KAPITEL 6 - tu-freiberg.de · 6.1. Eigenschaften der Ableitung und Differentationsregeln...

23
KAPITEL 6 Differentialrechnung 6.1 Eigenschaften der Ableitung und Differentationsregeln ....... 118 6.2 Differentationsregeln ........................ 120 6.3 Kettenregel ............................. 123 6.4 Umkehrfunktionen und ihre Ableitung ................ 125 6.5 L’Hospitalsche Regel ........................ 132 6.6 Hyperbelfunktionen und ihre Umkehrfunktionen .......... 137 Lernziele 6 Begriffe: Ableitung, Differenzenquotient, Differentitionsregeln: Produktregel, Kettenregel, Quotientenregel, Ableitung der Umkehrfunktion, Ableitungen der elementaren Funktionen, logarithmische Ableitung, l’Hospitalsche Regel, Hyperbelfunktionen und ihre Umkehrfunktionen. 117

Transcript of KAPITEL 6 - tu-freiberg.de · 6.1. Eigenschaften der Ableitung und Differentationsregeln...

KAPITEL 6

Differentialrechnung

6.1 Eigenschaften der Ableitung und Differentationsregeln . . . . . . . 1186.2 Differentationsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1206.3 Kettenregel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1236.4 Umkehrfunktionen und ihre Ableitung . . . . . . . . . . . . . . . . 1256.5 L’Hospitalsche Regel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1326.6 Hyperbelfunktionen und ihre Umkehrfunktionen . . . . . . . . . . 137

Lernziele 6• Begriffe: Ableitung, Differenzenquotient,• Differentitionsregeln: Produktregel, Kettenregel, Quotientenregel,

Ableitung der Umkehrfunktion,• Ableitungen der elementaren Funktionen,• logarithmische Ableitung,• l’Hospitalsche Regel,• Hyperbelfunktionen und ihre Umkehrfunktionen.

117

6.1. Eigenschaften der Ableitung und Differentationsregeln

6.1 Eigenschaften der Ableitung und Differentationsregeln

Definition der Ableitung

Definition 6.1 (Ableitung.)Die Funktion f sei auf dem Intervall I ™ R definiert und x0 œ I.

1. Die Funktion f ist in x0 differenzierbar, wenn der Grenzwert

limxæx0

f (x) ≠ f (x0)x ≠ x0

= limhæ0

f (x0 + h) ≠ f (x0)h

existiert und endlich ist. Dieser Grenzwert wird (sofern er existiert)mit f Õ(x0) bezeichnet und heißt Ableitung von f in x0. Manbezeichnet

�f (x)�x

=f (x) ≠ f (x0)

x ≠ x0

auch als Differenzenquotienten.Ferner sagt man, f ist auf I differenzierbar, wenn f Õ(x) in jedemPunkt x œ I existiert.

2. Die einseitigen Grenzwerte

f Õ(x+0 ) := lim

xæx0+

f (x) ≠ f (x0)x ≠ x0

,

f Õ(x≠0 ) := lim

xæx0≠

f (x) ≠ f (x0)x ≠ x0

,

heißen rechtsseitige bzw. linksseitige Ableitung von f in x0.

Aus der Definition der Ableitung als Grenzwert des Differenzenquotienten istersichtlich, dass die Ableitung auch als lokale Änderungsrate der Funktionaufgefasst werden kann.

118

6.1. Eigenschaften der Ableitung und Differentationsregeln

Geometrische Deutung der Ableitung: Tangentenanstieg

Lemma 6.1Die Tangente an den Graph y = f (x) in (x0, f (x0)) ist

y = f Õ(x0)(x ≠ x0) + f (x0).

Satz 6.2Jede in x0 œ I differenzierbare Funktion f : I æ R ist dort stetig.

Beweis: Ist f in x0 differenzierbar, so gilt

limxæx0

[f (x)≠ f (x0)≠ f Õ(x0)(x ≠x0)] = limxæx0

Ó(x ≠ x0)

Ë f (x) ≠ f (x0)x ≠ x0

≠ f Õ(x0)ÈÔ

= 0

und wegen limxæx0

f Õ(x0)(x ≠ x0) = 0 ist

limxæx0

(f (x) ≠ f (x0)) = limxæx0

[f (x) ≠ f (x0) ≠ f Õ(x0)(x ≠ x0)] + limxæx0

f Õ(x0)(x ≠ x0) = 0,

also istlim

xæx0f (x) = f (x0).

Die Stetigkeit der Funktion f in x0 œ I ist notwendig, aber nicht

hinreichend für die Differenzierbarkeit von f in x0 œ I. D.h. es gilt

1. Ist f in x0 œ I unstetig, dann ist f in x0 auch nicht differenzierbar.

2. Ist dagegen f in x0 œ I stetig, so muss f in x0 nicht differenzierbar sein,wie das Beispiel f (x) = |x | für x0 = 0 zeigt.

119

6.2. Differentationsregeln

6.2 Differentationsregeln

Satz 6.3Sind die Funktionen f , g : I æ R in x œ I differenzierbar, dann gilt:

1. [f (x) + g(x)]Õ = f Õ(x) + gÕ(x),

2. [cf (x)]Õ = cf Õ für alle c œ R,

3. [f (x)g(x)]Õ = f Õ(x)g(x) + f (x)gÕ(x) (Produktregel),

4.!

f (x)g(x)

"Õ= f Õ(x)g(x)≠f (x)gÕ(x)

g(x)2 falls g(x) ”= 0; (Quotientenregel),insbesondere gilt

31

g(x)

= ≠ gÕ(x)g(x)2 falls g(x) ”= 0.)

Beweis: Wir betrachten die entsprechenden Differenzenquotienten und gehendann zum Grenzwert über.zu (1):

�[f (x) + g(x)]�x

=[f (x) + g(x)] ≠ [f (x0) + g(x)]

x ≠ x0=�f (x)�x

+�g(x)�x

æ f Õ(x0)+gÕ(x0),

zu (2): (2) ist ein Spezialfall von (3),zu (3):

�[f (x)g(x)]�x

=[f (x)g(x)] ≠ [f (x0)g(x0)]

�x=

[f (x)g(x)]≠f (x0)g(x) + f (x0)g(x) ≠ [f (x0)g(x0)]�x

=(f (x) ≠ f (x0))g(x) + f (x0)(g(x) ≠ g(x0)

�x=

1�f (x)�x

2g(x) + f (x0)

1�g(x)�x

2

æ f Õ(x0)g(x0) ≠ f (x0)gÕ(x0)

120

6.2. Differentationsregeln

zu (4) wir betrachten zunächst

�!

1g(x)

"

�x=

!1

g(x)

"≠

!1

g(x0)

"

�x=

≠ (g(x)≠g(x0))g(x0)g(x)

�x

= ≠g(x) ≠ g(x0)�x

· 1g(x0)g(x)

= ≠�g(x)�x

· 1g(x0)g(x)

æ ≠ gÕ(x0)g(x0)2

und dann folgt die Quotientenregel aus der Produktregel (3).

Polynome

Für f (x) = xn, n œ N, (n Ø 1), gilt

limxæx0

�xn

�x= lim

xæx0

xn ≠ xn0

x ≠ x0= lim

xæx0(xn≠1 + xn≠2x0 + xn≠3x2

0 + ... + xn≠10 )

= limxæx0

n≠1ÿ

k=0

xn≠1≠k xk0 = nxn≠1

0 .

Hieraus folgt mittels der Quotientenregel unmittelbar, dass für x ”= 0 gilt

1 1xn

2Õ= ≠ (xn)Õ

x2n= ≠nxn≠1

x2n= ≠ n

xn+1 .

Trigonometrische Funktionen

Satz 6.4Die Sinus- und Kosinusfunktion sind auf R differenzierbar. Es gilt

1. (sin x)Õ = cos x ,

2. (cos x)Õ = ≠ sin x ,

3. (tan x)Õ = 1(cos x)2 , x ”= (2k + 1) fi

2 ,

4. (cot x)Õ = ≠1(sin x)2 , x ”= kfi.

121

6.2. Differentationsregeln

Beweis: Wir erinnern zunächst an die folgenden Additionstheoreme für Sinusund Kosinus:

cos(x ± y ) = cos x cos y û sin x sin y ,

sin(x ± y ) = sin x cos y ± cos x sin y .

und den Grenzwerten

limhæ0

sin hh

= 1, limhæ0

cos h ≠ 1h

= 0,

folgt

(sin x)Õ = limhæ0

1h

[sin(x + h) ≠ sin x ] = limhæ0

1h

[sin x cos h ± cos x sin h ≠ sin x ]

= limhæ0

Ësin x

cosh ≠ 1h

+ cos xsin h

h

È= cos x

(2) analog, (3) und (4) mit Quotientenregel. #

Beispiel 6.5

[(x2 + 5 sin x) cos x ]Õ = (2x + 5 cos x) cos x ≠ (x2 + 5 sin x) sin x

= 2x cos x + 5[(cos x)2 ≠ (sin x)2] ≠ x2 sin x = 2x cos x + 5 cos 2x ≠ x2 sin x .

122

6.3. Kettenregel

6.3 Kettenregel

Satz 6.6Die Verkettung (Komposition) zweier Funktionen f (g(x)) zweierdifferenzierbarer Funktionen ist ebenfalls differenzierbar und es gilt

(f (g(x)))Õ = f Õ(g(x))gÕ(x).

Beweis: Zunächst gilt

f (g(x)) ≠ f (g(x0))x ≠ x0

=f (g(x)) ≠ f (g(x0))

g(x) ≠ g(x0)·g(x) ≠ g(x0)

x ≠ x0=

f (y ) ≠ f (y0)y ≠ y0

·g(x) ≠ g(x0)x ≠ x0

mit y = g(x) und y0 = g(x0). Da g eine stetige Funktion ist, folgt, dass mit x æ x0

auch y = g(x) æ y0 = g(x0) gilt: D.h.

limxæx0

�f (g(x))�x

= limxæx0

f (y ) ≠ f (y0)y ≠ y0

· g(x) ≠ g(x0)x ≠ x0

=

3lim

yæy0

f (y ) ≠ f (y0)y ≠ y0

4·3

limxæx0

g(x) ≠ g(x0)x ≠ x0

4= f Õ(y0)gÕ(x0) = f Õ(g(x0))gÕ(x0). #

Beispiel 6.7

h(x) = (x4 + 6x + 5)3 = f (g(x))

mit g(x) = x4 + 6x + 5 und f (x) = x3. Damit ist

hÕ(x) = 3(x4 + 6x + 5)2 · (4x3 + 6)

Beispiel 6.8

h(x) = [sin(x4 + 2x)2]5

123

6.3. Kettenregel

ist mehrfach geschachtelt mit f (x) = x5, g(x) = sin x , u(x) = x2, x4 + 2x undmuss deshalb schrittweise abgearbeitet werden:

hÕ(x) = (f (g(u(v (x)))))Õ = f Õ(g(u(v (x)))) [g(u(v (x)))]Õ = f Õ(g(u(v (x))))gÕ(u(v (x))) [u(v (x))]Õ

= f Õ(g(u(v (x))))gÕ(u(v (x)))uÕ(v (x))v Õ(x),

also ist![sin(x4 + 2x)2]5

= 5(sin(x4 + 2x)2)4 ·!sin(x4 + 2x)2"Õ

= 5(sin(x4 + 2x)2)4 cos(x4 + 2x)2 ·!(x4 + 2x)2"Õ

= 5(sin(x4 + 2x)2)4 cos(x4 + 2x)2 · 2(x4 + 2x) ·!x4 + 2x

= 5(sin(x4 + 2x)2)4 cos(x4 + 2x)2 · 2(x4 + 2x)(4x3 + 2).

Bemerkung 6.9Zusammenfassung Differentationsregeln

Regeln f , g, u seien differenzierbare FunktionenMultiplikation mit Konst. Summe bzw. Differenzddx (cf ) = cf Õ d

dx (f ± g) = f Õ ± gÕ

Produktregel Quotientenregelddx (fg) = fgÕ + f Õg d

dx

!fg

"= f Õg≠fgÕ

g2

Potenzfunktion Konstante Funktion Potenzenddx (c) = 0 d

dx (xn) = n xn≠1, ddx (x) = 1

TrigonometrischeFunktionen

ddx (sin x) = cos x d

dx (tan x) = 1cos2 x

ddx (cos x) = ≠ sin x d

dx (cot x) = ≠1sin2 x

Kettenregel Kettenregel Beispielddx (f (u)) = f Õ(u) uÕ d

dx (un) = n un≠1 uÕ

124

6.4. Umkehrfunktionen und ihre Ableitung

6.4 Umkehrfunktionen und ihre Ableitung

Höhere Ableitungen

Die Ableitung der Ableitung von f bezeichnet man, falls sie existiert, mit f ÕÕ(x)oder f (2)(x) oder d

dx

!ddx f (x)

"oder d2

dx2 f (x) bzw. allgemein für die n-te Ableitungf (n)(x) oder d

dx

!f (n≠1)(x)

"oder dn

dxn f (x).

Man sagt, dass f n-mal differenzierbar bzw. stetig differenzierbar ist, wenn dien-te Ableitung existiert bzw. existiert und stetig ist.

Man beachte, dass eine differenzierbare Funktion nicht notwendig zweimaldifferenzierbar sein muss.

Beispiel 6.10Die Funktion

f (x) = x |x | =

;x2, für x Ø 0,

≠x2, für x < 0,

ist für alle x œ R differenzierbar mit der Ableitung f Õ(x) = 2|x |. Die Funktionf Õ(x) = 2|x | ist aber für x = 0 nicht differenzierbar.

Umkehrfunktionen

Satz 6.11 (Hauptsatz über Umkehrfunktionen)

1. Existenz

• Jede strikt monotone Funktion f : D æ R ist umkehrbar.

• Jede über einem Intervall I stetig differenzierbare Funktion fmit f Õ(x) ”= 0 für alle x œ I ist (über I) umkehrbar.

125

6.4. Umkehrfunktionen und ihre Ableitung

2. Ableitung Die Umkehrfunktion g : f (I) æ R einer über demIntervall I ™ R umkehrbaren Funktion f ist in allen x œ f (I) mitf Õ(g(x)) ”= 0 differenzierbar und es gilt

gÕ(x) =1

f Õ(g(x)).

Beweis (des Satzes) zu (1a): Ist f auf D strikt monoton, dann folgt aus x1 < x2

sofort f (x1) < f (x2) oder f (x1) > f (x2). Deshalb gibt es zu jedem y œ f (D) genauein mit y = f (x).

zu (1b): Die Ableitung f Õ(x) ist auf I stets positiv oder stets negativ, da sie sonstnach dem Zwischenwertsatz (Satz 5.34) eine Nullstelle besitzen müsste.Deshalb ist f strikt monoton und somit umkehrbar.

zu (2): Aus y = f (x) und x = g(y ) folgt y = f (x) = f (g(y )) und mit Hilfe derKettenregel ergibt sich

(y )Õ = 1 = f Õ(g(y )) · gÕ(y ) ≈∆ gÕ(y ) =1

f Õ(g(y )).#

Beispiel 6.12Die Funktion f (x) = x5 + x , x œ R, hat überall eine positive Ableitung:f Õ(x) = 5x4 + 1 > 0 und ist deshalb umkehrbar. Auch wenn wir die Funktion g(y )nicht explizit angeben können, so wissen wir doch, dass gilt

gÕ(y ) =1

f Õ(g(y ))=

15g(y )4 + 1

.

In der Regel schreibt man g aber wieder als Funktion von x , d.h.

gÕ(x) =1

5g(x)4 + 1.

126

6.4. Umkehrfunktionen und ihre Ableitung

Wurzelfunktionen

Mit f (x) = xn und g(x) = nÔ

x = x1n erhält man für die Ableitung

ddx

x1n =

1f Õ(g(x))

=1

n1

x1n

2n≠1 =1n

x1n ≠1

und mit Hilfe der Kettenregel ergibt sich nun

ddx

xmn =

ddx

1x

1n

2m

= m1

x1n

2m≠1· d

dxx

1n = m

1x

1n

2m≠1 1n

x1n ≠1 = m

n xmn ≠1.

Arcussinus

Für die Ableitung gilt:

ddx

arcsin x =1Ô

1 ≠ x2, ≠1 < x < 1.

Beweis der Ableitung: Nach der Formel für die Ableitung der Umkehrfunktion gilt

ddx

arcsin x =1

(cos(arcsin x)).

Wir berechnen cos(arcsin x)). Es ist

cos2(arcsin x)) + sin2(arcsin x)) = cos2(arcsin x)) + (sin arcsin x)2

= cos2(arcsin x)) + x2 = 1

≈∆ cos2(arcsin x) = 1 ≠ x2 ≈∆ cos arcsin x =

1 ≠ x2.#

127

6.4. Umkehrfunktionen und ihre Ableitung

Bemerkung 6.13

ddx

(arcsin x) =1Ô

1 ≠ x2,

ddx

(arctan x) =1

1 + x2 , ≠1 < x < 1,

ddx

(arccos x) =≠1Ô

1 ≠ x2,

ddx

(arccot x) =≠1

1 + x2 , ≠Œ < x < Œ.

Exponential- und Logarithmusfunktion

Satz 6.14 (Eigenschaften der e-Funktion)

1. Positivität: e0 = 1, ex > 0 für alle x œ R.

2. Ableitung: Die e-Funktion ist überall differenzierbar und es gilt

ddx

ex = ex , x œ R.

3. Funktionalgleichung:

ex+y = ex · ey , e≠x =1ex

.

4. allgemeine Basis a: Für a > 0 und a ”= 1 ist

ax = ex(ln a) und somitddx

(ax ) = ax ln a.

128

6.4. Umkehrfunktionen und ihre Ableitung

Bemerkung 6.15Bei Zahlenfolgen werden wir sehen, dass gilt

ex := exp(x) := limnæŒ

11 +

xn

2n

, x œ R.

damit ergibt sich (1) aus: e0 := limnæŒ!1 + 0

n

"n= 1. Aus der Definition folgt

außerdem unmittelbar, dass ex Ø 0 ist. Die strikte Positivität folgt aus derStetigkeit und ex e≠x = 1.

zu (2) Es ist naheliegend folgendermaßen zu beweisen:

ddx

ex =ddx

limxæŒ

11 +

xn

2n

= limnæŒ

ddx

11 +

xn

2n

= limnæŒ

11 +

xn

2n≠1= ex .

Das ist zwar richtig, es muss aber begründet werden, dass imvorliegenden Fall der Grenzübergang limnæŒ und die Differentation d

dxvertauscht werden dürfen.Wie verzichten auf diesen Nachweis und den Beweis von (3).

129

6.4. Umkehrfunktionen und ihre Ableitung

Satz 6.16 (Eigenschaften der Logarithmusfunktion)

1. Ableitung: Die ln-Funktion ist überall differenzierbar; für allex > 0 gilt

ddx

ln x =1x

.

2. Funktionalgleichung: der ln-Funktion

ln(xy) = ln x + ln y , lnxy

= ln x ≠ ln y , (x , y > 0).

3. allgemeine Basis a: Für a > 0 und a ”= 0 ist

loga x =1

ln aln x und damit

ddx

(loga x) =1

x ln a.

Beweis zu (1): Aus den Differentationsregeln ergibt sich

ddx

ln x =1

expÕ(ln x)=

1exp(ln x)

=1x

.

(2) ist eine Folgerung aus der Funktionalgleichung für die e-Funktion (siehe Satz6.14): Für x , y œ (0, Œ) sei u := ln x , v := ln y , dann gilt x = eu und y = ev

sowieln(xy ) = ln(euev ) = ln(eu+v ) = u + v = ln x + ln y .

Der Sonderfall x = 1y zeigt ln 1

y = ≠ ln y .

130

6.4. Umkehrfunktionen und ihre Ableitung

Logarithmische Ableitung

Unter der logarithmischen Ableitung einer Funktion f (x) versteht man dieAbleitung des Logarithmus der Funktion. Es gilt gemäß Kettenregel:

(ln f (x))Õ =f Õ(x)f (x)

.

Deshalb kann man mit Hilfe der logarithmischen Ableitung die Ableitung einerFunktion bestimmen. In manchen Fällen geht es gar nicht anders.

Beispiel 6.17Man bestimme die Ableitung von f (x) = xx , x > 0. Wie man leicht sieht istln xx = x ln x und damit ergibt sich

!ln xx

"Õ= (x ln x)Õ ln x + x

1x

= 1 + ln x

und damit erhält man!ln xx

"Õ= (x ln x)Õ f (x) = (1 + ln x)xx .

Oder auch zur Vereinfachung der Berechnung der Ableitung:

Beispiel 6.18Man bestimme die Ableitung von f (x) = x2Ô

x+1(x+2) für x > 0. Diese Funktion ist für

alle x Ø ≠1 definiert, also insbesondere auch für x > 0. Dann ist

lnx2

Ôx + 1

(x + 2)= 2 ln x +

12

ln(x + 1) ≠ ln(x + 2)

und wir erhalten für die Ableitung:

3ln

x2Ô

x + 1(x + 2)

=2x

+12

1x + 1

≠ 1x + 2

und damit ist

f Õ(x) =1 2

x+

12

1x + 1

≠ 1x + 2

2 x2Ô

x + 1(x + 2)

.

131

6.5. L’Hospitalsche Regel

6.5 L’Hospitalsche Regel

Hier geht es um die Bestimmung von Grenzwerten von sogenannten„unbestimmten“ Ausdrücken, wie z.B.

limxæ0

sin xx

.

Dies ist ein unbestimmter Ausdruck der Form 00 , weil der Zähler und der Nenner

gegen Null streben und man deshalb nicht weiß, ob der Grenzwert existiert,nicht existiert, endlich oder unendlich ist. Wie wir bereits gezeigt haben giltlimxæ0

sin xx = 1.

Beispiel 6.19Für einen unbestimmten Ausdruck kann der Grenzwert existieren, nichtexistieren, endlich oder unendlich sein. Dazu geben wir jeweils ein Beispiel an.Der Grenzwert

limxæ0

3xx

= 3

existiert und ist endlich, der Grenzwert

limxæ0

|x |x

existiert nicht, da

limxæ0≠0

|x |x

= limxæ0≠0

≠xx

= ≠1, aber limxæ0+0

|x |x

= limxæ0+0

xx

= 1.

und der Grenzwert existiert nicht. Der nächste Grenzwert ist +Œ :

limxæ0

xx3 = +Œ.

Es gibt weitere unbestimmte Ausdrücke, nämlich ŒŒ , Œ ≠ Œ, 0 · Œ, 1Œ. Zur

Berechnung von Grenzwerten derartiger unbestimmter Ausdrücke ist diefolgende Regel sehr hilfreich. Sie direkt auf die Fälle 0

0 und ŒŒ und nach

Umformung der entsprechenden Ausdrücke auch auf alle anderen.

132

6.5. L’Hospitalsche Regel

Satz 6.20 (Regel von l’Hospitale)Sind f und g auf dem Intervall a < x < b differenzierbare Funktionen,gÕ(x) ”= 0, mit den folgenden beiden Eigenschaften

1. f (x) æ 0, g(x) æ 0 oder f (x) æ Œ, g(x) æ Œ für x æ b ≠ .

2. limxæb≠

f Õ(x)gÕ(x) = L mit L œ R fi {≠Œ, Œ},

dann gilt

limxæb≠

f (x)g(x)

= limxæb≠

f Õ(x)gÕ(x)

.

Entsprechendes gilt für x æ a+, x æ Œ, x æ ≠Œ.

ohne Beweis.

Bemerkung 6.21Es kommt häufig vor, dass man den zur Anwendung der L’Hospitalschen Regel

benötigten Wert limxæb≠f Õ(x)gÕ(x) selbst erst mit dieser Regel ermittelt, sofern

f Õ, gÕ anstelle f , g die Voraussetzungen des Satzes erfüllen.

Beispiel 6.22Bei der Anwendung der L’Hospitalschen Regel ist als erstes immer der Typ desunbestimmten Ausdruck zu bestimmen und dann auf die Form „ 0

0 “ bzw. „ ŒŒ “.

limxæ3

x3 ≠ x2 ≠ 5x ≠ 33x2 ≠ 7x ≠ 6

ist vom Typ00

.

Wir können die Regel also sofort anwenden:

limxæ3

x3 ≠ x2 ≠ 5x ≠ 33x2 ≠ 7x ≠ 6

= limxæ3

3x2 ≠ 2x ≠ 56x ≠ 7

=1611

.

133

6.5. L’Hospitalsche Regel

Als nächstes wollen wir den Grenzwert

limxæŒ

x ln1 x + 1

x ≠ 1

2vom Typ Œ · 0

bestimmen, dazu müssen wir den Ausdruck aber erst umformen. Giltlimxæb≠ f (x) = Œ und limxæb≠ g(x) = 0, dann formen wir wie folgt um:

f (x) · g(x) =g(x)

1f (x)

und erhalten einen Ausdruck vom Typ „ 00 “. Man beachte, dass der gesamte

Nenner 1f (x) in der L’Hospitalschen Regel differenziert werden muss. Für unser

Beispiel heißt das:

limxæŒ

x ln1 x + 1

x ≠ 1

2= lim

xæŒ

ln!

x+1x≠1

"

1x

= limxæŒ

!x≠1x+1

" 1(x≠1)≠(x+1)

(x≠1)2

2

≠ 1x2

= limxæŒ

(≠2)(≠x2)(x + 1)(x ≠ 1)

= limxæŒ

2x2

x2 ≠ 1= 2.

Der Grenzwert

limxæ0

1 1x

≠ 1sin x

2ist vom Typ „Œ ≠ Œ“

und muss deshalb erst umgeformt werden. Es gilt für limxæb≠ f (x) = Œ undlimxæb≠ g(x) = Œ :

f (x) ≠ g(x) = f (x)g(x)

31

g(x)≠ 1

f (x)

4Typ „Œ · 0“

und wird deshalb weiter umgeformt zu

=1

g(x) ≠ 1f (x)

1f (x)g(x)

Typ „ 00 .“

134

6.5. L’Hospitalsche Regel

Für das Beispiel bedeutet dies:

limxæ0

1 1x

≠ 1sin x

2= lim

xæ0

1x sin x

(sin x ≠ x) = limxæ0

sin x ≠ xx sin x

= limxæ0

cos x ≠ 1sin x + x cos x

ist wieder vom Typ „ 00 “, deshalb nochmalige Anwendung der Regel:

= limxæ0

≠ sin xcos x + cos x ≠ x sin x

= 0.

Weitere unbestimmte Ausdrücke sind 00 und Œ0.

Beispiel 6.23Es sei lim

xæ0xx zu berechnen. Es ist

xx = eln xx= ex ln x

und damit ist

limxæ0

xx = limxæ0

ex ln x = exp( limxæ0

x ln x) = exp

3ln x

1x

4= exp

3 1x

≠ 1x2

4

= exp

3lim

xæ0

≠x2

x

4= 1.

Beispiel 6.24Der Grenzwert lim

xæŒ

!1 + 1

x

"xist vom Typ „1Œ“. Wir formen wir im vorigen

Beispiel um: 11 +

1x

2x

= exp1

x ln1

1 +1x

22

Der letzte Ausdruck im Exponenten ist für x æ Œ vom Typ „Œ · 0“, nach einerweiteren Umformung ergibt sich

exp1

x ln1

1 +1x

22= exp

Aln

!1 + 1

x

"

1x

B.

135

6.5. L’Hospitalsche Regel

Anwendung der L’Hospitalschen Regel ergibt nun:

limxæŒ

11 +

1x

2x

= exp

Alim

xæŒ

ln!1 + 1

x

"

1x

B= exp

3lim

xæŒ

xx+1

(≠1)x2

≠1x2

4

= exp1

limxæŒ

xx + 1

2= e1 = e.

Bemerkung 6.251. Die L’Hospitalsche Regel ist nur auf unbestimmte Ausdrücke vom Typ „ 0

0 “bzw. „ Œ

Œ “ anwendbar. Liegen andere unbestimmte Ausdrücke vor, somüssen sie erst auf die Gestalt „ 0

0 “ bzw. „ ŒŒ “ gebracht werden, damit die

Regel angewandt werden kann.

2. Die Regel kann mehrfach hintereinander angewandt werden, wenn in injedem Schritt die Vorrausetzungen für die Anwendung der Regel erfülltsind.

3. Man verwechsle die Anwendung der L’Hospitalschen Regel nicht mit derDifferentation von Quotienten. Bei der L’Hospitalschen Regel werden (sosie anwendbar ist) Zähler und Nenner differenziert und dann derGrenzwert gebildet.

4. Die L’Hospitalschen Regel kann nicht direkt auf Zahlenfolgen angewandtwerden. Gilt aber für die Funktionen f (x), g(x), dass der Grenzwert

limxæŒ

f (x)g(x)

= limxæŒ

f Õ(x)gÕ(x)

= L

gemäß der L’Hospitalschen Regel berechnet werden kann, so gilt für dieTeilfolge = Zahlenfolge (xn) = (n), dass

limnæŒ

f (n)g(n)

= L

ist. So kann argumentiert werden, anders nicht!

136

6.6. Hyperbelfunktionen und ihre Umkehrfunktionen

6.6 Hyperbelfunktionen und ihre Umkehrfunktionen

Die Hyperbelfunktionen sind

sinh x :=ex ≠ e≠x

2, cosh x :=

ex + e≠x

2, tanh x :=

sinh xcosh x

, coth x :=cosh xsinh x

.

Zur Aussprache der Funktionennamen, z.B. sinh wird ausgesprochen „Sinushyperbolicus“, die übrigen Namen analog. Den Namen verdanken dieseFunktionen dem folgenden Zusammenhang mit der Hyperbel x2 ≠ y2 = 1 :

x=cosh t , y=sinht

Flächenihalt t

Hyperbel x2− y

2=1

Punkt auf der Hyperbel:

cosh t

sinh t

Insbesondere gilt somit

cosh t 2−sinh t 2=1

137

6.6. Hyperbelfunktionen und ihre Umkehrfunktionen

Beispiel 6.26Anwendung: Ein homogenes, nur durch das Eigengewicht belastetes Seil hatdie Form einer Kettenlinie:

y (x) = a cosh1x ≠ b

a

2+ c

mit Konstanten a, b, c œ R.

Aus der Darstellung der hyperbolischen Funktionen gewinnt man leicht dieFormeln für die Ableitungen, es ist

sinhÕ x = cosh x , coshÕ x = sinh x , tanhÕ x =1

cosh2 x.

Die Funktion sinh x ist für alle x œ R umkehrbar, dagegen ist die Funktioncosh x nur für einen Zweig umkehrbar, in diesem Fall entscheidet man sich fürx Ø 0 und erhält für sinh x :

y = sinh x =ex ≠ e≠x

2=

e≠x

2(e2x ≠ 1) ≈∆ 2yex = e2x ≠ 1 =

!ex

"2 ≠ 1

Wir lösen diese quadratische Gleichung für ex und erhalten

ex = y ±

y2 + 1

Wegen ex > 0 für alle x œ R entfällt die Lösung mit dem Minus und wir haben

ex = y +

y2 + 1

Logarithmieren ergibt nun

x = ln(y +

y2 + 1).

Schreibt in die Funktion nun in üblicher Form als Funktion von x so erhält man

138

6.6. Hyperbelfunktionen und ihre Umkehrfunktionen

als Umkehrfunktionen:

arsinh x := ln(x +Ô

x2 + 1), x œ R.

Analog erhält man für cosh x als Umkehrfunktion

arcosh x := ln(x +

x2 ≠ 1), x Ø 1.

Zur Aussprache: „arsinh“ wird ausgesprochen als „area sinus hyperbolicus“(arcosh analog.) Mit Hilfe der der Kettenregel berechnet man die Ableitungender area-Funktionen:

ddx

arsinh x = ln(x +

x2 ≠ 1) =1

(x +Ô

x2 + 1)·3

1 +12

1Ôx2 + 1

· 2x

4

=(x +

Ôx2 + 1)

x2 + 1)(x +Ô

x2 + 1)=

1Ôx2 + 1

.

Analog erhält man die Ableitung von arcosh x . Die Ableitungen sind folglich:

ddx

arsinh x =1Ô

x2 + 1x œ R,

ddx

arcosh x =1Ô

x2 ≠ 1x Ø 1.

139