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Landtag Ausschussprotokoll Nordrhein-Westfalen APr 16/918 16. Wahlperiode 02.06.2015 Haushalts- und Finanzausschuss 74. Sitzung (öffentlich) (Sondersitzung zu TOP 2) 2. Juni 2015 Düsseldorf Haus des Landtags 16:25 Uhr bis 17:40 Uhr Vorsitz: Christian Möbius (CDU) Protokoll: Thilo Rörtgen, Franz-Josef Eilting Verhandlungspunkte und Ergebnisse: 1 Eckpunkte für eine Reform des Länderfinanzausgleichs und der bundesstaatlichen Finanzbeziehungen 3 Antrag der Fraktion der CDU Drucksache 16/1911 APr 16/274 (öffentliche Anhörung vom 13.06.2013) APr 16/521 (Auswertung im HFA vom 13.04.2014) In Verbindung mit: Bund-Länder-Finanzbeziehungen transparent und fair weiterent- wickeln! Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 16/8103 Und:

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Landtag Ausschussprotokoll Nordrhein-Westfalen APr 16/918 16. Wahlperiode 02.06.2015

Haushalts- und Finanzausschuss

74. Sitzung (öffentlich) (Sondersitzung zu TOP 2)

2. Juni 2015

Düsseldorf – Haus des Landtags

16:25 Uhr bis 17:40 Uhr

Vorsitz: Christian Möbius (CDU)

Protokoll: Thilo Rörtgen, Franz-Josef Eilting

Verhandlungspunkte und Ergebnisse:

1 Eckpunkte für eine Reform des Länderfinanzausgleichs und der bundesstaatlichen Finanzbeziehungen 3

Antrag

der Fraktion der CDU

Drucksache 16/1911

APr 16/274 (öffentliche Anhörung vom 13.06.2013)

APr 16/521 (Auswertung im HFA vom 13.04.2014)

In Verbindung mit:

Bund-Länder-Finanzbeziehungen transparent und fair weiterent-wickeln!

Antrag

der Fraktion der SPD und

der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Drucksache 16/8103

Und:

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Landtag Nordrhein-Westfalen - 2 - APr 16/918

Haushalts- und Finanzausschuss 02.06.2015 74. Sitzung (öffentlich) rt-la Politik muss Wort halten und den Solidaritätszuschlag abschaffen –

Bürger und Unternehmen haben eine steuerliche Entlastung verdient

Entschließungsantrag

der Fraktion der FDP

Drucksache 16/8202

(vgl. Vorlage 16/2898)

– Abschließende Beratung und Abstimmungen, Änderungsantrag avisiert

Mit den Stimmen von SPD, CDU und Grünen gegen die Stimmen der FDP bei Stimmenthaltung der Piraten stimmt der Ausschuss dem Änderungsantrag Drucksache 16/8822 zu.

Mit den Stimmen von SPD, CDU und Grünen gegen die Stimmen der FDP bei Stimmenthaltung der Piraten stimmt der Ausschuss dem so geänderten Antrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 16/8103 zu.

Mit den Stimmen von SPD und Grünen gegen die Stimmen von FDP und Piraten bei Stimmenthaltung der CDU lehnt der Ausschuss den Entschließungsantrag der FDP Druck-sache 16/8202 ab.

2 Finanzierung des Strukturwandels in Nordrhein-Westfalen 15

Bericht der Landesregierung

Vorlage 16/2897

– Aussprache

* * *

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Landtag Nordrhein-Westfalen - 3 - APr 16/918

Haushalts- und Finanzausschuss 02.06.2015 74. Sitzung (öffentlich) rt-la 1 Eckpunkte für eine Reform des Länderfinanzausgleichs und der bundes-

staatlichen Finanzbeziehungen

Antrag der Fraktion der CDU Drucksache 16/1911

APr 16/274 (öffentliche Anhörung vom 13.06.2013)

APr 16/521 (Auswertung im HFA vom 13.04.2014)

In Verbindung mit:

Bund-Länder-Finanzbeziehungen transparent und fair weiterentwickeln!

Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 16/8103

Und:

Politik muss Wort halten und den Solidaritätszuschlag abschaffen – Bür-ger und Unternehmen haben eine steuerliche Entlastung verdient

Entschließungsantrag der Fraktion der FDP Drucksache 16/8202 (vgl. Vorlage 16/2898)

– Abschließende Beratung und Abstimmungen, Änderungsantrag avisiert

Vorsitzender Christian Möbius: Der Antrag der CDU-Fraktion Drucksache 16/1911 wurde vom Plenum am 24. Januar 2013 zur federführenden Beratung an den Haus-halts- und Finanzausschuss sowie zur Mitberatung an den Ausschuss für Kommu-nalpolitik überwiesen. Am 13. Juni 2013 hat der HFA eine öffentliche Anhörung zu diesem Fraktionsantrag durchgeführt; das Wortprotokoll der Anhörung liegt uns als Ausschussprotokoll 16/274 vor.

Der Antrag der Fraktion von SPD und Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 16/8103 sowie der Entschließungsantrag der Fraktion der FDP Drucksache 16/8202 wurden vom Plenum am 20. März 2015 zur federführenden Beratung an den Haushalts- und Finanzausschuss sowie zur Mitberatung an den Ausschuss für Kommunalpolitik überwiesen.

Der Ausschuss für Kommunalpolitik hat den CDU-Antrag in seiner Sitzung am 11. Oktober 2013 mit den Stimmen der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion der CDU bei Enthaltung der Fraktionen von FDP und Piraten abgelehnt.

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Landtag Nordrhein-Westfalen - 4 - APr 16/918

Haushalts- und Finanzausschuss 02.06.2015 74. Sitzung (öffentlich) rt-la Weiterhin hat der Ausschuss für Kommunalpolitik zum Antrag der Koalitionsfraktio-nen in seiner Sitzung am 24. April 2015 auf ein Votum verzichtet. Zum Entschlie-ßungsantrag der Fraktion der FDP hatte der mitberatende Ausschuss nicht zu votie-ren.

Alle Fraktionsanträge waren für unsere Sitzung am 7. Mai 2015 vorgesehen; der Ta-gesordnungspunkt wurde geschoben, um möglichst eine gemeinsame Positionierung zu erarbeiten.

Heute liegt uns daher ein Änderungsantrag der Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und CDU zum Koalitionsantrag mit der Drucksache 16/8822 vor.

Gibt es hierzu Wortmeldungen? – Herr Kollege Zimkeit, bitte.

Stefan Zimkeit (SPD): Diese gemeinsame Positionierung zu dieser bundespoliti-schen Frage zwischen den Fraktionen, die im Landtag sind und die auch eine Vertre-tung im Bundestag haben, ist gelungen. Das sehen Sie am gemeinsamen Ände-rungsantrag. Wir bitten die Kurzfristigkeit und das auch etwas ungewöhnliche Verfah-ren bezüglich des Änderungsantrags zu entschuldigen, aber die anstehende Länder-finanzministerkonferenz hat es uns sinnvoll erscheinen lassen, aus diesem Haus, aus diesem Ausschuss ein gemeinsames Signal abzusetzen.

Für uns als SPD ist es sehr erfreulich, dass uns diese gemeinsame Positionierung gelungen ist. Ich will noch einmal den Grundsatz beschreiben, der aus unserer Sicht diesen Antrag trägt.

Der Grundsatz ist, dass die Länderfinanzbeziehungen in Zukunft a) transparenter und b) gerechter gelöst werden müssen, als das bisher der Fall ist. Zur Transparenz trägt aus unserer Sicht besonders bei, wenn die Frage des Umsatzsteuervorweg-ausgleichs abgeschafft und in die Gesamtbeziehung des Länderfinanzausgleichs einbezogen wird. Ich glaube, es ist für niemanden wirklich verständlich, dass es ei-nen Länderfinanzausgleich gibt, bei dem NRW in diesem kleineren Teil Zahler ist, aber vorher einen anderen, bei dem NRW einen erheblichen Beitrag zur Solidarität mit anderen leistet. Das muss natürlich in Zusammenhang gebracht werden, was dann das Ergebnis hat, dass Nordrhein-Westfalen erhebliche Mittel für andere Län-der zur Verfügung stellt.

Der zweite Punkt, der für uns wichtig ist, betrifft die Frage der Gerechtigkeit, also im Kernpunkt auch die Verteilung nicht mehr nach Himmelsrichtungen, sondern nach nachvollziehbaren Kriterien. Das muss aus unserer Sicht alles das Ergebnis haben, dass Nordrhein-Westfalen auch zukünftig solidarisch einen Beitrag für Länder leistet, die größere strukturelle Probleme haben, aber auch, dass Nordrhein-Westfalen im Endeffekt mehr von dem, was hier erwirtschaftet wird, in Nordrhein-Westfalen behal-ten kann. Uns geht es nicht darum, Gelder von anderen Ländern zu bekommen, sondern uns geht es darum, weniger abzugeben, um unsere eigenen strukturellen Probleme entsprechend abarbeiten zu können.

Es freut uns, dass es uns hier gelungen ist, mit drei Fraktionen eine entsprechende gemeinsame Positionierung vorzunehmen.

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Haushalts- und Finanzausschuss 02.06.2015 74. Sitzung (öffentlich) rt-la Dr. Marcus Optendrenk (CDU): Ich denke, wenn man sich noch einmal vor Augen führt, dass wir in den letzten Jahren nicht nur hier im Landtag, sondern auch auf allen anderen staatlichen Ebenen eine Diskussion über die Frage hatten, wie die Bund-Länder-Finanzbeziehungen in Zukunft zu gestalten sind, und wir von relativ weit aus-einanderliegenden Positionen gekommen sind, dann ist das, was heute vorliegt, ein deutliches Signal, dass diejenigen, die gemeinsam diesen Antrag stellen, gemeinsam versuchen, die Interessen der Menschen in Nordrhein-Westfalen gegenüber den an-deren Bundesländern und gegenüber dem Bund geltend zu machen. Das ist etwas, was es richtigerweise auch in anderen Bundesländern fast selbstverständlich gibt. Das setzte hier voraus, dass man über bestimmte Dinge viel miteinander gesprochen hat.

Ich will an dieser Stelle deutlich sagen: An manchen Stellen muss man Parteisprech weglassen – alle miteinander – und sagen: Wir reduzieren es jetzt auf den Kern des-sen, worauf es für das Land ankommt. Deshalb ist auch die Formulierung dieses An-trages so, wie sie ist, nämlich sehr, sehr sachlich.

Das ist eine gute Grundlage dafür, dass die Landesregierung die objektiven Interes-sen der Bürgerinnen und Bürger des Landes in den anstehenden Verhandlungen – auch mit Blick auf die Ministerpräsidentenkonferenz am 18. Juni – mit Rückende-ckung aus dem Landtag berücksichtigen kann.

Ich rekapituliere noch einmal: Wenn der Antrag, der im März von den Koalitionsfrak-tionen gestellt worden ist, einfach nur mit einer Mehrheit der Koalitionsfraktionen als quasi Stützantrag beschlossen worden wäre, dann wäre die politische Wirkung au-ßerhalb Nordrhein-Westfalens null gewesen. Deshalb ist dieser Antrag etwas, was ein Stück weit in einer Grundsatzlinie steht, wo Interessen des Landes insgesamt vertreten werden sollen.

Das macht aber – das will ich zur Abgrenzung sagen – deutlich, dass alles das, was wir hier in Nordrhein-Westfalen selbst leisten müssen, natürlich weiter dem Ringen um den richtigen Weg auch hier im Landtag und mit der Regierung offen bleibt. Es ist also nicht so, dass wir damit jetzt beispielsweise als Oppositionsfraktion erklären: Herr Finanzminister, gucken Sie nur, dass Sie genug Geld aus Berlin bekommen, dann kritisieren wir Sie auch nicht mehr für Ihre mangelhaften Ambitionen in der Sa-nierung des Landeshaushaltes.

Das muss man an solchen Stellen voneinander trennen. Da, wo wir nach außen Inte-ressen des Landes zu vertreten haben, erhoffen wir uns auch in Zukunft, dass die Landesregierung auch dem Parlament die eine oder andere zusätzliche Brücke baut, dass man solche Wege gemeinsam gehen kann. Da hat das, was hier auf dem Tisch liegt, vielleicht auch den Charakter einer Motivation der Landesregierung, darüber nachzudenken, wie sie vielleicht in Zukunft noch ein Stück stärker auf das Parlament zugehen kann, wie das in anderen Bundesländern – ich nenne bewusst Baden-Württemberg – seit Jahrzehnten getan wird. Auch das wäre immer dann, wenn es um das Gesamtinteresse des Landes geht, eine gute Erfahrung. Insofern hat das Parlament hier eine Vorleistung erbracht.

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Haushalts- und Finanzausschuss 02.06.2015 74. Sitzung (öffentlich) rt-la Martin-Sebastian Abel (GRÜNE): Ich kann mich den Vorrednern anschließen. Auch ich möchte mich für die konstruktive Zusammenarbeit bedanken, dass das hier mög-lich war, und zwar bei Positionen, die zu Beginn der Diskussion und in den uns vor-liegenden Anträgen weit auseinanderlagen. Es ist eine gemeinsame Initiative. Wir wollen ein Zeichen setzen vor der Konferenz der Ministerpräsidentinnen und Minis-terpräsidenten am 18. Juni, und zwar deswegen, weil wir uns dazu bekennen, dass wir, wenn wir die Lebensverhältnisse – wie es im Grundgesetz steht – ausgeglichen gestalten wollen und wenn wir die Zukunftsaufgaben, die uns alle gemeinsam in Nordrhein-Westfalen bewegen, stemmen wollen, dann auch darüber reden müssen, dass die Bund-Länder-Finanzbeziehung im Allgemeinen, aber hier insbesondere der Länderfinanzausgleich anders gestaltet wird.

Das ist, wie die beiden Kollegen schon ausgeführt haben, insbesondere deswegen notwendig, weil wir eine Neugestaltung der Förderung brauchen, insbesondere bei der Unterstützung der Kommunen. Es kann nicht sein, dass 20, 25 Jahre nach der Wende weiter nach Himmelsrichtungen gefördert wird. Und es kann auch nicht sein, dass Mittel, die im Bundeshaushalt verbleiben, mit denen sich der Bund saniert, uns als Land nicht zur Verfügung stehen, um Aufgaben beispielsweise im Bereich Bil-dung, Forschung und Infrastrukturinvestitionen zu stemmen. Deswegen ist es richtig, dass das Aufkommen des Solis hier bleibt und dass es stärker den Kommunen zur Verfügung steht.

Der Bund muss nun seiner Verantwortung gerecht werden. Das ist das Zeichen, das wir aussenden. Wir hoffen, dass die Verhandlungen so ausgehen, dass wir hier mehr Spielraum haben, um die Schuldenbremse einzuhalten, um nachhaltig wirtschaften zu können, und dass das nicht gleichbedeutend ist mit weiterem Stau bei der Infra-struktur und bei Bildungsausgaben, die wir dann nicht leisten können, was letztend-lich dazu führen würde, dass wir zulasten der nachfolgenden Generationen wirtschaf-ten.

Von daher ist das ein starkes Signal. Wir sind darüber sehr glücklich.

Dietmar Schulz (PIRATEN): Herr Kollege Zimkeit hat schon kurz angedeutet, dass die Gemeinsamkeit zwischen den in Berlin vertretenden Fraktionen sehr kurzfristig erzielt worden ist. Auch Bündnis 90/Die Grünen ist daran beteiligt. Wie die im Bund dazu stehen, müsste man sich natürlich einmal ansehen.

Der jetzt vorliegende gemeinsame Antrag auf Basis des Änderungsantrags sollte einmal einer eingehenden Betrachtung unterzogen werden. Es wurde einiges aus den beiden bisher vorliegenden Anträgen zusammengeworfen und versucht, das in irgendeiner Form kommod zu formulieren. Allerdings sind da Kritikpunkte wie derje-nige, der auch im FDP-Antrag, der heute ebenfalls vorliegt, zum Ausdruck kommt und der vonseiten der Piratenfraktion auch schon in der einführenden Plenarsitzung Unterstützung gefunden hatte, konterkarierend abgebildet insofern, als die Einnah-men aus dem Solidaritätszuschlag über 2019 hinaus erhalten bleiben sollen, ohne hier konkret auszuführen, wie das denn gestaltet werden soll, wo die Einbeziehung erfolgt, ob der Zuschlag als solcher erhalten werden soll, vielleicht umbenannt wird, ob und wie er gegebenenfalls in das Einkommensteueraufkommen auf Bundesebene

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Haushalts- und Finanzausschuss 02.06.2015 74. Sitzung (öffentlich) rt-la einfließt, wobei dann natürlich wiederum der Königsteiner Schlüssel dafür sorgen würde, dass allgemeine Zuweisungen an die Länder erfolgen. Konkret für die Kom-munen sehe ich da jetzt, ehrlich gesagt, keinen Vorteil, letztendlich natürlich indirekt über die Verteilung der Landesfinanzen auf die jeweiligen Kommunen.

So ist es natürlich etwas trügerisch, wenn hier steht, dass die Länder nunmehr si-cherstellen müssen, dass die zusätzlichen Mittel für Zukunftsinvestitionen, beispiels-weise – es ist sehr schön, dass dieses Beispiel genommen wurde – die Sanierung der Infrastruktur, genutzt werden sollen. Das ist ein sehr pauschaler Ansatz, gerade auch in Zeiten sprudelnder Steuereinnahmen, wie wir immer von allen Fraktionen hö-ren, insbesondere auch vonseiten des Finanzministers, wie es aber auch allgemein aus den Zahlen ablesbar ist. Das muss jetzt nicht die tragende Argumentationssäule sein, um diesen Zuschlag zu erhalten.

Den Anstrich 1 im Hinblick auf den vorgelagerten Umsatzsteuerausgleich unterstüt-zen wir. Wir halten das für richtig.

Allerdings müssen wir dann auf den Anstrich 7 gehen. Da sind wir wieder beim The-ma „Schuldenbremse“. In diesem Antrag wird eine ganze Menge zusammengepackt, worüber man wirklich im Detail sprechen müsste. In dem Antrag wird der Stabilitäts-rat angeführt, dem weitergehende Kompetenzen zukommen sollen für den Fall, dass die Länderfinanzministerien im Hinblick auf das Petitum der Schuldenbremse nicht sauber und ordentlich arbeiten, ohne konkret auszugestalten und darzustellen, wie denn diese Ausweitung stattfinden soll. Soll hier möglicherweise ein Suprafinanzmi-nisterium aller Länder gebildet werden? Soll hier möglicherweise in die Budgethoheit der Landesparlamente eingegriffen werden können? Es ist im ursprünglichen CDU-Antrag auch davon die Rede, dass ein Sanktionsmechanismus kreiert werden soll. Dieser ist jetzt in diesem Antrag nicht formuliert, jedenfalls nicht so eindeutig. Da hät-ten wir natürlich auch gerne gewusst, welche Büchse der Pandora wir hier mit so ei-nem Antrag letztendlich öffnen.

Er gibt natürlich einen Rahmen vor – auch das erkennen wir durchaus an –, aller-dings würden wir gerne – das muss man ganz klar feststellen – vor dem Hintergrund des jetzt gemeinsam gefundenen Antrags hier eine dezidierte Diskussion folgen las-sen, die wir wahrscheinlich in der Kürze der Zeit hier und heute nicht führen können. Das bedauern wir etwas. Deswegen werden wir uns vonseiten der Piratenfraktion bezüglich des jetzt gemeinsamen Änderungsantrags der Fraktionen SPD, CDU und Bündnis 90/Die Grünen enthalten müssen.

Ralf Witzel (FDP): Nach all den bedächtigen Worten gerade von meinen Vorrednern auch von unserer Seite aus noch einmal das Signal, das die Debatten auch zu die-sem Aspekt in den letzten Wochen und Monaten bestimmt hat, nämlich dass es ob-jektiv gemeinsam getragene Interessen gibt zwischen Regierungsseite und Oppositi-on. Bei den Themen, die – ganz nüchtern betrachtet – im Landesinteresse liegen, darf es nicht an irgendwelchen politisch-taktischen Spielchen oder Parteigrenzen scheitern, sich für die Dinge einzusetzen, die unabhängig von jetzigen und zukünfti-gen Regierungskonstellationen für das Land an sich eine Positionsverbesserung be-

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Haushalts- und Finanzausschuss 02.06.2015 74. Sitzung (öffentlich) rt-la deuten, insbesondere dann nicht, wenn es auch gute sachliche Gründe dafür gibt, die man anzufügen hat.

Das haben wir in Debatten hier im Ausschuss an verschiedenen Stellen deutlich ge-macht. Es gibt berechtigte Fragezeichen zur Bemessung der Einwohnerveredlung beispielsweise von Stadtstaaten. Das ist auch in früheren Diskussionsrunden deut-lich zutage getreten; das haben wir auch mit kritisiert. Dieser Antrag findet trotzdem, wie es keinen überraschen wird, nicht unsere Zustimmung, nicht deshalb, weil nicht auch viele erwägenswerte und vernünftige Aspekte in dem Antrag enthalten sind, aber eine wesentliche Aussage, die Sie an mehreren Stellen wiederholen, ist die Be-zugnahme auf Ihr jetzt schon festgelegtes Ziel, den Soli über das Jahr 2019 hinaus verlängern zu wollen. Das konterkariert ganz ausdrücklich unsere …

(Stefan Zimkeit [SPD]: Das steht da nicht drin! – Gegenruf von Diet-mar Schulz [PIRATEN]: Da steht: Das Aufkommen erhalten bleiben!)

– Haben Sie nicht das Ziel? Dann sollten Sie das an der Stelle aber anders formulie-ren.

Da ist für uns schon, wie sie auch unserem begleitenden Antrag zu diesem Komplex entnehmen können, die Aussage wichtig, dass mehrere Jahrzehnte nach der deut-schen Vereinigung der Soli abgeschafft gehört, er auslaufen sollte, weil das richtig ist. Das trennt uns ja auch gar nicht. Ich erinnere daran, was der Kollege Abel eben gesagt hat, Stichwort: Himmelsrichtungen. Ich glaube, es gibt keine Fraktion, die nicht in irgendeinem Debattenzusammenhang in den letzten Jahren auf dieses Bild und auf diese Analogie verwiesen hat. Das, was Sie sagen, teile ich im Grundsatz ausdrücklich. Es ist kein sachliches Kriterium, das pauschal als Ost-Förderung wei-terlaufen zu lassen, wenn es dort zum Beispiel in der Infrastruktur teilweise bessere Standards gibt, was Straßen, Digitalfunk und andere Ausbaunotwendigkeiten angeht, als das, was wir hier in den alten westlichen Flächenländern vorfinden.

Die Konsequenz ist für uns nur eine andere, nämlich das klare Versprechen an den Steuerzahler, dass dann mit diesem Instrument entsprechend Schluss ist. Deshalb haben wir auch dazu unseren Antrag gestellt. Diese Position ist für uns fundamental wichtig. Wenn man mit der Sonderbegründung, dass es eine spezielle Aufgabe wahrzunehmen gibt, etwas an Mehrbelastungen einführt, wo man die Bürger dieses Landes und Unternehmen um Verständnis bittet, dass das so sein muss bei allen anderen negativen Wirkungen, die das hat, dann ist völlig klar, dass, wenn man die-se Aufgabe als erledigt betrachtet, auch das Instrument zu verschwinden hat. Wir freuen uns, wenn es insgesamt zu einer Verbesserung der Finanzbeziehungen der-gestalt kommt, dass Nordrhein-Westfalen zukünftig mehr zu erwarten hat bei der Verteilung als bislang. Das hilft dem Land.

Was wir ausdrücklich nicht wollen, ist, jetzt eine Festlegung, dass man den Soli ent-weder weiter will oder sich das zumindest offen lässt, ob das ein Weg sein kann. Für uns ist völlig klar: Das muss in diesem Paket mit verhandelt werden, dass der Soli entsprechend verschwindet. Wenn das auch die Position der Antragsteller sein sollte, können wir das gerne im dem Sinne präzisieren. Dann wäre das sicherlich auch für uns zustimmungsfähig.

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Haushalts- und Finanzausschuss 02.06.2015 74. Sitzung (öffentlich) rt-la Bei den Rekordsteuereinnahmen, die wir haben – gerade Mai-Steuerschätzung: wie-der 38 Milliarden mehr als noch Ende letzten Jahres –, kann nun wirklich niemand sagen, dass es hier objektiv Einnahmeprobleme gebe und dass es in Ordnung sei – der Kollege Abel hat das gesagt –, dass sich momentan der Bundesfinanzminister viel davon einsteckt, was bei Einführung des Instruments nicht so beabsichtigt war. Da bin ich völlig bei Ihnen. Die Konsequenz daraus, dass man kritisiert, dass er das tut, sollte sein, das Geld perspektivisch den Menschen wieder zurückzugeben, die es aufbringen müssen. Wenn es nicht klar eine gemeinsam getragene Verabredung an der Stelle dieser Art gibt, dann können wir diesen Antrag natürlich nicht mittragen.

Dr. Marcus Optendrenk (CDU): Ich möchte dem Kollegen Schulz ein wenig bei der Erinnerung helfen: Wenn wir jetzt tatsächlich substanziell neue Sätze eingefügt hät-ten, dann wäre das mit dem Beraten in der Tat schwieriger gewesen. Wir haben alle Aspekte – unter anderem unseres Antrags – aus der Anhörung im Juni 2013 intensiv erörtert, auch die Frage klären können, dass es sich bei einer solchen Erweiterung der Mechanismen des Stabilitätsrates nicht um ein Superministerium oder einen Er-satz des Finanzministeriums NRW durch irgendjemand anderes oder eine Entker-nung der Kompetenzen des Ministers oder sonst etwas handeln würde. Von daher können wir diese substanziellen Bedenken als ausgeräumt betrachten. Insofern wa-ren wir auch der Auffassung, dass es zwar schade ist, dass wir jetzt so kurzfristig agieren mussten, aber die Terminplanung, wie eben schon dargestellt worden ist, macht das erforderlich.

Sie mögen sich zwar enthalten, aber ich glaube, dass die Erkenntnisprozesse bei Ihnen so weit fortgeschritten sind, dass Sie entscheidungsfähig sind. Wenn Sie sich aber bewusst enthalten, ist das auch in Ordnung.

Dietmar Schulz (PIRATEN): Lieber Kollege Optendrenk, selbstverständlich, die Er-kenntnis könnte ausreichen. Unterdessen gibt es ja nicht nur einen Kritikpunkt, son-dern es gibt mehrere. Diesen einen hatte ich eben kurz aufgegriffen. Natürlich gebe ich Herrn Kollegen Zimkeit recht, wenn er sagt, es sei vom Aufkommen des derzeiti-gen Solidaritätszuschlags in der Zukunft die Rede. Allerdings geht die Kritik natürlich substanziell genau in die Richtung: Als was soll denn dieses Aufkommen erhalten werden?

Und da möchte ich einmal das, was auch die derzeitige Bundesregierung – beste-hend aus CDU und SPD – möglicherweise nicht eint, sondern trennt, erwähnen, nämlich die eine Seite, die sagt „Steuererhöhungen wird es nicht geben!“ und die an-dere Seite, die sagt „Warum nicht doch auch die eine oder andere Steuererhö-hung?“. Letztendlich ist es ja nun so, dass die SPD sich dem Petitum der Mehrheits-fraktion auf Bundesebene doch eher hat beugen müssen. Nun wird also hier auf dem Rücken der zu ändernden Länderfinanzausgleichssituation doch darüber nachge-dacht, diesen Zuschlag, wenn er denn ausläuft, darüber hinaus – abgesehen davon, dass wir das für nicht besonders demokratisch oder zumindest nicht besonders för-derlich für das Ansehen der Politik halten, wenn einmal gemachte Zusagen später einfach über den Haufen geschmissen werden – …

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Haushalts- und Finanzausschuss 02.06.2015 74. Sitzung (öffentlich) rt-la Das heißt also: Der Mechanismus, wie denn dieses Aufkommen erhalten werden soll, ist nicht angesprochen. Davon reden Sie beide nicht, vielleicht auch ganz be-wusst nicht, um das offenzulassen. Es muss ja nun irgendwie sein. Es muss entwe-der ein Zuschlag erhoben werden – dafür bedarf es, wie gesagt, noch einer gesetzli-chen Änderung, einer Gesetzesänderung –, oder aber wir brauchen – auch dafür be-darf es einer Gesetzesänderung auf steuerrechtlicher Ebene – eine Erhöhung der Einkommensteuer oder welcher Steuer auch immer. Wir kommen ja nicht daran vor-bei, dass wir entweder diesen Solidaritätszuschlag prolongieren und das Ding viel-leicht anders nennen oder dass man das Aufkommen über die Veränderung im Be-reich der Einkommensteuersituation aufschlägt. Sonst kommen wir doch nicht an den Erhalt des Aufkommens. Dann sagen Sie doch bitte, wie Sie das Aufkommen über 2019 hinaus erhalten wollen. Das tun Sie hier aber ganz bewusst nicht. Dann muss ich alleine da schon den Kritikpunkt ansetzen.

Ich bin ja durchaus geneigt zu sagen: Eine mögliche Erhöhung im steuerlichen Be-reich – wo auch immer, im Bereich der Unternehmensbesteuerung, im Bereich der Substanzbesteuerung, im Bereich der Einkommensteuer – ist ja diskussionswürdig, nur dann bekennen Sie bitte aber auch beide Farbe und sagen, wo und wie das Steueraufkommen erhalten werden soll. Dann können wir darüber diskutieren. Die Diskussionsgrundlage, die Sie hier leider nicht mitliefern, bleibt offen. Auch das ist einer der Gründe, warum wir uns an dieser Stelle enthalten müssen. Das möchte ich doch noch einmal betonen. Das ist also nicht nur der eine Punkt, sondern es gibt de-finitiv mehrere Punkte, wie es darüber hinaus aber auch technisch sicherlich einige Fragen gibt, die wir hier und heute wahrscheinlich nicht klären können, hinsichtlich der anderen Spiegelstriche, die im Gesamtantrag aufgeführt sind.

Minister Dr. Norbert Walter-Borjans (FM): Ich bin den Koalitionsfraktionen, aber auch der CDU dankbar dafür, sich auf diese Punkte verständigt zu haben, weil es in der Tat so ist, dass wir in dieser Debatte, die wir im Moment führen, geschlossen auf-treten müssen. Das nehmen andere schon sehr genau wahr. Ich habe das hier auch – wenn wir mal auseinander waren – häufiger gesagt: Da lohnt hin und wieder auch mal ein Blick nach Bayern. Da würde sich eine Opposition keinen Gefallen tun, wenn sie sich bei der Frage der Interessenvertretung Bayerns im Landtag nur querstellen und sagen würde: Das interessiert uns nicht. Wir machen uns hier zum Unterstützer der anderen außerhalb von Bayern. – Das würden die Menschen in Bayern, glaube ich, nicht besonders gut finden, und das fänden sie auch in Nordrhein-Westfalen nicht gut.

Wir haben eine Situation – auch das habe ich mehrfach gesagt –, bei der in den ver-gangenen Jahrzehnten aus nachvollziehbaren Gründen eine Haltung eingetreten ist von Nordrhein-Westfalen, ein paar Dinge als selbstverständlich hinzunehmen. Dazu gehört etwa, dass die niedrigere Finanzkraft der Länder in Ostdeutschland zunächst einmal aus dem Umsatzsteueraufkommen aufgefüllt wird, und zwar von wenigen und nicht sozusagen von der Gesamtheit aller, oder aber vom Bund. Und deswegen ist ganz klar, dass sich an dieser Stelle eine Mehrheit für Änderungswünsche von Nord-rhein-Westfalen in den Länderkreisen nicht so einfach finden lässt, sondern dass man hier durchaus auch mal mit dem Gewicht dieses Landes arbeiten muss, weil

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Haushalts- und Finanzausschuss 02.06.2015 74. Sitzung (öffentlich) rt-la ganz klar ist: Genauso wenig, wie man eine 15:1-Abstimmung gegen Bayern macht und sagt, man setzt sich da mal an einen Tisch, wird das auch nicht mit 15:1 gegen Nordrhein-Westfalen laufen. – Wenn man diese Situation erzeugen will, ist es sehr sinnvoll, dass man das gemeinsam aus einem Land macht und nicht mehrheitlich gegen einen anderen Teil im eigenen Land, der mehr oder weniger – ob gewollt oder nicht – letztendlich zum Kronzeugen für die andere Seite wird.

Ich bin im Übrigen nicht bloß den Fraktionen, die ich gerade angesprochen habe, sondern in diesem Punkt auch dem Bundesfinanzminister dankbar, der Anfang des Jahres in einem Gespräch mit mir diesen Schwenk vollzogen und ganz klar gesagt hat, dass er das, was mittlerweile auch in der Wissenschaft unumstritten ist – Sach-verständigenrat, eine Reihe anderer Institute –, nämlich dass der Umsatzsteuervor-wegausgleich nicht irgendeine Geschichte ist, die mit dem Länderfinanzausgleich nichts zu tun hat, sozusagen nachgezeichnet hat und für ihn mittlerweile eine wichti-ge Größe ist.

Wenn man sich anguckt, wer da nicht mitgeht, dann sind es natürlich einmal die Nutznießer – das ist ganz klar –, weil die die Sorge haben: Wenn Nordrhein-Westfalen nicht mehr eintritt, fehlt es denen, die sich zurzeit als Musterknaben dar-stellen. Ich erinnere noch einmal daran: Außer Bayern sind all die anderen Länder, mit denen Sie auch arbeiten, wenn Sie sagen, dass sieben einen ausgeglichenen Haushalt haben, Länder, die diesen Haushaltsausgleich mit rund einem Drittel Zu-schuss zum eigenen Gesamthaushalt bekommen. Das würde sich natürlich für einige schwerer darstellen. Sie müssten es aus anderer Quelle bekommen. Also ist man gegen den Vorschlag, es gerechter zu machen, auch für Nordrhein-Westfalen.

Ein bisschen anders ist die Lage in Bayern, weil da die Begründung ist: Das ist für die Optik nicht gut. Lassen wir den Teil mal weg, dann können wir besser damit ar-beiten, dass wir uns hinterher um eine Milliarde verbessert haben. Und wenn wir noch dazugezählt werden, dann wird jemand sagen: Am Ende zahlt ihr ja mehr als vorher. – Das stimmt zwar nicht, sieht aber so aus.

Dasselbe gilt für Hamburg. Auch die sind, wenn man so will, zu Unrecht Geschädig-te, was die Umsatzsteuer angeht. Aber die haben natürlich die Sorge, dass dann auch die Einwohnerwertung zur Sprache kommt. Deswegen möchte man sich lieber erst einmal aus dem Geschäft heraushalten.

Man sieht schon: Es gibt durch diese unterschiedliche Motivlage auch Bewegungs-möglichkeit. Es ist keine Betonfront, gegen die man sich da aufstellt. Aber es ist um-so wichtiger, auch hier als Signal an den Bundesfinanzminister zu zeigen: Das ist ei-ne gemeinsame Haltung und nicht eine, die nur von einer Mehrheit im Landtag ge-tragen wird.

Zum anderen Punkt, Herr Optendrenk, dass Sie damit nicht einverstanden sind, wie das Ausgabengebaren des Landes ist: Das ist völlig in Ordnung. Deswegen sage ich aber gleichzeitig auch, dass wir das nicht vermischen sollten. Ganz unabhängig da-von, was diese Landesregierung oder der Landtag mit Mehrheit an anderen Minder-einnahmen oder Mehrausgaben beschließt: Es geht hier wirklich darum, dass wir in einer Situation sind, wo wir von jedem ausgegebenen Euro aus Landesmitteln zurzeit

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Haushalts- und Finanzausschuss 02.06.2015 74. Sitzung (öffentlich) rt-la noch rund 2,5 Cent geliehen bekommen müssen. Im Osten Deutschlands wären das 30 Cent und nicht 2,5. Aber man bekommt 32, sodass man am Ende 2 Cent übrig hat und sagen kann: Guckt mal, warum macht ihr das eigentlich nicht wie wir? – Wenn das nicht einen gemeinsamen Vorstoß wert ist, zu sagen, dass dann irgendwo ein Ungleichgewicht in diesem Umverteilungssystem ist, dann wüsste ich es wirklich nicht. Das hat nichts damit zu tun, dass Sie meinetwegen sagen: Wenn ihr nur die Hälfte ausgeben würdet, dann könntet ihr extrem tilgen. – Das hat nur nichts damit zu tun, dass man deswegen auf die Ansprüche verzichtet, die man in einer fairen Verteilung von Finanzkraft im Land haben muss. Deshalb ist meine Bitte an dieser Stelle, nicht auf den Streit zu verzichten, sondern ihn nur nicht mit der jetzt in Rede stehenden Frage zu verquicken.

Zum Thema „Rekordsteuern“, Herr Witzel, will ich noch einmal sagen: Sie meinen, dass man vielleicht alles, was man an Einnahmeverschlechterung, die man aus der Einnahmeverschlechterung aus Krediten hat, die wir ja wollen – es ist ja nicht nur so, dass auf der einen Seite die Steuereinnahmen zunehmen, sondern das ist unsere Verpflichtung, den anderen Einnahmenteil … Das erzähle ich auch immer den Ge-werkschaften, wenn die mir von meinen wahnsinnigen Steuereinnahmenzuwächsen erzählen. Wir haben auch Minderungen aus Einnahmen aus Krediten. Sie werden jetzt vielleicht sagen: Das macht nichts. Du kannst trotzdem durch Minderausgaben alles auffangen. – Ich glaube – und das ist der Unterschied –, dass wir einen Teil dieser überproportionalen Mehreinnahmen brauchen, um die Leistungsfähigkeit des Landes zu erhalten, Investitionen zu tätigen und gleichzeitig die Mindereinnahmen aus Krediten verkraftbar zu machen und wirklich durchzuziehen auf null im Jahr 2020.

Ich finde auch diesen Satz, was den Soli angeht, nämlich „Wir müssen den Men-schen erst einmal etwas zurückgeben!“, nicht glücklich. Ich kenne keinen Euro, den der Staat nimmt, den er nicht auch den Menschen gibt. Es bleibt also nichts irgendwo liegen. Die Frage ist da auch eine Definitionsfrage, ob eigentlich „den Menschen et-was geben“ nur bedeutet, dass man ihnen die Steuern senkt, oder ob das auch be-deutet, dass man ihnen Straßen baut und ein anständiges Bildungswesen auf die Beine stellt. Insofern ist der Soli – egal, wofür er letztendlich genutzt wird – etwas, was den Menschen auch gegeben wird. Diese Darstellung, dass der Staat da etwas nimmt und er es dann hat und sich dann davon macht, würde ich schon gerne korri-gieren.

Insofern haben wir für das, was für den Soli Ursprung war, nämlich den Aufbau im Osten zu bewältigen, eine Reihe sehr vergleichbarer Fragestellungen, für die er auch hier einsetzbar wäre. Wir haben schon gehört: Es geht darum, dass wir über das Aufkommen reden. Bislang haben wir einen Vorschlag des Bundesfinanzministers abweichend von dem, was vorher Bundesfinanzminister und Kanzlerin gesagt haben, dass er nicht 2020 verschwindet, sondern 2030 verschwindet. Das bedeutet, wenn wir sehen, dass er bis 2020 noch ein ganzes Stück aufwächst, dass er auch noch in den beginnenden 20er-Jahren in einer Größenordnung da sein wird, wie wir ihn jetzt auch haben. Vor diesem Hintergrund ist das natürlich auch ein Ausgangspunkt, sich dann Gedanken darüber zu machen: „Wie sieht es denn in der letzten Hälfte der 20er-Jahre aus?“ und vor allen Dingen: „Wofür werden diese Mittel eingesetzt?“. Sie

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Haushalts- und Finanzausschuss 02.06.2015 74. Sitzung (öffentlich) rt-la können am Ende nicht nur zur Sicherung der schwarzen Null im Haushalt des Bun-des dienen, sondern sie müssen insgesamt für die Zwecke dienen, für die er ur-sprünglich nur für Ostdeutschland gedacht war, für deren Anwendung es aber insge-samt genügend Möglichkeiten und Bedarf eben auch bei uns gibt.

Ralf Witzel (FDP): Jetzt habe ich natürlich noch eine Frage an die antragstellenden Fraktionen, wie das mit dem Soli gemeint ist. Der Finanzminister hat seine bekannte und aus seiner Sicht legitime Position noch einmal vorgetragen, die uns nicht über-rascht. Dazu passen die einen oder anderen Anmerkungen von Ihnen aber nicht, es gehe ja nur um das Aufkommen und nicht um den Soli selbst. Ich glaube, das sollten Sie aufklären. Heißt die Formulierung in Ihrem Antrag, dass Sie den Soli abschaffen und über andere Konstruktionen dafür sorgen, dass trotzdem zufällig dasselbe an prognostiziertem Aufkommen dort vorhanden ist oder eben nicht? Ich glaube schon, dass Sie etwas mehr Klarheit in den Nebel bringen sollten, was mit Ihrer Formulie-rung gemeint ist, dass das Aufkommen bleibt. Gibt es den Soli nun nach 2019 noch?

Stefan Zimkeit (SPD): Gemeint ist das, was im Antrag steht. Ob dies durch höhere Steuereinnahmen, ohne steuerliche Maßnahmen, durch andere steuerliche Maß-nahmen, auf die wir uns hier sicher nicht einvernehmlich verständigen können, ge-schehen kann, bleibt offen, muss auch jetzt nicht von uns beantwortet werden. Lan-desinteresse ist – das ist das Entscheidende –, dass Länder und Kommunen die ausreichende Finanzausstattung daraus bekommen.

Mit den Stimmen von SPD, CDU und Grünen gegen die Stimmen der FDP bei Stimmenthaltung der Piraten stimmt der Ausschuss dem Änderungsantrag Drucksache 16/8822 zu.

Mit den Stimmen von SPD, CDU und Grünen gegen die Stimmen der FDP bei Stimmenthaltung der Piraten stimmt der Ausschuss dem so geänderten Antrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 16/8103 zu.

Vorsitzender Christian Möbius weist auf die in § 82 Abs. 5 Satz 3 der Geschäfts-ordnung geregelten Folgen zur Urheberschaft des Antrags ausdrücklich hin.

Mit den Stimmen von SPD und Grünen gegen die Stimmen von FDP und Piraten bei Stimmenthaltung der CDU lehnt der Ausschuss den Entschließungsantrag der FDP Druck-sache 16/8202 ab.

Vorsitzender Christian Möbius geht davon aus, dass über den Antrag der CDU Drucksache 16/1911 nicht mehr abgestimmt werden müsse, da sich dieser erledigt

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Haushalts- und Finanzausschuss 02.06.2015 74. Sitzung (öffentlich) rt-la habe. Die Erledigung bitte er vor dem Hintergrund der heutigen Ergebnisse der Prä-sidentin zu erklären, damit die entsprechende Unterrichtung abschließend in einer Drucksache erfolgen könne.

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Haushalts- und Finanzausschuss 02.06.2015 74. Sitzung (öffentlich) rt-la 2 Finanzierung des Strukturwandels in Nordrhein-Westfalen

Bericht der Landesregierung Vorlage 16/2897

(Wortprotokoll auf Wunsch von Dr. Marcus Optendrenk [CDU])

Vorsitzender Christian Möbius: Dieser Tagesordnungspunkt wurde als Sondersit-zung durch Mitglieder der CDU-Fraktion beantragt. Der Bericht der Landesregierung zur Finanzierung des Strukturwandels in Nordrhein-Westfalen in Vorlage 16/2897 hatte uns zur Sitzung am 7. Mai 2015 erst kurzfristig erreicht, sodass wir den Tages-ordnungspunkt abgesetzt haben. Bereits in der Sitzung am 7. Mai 2015 war seitens der CDU die Beantragung einer Sondersitzung in Aussicht gestellt worden. Entspre-chend rufen wir diesen Tagesordnungspunkt hier auf.

Gibt es Wortmeldungen zu diesem Tagesordnungspunkt? – Herr Dr. Optendrenk.

Dr. Marcus Optendrenk (CDU): Herr Vorsitzender, Sie haben richtig dargestellt, wa-rum wir uns heute hier zusammenfinden. Es ist in der Tat so, dass jetzt die Möglich-keit besteht, etwas intensiver die umfangreiche Vorlage durchzuarbeiten. Ich darf mich zunächst dafür bedanken, dass in der Ausführlichkeit Material in den Anhängen mitgeliefert worden ist. Das wird bei einer weiteren Auswertung sehr nützlich sein.

Inhaltlich möchte ich direkt sagen, dass wir uns des Eindrucks nicht erwehren kön-nen, dass die Regierung durch eine leicht gefilterte Art und Weise der Beantwortung versucht, die Legende aufrechtzuerhalten, dass die Strukturwandelprobleme von Kohle und Stahl tatsächlich oder vermeintlich weiterhin die Grundlage und die Ursa-che wirtschaftlicher und haushalterischer Probleme in Nordrhein-Westfalen seien. Die Ministerpräsidentin hat mehrfach – auch im Plenum – behauptet, Nordrhein-Westfalen habe seinen Strukturwandel selbst bezahlt.

(Stefan Zimkeit [SPD]: Können Sie korrekt zitieren?)

– Ich habe nicht zitiert, sondern dargestellt, was sie gesagt hat. Wenn Sie ein Zitat wünschen, dann sollten Sie vielleicht ins Plenarprotokoll schauen.

Diese Bemerkung wird allerdings auch in dieser Vorlage – insofern passt das, Herr Kollege Zimkeit, zusammen – wiederholt. Es wird zusätzlich behauptet, dass es kei-ne Sonderprogramme für Nordrhein-Westfalen gegeben hat. Das ist allerdings nicht die ganze Wahrheit.

Es wird niemand in Abrede stellen – das ist in der Vorlage auch dargestellt –, dass beispielsweise die Steinkohleförderung insgesamt eine staatliche Gemeinschaftsauf-gabe war. Das diente allerdings, so wie sie stattgefunden hat und aufgrund der rein faktischen Gegebenheiten, ganz wesentlich der wirtschaftlichen Unterstützung und der Unterstützung des Arbeitsmarktes in Nordrhein-Westfalen und damit auch direkt dem Land. Das heißt, bei rein formaler Betrachtung kann man die Antworten so ge-ben, wie der Finanzminister das gemacht hat. Bei inhaltlich zutreffender Betrachtung, bei einer nach Sinn und Zweck des ganzen gerichteten, spielt es allerdings keine

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Haushalts- und Finanzausschuss 02.06.2015 74. Sitzung (öffentlich) rt-la Rolle, ob die Mittel, insbesondere auch das Bundesgeld, auch in andere Länder ge-flossen ist, wie groß der Anteil Nordrhein-Westfalens war unter 100 %, und es spielt auch keine Rolle, ob eine Kofinanzierung des Landes erforderlich war. Es spielt eine wesentliche Rolle, ob es nützlich für Nordrhein-Westfalen, nützlich für seine Wirt-schaft, für die Arbeitsplätze und für die Menschen war. Dass es über den Landes-haushalt formal laufen müsste, ist nun auch nicht unbedingt zwingend, wenn man die Frage beantwortet: Hat Nordrhein-Westfalen seinen Strukturwandel alleine bezahlt?

So werden zum Beispiel Kohlepfennig und Jahrhundertvertrag in der Vorlage erst gar nicht erwähnt. Die einzelnen Bundesländer haben davon in unterschiedlichem Um-fang profitiert. Nach unseren Recherchen haben die bayerischen Verbraucher von 1976 bis 1987 rund 2,2 Milliarden DM in den Verstromungsfonds eingezahlt, also mehr eingezahlt, als damals der bayerischen Elektrizitätswirtschaft an Zuschüssen zuging. Dagegen hatte Nordrhein-Westfalen im gleichen Zeitraum ein Positivsaldo von mehr als 4,8 Milliarden DM. Wenn man sich das noch ein bisschen weiter an-schaut, dann kommt man zu dem Ergebnis, dass eine ganze Reihe von Mitteln, die der Bundeshaushalt in dieser Zeit zur Verfügung gestellt hat, sehr direkt dazu beige-tragen hat – etwa über Kokskohlebeihilfe, Steinkohlenbevorratung, Investitionshilfe, Altlastendeckung, Stilllegungshilfen, Sozialmaßnahmen, gezielte unternehmensspe-zifische Maßnahmen und Hilfen, Kohleforschung und -veredlung –, dass etwa von 1970 bis 1989 insgesamt rund 31,8 Milliarden DM an Bundesmitteln dafür zur Verfü-gung gestellt worden sind, mit Wirkung in Nordrhein-Westfalen.

Dann ist es sicherlich auch ein durchaus bemerkenswerter Vorgang, wenn im Nach-gang zu einer Ruhrgebietskonferenz 1988 im Jahre 1989 die damaligen Ministerprä-sidenten Johannes Rau und Oskar Lafontaine zum damaligen Bundeskanzler gefah-ren sind und vom Bund weitere Sonderprogramme für ihre Länder gefordert haben.

Im Rahmen einer Bonner Kohlerunde einigte man sich dann bis 1995 auf eine jährli-che Verstromungsmenge. Und zwei bisher mit dem Kohlepfennig finanzierte Sonder-hilfen übernahm der Bund zu zwei Dritteln und die betroffenen Länder zu einem Drit-tel. Beide Ministerpräsidenten haben das anschließend als Erfolg für ihr Land – im Grund genommen durch den Bund finanziert – und zum Nutzen der Wirtschaft des Landes gefeiert.

Ich will es an der Stelle bei diesen Darstellungen belassen. Es wird deutlich, dass, wenn man sich das Gesamtszenario anschaut – egal, wie Sie das werten wollen –, jedenfalls die Aussage in der Vorlage des Finanzministers nicht vollständig und damit auch nicht richtig ist, dass das Land Nordrhein-Westfalen seinen Strukturwandel ha-be alleine bezahlen müssen.

Herr Minister, deshalb bitte ich Sie heute um eine ergänzende Stellungnahme dazu. Es ist unbestritten, dass wir bestimmte Aufgaben in besonderer Weise gehabt haben. Aber es gehört auch zur Bestandsaufnahme, die wir auch gegenüber allen anderen Bundesländern in der Interessenwahrnehmung nach außen klar formulieren müssen, dass wir nicht so tun, als hätten uns die anderen – insbesondere die Solidargemein-schaft des Bundes – in der Vergangenheit im Stich gelassen. Das gehört wirklich auch dazu, dass wir geschlossen nach außen auftreten können.

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Haushalts- und Finanzausschuss 02.06.2015 74. Sitzung (öffentlich) rt-la Minister Dr. Norbert Walter-Borjans (FM): Herr Optendrenk, es hat schon etwas mit dem zu tun, was wir eben besprochen haben. Es hat natürlich damit zu tun, wie man in einer solchen Frage gemeinsam nach außen auftritt. Sie wissen ganz genau, dass Sie jetzt eine Reihe von Dingen durcheinandergebracht haben. Sie wissen, dass, was den Kohlepfennig und die Verstromung angeht, es eine in der damaligen Bundesrepublik gemeinsam für notwendig gehaltene Aufgabe gewesen ist, zu sagen: Wir wollen den Energieträger Kohle halten, und deswegen wahrt man die Struktur. Man baut sie nicht um, sondern man sorgt dafür, dass sie nicht wegbricht. Das war eine wichtige Unterstützung – das ist überhaupt keine Frage –, aber es hat nichts damit zu tun gehabt, dass der trotzdem vereinbarte Gleitflug, der eingeleitet worden ist und der schneller ging als in vielen anderen Bereichen, in denen subventioniert worden ist, nicht zu Brüchen geführt hat, sondern dass man gesagt hat: Wir wollen die Kohle erhalten.

Dann müssen wir auch wieder darüber reden: Was passiert in anderen Ländern mit den Agrarhilfen? Was passiert mit all den Hilfen, die wiederum aus gemeinsamem In-teresse bundesweit in manchen Ländern stärker zu Buche schlagen, die aber da na-türlich nicht etwa für einen Strukturwandel eingesetzt werden, sondern dafür, dass die Struktur, die man hat, weil man sie auch sichern will, erst einmal ein Stück erhal-ten wird. Das ist Punkt 1.

Punkt 2 ist: Dass es ansonsten einzelne Programme gegeben hat, ist nie bestritten worden. Aber es geht hier wirklich in dem Zusammenhang wieder um das Thema, das wir eben hatten, nämlich um die Umverteilung der Finanzkraft, bei der seit 1990 die ostdeutschen Länder für den Nachholbedarf, den sie haben, über die üblichen Förderprogramme hinaus Mittel umverteilt bekommen haben. Diese Form des Struk-turwandels hat Nordrhein-Westfalen alleine getragen.

Das gilt auch, wenn Sie sich heute angucken, was in Nordrhein-Westfalen, insbe-sondere im Ruhrgebiet, aber auch in anderen Städten, passiert ist. Da ist passiert, dass der wirtschaftliche Wandel weit vorangekommen ist, dass man gleichzeitig aber sehen kann, dass es zum Beispiel eine ganze Reihe von sozialstrukturellen Folgeer-scheinungen gibt, die sich eigentlich dadurch ergeben, dass man nicht aufgebaut hat wie in Bayern, sondern umgebaut hat. Das heißt, Sie haben Menschen, die früher auf eine bestimmte Struktur gepasst haben. Das hat sich geändert. Diese Menschen sind nicht mitgegangen. Sie konnten nicht mitgehen, oft auch in der nächsten und übernächsten Generation nicht. Das sind alles Folgewirkungen. Für die gibt es keine grundsätzlichen Bundesmittel, die einfach in Millionen- oder Milliardenhöhe vom Bund zugeschoben werden, sondern da muss das Land selber mit auskommen. Deswegen hat es für diesen Umbau auch eine Menge an Lasten gegeben, die in Kreditaufnahme gemündet ist.

Von daher bleibe ich bei der Darstellung, unabhängig von einzelnen Programmen, dass der Strukturwandel mit seinen Folgen alleine auf den Schultern des Landes Nordrhein-Westfalen liegt, in einer ganz anderen Weise als anderswo, wo die Soli-dargemeinschaft gesagt hat: Hier gibt es beispielsweise einen Soli; der wird bezahlt. Sonst können wir uns irgendwann auch darüber streiten, ob der Anteil von 42,5 % an der Einkommensteuer nicht auch ein Zuschuss für Nordrhein-Westfalen ist so wie für

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Haushalts- und Finanzausschuss 02.06.2015 74. Sitzung (öffentlich) rt-la alle anderen Länder auch, weil es der Bund nicht selber vereinnahmt. Das kann also nicht die Grundlage sein.

Hier ist noch einmal dargestellt: Ja, es gibt eine Menge von Programmen, aber der große Strukturwandel, der in Ostdeutschland zu Recht mit Milliardenbeträgen aus der Solidargemeinschaft getragen wird und zu enormen Fortschritten geführt hat, musste in vielen Bereichen in diesem Land und auch in anderen Ländern im Westen anders bewältigt werden.

Dr. Marcus Optendrenk (CDU): Ich würde gerne noch einmal zum besseren Ver-ständnis nachfragen. Sie beziehen also die Aussage „Wir haben im Gegensatz zu anderen den Strukturwandel alleine bezahlt“ auf den Zeitraum ab 1990 und bezogen auf die Ostländer?

(Minister Dr. Norbert Walter-Borjans [FM]: Nein, die konnten nicht vor 1990 unterstützt werden!)

– Sie beschränken es tatsächlich auf die ostdeutschen Länder und auf den Zeitraum ab 1990 im Vergleich zu Nordrhein-Westfalen und dem Strukturwandel, der hier er-folgt oder nicht erfolgt ist.

Das ist natürlich ein Stück weit eine andere Argumentation, als wenn Sie sagen: an-dere Länder nur bezogen auf den Osten oder auch auf andere Beispiele westdeut-scher Bundesländer. Ich hatte das in der Vergangenheit so verstanden.

Kollege Zimkeit, ich habe mir übrigens gerade aus dem Plenarprotokoll heraussu-chen lassen, was die Ministerpräsidentin am 17. Dezember dazu gesagt hat. Im Ple-narprotokoll steht wörtlich – Zitat –:

„Ja, wir haben unseren Strukturwandel selbst finanziert.“

Darauf beziehe ich mich auch. Und dann ist es in der Tat so, dass man das nicht ein-fach so reduzieren kann, dass man eine rein formale Betrachtung anstellt, wie sie hier in dieser Vorlage ist und wie sie der Minister jetzt wieder angestellt hat.

Wenn wir die Frage stellen, ob wir unseren Strukturwandel selbst bezahlt haben, dann müssen wir schon fragen: War das denn überhaupt Strukturwandel? Da ist der nächste Punkt, an dem wir hier ansetzen müssen. Sie haben in der Vorlage auf Sei-te 2 die Auffassung vertreten, dass es sich bei den Steinkohlebeihilfen um struktur-konservierende Ausgaben gehandelt habe. Zu der Auffassung kann man ja kommen. Wenn das aber richtig ist, dann sind die Aufwendungen, die auch aus dem Landes-haushalt als Eigenanteil des Landes geflossen sind, keine Ausgaben für den Struk-turwandel, den man finanziert hätte, sondern für die Strukturerhaltung, um Brüche zu vermeiden. Das kann man durchaus für richtig halten, wie Sie es eben dargestellt haben. Dann ist es aber kein Strukturwandel.

Strukturwandel hat beispielsweise in Ostwestfalen, Münsterland und am Niederrhein in den 70er/80er-Jahren in der Textilindustrie stattgefunden, und zwar ohne dass ein Cent aus dem Bundes- oder Landeshaushalt dahingeflossen ist. Da hat man sich damit begnügt, dass 70 % des Landesgebietes irgendwann einmal regionale Struk-turförderfläche waren und dass man da einzelne Bezuschussungen bekommen

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Haushalts- und Finanzausschuss 02.06.2015 74. Sitzung (öffentlich) rt-la konnte. Die bezogen sich aber nicht auf die Industriearbeitsplätze und deren Struk-turwandel, sondern da sind Strukturen ersatzlos weggefallen, weil sie nicht mehr marktfähig waren. Da hat man im Grunde nichts für Strukturkonservierung getan, weder aus dem Landes- noch aus dem Bundeshaushalt. Insofern stellt sich die Fra-ge, was Strukturwandel in Nordrhein-Westfalen überhaupt ausgelöst hat und wer den wie begleitet hat.

Herr Minister, insofern ist das eine Diskussion, die nicht akademischer Art ist, son-dern es stellt sich die Frage, wo wir denn heute stehen und warum wir da stehen, wo wir stehen. Wenn es strukturkonservierend war, hat es nicht den Strukturwandel be-fördert. War es Strukturwandel, müssen Sie mir sagen, was der Strukturwandel ist, der wirklich stattgefunden hat, und wie Sie den finanziert haben. Nach meinem Ver-ständnis müssten Sie dann hier eine andere Vorlage machen. Dann müssen Sie nämlich sagen: Wir haben das und das und das finanziert für Strukturwandel, und das und das haben wir finanziert als Kofinanzierung etwa für Strukturerhaltung. Aber das ist im Grunde genommen die Legende, die hier seit Jahrzehnten gestrickt wird, wir seien noch mitten in einem Strukturwandel, aber Sie sagen nicht, in welchem.

Die Stahlindustrie hat jetzt den Strukturwandelprozess mit vielen Brüchen hinter sich. Sie haben zyklische Dinge, die da jetzt eine Rolle spielen. Die Kohle wird demnächst nicht mehr in Nordrhein-Westfalen gefördert werden. Sie müssen dann wirklich ein-mal präzise beschreiben – das ist in der Vorlage in der Tat nicht enthalten –, welche Formen von Strukturwandel oder Strukturkonservierung denn gemeint sind, wenn Sie sagen, dass wir unseren Strukturwandel alleine finanziert haben. Die Aufgabe steht noch vor uns.

Damit man das für eine der nächsten Sitzungen und für weitere Beratungen in der Zukunft nacharbeiten kann, erbitte ich zu diesem Tagesordnungspunkt ein Wortpro-tokoll.

Minister Dr. Norbert Walter-Borjans (FM): Bei allem Verständnis: Das ist eine ab-solut akademische Diskussion, die wirklich keine Frage der politischen Auseinander-setzung ist. Sie wissen ganz genau: Kein Bereich in Nordrhein-Westfalen hat einen solchen Wandel vollzogen wie etwa der Bereich der Montanindustrie, also nicht bloß Stahl, sondern auch Kohle. Trotzdem sind die Hilfen gewährt worden, um zunächst einmal Strukturen nicht nur zu erhalten, sondern es ging schlicht und ergreifend da-rum, dass man die Versorgungssicherheit erhalten wollte. Alle Teile der Bundesre-publik hatten ein hohes Interesse daran, dass weiter Kohle gefördert und Strom pro-duziert wurde. Man hat gesagt: Das wollen wir langsam herunterfahren. Damit ist dann ja auch Strukturwandel vollzogen worden. Wo liegt denn die Grenze zwischen Erhaltung und Wandel, wenn Sie einen Bereich wie die Steinkohle, bei der in den 60er-Jahren über 500.000 Menschen unter Tage gearbeitet haben, auf eine Größe zurückführen, wie er heute ist und 2018 verschwunden sein wird? Das, finde ich, ist jetzt wirklich bei dieser Auseinandersetzung ziemlich akademisch.

Tatsache ist: Strukturwandel ist mit Sicherheit nicht zu Ende. Strukturwandel ist eine dauerhafte Geschichte. Die wird auch weiter laufen. Die wird auch in Bereichen lau-fen, bei denen man sich das jetzt noch gar nicht vorstellen kann. Wenn ich anfange,

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Haushalts- und Finanzausschuss 02.06.2015 74. Sitzung (öffentlich) rt-la zu sagen, es liege im nationalen Interesse, bestimmte Branchen nicht kaputtgehen zu lassen, dann müssten Sie die Bankenunterstützung heute als Strukturhilfe für Hessen darstellen. Das finde ich, ehrlich gesagt, ein bisschen seltsam. Das hatte an-dere Motive. Das kann man nun wirklich nicht der schwarz-grünen Landesregierung von Hessen vorwerfen, dass sie da mit Mitteln unterstützt worden ist, wo sie sich jetzt nicht mehr beschweren darf, wenn es um Länderfinanzausgleich geht.

Das sind Punkte, wo ich noch einmal sage: Nicht nur Nordrhein-Westfalen, sondern auch die Werften habe eine Unterstützung bekommen, damit der Bruch nicht zu ab-rupt ist, und trotzdem ist er extrem abrupt gewesen. Trotzdem haben weder die Werf-tenstandorte noch Bayern mit seiner Maxhütte noch Nordrhein-Westfalen noch ande-re in einer solchen Weise so pauschal Haushaltsunterstützung und Haushaltsaus-gleich bezahlt bekommen, wie das seit 1990 – bei uns war es vorher – in Ost-deutschland der Fall ist, und zwar sogar mit vielen Begründungen, warum man das so gemacht hat.

Jetzt ist aber die Frage, ob man nicht vor diesem Hintergrund das ganze System neu justieren muss. Da sind jedenfalls mehrheitlich die Länder schon der Auffassung, dass man das tun muss. Es gibt einige, die möchten das so fortsetzen. Jetzt stellt sich eben die Frage, ob das nicht ein Argument ist, dass man in der Vergangenheit von dem, was heute anderen bezahlt wird, den überwiegenden Teil, den ganzen Teil – worauf auch immer man das bezieht – selber hat tragen müssen und damit natür-lich auch eine Altschuldensituation entstanden ist, die in Ostdeutschland nicht ent-steht. Die Sachsen können sagen: Wir sind dagegen, dass Altschulden etwa beim Soli oder wo auch immer mit einbezogen werden. Warum? – Weil wir alle geholfen haben, zu verhindern, dass sie welche haben. Diese Hilfe hat es für uns, für das Saarland, für Bremen, für Niedersachen, für andere eben nicht gegeben.

Stefan Zimkeit (SPD): Ich habe das Gefühl, die Debatte ist akademisch, aber leider nicht überall – entschuldigen Sie, Herr Optendrenk – auf akademischem Niveau. Denn, so wie Sie vom Strukturwandel reden, zeigt das, dass Sie weite und wichtige Teile dieses Landes, die sich immer noch massiv im Strukturwandel befinden – und da nenne ich insbesondere das Ruhrgebiet, aber auch das Bergische Land –, nicht kennen und auch die Verhältnisse dort nicht kennen.

(Zuruf von Hendrik Schmitz [CDU])

– Ich habe nichts gegen Zwischenrufe. Ich hoffe, Sie stören sich demnächst dann auch nicht an Zwischenrufen. – Dies zeigt einfach, dass die CDU – und da gibt es ja viele Beispiele – diese Entwicklungen schlicht und einfach nicht kennt.

Frau Thoben hat ja einmal behauptet, der Strukturwandel in diesem Land sei been-det. – Er ist nicht beendet, er ist auch weiterhin notwendig. Aber er hat auch massiv stattgefunden. Wenn Sie zum einen sagen – und deswegen bedanke ich mich sehr für das Wortprotokoll –, dass das Land nicht mehr unter den Folgen von Kohle und Stahl leidet, dann gehen Sie mal ins Ruhrgebiet und sagen das den Menschen da! Die leiden immer noch unter dem Zusammenbruch von Kohle und Stahl, und die wirtschaftliche Entwicklung hängt noch davon ab.

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Haushalts- und Finanzausschuss 02.06.2015 74. Sitzung (öffentlich) ei-öz Trotzdem ist im Ruhrgebiet – und deswegen ist es richtig, dass es einen erfolgrei-chen Strukturwandel gegeben hat – eine Menge getan und eine Menge entwickelt worden. Das Ruhrgebiet ist jetzt unter anderem eine Tourismushochburg im Land. Wir haben auch in anderen Bereichen eine entsprechende wirtschaftliche Entwick-lung, bei der das Land auch tätig war.

Insofern kann ich Ihnen nicht folgen, weil ich überhaupt nicht weiß, in welche Rich-tung Sie damit wollen. Wenn ich es richtig verstanden habe, war ja Ihre ursprüngliche Intention, hier zu sagen: Die Ministerpräsidentin hat irgendetwas gesagt, was nicht stimmt. – Davon haben Sie sich ja gerade mit dem Satz, das sei formal so, aber tat-sächlich könne man es nicht sehen, im Kern schon verabschiedet. Deswegen weiß ich im Moment nicht, wie uns diese Debatte in irgendeiner Weise vorwärtsbringt, um daraus ableiten zu wollen: Wir haben uns ja gerade in einem gemeinsamen Antrag darauf geeinigt, dass es notwendig ist, die Finanzausstattung des Landes auch bei der Änderung des Finanzausgleichs zu ändern. – Insofern kann ich überhaupt nicht nachvollziehen, in welche Richtung Sie jetzt mit Ihren Behauptungen wollen.

Ein letztes Beispiel, weil Sie ja sagen, man müsse festlegen, was strukturerhaltend und was strukturverändernd gewesen sei: Wenn Sie von der CDU sich im Ruhrgebiet auskennen würden, wüssten Sie das. Die Kohlesubventionen haben auch dazu ge-führt, dass dort im Bergbaubereich eine Hochtechnologie entwickelt worden ist, die auch in vielen anderen Bereichen nutzbar war. Das waren zum einen Erhaltungssub-ventionen für die Kohle, eine ganze Zeit lang, aber natürlich waren es gleichzeitig auch Dinge, die den Strukturwandel vorangetrieben haben, weil es eine technologi-sche Entwicklung war. Da jetzt den einen Euro hierhin und den einen Euro dorthin zu berechnen, ist aus meiner Sicht schlicht und einfach absurd. Ich kann deswegen die Intention dieser Debatte nicht nachvollziehen.

Dr. Marcus Optendrenk (CDU): Ich kann ja verstehen, dass jetzt der Versuch ge-macht wird, das alles zu bagatellisieren. Es geht aber im Kern, Herr Kollege Zimkeit, nicht darum, was wir jetzt im Außenverhältnis gemeinsam vertreten, sondern die ent-scheidende Frage hier ist, was eigentlich in der Vergangenheit passiert ist und was wir für die Zukunft tun müssen. Insofern ist das ein Stück weit ein anderes Thema.

Die Wahrheit ist aber auch: Wenn wir behaupten, der Strukturwandel sei alleine von Nordrhein-Westfalen bezahlt worden, dann werden uns die anderen die Beispiele, die ja nicht geheim sind, sondern öffentlich zugänglich sind, auch vorhalten. Insofern gehört bei dem, was wir für Aufgaben bekommen haben und die wir wahrgenommen haben, auch ein Stück Transparenz dazu. Das gilt zum Beispiel auch da, wo wir für Aufgaben mehr Geld bekommen haben, als im gesamtstaatlichen Interesse lag.

Deshalb ist die Frage, ob es uns nach außen hilft, wenn wir mit der Legende weiter-laufen, die hier seit den 80er-Jahren gestrickt und immer wieder vorgetragen wird, wir seien noch mitten im Strukturwandel, wenn keiner beschreiben kann, wie der stattfindet, ob jemand den mit gestaltet, ob das Geld nur in Erhaltung oder in aktive Veränderungsprozesse fließt. Jetzt gebe ich Ihnen zu: Wenn Sie zum Beispiel Phoe-nix in Dortmund sehen, dann wird das als ein aktiver Veränderungsprozess des Lan-des zu werten sein. Keine Frage. Aber wenn das denn mal überall so gewesen wäre!

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Haushalts- und Finanzausschuss 02.06.2015 74. Sitzung (öffentlich) ei-öz Ich glaube nicht, dass die Städte im Bergischen Städtedreieck eine Idee davon ha-ben, dass das Land in den vergangenen Jahrzehnten irgendetwas dazu getan hätte, um aktive Impulse für Strukturwandel zu geben. Ich glaube, da werden Sie ziemlich leer ausgehen.

Das heißt, die Frage ist nicht, ob wir strukturelle Probleme haben – die haben wir in dem gemeinsamen Antrag eben beschrieben –, sondern, ob irgendjemand seitens der Landespolitik etwas dagegen getan hat oder ob man nur Geld verteilt hat und anschließend Schulden hat. Das ist genau der Punkt, Herr Minister: Wir haben 140 Milliarden € Gesamtverschuldung. Ist diese Verschuldung eingesetzt worden, um etwas Sinnvolles zu tun? Oder bezahlen unsere Kinder und Enkelkinder heute, morgen und übermorgen noch dafür, dass etwas getan worden ist, was im Grunde genommen der Strukturverfestigung und nicht der Strukturveränderung und der Zu-kunftsgestaltung gedient hat?

Daraus könnten wir sehr wohl für die heutige und morgige Politik lernen. Wenn wir nämlich zu dem ehrlichen Ergebnis kämen, dass die Politik in der Vergangenheit be-stimmte Dinge nicht geleistet hat, dann könnten wir ja jetzt auch mal einen Schnitt machen, nachdem wir bei der Neuordnung nach außen eine Gemeinsamkeit festge-stellt haben, und sagen: Dann müssen wir nach innen etwas anderes machen. – Aber wenn wir das nicht tun, sondern es einfach weiter so laufen lassen und eigent-lich nicht genau wissen, ob das Land irgendetwas dazu beigetragen hat, bestimmte Gelder für Strukturwandel oder für Strukturerhaltung einzusetzen und welche aktiven Prozesse da stattgefunden haben oder nicht, dann ist das im Grunde genommen das Versickern von Steuergeldern, ohne dass wir substantiell etwas erreichen. Das kön-nen wir eigentlich an der Stelle nicht tun.

Insofern ist das keine akademische Debatte, sondern eine Debatte, die gerade die Voraussetzung dafür ist, in Zukunft den Rückstand im Wirtschaftswachstum aufzuho-len, und – Herr Finanzminister, deshalb sind wir auch hier im Haushalts- und Finanz-ausschuss richtig – damit auch die Frage, wie leistungsfähig wir im Länderfinanzaus-gleich sind und warum wir im bisherigen System unter 100 sind, einmal kritisch zu betrachten, und zwar nicht in einer Plenardebatte und mit dem Ziel, möglichst maxi-male Presseaufmerksamkeit für den nächsten Tag zu erreichen, sondern das in einer Extrabefassung mit Ihren Zahlen an dieser Stelle ernsthaft zu erörtern und dabei zu fragen, ob das, was wir in der Vergangenheit – und da war ja nicht nur eine Partei, sondern da waren mehrere beteiligt – gemacht haben, wirklich zielführend für die Zu-kunft ist. Denn wenn sich die Ministerpräsidentin darauf beruft, dass das in der Sa-che richtig war, dann habe ich die große Sorge, dass wir in der Zukunft weiter falsch laufen, und dann müssen wir darüber politisch beraten.

Insofern hat das sehr praktische Auswirkungen für die wirtschaftliche Entwicklung, für die Einnahmenentwicklung des Landes, für die Ausgabenentwicklung des Landes und für die Menschen. Wenn das akademisch ist, Herr Kollege Zimkeit, führe ich gerne akademische Debatten.

(Beifall von der CDU)

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Haushalts- und Finanzausschuss 02.06.2015 74. Sitzung (öffentlich) ei-öz Martin-Sebastian Abel (GRÜNE): Ich wundere mich ein bisschen über die Debatte, weil wir an anderer Stelle in diesem Haus weiter sind. Der Kollege Schmitz wird be-stätigen, dass wir ähnliche Debatten auch in der Enquetekommission „Tragfähigkeit öffentlicher Haushalte“ geführt haben. Wir haben das unter anderem im Zusammen-hang mit der Herausforderung des demografischen Wandels und mit den Remanenz-kosten diskutiert. Es ist in der Tat so, dass wir die Infrastruktur, die Stahl- und Kohle verlangt, in Nordrhein-Westfalen wie in keinem anderen Bundesland aufgebaut ha-ben. Wir haben diese riesige, auf einen Punkt zentrierte Infrastruktur nach wie vor und unterhalten sie, obwohl sie an einigen Stellen nicht mehr dem Bedarf entspricht, wodurch wir einfach mehr Kosten als andere Länder haben. Wir müssen darüber re-den, dass über die Jahre ein Infrastrukturstau entstanden ist, und wir müssen die Kosten dafür bewältigen.

Wir haben auch mit Blick auf die Vergangenheit versucht, herauszufinden: Wie wur-den denn die Mittel, die wir aus dem Kohlepfennig bekommen haben, eingesetzt? Für welche Maßnahmen? Wir haben auch darüber diskutiert: Was können wir zu-künftig machen? Und wo sind die Anreize beispielsweise für Investitionen bei der Bil-dung? Dieser Tage ist eine Studie herausgegeben worden, wonach das Ruhrgebiet sehr stark von der Infrastruktur profitiert, die von den Hochschulen aufgebaut wurde. Wenn wir uns dann aber einmal anschauen, was wir im Vergleich zu anderen Län-dern an Unterstützung vom Bund bekommen, beispielsweise Regionalisierungsmit-tel, aber auch konkret Mittel für den Hochschulbau, bekommen wir noch nicht einmal die Mittel entsprechend dem Königsteiner Schlüssel, sondern nur 16 %.

Um das zu verstehen, ist in der Tat ein Rückblick in die Vergangenheit sinnvoll. Aber für die Zukunft ist doch ganz klar, dass wir auch mit Blick auf den vorherigen Tages-ordnungspunkt die Ungleichbehandlung, die wir hier erleben, benennen müssen. Wenn wir jetzt hier einzelne Maßnahmen aus dem Kohlepfennig betrachten, dann müssen wir auch sehen, dass wir an anderer Stelle weniger bekommen als andere Länder, und weniger, als uns zusteht.

Wenn wir dann die Zahlen betrachten – bei der Bildung und bei den Hochschulen ist es so, dass wir mehr als nach dem Königsteiner Schlüssel ausbilden. Fast ein Drittel aller Absolventinnen und Absolventen kommen aus Nordrhein-Westfalen. Wir be-kommen aber bei Weitem nicht die Unterstützung, die angemessen wäre. Das sind alles Punkte, bei denen wir mehr leisten und bei denen wir stärker sind als andere Länder. Und da bitte ich Sie – das gehört auch zur akademischen Redlichkeit; das ist ja dieser Tage in aller Munde – einfach, das nicht zu vergessen. Das muss in eine Gesamtbetrachtung einbezogen werden.

Ich hoffe, Kollege Schmitz, dass wir dann mit dem Abschlussbericht der Enquete-kommission, der jetzt gerade in den Fraktionen unterwegs ist, vielleicht ein sinnvolle-res Signal senden können, das nach vorne gerichtet ist und nicht so sehr nach hinten schaut.

Stefan Zimkeit (SPD): Der Kollege Abel hat es angesprochen; ich will es trotzdem ein Stück weit wiederholen und vertiefen. Jetzt habe ich Sie ja verstanden, Herr Op-tendrenk. Dann ist es wirklich keine akademische, sondern eine politische Debatte,

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Haushalts- und Finanzausschuss 02.06.2015 74. Sitzung (öffentlich) ei-öz wenn Sie hier die These aufstellen, wir hätten 140 Milliarden € Schulden gemacht, und davon sei nicht der Strukturwandel finanziert worden.

Die Hochschulen, die gerade angesprochen worden sind, sind das beste Beispiel. Laut der gerade zitierten Studie sind es 50.000 Arbeitsplätze im Ruhrgebiet wegen der Hochschulen und wegen der Landesinvestitionen, die diese Hochschulen mög-lich gemacht haben. Wer dann die These aufstellt, es habe in Nordrhein-Westfalen Erhaltungsinvestitionen gegeben, die zu dieser Verschuldung geführt hätten, aber keine Zukunftsinvestitionen, der kennt nicht nur das Ruhrgebiet nicht, sondern der kennt das ganze Land nicht.

Vorsitzender Christian Möbius: Vielen Dank. – Weitere Wortmeldungen sehe ich nicht. Das Wortprotokoll ist zugesichert. Dann sind wir am Ende der Tagesordnung, und ich schließe die Sitzung. Vielen Dank.

gez. Christian Möbius Vorsitzender

17.06.2015/18.06.2015

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