Links! Sachsen 3 2011

16
Links! Am 14. Februar diesen Jahres meldete der mdr mit hörbarer Erleichterung, dass in Ägyp- ten Entscheidungen gefal- len seien. Die internationalen Verträge würden eingehalten, weshalb weiter Öl durch den Suezkanal transportiert wer- den könne. Das mache Anle- gern Mut. Die Kurse seien im Schnitt um 2 Prozent gestie- gen. Die Logik: Offene Seewe- ge, sichere Gewinne, höhere Kurse. Der Erleichterung folg- te jedoch Panik. Denn plötz- lich eröffneten sich auch Men- schen Seewege, wenn auch höchst unsichere mit kleinen Booten über das Mittelmeer von Afrika nach Europa. Da war keine Rede mehr von hö- heren Kursen. Vielmehr über- stürzten sich die Überlegun- gen, wie man diese Seewege schnellstens und sicher blo- ckieren könne. Das Öl aus den arabischen Ländern bringt Profit, die Menschen sind eine Last. Wem gehört aber dieses Öl? Sichert es in Europa, Nord- amerika und einigen Ländern Asiens Profit, so ist es doch nicht verwunderlich, dass jene Menschen, die beim Öl woh- nen, ohne ausreichend daraus Gewinn ziehen zu können, dem Öl hinterher ziehen. Das gilt natürlich ebenso für viele an- dere Ressourcen. Eine unend- liche Geschichte, nicht erst seit heute, sondern seit Men- schengedenken. Sichert das „Revier“ nicht mehr das Le- ben, zieht man weg. Zieht man weg, trifft man aber meist auf andere Menschen. Das gibt Konflikte, Konflikte, die man lösen kann, auf unterschied- lichste Art. Solche Konflikte zu schüren, ist mehr als fahrläs- sig. Es ist inhuman und einer zivilisierten Gesellschaft un- angemessen. Ausländerfeind- lichkeit schließt sich selbst aus der Debatte aus. Sie ist keine legitimierte Meinung, sondern letztlich nur kriminel- ler Bruch aller Menschenrech- te. In dieser Ausgabe wird die Frage nach Sachsen als Ein- wanderungsland gestellt (Le- sen Sie dazu auch das Inter- view zur Situation russischer Einwanderer in Sachsen auf der folgenden Seite). Kurt Bie- denkopf hat schon zu seiner Amtszeit darauf hingewiesen, dass wir angesichts der demo- graphischen Entwicklung un- seren Wohlstand ohne Zuwan- derung bald nicht mehr halten werden können. Heute gehört das zu den Allgemeinplätzen der Staatsregierung. Jetzt ist es ihr plötzlich ein Dorn im Au- ge, dass bei etwa 2 Prozent - 3 Prozent Anteil an Auslän- derinnen und Ausländern in Sachsen verbreitet die Mei- nung herrscht, es seien um die 30 Prozent, und das seien zu viel. Bundesweit beträgt der Anteil ausländischer Mitbür- gerinnen und Mitbürger übri- gens 8,1 Prozent. Man könnte jetzt weiter die Statistik durch- forsten und käme zu erstaunli- chen Ergebnissen. Z.B. beträgt der Anteil von Menschen mo- hammedanischen Glaubens in Sachsen gerade mal 0,1 Pro- zent. Oder: Die Gymnasialquo- te liegt bei vietnamesischen Kindern bei 75 Prozent, bei deutschen nur bei 50 Prozent. Scheinheilig ist die Position der Staatsregierung dennoch: Wie auch andere konservative Politiker will sie nur jene will- kommen heißen, die Gewinn für die Wirtschaft versprechen oder zur Lösung strukturel- ler Probleme beitragen kön- nen. Wohlstand geht so vor Menschlichkeit. Indische Inge- nieure z.B. sind gefragt, tsche- chische Ärzte auch. Nicht ge- fragt wird aber, was das für Indien und Tschechien bedeu- tet. Es bedeutet Verlängerung der Armut in Indien und Zer- störung des Gesundheitswe- sens in Tschechien. Die Folge? Zurückgelassene Menschen ziehen hinter ihren Ingenieu- ren und Ärzten her, so wie an- dere hinter ihrem Öl. Diese aber weisen wir, so es nur ir- gend geht, ab. „Absaugen“ von Wohlstandsgarantinnen und -garanten aus anderen Län- dern und dann Mauern gegen die Folgen errichten ist ers- tens Kolonialismus in neuem Gewande und wird zweitens nicht durchzuhalten sein. Je- der Mensch, der mit ehrlichen Wünschen und ehrlichen Ab- sichten zu uns kommt, ist eine Bereicherung, auch wenn er zunächst Hilfe braucht. Das ist die einzig zulässige Maxime. »Sachsen braucht Einwanderung« Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt März 2011

description

Links! und Sachsnes Linke!

Transcript of Links! Sachsen 3 2011

Page 1: Links! Sachsen 3 2011

Links! Am 14. Februar diesen Jahres meldete der mdr mit hörbarer Erleichterung, dass in Ägyp-ten Entscheidungen gefal-len seien. Die internationalen Verträge würden eingehalten, weshalb weiter Öl durch den Suezkanal transportiert wer-den könne. Das mache Anle-gern Mut. Die Kurse seien im Schnitt um 2 Prozent gestie-gen. Die Logik: Offene Seewe-ge, sichere Gewinne, höhere Kurse. Der Erleichterung folg-te jedoch Panik. Denn plötz-lich eröffneten sich auch Men-schen Seewege, wenn auch höchst unsichere mit kleinen Booten über das Mittelmeer von Afrika nach Europa. Da war keine Rede mehr von hö-heren Kursen. Vielmehr über-stürzten sich die Überlegun-gen, wie man diese Seewege schnellstens und sicher blo-ckieren könne. Das Öl aus den arabischen Ländern bringt Profit, die Menschen sind eine Last. Wem gehört aber dieses Öl? Sichert es in Europa, Nord-amerika und einigen Ländern Asiens Profit, so ist es doch nicht verwunderlich, dass jene Menschen, die beim Öl woh-nen, ohne ausreichend daraus Gewinn ziehen zu können, dem Öl hinterher ziehen. Das gilt natürlich ebenso für viele an-dere Ressourcen. Eine unend-liche Geschichte, nicht erst seit heute, sondern seit Men-schengedenken. Sichert das „Revier“ nicht mehr das Le-ben, zieht man weg. Zieht man weg, trifft man aber meist auf andere Menschen. Das gibt Konflikte, Konflikte, die man lösen kann, auf unterschied-lichste Art. Solche Konflikte zu schüren, ist mehr als fahrläs-sig. Es ist inhuman und einer zivilisierten Gesellschaft un-angemessen. Ausländerfeind-lichkeit schließt sich selbst aus der Debatte aus. Sie ist keine legitimierte Meinung, sondern letztlich nur kriminel-ler Bruch aller Menschenrech-te. In dieser Ausgabe wird die Frage nach Sachsen als Ein-wanderungsland gestellt (Le-sen Sie dazu auch das Inter-view zur Situation russischer

Einwanderer in Sachsen auf der folgenden Seite). Kurt Bie-denkopf hat schon zu seiner Amtszeit darauf hingewiesen, dass wir angesichts der demo-graphischen Entwicklung un-seren Wohlstand ohne Zuwan-derung bald nicht mehr halten werden können. Heute gehört das zu den Allgemeinplätzen der Staatsregierung. Jetzt ist es ihr plötzlich ein Dorn im Au-ge, dass bei etwa 2 Prozent - 3 Prozent Anteil an Auslän-derinnen und Ausländern in Sachsen verbreitet die Mei-nung herrscht, es seien um die 30 Prozent, und das seien zu viel. Bundesweit beträgt der Anteil ausländischer Mitbür-gerinnen und Mitbürger übri-gens 8,1 Prozent. Man könnte jetzt weiter die Statistik durch-forsten und käme zu erstaunli-chen Ergebnissen. Z.B. beträgt der Anteil von Menschen mo-hammedanischen Glaubens in Sachsen gerade mal 0,1 Pro-zent. Oder: Die Gymnasialquo-te liegt bei vietnamesischen Kindern bei 75 Prozent, bei deutschen nur bei 50 Prozent. Scheinheilig ist die Position der Staatsregierung dennoch: Wie auch andere konservative Politiker will sie nur jene will-kommen heißen, die Gewinn für die Wirtschaft versprechen oder zur Lösung strukturel-ler Probleme beitragen kön-nen. Wohlstand geht so vor Menschlichkeit. Indische Inge-nieure z.B. sind gefragt, tsche-chische Ärzte auch. Nicht ge-fragt wird aber, was das für Indien und Tschechien bedeu-tet. Es bedeutet Verlängerung der Armut in Indien und Zer-störung des Gesundheitswe-sens in Tschechien. Die Folge? Zurückgelassene Menschen ziehen hinter ihren Ingenieu-ren und Ärzten her, so wie an-dere hinter ihrem Öl. Diese aber weisen wir, so es nur ir-gend geht, ab. „Absaugen“ von Wohlstandsgarantinnen und -garanten aus anderen Län-dern und dann Mauern gegen die Folgen errichten ist ers-tens Kolonialismus in neuem Gewande und wird zweitens nicht durchzuhalten sein. Je-der Mensch, der mit ehrlichen Wünschen und ehrlichen Ab-sichten zu uns kommt, ist eine Bereicherung, auch wenn er zunächst Hilfe braucht. Das ist die einzig zulässige Maxime.

»Sachsen braucht Einwanderung«

Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt März 2011

Page 2: Links! Sachsen 3 2011

Seite 2Links! 3/2011

»Bücher bringen Leute zu uns!«links! im Gespräch

links! sprach mit dem stellver-tretenden Vorsitzenden des Deutsch-Russischen Kulturin-stitutes Dresden (DRKI) Vitaly Kolesnyk im »Russischen Zent-rum« in Dresden

Herr Vitaly Kolesnyk, wir wollen über Migranten re-den – woher kommen Sie selbst?Vitaly Kolesnyk: Ich komme aus der Ukraine aus Charkow und bin jüdischer Kontingent-flüchtling.

Wann sind Sie gekommen und was haben Sie in Char-kow gemacht?Im Jahr 2002 kam ich nach Deutschland. Ich habe an der staatlichen Universität stu-diert und bin Diplom-Philolo-ge. Also ich bin dafür ausgebil-det, Ausländern Russisch oder Ukrainisch beizubringen.

Derzeit gibt es frisch und kostenlos beim Sächsi-schen Ausländerbeauf-tragten den „Jahresbericht 2010“ mit den aktuells-ten Zahlen zu den Auslän-dern in Sachsen. Martin Gillo, der Ausländerbeauf-tragte also, erklärte beim Tet-Fest, dem asiatischen Frühlingsfest im Dresdner-Rathaus gerade, dass die Vietnamesen die stärkste Ausländergruppe in Sach-sen seien. Im Heft spricht man von 8.926 Vietname-sen im Jahr 2009. Russen gibt es nur 7.424 – wie aus-sagekräftig sind solche Zahlen überhaupt?

Nicht besonders aussagekräf-tig.

Die vielen Aussiedler, von denen viele besser Rus-sisch als Deutsch sprechen sind in der Statistik natür-lich nicht enthalten, nehme ich an.Mein Chef, der Vorsitzende unseres Institutes Herr Schäli-cke spricht von 20.000 Per-sonen mit russischer Mut-tersprache allein in Dresden. Ebenso viele sind es in Leipzig. Die meist gesprochene Spra-che in Sachsen außer Deutsch ist Russisch.

Wir kommen also zu den Aufgaben des Russischen Zentrums in Dresden …Ja! Wir möchten helfen, ein Verständnis für die Russische Sprache, für die Russische Kultur zu entwickeln. Wir sind also praktisch so etwas wie das Goethe-Institut, wobei wir am engsten mit dem Insti-tut Francais zusammen arbei-ten. Bemerkenswert ist, dass

vielen Menschen, die sich mit russischer Literatur beschäf-tigen den Weg zu uns finden. Man kann also sagen: Die Bü-cher bringen die Leute zu uns.

Wie ist es denn mit den Russisch-Kenntnissen be-stellt in Sachsen, 20 Jahre nach der Wende“?Wenn Sie 700 russische Voka-beln beherrschen, können sie »Überlebens-Russisch« das

entspricht der Sprachkundi-genstufe A 1. Wenn sie 1.400 Vokabeln beherrschen, haben sie die nächste Stufe erreicht, die A 2.

Ich fürchte, bei mir reicht es für die A 1 nicht mehr, wobei ich Zweifel habe ob ich im DDR-Abitur über-haupt jemals 700 Voka-beln beherrscht habe, auch wenn ich nicht besonders gut war – ich stand meist zwischen 2 und 3.In der Tat, die Sprachbeherr-schung bei den Russisch-Leh-rern der DDR war nicht beson-ders. Bei den Russisch-Tests sehen sie selbst regelmäßig schlecht aus, deshalb kann man auch berechtigt daran zweifeln, dass sie ihren Schü-lern es beigebracht haben, tat-sächlich fließend Russisch zu sprechen. Wenn ich ehrlich sein soll: Die neue Ausbildung für Russisch-Lehrer an den Universitäten ist heute besser. Wer jetzt Russisch-Lehrer wird kann mehr als die alte Garde. Fast über 80 Prozent der An-gebote des Russischen Zen-trums sind zweisprachig. Wir

würden uns sehr freuen, wenn Russisch-Lehrer gelegentlich einen Text mit übersetzen wür-den – aber sie winken ab: Zu schwierig.

Gibt es denn so gar keinen Lichtblick?Aber doch, wenn ich an ei-ne engagierte Lehrerin des Dresdner Erlwein Gymnasi-ums denke, die unglaublich gut ist. Auch in Oschatz, an

der Thomas-Mann-Schule ist man ganz engagiert bei der Sache. Übrigens wird dort mit viel Leidenschaft und Engage-ment, aber fast ohne Geld ge-arbeitet. Dort kümmern sich die älteren Schüler um die jün-geren.

Bei mir im Hauseingang wohnt eine ältere russi-sche Familie, nach der Sta-tistik sind sie Deutsche, aber die Frau fühlt sich als Russin und ist es wohl. Sie ist fast 60, ihr Sohn hat jetzt im Internet eine Uk-rainerin gefunden, gehei-ratet und nun sind zwei Kinder da. Dabei spricht ihr Sohn fast kein Deutsch und die Schwiegertochter gar nicht, jetzt sorgt sie sich um die Enkelkinder – wächst da ein Problem he-ran? Ich möchte nachdrücklich sa-gen, ein »türkisches Problem« wird es mit den aus Russland oder den GUS-Staaten Kom-menden nicht geben. Die Kin-der gehen mit Sicherheit bald in den Kindergarten und sie werden besser Deutsch spre-

chen als ihre Eltern jemals Deutsch sprechen werden. Zu-mal sie es ohne Akzent spre-chen – höchstens mit sächsi-schem Dialekt. Das Problem ist doch ein anderes: Diese Kinder werden vielleicht letz-ten Ende doch nicht mehr rich-tig Russisch sprechen. Eine Zeit hing man, auch was die Erwachsenenbildung betrifft, dem Irrglauben an, dass man um so rascher Deutsch lernt

um so schneller man sein Rus-sisch vergisst. Dem ist aber nicht so. Was junge Menschen betrifft, ist es gerade wich-tig, dass sie ihre Mutterspra-che gut beherrschen - um so besser werden sie dann in Deutsch. Aber das versteht man in Sachsen noch immer nicht überall. Integration wird gesagt und Assimilation ge-meint. Dagegen wehren wir uns. Im Russischem Zentrum gibt es eine umfangreiche Bi-bliothek und viele Bildungs-angebote. Sprache ist nicht zuletzt auch Identität und es schadet niemandem wenn man weiß, wo man seine Wur-zeln hat.

Sie führen ein offenes Haus. Wenn Klassen zu Ih-nen kommen, wie ist das Vorwissen über Russland?Äußerst gering und zudem noch einseitig. Russland ist Wodka, Mafia und Korrupti-on. Das ist so, wie wenn ein russisches Kamerateam in einer dunklen Ecke am Neu-städter Bahnhof hier in Dres-den dreht und am Ende wird im Beitrag die Botschaft aus-

gesandt: Deutschland, das ist Armut, Arbeitslosigkeit und Alkoholismus. Aber ich fra-ge Sie: Ist das Deutschland? Doch so berichten die Medien hierzulande überwiegend über Russland. Viele Kinder wissen zudem nicht mal, dass es zwei Kriege zwischen Russland und Deutschland gab. Doch den Kindern deshalb einen Vor-wurf zu machen wäre mehr als dumm. Die können doch nichts dafür!

Wie ist die Situation mit dem Deutschunterricht in Russland?Die Schüler lernen mit mehr Begeisterung vielleicht. Al-so wenn eine Fahrt nach Deutschland ansteht, dann geben sie sich vorher wirk-lich richtig Mühe – sie wollen sich auf Deutsch unterhalten können. Dennoch gibt es pa-radoxe Situationen. Zum Bei-spiel, wenn das ortsansässi-ge Goethe-Insitut Reklame für München macht und die Schü-ler sich dann trotz der Dres-den-Fahrt sehr mit München beschäftigen. Sie verstehen dann einfach nicht, dass es ei-nen doch sehr erheblichen Un-terschied zwischen München und Dresden gibt, und die Leh-rer erkennen den Unterschied auch nicht problemlos an. Die paar hundert Kilometer, was soll das für einen Unterschied machen – in Russland macht es doch auch keinen großen ob man nun hier oder tausend Kilometer weiter weg wohnt. Aber Deutschland ist kleintei-liger, mit eigenen bayrischen, sächsischen und gelegentlich sogar noch ostdeutschen und westdeutschen Identitäten, und das muss man eben so-wohl Schülern als auch Leh-rern vermitteln. Was man auch feststellen muss: Die Bedeu-tung von Deutsch als Fremd-sprache geht in Russland zu-rück. Die Lehrer sind schon in die Jahre gekommen zum größten Teil und manche wür-den, mal salopp gesagt, nicht mehr durch den Fremdspra-chen-TÜV kommen. Was das Wissen nun über die hiesige Region angeht kommt hinzu, dass sich Dresden und Sach-sen gerade in Russland sehr schlecht vermarkten. Dem Ex-Ministerpräsidenten Milbradt war das durchaus bewusst und er wollte daran etwas än-dern …

Das Gespräch führte Ralf Richter.

Page 3: Links! Sachsen 3 2011

Seite 3 3/2011 Links!

Polterabend in Meißen

Das Kreuz mit der Quote

Seit gut zwei Jahren befindet sich die Staatliche Porzellan-manufaktur Meißen unter ih-rem im November 2008 neu berufenen Vorsitzenden der Geschäftsführung, Dr. Christi-an Kurtzke, im Umbruch. Wohl kaum ein kulturpolitisches Thema im Freistaat Sachsen ist allerdings derzeit ein besser gehütetes Staatsgeheimnis als die Frage, wie sich dieser Um-gestaltungs- und Sanierungs-prozess vollzieht. Letzterer ir-ritiert bzw. verschreckt nicht nur die aktuelle Belegschaft und viele frühere Mitarbeiter, sondern mittlerweile auch die interessierte sächsische Öf-fentlichkeit. Bereits anlässlich des 300-jäh-rigen Firmenjubiläums im Jahr 2010 - in dessen Umfeld über

180 Kolleginnen und Kollegen entlassen wurden - entstanden zahlreiche Fragen, die vom ek-latanten Versagen der Staats-regierung zeugten. In Dresden hat man offensichtlich erheb-lichen Nachholbedarf, die Be-deutung der technisch-kultu-rellen Weltspitzenleistung von 1710 bis zum heutigen Tage richtig einzuordnen. Beispiels-weise hielt es die Staatsregie-rung kommentarlos für ange-messen, einen zerbrochenen Teller auf der Gedenkmünze als Symbol für die Manufaktur hinzunehmen. Man musste kei-neswegs böswillig sein, um da-rin einen hellseherischen Fin-gerzeig auf den gegenwärtigen Zustand der Manufaktur zu er-blicken, wie er dann durch den sogenannten »Polterabend« in

der Nacht vom 14. auf den 15. Oktober 2010 offenbar wurde – die vorsätzliche Vernichtung von originärem Kulturgut eige-ner Herstellung. Nach einem einstimmigen Beschluss des von Prof. Dr. Kurt Biedenkopf geleiteten Aufsichtsrates der Porzellanmanufaktur wurde eine Charge von »unverkäufli-chen Altbeständen« zerschla-gen. Man spricht von mehre-ren Tonnen Lagerbeständen Meißener Porzellans. Vor ei-nem solchen Meißen-Fenster-sturz war sogar Napoléon einst zurückgeschreckt. Eine Lappa-lie, sollte man meinen, wenn sich die Geschäftsführung bis heute nicht weigern wür-de, darüber Aufschluss zu ge-ben, was in jener Nacht in Mei-ßen tatsächlich geschah. Auch

die Sächsische Staatsregie-rung verschließt sich bislang hartnäckig, über ihren Staats-betrieb diesbezüglich nähere Auskünfte zu erteilen und hat damit heftigen politischen Ge-genwind bei der Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag hervorgerufen. Angesichts dieses Schweigens ist die Befürchtung nicht ganz von der Hand zu weisen, dass das traditionsreiche Unterneh-men von zwei Seiten gefähr-det werden könnte: einerseits durch die massive Übernahme von porzellanfremden Produk-ten jenseits der »Gekreuzten Blauen Schwerter« und ande-rerseits durch die Preisgabe des Manufakturcharakters bis tief in den künstlerisch-gestal-terischen Bereich durch wei-

tere drohende Entlassungen. Vor diesem Hintergrund ist es nachvollziehbar, dass sich un-ter dem Leitmotiv »Manu in Ge-fahr« Anfang Februar 2011 eine Bürgerinitiative aus namhaf-ten ehemaligen Mitarbeitern gegründet hat, die den dra-matischen Personalabbau, die mangelhafte Nutzung des Jubi-läumspotenzials, die genannte Porzellanvernichtung und die großen Kommunikationsdefi-zite der neuen Geschäftsfüh-rung vehement kritisiert und zugleich konstruktive Gegen-vorschläge zur Zukunftssiche-rung der Manufaktur unterbrei-tet. Man darf gespannt sein, wie diese grundsätzliche Aus-einandersetzung ihren Fort-gang nimmt. Volker Külow

100 Jahre sind vergangen, seit Clara Zetkin und Käte Duncker gegen den zum Teil heftigen Widerstand ihrer eigenen Ge-nossen den ersten Frauentag begingen. Viel hat sich seitdem verändert: Frauen haben das aktive und passive Wahlrecht, nach Artikel 3 des Grundgeset-zes sind Frauen und Männer gleichberechtigt. Ein Allgemei-nes Gleichbehandlungsgesetz soll vor Diskriminierung schüt-zen. Dennoch ist auch heute noch viel zu tun, bis Frauen und Männer tatsächlich gleichbe-rechtigt sind. Vor kurzem trat Arbeitsministerin Ursula von der Leyen mit Plänen an die Öffentlichkeit, noch in diesem Jahr eine gesetzliche Frauen-quote für die bundesdeutsche Wirtschaft einführen zu wollen. Ausgerechnet eine CDU-Mi-nisterin wollte tatsächlich per Gesetz eine Mindestquotie-rung von 30 Prozent in Unter-nehmen einführen, und zwar in Aufsichtsräten und Vor-ständen. Eine Mindestquotie-rung für Aufsichtsräte gibt es bereits im skandinavischen Raum, aber die Quote für Vor-stände würde der deutschen Wirtschaft noch sehr viel wei-tergehende Gleichstellungsre-gelungen bescheren. Und es sollte noch besser werden: »Es ist wichtig, dass daran Sankti-onen gekoppelt werden«, sag-te von der Leyen dem Spiegel. »Sonst ist es weiße Salbe.«Die Tatsachen sind klar: Frau-en sind in den Spitzenpositio-nen der deutschen Wirtschaft trotz guter Qualifikationen und formaler Gleichstellung noch immer nur in Einzelfällen an-zutreffen; Russland, Brasili-en und China sind dabei schon längst an Deutschland vorbei-gezogen. Der drohende Fach-

kräftemangel lässt sich nicht verleugnen, und nach der Ein-führung einer gesetzlichen Quote sind die skandinavi-schen Länder nicht unterge-gangen. Sollte all das jetzt tat-sächlich auch in Deutschland zu Veränderungen führen?Die SPD forderte sogleich ei-ne Quote von 40 Prozent, und zwar nicht irgendwann, son-dern sofort. Die FDP war na-türlich dagegen und musste das noch nicht einmal inhalt-lich begründen - schließlich sei man die Partei der Ver-tragsfreiheit, nicht der Eman-zipation. Auch die Familien-ministerin Kristina Schröder bemühte sich eilig, ihr Feld zu verteidigen und sich ge-gen eine gesetzliche Regelung auszusprechen. Die Kanzle-rin sprach ein Machtwort und pfiff ihre Arbeitsministerin zu-rück, man wolle doch zuerst auf Freiwilligkeit setzen und die Unternehmen zur Selbst-verpflichtung anhalten. Die großen Erfolge der freiwilli-gen Vereinbarungen sind ja nur allzu deutlich: von den 80 umsatzstärksten deutschen Unternehmen hatte nur eines eine Frau im Vorstand, bei den stärksten 200 findet man ge-rade 3 Prozent Frauen in Füh-rungspositionen.Dabei sehen die gesellschaft-lichen Mehrheiten längst an-ders aus: nach einer Spie-gel-Umfrage vom Anfang des Jahres befürworten 73 Pro-zent der weiblichen und 60 Prozent der männlichen Bun-desbürgerInnen die gesetzli-che Quote. Die Grünen waren seinerzeit die erste Partei, die eine har-te Quotierung für alle Gremi-en von mindestens 50 Prozent einführte. Die CDU hat es lie-ber etwas weicher und strebt

mit einer Soll-Regelung von ei-nem Drittel eine Umsetzung von Gleichberechtigung an. Eine 40 Prozent-Quotierung für beide Geschlechter hält die SPD für notwendig, um in Punkto Gleichstellung voran zu kommen. Selbst die CSU ist nach zähem Ringen und der Erkenntnis, dass »Männerpar-teien« beim Wahlvolk an Be-liebtheit verlieren, bei einer 40 Prozent-Soll Regelung für Kreis- und Landesebene ange-kommen. Ortsverbände blei-ben freilich ausgenommen.In den programmatischen Eckpunkten, im Program-mentwurf, in Wahlprogram-men und Positionspapieren definiert sich die LINKE als feministische Partei und tritt für die Verwirklichung der Gleichstellung von Frauen und Männern ein. In ihrem Statut

ist eine Quotierung von min-destens 50 Prozent festge-schrieben. Ausnahmen sind möglich, wenn der Anteil der weiblichen Mitglieder einer Struktur weniger als 25 Pro-zent beträgt. So weit, so gut - die Realität sieht jedoch auch bei der LIN-KEN zum Teil anders aus. Sta-tuarische Regelungen werden nicht eingehalten oder mit Tricks umgegangen, schlim-mer noch: Der Frauenanteil in der LINKEN sinkt - die GRÜ-NEN haben die LINKE bereits überholt.Quoten allein lösen dieses Problem nicht. Sie sind nur ei-ne Krücke, aber eine, die beim Gehen auf dem Weg zu wirkli-cher Gleichstellung hilft. Eine Kombination aus Quote und aktiver Politik für Gleichstel-lung ist ein besserer Ansatz.

Sich allein auf Satzungsre-gelung zu berufen, hilft eben spätestens dort nicht weiter, wo Kandidatinnen und weib-liche Mitglieder fehlen. Die LINKE versucht nun mit ei-nem eigenen Konzept, ihre Politik nach innen und außen für Frauen attraktiver und ge-rechter zu gestalten. Dieses Gleichstellungskonzept muss nun auch auf die Landesebene heruntergebrochen werden - dafür sind Ideen, Vorschläge und Meinungen der Mitglieder gefragt. Schließlich vertritt die LINKE den Anspruch, eine feministische Partei zu sein. Jetzt muss sie zeigen, dass sie es auch ernst meint. Es sollten nicht weitere 100 Jahre vergehen, bevor die Zie-le von Clara und Käte Realität werden.Stefanie Götze

Illus

trat

ion

R B

Ger

d-A

ltm

ann-

AllS

ilhou

ette

s.co

m/p

ixel

io.d

e

Page 4: Links! Sachsen 3 2011

Seite 4Links! 3/2011

Dresden am 13. Februar 1945 – die „unschuldige Stadt“?

Essay

Prof. Gerhard Besier re-flektierte in einem Vor-trag, welche gesellschaft-lichen Diskurse hinter den Ereignissen rund um den 13. Februar in Dres-den stehen. »Links!« doku-mentiert Auszüge.In Dresden findet ein Konkur-renzkampf unterschiedlicher Vergangenheitsinterpretatio-nen um Deutungshoheit statt. Warum gerade in Dresden? Bei den üblichen deutschen Deu-tungen des Nationalsozialis-mus handelt es sich um einen breit akzeptierten Schulddis-kurs, der um die Komponen-ten Schuld, Tat, Täter und Op-fer arrangiert ist. In Dresden dagegen hat sich – von der Goebbels-Propaganda über die DDR-Deutungen bis hin zu dem NPD-Politiker Jürgen Gan-sel – ein deutscher »Leidens-diskurs« etablieren können, der als heimliche Meisterer-zählung unterhalb der offizi-ellen Geschichtskonstruktion eine erhebliche Faszination entfalten konnte. Attraktiv ist dieser »Leidensdiskurs« allein schon deshalb, weil er sich als hoch risikobehaftete Unter-grunderzählung versteht, als der eigentlich zivilcouragierte Akt deutschen Widerstands gegen die übermächtigen An-deren, denen sich die feige Mehrheit der etablierten Deut-schen gefügt hat. […]Der geplante Erinnerungs-marsch der so genannten »Jun-gen Landsmannschaft Ost-

deutschland« soll die Funktion einer »Deckerinnerung« wahr-nehmen, das heißt, ein Tri-umphzug soll das Vergessen unangenehmer Erinnerungen bewirken und zum authenti-schen Merkzeichen der Ge-generinnerung werden. Der Schulddiskurs wird über einen triumphal inszenierten Lei-denskurs aufgehoben. Aber es wäre unredlich, die Verdrän-gungsmechanismen allein der rechtskonservativnationalis-tischen Szene zurechnen zu wollen. Weite Teile der Dresd-ner Bevölkerung leisteten der Umdeutung Vorschub, indem sie – seit Frühjahr 1945 – im-mer neue Entlastungsdiskur-se erfanden. Diese von Gunnar Schubert als »Lügen« bezeich-nete Diskurse – die Mär von der »unschuldigen Stadt«, von der »Sinnlosigkeit der Bombar-dements«, von der übertrie-ben hohen Opferzahl, von den Tieffliegerangriffen, von der »Kunst- und Kulturstadt« und auch die vom »Antifaschis-mus« – dienten allesamt dazu, den Ort und seine Bewohner mit einer besonderen Distinkt-heit zu versehen und Stereoty-pen zu bilden. Damit befriedig-ten sie ein tiefes menschliches Bedürfnis. […] Wie alarmierend unsicher die Akteure nicht nur hinsicht-lich des Erinnerungsdiskur-ses, sondern auch im Blick auf den Rechtsstaat sind, zeigen die hilflosen Reaktionen auf das Urteil des Dresdner Ver-

waltungsgerichts vom Januar 2011. Danach hätte die Poli-zei 2010 den als Trauermarsch verbrämten Demonstrations-zug der »Jungen Landsmann-schaft Ostdeutschland« er-möglichen müssen; sie hätte – so das Gericht – dem Recht auf Demonstration Geltung verschaffen müssen. Alarmie-rend ist andererseits freilich auch, dass die Staatsanwalt-schaft ausgerechnet bei den Fraktionsvorsitzenden der Linken aus Sachsen, Thürin-gen und Hessen ein Exempel statuieren möchte, anstatt al-le »Blockierer« zur Verantwor-tung zu ziehen, die mit poli-zeilichen Mitteln identifiziert

werden konnten. Der Rechts-staat hat natürlich ohne An-sehen der Person das Recht durchzusetzen.Wir stehen vor den Scherben einer unreflektierten Vergan-genheitspolitik. In dieser ver-unsicherten Erinnerungsland-schaft konnten alternative Deutungen leichter Fuß fassen als anderswo. Komplementär zum verfehlten Erinnerungs-diskurs müssen wir eine we-nig überzeugende Rechtspoli-tik erleben, die einerseits dem Recht Geltung verschaffen will, andererseits aber diesen an sich sachgemäßen Ansatz dazu nutzt, um über selektive Ahn-dung eine bestimmte politische

Gruppierung zu stigmatisieren. Die wenig originelle Symbolpo-litik ist an ihr Ende gelangt. In Zukunft wird es darauf ankom-men, sich in die Niederungen inhaltlicher Erinnerungsarbeit zu begeben und mit guten Ar-gumenten die Bürger zu über-zeugen – in der Öffentlichkeit wie im Landtag. Nur so wer-den wir der Gespenster aus der Vergangenheit Herr und stärken das Demokratiebe-wusstsein wie die historisch-politische Urteilfähigkeit der sächsischen Bürger.

Der komplette Vortrag ist auf der Internetseite www.links-sachsen.de nachzulesen.

Es war einmal ein Staat, der weihte sich seine Jugendli-chen selbst, indem er sie da-zu brachte, ein Gelöbnis abzu-legen. Es gibt ihn nicht mehr! Oder doch? Schon wieder!Sprachgeschichtlich gehö-ren Wörter wie »loben«, »gelo-ben«, »Gelübde«, »Gelöbnis« und »glauben« zusammen. Meist begegnen wir ihnen in religiösen Zusammenhän-gen. In den christlichen Kir-chen gibt es Taufgelöbnis-se, die bedingungslos an den Glauben binden oder Gelüb-de, sich in Liebe (gehört übri-gens auch zur Wortfamilie) zu Gott bedingungslos vorgege-benen Regeln zu überantwor-ten, wie z.B. bei Ordensein-tritten. Wenn solches freiwillig geschieht, ist dagegen nichts einzuwenden und es geht am Ende auch niemanden etwas an. Solche Gelübde und Ge-löbnisse fordern üblicherwei-se auch tätigen Widerstand ge-gen den Feind des Glaubens, der Gläubigen und ihres Got-

tes. »Widersagt Ihr dem Teu-fel?«, werden Katholiken ge-fragt - bei der Taufe, bei der Erstkommunion und bei der Firmung - »Wir widersagen!«, ist die Antwort. Ähnlich war es bei den Gelöbnissen zur Ju-

gendweihe in der DDR. Hier sollten die Jugendlichen in die Pflicht genommen werden, für den Frieden und für ein demo-kratisches Deutschland ein-zutreten und den Sozialismus auch im Kampf zu verteidigen. Es gab in der Zeit verschiede-ne Varianten dieses Gelöbnis-ses. Schon das Wort »Jugend-weihe«, wenn es auch nicht in

der DDR erfunden wurde, son-dern lange zuvor, und auch das »Gelöbnis« brachten die Nä-he zum Religiösen. Wie beim christlichen Taufgelöbnis ant-worteten die Jugendlichen: »Das geloben wir!«Es ist mit Recht zu fragen, ob eine solche Selbstüberhö-hung des Staates gerechtfer-tigt sein kann, auch wenn sei-ne Ziele noch so gut sind. Es erübrigt sich damit faktisch die Legitimation des Staates durch die Bürger, weil er sie mit dem Gelöbnis dazu bringt, ihn selbst und die Ideen, für die er steht, als Grundlage seiner Legitimität anzuerken-nen. Nicht der Staat sichert seinen Bürgerinnen und Bür-gern zu, dass ihre Würde un-antastbar sei oder alle Macht vom Volke ausgehe - nein, der Bürger und die Bürgerin gelo-ben, dass Staat und Staatside-en unantastbar seien und alle seine Macht vom Volk vertei-digt wird. Im demokratischen Verfassungsstaat sollte eigent-

lich das Erstere gelten. Der Staat ist für seine Bürgerinnen und Bürger da, und zwar so, wie diese es wollen; Gelöbnis-se und Glauben haben da kei-nen Platz. Engagement sehr wohl. Auch die heutige Jugend-weihe folgt diesem Prinzip und hat das Gelöbnis abgeschafft. Dazu kann man die Jugendli-chen nur beglückwünschen. Der Freistaat Sachsen - oder besser gesagt jene, die ihn derzeit repräsentieren und re-gulieren - wollen es anders. Sie haben ein Gelöbnis erfun-den, das sich kurz »Extremis-musklausel« nennt und dem sich Vereine und Verbände, vor allem aber Demokratie-projekte unterwerfen sollen, wenn sie Unterstützung und Geld vom Staat wollen. Der Text beginnt mit »Hiermit be-stätigen wir, dass ...« - leicht ersetzbar durch »das geloben wir«, wenn das zu Bestätigen-de (Treue zum Grundgesetz) als Frage formuliert wäre. Der Text folgt auch im Weiteren

dem Gelöbnis, das jetzt übli-cherweise das Ja zum Kampf gegen alles Feindliche fordert - »Wir widersagen«allem Ex-tremistischen und »geloben«, es aufdecken zu helfen. Wir sind angekommen! Der Staat ein Objekt des Glaubens und Gelobens, ein Orden, in Gelüb-den seiner Mitglieder befes-tigt. Nichts mehr mit »Gesell-schaftsvertrag«, keine Bindung mehr in demokratischer Über-einkunft. Allgemeine Verunsi-cherung, denn „das Böse ist immer und überall“. Ja, man könnte wirklich lachen, wäre es nicht so ernst. Wenn eine Partei, die sich zum Christen-tum bekennt, Staat und Glau-ben verwechselt, stellt sie üb-rigens auch ihren Glauben in Frage. »Gott hat dir nicht gege-ben den Geist der Furcht, son-dern der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit«, sei ihnen deshalb mit Timotheus (2;1,7) ins Gebetbuch geschrieben.Peter Porsch

Vom gelobten Staat und seinen Gelübden

Page 5: Links! Sachsen 3 2011

»Festung Dresden« bitte zum letzten Mal!

Caren Lay erlütert die Notwendigkeit bezahl-

barer Strompreise auf Seite 5.Dr. Cornelia Ernst schildert das Problem

und die Auswirkungen des Wegfalls der EU-Strukturfördermittel für Leipzig und Chem-nitz ab 2013 auf Sei-te 7. Den doppelten Skan-dal bei den Hartz-IV-Verhandlungen

beschreibt Michael Leutert auf Seite 8. Und ebenfalls auf Sei-te 8 hinterfagt Sabine Zimmermann den My-thos des deutschen »Jobwunders«.

Dresden im FebruarBerichte und Interviews zu den Ereignissen

am 13. und 19. Februar 2011

SachsensLinke

März 2011

Wann endlich lernen Ge-richte und eine hilflose Dresdner Stadtspitze aus den Fakten am Dresden-Gedenktag?Es hat doch geklappt!? Zumin-dest am 19.Februar, an dem die braune Szene die große Mobilisierung ihrer Wochen-endnazis erhoffte, standen nur ein ratloser Haufen hin-ter dem Hauptbahnhof und ein wütender Haufen am Dres-den-Plauener Rathaus einge-klemmt herum. Zum zweiten Mal nach 2010 haben Blocka-den einen demonstrativen Marsch verhindert, auf den es den Rufern von »Nationa-ler Sozialismus jetzt!« so sehr ankommt. Ein Erfolg gegen die von der Jungen Landsmann-schaft Ostdeutschland JLO or-ganisierten Nazis, ein Erfolg gegen die Stadtverwaltung und gegen Richtersprüche, die niemand mehr versteht. Aber um welchen Preis?Die guten Nachrichten zuerst. Die weitgehende Isolation der Nazis hat inzwischen dazu ge-führt, dass sich kaum noch äl-tere Dresdner spontan ihrem Zug anschließen, solche, die den Mythos eines einmaligen Kriegsverbrechens an ihrer

heiligen Stadt pflegten. Spon-tanitäten sind nun eher auf der anderen Seite zu beobachten. Viel zu wenige schienen sich am 13. Februar für die Men-schenkette am Rathaus zu versammeln. Es lag wohl da-ran, dass dort ausgerechnet jener CDU-Ordnungsbürger-meister Detlef Sittel sprach, der vier Tage zuvor beim Poli-tikforum der ZEIT so unsäglich herumstammelte und jedes politische Bekenntnis vermis-sen ließ. Dann aber zerstreu-ten viele Passanten die Zwei-fel.Der Witz ist meist links, und so hielten Gewerkschafter am Volkshaus statt der ver-botenen Mahnwache eine öffentliche Landesbezirks-vorstandssitzung auf ihrem privaten Grundstückszipfel ab. Auch andere Verbote wur-den geschickt umgangen. Auf friedlichen, manchmal fröhli-chen Blockaden und Gegen-demonstrationen traf man Bekannte, die sich nicht mit einem Gebet in sicherer Ent-fernung begnügen wollten.»Ich beklage, dass unsere Gerichte aus der Geschich-te nichts gelernt haben«, rief allerdings am Schluss einer

Mahnwache vor der Kreuzkir-che ein pensionierter Pfarrer. Das Urteil des Dresdner Ver-waltungsgerichtes vom 20. Ja-nuar verlangte rückblickend auf 2010 den Schutz der von der JLO angemeldeten De-monstration um jeden Preis. Später legte dasselbe Gericht mit weiteren irrationalen Ent-scheidungen nach, als es die Zusammenlegung der drei an-gemeldeten Nazi-Märsche zu einem einzigen untersagte.Von diesen Urteilen ging ei-ne verheerende Wirkung aus. Stadtverwaltung und Polizei-direktion gerieten in Panik und meinten, ihnen am besten durch möglichst weiträumige Trennung der Lager genügen zu können. Die Elbe wurde in schon fast bemitleidenswer-ter Naivität als Trennlinie de-finiert. Aus Angst verbot die Stadt auf der Altstädter Seite alles, ausgenommen bezeich-nenderweise die CDU-Mahn-wache an der Synagoge und die in den Kirchen. Ohne die erkrankte Oberbürgermeiste-rin Helma Orosz fand sich au-ßerdem in der hilflosen Bür-germeisterriege niemand, der mit Blick auf den 19. Fe-bruar ein klares politisches

Bekenntnis zum Widerstand gegen die Nazi-Instrumenta-lisierung Dresdens abgeben wollte. Es hätte ja als rechts-widriger Aufruf zu Blockaden gedeutet werden können.Ein solches Trennungsge-bot aber ist weder in Dres-den noch anderswo durchzu-setzen. Solange die ärgsten Verfassungsfeinde von der Verfassung geschützt mar-schieren dürfen, werden sich aufrechte Bürger dagegen empören und ihre Empörung nicht nur in der risikolosen Distanz einer Menschenket-te zeigen wollen. Und auf un-widerstehliche Weise werden solche Provokationen die Ra-dikalen im linken Spektrum anziehen, die ihre Kräfte gern sowohl mit den braunen Nati-onalisten als auch mit der Po-lizei messen wollen. Dass sie mit Steinwürfen und brennen-den Barrikaden disziplinierten Blockierern in den Rücken fal-len, scheint sie dabei nicht zu interessieren.»Wir kriegen kein flächen-deckendes Sicherheitskon-zept hin«, musste Polizei-präsident Dieter Hanitsch am Tag danach einräumen.

Ein Schritt nach vorn, drei zurückDie Staatsregierung will eine Staatsmodernisierung auf den Weg bringen. Wie schon bei der geplanten Reform der sächsi-schen Polizei, zäumt die Regie-rung das Pferd von hinten auf. Es gibt keine klare Aufgabenkritik und keine Analyse, warum wel-che Behörde nach welchem Ort verschoben wird. Die Regierung entscheidet ad hoc über Schlie-ßungen, Verlagerungen und Zu-sammenlegungen. Einst haben sich Verwaltungsbezirke danach gerichtet, wie schnell ein Bürger die Verwaltung erreichen konnte. Unter den heutigen Vorausset-zungen von Mobilität, Flexibilität und technischem Fortschritt bei der Kommunikationstechnik sind nun überwiegend andere Anfor-derungen an die Verwaltungsor-ganisation zu stellen. Dennoch ist ein Umbau stets unter Beach-tung der Bedürfnisse der Men-schen vorzunehmen und nicht ausschließlich unter fiskalischen oder demografischen Faktoren. In der letzten Legislaturperiode haben wir im Landtag ausführlich unseren Vorschlag zur Einrich-tung eines sachsenweiten Net-zes von Bürgerämtern im Sinne von Servicezentren vorgestellt. Meiner Auffassung nach sollte es unabhängig davon, wer laut Gesetz für die Bearbeitung zu-ständig ist – ob der Landkreis, die Stadt, ein Zweckverband oder der Staat – einen einheitli-chen, bürgerfreundlichen Anlauf-punkt geben. So wie es in den Großstädten Leipzig und Dres-den längst erfolgreich gehand-habt wird. Diese Anlaufpunkte sollten so über das Land verteilt werden, dass Wege entstehen, die tatsächlich zumutbar sind.

Fortsetzung auf Seite 3

Page 6: Links! Sachsen 3 2011

Seite 2Sachsens Linke! 3/2011

MeinungenGlossiert

ImpressumSachsens Linke! Die Zeitung der Linken in SachsenHerausgeber: DIE LINKE. SachsenVerleger: Verein Linke Kultur und Bildung in Sachsen e.V., Großenhainer Str. 101, 01099 Dresden

Namentlich gekennzeichne-te Beiträge geben nicht un-bedingt die Meinung der Re-daktion wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinnwahrende Kürzungen vor. Termine der Redaktionssit-zungen bitte erfragen.Die Papierausgabe wird in der Lausitzer Rundschau Drucke-rei GmbH in Cottbus in einer

Auflage von 17.650 Exp. ge-druckt.Der Redaktion gehören an: Ute Gelfert, Jayne-Ann Igel, Tom Schumer, Rico Schubert, Antje Feiks (V.i.S.d.P.), Jörg Teichmann, Ralf Richter Bildnachweise: Archiv, iStockphoto, pixelio

Internet unter www.sach-sens-linke.deKontakt: [email protected]. 0351-8532725Fax. 0351-8532720

Enrico Hilbert zu Cornelia Falken „Wir brauchen im Parlament Erneuerung und Erfahrung“ in Sachsens Linke 1-2 /2011

Erstaunt hat mich mit welcher Inbrunst der Artikel, indem die Partei selbst und außerpar-lamentarische Fragen über-haupt keine Rolle spielen, ge-schrieben wurde und mit wie wenig Phantasie. Irritiert hat mich überdies der Zeitpunkt, als ob es keine anderen Prob-leme und Notwendigkeiten gä-be. Aus der Sicht von Frau Fal-ken ist er mir jedoch trotzdem verständlich und sie hat sicher im Einvernehmen mit zahlrei-chen anderen hochdotierten Parlamentariern gehandelt. Um so mehr hatte mich der Beitrag von Genossin Gläß an-geregt, mit meinen Gedanken in alten Zeiten zu schwelgen. In den Jahren des Anfangs der Partei (SED-PDS, PDS) gab es hitzige Diskussionen um Amt, Mandat, Begrenzung und ge-gen Dopplung, Partei oder Bewegung. Damals war bei den Sozialisten kaum Geld zu verdienen und trotzdem hat-te ich den Eindruck, daß vie-le Genossinnen und Genos-sen angehalten waren mit zu tun, bei allen Fragen sich ein-zumischen, und Ideen einzu-bringen. Lang, lang ist s her...?! Nein Cornelia Falken, die schein-bare Analyse und Plausibili-tät der im Artikel benannten Argumente greift nicht! (z.B. ging die Partei nicht unter als nur noch zwei Abgeordnete der LINKEN in Deutschland ih-re Stimme im Bundestag lie-hen.) Es ist platt und ohne jeg-liche Phantasie, zu behaupten es geht nur so, wie es alle an-deren auch tun! Namhafte Lin-ke die einst viele Menschen begeistern konnten für eine sozialistische Idee waren nie-mals Abgeordnete und zahlrei-che Abgeordnete lockten und locken heute keine Menschen-seele aus der warmen Stu-be auf die Straße, geschwei-ge denn, daß sie Begeisterung hervorrufen könnten und ver-dienen Geld mit Politik im Par-lament. Wäre es nicht eine lohnenswerte und spannende Aufgabewenn alle Tage überall Menschen dadurch, daß sie so

Basisgruppe Arnsdorf, Jo-chen Tannigel : Das Ge-sicht der Basis zuwenden!In seinem Artikel zur Vorstel-lung des Projektes »links!« fordert Peter Porsch auf: »Je-de Leserin , jeder Leser kann jetzt ergänzen... Tatkräftiges, offenes, streitbares Mitschrei-ben ist gefragt. Unsere Ba-sisgruppe unterstützt diese Aufforderung, indem wir in un-serem Ort in der Öffentlichkeit politisch wirken, obwohl die meisten unserer Mitglieder bereits im höheren Rentenal-ter stehen. Erfolg konnten wir mit der Werbung von Abo-nennten des Magazins »clara« erzielen. In unserer Mitgieder-zeitung »Links« wünschen wir uns einen lebendigen, konkre-ten und bereichernden Erfah-rungsaustausch über Inhalt und erfolgreiche Methoden der politischen Arbeit von Ba-sisgruppen in der Öffentlich-keit, vieleicht in einer ständi-gen Zeitungsrubrik »Aus der Parteibasis? Natürlich kann unsere Zeitung so eine Rubrik nur einrichten, wenn sie Zu-schriften aus den Basisgrup-pen erhält. Ein weiteres Problem: Vie-le Mitglieder und Sympathi-santen der Linken sind weit-gehend darauf angewiesen, sich in Fernsehen oder Tage-zeitungen über die Aktivitä-ten des Bundesvorstandes der Linken und der Bundes-tagsfraktion zu informieren. Deshalb schlagen wir vor, in unserer Zeitung regelmäßig auch ausgewählte Informatio-nen aus dem Bundesvorstand und der Bundestagsfraktion zu veröffentlichen.

Immo Haensch per MailHerzlichen Glückwunsch zur ersten Ausgabe der neuen Zei-tung. Ich habe sie mit großen Interesse gelesen. Weiter so.

Bodo Schulz schrieb:Letzte Woche bekam ich die neue Ausgabe von »Links« zu-gesandt, ehemals »so!« oder auch »!« – worüber ich mich übrigens immer sehr freue, auch für mich als Nicht-Par-teimitglied eine immer lesens-werte, interessante Lektüre.Überrascht war ich dann aller-dings, heute dieselbe Zeitung noch mal zugesandt zu be-kommen – beide unterschei-den sich nur bei den letzten beiden Seiten.Von der Ausgabe die ich heute zugesandt bekommen habe, habe ich mal den WikiLeaks Artikel ausgeschnitten, weil ich damit inhaltlich nicht ein-verstanden bin.Das Credo von Julius Cäsar lässt mich dann doch fragen, ob er das vor oder nach sei-ner Ermordung durch seinen Sohn gesagt haben soll? Nun wenn die Schere im Kopf ei-nes Guido Westerwelle derart fehlt, das er seine Partei mit unpassenden Ausführungen zu »spätrömischer Dekadenz« zumindest kurzfristig bei Um-fragen unter 5 Prozent drückt, dann wird da auch kein WikiLe-aks mehr helfen.Und er bleibt an der Macht kle-ben wie heute Hosni Muba-rak...Dem Thomas Dudzak muss man schon vorwerfen, sich nicht ausreichend Gedanken zum Thema Journalismus ge-macht zu haben. Der eigentli-che Verdienst von WikiLeaks besteht doch darin, auf erheb-liche Kriegsverbrechen der US-Amerikaner aufmerksam gemacht zu haben, im Irak als auch in Afghanistan.In der jetzigen Situation der offensichtlich konstruierten Verfolgung des WikiLeaks- Be-gründers wirkt dieser Artikel jedenfalls offen entsolidari-sierend.

Steffen Name, Hennigs-dorf per Mail mit einem Be-richt aus Dresden

Als auf der Augustusbrücke ab ca. 15:00 Uhr schon verein-zelt Personen passieren konn-ten teilte mir ein verantwort-licher Einsatzleiter, ein junger Polizeikommissar vom Polizei-revier Dresden-Blasewitz, auf zweimaliges Nachfragen wort-wörtlich mit: »Ver.di-Mitglie-der kommen bei mir hier nicht durch. Sie dürfen aus Sicher-heitsgründen die Brücke nicht passieren, da für die Dresd-ner Altstadt ein generelles Veranstaltungsverbot ausge-sprochen wurde.« Unabhängig davon, woher dieser Beam-te wissen wollte, dass wir ei-ner Veranstaltung beiwohnen wollten, ist es für mich als Ge-werkschaftsmitglied unerträg-lich, im Jahr 2011 in Deutsch-land an der Ausübung meines im Artikel 8 des Grundgeset-zes verankerten Grundrechts behindert zu werden. Ich finde es unmöglich, dass sich hier die Politik in schäbiger Art und Weise drückt, insbesondere die Dresdner Stadtverwaltung bis zur Oberbürgermeisterin, und die Verantwortung dele-giert. In guter deutscher Tra-dition wurde selektiert, Gott gleich, denn es war nicht zu übersehen, wie dieser Beam-te seine Macht genoss, denn während wir am Passieren der Brücke gehindert wurden, durften Dutzende von Men-schen an dieser Stelle über die Brücke gehen.

Horst Szczodrok zur letz-ten Ausgabe Schlaglöcher:

Wenn ich mir das Löcherkitten ansehe, da wird mir schlecht. Das Geld wird nie reichen, wenn man immer wieder den billigsten nimmt und nicht den mit Fachkompetenz. Die Lö-cher werden nicht gereinigt, Wasser entfernt, nicht vor-gewärmt, sondern nur etwas reingepappt, wie soll das hal-ten, reine Geldverschwen-dung.

Das RätselVon Stathis Soudias

Ein Schwan, der in Selbstmit-leid versinkt. »… und ich wün-sche alles Gute und viel Glück ihm selbst und seine Familie«. Dem sei nichts hinzu zu fügen. Doch politisch ist die Affäre noch lange nicht abgeschlos-sen. Denn die Kanzlerin so ziemlich alle mit Füßen tritt. Sie zertrümmert genau das, was sie für sich und ihre Partei in Anspruch nimmt und ad ab-surdum führt: mit einem Voka-bular der Dolchstosslegende: »Keiner muss die CDU an Ehre und Anstand…«! Dazu erlaube ich mir eine klei-ne Episode einzufügen. Nen-nen wir sie »Oder an Angela«:Die Sitzung hatte noch nicht angefangen als ein Fremder den Raum betrat. Er sah sich um und fragte: „Sind sie alle-samt anständige Menschen?“ Wir sahen uns an. Stirnrun-zeln. „Ja, das sind wir“, ant-worteten einige. „Ich glaube ihnen, aber, können sie das auch beweisen? Haben sie da-rüber einen Ausweis?“ „Was für einen Ausweis?“ Alle sahen den Fremden an. „Einen Aus-weis, der amtlich, mit Stempel und Gebührenmarke ihre An-ständigkeit bestätigt“. „Nein, haben wir nicht. Wir haben die verschiedensten Ausweise, denken sie nur nicht, dass in diesem Land Menschen leben, die keinerlei Ausweise haben. Eigentlich kann man sogar sa-gen, dass wir mit Ausweisen ganz gut bedient sind. Aber, einen solchen Ausweis gibt es nicht“. „Nicht? In Deutsch-land wird per Gesetz geregelt. Und wenn kein Gesetz, dann Verordnungen, Richtlinien, Dienstanweisungen. Daher brauchen sie Ausweise, wel-che die Anständigkeit beschei-nigen. Wie sonst können sie überall und jederzeit Ihre An-ständigkeit beweisen?Betretenes Schweigen.Liebe Jana, meine Erzählung ist eine wah-re. Genauer gesagt, sie ist eine wahrhaftig geklaute, ein Plagi-at. Solltest du -oder irgendein Leser- mir sagen können, von wem ich geklaut habe, winkt ein Abendessen mit mir!

intensiv eingebunden werden, ihr Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen? Anstatt al-so, abzulehnen, was nur aus Sicht eines bezahlten Politi-kers unmöglich erscheinen kann (Begrenzung der Man-datszeit), ist es gerade unse-re Aufgabe das Unmögliche in die Tat umzusetzen.

Dioxinskandal:Es stellt nur eine Profilierung der Verbraucherministerin und der Industrielobby dar, än-dern wird sich nichts, ohne ei-nes scharfen Strafkatalogs bis zur ersatzlosen Enteignung! Selbstkontrolle funktioniert in diesem lande nicht!

Atomstromlobby:Aussage der Bundeskanzlerin, Bundeswirtschafts- und Bun-desumweltministers:»Atomkraftwerksverlänge-rung ist erforderlich um die Strompreise stabil zu halten und den finanziellen Ausbau der erneuerbaren Energien durch die Energiewirtschaft zu sichern«Wirklichkeit: Strompreise steigen und den Ausbau von erneuerbaren Stromerzeu-gungen finanziert der Verbrau-cher.

Bahn AG:Wegen angeblich fehlenden Mitteln sind die Winter- und Sommerpannen entstanden, nun Geschrei nach Mitteln vom Bund. Wie kann man Aus-schüttungen ausführen und die Sicherheit vernachlässi-gen, handelt es sich hier nicht um eine strafbare Handlung!

Page 7: Links! Sachsen 3 2011

Seite 3 3/2011 Sachsens Linke!

Fortsetzung von Seite 1 »Die Rechtssprechung stimmt mit der Lebenswirklichkeit nicht mehr überein«, fügte er hinzu. Wenn das schon ein Po-lizeipräsident oder sinngemäß auch die ehemalige Präsiden-tin des Zentralrats der Juden Charlotte Knobloch sagen, wie soll dann die große Mehr-heit der Bürger solch irrationa-le Rechtssprechung nachvoll-

ziehen?Was die Polizei aus diesem Di-lemma machte, ist nicht gene-rell zu verurteilen. Es gab prä-ventiv viel zu harte Übergriffe und sinnlose Anordnungen, wenn Busse schon auf der Au-tobahn festgehalten wurden. Und es gab die Rambos vom Sondereinsatzkommando des Landeskriminalamtes, für die der Hauptfeind immer links

steht und folglich im gesamten Dresdner Haus der Begegnung zu finden ist. Aber man konnte auch kluge Einsatzleiter wie et-wa am Müllerbrunnen in Plau-en beobachten, die mit gerade zwei Hundertschaften tausend Nazis in Schach hielten.Wenn Innenminister Markus Ulbig (CDU) jetzt über das Ver-sammlungsrecht und ein Dres-den-Konzept reden will, ist das

nicht nur eine Watsche für die unfähige Stadtspitze, sondern auch ein richtiges Vorhaben. Denn das schwarz-gelbe Ver-sammlungsgesetz hat sich endgültig als Placebo erwie-sen. Was Innenstaatssekretär Michael Wilhelm nur andeu-tet und noch niemand laut sa-gen will: Es muss dabei auch um ein mögliches Verbot des JLO-Aufmarsches etwa nach

dem Modell des Wunsiedel-Urteils gehen. Und es müssen zivilgesellschaftliche Institu-tionen wie etwa »Bürger Cou-rage« oder »Dresden Nazifrei« einbezogen werden. Wenn das verbleibende Jahr nicht genutzt wird, könnte Dres-den an seinem wichtigsten Gedenktag 2012 wieder zum Schlachtfeld werden.Mark Spitz

Dresden im FebruarVerhinderter Naziaufmarsch in Dresden. Sie kamen nicht durch: Dank Euch!

Der für den 19. Februar geplan-te Nazi-Aufmarsch in Dresden konnte auch in diesem Jahr wieder erfolgreich verhindert werden. Viele tausend Men-schen blockierten an wich-tigen Schlüsselpunkten die Marschrouten der Faschisten. Ich danke allen, die sich trotz des kalten Wetters so zahl-reich an den friedlichen Blo-ckaden beteiligt hatten. Das zeigt, dass Zivilcourage das schaffen kann, wozu säch-sische Politik und Dresdner Stadtverwaltung nicht in der Lage waren. Ich freue mich sehr, dass die Dresdnerinnen und Dresdner dabei von so vielen Genossinnen und Ge-nossen aus Sachsen und aus anderen Bundesländern tat-kräftig unterstützt wurden.

SEK-EinsatzIndes am Abend, nach En-de der erfolgreichen Protest-aktionen, stürmte plötzlich ein Sondereinsatzkomman-

do (SEK) der Polizei in voller Kampfausrüstung das »Haus der Begegnung« in Dresden. Dabei wurden sämtliche Tü-ren des Hauses aufgebro-chen, eingetreten oder aufge-sägt. Betroffen waren u.a. die Dresdner Geschäftsstelle der LINKEN, eine Rechtsanwalts-kanzlei, eine Privatwohnung und verschiedene Vereinsräu-me. Der (mündliche) Vorwurf lautete Verdacht auf Land-friedensbruch und Bildung ei-ner kriminellen Vereinigung. Eine schriftliche Durchsu-chungsanordnung konnten die Polizisten jedoch nicht vorle-gen. Die zum Zeitpunkt der Erstürmung im Haus anwe-senden 15 Personen wurden vorübergehend festgenom-men. Diese Personen, dar-unter teils ältere Genossen, wurden nicht einmal über ihre Rechte belehrt. Das SEK agierte wie ein über-motiviertes Überfallkomman-do, und das offensichtlich oh-ne Einsatzleiter. Ein sich als solcher bezeichnender Beam-ter erschien erst Stunden spä-ter auf Forderung eines anwe-senden Rechtsanwaltes vor Ort, und seine Erklärungen wa-ren mehr als dürftig. Im Nach-hinein stellte sich obendrein heraus, dass sich die Polizis-

ten offenbar in der Hausnum-mer irrten. Die richterliche (mündliche) Durchsuchungs-anordnung bezog sich auf die Großenhainer Str. 86a, das Haus der Begegnung hat aber die Nr. 93. Im Ergebnis dieses offenbar völlig fehlgeschlagenen Ein-satzes des Landeskriminal-amts (LKA) bleiben Fragen offen: War das LKA eventuell Erfüllungsgehilfe des Sächsi-schen Verfassungsschutzes? War der Einsatz des SEK nach Lage der Dinge wirklich ver-hältnismäßig? Wer trägt hier-für die Verantwortung? Diesen völlig überzogen Po-lizeieinsatz und die dabei an-gewandten unverhältnismäßi-gen Mittel werden wir LINKEN uns nicht gefallen lassen. Dar-über wird politisch, parlamen-tarisch und juristisch noch zu sprechen sein!In unserem Kampf gegen Neo-nazis werden wir uns außer-dem davon nicht einschüch-tern lassen. Aus diesem Grund werden wir, wenn notwendig, auch nächstes Jahr in Dresden auf die Straße gehen und fried-lich protestieren - bis endlich Nazi-Aufmärsche in Dresden Geschichte sind!Rico Gebhardt

»Laut LKA liefen keine Ermittlungen«Die Polizeiaktion gegen das »Haus der Begegnung« am Abend des 19. Februar löste ei-nen Sturm der Empörung aus. Sachsens Linke! sprach mit den beiden Vorsitzenden des Vereins Roter Baum e. V., Mar-tin Krappmann und Anne Gie-land, sowie mit der Geschäfts-führerin Anja Stephan. Sie alle mussten das brutale Vorgehen der Polizei miterleben.

Welcher Begriff passt am besten auf das Vorge-hen der Polizei – „Razzia“, „Durchsuchung“, oder gar „Überfall“? Anja Stephan: Die unverhält-nismäßige Härte der Stürmung unseres Jugendhauses legt Be-griffe wie Razzia und Überfall schon sehr nahe. Dass dieses Haus ein öffentlich gefördertes Jugendfreizeitzentrum ist, woll-ten oder konnten die Beamten trotz der offensichtlichen ju-gendspezifischen Einrichtung und unseren deutlichen Aus-sagen mehrere Stunden lang nicht verstehen. Mit roher Ge-walt und unter unwürdigen Be-dingungen wurde gegen die jungen Menschen im Haus und gegen sämtliches im Weg ste-hendes Inventar vorgegangen.

Wie geht es den durch die massive Polizeigewalt ver-letzten Personen? Anne Gieland: Alle Betroffe-nen sind vorerst versorgt. Das „Bündnis Dresden Nazifrei“ hat uns ebenso wie viele ande-re Organisationen juristischen Beistand angeboten. Zwei der Betroffenen mussten im An-schluss an die Polizeiaktion in einer Klinik behandelt werden. Um die körperlichen Schäden machen wir uns allerdings we-niger Sorgen als um die blei-benden seelischen Schäden. Wir werden hier in enger Ab-sprache mit den unrechtmäßig Festgenommenen prüfen, wel-che rechtlichen Schritte wir ge-gen Polizei und den Freistaat Sachsen einleiten werden.

In den Zeitungen wurde eu-er Verein mit dem Verdacht auf „schweren Landfrie-densbruch“ und „Bildung einer kriminellen Vereini-gung“ konfrontiert. Ist die

Staatsanwaltschaft inzwi-schen offiziell an euch her-angetreten?Martin Krappmann: Laut Aus-sagen von LKA und Staatsan-waltschaft liefen zu keinem Zeitpunkt Ermittlungen gegen unseren Verein. Dass heißt, dass entweder nicht richtig recherchiert oder aus politi-schem Interesse heraus be-wusst gegen uns berichtet wurde. Leider steht eine öffent-liche Erklärung von Seiten der Staatsanwaltschaft oder des LKA noch aus.

Was sagt ihr zu den oben genannten Vorwürfen?Martin Krappmann: Wir halten diese für vollkommen absurd. Wenn bei dem Polizeieinsatz nicht Menschen, unser Jugend-haus und unser Verein Schaden genommen hätten, könnten wir uns glatt darüber amüsieren, dass man davon ausgeht, man könne mehr als tausend angeb-liche autonome Gewalttäter an einem Tag wie dem 19.02.2011 in Dresden zentral lenken und steuern. Der friedliche Aufruf des „Bündnis Dresden Nazi-frei“, dem sich viele tausende Menschen anschlossen, soll hier gezielt kriminalisiert und mit Repressionen versehen werden. Speziell das Jugend-haus wurde in diesen Tagen von jungen Sanitätern genutzt, wel-che die Demonstrationen be-gleitet haben, um eventuellen Verletzten unparteiisch und eh-renamtlich zu helfen.

Beim Sturm der Polizei ent-stand im Haus der Begeg-nung erheblicher Sach-schaden. Wer muss nun dafür aufkommen? Ist eu-re Arbeitsfähigkeit gefähr-det?Anja Stephan: Unsere Arbeits-fähigkeit ist im Moment massiv beeinträchtigt, wir hoffen da-her auf viele Spenden und an-derweitige Unterstützung. Wer für den entstandenen Schaden dann letztendlich aufkommt, ist leider noch offen. Von der breiten Anteilnahme und den Solidaritätsbekundungen uns gegenüber sind wir sehr be-rührt und danken allen, die uns bisher geholfen haben.

Spendenkonto: Jugendverein »Roter Baum« e.V. Bank für SozialwirtschaftBLZ 850 205 00Konto 3 577 200

Page 8: Links! Sachsen 3 2011

Seite 4Sachsens Linke! 3/2011

ProgrammdebatteSachliche, basis-demokratische Debatte?Nun also haben wir einen kon-kurrierenden Entwurf, nicht aber einer ideologischen Plattform innerhalb der LIN-KEN, sondern von nur zwei Personen. Das Besondere ist, diese zwei Personen ge-hören zum geschäftsführen-den Parteivorstand, der gera-de hauptverantwortlich ist für die Organisation einer breiten demokratischen Debatte zum vorliegenden Entwurf. Natür-lich könnte theoretisch jedes der ca. 75.000 Mitglieder sei-nen eigenen Entwurf der Re-daktionskommission zuleiten - ohne viel »Tamtam«. Aber wenn zwei das Gleiche tun, ist es lang nicht dasselbe! Die Medienreaktion zeigt es. Die bisherige Debatte war und ist - wenn man von den profilneurotischen Vortra-gungsarten einiger Einzel-personen absieht - alles noch Wortmeldung in einem er-gebnisoffenen Diskussions-prozess. Auf dem Programm-konvent in Hannover wurde ein erster Versuch unternom-men, die Vielfalt der Debat-te öffentlich zu machen und gleichzeitig zu zeigen, dass darin Einheit und Geschlos-senheit zu finden ist. Auch ich schrieb danach in »Sachsens Linke« im Dezember, dass Ei-nigung möglich sei. Diese Zu-versicht war nicht überall. Der Beschluss 07-2010 des neu gewählten Parteivorstan-

Programmdebatte in ChemnitzDie über 40 Mitglieder des Ortsverbandes Sonnenberg in Chemnitz, haben intensiv die Diskussion zum Entwurf des Parteiprogramms geführt. Grundsätzlich stimmt uns der Entwurf in seinen Grundaus-sagen optimistisch für die Be-stimmung unseres Standpunk-tes und über die aufgezeigten Schwerpunkte künftiger ge-sellschaftlicher Entwicklun-gen. Vor allem begrüßen wir die klaren Aussagen und For-derungen nach Vergesell-schaftung von Schlüsselbe-reichen der Wirtschaft sowie einer sozialistischen Perspek-tive in unserem Land.Von ganzem Herzen stützen wir die Forderung nach kon-sequenter Ablehnung von Mili-täreinsätzen und einer Abkehr von der NATO. Denn Kriege lösen keine Probleme – sie schaffen neue und weiter ver-schärfende Probleme(siehe Irak und Afghanistan; wobei zu beachten ist, dass sie mit faustdicken Lügen begonnen wurden!). Was wir für die notwendi-gen Veränderungen im Lande brauchen, ist eine klare lin-ke Alternative, die frei ist von faulen Kompromissen zur Er-langen von Regierungsbeteili-gungen. Deshalb erwarten wir auch, dass die Bedingungen für mögliche politische Betei-ligung an der Macht eindeu-tig definiert werden und um deren Erhaltung im Program-

mentwurf gestritten wird.Wir erwarten ein Bekenntnis gegen Sozialkürzungen, gegen Privatisierungen staatlicher und kommunaler Einrichtun-gen und gegen Arbeitsplatzab-bau im öffentlichen Dienst.Stärker sollte im Programm die Notwendigkeit des außer-parlamentarischen Kampfes im Bündnis mit anderen pro-gressiven Kräften für unse-re gesellschaftspolitischen Zielsetzungen hervorgeho-ben werden. Parlamentari-sche Kompromisse dürfen nur unter strikter Einhaltung der Grundforderungen aus Wahl-programmen geschlossen werden. Regierungsbeteili-gungen um deren Selbstwillen sind auszuschließen.Der Entwurf sollte hinsichtlich unserer Begrifflichkeiten über-arbeitet bzw. unter Beachtung historischer Wahrheiten dif-ferenzierter ausgestaltet wer-den. Dies mit Blick auf Ver-brechen, Unrechtsstaat und Nationalsozialismus. Zu Letz-terem: er war weder national noch sozialistisch – es war ge-wöhnlicher Faschismus.Äußerst bedenkenswert er-scheint auch eine ausgewo-genere historische Bewertung der Entwicklungen in Ost und West auf dem Hintergrund der Nachkriegsentwicklung und der unmittelbaren Machtaus-übung der vier Siegermächte und den damit verbundenen Entscheidungen für die poli-tische, wirtschaftliche, sozia-le und kulturelle Entwicklung beider deutschen Staaten. Jens Heydecke

des war nicht angetan eine von breiter demokratischer Teilhabe gekennzeichnete Programmdebatte weiter zu befördern. Es war kein neu-er Programmentwurf vor dem Leitantrag zum Bundespar-teitag mehr zu erwarten, da-durch gab es Befürchtungen, es könnten Zuarbeiten »un-ter den Tisch« gefallen lassen werden. Der Prozess wurde intransparenter, der neu ge-bildeten Redaktionskommis-sion wurde wenig zugetraut. Beiträge wurden über den Sommer intensiver und aus-gefeilter. Der neue Parteivor-stand scheint genau all dies zu spiegeln.Die beiden Autoren legen ei-ne einfache Zuarbeit vor, ih-rer erreicht nicht einmal das Niveau des offiziellen Ent-wurfs. Sie entwickeln rich-tigerweise das Problem der digitalen Welt, die neue Ar-beitswelt und den »demokra-tischen Sozialismus« intensi-ver. Das sind Bereicherungen die aber schon längst in die Debatte eingespeist waren. Bedurfte es also der Zuspit-zung durch einen öffentlich gemachten konkurrierenden Programmentwurf? Neben wirklich guten Ausfüh-rungen, denen man den Ein-gang in einen überarbeite-ten Entwurf wünscht, gibt es aber eklatante Mängel: Wer den Kampf um die Erhaltung des Sozialstaates des spä-ten 20. Jahrhunderts missver-steht als »Beibehaltung der Bismarkschen sozialen Siche-rungssysteme des 19. Jahr-

hundert«, hätte besser sich zur Sozialpolitik gar nicht ge-äußert. Die Ursachen für Po-litikverdrossenheit und die neue Qualität des Imperialis-mus werden verseichtigt. Au-ßer einem schönen Ziel, wo-für die LINKE kämpft, sind alle prüfbaren Kriterien für »er-folgreiche« linke Politik raus (Reformalternativen). We-der Mindestlohn noch (politi-scher) Streik finden sich! Das kann nicht als »Versehen« ab-getan werden. Daneben über-nehmen die beiden Autoren auch bereits problematisierte Passagen des offiziellen Ent-wurfs unkritisch wie den un-genauen Sprachgebrauch bei der Geschichtsbetrachtung. Die uns bereits auf die Füße fallende Problematik von Be-rufspolitik und Ehrenamt fehlt ebenfalls nun völlig.Eines sei den beiden Autoren »ins Stammbuch geschrie-ben«: Antoine de Saint-Exupé-ry sagte nicht, dass die Schiff bauenden Männer nicht jene handwerklichen Fähigkeiten bräuchten, um ihrer Sehn-sucht nach dem Meer Gestalt geben zu können. Wir sind wieder bei ganz alten Debat-ten – Vision und praktische Politik zu verbinden, glaub-haft für die Gesamtpartei, für WählerInnen und für die ge-sellschaftliche Auseinander-setzung. Aber dies zu ermög-lichen, zu organisieren, dazu sind sie eigentlich im Partei-vorstand. Die beiden Autoren verstehen ihr (politisches) Handwerk (noch?) nicht!Ralf Becker

Natürlich muss man sich vor »vermeintlich einfachen Lö-sungen« hüten, wie Cornelia Falken in ihrem Beitrag in »SL 1-2 / 2011, S. 6 warnt. »Pro-blematisch« jedoch ist nahe-zu jede »wirkliche Bewegung, die den jetzigen Zustand auf-hebt«. Eine »Beschränkung des Wahlrechtes« aber ist die Mandatsbegrenzung ganz si-cher nicht. Im Gegenteil gibt sie mehr Menschen die rea-le Möglichkeit, auch einmal in ein Mandat gewählt zu werden (passives Wahlrecht wird al-so für mehr Menschen Tatsa-che!). Der Einzelne allerdings, wird nicht mehr ständig wie-dergewählt. Warum auch, es gibt genug andere ebenso klu-ge Köpfe. Das ist echte demo-kratische Teilhabekultur, die ja DIE LINKE auch in ihrem neuen Programm weiterhin vertreten will. Wohin die Berufspolitik in-des führt, sahen wir an 40 Jah-ren Sozialismusversuch in der DDR und sehen es nunmehr

seit über 60 Jahren in der BRD.Das Grundproblem einer auf die Errichtung des »demokrati-schen Sozialismus« gerichtete Bewegung und Partei ist nicht »eine möglichst kompetente und schlagkräftige Fraktion«. Es geht politisch primär dar-um, Geburtshelfer einer neu-en gesellschaftlichen Hege-monie zu sein. Dem muss die parlamentarische Tätigkeit un-tergeordnet werden. Die »rea-le Entwicklung« von 20 Jahren tatsächlicher »Schlagkraft« zeigt ohnehin erhebliche Defi-zite und Einbrüche in Sachsen wie auf Bundesebene. Hier sind wir erst am Anfang ei-ner ehrlichen (Wahl-) Analyse. Selbstüberhebung von Parla-mentariern ist das Letzte, was hier gebraucht wird. In den zu-rückliegenden 20 Jahren wur-de deutlich, wie wenig eine lin-ke Landtagsfraktion bewirken kann in dieser staatsrechtli-chen Konstruktion und dem neoliberalen Machtgefüge.

Netzwerke, um die sich Cor-nelia Falken bemüht, müssen daher so aufgebaut sein, dass sie eben gerade ohne weiteres an »Nachfolger« übertragbar sind. Hier offenbart sich ein Kernproblem des Demokratie-verständnisses der LINKEN: Wenn diese Netzwerke auf den Mandatsträger selber fixiert sind, dann sind sie falsch auf-gebaut! Die Kunst ist, sie als selbsttragende, in die Gesell-schaft hineinwirkende, expan-sive Strukturen aufzubauen. Wie schnell ein »Nachfolger« Anschluss findet, ist gerade Ausweis guter Arbeit seines Vorgängers! Bisher wurde ge-nau hier wenig bewusst bzw. gar nicht gearbeitet. Hier fehlt also noch Kompetenz! Aber genau hier ließe sich Professi-onalität vervielfachen, also für die Partei gewinnen! Dann be-kommen wir auch die richtigen Erfahrungen (Plural!) ins Par-lament. »Absurd« ist einzig die personelle Alternativlosigkeit,

die Falken da argumentiert. Denn niemand soll ja nach dem Diätmandat »in der Ver-senkung verschwinden«! Das beweisen ja die vielen Ehren-amtlichen, ohne die es gar kei-ne Mandate gäbe. Es geht um das Verhältnis von ehrenamt-licher und bezahlter Politik, um außerparlamentarische und parlamentarische Politik. Wenn diese »Sphären » in der bestehenden relativen perso-nalen Trennung bleiben, wird es keine »Demokratisierung der Demokratie« geben.Und deshalb kurz und scharf: Alle von Falken namentlich Genannten (und noch mehr) sollten 2013, 2014 zum En-de ihrer laufenden Wahlperio-de ihr Mandat geordnet abge-ben. Zeit ist (noch) genug!Das aber liegt v. a. in der Hand der aufstellenden Gremien, die mit ihrer Entscheidung dem aufgeklärten Demokratiever-ständnis der Programmatik auch in Kandidatenentschei-

dungen zum Durchbruch ver-helfen müssen. Die Genann-ten können aber auch einfach auf eine Wiederkandidatur aus demokratischer Gesin-nung und aus Achtung vor ih-ren GesinnungsgenossInnen verzichten! Professionelle Po-litik ja, durch mehr Beteiligte - Berufspolitiker(innen) nein! Mandatsbegrenzung ist dafür ein wesentliches Steuerungs-element der demokratischen Kultur, weitere sind notwen-dig.Auf die Ausführungen zu Me-dienreaktion, »Verschwen-dung« und »parlamentarische Selbstenthauptung« gehe ich nicht ein, da ich diese nicht mehr als sachlich einstufe! Für mich ist es kein Zufall, dass zu den vehementesten Gegnern der Mandatsbegrenzung Man-datsträger gehören! Befan-genheit ist hier das Stichwort.Ralf BeckerMitglied der Grundsatzkommission

Professionelle Politik durch Mandatsbegrenzung!

Page 9: Links! Sachsen 3 2011

Seite 5 3/2011 Sachsens Linke!

Zum Jahreswechsel haben vie-le Stromanbieter ihre Preise erhöht. 25 Millionen Privat-haushalte müssen im Durch-schnitt 7 Prozent mehr für Strom bezahlen. Immer mehr Menschen mit geringen Ein-kommen können sich die ho-hen Energiekosten nicht mehr leisten. Energie-Armut ist ein immer weiter verbreitetes Phänomen. Gerade im Win-ter heißt das für viele : Frieren oder Essen?Doch die Bundesregierung tut nichts gegen die Energie-Armut. Im Gegenteil: Mit dem Sparpaket wurde der Heiz-kostenzuschuss beim Wohn-geld gestrichen. Nicht ganz so bekannt ist, dass der Ener-gieanteil im ALG 2-Regelsatz im Bundesdurchschnitt um 22 Prozent unter den realen Stromkosten liegt. In Sachsen übersteigen die Stromkosten das Hartz IV-Energiebudget sogar um 30 Prozent! Überteuerte Energiepreise tragen gerade bei einkom-mensschwachen Haushalten oft zur Überschuldung bei. Ein Wechsel zu einem eventu-ell günstigeren Stromanbieter bleibt vor allem Erwerbslosen häufig verwehrt. Denn viele Anbieter knüpfen die Strom-lieferung an die Zahlungsfä-higkeit ihrer Kunden. Die Fol-ge: Nach Schätzungen des Bundes der Energieverbrau-cher wurde allein im Jahr 2009 in ca. 840.000 Haushalten Strom oder Gas widerrecht-lich gesperrt.Nun soll ausgerechnet die Ökostrom-Abgabe als Sün-

denbock für die exorbitanten Preiserhöhungen herhalten. Doch was die Strompreise in Wirklichkeit hochtreibt sind die Marktmacht der vier gro-ßen Stromkonzerne und die Spekulationen an der Strom-börse. Seit der Abschaffung der Strompreisaufsicht sind die Preise rasant in die Höhe geschnellt – trotz kräftig ge-sunkener Großhandelspreise für die Stromlieferanten. Die großen Energieunternehmen fahren seit Jahren zu Lasten ihrer Kunden Milliardenge-winne ein. Nach Berechnun-gen des Umweltbundesamtes bezahlen Verbraucherinnen und Verbraucher jährlich zwi-schen zehn und fünfzehn Mil-liarden Euro zu viel an die vier Monopolisten. Diese können dadurch Kapitalrenditen von

über 25 Prozent verzeichnen.DIE LINKE will eine bezahlba-re und ökologische Energie-versorgung für alle Menschen gewährleisten. Dazu muss der Strommarkt sozial gerecht, klimaschutzorientiert und ver-brauchergerecht umgestaltet werden. Wir fordern soziale Tarife und eine effektive Preis-aufsicht. Nicht Gewinnmaxi-mierung, sondern Gemein-wohlorientierung muss die Maxime sein. Stromnetze ge-hören in die öffentliche Hand, deshalb setzen uns für die Re-kommunalisierung im Ener-giebereich ein. Denn die Ener-gieversorgung darf nicht zum Luxusgut werden. Caren Lay (MdB), verbraucher-politische Sprecherin der Bun-destagsfraktion und Bundes-geschäftsführerin der LINKEN

Sehr geehrte Frau Kestner,ich woh-ne in ei-ner Woh-nung im sanierten Platten-bau mit einer ein-fachen

Ausstattung. Meine Miete liegt unter 308 Euro, weshalb die AR-GE vor zwei Jahren einem Um-zug auch zugestimmt hatte. Jetzt aber erhielt ich einen Bescheid, in dem mir die ARGE mitteilt, dass ich für die Miete 20 Eu-ro weniger bekommen soll. Ich fragte gleich nach und die Bear-beiterin erklärte mir daraufhin, dass dies so richtig sei, weil jetzt nicht mehr die Angemessenheit der Gesamtmiete entscheidend sei, sondern die Positionen kal-te Betriebskosten, Miete und Heizkosten jeweils gesondert auf „Angemessenheit“ geprüft werden. Da ich sehr darauf ach-te, sehr wenig zu verbrauchen, sind meine Betriebskosten sehr gering. Dafür ist aber die Woh-nungsmiete selbst etwas über dem, was die ARGE nach der neuen Berechnung für ange-messen hält. Ich verstehe das nicht. Soll ich jetzt trotz gleicher Miethöhe wieder umziehen, nur weil die ARGE die Berechnung ändert…? Ihre Sybille L. aus D

Liebe Frau L.,Sie müssen nicht umziehen, Ihre Gedanken hierzu sind völlig rich-tig. Wäre es anders, müssten ALG-Empfänger nach Belieben der ARGE jederzeit mit Absen-kung des Mietzuschusses rech-nen oder umziehen, und das eben auch dann, wenn die Ge-samthöhe für die Wohnkosten gleich geblieben ist. Das macht keinen Sinn. Glücklicherweise sieht es das Bundessozialge-richt in einer neueren Entschei-dung (BSG v. 15.10.10.) genau-so. Das Gericht entschied, dass es bei der Angemessenheits-prüfung eben gerade nicht auf die Einzelpositionen ankommt, sondern allein auf die Angemes-senheit der Bruttokaltmiete. Das kommt besonders Betroffe-nen zugute, die - wie Sie - durch sparsamen Verbrauch sehr ge-ringe Betriebskosten erzeugen. Legen Sie also bitte gleich Wi-derspruch gegen die Entschei-dung der ARGE ein und lassen Sie sich bei Bedarf von einer sachkundigen anwaltlichen Ver-tretung unterstützen.Ihre Marlen KestnerAnwältin für Sozialrecht

Übrigens, auch im Ländsche stehen Landtagswahlen an, am 27. März, heuer inspizierte ich im Städtchen Edenkoben die Plakate, CDU, SPD, FDP ... - sie scheinen allesamt im Zen-trum zu hängen, in der Wein-straße beispielsweise, dem Herz des Ortes, das haupt-sächlich dem Wein verpflich-tet (hier befindet sich das größte zusammenhängende Weinanbaugebiet in Deutsch-land) und sich ob einer priva-ten Initiative auch zur Bücher-stadt gemausert hat. Oder in der Tanzstraße, in der ein an-derer Tanz statthat, die Händ-lerinnen und Händler um das Überleben ihrer Geschäfte kämpfen müssen ...Bücherstadt - das kommt nicht von ungefähr, Edenko-ben beherbergt gleich zwei Künstlerhäuser, das Herren-

haus und das Künstlerhaus Edenkoben, in denen Litera-ten, bildende Künstler und Komponisten für ein knappes halbes Jahr als Stipendiaten gastieren, und einen hat das Städtchen gar für länger fest-gehalten, den 2007 verstorbe-nen Dichter Wolfgang Hilbig.Zurück zu den Wahlen, zwölf Parteien werben um die Wäh-lerstimmen, was in Edenkoben kaum nachzuvollziehen, wo bisher nur drei Parteien pla-katiert haben. Interessant er-scheint mir, daß darunter z.B. auch die vor kurzem wiederer-standene Deutsche Demokra-tische Partei (ddp) zu finden ist, eine Partei, die sich in der Weimarer Republik durch ei-ne gewisse Fortschrittlichkeit auszeichnete, beispielsweise in Bezug auf das Frauenwahl-recht. Jetzt annonciert sie mit

dem Slogan: Weder Sozialis-mus noch Kapitalismus! Der Landesverband hat sich 2010 gegründet. Sie will Arbeitslo-sigkeit und Niedriglöhne be-seitigen, zugunsten der Bele-bung des Binnenmarkts, und trägt dabei sogar eine leise Systemkritik vor.Das derzeitige vielgliedri-ge Steuersystem will die ddp durch eine reine Umsatzsteu-er ersetzen, die Partei be-ruft sich dabei auf das in den USA praktizierte »Sales Tax« und prognostiziert durch die erhöhten Steuereinnahmen auf Grundlage der umsatz-steuerpflichtigen Inlandsum-sätze entschuldete öffentli-che Haushalte, die dann mit ausreichenden Mitteln aus-gestattet wären, um ihre ho-heitlichen Aufgaben (z.B. öf-fentliche Daseinsvorsorge) in

vollem Umfange wahrzuneh-men.Keine Zulassung zur Wahl hat unter anderem die Sarrazis-tische Partei erhalten, weil es an Unterstützungsunter-schriften fehlte ... Diese Par-tei hat sich, wie zu erwarten, Sarrazins Megabestseller zur Grundlage für ihr Parteipro-gramm erkoren, ihre home-page startet mit dem Aufma-cher »Ab sofort! Wir sind das Volk!« Die SPV durfte schon bei den Bürgerschaftswahlen in Hamburg nicht antreten, weshalb sie eine Verfassungs-klage einreichen will ... Die Re-formideen Sarrazins gedenkt sie behutsam, sanft und sach-lich umzusetzen, ohne Rassis-mus, sie sieht die Chance, sich zur neuen große Volkspartei zu mausern.Jayne-Ann Igel

Bezahlbare Strompreise für alle

Sachsen-Anhalt wählt.Am 20.03.2011 wollen die Genossinnen und Genossen in Sachsen-Anhalt die seit 9 Jahren andauernde CDU-Herrschaft beenden. Unser dortiger Ministerpräsidenten-Kandidat Wulf Gallert und sein Wahlkampf-Team haben nun um unsere sächsische Wahl-kampf-Hilfe gebeten.

Wir suchen daher nun nach fleißigen Unterstützern, die am 18./19./20. März mit uns nach Sachsen-Anhalt fahren und den Genossen vor Ort bei Materialverteilung und/oder Infoständen unter die Arme greifen.In Umfragen liegen wir derzeit bei 27 Prozent der Wähler-stimmen, nur 4 Prozent hinter der CDU. Mit eurer Unterstüt-zung können wir noch besser werden und für ein besseres Sachsen-Anhalt kämpfen!Wir hoffen auf viele Interes-senten und bedanken uns für jede helfende Hand.

Kontakt:Landesgeschäftsstelle DIE LINKE. SachsenRobert Wünsche0351 – 853 27 [email protected]

Der Tanz beginnt ... Impressionen aus der Pfalz

Page 10: Links! Sachsen 3 2011

Seite 6Sachsens Linke! 3/2011

Am Samstag, den 22. Januar, traf sich die Sozialistische Linke Sachsen in Chemnitz zu ihrem Landestreffen. Im Mittelpunkt der Mitgliederversammlung standen Diskussionen um die politische Lage und um den Entwurf des Programms un-serer Partei. Die Diskussionen haben gezeigt, dass der Wirt-schaftsaufschwung XXL und die angeblich bevorstehende Vollbeschäftigung eine Lüge sind. Immer mehr Menschen müssen einer prekären Be-schäftigung nachgehen. Fast die Hälfte aller Neueinstellun-gen war befristet. Fast ein Drit-tel aller unter 35-jährigen hatte nie einen festen Job. Gerade auch wegen dieser Fakten muss sich DIE LINKE an den diesjährigen Veranstaltun-gen zum 1. Mai wieder flächen-deckend beteiligen! Auch der 100. Jahrestag des Weltfrauen-tages ist eine Gelegenheit, den Kampf für Gleichstellung der Arbeiterinnen und weiblichen Angestellten mit dem Kampf gegen Überausbeutung durch Prekarisierung zu verbinden.

Ein weiterer Diskussionspunkt war die Lage innerhalb unserer Partei. Dabei kamen wir nicht umhin, auch über die Kommu-nismusdebatte und die Kritik an unseren Parteivorsitzen-den zu sprechen. Mit großer Mehrheit waren wir uns einig, dass diese Debatte ein Ablen-kungsmanöver ist, um die Lin-ke in eine stalinistische Ecke zu stellen und für die kommenden Wahlen zu beschädigen. Für uns ist die Debatte um Klaus Ernst noch wichtiger. Hier soll ein Spaltkeil zwischen »Rea-los« und sogenannte »Radika-le« getrieben werden. Als Por-sche-Diskussion angeheizt, wird Klaus Ernst aber tatsäch-lich angegriffen, weil er für die Haltelinien unserer Partei steht und eben die Positionen ver-tritt, die wir auf dem Rostocker Parteitag beschlossen haben. Wir bekräftigten noch einmal unsere Forderung nach Einfüh-rung eines flächendeckenden, gesetzlichen Mindestlohns; Abschaffung der Leiharbeit bzw. als Minimalziel, Begren-zung der Leiharbeit; Abschaf-

fung des Teilzeit- und Befris-tungsgesetzes; Kampf um die Einführung des politischen Streiks! Weiterhin bekräftigten wir die Unterstützung des vorliegen-den Programmentwurfs in seinen Grundzügen. Im Rah-men der Programmdiskussi-on hat die SL Sachsen einen Beschluss zum Thema Halte-linien/Bedingungen für Regie-rungsbeteiligungen beschlos-sen. Ein Abrücken von unseren zentralen Forderungen wie z.B. dem gesetzlichen Mindestlohn oder dem Nein zu Privatisierun-gen kann auch unter konkreten Situationen nur bedeuten, von den Alleinstellungsmerkma-len unserer Partei abzuwei-chen und an Glaubwürdigkeit für kommende soziale und po-litische Auseinandersetzungen zu verlieren. Das lehnen wir als Sozialistische Linke Sachsen entschieden ab! Wir werden uns in Form von Änderungsan-trägen dazu an der Programm-diskussion beteiligen. Gabi Engelhardt und Thomas Netzer

Im Bundestag gab es im Feb-ruar – wieder mal – eine De-batte, die eigentlich überflüs-sig sein dürfte. Es ging um die Quotierung der Besetzung von Spitzenpositionen in der Wirt-schaft. Weniger als ein Pro-zent der Vorstände in den 100 größten deutschen Unterneh-men sind weiblich. Insgesamt, so sagt man, besetzen Frauen maximal zehn Prozent der Pos-ten in Aufsichtsgremien. Nicht dass dies den Spitzenfrauen wie Ministerin Schröder und Bundeskanzlerin nicht sau-er aufstieße – nein nein! Aber sie setzen dabei auf die Frei-willigkeit – der Männer! Ange-sichts der Männerbündelei in den Aufsichtsräten und Vor-

ständen ist der Glaube an den Weihnachtsmann jedoch das wesentlich seriösere Projekt.Die Vorbehalte, die vor mehr als 100 Jahren gegen das Frau-enwahlrecht vorgebracht wur-den, können uns heute nur er-heitern. Die Philosophin und Feministin Simone de Beau-voir gab in ihrem Klassiker »Das andere Geschlecht« ei-nen sehr amüsanten Über-blick über die Argumente, die damals galten. Es hieß, die Frau würde ihren Charme ver-lieren, wenn sie wähle. Sie be-herrsche den Mann doch auch ohne Stimmzettel. Oder: poli-tische Diskussionen würden zur Auseinandersetzung zwi-schen den Eheleuten führen.

Überzeugen konnten diese Ar-gumente natürlich auf Dauer niemanden. Ein klassisches Abwehrmus-ter gegen eine Frauenquote in Spitzenpositionen besteht in der Unterstellung, es gebe nicht genügend kompetente Frauen. Das ist sehr bezeich-nend. Auch als in Norwegen im Jahre 2006 die 40-Pro-zent-Quote eingeführt wurde, warnte manch einer vor einem Mangel an kompetenten Frau-en. Die Praxis konnte diese Sorge ausräumen. Außerdem unterstellt dies, dass die Män-ner in den Aufsichtsräten und Vorständen ausschließlich ih-rer Kompetenz wegen da sit-zen – eine Behauptung, die

selbst bei vielen Männern dort für Schmunzeln sorgen dürfte.Bei einem anderen Mann/Frau-Problem könnte ich mich jedoch sofort auf Freiwilligkeit verständigen: beim Punkt Be-darfsgemeinschaft in Sachen Hartz IV. Hier sollte es den Be-troffenen tatsächlich selbst überlassen sein, wie sie ihre Lebensform einschätzen. Das Wort »Bedarfsgemeinschaft« ist Behördendeutsch und be-deutet, dass Menschen, die länger als ein Jahr zusammen-leben, automatisch unterstellt wird, sie hätten eine eheli-che Gemeinschaft, sodass ih-re Einkommen im Hinblick auf die Höhe von Sozialleistun-gen angerechnet werden. Ein

selbstbestimmtes Leben ist so nicht möglich – im Gegenteil! Zum Beispiel wird es Alleiner-ziehenden, die Teilzeit arbei-ten und deswegen auf Hartz IV angewiesen sind, faktisch un-möglich gemacht, eine neue Beziehung einzugehen. Denn wenn sie einen neuen Partner finden und mit diesem zusam-menziehen wollen, wird des-sen Einkommen sofort beim Kind angerechnet. Also weg mit der Bedarfsgemeinschaft – her mit der Frauenquote in wirtschaftlichen Spitzengre-mien! Wer meint, zum 100. In-ternationalen Frauentag gäbe es keine Ziele für den Kampf mehr, irrt gewaltig!Katja Kipping

2.000 Teilnehmer, »5.000 Polizisten« und jede Menge KamerasNoch nie waren so viele Teil-nehmerinnen und Teilnehmer da. Noch nie so viele Medi-envertreter bei dieser Konfe-renz versammelt und noch nie gab es solch eine Auf-merksamkeit für die Rosa-Lu-xemburg-Konferenz bundes-weit wie 2011.Das hatte natürlich nicht zu-letzt mit der angekündigten Kommunismusdebatte, ihren Teilnehmerinnen (es waren durchweg Frauen, die Veran-staltung wurde von Ulla Jelp-ke moderiert) und dem vor-hergehenden Auftritt von Gesine Lötzsch zu tun. Da hatte es die Vorsitzende der Linken gewagt, vom Kommu-nismus in einem Junge-Welt-Artikel zu schreiben und den Wegen, die man nicht ken-nen könne, so lange man sich nicht aufmache, und schon rauschte es gewaltig im Blät-terwald. Wer da war, konnte also Historisches erleben. Was die Internationale Betei-ligung betraf, so gab es wie-derum eine große Bandbrei-te – wie in jedem Jahr ging es um die Freilassungsinitiative für den mit dem Tode bedroh-ten afroamerikanischen US-Bürgerrechtler und Journalis-ten, der israelische Historiker Moshe Zuckermann sprach über neue Entwicklungen im Nahost-Prozess, Gaspar Mik-los Tamas sprach über neue ungarische Entwicklungen, der Botschafter Venezuelas im Iran informierte über die Außenpolitik seines Landes, dazu spielten die aktuellen

Entwicklungen in Kolumbien und Griechenland eine Rolle, aber auch Vertreter der so ge-nannten »Cuban Five« waren anwesend. Das Soli-Konzert für die Cuban Five bestrit-ten Michael Weston King aus England und die Basisaktivis-tin und Rapperin Lucia Vargas aus Kolumbien. Eine Biblio-thek des Widerstandes wur-de vorgestellt und in einem Parallelprogramm ging es um »Bildung und Ausbildung im Abschwung?«. Die Zeit reichte freilich wie immer nicht, um auch nur die dringlichsten Probleme aufs Tapet zu bringen. So vermiss-te man schmerzlich afrikani-sche Beiträge – insbesonde-re vor dem Aufstand in der gesamten Maghreb-Region –, ebenso blieben aktuelle Ent-wicklungen in Asien ausge-blendet. Und dennoch: Mehr ist einem Tagesprogramm einfach nicht zu leisten. Der Moderator der Veran-staltung konstatierte am En-de, dass mit 2.000 Teileneh-merinnen und Teilnehmern so viele Menschen wie noch nie zuvor zu dieser Veranstaltun-gen gekommen seien. Außer-dem haben – was nicht ganz ernst gemeint war – »5.000 Polizisten« die Veranstaltung gesichert.Im Internet findet man weite-re Informationen und Beiträ-ge auf www.rosa-luxemburg-konferenz.de Der Autor des Beitrages hat die Reden von Inge Viett und Gesine Lötzsch mitgeschnit-ten und bietet Interessenten an, sich an ihn zu wenden un-ter der Email-Adresse [email protected] bzw. an die Redaktionsadresse.Ralf Richter

1. Landestreffen im Jahr 2011 der LAG Sozialistische Linke Sachsen

Kompetenz ist weiblich!

Das war die XVI. Rosa-Luxemburg-Konferenz

TÄVE SCHUR feierte am 23. Februar in Kleinmühlingen seinen 80. Geburtstag. Foto Fiebelkorn/rore

Page 11: Links! Sachsen 3 2011

Seite 7 3/2011 Sachsens Linke! DIE LINKE im Europäischen Parlament

Zur Zukunft der Kohäsionspolitik – Fördermittel auf dem PrüfstandSeit 1991 profitieren viele Re-gionen von europäischen Fördermitteln. Mit den Pro-grammen der Struktur- und Kohäsionspolitik (Kohäsion = Zusammenhalt) stellt die EU Finanzmittel zur Verfügung, um in einzelnen »schwachen« Regionen wirtschaftliche und soziale Strukturprobleme zu bewältigen. Allein in Sachsen sind seit Beginn der europäi-schen Förderung etwa 15 Mrd. Euro als Mittel für wirtschaft-liche Entwicklung, in Techno-logien, für Arbeit, Bildung und in die Landwirtschaft bezie-hungsweise in die Entwicklung ländlicher Räume geflossen. 2013 soll nun Schluss damit sein. In der Europäischen Uni-on wird derzeit über die Ausge-staltung der zukünftigen Struk-turfonds und Förderperiode ab 2014 verhandelt und nach den festgelegten Förderkriterien fällt der Großteil der ostdeut-schen Regionen weg, darun-

ter auch die Regionen Leipzig und Chemnitz. Doch trotz der erreichten Verbesserungen aufgrund der vergangenen In-vestitionen bestehen immer erhebliche Entwicklungsdefizi-te, die sich nicht einfach vom Tisch wischen lassen. Der ak-tuelle Bericht der Prognos AG »Regionale Wettbewerbsfähig-keit und Beschäftigung« zeigt deutlich, dass nach wie vor die wirtschaftlich schwächsten Regionen in Ostdeutschland liegen und nur Jena, Dresden und Potsdam als Regionen mit Zukunftschancen bzw. »sehr hohen Zukunftschancen« ein-gestuft werden. Doch Ostdeutschland ist nicht Europa und die Gemeinschaft ist auf 27 Mitgliedstaaten an-gewachsen. In sechs Mitglied-staaten ist das Bruttoinlands-produkt (kurz BIP), welches das maßgebliche Kriterium ist um Förderung zu erhalten, un-ter einem Drittel des durch-

schnittlichen europäischen BIP. Um das System möglichst »ge-recht« zu gestalten, sollen ver-schiedene Veränderungen in der Architektur der Struktur-politik vorgenommen werden. So soll zukünftig die Kohäsi-onspolitik die Strategie »Eu-ropa 2020« unterstützen und das zielt zusammengefasst auf Wachstum, Wachstum und Wachstum ab. Im Zusammen-hang der Haushaltsüberprü-fung steht auch eine themati-sche Priorisierung zur Debatte. Doch wie soll so eine Liste mit Prioritäten denn konkret aus-sehen, wenn die Entwicklungs-stände in den Regionen so dif-ferent sind? Das erwähnte BIP ist bislang die ausschlagge-bende Bemessungsgröße für die Förderfähigkeit. Wir wollen, dass auch andere Kriterien, wie beispielsweise der demo-grafische Faktor, Beachtung finden, sozusagen ein BIP-plus.

Fraglich ist auch die Ausge-staltung von Übergangsrege-lungen für Regionen die aus der »Ziel Förderung« heraus-fallen werden. Das betrifft be-sonders die Regionen in Sach-sen, z.B. Leipzig. Wir halten es für unterverantwortlich diesen Gebieten die Förderung abrupt zu entziehen und schlagartig zu beenden. Hier sind Über-gangsregelungen oder auch die Schaffung von neuen Zwi-schenkategorien vorstellbar. Unter den Vorschlägen der Eu-ropäischen Kommission finden sich auch so genannte neue Konditionalitäten und finanzi-elle Sanktionen. De facto be-deutet dies, dass Mitgliedstaa-ten verpflichtet werden sollen bestimmte Reformen durch-zuführen, z.B. institutionelle Reformen für Strukturanpas-sungen um Wachstum und Be-schäftigung zu fördern. Die-se Bedingungen sollen die Voraussetzungen für die Aus-

zahlung von Kohäsionsmit-teln werden und darüber hin-aus sollen die Zahlungen aus dem EU-Haushalt sanktioniert werden. Wir als LINKE lehnen diese Forderungen strikt ab, konterkariert es doch die In-tention von Strukturpolitik und das Prinzip der Solidargemein-schaft. Anfang April werden wir ebenenübergreifend ein Positionspapier zur europäi-schen Strukturpolitik vorstel-len, um damit die Kompetenz unserer Partei zu dieser euro-papolitischen Fragestellung weiter zu stärken.Dr. Cornelia Ernst (MdEP)

Es schwelte schon seit länge-rem in Ägypten. Es hat immer wieder Demonstrationen gege-ben, meist unbeachtet von Poli-tik und Medien in Europa. Diese kleineren Eruptionen der Unzu-friedenheit über steigende Prei-se, über zu geringe Löhne, über die Arroganz der Macht und offenkundige Wahlfälschung konnten stets von den mehr als eine Million Mann starken Staatssicherheitskräften zum Schweigen gebracht werden. Auch Ende Januar rechneten die Initiatoren der Proteste selbst nicht mit dem gewaltigen Zu-strom, der sich – inspiriert vom Erfolg der tunesischen Revol-te und unterstützt durch neue technische Möglichkeiten der Vernetzung – im ganzen Land auf die Straßen wagte. Aktivis-ten berichteten mir auf dem Weltsozialforum, wie die Be-harrlichkeit und die schiere Grö-ße der Proteste schließlich die Staatsmacht ermüdete. Es war ein nicht von Einzelnen gesteu-ertes Aufbegehren. Als am letz-ten Tag des Forums der Rück-tritt Mubaraks bekannt wurde, brach Jubel aus und ägyptische Fahnen wurden geschwenkt.Die sozialen und demokrati-schen Forderungen in Ägypten und Tunesien werden von vie-len Menschen geteilt: Es geht um Gerechtigkeit, um Lebens- und Erwerbsperspektiven, um würdige Arbeit und Mindestlöh-ne, um ein Ende von skrupello-ser Bereicherung und Unterdrü-ckung durch ein wenige Köpfe

zählendes Regime. Regimes, die sich vor allem deswegen so lange halten konnten, weil sie international ausgesprochen gut verankert sind.Sie sichern den Unternehmen der EU und ihrer Mitgliedstaa-ten, der USA und Russland den Zugang zu Öl und Gas und be-dienen die Politik dieser Regie-rungen. Dazu gehört u.a. der Kampf gegen Terrorismus, die Unterstützung bei der Aufspü-rung und Blockade von Flücht-lingen sowie die Einfriedung des Palästinakonfliktes. Und hinzukommt: Nur 3 Prozent der Handelsbeziehungen Nordafri-kas finden innerhalb der Region statt, der Rest ist komplett auf den Import ausgerichtet.Als Frankreichs Präsident Sar-kozy mit Unterstützung von Frau Merkel vor ein paar Jah-ren die Mittelmeer-Union ins Leben rief, fragte keine der EU-Regierungen nach der de-mokratischen Legitimation der Partnerregierungen oder Le-benssituation der Bevölkerung. Sarkozy bekam sein Prestige-projekt, das allenfalls ein Pa-piertiger blieb und heute als ge-scheitert gilt. Im Europäischen Parlament (EP) mahnte der CDU-Außenpolitiker Brok noch in der Woche nach dem Rücktritt Mubaraks zur Be-sonnenheit und zur Beibehal-tung der Realpolitik in der Regi-on. Für die Forderungen von uns linken EP-Abgeordneten, der im Assoziationsabkommen der EU mit den südlichen und östlichen

Mittelmeerstaaten verankerten »Wahrung der Menschenrech-te« endlich eine aktive Bedeu-tung zukommen zu lassen, zeich-net sich noch keine Mehrheit ab. Das EP hat in Fragen der Außen-politik noch kein Mitentschei-dungsrecht, wohl aber bei der Ratifizierung von Handelsab-kommen. Und mit Gaddafi ver-handelten die europäischen Re-gierungen noch bis vor kurzem ein Abkommen, mit dem sie vor allem die Abschottung der Mit-telmeergrenzen vor Flüchtlin-gen erreichen wollten. Stabilität, Rohstoffzugang und Flüchtlings-abwehr sind weiterhin zentra-le Interessen der Außenpolitik von EU-Vertreterin Ashton und

der Außenämter in der EU. Die Forderung der Straße nach Ein-berufung einer Verfassungsge-benden Versammlung unter pa-ritätischer Einbeziehung auch aller bislang verbotenen Partei-en und Vertretern der Protest-bewegung, nach der raschen Umsetzung einer Liste sozialer Forderungen wie Mindestlohn und freien Gewerkschaften und nach Verringerung des Einflus-ses der Militärs dürften es am Verhandlungstisch schwer ha-ben.Die demokratischen und fort-schrittlichen Kräfte Ägyptens bitten um Unterstützung. Nicht um Bevormundung und Besser-wisserei, aber um konkrete Hil-

fe bei Publikationen oder durch Besuche namhafter Delegati-onen. Die Linksfraktion im EP wird auf Antrag ihres Vorsitzen-den Lothar Bisky in Kürze eine Delegation nach Ägypten ent-senden. Mit Anträgen und De-battenbeiträgen im EP werden wir versuchen einen Beitrag da-zu zu leisten, dass nicht schon bald wieder der Schnee kalter Realpolitik auf den nordafrikani-schen Frühling fällt.Helmut Scholz ist Abgeordneter für DIE LINKE. im Europäischen Parlament und arbeitet dort in den Ausschüssen für Interna-tionale Handelspolitik, für Aus-wärtige Angelegenheit und für konstitutionelle Fragen.

Nordafrikas politischen Frühling bestärken

mon

aosh

@ fl

ickr

.com

CC

-Liz

enz

Page 12: Links! Sachsen 3 2011

Seite 8Sachsens Linke! 3/2011

Kommentiert

Mythos JobwunderOder: wie Demographie und Teilzeitjobs den Arbeitsmarkt schönenIm Herbst letzten Jahres fiel die offiziell registrierte Arbeitslo-sigkeit unter 3 Millionen und da-mit auf den niedrigsten Stand seit knapp zwanzig Jahren. Ar-beitsministerin von der Leyen (CDU) sprach von einem »gro-ßem Erfolg«. Aber was steckt tatsächlich hinter dem soge-nannten Jobwunder? DIE LIN-KE. befragte dazu die Bundes-regierung. Die Antwort: Statt regulärer Vollzeitjobs wurden viele Teilzeit- und Minijobs ge-schaffen. Und: Ein Viertel der gemeldeten Arbeitslosen wer-den gar nicht von der Statistik erfasst. So lag die offiziell regis-trierte Arbeitslosigkeit im Ok-tober 2010 bei 2,95 Millionen, die Unterbeschäftigung, bei der Erwerbslose in Maßnahmen und sonstigen Unterstatistiken mitgezählt werden, jedoch bei 4,06 Millionen.

Gespaltene StatistikWie stellt sich die Situation im Vergleich zu vor zwanzig Jahren dar? Im Oktober 1992 lag die Arbeitslosigkeit bei 2,98 Millio-nen, im Oktober 2010 bei 2,95 Millionen. Tatsächlich gibt es aber eine sehr gespaltene Ent-wicklung. In Westdeutschland hat die registrierte Arbeitslo-sigkeit zugenommen: von 1,70 auf 2,04 Millionen, die Unter-

beschäftigung (ohne Kurzar-beit) sogar von 2,14 Millionen auf 2,78 Millionen. Lediglich im Osten ist ein allgemein rück-läufiger Trend zu verzeichnen. 1992 gab es dort 1,28 Millio-nen Arbeitslose, 2010 noch 0,9 Millionen. Aber nicht neue Jobs haben hier den Arbeitsmarkt entlastet, sondern Abwande-rung und Verrentung. Und es gibt weiterhin eine überdurch-schnittlich hohe Arbeitslosig-keit bzw. Unterbeschäftigung.

„Wunder“ Demographie Deutlich entlastet wurde der Arbeitsmarkt in den letzten

fünf Jahren durch die demogra-phische Entwicklung - 800.000 ältere Menschen mehr sind aus dem erwerbsfähigen Alter aus-geschieden als junge nachka-

men. Wohl gemerkt: es geht um das Arbeitskräfteangebot. Zu-gleich gehen immer mehr Frau-en einer Erwerbsarbeit nach, treten also auf den Arbeits-markt ein. Aber was sind das für neue Job, die entstehen?Laut Statistik stieg die Zahl der Erwerbstätigen von 38,05 Mil-lionen Erwerbstätigen im Jahr 1992 auf 40,65 Millionen im Jahr 2010 (jeweils 3. Quartal) - also ein Plus von 2,6 Millionen. Die Beschäftigung hat jedoch abgenommen. Denn: Die ge-stiegene Erwerbstätigkeit be-ruht darauf, dass viele Jobs in mehrere kleine Jobs auf gesplit-

tet wurden. Rechnet man das Arbeitsvolumen auf Vollzeit-stellen um (Erwerbstätigkeit in Vollzeitäquivalenten), ergibt sich von 1992 bis 2010 ein Ver-

lust von umgerechnet 1,8 Milli-onen Erwerbsverhältnissen.Die Bundesregierung erklärt dies selbst durch »die wach-sende Bedeutung der Teilzeit-beschäftigung«. Das Problem dabei: die meisten dieser Teil-zeit- und Minijobs sind nicht existenzsichernd.

Atypische Beschäftigung wächstDiese Fehlentwicklungen auf dem Arbeitsmarkt werden durch weitere Zahlen der Bun-desregierung untermauert. Seit Mitte der 1990er Jahre wächst die sogenannte atypische Be-schäftigung (Zahlen vor 1996 liegen nicht vor). Neben den Teilzeit- und Minijobs gehört da-zu die Leiharbeit und befristete Beschäftigung.Der Anteil atypischer Beschäf-tigung an allen Erwerbstätigen wuchs von 15 Prozent im Jahr 1996 auf 22 Prozent im Jahr 2009. Das Normalarbeitsver-hältnis, also ein unbefristeter Vollzeitjob, macht nur noch 66 Prozent aus, vormals 75 Pro-zent. Gestiegen ist dagegen der Anteil der Selbständigen, dar-unter viele Solo-Selbständige, die oft in ungesicherten Ver-hältnissen arbeiten.Atypische Beschäftigung geht in der Regel mit schlechter Be-zahlung einher. So verwundert es nicht, dass allein bei den Voll-zeitbeschäftigten seit 2005, dem Einführungsjahr von Hartz IV, die Zahl der Niedriglöhner um etwa 400.000 zunahm und bundesweit bei 4,5 Millionen Menschen liegt. So viele Voll-zeitbeschäftigte arbeiten 2009 zu einem Lohn, der unterhalb der Niedriglohnschwelle liegt, was schon jeder vierte bis fünf-te Vollzeitbeschäftigte ist. 2,5

Millionen davon sind Frauen.

Was tun?In ihrer Antwort schreibt die Bundesregierung, ihr gehe »es nicht darum, bestimmte Ereig-nisse am Arbeitsmarkt »zu fei-ern«, sondern aus Fakten und Entwicklungen die richtigen Schlussfolgerungen für künfti-ge politische Entscheidungen abzuleiten.«Die in der Antwort genannten Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. Die »Arbeitsmarkter-folge« sind nicht das Ergebnis neuer Jobs, sondern der Auf-splitterung von Arbeitsplätzen in kleine Teilzeit- und Minijobs. Für viele Beschäftigte und ehe-malige Erwerbslose entpuppt sich das angebliche Jobwun-der so als ein Alptraum, denn sie finden nur noch Teilzeitstel-len, und können von ihrer Arbeit kaum leben. Der Handlungs-auftrag an die Politik ist klar: Schluss mit Hartz IV und dem Druck auf die Löhne. Wir brau-chen endlich einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn, der vor Armut schützt. Leiharbeit muss gleich bezahlt und strikt begrenzt werden, Minijobs ge-hören abgeschafft. Nur so kann gute Arbeit und mehr Beschäf-tigung entstehen.Sabine Zimmermann, arbeits-marktpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE im Deut-schen Bundestag

Mitte Februar sind im Vermitt-lungsausschuss die Verhand-lungen über den neuen Hartz IV-Regelsatz abgeschlossen worden. Diese Verhandlungen und ihr Ergebnis sind im doppel-ten Sinne ein Skandal: Zum ei-nen haben sich die anderen Par-teien auf dem Rücken der sozial Schwachen auf einen offenkun-digen Verfassungsbruch geei-nigt. Dies ist der eine. Wie er zu-stande kam, ist der andere. Das Bundesverfassungsgericht hat-te vor gut einem Jahr eine Neu-berechnung der Hartz-IV-Regel-sätze eingefordert. Die fehlende Transparenz in deren Berech-nung sowie nicht ausreichende Gewährleistung der physischen Existenz und wenigstens eines Minimums an sozialer Teilhabe der Betroffenen ließen das Ge-richt zu diesem Urteil kommen. Die nun beschlossene Erhö-hung von fünf Euro und zusätzli-chen drei Euro 2012 setzt keine dieser Vorgaben um und ist des-halb erneut verfassungswidrig.

Ein Rechentrick der Regierung – anstelle der üblichen 20 Prozent wurden einfach nur noch die un-teren 15 Prozent der einkom-mensschwächsten Haushalte zum Vergleich herangezogen – dem schließlich auch die SPD folgte, diente als willkürliche Verhandlungsgrundlage für ein Ergebnis, das mit der Lebens-realität von Hartz-IV-Empfänge-rInnen nichts zu tun hat. In den Wochen vor der Einigung in letzter Minute zuvor konnte man in den Medien verfolgen, wie sich CDU/CSU und FDP ei-nerseits sowie SPD und Grüne andererseits den Schwarzen Pe-ter für das Nicht-Zustandekom-men einer Einigung auf unters-tem Niveau zuschieben wollten. Erkennbar ging es darum, dem politischen Gegner eins auszu-wischen. Um die Betroffenen dagegen ging es am allerwenigs-ten. Dies mag auch erklären, warum alle anderen Parteien DIE LINKE aus den Verhandlun-gen ausschließen wollten. Zu-

nächst beschlossen sie, dass DIE LINKE keine VertreterInnen in den Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat entsenden durfte. Es bedurfte erneut des Bundesverfassungs-gerichts, um diese Entschei-dung zu kippen. Offenkundig ha-ben die grundsätzliche Kritik der LINKEN an den Verhandlungs-positionen der anderen Frak-tionen und unsere Vorschläge für eine verfassungskonforme Regelsatz-Erhöhung, denen sich CDU/CSU, FDP, SPD und Grüne nun stellen mussten, ge-stört. Gerade SPD und Grüne mussten sich den Spiegel ihrer Strategie der Symptomkorrek-tur vorhalten lassen. Von CDU/CSU und FDP wollen wir hier gar nicht reden. Es wirft ein bezeich-nendes Licht auf das Demokra-tieverständnis der anderen Par-teien, dass sie DIE LINKE mit einem Verfahrenstrick darauf-hin erneut ausgeschlossen ha-ben, sie gründeten eine infor-melle Arbeitsgruppe, zu der DIE

LINKE natürlich nicht eingela-den wurde. Dass die Grünen am Ende dem im Vermittlungsver-fahren ausgekungeltem Ergeb-nis doch nicht zustimmten und führende Köpfe der SPD mit be-kannter «Ja, aber«-Haltung zwar verfassungsrechtliche Beden-ken formulierten, im Bundestag jedoch bei ihrer Zustimmung zu dem Gesetz blieben, rundete das unwürdige Schauspiel der fünf Hartz-IV-Parteien nur ab. DIE LINKE hat als einzige Partei in den Verhandlungen die Inter-essen der Hartz-IV-BezieherIn-nen konsequent vertreten. Sie wird die anderen Parteien auch jetzt nicht aus ihrer Verantwor-tung entlassen und sich für ei-ne rasche gerichtliche Überprü-fung des verfassungswidrigen Gesetzes einsetzen. Darauf, dass dies die anderen Parteien erneut stören wird, können wir leider keine Rücksicht nehmen. Um sie geht es hier nicht. Michael Leutert, Sprecher der Landesgruppe Sachsen

An ihren Zwischenrufen …… sollst du sie erkennen. Of-fenbar fällt es zahlreichen Ver-tretern der anderen Fraktio-nen Im Bundestag noch immer schwer, sich auf eine inhaltli-che Diskussion mit der LINKEN einzulassen. Da wird unseren Rednerinnen und Rednern im Plenum schnell pauschal jede inhaltliche Kenntnis abgespro-chen, der „Kommunismus“-Vorwurf in immer neuer Form erhoben und oft bis an den Rand der persönlichen Belei-digung gepöbelt. Und das quer durch alle anderen Fraktionen. Zugegeben, an Zwischenru-fe sollte man nicht die selben Maßstäbe wie an inhaltliche Beiträge anlegen. Dennoch überraschen Ausmaß und In-halt der Störungen. Man kann es aber auch andersrum se-hen: Wenn sie bei Reden der LINKEN gar nicht mehr dazwi-schen riefen, würden wir auch was falsch machen.(Michael Leutert, MdB, Spre-cher der Landesgruppe Sach-sen)

Die Hartz-IV-Verhandlungen – ein doppelter Skandal

Die

ter S

chüt

z /

pixe

lio.d

e

Page 13: Links! Sachsen 3 2011

Seite 5 3/2011 Links!

Rätedemokratie im PraxistestVor 140 Jahren revoltierten die Kommunarden in Paris Diskussionen über linke Ideen kranken oft an fehlenden Pra-xiserfahrungen. Deutlich wur-de dies jüngst an der Kommu-nismusdebatte - diese hat das Fehlen historischer Referenz-punkte deutlich als Mangel offenbart; es gab schlichtweg noch nie eine kommunistische Gesellschaft, an der sich Dis-kurse orientieren könnten. Dennoch wurde oft das Ge-genteil behauptet –erinnert sei nur an jene bürgerlichen Prediger, die etwa die DDR als »kommunistischen Staat« be-schrieben, ohne verstanden zu haben, dass diese Bezeich-nung ein Widerspruch in sich ist. Ganz zu schweigen da-von, dass sie Kommunismus fälschlicherweise als Zustand – und nicht im Sinne von Marx und Engels als »wirkliche Be-wegung« verstehen, mithin als Prozess, »welche den jetzigen Zustand aufhebt«.Dennoch verfügen linke Be-wegungen in theoretischen Debatten über einige – wenn auch historische und daher nur begrenzt aussagefähige – praktische Erkenntnisse. So auch in der Diskussion um die beste Ausgestaltung einer de-mokratischen Ordnung, im Abwägen zwischen parlamen-tarischer und Rätedemokra-tie. Für letztere finden wir in der Geschichte einige Anläufe, etwa die Novemberrevolution 1918/19 oder die Antifa-Aus-schüsse 1945. Das wohl be-kannteste Beispiel jedoch ist die Pariser Kommune, die vor genau 140 Jahren – im März 1871 – entstand.

Frankreich unterliegtDer deutsch-französische Krieg, vom deutschen Reichs-kanzler Bismarck unter ge-schicktem Taktieren vom Zaun gebrochen, war die wichtigste Voraussetzung für das Zustan-dekommen der Pariser Kom-mune. Am 1. September 1870 verlor die französische Armee die Schlacht von Sedan; tags darauf folgte ihre Kapitulati-on, Kaiser Napoleon III. wur-de gefangen genommen. Am 4. September stürmten Pari-ser Arbeiter die gesetzgeben-de Körperschaft – die Depu-tiertenkammer - und riefen die Republik aus. Der darauf-hin gebildeten »Regierung der nationalen Verteidigung« stand der Liberale Adolphe Thiers vor, den Marx später als »Schuhputzer des Bonapartis-mus« verdammte; Paris wurde ab dem 18. September 1870

belagert und mit Artillerie be-schossen. Die bürgerliche Re-gierung Thiers befürwortete baldige Friedensverhandlun-gen; die republikanischen Kräfte forderten die Fortset-zung des Krieges, um die eben errungene republikanische Freiheit zu sichern, konnten sich jedoch nicht durchset-zen. Am 28. Januar trat ein dreiwöchiger Waffenstillstand in Kraft; die Preußen forder-ten die Franzosen zur Wahl einer Nationalversammlung auf, die über Krieg oder Frie-den entscheiden sollte. Die Monarchisten errangen einen klaren Sieg, der Waffenstill-stand wurde bestätigt. Preu-ßische Truppen hatten indes die Vororte von Paris besetzt; am 1. März zogen sie mit klin-gendem Spiel über den Place d‘Etoile und die Champs-Ely-sees bis zum Place de la Con-corde. Doch während die re-guläre französische Armee entwaffnet wurde, behielt die Pariser Nationalgarde – die

vorwiegend aus bewaffneten Arbeitern bestand, in ihrer po-litischen Zusammensetzung jedoch keineswegs einheitlich war – ihre volle Kampfkraft. Paris entwickelte sich immer mehr zur Keimzelle des repu-blikanischen Widerstands; die Geschütze von Montmartre – wichtige Waffen der National-garde – wurden rechtzeitig vor den preußischen Besatzern in Sicherheit gebracht. Der Ver-such der bürgerlichen Regie-rung, sich dieser Batterien zu bemächtigen, scheiterte am 18. März am entschlossenen Widerstand der republikani-schen Nationalgardisten. Die Regierung Thiers floh darauf-hin nach Versailles; die revo-lutionären Nationalgarden,

die Paris daraufhin Stück um Stück in ihre Gewalt brachten, läuteten den Beginn der Pa-riser Kommune ein. Auf dem Rathaus, den Kasernen und Regierungsgebäuden wehte die rote Fahne - der Versuch, die Hauptstadt nach sozialis-tischem Muster zu organisie-ren, konnte beginnen.

Geburt der KommuneDas Zentralkomitee der Na-tionalgarde rief die Bevöl-kerung für den 26. März zu Kommunal-wahlen auf. Die-se brachten einen klaren Sieg der revolutionären Kräfte; die Kommune verkündete die all-gemeine Volksbewaffnung und rief zur Verteidigung der Hauptstadt gegen die preußi-schen Invasoren und die bür-gerliche Zentralregierung auf. Das zweite Ziel der Kommu-ne war die Schaffung men-schenwürdiger sozialer Ver-hältnisse. Durch radikale Maßnahmen bewiesen die Kommunarden, dass die sozi-

ale Frage nur lösen kann, wer sich vor Veränderungen der gesellschaftlichen Verhältnis-se nicht scheut. Der Waffen-gang mit Versailles unterblieb jedoch; und so kam es, dass die bürgerliche Regierung Pa-ris bereits unter Beschuss nahm, während die Kommu-ne sich innenpolitischen Maß-nahmen widmete.Dekrete erklärten die Nati-onalgarde zur einzigen waf-fentragenden Macht Frank-reichs. Fabriken sollten nach und nach von »kooperativen Assoziationen der Arbeiter« übernommen und die Unter-nehmer dadurch enteignet werden; Frauen erhielten das Recht auf Arbeit und den glei-chen Lohn wie Männer. Die

Trennung von Staat und Kir-che wurde mit aller gebote-nen Härte durchgesetzt: Zah-lungen des Staates an die Kirchen wurden eingestellt, Kirchengüter enteignet, religi-öse Symbole aus öffentlichen Gebäuden verbannt. Leerste-hende Wohnungen wurden beschlagnahmt und den Op-fern der Belagerung zugäng-lich gemacht; die Kommune adoptierte die Kinder gefal-lener Nationalgardisten und gewährte allen Verwundeten eine Pension. Richter sollten künftig vom Volk selbst ge-wählt werden.

Blutiges EndeDiese und andere fortschrittli-che Maßnahmen waren jedoch nur von kurzer Dauer, denn die Kommune unterschätzte ihre äußeren Feinde – in erster Li-nie die bürgerliche Zentralre-gierung in Versailles. Letztere brauchte viel Zeit, um ausrei-chend viele Soldaten um sich zu scharen; indes wäre es für

die Nationalgarde ein Leichtes gewesen, Versailles einzuneh-men, Thiers zu verhaften und die Nationalversammlung aus der Welt zu schaffen. Dass die Kommunarden dies unterlie-ßen, bedeutete ihr Ende. Ab Mitte Mai 1871 rückten die Versailler Truppen unaufhalt-sam nach Paris vor, Straße um Straße fiel an die Versailler Truppen. Zum Schluss stan-den auch die Kommunarden selbst auf den Barrikaden. Am 28. Mai 1871 war der letzte Widerstand gebrochen; nach nicht einmal drei Monaten war das demokratische Projekt blutig niedergeschlagen. Die »Blutige Maiwoche« hat-te damit ein Ende gefunden, nicht aber der Terror. Die Ver-

sailler Truppen gingen mit äu-ßerster Härte gegen Über-lebende vor; bis Juni 1871 dauerte die Zeit der Denunzi-ationen und Massenhinrich-tungen. 30.000 Menschen wurden ermordet, 40.000 ein-gekerkert oder zur Zwangsar-beit gezwungen.

Was bleibt?Die äußeren Umstände, un-ter denen die Kommune ent-stand und scheiterte, können auf das Hier und Jetzt unmög-lich übertragen werden – zum Glück. Dennoch sollten Linke die Pariser Kommune nicht in der »Mottenkiste« der Ge-schichte versenken. Denn sie hat gezeigt, wie sich grundle-gende gesellschaftliche Re-formen – die auch das Wesen der bestehenden Wirtschafts-ordnung antasten – durchset-zen lassen, wenn auch auf ei-nem relativ kleinen Gebiet. Die Linke wäre gut beraten, dem Rätegedanken mehr Be-deutung beizumessen, be-

sonders auf kommunaler Ebene; eine alternative, ba-sisdemokratische Konzeption politischer Ordnung – in Ver-bindung mit bestehenden Ge-danken zur Wirtschaftsdemo-kratie – stünde der Linken gut zu Gesicht. Der Geist der Kom-mune muss weiterleben, ganz im Sinne der »Resolution« von Brecht: »In Erwägung, dass wir der Regierung/Was sie immer auch verspricht, nicht trau n/Haben wir beschlossen, unter eigner Führung/Uns nunmehr ein gutes Leben aufzubau n«. Das ist die wohl wichtigste Lehre für kommende Debat-ten, die die Pariser Kommune für uns bereithält.Kevin Reißig

Die Reste der Vendôme-Säule, die als Symbol der Herrschaft Napoléons von den Kommunarden umgestürzt worden war, im Vordergrund Barri-kaden. Foto: Adolphe Eugène Disderi (1819 - 1889) CC-Lizenz Wikimedia

Page 14: Links! Sachsen 3 2011

Seite 6Links! 3/2011

ParlamentsreportTermine

Impressumlinks! Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die WeltHerausgebergremium: Dr. Mo-nika Runge, Verena Meiwald, Prof. Dr. Peter Porsch, Achim Grunke, Rico Schubert Verleger: Verein Linke Kultur und Bildung in Sachsen e.V., Großenhainer Str. 101, 01099 Dresden

Namentlich gekennzeichne-te Beiträge geben nicht un-bedingt die Meinung der Re-daktion wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinn-wahrende Kürzungen vor. Ter-mine der Redaktionssitzungen bitte erfragen.Die Papierausgabe wird in der Lausitzer Rundschau Drucke-rei GmbH in Cottbus in einer Auflage von 17.650 Exp. ge-

druckt. Redaktion: Kevin Reißig, Rico Schubert (V.i.S.d.P.)Kontakt: [email protected] Tel. 0351-84 38 9773Bildnachweise: Archiv, iStockphoto, pixelioRedaktionschluß: 28.2.2011Die nächste Ausgabe er-scheint am 15.4.2011. Die Zei-

tung kann abonniert werden. Jahresabo 10 Euro incl. Ver-sand. Abo-Service 0351-84389773Konto: KontoNr. 3491101007, BLZ 85090000, Dresdner VolksbankInternet www.links-sachsen.de

20 Jahre Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen

Am 23. März 1991 versam-melten sich 108 Personen in der Leipziger Vereinshaus GmbH, Seeburgstr. 5-9, Leip-zig, zur Gründung des Vereins zur Förderung einer Rosa-Luxemburg-Stiftung. Walter Markov, Helmut Seidel, Juliane Krummsdorf und Volker Külow hatten die Versammlung durch schriftliche Nachricht an ei-nen großen Personenkreis einberufen. Bestandteil der Gründungsversammlung war eine Podiumsdiskussion zum Thema: »Das Prinzip Hoffnung am Ende?« Helmut Seidel gab mit 27 Thesen eine Diskussi-onsgrundlage. Zwanzig Jahre später sind wir mit dem Prin-zip Hoffnung noch lange nicht am Ende. Nicht alle Hoffnun-gen haben sich erfüllt, aber vieles, was wir erreicht haben, hätten wir damals nicht zu hof-fen gewagt.Die Rosa-Luxemburg-Stif-tung Sachsen kann in den 20 Jahren ihrer Geschichte auf insgesamt 3.232 Veranstal-tungen mit 135.120 Teilneh-merInnen verweisen. Es er-schienen 259 Publikationen, in denen 757 AutorInnen pub-lizierten, viele mehrfach. Den Wissenschaftspreis unserer Stiftung, der dank einer Do-tation unseres Vereinsfreun-des Günter Reimann in Höhe von 40.000 DM erstmals 1996 verliehen wurde, erhielten bis-her 40 junge Wissenschaftle-rinnen und Wissenschaftler.Zum 20. Jubiläum ist durch die Arbeit von Giesela Neu-haus, Hans Rossmanit, Peter Porsch, Boris Krumnow und anderen eine Ausstellung ent-standen, die in 7 Tafeln im A1-Format die Anfänge, die ein-zelnen Arbeitsfelder und die Gremien der Stiftung vorstellt. Dazu gibt es im Begleitmate-rial einen Überblick über die veröffentlichen Publikationen, die Veranstaltungen im ver-gangenen Jahr und eine Zu-sammenstellung wichtiger Do-kumente der Stiftungsarbeit.Und wer noch über kahle Wän-de im Büro klagt oder nach ei-ner neuen Ausstellungsidee sucht: Die Jubiläumsausstel-lung und das passende Be-gleitmaterial kann man mie-ten.

KontaktTel: 0341-9608531, Fax: 0341-2125877, Email: [email protected]: www.rosa-luxem-burg-stiftung-sachsen.de

Dresden, 9.3., 19 Uhr Buchvorstellung »Politi-sches Denken im Über-gang zum 21. Jahrhundert«Mit Prof. Dr. Frank Deppe, MarburgWIR AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden

Leipzig, 10.3., 18 Uhr Vor-trag und Diskussion We-ge ins 21. Jahrhundert. Die Lebens(t)raum-Gemein-schaft Jahnishausen Eine gemeinsame Veranstal-tung der Gesellschaft für di-gitale Medien, Kunst und Kul-tur Leipzig (GdMKK) und des Rohrbacher Kreises der Ro-sa-Luxemburg-Stiftung Sach-sen e.V. Haus der Demokratie, Café, Berhard-Göring-Straße 152, 04277 Leipzig

Chemnitz, 15.3. 18 Uhr „Naher Osten: Demokra-tiepotential oder reaktio-näres Terrorismushinter-land?“ Podiumsdiskussion mit Dr. Volkmar Kreißig Rothaus e. V., Lohstraße 2, 09111 Chemnitz

Dresden, 15.3., 18 Uhr Vor-trag und Diskussion Reihe: »Junge Rosa« Was bedeu-tet eigentlich Demokratie? Mit Enrico Pfau, DresdenWIR AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden

Dresden, 16.3., 19 Uhr Vor-trag und Diskussion Zur Programmdiskussion der LINKEN - Wohin treibt der Krisenkapitalismus? Mit Dr. Mario Candeias, Ins-titut für Gesellschaftsanaly-se der Rosa-Luxemburg-Stif-tung, Berlin WIR AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden

Leipzig, 17.3., 18 Uhr Buch-vorstellung LEIPZIG LIEST »Er war doch nur ein neun-jähriger Junge: Hans Ri-chard Levy« Mit Tanja Grobitzsch und dem Autor Torsten Schleip In Zusammenarbeit mit Frie-denzentrum e.V. LeipzigBürgerbüro MdB Barbara Höll, MdL Monika Runge, Gorkistra-

ße 210, 04347 Leipzig

Leipzig, 17.3., 18 Uhr Buch-vorstellung LEIPZIG LIEST Akademische Freiheiten in der DDR und in der BRD – Lesung aus zwei neu-en Büchern: »Marginalien zur Leipziger Universitäts-geschichte« und »Fest-schrift Hans Bohrmann« Mit Dr. Matthias John Rosa-Luxemburg-Stiftung, Harkortstraße 10, 04107 Leip-zig

Leipzig, 17. 3., 18 Uhr Vor-trag und Diskussion Rosa L. in Grünau Sozialismus und Kommunismus in der Debatte Mit Dr. Erhard Crome, BerlinKlub Gshelka, An der Kotsche 51, 04207 Leipzig

Leipzig, 17.3., 20 Uhr Buch-vorstellung LEIPZIG LIEST »Staudamm oder Leben!« Indien: Der Widerstand an der Narmada Erschienen im Verlag Gras-wurzelrevolution Mit der Autorin Ulrike Bürger Veranstaltet von linXXnet e.V., der Buchhandlung el lib-ro und der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen e.V.Weltladen Connewitz, Bornai-sche Straße 18, 04277 Leipzig

Leipzig, 18.3., 20 Uhr Buchvorstellung LEIPZIG LIEST »Königin im Dreck – Texte zur Zeit. Von Ronald M. Schernikau« Erschienen im Verbrecher Verlag Mit dem Herausgeber Tho-mas Keck Veranstaltet von linXXnet e.V., der Buchhandlung el libro und der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen e.V.linXXnet, Bornai-sche Straße 3d, 04277 Leipzig

Leipzig, 18.3., 19 Uhr Buchvorstellung LEIPZIG LIEST Aktualität der alta-merikanischen / andinen Produktionsweise »Bo-livien im Umbruch. Der schwierige Weg der Neu-gründung« Mit den Autoren Helge Butt-kereit, Dr. Muruchi Poma und Dr. Peter Gärtner

In Zusammenarbeit mit Quet-zal Leipzig e.V. und dem Pahl-Rugenstein Verlag Rosa- Luxemburg-Stif tung, Harkortstraße 10, 04107 Leip-zig

Leipzig, 19.3., 16 Uhr Buch-vorstellung LEIPZIG LIEST Johann Knief – Ein unvoll-endetes Leben Mit dem Autor Gerhard Engel Moderation: Jörn Schütrumpf Veranstaltet vom Karl Dietz Verlag und der Rosa-Luxem-burg-Stiftung Sachsen e.V.Rosa-Luxemburg-Stiftung, Harkortstraße 10, 04107 Leip-zig

Leipzig, 19.3., 19 Uhr Buch-vorstellung LEIPZIG LIEST Randgruppenmitglied Erschienen im Verbrecher Verlag Mit dem Autor Frédéric Valin Veranstaltet von linXXnet e.V., der Buchhandlung el lib-ro und der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen e.V. linXXnet, Bornaische Straße 3d, 04277 Leipzig

Leipzig, 20.3., 10 Uhr Le-sung und Gespräch LEIP-ZIG LIEST Abenteuer DDR – Kubaner im deutschen Sozialismus Mit den AutorInnen: Wolf-Die-ter Vogel und Verona Wunder-lich und den Portraitierten für das Buch Lourdes Maria Ser-ra Otero und Teresa Sánchez Bravo Veranstaltet vom Karl-Dietz-Verlag und der Rosa-Luxem-burg-Stiftung Sachsen e.V. Rosa-Luxemburg-Stiftung, Harkortstraße 10, 04107 Leip-zig

Chemnitz, 21. 3 bis 7.4. Ausstellung „ NEOFA-SCHISMUS IN DEUTSCH-LAND“ Über 100 Todesopfer hat die neofaschistische Gewalt seit 1990 bereits gefordert. Die Ausstellung informiert über Ideologie und Praxis des Neo-faschismus und benennt Ur-sachen und Zusammenhänge für die Ausbreitung rassisti-schen, nationalistischen und militaristischen Denkens und Handelns.

Zu sehen ist die Ausstellung vom 21.März bis 7.April zu den Öffnungszeiten des QUER BEET. QUERBEET, Rosenplatz 4, 09126 Chemnitz

Chemnitz, 22.3., 18 Uhr-Buchvorstellung und Dis-kussion Fabrikarbeit in der NS-Zeit. Arbeiter und Zwangsarbeiter in Chem-nitz 1933-1945 Mit dem Autor Dr. Karlheinz Schaller

Gemeinsam mit Rothaus e.V. und GBM e.V.Rothaus, Lohstraße 2, 09111 Chemnitz

Dresden, 23.3., 19 Uhr Vortrag und Diskussion Kommunale Demokratie-bewegung – Erfahrungen mit Stuttgart 21 Mit Alexander Schlager, Rosa-Luxemburg-Stiftung Baden-Württemberg, Stuttgart WIR AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden

Leipzig, 29.3., 18 Uhr Vor-trag und Diskussion Die Antike als eine Quelle der europäischen Kultur Mit Prof. Dr. Klaus-Dieter Eichler Moderation: Prof. Dr. Horst Pickert Rosa-Luxemburg-Stiftung, Harkortstraße 10, 04107 Leip-zig

Leipzig, 30.3., 18 Uhr Vor-trag und Diskussion »Mitt-wochs-Attacke« Von der Finanzkrise zur Euro-Krise – Steht Euro-Land vor der Pleite? Mit MdB Dr. Axel Troost Eine Veranstaltung von attac Leipzig in Zusammenarbeit mit der Rosa-Luxemburg-Stif-tung Sachsen e.V. Schaubühne Lindenfels, Karl-Heine-Straße 50, 04229 Leip-zig

Page 15: Links! Sachsen 3 2011

Seite 7 3/2011 Links!

Amtliche Aufarbeitung

Der Mensch ist gar nicht so schlecht

Es sorgte für einen Aufruhr – im Oktober 2010 erschien endlich die historische Aufar-beitung der Geschichte des (west)deutschen diplomati-schen Dienstes. Für Wirbel hatten »Amtsinterne« Anzei-gen 2004 gesorgt, bei denen Personen geehrt wurden in To-desanzeigen, die offenbar in Verbrechen im Dritten Reich verstrickt waren. Das wiede-rum stieß dem damaligen Au-ßenminister Joschka Fischer auf, der eine wissenschaft-liche Aufarbeitung der Ge-schichte seines Hauses ver-langte und diese liegt nun vor. Man mag über Frischer urtei-len wie man will, aber es bleibt sein Verdienst die Aufarbei-tung angeschoben zu haben – so wie es Kohls Verdienst bleibt in Verdun das Bündnis mit Frankreich vertieft zu ha-ben. In einem jüngeren WDR-Beitrag zur Erinnerung an Ver-dun berichtete Kohl darüber, wie sein Vater noch Jahrzehn-te nach dem Ersten Weltkrieg hochschreckte, weil er die Bil-der von Verdun in seinem Kopf nicht los wurde. Hätte Fischer sich mit Kohl über Verdun un-terhalten, wäre er bei seinen außenpolitischen Seiltänzen in Bonn vielleicht vorsichti-ger gewesen – seinen außen-politischen Fehltritt bezahlen heute immer noch junge Deut-sche mit einem Blutzoll. Doch Kriegstreiber waren die Diplo-

maten, wie das Buch von Eck-art Conze, Norbert Frei, Peter Hayes und Moshe Zimmer-mann beweist, schon 1933 – dies hat allerdings nicht wenig mit der unbewältigten Ge-schichte des Ersten Weltkrie-ges zu tun. Am 22. Juli 1940 kapitulierte Frankreich in ei-nem Eisenbahnwaggon – es war der Gleiche, in dem das Deutsche Reich seine Kapi-tulation im Ersten Weltkrieg unterzeichnet hatte. Doch für Frankreich – das war die größte Demütigung – unter-schrieb General Petain. Der einstige Held von Verdun wur-de zum Kollaborateur des Na-zis und einzig seine Verdiens-te im Ersten Weltkrieg retten ihn nach 1945 vor der Todes-strafe für seine Verbrechen in der Vichy-Regierung. Hier setzt die Kritik an dem Buch an. Es ist ein erster wissen-schaftlicher Versuch der Auf-arbeitung, abgeschlossen ist die Aufarbeitung damit noch längst nicht. Das Werk ist 880 Seiten stark – das reicht na-türlich hinten und vorne nicht. Es hätte auf jeden Fall als ein mehrbändiges Werk angelegt werden müssen. Der Verdacht drängt sich somit auf, dass mit der vom obersten Dienst-herrn des Auswärtigen Amtes angeordneten Aufarbeitung einer Forderung nach ech-ter Aufklärung über die Ge-schichte des Amtes nur zum

Schein nachgekommen wur-de. Es gibt zwei Hauptteile, die obendrein mehr als un-glückliche Überschriften tra-gen: Teil 1 heißt: »Die Vergan-genheit des Amtes« und Teil 2 sinnigerweise »Das Amt und die Vergangenheit«. Dabei geht es z.B. im ersten Teil um die Personen, also die Perso-nalstruktur, Personalpolitik, Mitgliedschaften in Partei, SS und SA – bei diesem gan-zen Klein-Klein bleibt völlig auf der Strecke, dass gerade die Außenpolitik Wirtschafts-politik umzusetzen hatte. Wo-rum ging es schließlich im

Russlandfeldzug? Hatte man da nicht die Ölfelder im Kaspi-schen Meer im Blick? Und war das nur eine Idee von Militärs oder steckten dabei viel mehr deutsche Wirtschaftsmagna-ten dahinter? Die Verbindung: Wehrwirtschaftsführer – Au-ßenpolitik sucht man vergeb-lich. Um das Buch als wissen-schaftliche Arbeitsgrundlage nutzen zu können, aber auch um interessante Informatio-nen für den interessierten Lai-en rasch aufzufinden, hätte es sich sich gehört ein Glossar an das Buchende anzufügen. Doch das Buch kommt nicht

nur ohne Fotos, ohne Graphi-ken daher – man hat sich auch das Glossar geschenkt. Um in dem Buch nun richtig arbei-ten zu können bräuchte man es als Ebook, dort könnte man dann scannen nach Wehr-wirtschaftsführern oder Wirt-schaftspolitik – und würde mit einiger Sicherheit maßlos ent-täuscht.Ralf Richter»Das Amt und die Vergangen-heit« Die deutschen Diploma-ten im Dritten Reich und in der BundesrepublikBlessing Verlag34,95 Euro

Ein Buch über die Perspektive einer Gesellschaft netter ZeitgenossenRichard David Precht ist ein gern gesehener Talkshow-Gast, wenn’s um Ethik und Moral in Zeiten des globalen Turbokapitalismus geht. Der Mann, Jahrgang 1964, mit der Berufsbezeichnung »Phi-losoph/Publizist« gilt dem Mainstream der Medien als respektabler Linker und steht bei manchen Linken folglich im Verdacht, zu zeitgeistig zu sein. Ich bin süchtig nach sei-nen Büchern, habe »Wer bin ich – und wenn ja, wie vie-le?« ebenso begierig von der ersten bis zur letzten Seite durchgelesen wie »Liebe. Ein unordentliches Gefühl«, »Le-nin kam nur bis Lüdenscheid. Meine kleine deutsche Revo-lution« und nun »Die Kunst, kein Egoist zu sein«. Seine »Philosophie fürs Volk«, wie sie halb anerkennend, halb spöttisch genannt wird,

ist wahrscheinlich deshalb so bestsellergeneigt, weil Precht als typischer Postmoderner im guten Sinn daher kommt: sanftmütig, aber selbstbe-wusst; spät verheiratet, um-so konsequenter verliebt; in einer Patchworkfamilie le-bend, deren Kinder teilweise von der Partnerin »übernom-men«, teilweise gemeinsam gezeugt sind; schön wie ein Dandyhafter Schwuler, aber pragmatisch heterosexuell; im Diskurs nicht zu sehr po-larisierend, gleichwohl im Konkreten unerbittlich (keine Soldaten nach Afghanistan!); durch und durch undogma-tisch, jedoch keinesfalls be-liebig. Und so ist er zugleich in Weltverbesserer-Foren wie im »Bild«-Interview zu Hause.Man kann ihn auch böse be-trachten: Ein schlichter Bür-gerlicher, der die Amoral in Ober- und Unterschicht gei-ßelt und das klassische Ide-al der gut gebildeten, familiär verankerten und sozial enga-gierten Mittelschicht predigt, die als wahre Stütze einer zi-vilisierten, humanen Gesell-

schaft gestärkt werden muss. Seine praktischen Vorschlä-ge, die er aus seiner Strate-gie zur Überwindung des ent-fesselten Egoismus am Ende seines Buches präsentiert, sind gelinde gesagt reichlich naiv. Ob die Abschaffung der Bundesländer und die Direkt-wahl des Bundespräsidenten, wie u. a. von ihm empfohlen, der Stein der Weisen bei der Emanzipierung der Menschen aus den Fesseln eines bevor-mundenden Systems sind, darf bezweifelt werden.Precht frönt einer freund-lichen Anthropologie. Der Mensch als höherer Affe ist im Großen und Ganzen auf Kooperation und friedferti-ge Interaktion angelegt, dar-an sollte die Gesellschaft or-ganisatorisch anknüpfen. Die neoliberale Sicht des not-dürftig kultivierten »Jeder ge-gen jeden« ist ihm ein Gräuel. Das Grund-Denkmuster des Autors kennen wir schon aus früheren Schriften: Was den Menschen von den meisten Menschenaffen unterschei-det, ist, dass er mehr Sex hat

und darüber auch noch nach-denkt. So erfand er die fort-pflanzungstechnisch über-flüssige, aber wunderschöne romantische Liebe.Analog sollten wir uns, wenn es nach Precht geht, auch in der Gesellschaft gegenseitig das Leben schön machen –

durch anregende Gespräche und selbstverständliche Soli-darität im Alltag.Justin Bräuer

Infos zum Buchw w w . a m a z o n . d e / D i e -Kunst-kein-Egoist-zu-sein/dp/3442312183

Aus

wär

tige

s A

mt,

Neu

bau,

Ber

lin P

hoto

: And

reas

Pr

aefc

ke, C

C-L

izen

z w

ikim

edia

die schönste form der solidarität ... ferienfahrten für alle!

> sächsische schweiz > spreewald > zittauer gebirge

Jetzt informieren und anmelden: 03 51 / 858 27 20 ferienfahrten @roter-baum.dewww.roter-baum.de

> böhmen > isargebirge > mittelmeer > ostsee

Page 16: Links! Sachsen 3 2011

Seite 8Links! 3/2011

Musik

Zum 105. Geburtstag der Dresdner Künstlerin Lea GrundigKunst ist eine tragende Säu-le des Kampfes gegen Krieg und menschenverachtende Ideologien. Sie soll anklagen, Menschlichkeit einfordern und Grauen wie Hoffnung do-kumentieren – Maßstäbe, die die politische Künstlerin Lea Grundig stets an ihr Werk an-legte. Selbst Verfolgte des Na-ziregimes, schuf sie mit ihren Bildern einzigartige Zeugnis-se einer mephistophelischen Zeit. »Ich wollte die Men-schen so darstellen, daß man ihr Elend, ihre Leiden erkann-te und zugleich Zorn darüber empfand«, schrieb sie in ihrer Autobiografie.Lea Grundig wurde 1906 in der Dresdner Altstadt geboren und wuchs in einer jüdisch-or-thodoxen Familie heran. Nach dem Besuch der Dresdner Kunstgewerbeakademie be-gann sie 1923 ihr Studium an der Akademie der Bildenden Künste. Drei Jahre später or-ganisierte sie sich in der KPD und wirkte dort in der Frauen-abteilung; 1928 heiratete sie den Maler Hans Grundig und bezog mit ihm eine Wohnung auf der Dresdener Melanch-thonstraße. In den Folgejah-ren engagierte sie sich immer mehr im politischen Bereich, war Mitbegründerin der Künst-lergruppe »Assoziation revo-lutionärer Bildender Künstler Deutschlands« (ASSO) und ge-staltete ab 1930 antifaschisti-sche Bilderzyklen und Blätter unter Titeln wie »Krieg droht!«, »Unterm Hakenkreuz«, »Der Ju-de ist schuld!« oder »Im Tal des Todes«. Als Vertreterin »entar-teter Kunst« mit Ausstellungs-verbot belegt, wurde sie 1936

wegen ihres Engagements in kommunistischen Organisa-tionen inhaftiert und saß bis 1939 im Dresdner Gefängnis am Münchner Platz. Über Bra-tislava (Preßburg) emigrierte sie 1941 schließlich nach Pa-lästina. Im Gegensatz zu zahlreichen anderen Künstlern, Intellektu-ellen und Schriftstellern, die das faschistische Deutsch-land ins Exil gezwungen hat-te, kehrte sie nach dem Krie-ge nach Dresden zurück und arbeitete fortan als Profes-sorin für Grafik an der Hoch-schule für Bildende Künste. In den Folgejahren prägte sie die DDR-Kulturpolitik genau-so wie die Kunst in Dresden; sie bereiste China, Kuba und

Kambodscha. 1961 ordentli-ches Mitglied der Akademie der Künste der DDR, leitete sie von 1964 bis 1970 als Prä-sidentin den »Verband bilden-der Künstler«. Für ihre Werke erhielt sie zweimal den Natio-nalpreis der DDR. Lea Grundig starb 1977 während einer Mit-telmeerreise. Begraben liegt sie auf dem Heidefriedhof in Dresden. Lea Grundig zählt zu jenen Künstlern, deren Werke in Deutschland fast vergessen sind. Ihre antifaschistischen Bilder machen nur einen kleinen Teil ihres gesamten künstlerischen Wirkens aus; allerdings sind sie auch der be-kannteste. Besonders im Zeit-alter des Wiedererstarkens fa-

schistischer Kräfte – auch und besonders in Sachsen – ist es von großer Wichtigkeit, an das Leben und Schaffen von Lea Grundig zu erinnern. Ihre Kunst ist ein beeindrucken-des Beispiel für eine zutiefst humanistische Lebensauffas-sung; wie kaum eine andere deutsche Künstlerin hat sie den Leidensweg der jüdischen Bevölkerung Europas kämp-ferisch begleitet. Mit Bildern wie »Bluthunde«, »Treblinka« oder »Helft!« leistete sie ei-nen wichtigen Beitrag gegen das Vergessen. Lea Grundig war der Hölle der Verfolgung entronnen; sie schuf all jenen ein Denkmal, für die es keine Flucht gegeben hatte.Paul Kühn

Anti-Kriegs-Lieder bilden wahrscheinlich die größte Gruppe unter den politischen Musik-stücken. Ihre wohl wich-tigste Gemeinsamkeit ist, dass sie alle unvermindert aktuell sind – erst im Februar haben wieder drei junge deutsche Soldaten in Afghanistan den Tod gefunden. Abseits dessen sind sie jedoch keineswegs alle nach demselben Muster gestrickt. Einige Werke ste-chen schillernd aus der »gro-ßen Masse« hervor - dazu zählt fraglos auch der 1963 entstan-dene Song »Masters of War«. Er stammt von keinem Gerin-geren als Bob Dylan, einem der wichtigsten Musiker des ver-gangenen Jahrhunderts. Zwar gehört »Masters of War« zu den weniger bekannten Stücken Dylans; aufgrund seines klaren

und radikalen Bekenntnisses gegen die Drahtzieher staat-lich organisierten Tötens ist es jedoch ein ganz besonderes Ju-wel in Dylans Schaffen. In einer Zeit des sich ver-schärfenden Kalten Krieges und allgegenwärtiger Aufrüs-tung klagt Dylan trotzig all je-ne Kräfte an, die im sicheren Hintergrund militärischer Aus-einander-setzungen die Fäden ziehen und nicht wissen, was Krieg konkret bedeutet. Er tut dies nicht appellierend, son-dern unverhohlen drohend, schreiend beinah: »Come you masters of war/You that build the big guns/…/I just want you to know/I can see through your masks” - eine wutschnaubende Attacke, ein verbitterter Fluch gegen den militärisch-industriellen Kom-

plex. Dylan entlarvt furcht-los die Kriegspropaganda (»Like Judas of old/You lie and deceive/A world war can be won/You want me to believe«) und die wahren Schuldigen («You hide in your mansion‘/As the young people‘s blood/Flows out of their bodies/And is buried in the mud.”). Das Lied endet mit der unverhüll-ten Hoffnung, dass die Verant-wortlichen bald selbst sterben müssten; zum Schluss kün-digt Dylan an, er wolle ihren Särgen folgen und mit sich ei-nem Blick in ihre Gräber ver-gewissern, dass sie nie wieder aufstehen und junge Men-schen in Schlachten schicken könnten. Dylan verkörpert zweifellos die amerikanische Protest-generation der sechziger Jah-

re, doch anders als Musiker wie Woody Guthrie oder Pete Seeger erklärte er sich nie ei-ner politischen Richtung oder gar Partei zugehörig. Stets der idiosynkratische Rebell, der in seinen (Protest-)Songs mal trotzig-offensiv, mal melancholisch-nachdenk-lich bestehende Missstände anklagt, verwahrte sich Dylan strikt dagegen, als politischer Aktivist oder gar als Agita-tor verstanden zu werden. Seine Botschaft ist dennoch klar: Krieg schadet immer nur denjenigen, die an ihm keine Schuld tragen. Oder, wie der ehemalige US-Präsident Her-bert Hoover formulierte: »Äl-tere Männer erklären Krieg. Aber es ist die Jugend, die kämpfen und sterben muss.«Kevin Reißig

Nur ein einziger Schuss fällt am 24. März 1980 und Erzbischof Oscar Arnulfo Romero ist so-fort tödlich getroffen. Er wurde bald zum Symbol für die »igle-sia popular« in El Salvador, die Volkskirche. Er deckte die wah-ren Ursachen für die Not und das Elend der Menschen auf: »Unser Volk hat einen gemein-samen Feind: die Oligarchie, das sind vierzehn Familien, ge-prägt von einer noch zuneh-menden Unersättlichkeit. Ih-nen rufe ich zu: öffnet eure Hände; gebt euer Gold freiwil-lig heraus, denn sonst wird die Zeit kommen, da man euch die Hände abhacken wird.«Er begrüßte das Zusammen-gehen der Kommunisten mit der Volksbefreiungsfront »Fa-rabundo Marti« und den Streit-kräften des Nationalen Wider-standes als einen Schritt zur notwendigen Einheit des Volkes. In jeder Predigt verlas er die Na-men der von den Todesschwad-ronen Ermordeten und predigte Widerstand gegen die Junta.Die Gesellschaftskritik Rome-ros erwuchs aus der christ-lichen Lehre selbst, ordnet sich ein in die Linie, die mit der päpstlichen Enzyklika »Populo-rum progressio« von Papst Paul VI. auf dem II. Vatikanischen Konzil 1967 ihren Anfang nahm und in den Beschlüsse der Bi-schofskonferenzen von Me-dellin 1968 und Puebla 1979 ihre fortsetzung erfuhren. Die Katholiken Lateinamerikas sollten gegen die Ungerech-tigkeiten vorgehen. Nelson Ro-ckefeller warnte bereits 1969, als er die lateinamerikanischen Staaten im Auftrag Nixons be-reiste: »Wir müssen vor der La-teinamerikanischen Kirche auf der Hut sein. Wenn sie die Ent-scheidungen von Medellin aus-führt, handelt sie gegen unse-re Interessen.« Es fehlte nicht an Morddrohungen, der katho-lische Sender »YSAX« wurde Anfang 1980 gesprengt und in den Kirchen fand man Bomben. Nach der Sprengung des Sen-ders rief Romero am 23. März 1980 auch Soldaten zu Wider-stand und Befehlsverweigerung mit Begründungen aus der Bi-bel auf. Bei der Gläubigkeit der Militärangehörigen war dies ein neuer gefährlicher Schlag ge-gen die Machthaber. Das Wort Erzbischof Romeros war gefähr-licher als jede andere Gewalt, also musste es verstummen.Der Befehlsgeber für das Mordkommando ist 1983/84 bekannt gewor den, auch die frühzeitige Kenntnis der Re-agan- Regierung über die Mör-derbande. Aber ihre Bestra-fung erfolgte nicht.Ralf Becker

Nicht nur beten, sondern handeln

Kunst wider das VergessenKirche

Maskierte Kriegstreiber

Treblinka Aus dem Buch »Im Tal des Todes«, einer Folge von siebzehn Zeichnungen, ent-standen 1942 bis 1943, gedruckt in der Druckerei „Haarez“,Tel–Aviv 1944.