Altertumsforschern klar:

„Die griechisch-römische Welt ... (ist) ganz auf dem Privateigentum aufgebaut.“22

Da sich die Entstehung der eigentumsbasierten abendländischen Zivilisation bisher

offenbar präziser historisch-empirischer Rekonstruktion entzogen hat23, wird die so

entstandene Lücke in den gängigen Gesellschafts- und Zivilisationstheorien durch

20E.R. Service (1961): Primitive Social Organization: An Evolutionary Perspective. New York: RandomHouse 1971, S. 164/166

21M.M. Austin/P. Vidal-Naquet (1977): Economic and Social History of Ancient Greece. London, S. 49f.22M.I. Finley (1973): Die antike Wirtschaft. München: Deutscher Taschenbuch Verlag 1992, S. 2323vgl. aber als (umstrittenen, m.E. aber trotz seines provisorisch-skizzenhaften Charakters von der Idee hersehr plausiblen) Versuch einer konsistenten Rekonstruktion, der der herrschenden Lehre erhebliche Feh-ler in der Chronologiekonstruktion vorwirft, G. Heinsohn: Privateigentum, Patriarchat, Geldwirtschaft. Einesozialtheoretische Rekonstruktion zur Antike. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1984 (stw 455), Kap. 1; zur Chro-nologiefrage und zum Problem des "dunklen Zeitalters Griechenlands" aktuell G. Heinsohn: The Restora-tion of Ancient History. Did the Historians of Ancient Greece merely leave us Lies and Fantasies about allthe Major Empires, Nations and Events of Antiquity? Or: How to Reconcile Archeologically-Missing Histo-rical Periods with Unexpected Strata of the Ancient World. Ms., Vortrag vor der Society for Historical Re-search, New York, 8. Juli 1995; bereits publiziert ist G. Heinsohn: Die Sumerer gab es nicht. Von denGeisterreichen der Lehrbücher zur wirklichen Epochenabfolge in der "Zivilisationswiege" Südmesopotami-en. Frankfurt/M.: Eichborn 1988. Heinsohn greift dort die herrschende Chronologie mit einer stratigra-phisch-archäologischen Argumentation an.

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16

geschichtsphilosophische Spekulationen verschiedener Art gefüllt. So geht etwa Hob-

bes24 von einem "Naturzustand" des Krieges aller gegen alle aus, der durch den Staat

irgendwie befriedet worden sei25; im Christentum findet sich die Vorstellung eines ur-

sprünglichen paradiesischen Naturzustandes, der durch einen "Sündenfall" beendet

worden sei, wobei die zivilisatorischen Gesetze irgendwie als "Strafe Gottes" aufgefaßt

werden; Marx spekuliert, daß das Privateigentum zur Sicherung eines sich an den

Grenzen der "ursprünglichen Gemeinwesen" allmählich "ausdifferenzierenden" Güter-

Tauschs entstanden sei26, was ihm der gesamte Marxismus nachplappert; der Be-

gründer der kritischen Psychologie, einer kulturhistorisch ansetzenden sozialen Sub-

jekttheorie Klaus Holzkamp glaubt ganz ähnlich, die zum Eigentum gehörende Freiheit

aus einem "Mehrprodukt" ableiten zu können27.

Wenn auch über die Entstehung des Eigentums und des Staats, eines fundamentalen

Bruchs der Kulturevolution, der von zentraler Bedeutung für das Verständnis der

abendländischen Zivilisation und der für diese typischen individuellen Handlungspro-

blematiken ist, heute wenig gewußt wird, so zeigt doch der Kulturvergleich: staatlich

garantierte Eigentums- und Vertragsrechte bilden den Kern der abendländischen Zivi-

lisation und die Grundlage des "independent self"; Vertragsfreiheit und Vermögens-

haftung bilden die entscheidende Handlungsprämissen, die erst zu Zins, Geld, Markt,

Konkurrenz um knappes Geld, technischem Fortschritt und zu Konjunktur/Krise füh-

ren28.

"Independence" bezieht sich dabei auf die Abwesenheit unauflöslicher stammesge-

sellschaftlicher Solidar- oder feudaler Abgabenpflichten. An deren Stelle ist die Ver-

tragsfreiheit getreten: Verpflichtungen zwischen formell voneinander unabhängigen

Eigentümern kommen nur noch durch freiwillig eingegangene Verträge zustande, für

deren Erfüllung der Schuldner dann auch mit seinem Eigentum haftet: bei Zahlungs-

unfähigkeit können die Gläubiger die Zwangsvollstreckung veranlassen und den Erlös

aus der Zwangsvollstreckung des Schuldnervermögens zur Schuldentilgung heranzie-

24Th. Hobbes (1651): Leviathan oder Wesen, Form und Gewalt des kirchlichen und bürgerlichen Staates.Reinbek: Rohwolt 1965, passim

25 wobei übrigens nicht nur unerfindlich bleibt, warum und wie vorstaatliche Gesellschaften bis heute über-lebt haben und von Ethnologen "erforscht" werden können, anstatt sich mangels eines angeblich befrie-denden Staates gegenseitig schnell und vollständig auszurotten, sondern auch, wie es kommt, daß gera-de die den europäischen Nationalstaaten des 18. Jahrhunderts entstammenden "zivilisierten" Europäer anden nordamerikanischen Ureinwohnern Völkermord begehen konnten, obwohl sie doch eigentlich durchden Staat befriedet und zivilisiert hätten sein sollen

26K. Marx (1867): Das Kapital. Kritik der Politischen Ökonomie. Erster Band: Der Produktionsprozeß desKapitals. (MEW 23). Berlin: Dietz 1989, S. 102ff.; ähnlich Marxfreund Engels (1882): Der Ursprung derFamilie, des Privateigentums und des Staats. In: MEW 21. Berlin: Dietz 1974; Engels´ Eingeständnis sei-ner tatsächlichen Ratlosigkeit über die Entstehung des Privateigentums findet sich auf den Seiten60/124/157 derselben Schrift

27K .Holzkamp: Grundlegung der Psychologie. Frankfurt/M.: Campus 1983, S. 18228vgl. dazu nochmals meine Arbeit "Eigentum, Geld und zinsinduzierte Geldknappheit ..."

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17

hen. Ist ein Vertrag erfüllt, erlischt die einmal vereinbarte Pflicht und die ehemaligen

Vertragspartner stehen sich wieder als unabhängige, sich zu nichts verpflichtete Pri-

vatleute gegenüber. Das "independent self" ist der freie, vertragsmündige und daher

geschäftsfähige Bürger, das Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft.

Die antike bürgerliche Gesellschaft mündete in den mittelalterlichen Feudalismus - auf

den Prozeß des Zerfalls des römischen Reichs kann ich hier aber näher eingehen,

obwohl sich interessante Parallelen zur heutigen "postmodernen" Situation ergeben

würden29. Soviel sei jedoch gesagt: die mittelalterliche Gesellschaft war wieder eine

Feudalgesellschaft, die keine Eigentums- und Vertragsrechte, sondern lediglich Besitz-

rechte kannte und deren Produktion keine "geldwirtschaftliche", d.h. keine als Konkur-

renz um durch Zins knappgehaltenes Geld bei Strafe des Verlusts haftenden Eigen-

tums (Bankrott) organisierte war. Sie kannte deshalb auch nicht die typisch eigentums-

/geldwirtschaftliche Produktions- und Innovationsdynamik oder konjunkturelle

Schwankungen der Beschäftigung.

Die moderne (bürgerliche, abendländische, westliche etc.) Rationalität des "indepen-

dent self" entstand zunächst in Europa, indem nach der durch eine kleine Eiszeit (ab

1303) und Pestwellen (ab 1348) eingeleiteten spätmittelalterlichen Agrarkrise in der

Renaissance antike Texte (inclusive des römischen Rechts, auf dem das noch heute

gültige deutsche Bürgerliche Gesetzbuch von 1900 basiert) verstärkt rezipiert und

schließlich auch bürgerliche Rechtsstrukturen wieder institutionalisiert wurden. Dabei

wurde allerdings die im römischen Recht noch legalisierte Sklaverei beseitigt. In der

Antike war die Freiheit an Grundeigentum gebunden und ging mit dessen Verlust ver-

loren. Wer durch Überschuldung sein Grundeigentum verloren hatte, haftete für seine

Schulden auch mit seiner Person. Diese ging ins Eigentum eines Gläubigers über; der

Überschuldete war damit zum Sklaven geworden. In der Moderne wurden erstmals

auch Eigentumslosen gleiche Rechte zuerkannt, die nunmehr keine Sklaven mehr,

sondern freie Lohnarbeiter waren. Damit waren die bürgerlichen Rechte nunmehr zu

Menschenrechten avanciert. Herausgehobene Ereignisse sind hier natürlich die ame-

rikanische Verfassung30 und die französische Revolution, wobei der amerikanische

Süden mit der Abschaffung der Sklaverei etwas hinterherhinkte.

Die abendländische Rationalität wurde dann im Zuge des Kolonialismus in alle Welt

exportiert. Vorkämpfer der der Durchsetzung modern-abendländischer Rationalität war

dabei die Philosophie der Aufklärung und ihre Religionskritik; ihre zentralen (aus der

antiken griechisch-römischen Philosophie kommenden) Kampfbegriffe waren Freiheit,

29vgl. etwa G. Heinsohn/R. Knieper/O. Steiger: Menschenproduktion. Allgemeine Bevölkerungstheorie derNeuzeit. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1979, Kap. B

30vgl. etwa A. de Tocqueville (1848): Über die Demokratie in Amerika. München: dtv 1984

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18

Gleichheit, Gerechtigkeit, Selbstbestimmung und "Kritik"31 - Kritik der religiös legiti-

mierten Feudalherrschaft am Maßstab der wiederbelebten antiken bürgerlichen Ideale.

Das Problem "independent self" vs. "interdependent self" bestand dabei zunächst in

der Form der Durchsetzung moderner, aufklärerisch-wissenschaftlicher Denk- und

Praxisformen gegenüber den religiös geprägten Denk- und Praxisformen des agrar-

feudalistischen Mittelalters. Fürs alltagspraktische Handeln bedeutete das in erster

Linie das Denken und Handeln in den Formen von bürgerlichem Recht und Betriebs-

wirtschaft; die Rationalität des „independent self“ ist im Kern eine juristisch-

betriebswirtschaftliche (was heute selbst die ehemals diffus zivilisationskritischen

GRÜNEN zu merken beginnen). Mit den aus der europäischen Bevölkerungsexplosi-

on32 resultierenden Auswanderungs- und Kolonisierungswellen ergab sich ein erneuter

Zusammenstoß der bereits vom "independent self" geprägten Europäer mit stammes-

gesellschaftlich strukturierten außereuropäischen Kulturen. So z.B. In Nordamerika,

wo die Europäer die den zivilisatorischen Strukturmerkmalen Eigentum und Geld33

ratlos gegenüberstehenden indianischen Ureinwohner fast komplett ausrotteten. In

Südamerika waren die ankommenden Spanier mit den dortigen Ureinwohnern, etwa

den Indios und den aztekischen Hochkulturen, konfrontiert. Ähnliches passierte in

Afrika: auch dort stießen die ankommenden europäischen Kolonisatoren auf stam-

mesgesellschaftliche Strukturen, denen sie europäische Denkformen und v.a. das

Christentum brachten. An diesen Stellen des Zusammenstoßes abendländisch-

europäischer und außereuropäischer Kultur entstand jene Wissenschaft, deren Inter-

esse sich auf die Lebensweise der "traditionalen" Gesellschaften richtet, die Ethnolo-

gie.

Nachdem die europäische Bevölkerungsexplosion durch den Export der im Europa der

frühen Neuzeit durchgesetzten christlichen Sexual- und Familienmoral und Unfähigkeit

zur Geburtenkontrolle34 in die kolonisierte Welt exportiert worden war, in den koloni-

sierten "Entwicklungsländern" aber erhebliche Schwierigkeiten mit dem Import der

31Der für die deutsche Aufklärung zentrale Autor mit langer theoriegeschichtlicher Nachwirkung war wohlImmanuel Kant mit seinen Kritiken der reinen Vernunft, der praktischen Vernunft und der Urteilskraft

32vgl. zur Bevölkerungsexplosion G. Heinsohn/R. Knieper/O. Steiger: Menschenproduktion. AllgemeineBevölkerungstheorie der Neuzeit. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1979

33Die Indianer konnten die zentrale Bedeutung, die Geld für die Europäer hatte, nicht verstehen, da "manGeld nicht essen kann". Auch der europäischen Sozialwissenschaft ist Geld samt seinen modernen Be-gleiterscheinungen des Fortschritts und der Konjunktur übrigens bis heute dunkel geblieben, was sie al-lerdings nicht daran hindert, wortreiche Traktate über diesen Gegenstand zu verfassen - vgl. zu dieserThese W. Schelkle/M. Nitsch: Rätsel Geld. Annäherungen aus ökonomischer, soziologischer und histori-scher Sicht. Marburg: Metropolis 1995

34vgl. G. Heinsohn/O. Steiger, a.a.O. und dies.: Die Vernichtung der weisen Frauen. Beiträge zur Theorieund Geschichte von Bevölkerung und Kindheit. München: Heyne 1989, Kap. A IX: "Welchen Verlaufnimmt die Geschichte der Bevölkerung und Europa und der Welt nach der Vernichtung der weisen Frau-en?" (S. 157-184)

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"Modernisierung" (des Fortschritts) aufgetaucht sind35, entstand nun ein neues Rei-

bungsfeld der Rationalitäten des "independent self" und des "interdependent self".

Migranten nämlich, die aus traditional strukturierten Gesellschaften in westliche Ge-

sellschaften auswandern, sind im Kontext einer Rationalität des "interdependent self"

aufgewachsen, werden in den westlichen Gesellschaften dann aber mit den Anforde-

rungen des "independent self" konfrontiert. Am längsten ist die nordamerikanische US-

Gesellschaft als "immigrant nation" und "melting pot" schon mit diesem Problem be-

schäftigt. Schon sehr früh mischten sich dort Einwanderer europäischer, asiatischer

und afroamerikanischer Herkunft, wobei letztere zumeist nicht freiwillig kamen, son-

dern als Sklaven importiert wurden. Wenn also diese Immigranten den "Clash of Ra-

tionalities" in Form von "psychischen Problemen" zu spüren bekommen, können sie

als "unnormal" auffällig werden und in Kontakt mit dem System der psychosozialen

Versorgung geraten:

"When interdependently oriented people are minority members of a dominant society oriented to-

wards independence, an unequal meeting of values occurs. There is a tendency for members of the

dominant individualistic society to evaluate negatively members of a minority whose behavior, goals,

and attitudes reflect an emphasis on interdependence. For example, the dominant Euro-American

society treats Native Americans as hampered by communal values. (...) There ist a real internal

conflict, the sources of which are not always well understood by the person experiencing such con-

flict. For example, Asian students often feel selfish for desiring to choose a field of study. They do

not realize that what is labeled selfishness in their subculture is valued as self-actualization in the

dominant society. In other words, they do not realize that they are caught in a conflict between two

value systems. The "culture-free" psychology that they have studied has certainly not helped make

them aware of value conflicts."36

Die auf independence (Freiheit/Gleichheit, Recht&Geld) basierenden Gesellschaften

stellen Anforderungen an die in ihren Herkunftsgesellschaften zur "interdependence"

sozialisierten Individuen, die den Werten der "interdependence" widersprechen. Was

hier positiv bewertet wird, wird dort sanktioniert. Es wird also für die "interdependent"

sozialisierten eine "Umwertung aller Werte" nötig: eine vielleicht auch schmerzhafte

Umwälzung des Bewußtseins und der gesamten Wahrnehmungs-, Denk- und Hand-

lungsstrukturen. Der gesellschaftliche Prozeß der Zerstörung der kollektiven Siche-

35Die entwicklungspolitischen Bemühungen der letzten 30 Jahre bestanden aus einer Reihe von Fehlschlä-gen. Der Frankfurter Ökonomieprofessor Wilhelm Hankel schreibt über die Unfähigkeit der herrschendenSozialwissenschaft bei der Anleitung zur Herstellung bürgerlicher Strukturen: „Das Versagen der traditio-nellen Schulökonomie zeigt sich nirgendwo deutlicher als darin, ihr Modell der westlichen Marktwirtschaftin den Entwicklungsländern sowie den Nachfolgestaaten des ehemaligen Realsozialismus zu verwirkli-chen.“ (W. Hankel: Geld - der Entwicklungsmotor. Thesen zu einer monetären Entwicklungstheorie. In:H.J. Stadermann/O. Steiger: Der Stand und die nächste Zukunft der Geldforschung. Festschrift für HajoRiese zum 60. Geburtstag. Berlin: Duncker&Humblot 1993, S. 439-448 (439))

36P.M. Greenfield: Independence and Interdependence as Developmental Scripts: Implications for Theory,Research and Practice. In: P.M. Greenfield/R.R. Cocking (1994): Cross-Cultural Roots of Minority ChildDevelopment. Hillsdale/NJ: Lawrence Erlbaum, p. 1-40 (20/28), Übersetzung von mir

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rungssysteme und die Restrukturierung auf der Basis der "independence" muß quasi

individuell nochmals nachvollzogen werden.

Hier entsteht dann Bedarf an einer psychologischen Theorie, die diese aus dem "clash

of incompatible cultural rationalities" entspringenden Konflikte und Schwierigkeiten

erklären und ggf. bewältigbar machen kann, an einer kulturvergleichend-historischen

Psychologie. Die Psychologie wiederum kann dabei auf Ergebnisse anderer Wissen-

schaften zurückgreifen, die sich mit demselben Problem aus anderer Perspektive be-

reits befaßt haben - die Ethnologie, die Geschichtswissenschaft und die Soziologie,

wobei hier oftmals das methodische Problem auftaucht, daß diese Wissenschaften

nicht im Modus "subjektiver Handlungsgründe", sondern im Modus von Beschreibun-

gen vom Außenstandpunkt arbeiten (am wenigsten trifft dies wohl auf psychoanaly-

tisch beeinflußte ethnologische Studien zu).

Aber auch innerhalb der modernen europäischen Gesellschaften gibt es eine Stelle, an

der der Konflikt der Rationalitäten von interdependent und independent self zum Pro-

blem wird. Das ist der Zerfall der Lohnarbeiterfamilie und parallel dazu die Frauene-

manzipation. Produktionsmittellose Lohnarbeiter sind auf Kinder nicht existenziell an-

gewiesen, da sie ihnen kein Reproduktonsmitteleigentum zu vererben haben, aus

denen sie von den Kindern eine Altersversorgung erwarten könnten. Für die vormo-

derne Geschichte gilt, daß die Familiengründung an vererbbaren Reproduktionsmittel-

besitz geknüpft war. Antike Sklaven und mittelalterliches Gesinde waren als Produkti-

onsmittellose "ledig", d.h. der ursprünglichen Bedeutung nach sowohl land- wie famili-

enlos.

Die Lohnarbeiter nun sind die historisch erste Klasse, die über keinen vererbbaren

Reproduktionsmittelbesitz verfügt, aber dennoch Familien gründet und lange Zeit so-

gar historisch beispiellos viele (großenteils ungewollte und ungeplante) Kinder in die

Welt setzt. Dies ist Resultat der in der frühen Neuzeit bevölkerungspolitisch herge-

stellten Unfähigkeit zur Geburtenkontrolle37, die in die europäische Bevölkerungsex-

plosion mündete.

Die Lohnarbeiter können ihren Kindern nun keine Zukunft in Form der Weitergabe des

Familienbetriebs versprechen, sondern müssen ihre Kinder in die Konkurrenz der Ar-

beitsmärkte entlassen, wobei die Moderne die Rentenversicherung als nicht mehr

familienwirtschaftlich organisiertes System der Altersversorgung geschaffen hat. Kin-

37vgl. zu dieser der herrschenden Lehre der historischen Demographie widersprechenden und kontrover-sen, m.E. aber sehr plausiblen These ausf. G. Heinsohn/R. Knieper/O. Steiger (1979): Menschenproduk-tion. Allgemeine Bevölkerungstheorie der Neuzeit. Frankfurt/M.: Suhrkamp und G. Heinsohn/O. Steiger(1985): Die Vernichtung der weisen Frauen. Beiträge zur Theorie und Geschichte von Bevölkerung undKindheit. München: Heyne 1989. als Kurzfassung vgl. Heinsohn, G./ Steiger, O. (1980): Die Kinder Euro-pas. Von der gewaltsamen Menschenproduktion zur »menschlichen Springflut«. Kursbuch 62, Dezember1980, S. 135-144

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der sind also für eigentumslose Lohnarbeiter keine Sicherung, sondern in erster Linie

eine finanzielle Belastung, die ihre Konkurrenzfähigkeit (Mobilität etc.) einschränkt.

In dem Maß, wie das im Rahmen der frühneuzeitlichen Bevölkerungspolitik vernichtete

und kriminalisierte Wissen über Geburtenkontrolle zurückgewonnen wird, verzichten

die mit dem Verschwinden von bäuerlichen Kleinbetrieben zunehmend zur Bevölke-

rungsmehrheit werdenden Lohnarbeiter daher auf Nachwuchs, was in dem in allen

westlichen Industrienationen mit freier Lohnarbeit38 zu beobachtenden Geburtenrück-

gang resultiert.

Zunehmend geht damit einher auch der Verzicht auf den Unterhalt einer Ehefrau:

selbstverdienende Frauen werden von lohnarbeitenden eigentumslosen Männern zu-

nehmend bevorzugt. Für die Frauen, für deren traditionelle Aktivitäten bei der Kinder-

aufzucht und der "Hausarbeit" die Rationalität des "interdependent self" funktional war,

heißt dies, daß sie nicht mehr sicher sein können, einen versorgungswilligen Ehemann

zu finden und sich daher selber für die Arbeitsmärkte fitmachen müssen. Dafür benöti-

gen sie nicht nur sämtliche Rechte wie Vertragsmündigkeit, freie Wohnsitzwahl etc.,

die bisher von ihren Vätern oder Ehemännern für sie ausgeübt wurden und für die sie

nun im Rahmen der Frauenemanzipation kämpfen, sondern auch all die traditionell als

"typisch männlich" geltenden Fähigkeiten, die zum Bestehen in der Arbeitsmarktkon-

kurrenz und im Geschäftsleben nötig sind, also Durchsetzungsfähigkeit, "gesunden

Egoismus", ein gewisses Maß an Rücksichtslosigkeit und "Härte" usw. Aber auch nach

der Ausbildung steht Frauen natürlich prinzipiell der (nicht mehr gesicherte!) Weg der

Hausfrauen- und Mutterexistenz offen, der natürlich mit ganz anderen gesellschaftli-

chen Erwartungen verbunden ist als die der "Karrierefrau". Daher besteht für Frauen in

der Moderne ein permanenter Entscheidungskonflikt zwischen "independentem" Kar-

riere- und "interdependentem" Mütter-Verhalten, der die Quelle vieler frauenspezifi-

scher und in der modernen, männlich dominierten Wissenschaft ausgeklammerter

psychologischer Probleme bildet, die Anlaß zur Entwicklung feministischer Wissen-

schaft gaben39.

Der durch derartige "Individualisierung" (so die gängige, begriffslos deskriptive sozio-

logische Bezeichnung für diesen Prozeß) resultierende Familienzerfall und der damit

einhergehende Geburtenrückgang wird (nicht ganz zu unrecht) zuweilen als Bedro-

38In der einzigen westlichen, kapitalistisch organisierten Gesellschaft ohne freie Lohnarbeit, den genossen-schaftlich strukturierten Kibbuzim Israels, sind dagegen bleibend hohe Geburtenraten zu beobachten (4Kinder pro Frau); als mögliche Erklärung vgl. G. Heinsohn: Frauen und Mütter im israelischen Kibbutz:Familien- und Bevölkerungstheorie einer hochentwickelten Kommunegesellschaft. Ms., Univ. Haifa 1977

39vgl. zu dieser hier nur skizzierten Argumentation ausf. mein Aufsatz "Sozialhistorisch-psychologischeDiagnostik familienrechtlicher Begutachtung oder: warum die moderne Famile von der historischen Bild-fläche verschwindet", unveröff. Hausarbeit am Institut f. Psychologie der FU Berlin, 1996 undHeinsohn/Knieper/Steiger, a.a.O. und G. Heinsohn/R. Knieper: Theorie des Familienrechts. Geschlechts-rollenaufhebung, Kindesvernachlässigung, Geburtenrückgang. Frankfurt/M. 1974

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hung zivilisatorischer Grundlagen empfunden, die den Bestand der Gesellschaft in

Frage stelle. Aus fortpflanzungsunwilligen Singles, aus totalindividualisierten indepen-

denten Einzelwesen ohne Wurzeln in interdependenten Familienstrukturen, sei keine

Gesellschaft zu machen, die sich über die Generationen hinweg reproduziere. Von

Seiten des Staates wird auf diesen Prozeß z.T. mit einer "Frauen zurück an den Herd"

- Moral reagiert, die natürlich an den Problemkern - die zunehmende Versorgungsun-

willigkeit männlicher Lohnarbeiter - nicht herankommt und deshalb dem Trend zum

Familienzerfall gegenüber langfristig hilflos bleibt. Deshalb versucht der Staat auch,

über Kindergeld und vielleicht bald auch ein Erziehungsgehalt40 die Männer und Frau-

en durch finanzielle Anreize zur Familiengründung zu motivieren, also die Produktion

von Lohnarbeiternachwuchs für den Arbeitsmarkt zu einer Einkommensquelle zu ma-

chen oder mindestens entstehende finanzielle Nachteile auszugleichen. Zum Glück

wehren sich auch in der Politik noch Leute gegen solche Vorhaben: Norbert Blüm etwa

will derartiges "Aufbauen von Zeugungsdruck"41 keineswegs unterstützen.

Schließlich wäre neben dem sozialhistorischen Hintergrund auch noch auf die indivi-

dualbiographische Variante des Problems hinzuweisen: gilt die Kindheit als geprägt

von Abhängigkeit und "interdependence" und die Familie als Hort einer Rationalität der

"interdependence" (gegenseitigen unbürokratischen Helfens jenseits vertraglicher und

geldvermittelter geschäftlicher Transaktionen), so gilt das Hineinwachsen in die von

der "independenten" juristisch-betriebswirtschaftlichen Rationalität bestimmten "Er-

wachsenenwelt" bzw. Berufswelt der bürgerlichen Gesellschaft als Sozialisation zum

autonomen, selbstbestimmten und selbständigen (erfolgreichen) Individuum. So gese-

hen wäre der Konflikt zwischen der Rationalität des "interdependent self" und der des

"independent self" auch in jeder westlichen Individualbiograpie zu verarbeiten - näm-

lich in der "Adoleszenz", die daher oft als krisenhaft erlebt wird.

Independence vs. interdependence in der Diskussion des Abend-landes: Die Ambivalenz und Widersprüchlichkeit der Beurteilun-genInteressanterweise finden wir in den abendländischen Diskursen zwei unterschiedliche

Varianten des Umgangs mit den sich offensichtlich widersprechenden Rationalitäten.

Die "aufklärerische" Variante sieht im Staat mit Eigentum, Freiheit, Gleichheit und dar-

auf basierender Selbstbestimmung des "independent self" das "Wesen des Men-

schen", das allein seiner "Natur" entspreche und daher nicht nur natürlich, sondern

auch "gut" und daher wünschenswert sei. Alles "kollektivistische" dagegen sei "unter-

40N.N.: Zeugen oder Zahlen. Sozialpolitiker der Bonner CDU wollen Kinderlose zu einer Sonderabgabezwingen. DER SPIEGEL 48, 1996, S. 88-89

41ebd.

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23

drückerisch" und der "menschlichen Freiheit" abträglich. Zugspitzt und auf den Um-

gang mit psychischer Krankheit und Gesundheit bezogen könnte man sagen: Heil bzw.

Heilung wird in diesem Diskurs mit dem Wertekomplex der "Independence" verspro-

chen, während die mit der Wertorientierung der "Interdependence" verbundenen

Handlungsorientierungen pathologisiert werden. Anders: das Konstrukt von "Gesund-

heit", das diesen Diskurs dominiert, entspricht der "independenten" Wertorientierung,

während die "interdependente" Wertorientierung eher ins Bedeutungsfeld von "Krank-

heit" gerückt wird42.

Die besonders unter sich als "kritisch" bezeichnenden Intellektuellen beliebte "zivilisa-

tionskritische" Variante dagegen beklagt die mit den Handlungsanforderungen ans

"independent self" auftretenden Härten umgekehrt als "Unbehagen in der Kultur" oder

gar als "Entfremdung" von der "wahren Natur" des Menschen. Mit uneingeschränkten

Individualismus sei asozialer Egoismus verbunden, der die menschliche Gemeinschaft

zersetze und zerstöre, weshalb der "Individualismus" des "independent self" nicht nur

"unnatürlich" bzw. "künstlich", sondern auch moralisch zu verdammen sei und entwe-

der komplett abgeschafft oder aber mindestens durch Bereiche, in denen die Rationa-

lität des "interdependent self" gilt (Familie, Vereine), ergänzt und kompensiert werden

müsse. Den Maßstab der "Natürlichkeit" liefert den Zivilisationskritikern meist ein my-

thisch überlieferter Urzustand ("Paradies", "Urkommunismus" etc.) oder der Europäern

paradiesisch erscheinende Jetztzustand der Südsee-"Naturvölker", demgegenüber die

Härten zivilisatorischer Anforderungen als "Strafe Gottes" aufgefaßt werden; zuweilen

kommen auch diffuse "Utopien" einer zukünftigen Gesellschaft zum Zug, von der die

Zivilisationskritiker allerdings in aller Regel nicht wissen, worin diese von bisher be-

kannten Gesellschaftsformen differieren soll. Hier wird also die Orientierung der "Inde-

pendence" statt mit "Gesundheit" genau umgekehrt mit "Krankheit" und "Entfremdung"

assoziiert, während der Wertekomplex der "Interdependence" in die Nähe von "Ge-

sundheit" bzw. Heil/Heilung gerückt wird. Die independente Orientierung wird patholo-

gisiert (z.B. als "antisozialer Narzißmus"43), die

"Werte aus dem fernen Osten (werden dagegen ) als Garant gegen die Sozialpathologien der Mo-

derne angepriesen."44

Wir haben also in den beiden Diskursen genau entgegengesetzte Bewertungen: was

im einen Diskurs als gesund und erstrebenswert gilt, gilt im anderen als krank und

beseitigenswert und umgekehrt. Auf der einen Seite steht also ein zivilisationsbeja-

hender Naturalismus (Naturzustand = schlecht, Zivilisation = gut, weil sie die "wahre

42als semantisch/etymologische Belege dieser These vgl. FN 1; s.a. S. 1943z.B. von C. Lasch: Culture of Narcissm. American Life in An Age of Diminishing Expectations. New York:Norton 1978

44D. Senghaas: Über asiatische und andere Werte. In: Leviathan 23, 1995, S. 5-12 (5)

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Natur" des Menschen erst verwirklicht)45, auf der anderen Seite ein zivilisationskriti-

scher Naturalismus (Natur = gut, Zivilisation=schlecht, weil sie die "wahre Natur" zer-

stört bzw. pervertiert).

Man kann also getrost von einer "ambivalenten Beurteilung" zivilisatorischer Ba-

sisstrukturen sprechen, die mit analytischem Unvermögen einhergeht (s.u.).46

Die erste Position wird im wesentlichen vom Liberalismus vertreten. Dieser behauptet

zusätzlich, daß nur eine konsequente Durchsetzung des "Individualismus" zu wirt-

schaftlichen Wohlstand führe, indem sich nämlich die Partikularinteressen über den

Markt per Angebot und Nachfrage quasi automatisch47 ausgleichen und zu allgemei-

nem Wohlstand führen sollen. Bekanntlich ist der Liberalismus in Gestalt des "Neolibe-

ralismus" derzeit die politisch herrschende Meinung.

Die zweite, zivilisationskritische Position, dominierte in der Romantik und wurde dann

in den 80er Jahren von den GRÜNEN wiederbelebt, ist aber auch in der literarischen

Tradition und bei sich als "kritisch" verstehenden Intellektuellen oft anzutreffen. Sie

beinhaltet meist kulturpessimistisch-apokalyptische Untergangsprophetie, wobei der

"Untergang" den Kritikern zufolge nur durch eine "neue Gesellschaft" vermieden wer-

den kann. In den 80er Jahren hat sich diese (diffuse) sich v.a. für asiatische Werte und

östliche Esoterik interessierende Zivilisationskritik mit systemtheoretisch-

kybernetischen und quantenphysikalischen Begriffen vermischt und z.T. wie eine Heil-

sideologie unter Wissenschaftlern verbreitet, wobei die Bücher des österreichisch-

amerikanischen Atomphysikers Fritjof Capra sehr beliebt waren48, dessen Interesse an

östlicher Mystik wiederum auf ähnliche Interessen Werner Heisenbergs zurückgeht.

Die Sozialisten haben zu einer eigentümlichen Vermengung von Zivilisationskritik und

"emanzipatorischer", liberalistischer bürgerlicher Feudalismuskritik samt Fortschritts-

bejahung gefunden. Sie beklagten einerseits unter der Überschrift "Entfremdung" die

45Eine besonders prägnante Version dieser Variante findet sich in Thomas Hobbes´ (1588-1679) Leviathan,in dem der "Naturzustand" als "Krieg aller gegen alle" aufgefaßt wird, den erst der Eigentum und Vertraggarantierende Staat beende (Hobbes war nie in Nordamerika und konnte daher nicht sehen, daß seine fürdie Wirren des ausgehenden Mittelalters - die Umgebung seiner Denkarbeit - plausibel scheinende Thesefür die nordamerikanischen indianischen Ureinwohner nicht zutraf. In deren Stämmen herrschte bei allenFehden zwischen den Stämmen keineswegs ein permanentes Bekriegen der Stammesmitglieder, dasdurch einen bürgerlichen Rechtsstaat zu befrieden gewesen wäre. Wäre dem so gewesen, hätten sie wohlkaum je eine Generation überdauert. Im spätmittelalterlichen Europa dagegen bestimmte tatsächlich einetiefe, in Bauernkriege mündende Krise die Zeit vor der Institutionalisierung bürgerlicher Staaten. Insofernist Hobbes´ These zeit- und ortsgebunden plausibel, aber nicht verallgemeinerbar.

46Es darf hier nicht verschwiegen werden, daß es auch Ärzte gab, die soziale Begründungszusammenhän-ge typisch moderner Krankheiten ebenso erkannten wie die Unzulänglichkeit und Idelogiehaltikgkeit derherrschenden wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Strömungen und sich selber um zureichendeAnalysen bemühten. Dazu gehört v.a. der jüdische Arzt und Soziologe Franz Oppenheimer

47hier wird gern Adam Smiths Bild von der "invisible Hand" bemüht, das leider bis heute als (deskriptivnicht einmal zutreffende) Metapher in gar keiner Weise erklärt, wie die bekanntlich periodische Pleitewel-len samt Arbeitslosigkeit einschließende krisenhafte Dynamik von Märkten tatsächlich funktioniert, denLiberalisten (Westerwelleschen Formats) fürs Propagieren ihrer Heilsideologie aber völlig ausreicht

48F. Capra: Wendezeit. Bausteine für ein neues Weltbild. München: Droemer/Knaur 1985

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25

Härten des "independent self". Bei den produktionsmittelbesitzenden Bürgern führe die

"independence" zur Geldgier und Ausbeutungssucht, bei den eigentumslosen Lohnar-

beitern sei die "independence" gleichbedeutend mit Arbeitsplatzunsicherheit und Un-

terordnung unter fremdbestimmte Arbeitszwänge. Andererseits jedoch wurde von ih-

nen die "Selbstbestimmung", die doch zum "independent self" des Bürgers gehört,

immer wieder großgeschrieben, wobei man glaubte, diese samt dem techn. Fortschritt

erst im "Sozialismus" "voll" verwirklichen zu können - ironischerweise durch die Besei-

tigung der Grundlage von Freiheit und Gleichheit und des Fortschritts, nämlich des

Eigentums und der Vertragsfreiheit. Daß das nicht funktionieren kann, hätte eine zu-

reichende Theorie der bürgerlichen Gesellschaft prognostizieren können. Da aber

ideologische Positionen dominierten und die Marxsche Theorie den Fortschritt der

bürgerlichen Gesellschaft unverstanden gelassen hatte, mußten erst lange und bittere

historische Erfahrungen mit der vermeintlich "höheren" Gesellschaftsform des Sozia-

lismus gesammelt werden, bevor sich diese Einsicht auch praktisch durchsetzte.

Nachdem das sozialistische Denken, das auch vom Nichtverständnis bürgerlicher

Strukturen lebt, 1968 nochmals einen Schub erhalten hatte, der insbesondere das

Denken einiger Berliner PsychologInnen heftig beeinflußte, hat es heute angesichts

der historischen Entwicklungen seit 1989, denen viele Linke noch immer verständnis-

los gegenüberstehen, eher weniger Erfolg.

Die diffuse Rede von einer "Neuen Gesellschaft" bleibt dennoch als Trostspender in

den Schriften diverser Kulturkritiker präsent. Dabei sollte allerdings im Hinterkopf be-

halten werden, daß bisher neben der Eigentumsgesellschaft nur Stammes- und Feu-

dalgesellschaften bekannt sind und der Kollaps der letzten Eigentumsgesellschaft

(Roms) in einen Feudalismus mündete. Auch die Beseitigung eigentumsgesellschaftli-

cher Strukturen in Ostdeutschland nach 1945 mündete in eine neue Form von moder-

ner (sozialistischer) Feudalgesellschaft, in der die Nomenklatura die traditionelle Ari-

stokratie ersetzte. Sollte also mit der Rede von der "Neuen Gesellschaft" ein vierter,

neuer Gesellschaftstyp angezielt sein, bleibt diese Rhetorik so lange ebenso vage und

unglaubwürdig wie unbeachtet, wie ungesagt bleibt, worin sich diese "Neue Gesell-

schaft" konkret von bisher bekannten Gesellschaften unterscheiden soll. Sie wird dann

vom allgemeinen Publikum zu Recht als abgehobenes, leeres Intellektuellenge-

schwafel abgetan.

Aktuell beliebter ist daher die Debatte um den "Kommunitarismus"49, die das hier in-

teressierende Problem des Gegensatzes von "interdependent self" und "independent

self" unter dem von Ferdinand Tönnies geprägten soziologischen Begriffspaar "Ge-

meinschaft vs. Gesellschaft" diskutiert. Im Kommunitarismus wird v.a. der Familien-

49vgl. etwa M. Brumlik/H. Brunkhorst: Gemeinschaft und Gerechtigkeit. Frankfurt/M.: Fischer 1993

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zerfall und die "Individualisierung" als "Gemeinschaftsverlust" beklagt; aber ihre

Grundlagen, das Eigentum und die Lohnarbeit, werden anders als im Kommunismus

(ohne "tari" in der Mitte) ausdrücklich befürwortet. Der Zerfall der Familiengemein-

schaft soll in dieser Strömung durch moralische Beschwörungen aufgehalten werden;

zusätzlich sollen durch Vereinsarbeit und ehrenamtliche Arbeit in den Communities

und Stadtteilen wieder Elemente der "Gemeinschafts-" Rationalität gestärkt werden.

Eine weitere Position, die des Liberalsozialismus, versucht eine Kombination beider

Rationalitäten durch eine genossenschaftliche Orientierung. Eine Siedlungsgenossen-

schaft bildet dabei eine solidarische Eigentümer- und Haftungsgemeinschaft, die sich

nach außen hin gleichwohl als "individualistische" Rechtsperson verhält. Intern sind

also bürgerlich-rechtliche Vertragsbeziehungen aufgehoben, nach außen hin jedoch

weiter existent. Ältestes Beispiel für eine derartige Orientierung sind die israelischen

Kibbuzim50.

Alle Positionen finden sich auch in der Psychologie wieder: besonders prägnant in der

Debatte um die Psychoanalyse. Während die originäre Psychoanalyse Freuds trotz

allen Beharrens auf einem unaufhebbaren "Unbehagen in der Kultur" eher die die er-

ste zivilisationsbejahende Position vertritt, versuchen die marxistischen Zivilisationskri-

tiker umgekehrt, global und undifferenziert alles irgendwie "schlechte" dem "Kapitalis-

mus" in die Schuhe zu schieben51, verstehen das aber nicht als Zivilisationskritik, weil

sie fest daran glauben, die "wahre" "menschliche" Zivilisation liege in Form des "Kom-

munismus" (den wir doch gerade hinter uns haben) erst noch vor uns. Die Marxisten

bieten uns also ein eigentümliches Amalgam von Zivilisationsbejahung und Zivilisati-

onskritik, das allerdings auf dem Nichtverstehen der Zivilisation (inbesondere ihres

Fortschritts) und christenähnlicher Heilsgläubigkeit beruht.

Sowohl an den "affirmativen" wie den "kritischen" Positionen fällt auf, daß sie sich je-

weils auf die negativen Seiten der einen Rationalität konzentrieren und die positiven

der anderen hervorheben, während sie das umgekehrte unterlassen. So gehen etwa in

linken "kulturkritischen" Kreisen der Mythos vom "edlen Wilden" Hand in Hand mit

"Konsumkritik", Kritik an der "Manipulation" durch die Industriewerbung etc., während

gestandene Liberalisten und Marktwirtschaftler umkehrt den Primitivismus und die

Brutalität des "Wilden" hervorheben und mit den Möglichkeiten und Freuden markt-

wirtschaftlicher Konsummöglichkeiten sowie dem Informationswert und künstlerischen

Anregungsgehalt der Werbung konfrontieren. Reden die linken Kulturkritiker einem

also ständig ein, daß man in der bürgerlichen Gesellschaft niemals "glücklich" werden

50vgl. N. Besch: Die israelischen Genossenschaften, besonders die Siedlungsgenossenschaften des Kib-butz, des Moschaw Owdim und des Moschaw Schitufi. Münster: Regensberg 1995

51z.B. U. Osterkamp, Motivationsforschung 2. Frankfurt/M.: Campus 1976 und K. Holzkamp: Grundlegungder Psychologie. Frankfurt/M.: Campus 1983, S. 381

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könne, da ein "richtiges Leben" in der als "Falsch" verstandenen bürgerlichen Gesell-

schaft nicht möglich sei, so behaupten die Liberalisten umgekehrt, nur in der Markt-

wirtschaft könne individuelles Glück (in Gestalt eines Einfamilienhauses, einer Ehefrau

und 2 Kindern sowie eines Autos der oberen Mittelklasse und regelmäßigen Italienur-

laubs) erreicht werden.

Aber auch Psychologen, die durchaus liberalistisch für Freiheit, Gleichheit, Geld und

Markt Partei ergreifen, führen individuelle Belastungen auf den "zunehmenden Indivi-

dualismus" zurück, der die Familie zerstöre und irgendwie, z.B. durch "soziale Berufe",

kompensiert werden müsse. So schreibt z.B. der Urheber der Theorie der gelernten

Hilflosigkeit, M. Seligman:

"Wir leben in einer modernen Gesellschaft, die jedem ihrer Mitglieder Rechte zugesteht, die das In-

dividuum noch nie zuvor besaß. (...) Die neuen Freiheiten brachten Gefahren mit sich. Denn das

Zeitalter des Selbst ist auch das Zeitalter jenes Phänomens, das sehr eng mit dem Pessimismus

verbunden ist - der Depression. (...) Wir befinden uns mitten in einer Depressions-Epedemie. (...)

Schwere Depression tritt heute zehnmal häufiger auf als vor fünfzig Jahren. Frauen leiden daran

doppelt so häufig wie Männer. Außerdem setzt diese Krankheit heute ein volles Jahrzehnt früher im

Lebensverlauf ein als noch vor einer Generation."52

Später heißt es im selben Buch:

"In Kapitel vier habe ich dargelegt, daß die Depression seit Ende des Zweiten Weltkrieges beständig

zugenommen hat. ei jungen Menschen ist das Risiko einer shweren Depression heute zehnmal so

hoch wie zur Jugendzeit ihrer Großeltern. Besonders betroffen sind Frauen und Kinder. Es gibt kei-

ne Anzeichen dafür, daß die Epidemie von Depressionen nachläßt; darin liegt die größte Gefahr für

Lara (Seligmans Tochter, WT) und ihre Generation.

Es gibt eine Erklärung dafür, warum Depression heute so viel häufiger auftritt und warum das mo-

derne Leben in den Industrieländern die Kinde so anfällig für lebenshemmende Depression macht.

(...) Meine Diagnose lautet: Die Ursache der Depressionsepidemie ist der vielzitierte Bedeutungs-

zuwachs des Individualismus und der Niedergang des Engagements für das Gemeinwohl. (...) Ich

glaube, daß ungebremster Individualismus so negative Konsequenzen hat, daß er langfristig uns

und gleichzeitig sich selbst zerstören wird."53

Derartige Einlassungen sind nun trotz aller Popularität und trotz oberflächlicher Plausi-

bilität - schließlich wird eine statistische Korrelation bzw. ein sozialer Trend grob be-

schrieben - weder sonderlich präzise noch aufschlußreich oder gar praxisrelevant. Sie

ähneln in ihrer (gelernten?) analytischen Hilflosigkeit gegenüber der "individualisti-

schen Zivilisation" der in der Kritischen Psychologie beliebten marxistischen Formulie-

rung von "dem Kapital" bzw. dessen "Rationalität", die dann mit einer diffusen "Ratio-

nalität der Herrschenden" gleichgesetzt wird, als Quelle praktisch sämtlicher Übel und

52M. Seligman: Learned Optimism, 1990, S. 18f.53M. Seligman: Learned Optimism, 1990, S. 352/357

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negativen Befindlichkeiten54. Aufgrund ihrer Diffusität bleiben solche Diagnosen für die

Praxis denn auch meist folgenlos.

Viel mehr, als gegenüber den widersprüchlichen Beurteilungen der widersprechenden

Wertorientierungen abstrakt und diffus "Ambiguitätstoleranz" zu empfehlen, hat die

Psychologie, sei sie nun kulturvergleichend oder nicht, bisher denn auch nicht zustan-

degebracht. Ihrem Selbstverständnis nach ist die Psychologie eine der "Gesundheit"

dienende "Wissenschaft". Sie sollte sich also fragen lassen, wie eine Disziplin, die sich

nichteinmal darüber im klaren ist, was "Gesundheit" denn nun eigentlich ist bzw. sogar

ganz widersprüchliche Vorstellungen von "Gesundheit/Krankheit" hat, der Gesundheit

eigentlich dienen will. Denn sie kann ja ohne nicht-beliebige Vorstellung von Gesund-

heit gar keine Ziele setzen - oder diese Ziele gar nicht legitimieren, was natürlich auch

heißt, daß niemals die Mittel für die ja unbekannten Ziele gefunden werden können. Es

kann denn auch nicht überraschen, daß Psychologen zuweilen ihre diesbezügliche

Ratlosigkeit offen zugeben:

"Was soll durch Psychotherapie verändert werden? Was bewirkt Psychotherapie wirklich? Was sind

die Grundelemente einer gelungenen Psychotherapie? Alle vorliegenden Therapiekonzepte sind

Versuche, Antworten auf diese Fragen zu finden. Die Vielfalt der vorhandenen Ansätze ist jedoch

auch ein deutliches Indiz dafür, daß die Antworten als unzureichend betrachtet werden."55

"Wir sind ... noch weit von einer befriedigenden Antwort auf die Frage entfernt, was therapeutische

Veränderung möglich macht und bewirkt."56

In den meisten Fällen jedoch behelfen sich PsychologInnen bekanntlich damit, gar

keine Ziele zu formulieren. Vielmehr scheinen mir Psychologen bisher im wesentlichen

zwei Dinge zu tun: entweder, sie hantieren mit vermeintlich „wissenschaftlichen“ Kon-

zepten, die nicht nur weit hinter den alltäglichen „gesunden Menschenverstand“ zu-

rückfallen und dessen Komplexität und Kreativität nicht auch nur annäherungsweise

gerecht werden, sondern im Grunde - auf unerkannte Weise - ausgearbeitete Meta-

phern darstellen und deshalb eher mit Totemismus als mit wissenschaftlicher Analyse

vergleichbar sind. Beispiele dafür wäre etwa die die kognitive Psychologie dominieren-

de Computer-Metapher; die hydraulische Metapher des Freudschen Triebmodells, etc.

Da sich die Mehrzahl dieser Theoretiker des metaphorischen Charakters ihrer Denk-

modelle nicht bewußt zu sein scheint, halte ich sie im Hinblick auf die Struktur ihres

Denk- und Glaubenssystems vergleichbar mit Christen, das Abendmahl in der Über-

zeugung einnehmen, sie würden den Leib Jesu essen und sein Blut trinken - eine mir

ähnlich ekelhaft und absurd erscheinende Vorstellung wie die Vorstellung, das

menschliche Gehirn sei nichts als ein komplizierter Computer (und möglicherweise ist

54K. Holzkamp: Grundlegung der Psychologie. Frankfurt/M.: Campus 1983, S. 38155Wetzel, H./Linster, H.W. (1992): Psychotherapie. In: Asanger, R./Wenniger, G.: Handwörterbuch psy-chologischer Grundbegriffe. Weinheim: Psychologie Verlags Union 1992, S. 630

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es kein Zufall, daß die Gesichtszüge vieler dieser Theoretiker im Hinblick auf Flexibili-

tät und Veränderbarkeit der Form durchaus denen der Mattscheibe eines PC-Monitors

ähneln). Ich möchte diese Fraktion hier die akademischen Sziento-Totemisten nen-

nen, um das vorsintflutliche Niveau derartigen Theoretisierens deutlich zu machen.

Während also die akademischen Sziento-Totemisten die „Theoretiker-Fraktion“ dar-

stellen, die das Problem der praktischen Unbrauchbarkeit ihrer Theorien dadurch lö-

sen, an der Universität zu bleiben, ihren Unsinn zu „lehren“ und sich der Illusion hinzu-

geben, sie würden „die menschliche Psyche erforschen“ (tatsächlich tragen sie signifi-

kant zur Verblödung des menschlichen Geistes bei), finden wir die zweite Fraktion

unter den praktisch tätigen Psychologen. Deren Strategie besteht – zusätzlich zur

Weiterverwendung der totemistischen Methoden aus ihrer akademischen Zwangs-

Vergangenheit – im wesentlichen darin, sich auf die Reproduktion und Propagierung

gemeinplätzlicher Lebensweisheiten zu beschränken. Damit fallen sie immerhin nicht -

-- wie ihre akademischen Totemismus-Kollegen --- hinter den gesunden Menschen-

verstand des Alltagslebens zurück; davon, daß sie über diesen hinausgehen würden,

kann allerdings auch nicht die Rede sein.

Daß all das beim allgemeinen Publikum eher Skepsis hervorruft, ist nicht nur verständ-

lich, sondern zu begrüßen.

Es fehlt eine nüchterne Analyse und Bestandsaufnahme, die sowohl Vorteile wie

Nachteile, Chancen und Härten der aus independent selves bestehenden modernen

"individualistischen" Eigentumswirtschaft (=Kapitalismus) im Zusammenhang erklärt -

und zwar begründet, ohne in Gemeinplätzlichkeiten wie "man kann nicht alles haben"

oder "alles hat zwei Seiten" etc. zu verfallen, ohne Schönfärberei oder Schwarzmalerei

zu betreiben und ohne Widersprüchlichkeiten beschönigend zu eliminieren. Eine sol-

che Analyse sollte auf personalisierende Schuldzuweisungen und haltloses

Wunschdenken, auf diffusen Pessimismus oder Optimismus verzichten können und

die typischen Probleme oder "Sozialpathologien der Moderne" erklären. Erst auf einer

solchen zureichenden analytischen Basis könnten dann ggf. Weisen des Umgangs mit

den Möglichkeiten und Härten/Unbehaglichkeiten der auf Eigentum, Freiheit und

Gleichheit basierenden Zivilisation skizziert, Möglichkeiten und Erfolgsaussichten

"psychologischer Therapie" realistisch eingeschätzt und gegebenenfalls mach- und

wünschbare alternative Reproduktionsformen gesucht werden. Solange das analyti-

sche Defizit durch (meist personalisierende) Scheinerklärungen und Sündenbock-

theorien ("die Herrschenden" sind schuld, "die geldgierigen Kapitalisten und Speku-

lanten sind schuld", "die verantwortungslosen Politiker sind schuld", "jeder ist selber

schuld" - um nur die beliebtesten aufzulisten) ersetzt wird, sind realitätsangemessene

56ebd.

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Handlungsstrategien nicht zu entwickeln und werden dann durch haltlose Versprechen

aller Art ersetzt (Heil(ung) durch Abschaffung des Privateigentums (Sozialisten), durch

die Therapierung der Gesellschaft (Sozialarbeiter incl. Psychologen), durch "Feminisie-

rung" der an "männlichen Werten" erkranktenGesellschaft (Feministinnen) ... ).

Selbstverständlich kann sich mit einer zureichenden Analyse auch herausstellen, daß

man die typischen Pathologien akzeptieren muß und bestenfalls durch "neurotische"

Reaktionsbildungen regulieren kann, wenn man die Vorteile der herrschenden Gesell-

schaftsform (oder bestimmter Aspekte davon) erhalten will. Niemand kann garantie-

ren, daß eine zureichende Analyse auch machbare Wege zur Heilung (die bekanntlich

etymologisch mit "Heil" verwandt ist) aufzeigen kann oder daß nur Angenehmes zuta-

ge kommt57. Es kann in diesem Fall dann aber wohl verlangt werden, daß dieses Er-

gebnis zureichend begründet wird. Es wäre dann immer noch brauchbarer und ehrli-

cher als die in der Psychologie beliebten diffusen wortreichen (und natürlich teuren)

Heilsversprechen, die sich real dann doch immer wieder als haltlos entpuppen.

Eine solche Analyse wird allerdings in der Psychologie, auch in der "Kritischen", gar

nicht angestrebt, weil man sich mit moralischen "Argumentationen" zufriedengibt. Aber

bloß moralische Argumentationen sind wie ein Brett vor dem Kopf: sie behindern die

Erkenntnis. Für die Geldtheorie und damit für den Kern der Theorie der modernen

Gesellschaft überhaupt drückt W. Schelkle das so aus:

"Meine These ist, daß die herrschende Wissenschaft vom Geld bis heute keinen wissenschaftlichen

Status beanspruchen kann. Sie hat - darin ähnlich dem Laien mit sog. »gesundem Menschenver-

stand« - moralisch aufs Geld reagiert. Und das hindert sie daran, Einsicht in die Funktionsweise des

Geldes zu gewinnen. Ihre moralische Reaktion ist ihre kognitive Barriere."58

Ähnliches gilt für die Psychologie und ihren Kernbegriff der "Freiheit" als Grundlage der

in dieser Arbeit interessierenden "independenten" Wertorientierung, die auf unten noch

darzustellende Weise mit dem Geld zusammenhängt.

57Vielleicht ist die standhafte Weigerung der Sozialisten und der Liberalisten gegenüber dieser Forderungsogar ein Indiz für die unangenehmen Zusammenhänge, auf die man dabei stoßen könnte und die manlieber im Dunkel der Verdrängung beläßt

58W. Schelkle: Motive ökonomischer Geldkritik. In: W. Schelkle/M. Nitsch: Rätsel Geld. Annäherungen ausökonomischer, soziologischer und historischer Sicht. Marburg: Metropolis 1995, S. 11-45 (36/13)

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Das kulturvergleichende und -historische Forschungsprogrammvon Heinsohn/SteigerKulturvergleichende Psychologie kann auf den Rückgriff auf anthropologische, ethno-

logische und gesellschaftstheoretische Erkenntnisse nicht verzichten. Dabei besteht

aber das Problem, daß die Gesellschaftswissenschaft bisher zwar unterschiedliche

ideologische Positionen, aber keine zureichende positive, d.h. kohärente und kon-

sensfähige Erklärung der abendländischen Zivilisation erarbeiten konnte. Selbst dort,

wo Psychologie auf Gesellschaftstheorie zurückgriff und sich nicht unreflektiert norma-

tiv auf den Standpunkt des "independent self" stellte, reproduzierte sie daher die den

gewählten gesellschaftstheoretischen Positionen eigenen moralischen Urteile pro oder

contra "Kapitalismus" und akzeptierte deren Konstruktionsfehler fraglos. Das gilt z.B.

für den Kritisch-Psychologischen Marx-Bezug, der im typisch marxistischen Amalgam

von Zivilisationskritik und individualistischen eigentumsbasierten bürgerlichen Idealen

wie Selbstbestimmung und Freiheit resultierte.

Die Ratlosigkeit der Sozialwissenschaften soll hier nicht nur behauptet, sondern durch

einige (repäsentative, beliebig zu ergänzende) Zitate belegt werden59:

"Die Behauptung, die Soziologie stecke in einer Krise, gehört zum Standardrepertoire des Feuille-

tons. Das ist kein Wunder, werden doch Krisen des Faches von Soziologen selbst immer wieder

diagnostiziert. Auch wenn es sich bei vielen Diagnosen um reine Rhetorik handelt, ist eine Desillu-

sionierung unübersehbar. Während man noch Mitte der 80er Jahre von einer Flaute sprechen

konnte, sah man sich Ende desselben Jahrzehnts zu einer Radikalisierung der Problemstellung ge-

nötigt. So wurde gefragt, ob aus der Soziologie je einmal eine normal science werde. Und man sin-

nierte, ob sich der Status der Wissenschaftlichkeit für dieses Fach überhaupt reklamieren läßt.

Aufgrund solcher Selbstzweifel wurden die Soziologen "in ganz besonderem Maß von Resignation

und Frustration ergriffen" (Weiß 1989, S. 128). Verständlich also die Eskalation, die sich in den 90er

Jahren einstellte. Daß die Soziologie nicht länger in einer Krise stecke, die ihrer Natur gemäß hei-

lend wirke, sondern am Ende all ihrer Krisen angekommen sei, signalisierte die Frage "Does socio-

logy still make sense?" (Berger 1994). Mochte diese Frage noch konstruktiv gemeint sein, die Ant-

wort Richard Sennetts räumte jeden Zweifel beiseite. Sennett beklagte, bezeichnenderweise im

Feuilleton, nichts weniger als das Ende der Soziologie (Sennett 1994)."60

"Man weiß heute weniger denn je zuvor, was eigentlich Geld ist."61

"Geldtheorie, das ist äußerst sumpfiges Gelände. In den Wirtschaftswissenschaften wird heute der

Geldbegriff von den Funktionen her bestimmt. Daraus resultiert die tautologische Definition: »Alles,

was Geldfunktionen ausübt, ist Geld.«62

59Eine ausführlichere, 23seitige Zusammenstellung von Ratlosigkeitszitaten namhafter Fachvertreter undPraktiker, sortiert nach Begriffen wie Eigentum, Staat, Zins, Geld, Fortschritt/Wachstum, Krise usw. kannbei mir angefordert werden

60G. Wagner: Soziologie. Eine Bemerkung zur Einheit des Faches. In: Leviathan 23, 1995, S. 546ff.61Wolfram Engels: Nach dem Monetarismus. Wirtschaftswoche v. 31.10.1986 (Engels ist Ökonomieprofes-sor und Mitherausgeber der "Wirtschaftswoche")

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Wenn die Psychologie von einer "moral science" zu einer "social science" werden soll,

die kulturspezifische Probleme zunächst einmal zureichend erklärt, kommt sie ohne

zureichende gesellschaftstheoretische Fundierung nicht aus.

Ich möchte hier nun ein Forschungsprogramm vorstellen, das nicht dem Fehler des

Universalismus verfällt und zudem methodisch einleuchtend, nämlich "subjektorien-

tiert/verstehend" bzw. "bedeutungs-begründungsanalytisch" (Holzkamp) vom Stand-

punkt der verschiedenen beteiligten Klassen handelnder Subjekte und ihrer (sowohl in

subjektiven Bedürfnissen als auch in gesellschaftlichen Bedingungen begründeten)

Interessen, Intentionen und Ziele her argumentiert. Ein Forschungsprogramm, das

außerdem den Vorteil hat, die Zentralphänomene der abendländischen Zivilisation:

Eigentum, Zins, Geld, Markt, Fortschritt, Konkurrenz/Krise, Familienzerfall, Geburten-

rückgang und Kindesvernachlässigung, die psychologisch, d.h. für typische Befindlich-

keiten, d.h. typische "Bedeutungs-Begründungskonstellationen" in modernen Lohnar-

beitergesellschaften von zentraler Relevanz sind, aber in den Gesellschaftswissen-

schaften äußerst widersprüchlich und letztlich begriffslos behandelt werden, im Zu-

sammenhang verständlich zu machen.

Ich meine, ohne das im beschränkten Raum dieser Arbeit in allen Einzelheiten zeigen

zu können, daß die meisten der von den kulturvergleichenden Psychologen gemach-

ten Einzelbeobachtungen im Rahmen dieser Analysen im Zusammenhang verständ-

lich gemacht, also quasi in einem größeren soziologischen Kontext "reinterpretiert" (K.

Holzkamp) werden können. Da ich im Rahmen dieser Arbeit die psychologischen Be-

züge nicht im einzelnen herausarbeiten kann, verweise ich dazu auf meine längere

Arbeit "Die bürgerliche Gesellschaft und ihr Subjekt - zur Kritik der Kritisch-

Psychologischen Katetorialanalyse und der Marxschen Ökonomiekritik" (Berlin 1996).

Heinsohn und Steiger gehen nicht von "Wertorientierungen" aus, sondern vom Kon-

zept sozialer Reproduktion: Die Erklärung der typischen familialen Formen der Fort-

pflanzung und Aufzucht, also die Erzeugung menschlichen Lebens zur Sicherung der

biologisch-sozialen Reproduktion und die typischen Formen der Produktion von Gütern

(Lebensmittel i.w.S.) zur Sicherstellung der materiell-sozialen Reproduktion in den

unterschiedlichen Gesellschaftsformationen der Menschheitsgeschichte ist zentrales

Ziel ihres Forschungsprogramms. Neben diesem Vorhaben, Bevölkerung und Produk-

tion in den unterschiedlichen Gesellschaftsstrukturen der Menschheitsgeschichte rich-

tig zu erklären, wollen Heinsohn/Steiger aber auch die Übergänge von der einen zur

anderen Struktur durchsichtig machen. Damit ist ihr Ansatz nicht nur ein kulturverglei-

chender, sondern auch ein historischer.

62O. Issing: Einführung in die Geldtheorie. München 1987, S. 1. Issing ist Chefvolkswirt der DeutschenBundesbank.

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Dabei werden zwei universalistische Paradigmen der herrschenden Lehre kritisiert:

das Tauschparadigma, das den Kern der klassischen (A. Smith - K. Marx) und neo-

klassischen Ökonomie ausmacht und die Entwicklung der Produktivkräfte auf die

Entfaltung "eines gewissen Hanges der menschlichen Natur - zu tauschen, zu handeln

und eine Sache gegen eine andere auszutauschen" zurückführen will63. In der Bevöl-

kerungsanalyse kritisieren sie das Paradigma der natürlichen Fruchtbarkeit, des "na-

türlichen Wunsches des Menschen zu heiraten und sich fortzupflanzen". Demgegen-

über begründen Heinsohn und Steiger überzeugend, warum (a) nur in eigentumsba-

sierten Gesellschaften ein kontinuierlicher technischer Fortschritt, aber auch periodi-

sche Krisen - gekennzeichnet durch Pleiten und Arbeitslosigkeit - zustandekommen

und warum (b) die Geburtenkontrolle als Voraussetzung für das Wirksamwerden des

individuellen ökonomischen Interesses bei der biologisch-sozialen Reproduktion durch

staatliche Politiken derart eingeschränkt werden kann, daß der Zusammenhang zwi-

schen der Entwicklung der Bevölkerung und dem individuellen Interesse an Nach-

wuchs der Individuen zerstört wird, was massenhaft ungewollte und von ihren Eltern

dann tendenziell vernachlässigte Kinder zur Folge hat.

Heinsohn und Steiger unterscheiden idealtypisch drei Gesellschaftsformationen:

Stamm, Feudalismus und Eigentumsgesellschaft (abendländische Zivilisation).

Das Überleben des Stammesgenossen, der sich selbst nicht mehr versorgen kann,

wird zur Aufgabe seiner Blutsverwandten. Ihre Solidarpflicht - Grundlage stammesge-

sellschaftlicher "interdependence" - endet erst dort, wo sie ihrerseits ohne alle Mittel

dastehen. Über die Außenverheiratung der Töchter läßt sich diese Grenze erweitern.

Durch Exogamie steigern die Stammesgesellschaften ihre wirtschaftliche Sicherheit

ohne zusätzliche eigene Produktion. Der Zugewinn von Verwandten vermehrt die Zahl

der zur Hilfe verpflichteten und vergrößert das Netz "interdependenter" Beziehungen,

ändert aber nur wenig an der insgesamt statischen Wirtschaft einer aus Stämmen

aufgebauten Gesellschaft.

Der Feudalismus, d.h. jede Art von Befehlsgesellschaft mit Abgabenpflicht und herr-

schaftlicher Redistribution einschließlich des Realsozialismus64, dessen führende

Partei der traditionellen Aristokratie entspricht, hat seine Entsprechung zur blutsver-

wandschaftlichen, also durch Sitte bestimmten Solidarpflicht, in der durch Strafmaß-

nahmen durchgesetzten Arbeits- und Abgabenpflicht der Hörigen oder Leibeigenen,

die durch Fürsorgepflichten der Feudalherren ergänzt wird. Die Befehlsherren steigern

63Soziologische Theoriesynthesen wie die Kritische Theorie Habermasscher Provenienz oder die Luh-mannsche Systemtheorie greifen durchweg auf das Tauschparadigma zurück, das damit als Grundpfeilerder Sozialwissenschaften gelten kann.

64Zur realsozialistischen Form feudaler Reproduktion vgl. G. Heinsohn/O. Steiger: Geld, Produktivität undUnsicherheit in Kapitalismus und Sozialismus oder von den Lollarden Wat Tylers zur Solidarität LechWalesas. Leviathan 9, 1981, S. 164-194

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ihre materielle Sicherheit ohne zusätzliche eigene Produktion durch Aneignung zusätz-

licher Höriger. Ihre Herrschaft legitimieren sie religiös65. Zwar kann diese auf Befehl

beruhende Zwangsarbeits- und Abgabengesellschaft zu gewaltigen Territorialherr-

schaften führen, ihre Produktionsdynamik übersteigt aber die der Stammesgesell-

schaft nur unwesentlich.

Die bürgerliche Gesellschaft besteht aus freien und gleichen "independent selves":

Traditionelle Solidar- und Abgabenpflichten gibt es nicht mehr, vielmehr wurden sie

durch Eigentumsrechte und Vertragsfreiheit ersetzt, die durch eine bürgerliche

Rechtsordnung (für Deutschland: das Bürgerliche Gesetzbuch) institutionalisiert sind.

Aus dieser Vertragsfreiheit folgt die Unabhängigkeit und Autonomie der Bürger, die in

bürgerlichen Gesellschaften als natürliches Menschenrecht gilt. Eigentum ist dabei

nicht gleichbedeutend mit Besitz, schließt diesen aber ein. Besitz meint das Recht

materieller Nutzung eines Gegenstandes, während Eigentum sich auf die rechtliche

Verfügung über den Gegenstand in Verträgen bezieht: Eigentum kann belastet und

verpfändet werden, und mit Eigentum wird gehaftet: kann ein Schuldner nicht die ver-

traglich vereinbarten Leistungen erbringen, muß er die Zwangsvollstreckung in sein

Vermögen dulden. Besitzrechte werden in Stammes- und Feudalgesellschaften durch

Sitte und Tradition fix zugeordnet. In Eigentumsgesellschaften werden Besitzrechte

Rechtspersonen durch Eigentumsrechte zugeordnet und in frei eingegangenen Ver-

trägen (Kauf, Miete/Pacht etc.) an beliebige andere Rechtspersonen übertragbar.

Eigentumsrechte sind an vollstreckbare bürgerliche Schuldverhältnisse gebunden,

also auf einen Rechtsstaat angewiesen. „Primitive“ oder „vorstaatliche“ Gesellschaften

kennen kein Eigentum, wohl aber Besitzansprüche. Grundeigentum, d.h. privat ver-

fügbares und per Zwangsvollstreckung auch verlierbares Land als Existenzgrundlage

gibt es in "primitiven" Gesellschaften nicht.

Das wird an folgendem Zitat deutlich:

"Eine ... Besonderheit besteht darin, daß das einem Stamm oder einem lokalen Klan gehörende

Gebiet nicht übertragbar ist. Obzwar die meisten Autoren in diesem Zusammenhang vom "Landei-

gentum" der Ureinwohner sprechen, ist es in jedem Fall nach der eigenen Rechtsordnung der Abo-

rigines unveräußerlich. Damit fehlt dem der indigenen lex loci zugrundeliegenden Landeigentum

nach europäischem Verständnis eine wesentliche Eigenschaft. Für die Aborigines ist Eigentum an

Land jedoch stets Gemeinschaftseigentum. Eigentumsrechte im Sinne von persönlichen, absoluten

- die Veräußerung umfassenden - Rechten, kennen sie nicht. (FN: Koll, 94; irreführend insoweit

Spitz, 6 und Rössel, Natur 2 (1988), 34 (41), die davon sprechen, daß die Aborigines kein Wort für

"Privateigentum" kennen. In jedem Fall verfügen Aborigine-Sprachen über Possesivpronomen wie

"mein" oder "dein", vgl. Odermann, 37. Mit Bezeichnungen wie "mein Speer" oder "mein Wild" wer-

65Zur bronzezeitlichen Entstehung religiös legitimierter Feudalherrschaft vgl. G. Heinsohn: The Rise ofBlood Sacrifice and Priest Kingship in Mesopotamia: A Cosmic Decree? Religion 22, 1992, S. 134-164und ders. (1997): Ursprung und Niedergang des Opfers und der Götter. Grundlegung der Religionstheorie.Erscheint demnächst im Rohwolt-Verlag

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den Eigentumsverhältnisse bezeichnet, ohne daß es auf einen Oberbegriff wie "Privateigentum" an-

käme. Auch sind Vokabeln für "Klangebiet", "Land des lokalen Klans" oder "Landeigentum" bekannt,

vgl. Odermann, 26 m.w.N. Odermann, 86, weist auch darauf hin, daß - obgleich Träger des Eigen-

tums an Land immer eine Gruppe ist . sich jedes einzelne Mitglied auch als individueller Eigentümer

fühlt; vgl. auch Mabo and Others v. The State of Queensland (1992) 175 C.L.R., 1 (100))66

Begrifflich klarer faßt diesen Sachverhalt der Rechtshistoriker William Seagle:

"Auf die primitiven Einrichtungen paßt der Begriff "Besitzes" weit besser als der des Eigentums. Ein

Eigentum in unserem Begriffe kann sich nur aus einem langen kontinuierlichen und ungestörten Be-

sitz entwickeln, und auch dann erst, wenn man beginnt, den Besitz öfter zu übertragen, nachdem

sich Rechtsgeschäfte herausgebildet haben, die solche Besitzübertragungen ohne Aufgabe des

Rechts an der Sache ermöglichen, wie z.B. die Verpfändung. Ehe die Begründung von Schuldver-

hältnissen üblich wurde, war für ein Rechtsinstitut wie das des Eigentums gar kein Bedürfnis gege-

ben."67

Nur Besitz ist also eine universelle und kulturübergreifende Kategorie, nicht jedoch

Eigentum, das nur in bürgerlichen Gesellschaften existiert und dort Basis der Ver-

tragsfreiheit ist.

Heinsohn und Steiger machen die Konfusion von Eigentum und Besitz, der zuweilen

sogar Juristen unterliegen, wenn sie Eigentum historisch verorten sollen, als Kernfeh-

ler der Gesellschaftstheoretiker aus, der die Erarbeitung einer zureichenden Theorie

der auf Eigentum basierenden Gesellschaft bis heute verhindert habe68.

Das Zentralmerkmal der Eigentumsgesellschaften, das sie von Stammes- und Feu-

dalgesellschaften unterscheidet, besteht in dem individualisierten Existenzrisiko

des Eigentümers. Allein aus ihrem Eigentum müssen die Bürger ihren Lebensunterhalt

gewinnen - und sei dieses Eigentum nicht mehr als ihre Arbeitskraft. Dafür müssen sie

(i.d.R. in Geld vereinbarte) Verträge mit anderen Eigentümern eingehen, für deren

Erfüllung sie mit ihrem Eigentum haften, das bei Zahlungsunfähigkeit per Zwangsvoll-

streckung verlierbar ist. Wegstreben von der Überschuldungsschwelle bei Strafe des

Verlusts der Reproduktionsgrundlage (mit Ausnahme des in der Moderne nicht verlier-

baren Eigentums an der eigenen Arbeitskraft) wird zu ihrer zentralen Überlebensauf-

66Lutz Münnich: Landrechte der Ureinwohner Australiens. Geschichte und Gegenwart. Münster: Lit 1996, S.13 (Die Studie ist als Dissertation an der Universität Münster angenommen worden und ist im Rahmen der"Münsteraner Studien zur Rechtsvergleichung" erschienen)

67W. Seagle: Weltgeschichte des Rechts. München: C.H. Beck 1967, S. 8468G. Heinsohn/O. Steiger: Eigentum, Zins und Geld. Ungelöste Rätsel der Wirtschaftswissenschaft. Rein-bek: Rohwolt 1996, Kap. B: Das Kapitel vom Eigentum, Abschn. 1: Die Konfusion von Eigentum und Be-sitz. Exemplarisch für die der Konfusion von Eigentum und Besitz geschuldete falsche Universalisierungdes Eigentums vgl. A. Bayer: Vorwort. In: H. Löffler (Hg.): Die Bedeutung des Eigentums in unserer Ge-sellschaft. Hanns-Seidel-Stiftung e.V.: München 1995

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gabe. Am Anfang eigentumgesellschaftlicher Produktion steht der Kredit69. Projekte

müssen finanziert werden. Banken verlangen für Kredite Sicherheiten - am liebsten

sehen sie Grundeigentum oder Immobilien, die dann mit Hypotheken belastet und im

Falle der Zahlungsunfähigkeit des Kreditnehmers zwangsversteigert werden können.

Ein Kreditwürdiger muß dabei nicht liebenswürdig, ein Liebenswürdiger nicht kredit-

würdig sein. Die Vermögensposition und die Rückzahlungsaussichten zählen für die

Kreditgeber in erster Linie.

Im Kredit entsteht Geld (als übertragbare Forderung gegen den Kreditgeber)70, gleich-

zeitig aber eine Geldforderung gegen den Kreditnehmer, die um den Zinssatz höher-

liegt und für die mit Eigentum gehaftet wird. Da Geld im Kredit entsteht und der Kredit

eine Zinsforderung beinhaltet, liegt die existierende Geldsumme immer unter der

Summe aller Geldforderungen. Geld - das verlangte Schuldendeckungsmittel - ist ge-

genüber der Summe der Geldforderungen immer knapp. Durch eine Kreditexpansi-

on (im Boom) können Schulden aufs Ganze gesehen vorläufig bedienbar gehalten

werden - allerdings nur um den Preis weiterer Schulden, die später fällig werden. Bleibt

die Kreditexpansion aus, wird die Geldknappheit „akut“ und führt zur Krise: verschul-

dete Betriebe bankrottieren, ihre Belegschaften verlieren ihre Arbeitsplätze mit dem

Resultat steigender Arbeitslosigkeit (=Einkommenslosigkeit reproduktionsmittelloser

Lohnarbeiter). Da in der Krise Geld für alle Akteure knapper wird und Verluste drohen,

verschärfen sich in der Krise die Verteilungskämpfe ums knappe Geld. Damit verbun-

den ist regelmäßig auch ein Individualisierungsschub. Die Krise kann durch defizitfi-

nanzierte staatliche Konjunkturprogramme zwar "keynesianisch" hinausgeschoben,

aber nicht beseitigt werden.

Zentral ist dabei die durch die eigentumsbasierte Vertragsfreiheit entstehende Unsi-

cherheit für alle ökonomischen Akteure. Für verschuldete Unternehmer besteht diese

Unsicherheit in der Ungewißheit, ob es gelingt, durch den Verkauf der produzierten

Waren Tilgung und Zins aus den Bankkrediten zurückzugewinnen und einen Gewinn

zu realisieren, da mit anderen Anbietern um das knappe Geld in der Hand potentieller

Käufer konkurriert werden muß. Gelingt dies nicht, droht langfristig der Bankrott, d.h.

der Eigentumsverlust - der Verlust der Existenzgrundlage, mit der der Eigentümer vor

dem materiellen Nichts steht. In der Krise häufen sich die Pleiten. 1996 brachte z.B.

einen Pleiten-Nachkriegsrekord. Für eigentumslose Lohnarbeiter bedeutet das Bank-

rottrisiko des Unternehmers die Unsicherheit, den Arbeitsplatz verlieren zu können -

69Der merkantilistische Ökonom Sir James Steuart schrieb um 1760: "Credit is the basis of all contracsbetween men" - ein Ansatz, der nach dem Siegeszug von Adam Smiths´ tauschparadigmatischer Wirt-schaftstheorie theoriegeschichtlich in Vergessenheit geraten ist.

70Zum Verhältnis von so entstandenem Giralgeld und Zentralbankgeld (Banknoten, Cash) vgl. H.J.Stadermann: Geldwirtschaft und Geldpolitik. Einführung in die Grundlagen. Wiesbaden: Gabler 1994

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nicht nur durch Bankrott, sondern auch durch Rationalisierungsmaßnahmen des

Arbeitgebers, die dieser unternehmen muß, um Kosten zu senken und seine Chancen

der Rückzahlung von Tilgung und Zins über das Herankommen an knappes Geld

durch den Verkauf preiswerterer Waren als Konkurrenten (Eroberung von Marktantei-

len) zu verbessern.

Die spezifische Unsicherheit der Möglichkeit des Stehens vor dem "materiellen Nichts"

fehlt in traditionalen Gesellschaften und im Sozialismus, da diese auf unauflöslichen

Hilfs- und pflichten basieren, aber dafür auch den durch Schuldendruck und Verlustri-

siko erzwungenen Fortschritt der eigentumsbasierten Gesellschaften nicht kennen71.

Was die biologische Reproduktion betrifft, bleiben die Bevölkerungszahlen in von der

europäischen Kolonisation weitgehend unberührten Stammesgesellschaften weitge-

hend stabil. Die Frauen bringen nicht mehr Kinder zur Welt, als unbedingt nötig und

verhindern weiteren Nachwuchs durch ein umfangreiches Arsenal an Geburtenkon-

trollmethoden. Die wenigen Kinder werden existenziell benötigt, weswegen ihre Auf-

zucht mit der nötigen Rücksicht und dem nötigen Engagement erfolgt. Ethnologen

haben durchweg eine "Kinderfreundlichkeit" in den Stammesgesellschaften festge-

stellt, die auffallend mit der durch eine Tendenz zur Kindesvernachlässigung gekenn-

zeichneten europäischen Moderne kontrastiert.

In den antiken Eigentumsgesellschaften und im feudalen Mittelalter gilt die Regel: "no

land, no marriage": wer über keinen Landbesitz verfügt, den er als Reproduktions-

grundlage an die nächste Generation gegen das Versprechen der Altersversorgung

weitergeben kann, bleibt familien- und kinderlos. Das gilt für antike Sklaven ebenso

wie für mittelalterliches Gesinde. Nachwuchs vermeiden diese Besitzlosen durch ein

umfangreiches Arsenal an Geburtenkontrollmethoden.

In der Moderne wird dieses Muster durch die frühneuzeitliche Bevölkerungspolitik

durchbrochen. Diese richtet sich auf die Vernichtung des Wissens über Geburtenkon-

trolle mit dem Ziel, auch solche Frauen zu Geburten zu bewegen, die individuell nicht

existenziell auf Nachwuchs angewiesen sind. Nach den Pestwellen ab 1348, denen ca.

1/3 der Bevölkerung zum Opfer fiel, beginnt diese gewaltsame Bevölkerungspolitik

damit, die mittelalterlichen Spezialistinnen für Geburtenkontrolle, die Hebammen-

Hexen, zu verfolgen72 und mündet in strenge Sexualstraf- und Sittengesetze, die den

Geschlechtsakt nur zum Zweck der Zeugung zulassen und jede nicht fortpflanzungs-

orientierte außereheliche Genußsexualität streng bestrafen. Das bevölkerungspoliti-

71vgl. insges. G. Heinsohn/O. Steiger: Eigentum, Zins und Geld, Ungelöste Rätsel der Wirtschaftswissen-schaft. Reinbek: Rohwolt 1996 und W. Theil: Eigentum, Geld und zinsinduzierte Geldknappheit: ein Bei-trag zur Heinsohn/Steiger-Riese-Kontroverse (erscheint demnächst im Rahmen der "Studien zur monetär-keynesianischen Ökonomie", Marburg: Metropolis Verlag)

72G. Heinsohn/O. Steiger: Die Vernichtung der weisen Frauen. Beiträge zur Theorie und Geschichte vonBevölkerung und Kindheit. München: Heyne 1989, Teil A

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sche Kalkül wird durch eine Äußerung des Merkantilistischen Ökonomen Moheau aus

dem Jahre 1778 deutlich:

"Ohne Sitten ist es kein gut eingerichtetes Reich; der Mensch, der gesittet ist, ist notwendig um die

Bevölkerung eines Staates sicherzustellen ... jede verheiratete Frau gibt dem Staat mehr als vier

Personen ... Doch wo ist das ausschweifende Mädchen oder die lasterhafte Witwe, deren Ertrag für

den Staat derselbe ist?"73

Die Vernichtung des Wissens über Geburtenkontrolle führt dazu, daß auch solche

(eigentumslosen) Menschen ungewollt Kinder bekommen, die individuell nicht existen-

ziell auf Nachwuchs angewiesen sind: freie Lohnarbeiter. Die Bevölkerungsexplosion

der frühen Neuzeit hat also Heinsohn/Steigers umstrittener, m.E. aber plausibler The-

se zufolge ihren Grund in der politisch hergestellten Unfähigkeit zur Geburtenkontrolle.

Für eigentumslose Lohnarbeiter ohne vererbbare Wirtschaft sind Kinder nicht, wie in

Stammesgesellschaften bzw. generell in familienwirtschaftlich organisierten Repro-

duktionsstrukturen, eine Hilfe, sondern eine finanzielle Belastung. Die Lohnarbeiter-

Eltern können ihre Kinder nicht auf ein konkretes Lebensziel hin erziehen, da sie keine

eigene zu vererbende Wirtschaft haben, sondern müssen sie in die Konkurrenz der

Arbeitsmärkte stoßen. Daher muß der Staat die Erziehung der als Arbeitskräfte-

Nachwuchs benötigten Kinder übernehmen und dafür ein staatliches Erziehungswesen

schaffen. Die Lohnarbeiter neigen angesichts ihrer existenziellen Unangewiesenheit

auf Nachwuchs dazu, ihre Kinder zu vernachlässigen. Die daraus entstehenden

kindlichen Entwicklungsprobleme beantwortet der Staat, der ja qualitativ zureichenden

Arbeitskräftenachwuchs braucht, mit der Entwicklung eines staatlichen Erziehungssy-

stems (Kinderkrippen und -gärten, Schulen) und eines dazugehörigen umfangreichen

Arsenals an wissenschaftlichen Erziehungs-Theorien - von der Erziehungswissen-

schaft über die pädagogische Psychologie bis hin zur Kinderpsychotherapie, das die

dort zum Problem werdende Erziehung anleiten soll74.

Da die Lohnarbeiter kein existenzielles Interesse an Nachwuchs haben, verzichten sie

in dem Maß auf Kinder, wie Geburtenkontrollmethoden wieder zugänglich werden.

Dieser Prozeß zieht sich lange hin und ist bis heute noch nicht abgeschlossen. Noch in

den 70er Jahren durften etwa Kondom-Automaten nicht öffentlich aufgestellt werden.

Aus dem Wiederzugänglichwerden von Geburtenkontrollwissen und der Verwandlung

des überwiegenden Anteils der Bevölkerung in Lohnarbeiter entsteht der für westliche

Lohnarbeitergesellschaften charakteristische Geburtenrückgang. Da immer weniger

73zit. n. Heinsohn/Steiger: Die Vernichtung der weisen Frauen. Beiträge zur Theorie und Geschichte vonBevölkerung und Kindheit. München 1989, S. 246

74Zur Problematik dieser "Lohnerziehung" und der dazugehörigen wissenschaftlichen Bewältigungsversu-che vgl. G. Heinsohn/B.M.C. Knieper: Theorie des Kindergartens und der Spielpädagogik. Frankfurt/M.:Suhrkamp 1975 und dies.: Das Desinteresse lohnabhängiger Pädagogen als zentrales Problem der Er-ziehung. In: Bruder, K.J. et.al.: Kritik der pädagogischen Psychologie. Reinbek: Rohwolt 1976 sowie G.Heinsohn: Kann Wissenschaft Erziehung anleiten? In: Sozialmagazin, Apr. 1977, S. 52-62

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lohnarbeitende Männer bereit sind, für eine Ehefrau einen Unterhalt anzubieten - eine

Tendenz, die durch sinkende Reallöhne beschleunigt wird - , schwinden die Aussich-

ten für Frauen auf männliche Versorgung und auf ein Dasein als Hausfrau und Mutter.

Sie müssen in die Arbeitsmärkte und dort konkurrenzfähig werden. Dafür brauchen sie

alle bürgerlichen Rechte, die bis dahin von ihren Vätern und Ehemännern für sie aus-

geübt wurden. Aus diesem Problem entsteht die Frauenemanzipationsbewegung75.

Die Männer schaffen sich durch den ökonomisch begründeten Familienverzicht zu-

sätzliche Konkurrentinnen auf dem Arbeitsmarkt, was natürlich das Geschlechterver-

hältnis verschärft und in Verbindung mit der Auflösung traditionellen Rollenverhaltens

der Geschlechter erhebliche Unsicherheiten schafft.

Dieser Kurzcharakterisierung dreier Formationen gesellschaftlicher Reproduktion wird

man entgegenhalten, daß sie doch die Vielfalt kultureller Erlebens- und Verhaltenswei-

sen ausblende bzw. ignoriere. Dieser Einwand ist zwar nicht falsch, aber doch nur zum

Teil richtig. Denn erstens erfordert die Heraushebung von Gemeinsamkeiten unter-

schiedlicher realer Reproduktionsstrukturen (z.B. nordamerikanischer Chrokee-

Indianer und australischer Aborigines als stammesgesellschaftlich strukturierter Ge-

meinschaften) zunächst immer die Abstraktion von den Unterschieden. Wenn ich von

einem Auto rede, hebe ich damit auf die Gemeinsamkeiten aller Autos ab, blende da-

mit jedoch nicht die Tatsache aus, daß es Opels, Fords, Vws und Toyotas gibt. Viel-

mehr setzt ein allgemeiner Begriff des Autos eine Vielfalt real existierender Autos vor-

aus. Dasselbe gilt für Gesellschaftsstrukturen. Zweitens behauptet niemand, daß mit

diesen Kurzcharakteristika auch nur eine konkrete Stammes-, Feudal- oder Eigen-

tumsgesellschaft im einzelnen verstanden wäre. Vielmehr handelt es sich bei diesen

Konzepten um Zwischenstufen eines konkreten Verständnisses real existierender

Gesellschaften, die immer durch einen viel größeren Bestimmungsreichtum ausge-

zeichnet sind. Aber die abstrakten Konzepte, die auf Gemeinsamkeiten typischer For-

mationen gesellschaftlicher Reproduktion abheben, können helfen, die vielfältigen

Aspekte konkreter Gesellschaften zu ordnen und so die Unterschiede der Gesell-

schaften besser sichtbar machen helfen. Es handelt sich dabei um nichts weiter als

idealtypische Unterscheidungen, die real so abstrakt nicht vorkommen, wohl aber als

Basiskonzept forschungsleitende Funktionen (auch für Einzelfallanalysen) überneh-

men können; sie sollen die zunächst bestehende Intransparenz der Wahrnehmung

transparenter machen und charakteristische Differenzen herausarbeiten. Natürlich

sind diese hypothetischen Konzepte immer empirischer Prüfung ausgesetzt und durch

75vgl. zu dieser Argumentation ausf. W. Theil: Sozialhistorisch-psychologische Diagnostik familienrechtli-cher Begutachtung oder: warum verschwindet die moderne Familie von der historischen Bildfläche? un-veröff. Man., Berlin 1996 und G. Heinsohn/R. Knieper:Theorie des Familienrechts. Geschlechtsrollenauf-hebung, Kindesvernachlässigung, Geburtenrückgang. Frankfurt/M:: Suhrkamp 1974

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widersprechende Evidenz widerlegbar, stehen also ständig zur Diskussion und Dispo-

sition.

SchlußDrei Gesellschaftsformationen sind bisher bekannt: Stamm, Feudalismus und Eigen-

tumsgesellschaft, wobei von letzterer 3 Versionen bekannt sind: (a) die antike Skla-

venwirtschaft, (b) die moderne Lohnarbeiter-Wirtschaft und (c) die genossenschaftlich

strukturierte Eigentumsgesellschaft des Kibbutztyps.

Stämme und Feudalismen folgen der Rationalität des "interdependent self". Das "in-

dependent self" als Individuum hat seinen historischen Ursprung im Typ (a) der Ei-

gentumsgesellschaft. Die Moderne emanzipiert über die Menschen- bzw. Bürgerrechte

und die Lohnarbeit nach und nach alle Menschen zu "independent selves" und ver-

drängt mit der Durchsetzung eigentumsbasierter Vertragsbeziehungen und der dazu-

gehörigen betriebswirtschaftlichen Rationalität die traditionale Rationalität der "Interde-

pendence". Letztere wird aufs Ganze gesehen unfunktional fürs individuelle Überleben

der Individuen in der neuen, eigentumsbasierten Reproduktionsstruktur. In diesem

Prozeß entsteht ein Spannungsfeld zwischen beiden Rationalitäten, die normativ be-

setzt werden. Auf Dauer jedoch setzt sich die Rationalität eigentums- und freiheitsba-

sierter interdependence durch - jedenfalls bis zu dem Augenblick, in dem sich die Ei-

gentumsgesellschaft auf ihren eigenen Grundlagen nicht mehr reproduzieren kann und

ggf. in eine neue Feudalgesellschaft mündet.

Die genossenschaftlich strukturierte Eigentumsgesellschaft stellt eine neue Kombinati-

on von independentem und interdependentem self her, indem sich jede genossen-

schaftliche Reproduktionseinheit nach außen als "independent self" verhält, intern

jedoch tendenziell "interdependente" Beziehungen hat. Solche Reproduktionsformen

gibt es v.a. in den israelischen Kibbuzim. Die Form (b) erfreut sich bisher der weltweit

höchsten Beliebtheit.

Eine vierte Gesellschaftsform, die als "neue Gesellschaft" oft erhofft, eingeklagt oder

als überlebensnotwendig propagiert wird, ist bisher nicht bekannt. Ihre Propagierer

machen sich in der Regel nicht die Mühe, ihre diesbezüglichen abstrakten Vorstellun-

gen und wohlfeilen Reden zu konkretisieren und experimentell zu erproben, weshalb

sie vom allgemeinen Publikum zu Recht ignoriert oder bestenfalls belächelt werden.

Kulturvergleichende Psychologie und Soziologie, die in Zukunft durchaus auch den

Realsozialismus in die formations-vergleichende Betrachtung einbeziehen könnte,

kann dazu beitragen, daß das universalistische kulturelle Selbstbild der Moderne rela-

tiviert wird. Sie kann durch die Herausarbeitung der Gegensätze von "interdependen-

ter" und "independenter" Orientierung bei der Lösung individueller Probleme behilflich

sein, die aus dem Gegensatz der beiden kulturellen Rationalitäten entstehen und von

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den Betroffenen möglicherweise als bloß individuelle mißdeutet werden. Das gilt im

Prinzip für alle sozialen Orte, an denen das Problem auftaucht (s.o.), also für die Im-

migration, für Frauenprobleme und für Adoleszenzkrisen.

Von der kulturvergleichenden Soziologie Heinsohn und Steigers könnte die Psycholo-

gie etwas über die historische Entstehung und die gesellschaftsstrukturellen Bedin-

gungen von modernen Frauenproblemen, moderner Kindesvernachlässigung und

"Entfremdung"/"Individualismus" lernen, die sich allerdings als Folge frühneuzeitlicher

Bevölkerungspolitik und als "Preis der Freiheit" in Lohnarbeitergesellschaften heraus-

stellen.

"Emanzipatorische ZivilisationskritikerInnen" mit „kommunistischen Utopien“ könnten

lernen, daß Freiheit und Fortschritt in der bürgerlichen Gesellschaft angesiedelt und

nicht ohne den Preis von Krisenhaftigkeit und Entfremdung zu haben sind und daß die

bisher einzige Freiheit und Fortschritt beinhaltende sowie die Aufhebung der „Entfrem-

dung“ in Form des Interessengegensatzes von Lohnarbeit und Kapital (nicht von Kon-

junktur/Krise) verwirklichende Gesellschaftsform in den integrierten Lebens- und Pro-

duktionsgenossenschaften des Kibbutztyps76 praktiziert wird, für die sich die Zivilisati-

onskritikerInnen sozialistischer oder anderer Provenienz mit ihrem eher gering ausge-

prägtem Analysebedürfnis auffallend wenig interessieren. In diesen Gesellschaften

verläuft auch die "Erziehung" auffallend weniger problematisch als in Lohnarbeiterge-

sellschaften77. Dennoch werden sie von ihren Mitgliedern mehr und mehr kritisiert, die

genossenschaftlichen Grundsätze bröckeln. Der Individualismus scheint bei allen

Härten doch die für die Mehrheit der Menschen interessanteste Lebensform zu bieten.

Eine Psychologie, die Eigentum, Freiheit und Gleicheit befürwortet, sollte in der Lage

sein, die darauf basierende Form gesellschaftlicher Reproduktion samt ihren Anforde-

rungen, die sich Anforderungen der traditionalen Gesellschaften erheblich unterschei-

den, zureichend verständlich zu machen. Sie muß sich dabei aber auch darüber im

klaren sein, daß sie die durch die unaufhebbare Krisenhaftigkeit der auf Eigentum

beruhenden Gesellschaft entstehenden individuellen Probleme vielleicht in einzelnen

Fällen lindern, nicht aber aufs Ganze gesehen beseitigen kann. Darin liegt die Wider-

sprüchlichkeit von Psychologie in der bürgerlichen Gesellschaft, der nicht zu entkom-

men ist. Die Krisenhaftigkeit ist der Preis von Freiheit/Gleichheit und Fortschritt.

76vgl. etwa N. Besch: Die israelischen Genossenschaften. Münster: Regensberg 1995, C. Schmidt-Lüty:Leben und arbeiten im Kibbutz. Frankfurt/M. 1989; G. Heinsohn/K. Gilgenmann (Hg.): Das Kibbutz-Modell.Bilanz einer Alternativen Wirtschafts- und Lebensform nach sieben Jahrzehnten. Frankfurt/M.: Suhrkamp1982. Zum Konzept vgl. F. Oppenheimer: Die Siedlungsgenossenschaft. Leipzig 1986

77als Erklärungsversuch vgl. G. Heinsohn: "Liebe" ist in gewissem Sinn überflüssig. Über die Aufhebungder Eigentümer- und Lohnarbeiterbeziehung im Kibbutz oder: die relative Irrelevanz der sozialpädagogi-schen Kompetenz gegenüber der Gesellschaftsstruktur. Sozialmagazin 8, 1979, S. 50ff

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Ergänzung 1

Dem Einwand, hier werde alles auf die Ökonomie reduziert, wäre zu entgegnen: es

handelt sich um eine methodisch gerechtfertigte Abstraktion, die durch Einzelfallanaly-

sen aufzuheben wäre. Aber der Primat der Ökonomie ist in ökonomischen, i.E. histo-

risch weitgehend durchgesetzten eigentumsgesellschaftlich strukturierten Reprodukti-

onsformen der Reproduktionsform selber geschuldet - nicht der Analyse, die diesen

Primat nur abbildet.

Ergänzung 2

Für "independent selves" (=Bürger), besonders für ökonomisch selbständig (unter-

nehmerisch) tätige, wird ein spezifisches Set von Fähigkeiten wichtig, das mit "metho-

dische Lebensführung" oder "Selfmanagement" überschrieben werden kann (We-

ber: Die protestantische Ethik und Ben Franklin; US-amerikanische success-literature

wie Carnegie, Peale, Covey, Robbins; neuerdings Holzkamp; Großmann-Methode;

Hirt-Methode). Sie hat im Protestantismus der frühen Neuzeit ihre Ursprünge.

Sie schließt eine Entscheidung für den Glauben an die Richtigkeit eines Sets allge-

meiner Grundwerte ein, zu denen die staatsbürgerlichen Freiheiten und die Menschen-

rechte gehören. Sie beinhaltet prinzipiengeleitetes Handeln, "selbstbestimmte" Grund-

satzentscheidungen über (im Prinzip) frei wählbare Ziele und ihre disziplinierte Ver-

wirklichung, fähigen Umgang mit Geld (betriebswirtschaftliches Denken: Effizienz und

Kostenminierung, Kundenorientierung, Wahrung der Kreditwürdigkeit über die Wah-

rung des eigenen Rufs), methodische Projekt- und Zeitplanung, Routinisierung alltäg-

lich wiederkehrender Aufgaben, ständiges Lernen ("selfimprovement" / "Persönlich-

keitsentwicklung") und periodisch durchgeführte "Situationsanalysen" (z.B. Praxispor-

trait in FKP XX; cash-flow- oder Wertschöpfungsanalysen für Unternehmen; Analysen

der persönlichen Situation) ein. Die Fähigkeit zum erfolgsorientierten "Selfmanage-

ment" wird zentral fürs independent self.

Ergänzung 3

Kulturpsychologisch kompetente Psychotherapeuten müssen sich daher - wollen sie

erfolgreich und verantwortlich arbeiten - am Persönlichkeitsideal ihres kulturellen Um-

felds78ausrichten und versuchen, ihre Klienten in diese Richtung zu beeinflussen oder

ihnen - wenn diese das nicht wollen - Möglichkeiten des Lebens außerhalb der Kultur

78Das auf dem Wertsystem der „Independence“ basierende Persönlichkeitsideal läßt sich wohl am Bestenin US-Talkshows oder Hollywood-Filmen, aber auch anhand von Biographien kulturell als erfolgreich aner-kannter und bewunderter Persönlichkeiten „empirisch untersuchen“. Exemplarisch für letzteres sind inunserem Kulturkreis traditionell Benjamin Franklin und Henry Ford. Zu den „Newcomern“ zählen z.B. LeeIaccoca, Bill Gates und Bill Clinton in den USA, Leute wie Wolfgang Petersen (Filmemacher: „Das Boot“)in D etc.

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der „Independence“ und des Markt-/Gelderfolgs anbieten, die in der postmodernen

Welt der 90er durchaus existieren. Eine Kulturpsychologie, die westliche Werte nicht

universalisiert, kann die Einsicht in kulturelle „Geltungsbereiche“ unterschiedlicher

Wertsysteme dafür nutzen, Klienten dabei zu unterstützen, entweder ihr Wertsystem

an ihre kulturelle Umgebung anzupassen (Kongruenz der Werte des Individuums und

der Werte der umgebenen Kultur ist die Voraussetzung des Erfolgs und Wohlbefin-

dens eines Individuums und seiner Kultur) - oder mit den Klienten eine passendere

Umgebung für deren derzeitiges Wertsystem zu finden und dort hinzugehen.

Dabei sollten sie ihre Klienten gleichzeitig dabei unterstützen, die Härten dieser Kultur

durch diverse Formen der Entwichtigung, Verdrängung, der Uminterpretation oder des

Humors (z.B. á la Dave Letterman, Jay Leno, Harald Schmidt) zu bewältigen. Wenn

sie dagegen ständig die Aufmerksamkeit ihrer Klienten ständig auf diese Härten rich-

ten, die Möglichkeiten leugnen und gleichzeitig keine machbaren Alternativen anbieten

(wie die Kritische Psychologie heute), dann sorgen sie dafür, daß ihre Klienten depres-

siv werden (keine Hoffnung sehen, verzweifeln...).

Gerade in Europa besteht hier noch enormer Handlungsbedarf, denn hier blühen (ge-

rade unter akademischen Sozialwissenschaftlern, Literaturwissenschaftlern und Psy-

chologen) kulturpessimistisches oder gar marxistisches, „kulturkritisches“ Jammern

über die Zwänge und Härten der Geldwirtschaft (z.B. auch in Form der Kritischen

Psychologie) - ohne daß allerdings die Kritiker tragfähige Alternativen entwickeln oder

sich in andere kulturelle Zusammenhänge begeben würden. Eine derart ablehnende

Haltung gegenüber den Prinzipien der Geldwirtschaft aber blockiert die Wahrneh-

mung, verhindert ihr Verständnis und begünstigt Desorientierung und Handlungsunfä-

higkeit innerhalb geldwirtschaftlicher Strukturen. Eine solche Haltung können sich nur

Leute leisten, die den Zwängen der Geldwirtschaft eben nicht ausgesetzt sind - also

v.a. im staatlichen Bildungsbetrieb arbeitende Beamte - Lehrer, Uni-Beamte und An-

gestellte, also (ökonomisch) Unselbständige. Diese aber bilden Menschen aus, die

sich in geldwirtschaftlichen Strukturen erfolgreich orientieren müssen - und auf diese

Aufgabe in keiner Weise vorbereitet werden. Ich kann davon ein Lied singen, denn ich

bin in einem kulturkritischen Literaten-Haushalt aufgewachsen (meine Eltern sind bei-

de Germanisten), habe ein humanistisches Gymnasium besucht und zu allem Über-

fluß auch noch am PI der FU Berlin studiert. Jetzt, wo der Sprung auf den Markt an-

steht, dämmert mir langsam, wielange ich meine Zeit und Aufmerksamkeit auf die

falschen Dinge verwandt habe - ohne daß es mir je einer gesagt hätte.

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