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Links! »Im Schatten der Bestseller- türme« Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt April 2011 Die Buchmesse ist der Buch- stadt Leipzig geblieben. Jahr um Jahr klingen die Zahlen op- timistischer. Ob das MM indes Money Money heißt, wissen die Eigner der Messe zu sagen. Beim Anblick der hundert- fach aufgereihten Vampirbän- de kann es auch Masse Masse heißen. Worte, die mit Klein- verlagen kaum in Verbindung zu bringen sind. Im Messe- programm ziert diese das Ad- jektiv »unabhängig«. Aber was bitte ist das bei einem Verlag? Die Abhängigkeit beginnt nicht erst beim Programm. Gut be- raten ist eine Buchmesselei- tung, die den Kleinverlagen entgegenkommt. Vielfalt ist ein Marketingwort, das sei- nen Preis hat. Europas großes (größtes?) Literaturfest »Leip- zig liest« wäre ohne das plura- listische Prinzip längst in die Verwechselbarkeit der Mar- kenware abgesunken. Wohl kein anderes als das Leipziger Publikum und das Publikum in Leipzig nimmt in dem Maße die Lesungsangebote wahr. In solcher Atmosphäre nimmt es kaum wunder, dass die Anzahl kleinerer Verlage eher zu- als abnimmt. Der renommierteste unter den Neugründungen in Leipzig allerdings, Faber & Fa- ber, hat seine Messestandprä- senz auf Stand by geschaltet. Der Wunsch, das erste eigene Buch, das niemand sonst druk- ken mag, gedruckt zu sehen, führt nicht selten zur Grün- dung eines Verlages. Die Leip- ziger Volkszeitung hat im Vor- feld der Leipziger Buchmesse eine ganze Reihe von mittel- deutschen Kleinverlagen vor- gestellt, die, das war die Be- dingung, mit neuen Titeln aufwarten konnten. Unter den porträtierten Verlagen war auch der Leipziger Literatur- verlag des Viktor Kalinke (was ein Pseudonym ist, im »wahren Leben« ernährt den Mann eine halbe Stelle als Hochschulpro- fessor). Als er keinen Verlag fand, gründete er selbst ei- nen und veröffentlicht seither im Eigenverlag Buch um Buch als Books on Demand. Gern hätte er seinen Verlag »Volk und Welt« genannt, denn sein Ehrgeiz hat ihn von Anfang an über den eigenen Manuskript- seitenrand hinaus schauen lassen, vor allem gen Osten. Mittlerweile hat sein Kleinver- lag eine Vielzahl von Werken osteuropäischer Autorinnen und Autoren in deutschspra- chigen Erstausgaben heraus- gebracht. Um einen guten Kontext geht es auch dem Chemnitzer ClauS Verlag, der seinen Sitz im Stadtteil Kaßberg hat. Das Büro teilt sich Gründerin Clau- dia Stein u.a. auch mit dem Palisander-Verlag und schätzt das ChemNetzWerk, das, ob seiner Überschaubarkeit, of- fenbar aus festen Verbindun- gen besteht, die nicht vom Neid zerfressen werden. Das Motto verheißt (etwas spröde) Bücher mit Tragweite im Ver- lag mit Spannbreite«. Solange genügend Kunden vor Kassen mit Geldscheinen wedeln, wird dem kleinen grünen Drachen, dem Signet des ClauS Verla- ges, die Luft nicht ausgehen. Luft ist auch etwas, was den zurecht mit Ehrungen bedach- ten Leipziger Poetenladen-Ver- lag in der Schwebe hält, Prosa wie »Luftpost« und »Im Eisluft- ballon«. Dünn ist die Luft auf dem Buchmarkt für Lyrik, de- ren Angebot sich in Buchhand- lungen, wenn überhaupt, oft im toten Winkel befindet. Im Poetenladen sind unlängst mit »Es gibt eine andere Welt« Gedichtproben von Lyrikerin- nen und Lyrikern erschienen, deren Biographie eng mit den einstigen Bezirken Karl-Marx- Stadt/Dresden/Leipzig bzw. dem Freistaat Sachsen ver- bunden ist. Das Buch ist ein Breitband und lässt eindrucks- voll die poetische Kraft dieses Landstrichs erkennen. Hie- sige Bibliotheken sollten die Sammlung zu ihren Novitäten stellen und auch sonst in den Programmen all der anderen sächsischen Verlage stöbern: wie Connewitzer, Evangeli- sche, fhl, Hoerwerk, Mironde, Plöttner, Sax oder des neuen Lychatz Verlages, der gerade mit der ersten Röhm-Biogra- phie aufwartet. Ralph Grüneberger ist ein Leipziger Schriftsteller. Er veröffentlicht in Literaturzeitschriften, im Rundfunk und in Anthologien. Darüber hinaus ist er Mitherausgeber von Gedichtsammlungen und Kurator der Ausstellung „gegen den strom. Schriftsteller und der Prager Frühling in Leipzig“. Er ist Mitglied des P.E.N.-Zentrums Deutschland. Seit 1996 wirkt Ralph Grüneberger als Erster Vorsitzender der Gesellschaft für zeitgenössische Lyrik. Auf der folgenden Seite befragte Links! den Leipziger Kulturbürgermeister und Verleger Michael Faber zum gleichen Thema.

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Linke Zeitung mit Beilegern der Partei DIE LINKE. Sachsen, der Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag und dem Kommunalpolitischen Forum Sachsen

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Links!

»Im Schatten der Bestseller-türme«

Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt April 2011

Die Buchmesse ist der Buch-stadt Leipzig geblieben. Jahr um Jahr klingen die Zahlen op-timistischer. Ob das MM indes Money Money heißt, wissen die Eigner der Messe zu sagen. Beim Anblick der hundert-fach aufgereihten Vampirbän-de kann es auch Masse Masse heißen. Worte, die mit Klein-verlagen kaum in Verbindung zu bringen sind. Im Messe-programm ziert diese das Ad-jektiv »unabhängig«. Aber was bitte ist das bei einem Verlag? Die Abhängigkeit beginnt nicht erst beim Programm. Gut be-raten ist eine Buchmesselei-tung, die den Kleinverlagen entgegenkommt. Vielfalt ist ein Marketingwort, das sei-nen Preis hat. Europas großes (größtes?) Literaturfest »Leip-zig liest« wäre ohne das plura-listische Prinzip längst in die Verwechselbarkeit der Mar-kenware abgesunken. Wohl kein anderes als das Leipziger Publikum und das Publikum inLeipzig nimmt in dem Maße die Lesungsangebote wahr. In solcher Atmosphäre nimmt es kaum wunder, dass die Anzahl kleinerer Verlage eher zu- als abnimmt. Der renommierteste unter den Neugründungen in Leipzig allerdings, Faber & Fa-ber, hat seine Messestandprä-senz auf Stand by geschaltet. Der Wunsch, das erste eigene Buch, das niemand sonst druk-ken mag, gedruckt zu sehen, führt nicht selten zur Grün-dung eines Verlages. Die Leip-ziger Volkszeitung hat im Vor-feld der Leipziger Buchmesse eine ganze Reihe von mittel-deutschen Kleinverlagen vor-gestellt, die, das war die Be-dingung, mit neuen Titeln aufwarten konnten. Unter den porträtierten Verlagen war auch der Leipziger Literatur-verlag des Viktor Kalinke (was ein Pseudonym ist, im »wahren Leben« ernährt den Mann eine halbe Stelle als Hochschulpro-fessor). Als er keinen Verlag fand, gründete er selbst ei-nen und veröffentlicht seither im Eigenverlag Buch um Buch als Books on Demand. Gern hätte er seinen Verlag »Volk

und Welt« genannt, denn sein Ehrgeiz hat ihn von Anfang an über den eigenen Manuskript-seitenrand hinaus schauen lassen, vor allem gen Osten. Mittlerweile hat sein Kleinver-lag eine Vielzahl von Werken osteuropäischer Autorinnen und Autoren in deutschspra-chigen Erstausgaben heraus-gebracht. Um einen guten Kontext geht es auch dem Chemnitzer ClauS Verlag, der seinen Sitz im Stadtteil Kaßberg hat. Das Büro teilt sich Gründerin Clau-dia Stein u.a. auch mit dem Palisander-Verlag und schätzt das ChemNetzWerk, das, ob seiner Überschaubarkeit, of-fenbar aus festen Verbindun-gen besteht, die nicht vom Neid zerfressen werden. Das Motto verheißt (etwas spröde) Bücher mit Tragweite im Ver-lag mit Spannbreite«. Solange genügend Kunden vor Kassen mit Geldscheinen wedeln, wird dem kleinen grünen Drachen, dem Signet des ClauS Verla-ges, die Luft nicht ausgehen.Luft ist auch etwas, was den zurecht mit Ehrungen bedach-ten Leipziger Poetenladen-Ver-lag in der Schwebe hält, Prosa wie »Luftpost« und »Im Eisluft-ballon«. Dünn ist die Luft auf dem Buchmarkt für Lyrik, de-ren Angebot sich in Buchhand-lungen, wenn überhaupt, oft im toten Winkel befindet. Im Poetenladen sind unlängst mit »Es gibt eine andere Welt« Gedichtproben von Lyrikerin-nen und Lyrikern erschienen, deren Biographie eng mit den einstigen Bezirken Karl-Marx-Stadt/Dresden/Leipzig bzw. dem Freistaat Sachsen ver-bunden ist. Das Buch ist ein Breitband und lässt eindrucks-voll die poetische Kraft dieses Landstrichs erkennen. Hie-sige Bibliotheken sollten die Sammlung zu ihren Novitäten stellen und auch sonst in den Programmen all der anderen sächsischen Verlage stöbern: wie Connewitzer, Evangeli-sche, fhl, Hoerwerk, Mironde, Plöttner, Sax oder des neuen Lychatz Verlages, der gerade mit der ersten Röhm-Biogra-phie aufwartet.

Ralph Grüneberger ist ein Leipziger Schriftsteller. Er veröffentlicht in Literaturzeitschriften, im Rundfunk und in Anthologien. Darüber hinaus ist er Mitherausgeber von Gedichtsammlungen und Kurator der Ausstellung „gegen den strom. Schriftsteller und der Prager Frühling in Leipzig“. Er ist Mitglied des P.E.N.-Zentrums Deutschland. Seit 1996 wirkt Ralph Grüneberger als Erster Vorsitzender der Gesellschaft für zeitgenössische Lyrik. Auf der folgenden Seite befragte Links! den Leipziger Kulturbürgermeister und Verleger Michael Faber zum gleichen Thema.

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»Kulturelle Liberalität«links! im Gespräch

Diese Zeitung sprach mit dem Leipziger Kulturbür-germeister Michael Faber. Im November 2010 wur-den Faber durch Oberbür-germeister Burkhard Jung die Zuständigkeiten für die Oper Leipzig, Gewandhaus, Theater der Jungen Welt, Centraltheater und Musik-schule Leipzig „Johann Se-bastian Bach“ entzogen. Der Versuch, Michael Faber abwählen zu lassen, schei-terte.

Warum sind Sie Bürger-meister gerade für die Linke geworden? Gibt es korrespondierende kul-turpolitische oder weltan-schauliche Positionen?Das ist eine Gemengelage, wie ich sozialisiert worden bin, wie ich insbesondere Prozes-se nach 1990 wahrgenommen und versucht habe, mich sel-ber zu positionieren. Bei den LINKEN habe ich am stärksten Gesellschaftsansätze wahrge-nommen, die auch meine eige-nen sind, z.B. Arbeitskraft för-dern und nicht den Abbau von Arbeitskräften. In der Kulturpolitik vertrete ich allerdings einen anderen An-satz. Die Kultur sollte nicht po-litisch administriert sein. Kultur ist ein gesellschaftliches Gut, das allen Generationen und al-len sozialen Milieus zur Verfü-gung steht, und wenn wir nun einmal in einer Gesellschaft leben, die sich stark über So-zial- und politische Verbände definiert, dann sollte die Kultur möglichst fraktionslos sein. In dem Abwahlverfahren habe ich allerdings auch die Stärke einer Fraktion erlebt, was mich zu-mindest zu der Frage brachte, ob mein Grundverständnis so richtig ist – aber ich lasse es als Frage offen.

Gibt es das: Kulturpolitik nicht als LINKE Kultur, son-dern als eine eigene Politik ohne politische Anbindung?Nein, es gibt natürlich in allen unterschiedlichen Schattierun-gen wie auch in unterschied-lichen Generationen Hand-lungsansätze, von denen mir manche näher sind als andere. Beispielsweise barrierefreier Zugang zur Kultur, Partizipation etc., da war die LINKE immer stark in den zurückliegenden Jahrzehnten. Deshalb würde ich diese Teile linker Kulturpo-litik immer zu meinen eigenen erklären; aber ich würde dort, wo linke Kulturpolitik mögli-cherweise unterbelichtet ist, diese Stellen trotzdem beset-zen, und wenn ich sie ergän-zen kann, beispielsweise mit sozialdemokratischen Ansät-zen oder mit einem Ansatz, der

gar nicht politisch dominiert ist – den würde ich immer mit in mein Gesamtsystem hineinver-weben, ohne mir Gedanken zu machen, aus welchen Quellen er ist. Die Kultur sollte schon so was wie eine freundliche Beob-achterrolle in der Gesellschaft einnehmen, immer ein biss-chen klüger als die Sozialitäten, immer ein bisschen geschick-ter und vermutlich immer miss-verstandener. Das muss man in Kauf nehmen, und darum

polarisiert die Kultur so stark, deshalb gibt es bei allen besse-ren Kulturleistungen Polarisie-rungen: in die Bejaher und die Verneiner, und deshalb sollten wir auch immer wieder unauf-geregt sein, wenn Aufregung in der Kulturdiskussion entsteht. Dies ist ein signifikantes Merk-mal guter Kultur. Eine Kultur, die alle vereint, ist zu flach und bringt keine Seele, keine Tie-fe, bringt vielleicht einen guten Unterhaltungsmoment, den wir nicht zu unterschätzen haben.

Das Leipziger Centralthea-ter ist in einer polarisieren-den Diskussion, mit dem Stil und dem Repertoire, das sie verändert haben. Ist das mutig?Da komme ich mit meinem Be-griff der Liberalität. Wenn ei-ne Stadt nur ein Theater hat, das so genannte Stadtthea-ter, dann muss es versuchen, die unterschiedlichen Sozia-litäten, die unterschiedlichen geistigen Veranlagungen und Generationen zu bedienen. Das meine ich mit liberal. Ich kann es trotzdem mit einer Li-nie und mit einer Handschrift versehen, aber ich darf nicht ausgrenzen. Schon allein zu sa-gen, wir wollen für die jungen Leute mehr Theater machen

und in Kauf nehmen, die älte-re Generation zu verprellen, ist nicht gut für ein Theater. Der zweite Aspekt ist, dass man als Kulturbürgermeister auch eine Aufsichtspflicht hat, was die Wirtschaftlichkeit der Ei-genbetriebe betrifft. Und wenn ich dort etwas bemerke, was für die Entwicklung des Hauses eher negativ ist, muss ich han-deln, anders kann ich meinen Beruf nicht verstehen. Dies hat dazu geführt, dass ich mich ei-

ner enormen Kritik ausgesetzt habe, nicht nur beim Intendan-ten, sondern offensichtlich auch beim Oberbürgermeister.

Was sind Ihre Visionen für Leipziger Kultur?Bei Amtsantritt habe ich ganz deutlich zwei Baustellen ge-sehen, die zwingend für die nächsten Jahre zu beenden sind. Das sind das Naturkunde-museum und die Musikalische Komödie, beide mit großen Potenzen. Beim Naturkunde-museum muss man wissen, dass vergleichbare Sammlun-gen im Durchschnitt zwischen 160.000 und 180.000 Besu-cher haben, und zwar durch al-le Generationen und sozialen Milieus hindurch. Dass wir ei-nen Bildungsauftrag haben bei den Generationen, die mög-licherweise nur eine einge-schränkte Wahrnehmung von Natur haben, steht sowieso auf dem Blatt; aber diese Museen haben auch eine hohe Beliebt-heitsquote. Wenn ich nur unter diesem Aspekt das jüngste Er-gebnis von 37.000 Besuchern 2010 in Leipzig betrachte, sind wir in einem völlig desolaten Zustand. Die 20.000 Unter-schriften, die innerhalb von wenigen Wochen gesammelt wurden, sind natürlich ein ganz

starkes Votum; das heißt, es haben mehr Menschen für das Museum votiert als eigentlich reingehen. Dieses Dilemma müssen wir auflösen. Bei der Musikalischen Komö-die haben wir rund 80 Prozent Auslastung – die Oper z.B. hat 60 Prozent – da merkt man, dass dies ein Genre ist, das gut ankommt. Ich weiß, dass die annähernd 15 Millionen Euro in der augenblicklichen Haus-haltssituation schwer zu ver-

mitteln sind. Dazu kamen natürlich ein paar andere Dinge, in die ich erst einmal reinwachsen musste. Zum Beispiel, dass wir nach wie vor für die Mendelssohn-Stiftung keine Landesmittel bekommen, obwohl sie im Ver-gleich zum Bach-Archiv eine ähnlich bedeutsame Arbeit leistet. Des weiteren in der Behandlung der freien Träger und Vereine, weil ich dort zum Beispiel den Proporz als un-angemessen empfinde. Wir haben – was aufgrund der ho-hen Bindung sicher zu einer be-stimmten Zeit sehr gut war, um Kontinuitäten zu sichern – au-genblicklich etwa 77 Prozent aller Kulturmittel in der institu-tionellen Förderung gebunden, d.h. unser Handlungsspielraum sowohl in der Politik als auch in der Verwaltung ist extrem klein. Ich habe einen Kernsatz: Was zeichnet diese Stadt aus? Wir haben einen hohen histori-schen Schatz in Leipzig, der hat natürlich etwas mit der enor-men wirtschaftlichen Entwick-lung der Stadt im 18./19. Jahr-hundert und bis weit ins 20. Jahrhundert hinein zu tun. Und wir sind eine der jugendlichs-ten Städte Europas, das hängt mit der zentralen Lage der Uni-versitäten zusammen, es gibt

nämlich kaum eine Stadt in Europa, wo der Campus der Großuniversität und die Stand-orte der Hochschulen so zen-trumsnah sind. Unsere Stadt sieht immer jung aus, und wenn es uns gelingt, den histo-rischen Schatz mit der perma-nenten Sache Jugend zu ver-einen, dann muss uns für die Entwicklung der Stadt nicht bange sein. Das ist für mich ein Kernpunkt.

Gibt es im „Abwahlstreit“ neue Entwicklungen?Nein. Leider nicht. Es gibt ei-ne Reihe von Dissensen, die ich für normal halte, die haben in der Regel nichts in der Öf-fentlichkeit zu suchen. Es ist auch etwas Natürliches, dass ein Oberbürgermeister am En-de auch mal anders entschei-det, als ihm der Fachrat das rät. Im Grundsatz muss man einen Fachrat hören, um im Abwä-gungsfall dann zur endgültigen Entscheidung zu kommen. Des-halb ist der Dissens ein Teil der Arbeitsmethodik und kann nie zu einer Entzweiung führen, es sei denn, es geht um Eitel-keiten.

Sie sind Mitbesitzer des Verlages Faber & Faber, der zur Buchmesse nichts mehr ausgestellt hat, weil das Verlagsprogramm ruht. Wie geht es weiter?Wir machen ein sogenanntes weißes Jahr, wir werden noch mal die Backliste durchgehen, es gibt dieses Jahr noch drei Neuerscheinungen, und wir verhandeln augenblicklich, um einen aktiven Mitgesellschafter zu gewinnen. Die Buchmesse war ein großer Erfolg, mit so vielen Besuchern wie noch nie zuvor. Ich denke es war klug, Ende der 90er Jah-re nicht in direkte Konkurrenz zur Frankfurter Lizenzhandels-messe zu gehen, sondern auf den Leser zu setzen, eine Mar-ketingmesse zu machen. In der Zwischenzeit kommen Verla-ge, die am Anfang der Messe nicht so gewogen waren, und sie ist damit nicht nur ein Publi-kumsmagnet, sondern sie wird zunehmend wirtschaftlich er-folgreich.Ich war zwei Tage auf der Mes-se, bin zu Veranstaltungen ge-wesen, nachts auch mit Kol-legen. Eins meiner schönsten Erlebnisse war die Veranstal-tung »Neues aus den Nieder-landen« im Restaurant »Tele-graph«. Drei Autoren haben aus Neuerscheinungen gele-sen. Eines der schönsten Bü-cher: »Amsterdam und zurück« von Marente de Moor, ein Buch über die Situation russischer Auswanderer in der Diaspo-ra von Amsterdam, mit tiefen Einblicken in die russische als auch holländische Seele.

Die Fragen stellten Juliane Na-gel und Rico Schubert.

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Neonazis und die Ohnmacht des Versammlungsrechts

Widerstand zwecklos?Polizei und Justiz ließen Nazis in Chemnitz marschieren

Von den Menschen in der Chemnitzer Innenstadt hör-te man am Abend des 5. März sehr häufig den Satz: »Warum dürfen die marschieren?«»Die« waren Nazis von 4 bis 74 Jahren. Alljährlich ziehen sie, ähnlich wie in Dresden, am Jah-restag der Bombardierung von Chemnitz durch die Stadt. Be-gründet wurde der Marsch von einem Organisator der NPD im MDR-Sachsen-Spiegel mit den Worten, dass die nachfolgen-de Generation »66 Jahre Um-erziehung erdulden musste« und »Opfer zu Tätern« gemacht wurden - und man hier nur für

Aufklärung sorgen wolle. Dass es den Nazis gelungen ist, durch Chemnitz zu marschie-ren, lag an verschiedenen Fak-toren. Zum einen konnte das Bündnis »Chemnitz Nazifrei« nicht genug Leute mobilisie-ren – was sicherlich auch an einem Polizei-Flyer lag, der ein paar Tage vorher an die Bevölkerung verteilt wurde. Darin wurde darauf hingewie-sen, dass Blockaden strafbar seien und mit bis zu 2 Jahren Gefängnis geahndet würden. Verständlich, dass da eini-ge ChemnitzerInnen verunsi-chert waren und lieber zu Hau-se blieben. Zum anderen hat das Chem-nitzer Verwaltungsgericht – wie auch andere sächsische

Gerichte - zugunsten der Nazi-Demonstration entschieden, nachdem die Stadt den Auf-marsch verboten hatte. Und dieser Aufmarsch von 400 Rechtsextremen wurde dann von circa 1500 Polizisten be-schützt. Jeglicher Versuch, die Straßen zu blockieren, wurde von der Polizei vereitelt. Da-bei schreckte sie - wie auch in Dresden - nicht vor Gewalt zurück. Reizgas wurde einge-setzt, Blockierer nicht wegge-tragen, sondern unter Belei-digungen durch die Beamten weggeschliffen. Eine geneh-migte Kundgebung wurde ein-gekesselt und ihre Teilnehmer erkennungsdienstlich behan-delt. Man kann sich des Ein-druckes nicht erwehren, dass

die Nazis, ihr Aufmarsch und ihre menschenfeindliche Pro-paganda für die Polizei ein höheres Gut waren als die Zivilcourage derer, die das Grundgesetz vor dem wach-senden Einfluss des Neofa-schismus schützen wollten. Die NPD hat für nächstes Jahr bereits wieder eine De-monstration angemeldet. Da-mit Chemnitz aber nicht zum neuen »Nazi-Spielplatz« wird, müssen sich das Chemnitzer Bündnis, die Stadtverwaltung, Polizei und natürlich auch die GegendemonstrantInnen jetzt zusammensetzen und eine Strategie überlegen, damit die Nazis nächstes Jahr keinen Millimeter laufen können. Sabine Pester / Nico Brünler

Gedenken an die Todes-märsche250.000. Eine Viertelmillion Menschen. Sie kamen um, nachdem die SS im Winter 1944/45 jene Konzentrati-onslager evakuieren ließ, die alliierten Truppen in die Hän-de zu fallen drohten. Die be-sonders schwachen und be-sonders kranken Häftlinge wurden sofort zurückgelas-sen. Der Rest per Bahn oder meistens zu Fuß in Lager in Deutschland gebracht. Vie-le erfroren und verhungerten unterwegs. Wer zusammen-brach und nicht mehr weiter-konnte, wurde auf der Stelle umgebracht. Niemand kann mehr sagen, er habe nichts gewusst. Nicht mehr jen-seits der Grenzen, in Ausch-witz oder Treblinka spielte sich das Drama ab, sondern auf Straßen, Bahnhöfen und in Orten mitten in Deutsch-land. Leipzig, Chemnitz, Dres-den waren auch damals zen-trale Orte bei diesem Kapitel der Barbarei. Annaberg, Aue, Bad Düben, Bautzen, Col-ditz, Delitzsch, Döbeln, Flöha, Flößberg, Freiberg, Freital, Glauchau, … Die Liste der Or-te in Sachsen, die Schauplatz dieser NS-Verbrechen waren, ist lang. Fast am Ende dieser alpha-betischen Auflistung steht die Kleinstadt Wurzen. Be-kannt und berüchtigt für ih-re Neonaziszene, ist sie jedes Jahr Anfang Mai Endpunkt ei-nes Marsches, der an die To-desmärsche erinnern soll. Gedenken, die aktive Aus-einandersetzung mit der Ver-gangenheit und das Erinnern an die Verbrechen der histo-rischen Nazis, ist ein proba-tes Mittel, so die Initiatoren, um gegen die heutigen Nazis wirksam zu werden. In die-sem Jahr findet der Marsch an einem symbolträchtigen Datum statt: Dem Jahrestag der Befreiung vom Faschis-mus am 8. Mai. Der Gedenk-marsch beginnt traditionell um 9 Uhr am Heimatmuse-um in Borsdorf, führt dann die B6 entlang über Gerichs-hain, Machern, Deuben und Bennewitz bis zum Wurzener Friedhof. In den einzelnen Or-ten gibt es kurze Ansprachen, Lieder oder Gebete von Multi-plikatoren der Gemeinden. Ei-ne Initiative, die Nachahmung verdient. Orte dafür gibt es in Sachsen, wie die obige Liste zeigt, leider mehr als genug. Wer teilnehmen will, um sich Anregungen dafür zu holen, ist willkommen – damit der Schwur von Buchenwald nie-mals in Vergessenheit gerät: Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg! Kerstin Köditz

Spätestens seit den Ereignis-sen vom 13. und 19. Februar in Dresden und vom 5. März in Chemnitz ist ein scharfer Dis-put entbrannt, ob Nazimär-sche im Allgemeinen und an derartigen Tagen historischen Gedenkens an Krieg und Fa-schismus einfach hingenom-men werden müssen. Sind sie der Preis der Demokratie, ein Tribut an das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit und das auf Meinungsfreiheit als ele-mentare Verfassungsgüter? Nach dem Handeln der lokalen Versammlungsbehörde und der Entscheidungspraxis der Verwaltungsgerichte scheint es fast so. In Dresden setz-ten die Neonazis im Instan-zenwege bis zum Sächsischen Oberverwaltungsgericht hin durch, dass alle 3 angemelde-ten Kundgebungen im Umfeld des Hauptbahnhofes durch-geführt werden. In Chemnitz hob das Verwaltungsgericht das von der Oberbürgermeis-terin durchgesetzte ursprüng-liche Verbot in trautem Einver-nehmen mit dem Vorschlag der örtlichen Polizeidirektion auf. Die seit langem angemel-deten, entlang der Marschstre-cke liegenden Versammlungen verschiedenster Vertreter aus dem demokratischen Spekt-rum wurden an stationäre Or-te wegverfügt. In Dresden wie Chemnitz sollten martia-lische räumliche Trennungen der beiden, wie es heißt, poli-tischen Lager, dafür sorgen, dass die Neonazis ungehin-dert marschieren können. In der Landeshauptstadt schei-terte dies an der despektierli-chen Konsequenz von um die 17.000 Gegendemonstranten.

In Chemnitz war das zugelas-sene Maximum, dass die wenig organisierten Gegendemons-tranten an ein, zwei Stellen in Sicht- und Hörweite der Na-zis ihre Ablehnung entgegen-schreien durften - ansonsten wurde mit brachialer Gewalt al-les weggeräumt, was sich den Neonazis im Innenstadtring in den Weg zu stellen oder zu set-zen versuchte. Die Order und die Rechtfertigung lautete je-weils: Das Trennungsgebot sei strikt durchzusetzen. Das Wort Trennungsgebot aber kennt das Versammlungsrecht nicht. Es steht nicht im Bun-desversammlungsgesetz. Es steht auch nicht im Sächsi-schen Versammlungsgesetz, das seit Februar 2010 gilt – und das offensichtlich nicht verfassungskonform ist. Der Begriff »Trennungsgebot« ist eine Kreation der Rechtspre-chung und der Polizeipraxis.

Was das Versammlungsrecht aber kennt, ist das selbstver-ständliche Recht auf Gegende-monstration, auf Protest gegen Charakter und Ziel eines Auf-marsches, und zwar nach al-lem, was bisher galt, nach der Maxime »Sicht- und Hörweite«.Nicht erst seit dem richtungs-weisenden Beschluss des Bun-desverfassungsgerichtes vom 4. November 2009, dem so-genannten Wunsiedel-Urteil, steht fest, dass es in verfas-sungskonformer Auslegung des Grundrechts auf Mei-nungsfreiheit und Versamm-lungsfreiheit möglich ist, Ver-anstaltungen neonazistischen Hintergrundes wenn schon nicht zu verbieten, dann je-denfalls höchst repressiv zu beschränken. Und zwar dann, wenn selbige erkennbar auf die propagandistische Gutheißung des Nationalsozialismus abzie-len, auf die Relativierung der

Singularität des Unrechts und des Schreckens nationalsozi-alistischer Gewalt- und Will-kürherrschaft. Die Vertreter der extremen Rechten, die in Dresden, Chemnitz und Plauen »Trauermärsche« anmelden, wollen erkennbar nichts ande-res als die Tage des Gedenkens umdrehen und die Zerstörung weiter Teile deutscher Städ-te im Ergebnis des durch den Hitlerfaschismus vom Zaun ge-brochenen Zweiten Weltkriegs als eigentliche Kriegsverbre-chen darstellen.Die Empörung in der Bevölke-rung ist groß und sie wird auch von maßgeblichen Verretern der Sächsischen Staatsregie-rung wahrgenommen und auf-gegriffen. Es besteht also noch Hoffnung auf einen konstruk-tiven Disput darüber, welche Verfassungsgüter Neonazis Grenzen setzen.Klaus Bartl

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Atomenergie abgewählt - Ausstieg bis 2020 ohne Stromlücke möglich

Hintergrund

Teure Mogelpackung E10Was ist am „Bio“sprit E10 ökologisch, volks-wirtschaftlich und sozial nachhaltig? Um gleich am Anfang die Frage zu beant-worten: eigentlich nichts.

Bereits 2009 hat die Europä-ische Union die sogenann-te Kraftstoffrichtlinie verab-schiedet. Das Oberziel lautet: 10 % erneuerbare Energie für den Verkehrssektor bis 2020. Das bei der Verbrennung fos-siler Brennstoffe anfallende Kohlenstoffdioxid soll durch den Einsatz nachwachsender Rohstoffe reduziert werden. Denn eine Pflanze nimmt wäh-rend ihres Wachstums genau-so viel Kohlenstoffdioxid auf, wie anschließend bei ihrer Verbrennung im Automotor wieder frei wird. Zur Kultivie-rung und bei der Verarbeitung der nachwachsenden Roh-stoffe wie Weizen, Rüben und Mais zu Bioethanol wird aber wiederum zusätzliche Energie

benötigt. Energie- und Kohlen-stoffdioxid-Kreislauf sind da-mit nicht geschlossen.Wir alle wissen, dass fossile Brennstoffe endlich sind. Da-her ist es langfristig sinnvoll, nach neuen Energieträgern zu suchen, um die Wirtschaft von Rohstoffimporten unab-hängiger zu machen. Nun ge-hört zu einer Volkswirtschaft aber neben der Energie (Bio-kraftstoff)- auch die Landwirt-schaft. Nach Angaben der Bun-desanstalt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle und des Bun-desverbandes der deutschen Bioethanolwirtschaft e.V. wur-den 2010 rund 600.000 Ton-nen Bioethanol in Deutschland hergestellt. Verbraucht wur-den laut Statistik allerdings rund 830.000 Tonnen Bioetha-nol. Soll also 2011 mehr Bio-ethanol zu Benzin beigemischt werden, muss entweder der Anbau von Energiepflanzen in Deutschland intensiviert oder verstärkt Rohstoffe für

die Biokraftstoffherstellung importiert werden. Rohstof-fimporte, das war meine Ein-gangsbemerkung, können ei-ne Volkswirtschaft dauerhaft abhängig machen. Bleibt al-so nur noch die Möglichkeit, durch Schaffung neuer Absatz-märkte die hiesige Landwirt-schaft anzukurbeln. Aber zu welchem Preis? Der Landwirt kann entscheiden, ob es für ihn wirtschaftlicher ist, Treib-stoff-statt-Brot-Kulturen an-zubauen – die klassische De-batte über »Tank oder Teller«. Sollte also eine »Treibstoffkul-tur« dauerhaft Geld einbrin-gen, wird der Landwirt wieder und wieder dieselben intensiv geführten Pflanzen anbauen, möglichst gut düngen und ge-gen Schaderreger schützen. Der Gesellschaft bleibt dann die Aufgabe, erodierte Böden wieder aufzubauen, Grund- und Oberflächengewässer zu schützen, Bienen- und ande-re Insektenvölker vor dem Ab-

sterben zu bewahren usw. usf.. Wenn mehr Landwirtschafts-flächen nicht mehr dem Anbau von Pflanzen für die Lebens-mittelerzeugung dienen, trägt E10 perspektivisch zur Ver-teuerung von Lebensmitteln bei. Hinzu kommt, dass in den Produktionsländern der soge-nannten Dritten Welt Kleinbau-ern und die Landbevölkerung systematisch vertrieben wer-den - quasi für uns.Wer hier noch auf den motori-sierten Individualverkehr an-gewiesen ist, wird tiefer in die Tasche greifen müssen. Denn aufgrund des geringeren Ener-giegehaltes von Bioethanol reicht eine E10-Tankfüllung nur für eine etwa 10% kürze-re Strecke als dieselbe Menge Superbenzin. Dieser Umstand ist ein Grund, warum Verbrau-cherinnen und Verbraucher E10 boykottieren. Voraus-schauend hat man daher die herkömmlichen Benzinsorten mit der Einführung von E10

verteuert. Ein Schelm, wer Ar-ges dabei denkt!Ich fasse zusammen: Klima-schutz, Umwelt- und Ressour-cenbewahrung und die Schaf-fung von Wohlstand für alle Menschen können nicht ge-wesen sein, was deutsche Po-litikerinnen und Politiker dazu veranlasst hat, ausgerechnet »Bio«kraftstoff E10 einzufüh-ren. Die EU-Vorgaben ließen sich auch anderweitig umset-zen. Wie wäre es, wenn wir über Verkehrsvermeidung, die Stärkung öffentlicher Nah-verkehre mit sinnvollen ab-gestimmten Taktzeiten oder aber auch über Tempolimits nicht nur nachdenken wür-den, sondern diese endlich umsetzten? Ziel muss bleiben, »Verkehr« durch »Mobilität« zu ersetzen; Flächenverbrauch und Lärm, Luftverschmutzung und Verkehrstote entstehen auch, wenn die Kraftwagen mit E10 angetrieben werden. Jana Pinka

Der deutliche Zugewinn für die Grünen bei den Landtagswah-len in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz hat die Frage nach der Zukunft der Atomenergie ins Zentrum ge-rückt. Seit ihrer Gründung ha-ben sich die Grünen für einen Ausstieg aus der Nutzung der Atomenergie stark gemacht. Die Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima, de-ren Ausgang völlig offen ist, sowie die gesundheitlichen Langfristfolgen für die dort le-bende Bevölkerung, die über-haupt noch nicht abzuschät-zen sind, haben dieses Thema für die Wahlbevölkerung in Baden-Württemberg, wo 4 Atomreaktoren stehen, zur entscheidenden Frage für die Stimmabgabe werden lassen.Besonders konservative CDU-Vertreter wie Ministerpräsi-dent Mappus und sein Statt-halter in Berlin, Kauder, sowie Bouffier aus Hessen, Seeho-fer und Söder aus Bayern ha-ben im vergangenen Herbst bei der Bundeskanzlerin die Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke in Deutsch-land um im Durchschnitt 12 Jahre durchgesetzt. Nun rächt sich, dass die Bundes-kanzlerin in dem im Oktober mit den vier Konzernen aus-gehandelten Vertrag Geld ge-gen Sicherheit eingetauscht hat. Auch das aus Wahlkampf-gründen schnell verhängte Moratorium, wegen dem 7

Reaktoren kurzfristig für drei Monate abgeschaltet und ei-ner verschärften Sicherheits-überprüfung unterzogen wer-den sollen, hinterließ bei den Wählerinnen und Wählern die berühmte Glaubwürdigkeits-lücke. Denn angeblich waren die Atomkraftwerke ja sicher - wenn man der Bundesregie-rung Glauben schenken woll-te. Die Pannenmeiler Krüm-mel und Brunsbüttel stehen ohnehin seit rund drei Jah-ren still, so dass zurzeit insge-samt 8 Meiler nicht am Netz sind, ohne dass bisher eine Stromlücke aufgetreten wäre.Die Reaktoren in Fukushi-ma haben viel mit deutschen Atomkraftwerken gemein-sam. In Deutschland stehen 6 Siedewasserreaktoren glei-cher Bauart. Problematisch an diesen Reaktoren ist, dass sie nur über ein einziges Kühl-system verfügen und bei Un-terbrechung der Strom- und Notstromversorgung der Kernreaktor nicht mehr ge-kühlt werden können, mit-hin eine Kernschmelze ein-setzt - der größtmögliche anzunehmende Unfall. Auch in Deutschland stand ein Re-aktorblock gleichen Bautyps vor so einem Gau. 1977 fiel an einem Reaktorblock in Grund-remmingen A die Stromver-sorgung wegen eines nor-malen Wettereignisses aus, Raureif ließ die Stromleitun-gen bersten. Das Kühlsys-

tem fiel aus. Verursacher dieses Notfalls war weder ein Erdbeben oder Tsunami, noch menschliches Versagen wie im Fall Tschernobyl. Die-se alten Siedewasserreakto-ren sollten schleunigst abge-schaltet werden. Sämtliche Atommeiler, ob vor oder nach 1980 gebaut, sind nicht gegen Flugzeugabstürze und extre-me Wetterereignisse oder vor menschlichem Versagen ge-feit. Von einer sicheren Endla-gerung des radioaktiven Mülls ganz zu schweigen. Es gibt keine 100%-ige Sicherheit bei der Nutzung dieser Tech-nologie. Der Mensch kann

die Natur nicht beherrschen, von dieser Illusion sollten wir uns befreien. Schon aus ethi-schen Gründen, aus der Ver-antwortung für das menschli-che Leben heraus sollten wir uns so schnell wie möglich von der Nutzung dieser Hoch-risikotechnologie verabschie-den.Der Ausstieg aus der Atom-energie ist bis 2020 ohne Stromlücke hinzubekommen. Denn es gibt Alternativen. Der rasche Ausbau der Strom- und Wärmegewinnung aus erneu-erbaren Energien gekoppelt mit grundlastfähigen, hoch effizienten und sehr flexiblen

Kraft-Wärme-Kopplungsanla-gen auf Erdgasbasis wäre ein wichtiger Schritt vorwärts bei der Durchsetzung risikoarmer Energiegewinnung. Allerdings bedarf es hierzu eines ra-schen Ausbaus der Netze und Speicherkapazitäten. Nach dem Ende des Moratoriums darf es kein Zurück zum Sta-tus quo des im Oktober 2010 ausgehandelten Atomvertra-ges geben!Das tragische Unglück von Fukushima läutet das Ende des Atomzeitalters zumindest für Deutschland ein. Andere Länder werden folgen.Monika Runge

Die Katastrophe von Tschernobyl hat klar gezeigt, dass der Mensch die Kernenergie nicht beherrscht. Das war 1986. Fukushima erbringt nun den Beweis, dass sich daran nichts ändern wird.

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Mehrheiten reichen nicht...

Tschernobyl und kein Ende. Anja Oehm be-

richtet von Hilfstrans-porten und Anti-Atom-Iniativen. Dr. Cornelia Ernst

schildert die Haltung der LINKEN Fraktion im Europaparlament zum Lybienkonflikt. Dimitris Soudias und Uwe Schaarschmidt stellen ihre Sicht auf die Konflikte in Nordaf-rika vor. Auf Seite 4.

Sabine Zimmermann hinterfragt den Begriff der guten Arbeit und das Grundeinkommen. Und Katja Kipping stellt die feministische Präambel zum Pro-grammentwurf vor.

Atomausstieg?!DIE LINKE führt die Atomdebatte.

Der Ausstieg ist möglich.

SachsensLinke

April 2011

Nicht immer nach dem Ver-ziehen des Rauches ist es so, dass Konturen sogleich klarer werden. Am Sonntagabend noch, wohl unter dem Eindruck des Wahlergebnisses stehend, erklärte SPD-Fraktions- und -Landeschefin Katrin Bud-de, ihre Partei werde mit CDU und LINKEN sprechen. Nur 24 Stunden später ein ganz ande-res Bild: Der Landesvorstand beschließt über Sondierungs-gespräche ausschließlich mit der CDU, ob die dann mit der LINKEN überhaupt noch not-wendig seien, werde man ei-ne Woche später entscheiden. Eine Woche später – also nach den Landtagswahlen im Süd-westen der Republik.Aber zurück zum Wahlabend: Zwei Ergebnisse waren es zual-lererst, die wohl übergreifend zu Befriedigung, wenn nicht zu Freude führten. Die Wahl-beteiligung kletterte wieder über die 50 Prozent, was aber nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass es noch immer die zweitniedrigste im bundes-deutschen Allzeitvergleich bleibt. Und – die NPD konnte, wenn auch nur sehr knapp, ge-stoppt werden, ihr Einzug in den Landtag wurde von den Wählerinnen und Wählern ver-

hindert.Bemerkenswert auch dies: Die FDP als entschiedenste neoliberale Kraft wurde über-deutlich aus dem Landtag ver-bannt, die Grünen – im Wahl-kampf oftmals recht nahe an den Positionen der LINKEN - ziehen mit Fraktionsstärke in selbigen ein. Damit, und das ist nicht zu unterschätzen, gibt es im Landtag jenseits der CDU eine sehr klare Mehrheit für gesetzlichen Mindestlohn und existenzsichernde Löhne, von denen man in Würde leben kann, für das so notwendige längere gemeinsame Lernen, für eine echte Chancengleich-heit für alle Kinder, unabhän-gig von ihrer sozialen Her-kunft, für einen konsequenten Ausstieg aus der Nutzung der Kernenergie.Wie diese Mehrheit in politi-sches Handeln umgemünzt werden kann, das auch zu re-alen Veränderungen in Sach-sen-Anhalt führt, liegt einzig und allein bei der SPD. Alle Zeichen deuten im Moment darauf hin, dass sie sich er-neut der CDU zuwenden dürf-te. Dass sie damit das eigene Wahlprogramm buchstäblich in die Tonne tritt, muss sie selbst verantworten, vor allem

gegenüber ihren Wählerinnen und Wählern. Da wird das ab-sehbare wortreiche Erläutern von denkbaren Minimalkom-promissen kaum beschwich-tigen können, und es steht zu befürchten, dass eine Koaliti-onsvereinbarung von CDU und SPD wie schon im Jahr 2006 erneut von unzähligen Prüfauf-trägen überquellen könnte. Es scheint der SPD egal, dass sie selbst für andere Ziele gewählt wurde, und damit läuft sie Gefahr, sich selbst weiter zu marginalisieren. Mit der Ent-scheidung, keinen linken Mi-nisterpräsidenten zu wählen, hat sich die SPD selbst blo-ckiert, sich ihren politischen Handlungsspielraum genom-men. Wachsendes Ansehen wird ihr das kaum einbringen. Und warum eigentlich macht die SPD nicht endlich gegen-über der CDU die Forderung auf, diese solle gefälligst SPD-Spitzenmann Jens Bullerjahn zum Ministerpräsidenten wäh-len? Das wäre doch nur folge-richtig, schließlich war auf al-len Wahlplakaten zu lesen, Bullerjahn sei dran. Wenn der Schwanz schon mit dem Hun-de wedelt, dann aber doch bit-te auch konsequent! Eigenarti-gerweise bedenken dies auch

all jene nicht, die jetzt DIE LIN-KE ermutigen wollen, doch in der Ministerpräsidentenfrage endlich über ihren Schatten zu springen. Einmal völlig ab-gesehen von den Thüringer Er-fahrungen – wenn dieses Sze-nario durchgezogen würde, hätten Wählerinnen und Wäh-ler für sich ein weiteres Argu-ment für künftige Wahlverwei-gerung. Denn dies wäre nichts anderes als die Ansage: Liebe Leute, ihr könnt doch wählen, was ihr wollt, wir machen im Anschluss unser Ding doch so, wie wir es selbst wollen. Nein, eine Koalition muss ihren inne-ren Zusammenhalt an Inhalten festmachen, alles andere en-det auch nur in einer subtilen Form von Wahlbetrug.DIE LINKE selbst hat ein or-dentliches Ergebnis eingefah-ren. Das Ziel, stärkste Partei im Lande zu werden, wurde nicht erreicht, aber der zwei-te Platz konnte vom Stimmen-anteil her nahezu unverändert verteidigt werden, absolut konnte DIE LINKE etwa 20.000 Stimmen mehr auf sich ver-einigen, als im Jahr 2006. In vorangegangenen Umfragen wurde deutlich, dass ca. 22 Prozent ein rot-rotes Bündnis unter Führung der LINKEN be-grüßen würden. Das bedeutet aber zugleich, dass 78 Prozent genau dies nicht wünschen. Auch das findet seinen Aus-druck im Wahlergebnis.Für DIE LINKE kann die Kon-sequenz nur so lauten: In den letzten Jahren wurde in inten-siver Arbeit ein solides inhalt-liches Politik-Fundament ge-legt, das mit einem enormen Zuwachs an Kompetenz auf vielen Feldern verbunden ist. Klar sollte dabei aber immer sein, dass die Kompetenzfrage nicht allein auf die Landespar-tei zu reduzieren ist, hier bleibt auch die Bundespartei in der Pflicht.Es gilt, Wege zu finden und zu eröffnen, um dies in eine weiter anwachsende gesell-schaftliche Akzeptanz umzu-wandeln, dann wird sich auch linker Regierungsanspruch ge-sellschaftlich anders und brei-ter reflektieren. Ja, da sind sie wieder, die Mühen der Ebene …Thomas Drzisga

Die richtigen Lehren ziehen!Vier von sieben in diesem Jahr geplanten Landtagswahlen lie-gen hinter uns. Die Ergebnisse haben wir alle mit gemischten Gefühlen aufgenommen. Wäh-rend wir in Hamburg mehrheit-lich zufrieden waren, gab es trotz des Zuwachses an abso-luten Wählerstimmen in Sach-sen-Anhalt lange Gesichter, weil es wieder nicht zu einer rot-roten Regierung kommen wird, obwohl es arithmetisch reichen würde. Ich habe in ei-ner ersten Reaktion nach den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz von einer dramatischen Niederlage für DIE LINKE ge-sprochen. Ich möchte mir die Ergebnisse auch mit ein paar Tagen Abstand nicht schön re-den! Es ist und bleibt eine Nie-derlage und ein Rückschlag für den Aufbau bzw. die Etab-lierung der Partei. Für mich ist auch klar, dass wir selbst den größten Anteil am Wahlergeb-nis tragen - nicht die anderen Parteien, nicht die Katastrophe von Japan, sondern wir selbst. Seit der Bundestagswahl 2009 hat DIE LINKE es nicht ge-schafft, neue Themen zu set-zen. Natürlich sind Hartz IV, Afghanistan, Frieden und Min-destlohn für uns profilprägend und werden unser Marken-kern bleiben. Jedoch hat sich in Deutschland nach den Bun-destagswahlen die politische Achse verschoben. Die SPD ist wieder in der Opposition und versucht sich im Wettstreit mit uns sowie Bündnis 90/Grüne inhaltlich breit aufzustellen.Man muss nicht für richtig hal-ten, was sie machen, aber ... F ortsetzung nächste Seite

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Seite 2Sachsens Linke! 4/2011

MeinungenGlossiert

ImpressumSachsens Linke! Die Zeitung der Linken in SachsenHerausgeber: DIE LINKE. SachsenVerleger: Verein Linke Kultur und Bildung in Sachsen e.V., Großenhainer Str. 101, 01099 Dresden

Namentlich gekennzeichne-te Beiträge geben nicht un-bedingt die Meinung der Re-daktion wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinn-wahrende Kürzungen vor. Ter-mine der Redaktionssitzungen bitte erfragen.Die Papierausgabe wird in der Lausitzer Rundschau Drucke-rei GmbH in Cottbus in einer

Auflage von 17.650 Exp. ge-druckt.Der Redaktion gehören an: Ute Gelfert, Jayne-Ann Igel, Tom Schumer, Rico Schubert, Ant-je Feiks (V.i.S.d.P.), Jörg Teich-mann, Ralf Richter Bildnachweise: Archiv, iStockphoto, pixelioInternet unter www.sachsens-linke.de

Kontakt: [email protected]. 0351-8532725Fax. 0351-8532720

Redaktionsschluss 27. 3.2011.Die nächste Ausgabe er-scheint am 28. April 2011.

Leserbriefmeinung zu „Un-abgegoltenes im Kommu-nismus“ Ausgabe 1-2/2011

Wenn die Linke spätestens 2013 die jetzige Bundesre-gierung ablösen will, muss es ihr gelingen, die gegenwär-tige schlechte Stimmung in Wählerstimmen umzuwan-deln. Nur mit Träumereien vom Kommunismus und Voll-beschäftigung bleibt das ehr-geizige Ziel von der Parla-mentsmehrheit im Bundestag Illusion.

Ulrich Neef, Plauen Unter der Überschrift »Für eine revolutionäre Reform der kapitalistischen Gesell-schaft!« erreichte uns ein drei-seitiger Text von Frank Urban und Bernd Trepte vom Stadt-verband Dresden, in dem es um das Thema »Erwerbsar-beit« geht. Wir finden den Bei-trag so interessant, dass wir ihn online auf unsere Home-page stellen, wo er in gan-zer Länge nachgelesen wer-den kann. Zur Überschrift der Streitschrift erlauben wir uns einen kleinen redaktionellen Hinweis: »Revolutionäre Re-formen« sind schwer vorstell-bar: Denn entweder jemand will die Reform, die Verbes-serung des Bestehenden al-so – oder jemand befürwortet die Revolution, das heißt Zer-schlagung des bestehenden Systems und kompletter Neu-aufbau eines anderen, besse-ren ... Reformisten und Revo-lutionäre kommen somit kaum unter einen Hut.

Meinungen zum Program-mentwurf aus den Basisor-ganisation Löbau-Süd und Löbau-Ebersdorf Der Text, der im Auftrag von Prof. Manfred Klatte entstand, nimmt sich u.a. des Kapitels »Woher wir kommen« an und hält ihn für einen einen »rela-tiv gelungenen Kompromiss« – und enthält Verbesserungs-vorschläge. Bemängelt wer-den »fehlende Aussagen« im Kapital IV – hier gibt es Ergän-zungsvorschläge. Auch dieser Text ist findet sich im Internet.

Günter Götze, Glashütte-Luchau: (…) Die hohnsprechende For-derung der sächsischen Lan-desregierung nach Aufhebung der parlamentarischen Immu-nität von André Hahn betreffs seiner Sitzblockade vom Feb-ruar 2010 - die ansonsten aber scheinheilig und falschspie-lerisch von ihren Untertanten zu diesem Thema Zivilcourage einfordert - über diese Forde-rung dürften sich gewiss mehr ehrwürdige Bürger der Kopf zerbrechen wollen. (…)

Uwe Beyer, Zittau(…) Natürlich ist es ärgerlich wenn die Rechten irgendwo ei-ne Demo durchführen. Warum aber werden sie dabei jedes Mal durch maximale Aufmerk-samkeit unterstützt? Massen von Gegendemonstranten ge-ben denen eher das Gefühl wichtig zu sein, durch den da-durch notwendigen massiven Polizeieinsatz werden enor-me Kosten verursacht. Diese Menschenmassen mit gegen-sätzlichen Interessen ziehen wiederum unsere sensations-lüsternen Medien an, welche dann eine prima Werbeplatt-form für die Rechten bilden, die inzwischen pfiffigerweise bei derartigen Veranstaltun-gen mit der wenigsten Gewalt auffallen. Die Höchststrafe ist simple Ignoranz gegenüber dem kleinen Haufen. Wenn die völlig unbeachtet dahin ziehen müssen verfehlen sie kom-plett die gewünschte Wirkung und verlieren daraufhin die Lust. (…)

Waldemar Peine aus Dres-den zur Mandatszeitbe-grenzung»Der Gedanke ist absurd und es käme einer parlamentarischen Selbstenthauptung gleich«, schreibt Cornelia Falken und hat damit die geistige Ebene des Unwortes des Jahres, ge-prägt von unserer geschätzten Bundeskanzlerin, erreicht.Was denn da so »absurd« auf deutsch sinnlos sei erfahren wir beim Lesen eines Beitrages unserer stellvertretenden Lan-desvorsitzenden in der Januar/Februar Ausgabe von »Sach-sens Linke«.Die Überschrift, als Forderung nach Erneuerung und Erfah-

rung im Parlament formuliert, kann ja so falsch nicht sein, geht sie doch auf Grundlegen-des zurück, auf menschliche Erkenntnisgewinnung, auf ihre Anwendung und Weitergabe.Schön lässt es sich über diesen dialektischen Zusammenhang reden und schreiben.In der lebendigen Wirklichkeit kommt es aber immer auf das Maß von Erneuerung und auf das Maß von notwendiger Er-fahrung an. Das notwendige Maß an Er-fahrung hat man, siehe Ge-nossin Falken so gerade mal nach acht Jahren im Landtag erreicht, und ach, welche Ver-schwendung wäre es, wenn das geknüpfte Netzwerk sich wie Spinnfäden eines sonnigen Herbsttages auflöse.Der Verfasserin geht es natür-lich um die Zukunft der Partei, um hehre Ziele, nicht um per-sönliche Vorteilssuche, als ob Egoismus den Linken fremd sei.Und dann noch die Wortver-bindung »parlamentarische Selbstenthauptung« das ist wirklich eine kraftvolle, bild-hafte Sprache liebe Genossin deren Bedeutungsinhaltinhalt den Leser gruseln lässt.In unserer Partei sollte Spra-che nicht dazu dienen die wirk-lichen, oft sehr persönlichen Motive zu verschleiern. Leider ein Satz im Konjunktiv.

Hubert Gintschel – zum 5 März in ChemnitzWenn andere Abhilfe nicht möglich ist, haben die Bürge-rinnen und Bürger das Recht auf Widerstand. Dem wird das sächsische Versammlungs-recht, dem auch unsere Land-tagsfraktion widersprochen hat, nicht gerecht. Es ist drin-gend überarbeitungsbedürf-tig um zivilgesellschaftliches Engagement gegen Neonazis zuzulassen. Es kann und darf nicht sein, dass unter den alten kaiserlichen Farben schwarz-weiß-rot die grundgesetzfeind-liche Losung »zurück ins Reich« unter Polizeischutz durch die Stadt getragen werden darf. Die sich zur Wehr setzenden Menschen in Chemnitz wurden per Flyer im Vorfeld des 5. März kriminalisiert. Polizeibeamte haben dann an der Zentralhal-testelle, Am Wall und anderen Stellen völlig überreagiert. Was rechtfertigt, dass Polizisten zu dritt einen 75-Jährigen Mann in die Mangel genommen haben? Klagen gegen ein unverhält-nismäßiges Vorgehen müssen rechtlich geprüft werde. Die Er-eignisse und Vorfälle müssen öffentlich mit den Beteiligten aufgearbeitet werden.Das sind wir den Menschen schuldig, die trotz der Bedro-hungen durch Justiz und Poli-zei am 5. März auf die Straße gegangen sind, um sich dem braunen Spuk friedlich entge-gen zu stellen. Dieser Mut wird weiter gebraucht.

Prof. Dr. sc. oec. Hans-Ge-org Trost, Zittau Es ist sehr beschämend für die Gutachter der Dissertation Guttenbergs im Auftrage der Universität Bayreuth und de-ren Fakultät, dass keiner von ihnen diesen Betrug entdeck-te. Und es waren wohl mehr Gutachter als üblich! Haben sie seriös gearbeitet?In meiner eigenen wissen-schaftlichen Laufbahn in der DDR habe ich von den mir 24 vorgelegten Dissertationen, die ich natürlich alle gründ-lich las, zwei wegen Plagiats und zwei weitere wegen un-zureichenden wissenschaft-lichen Niveaus abgelehnt und auf diese Weise unverdien-te Doktortitel verhindert. Das brachte mir nicht nur Freude und Anerkennung ein. (Mög-licherweise hätte ich noch strenger gutachten sollen.) Aber Ehrlichkeit und Leistung zu bieten und zu fordern, das gehört zum Ethos der Wissen-schaft und eigentlich zum nor-

Ja, ich muss mich entschuldi-gen, habe Anstand als Tugend angesehen, wo es doch um Po-litik geht, namentlich um die Regierungspolitik der schwarz-gelben Koalition. Nein, An-stand ist nur hinderlich und passt nicht zur abendländi-schen, christlich-jüdischen Kultur, wie wir haben erfahren dürfen. Jawohl.Dennoch muss ich die Kanzle-rin in Schutz nehmen. Ich ha-be sogar den Verdacht, dass sie von Anfang an gegen die Verlängerung der Laufzeit der Atomkraftwerke war, konnte sich aber gegen den Interessen der Atomlobby sowie der FDP nicht durchsetzen. Darum hat sie unbestätigten Berichten zu Folge, ehemalige Stasi Offi-ziere gen Japan geschickt, um das Fukusima Kraftwerk zu sa-botieren. Ob die Besagten Bö-sewichte auch für das Beben verantwortlich sind, kann noch nicht mit Sicherheit gesagt werden, die Ermittlungen lau-fen noch. Blöd war natürlich, dass die Wahlen dazwischen gekommen sind, völlig uner-wartet und überflüssig, wie Weihnachten. Obschon...Anders gedacht, kam alles der Frau Vorsitzenden gera-de recht. So konnte sie einen Möchtegern Napoleon loswer-den, ohne als herzlos zu er-scheinen. Dumm gelaufen für Stefan Mappus, er wird in die Industrie oder in eine Stiftung entsorgt werden müssen.Ein Gedanke aber ist verführe-risch: Angela Merkel ist Physi-kerin, sie braucht niemanden, der sie über Möglichkeiten und Gefahren der Atomenergie auf-klärt. Aber, sie war auch Um-weltministerin, muss also sehr genau gewusst haben, sowohl den Zustand der AKWs als auch den von Asse und Gorleben. Ist sie vielleicht doch bestechlich und lies sich von den Eons und EnBWs »hofieren« oder hat sie ihr Doktorarbeit a la zu Gutten-berg erworben? Nichts Genau-es weiß man nicht! Apropos Wahlen. Ich hätte ger-ne gewusst, warum die Ge-nossen der SPD sich als Junior Partner in Baden-Württemberg anbieten, nicht aber in Thürin-gen und Sachsen-Anhalt. Ja, konsequent sind sie: in einer Li-nie mit Ebert, Noske, und Cle-ment. Respekt!

Von Stathis Soudias

malen menschlichen Verhal-ten in jedem Staat.

Fortsetzung „Die richtigen Lehren ziehen!“

zur Kenntnis nehmen sollten wir es schon. Wir jedoch als LINKE halten an unseren Posi-tionen fest, weil sie richtig und wahr sind. Sorry, dass kenne ich von einer meiner Vorgän-gerparteien. Nicht die Reinheit der Lehre ist das entscheidend Kriterium der Wahrheit, son-dern die Fähigkeit im Interes-se der Bürgerinnen und Bürger sich den neuen, veränderten Bedingungen zu stellen und diese anzunehmen. Ich finde, dass unsere Systemoppositi-on als Alleinstellungsmerkmal richtig ist. Aber ich will auch kompetent in der jetzigen Ge-sellschaft sein! Um schließlich für eine andere Gesellschaft zu streiten. Im Augenblick steht nicht die Eigentumsfrage im Mittelpunkt, sondern wie errei-chen wir als LINKE eine andere, eine bessere, gesellschaftliche Einbeziehung von Individu-en und Organisationen in Ent-scheidungs-, Willensbildungs- und Verteilungsprozessen. Dazu brauchen wir jetzt in der LINKEN eine Strategiedebatte. Was wir zum jetzigen Zeitpunkt nicht brauchen, ist eine Perso-naldebatte.

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Seite 3 4/2011 Sachsens Linke!

Tschernobyl und kein Ende…Millionen Menschen nahm die Reaktorkatastrophe vom 26. April 1986 die Heimat, Hunderttausenden die Ge-sundheit, Zehntausenden das Leben. Die zu 70 % auf das be-nachbarte Belarus niederge-gangene Radioaktivität strahlt länger, als wir es uns jemals vorstellen können.

Helfen auf verlorener Erde 1992 bin ich zum ersten Mal mit einem Hilfskonvoi des bay-rischen THW in das belarussi-sche Bragin, 42 km vor Tscher-nobyl, zur humanitären Hilfe gereist. Es war ein Schlüssel-erlebnis. Seitdem fahren mei-ne Familie und die Mitstreiter unserer Rosenthaler Projekt-gruppe »Kinder von Tscherno-byl« jedes Jahr zu diesen gast-freundlichen, liebenswerten Menschen. Die LINKE unter-stützt das Projekt seit Jahren hervorragend. Das Land ist uns zu einer zweiten Heimat geworden. Unsere erste Fahrt in die Sperrzone führte uns zu ei-ner alten Bäuerin, die allein zu Fuß in ihr evakuiertes Dorf zu-rückgekehrt war. Ohne Strom, ohne Wasser hauste sie dort, allein mit ihrer Katze. Bei un-serem nächsten Besuch leb-te sie schon nicht mehr. Tie-fe Beklemmung überkam uns auf der Kinderkrebsstation in Gomel beim Anblick leukä-miekranker Kinder, die durch Plastikzelte von ihren ver-

zweifelten Müttern getrennt waren. 2009 standen wir fas-sungslos an den Gräbern von Ira und Wasja. Als so genannte Tschernobylkinder hatten sie sich bei uns in Rosenthal er-holt. Beide wurden nur 19 Jah-re alt, starben an Lungenkrebs und Leukämie. Unfassbar war für uns das Schicksal der so genannten Liquidatoren, die die Hinterlassenschaften von Tschernobyl aufräumten. Einst hünenhafte Männer mit herausoperierten Schilddrü-sen und strontiumverseuch-ten Knochen, die nur noch ärztliche Kunst am Leben hielt und hält. Belarus kämpft tap-fer und unermüdlich gegen die

gesundheitlichen und sozialen Auswirkungen der Katastro-phe. Bei aller Kritik muss man anerkennen: eine soziale Ver-elendung der Millionen Opfer wurde in Belarus nicht zuge-lassen.

„Todsichere Technik“

Auf Tschernobylkongressen erfuhren wir das ganze Aus-maß der Katastrophe. Immer wieder warnten Wissenschaft-ler vor einer Wiederholung. Seit 19 Jahren berichte ich selbst in unseren Basisgrup-pen, Schulen, Vereinen oder Kirchgemeinden über Tscher-nobyl. Dann erlebe ich gro-ße Betroffenheit, aber immer

wieder auch Zweifler: Ich sol-le mal nicht so schwarz malen. Tschernobyl ist und bleibe ein-maliges menschliches Versa-gen …Nun die japanische Tragödie. Wie sich die Bilder gleichen! Zunächst Vertuschungsversu-che, Informationsdefizite, im Zeitalter der modernen Kom-munikation zum Glück erfolg-los. Aber wieder werden Men-schen verstrahlt, verlieren alles, wieder opfern Liquidato-ren ihr Leben. Ein Bild hat mich besonders erschüttert: ein Kind wird mit dem Geigerzäh-ler gemessen. So wie damals die Kinder von Tschernobyl. Vor denen fürchteten sich die

anderen dann. In der Schulzeit müssen Tschernobylkinder ständige Schilddrüsen-Unter-suchungen oder Messungen auf einem Stuhl, der ihre Ra-dioaktivität anzeigt, über sich ergehen lassen. Und dann werden sie erwachsen und fin-den kaum einen Partner, weil dieser Angst vor genetischer Instabilität beim Nachwuchs hat ...

Protest auf der StraßeDie Bilder der eigenen Erleb-nisse in Belarus im Kopf, ha-ben Grüne und ich 2010 in Pir-na eine Anti-Atom-Initiative Sächsische Schweiz-Osterz-gebirge gegründet. Erst jetzt, nach den Geschehnissen in Japan, wurden wir zahlreicher bei einer Mahnwache in Pirna. Nein, da ist keine Genugtu-ung, dass wir Recht behalten haben mit unseren Mahnun-gen. Vielmehr Wut über die die Verantwortungslosigkeit jener Politiker, die jahrelang wissentlich die Gefahren in Kauf genommen haben. Für den 19. April haben wir im Kreisverband eine Tscher-nobyl-Veranstaltung geplant, die nun weit über das Thema hinausgehen wird. Zwei Tage danach geht es zum Tscher-nobyl-Gedenken ins belarus-sische Bragin ...Anja Oehmstellv. Vorsitzende Kreisver-band Sächsische Schweiz-Os-terzgebirge

Erdbeben gab es immer und wird es immer geben. Im Jahre 464 vor unserer Zeitrechnung zerstörte z.B. ein Erdbeben Sparta. 20.000 Tote waren die traurige Bilanz. Sturm, Hoch-wasser, Vulkanausbrüche, Waldbrände - alles schon im-mer da gewesen. Auch Tsuna-mis sind nichts Neues, höchs-tens das Wort. Am 21. Juli 365 ereignete sich ein Seebeben südlich von Kreta im Mittel-meer. Es löste eine Flutwelle aus, der der Leuchtturm von Alexandria - eines der sieben Weltwunder - zum Opfer fiel. Er ist für immer verloren. Die Ur-sachen für Naturkatastrophen haben sich die Menschen sehr verschieden erklärt. In Japan werden Erdbeben als Drachen gesehen. Sie sollten in vie-len Kulturen Strafen der Göt-ter sein. Sie waren aber auch schon in der Antike als natür-lich verursacht vermutet. So meinte man, die griechischen Inseln schwämmen auf dem Meer und würden deshalb im-mer wieder schaukeln. Homer nahm bereits eine Verbindung an zwischen Vulkanismus und Erderschütterungen. Nicht sel-ten, sondern immer öfter sind auch die Menschen selbst Ver-

ursacher fürchterlichen Un-glücks. Am 2. Dezember 1959 brach bei Frejus der Stau-damm von Malpasset. Ein Tsu-nami bei dem 400 Menschen ihr Leben lassen mussten. Der Absturz eines Jumbo-Jets wür-de etwa genau so viele Opfer fordern. Egal aber wie verursacht und wie erklärt, die Menschen mussten mit diesen Katastro-phen leben und leider oft auch sterben. Und das wird so bleiben. Wir kön-nen ihnen nicht entrin-nen, bedingt können wir uns gegen sie wappnen: durch wissenschaftli-che Vorhersagen, Bau-weisen, Schutzdämme usw. Wir können sie in ihren Folgen minimieren durch Organisation, mit Hil-fe von Technik. Das ist aber auch schon alles. Natur und menschliche Fähigkeit, Natur in ihren Gesetzmäßigkeiten zu erkennen und zu beherr-schen, stehen in Wechselwir-kung; nicht selten in feindseli-ger. Gibt es einen Verlierer, ist es zuerst immer der Mensch, in der Folge oft aber auch die Natur. Wir sind gerade Zeu-gen menschlicher Begrenzt-

heit bis Hilflosigkeit bei der Bewältigung solcher zerstöre-rischer Naturereignisse. Wir sind aber gerade jetzt auch noch Zeugen einer anderen Art von Katastrophe. Das ist jene der zerstörten Kernreak-toren. Von ihnen geht eine Ge-fahr aus, die nur mittelbar der Natur zugeschrieben werden kann, die aber Konsequenzen ungeheuerlichen, fast ewigen

Ausmaßes für Mensch und Na-tur haben kann. Hätte die An-tike Kernreaktoren gekannt und wäre einer in die Luft ge-flogen, es wäre die Erde heu-te noch an bestimmten Stellen unbewohnbar. Folgte man an-tiken Erklärungsmustern, so wäre die Ursache nicht natür-lich und nicht primär göttlich. Sie wäre sehr menschlich, be-gründet in Hybris. Frevelhaf-ter Übermut, menschliche Ver-

messenheit, die zur Erhebung über die Götter führt, ist mit Hybris gemeint. Modern ge-dacht ist es die hochmütige Er-hebung über alle natürlichen Zusammenhänge, über alle Kausalketten, die die Natur un-ter bestimmten Umständen bereit hält. Antik gesprochen ist es auch die Ignoranz gegen-über ernst zu nehmenden War-nungen. Es ist die Arroganz auf

die Kassandra trifft, die Seherin, der kei-ner glaubt und die doch recht hat. Anti-ke Mythologie ist kei-ne reine Erfindung. Sie fasst menschli-che Erfahrung in ei-nem besonderen Gewand zusammen, schreibt Göttern

zu, was den Menschen allge-mein eigen ist, kategorisiert menschliche Schwächen und Stärken. Hybris führt zu Katas-trophen. Ihr steht nämlich bei den alten Griechen die Neme-sis gegenüber, die strafende, die ausgleichende Gerechtig-keit. Wiederum modern ge-dacht, man vergeht sich nicht ungestraft in einer Art und Weise gegen die Natur, die nicht mehr mit dieser in Ein-

klang zu bringen ist. Wenn der Mensch auch viel kann, er ist und bleibt Zauberlehrling und wird gerade wieder einmal die Geister nicht los, die er rief. Es steckt oft mehr an Erkennt-nis in einer Ballade als in vie-len dicken Büchern. Der ganze Jammer wird sichtbar im gera-dezu peinlichen Versuch mit den Eimern an Helikoptern die Reaktoren zu kühlen. Die Para-doxie erweist sich im Einsatz von Wasserwerfern als Kühl-aggregate. Vorgehalten für das Zurückschlagen von Demons-trationen gegen die Kernkraft-werke sind sie jetzt einer zwar endlich sinnvollen, nichtsdes-toweniger aussichtslosen Ver-wendung zugeführt. Die Atom-lobby verhält sich hingegen nach wie vor wie die lykischen Bauern bei Ovid. Diese miss-achteten das Menschenrecht, wonach sauberes Wasser allen gehört, und wurden deshalb verflucht, als Frösche in die-sem Wasser zu leben. Selbst da blieben sie jedoch unbe-lehrbar und versuchten, ob-wohl sie schon unter Wasser waren, immer noch zu schmä-hen, das heißt ihr eigenes schmähliches Treiben fortzu-setzen. Peter Porsch

Es steckt oft mehr Erkenntnis in einer Ballade als in vielen dicken Büchern!

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Etikettenschwindel im Nahen Osten?Am 14. Juli 1789, zwei Tage nach dem Sturm auf die Bas-tille, fragte Ludwig XVI: «Ist dies eine Revolte?” Darauf-hin antwortete der Duc de Li-ancourt: »Nein eure Majestät, es ist eine Revolution.« Der Duc sollte dem frühen Zeit-punkt zum Trotz Recht behal-ten. Jahrhunderte später haben auch Tunesien und Ägypten ge-zeigt, wie ein Volk seinen Dik-tator in die Wüste schicken kann. Massenproteste halten in vielen Ländern der Region an und spitzen sich zu. Die Me-dien verfolgen die Ereignisse gespannt und drängen darauf die Geschehnisse mit einem Etikett zu versehen. Al-Jazee-ra berichtete in Ägypten chro-nologisch von »Protest«, »Upri-sing«, »Revolte«, »Turmoil« und zuletzt »Revolution«. Ähnliche Bezeichnungen werden in der Berichterstattung zu den aktu-ellen Ereignissen in Libyen ver-wendet – auch in deutschen Medien.Die Verführung Ereignisse ver-früht zu etikettieren ist groß. In der Tat sind bestimmte Be-griffe wichtig, um Geschehnis-se besser zu begreifen. Wenn Labels allerdings gedankenlos gesetzt werden, läuft man Ge-fahr, Missverständnisse zu ver-ursachen. Was ist es denn nun genau in Ägypten passiert? Das Wort der Wahl auf den Kai-riner Straßen ist »Revolution«. Korrespondenten berichten in ähnlicher Manier.Die Wissenschaft hingegen gibt sich zu Recht noch vor-sichtig. Karl Kautsky sagte

schon 1902, dass es nur we-nige Begriffe gibt, »die so viel umstritten sind, wie der der Revolution.« Vergleichende Re-volutionsforschung hat sich in den letzten Jahren drei Ansät-zen bedient: Taxonomie (Lehre der Klassifizierung und Katego-risierung revolutionärer Ereig-nisse), Ätiologie (Analyse von Ursachen und Gründen von Revolutionen) und Periodisie-rung (Untersuchung von Mus-tern, Prozessen und Dynamik revolutionären Momentums). Revolutionen, so scheint es, wurden also bislang in Retros-pektive studiert – nicht »in der Mache«. Ist es zu diesem Zeit-punkt überhaupt sinnvoll, die Begebenheiten in Ägypten aus dem Blickwinkel einer Revolu-tion zu studieren?Ja, wenn man sich vor Augen hält, dass dies nur ein Teil der Wahrheit sein kann - ein An-satz unter vielen Möglichen um Ägypten seit dem 25. Januar zu studieren. Nein, wenn man populärwissenschaftliche Be-griffe benutzt, ohne sich wil-lentlich um eine Analyse derer bemüht.Was kann »Revolution« be-deuten? Dem Soziologen Jeff Goodwin zufolge ist eine Re-volution eine Situation, in der ein Staat oder ein politisches Regime durch eine Volksbewe-gung in einem irregulären, ex-trakonstitutionellen und/oder gewalttätigen Prozess gestürzt wird. Revolution wird hierbei insbesondere als ein Ergebnis einer Entwicklung verstanden.Ägyptens politische Eliten sind

zu einem Großteil noch immer in Führungspositionen, wie et-wa dem Kabinett, und leiten die Geschicke des Landes. Tan-tawi selbst war 1991 bis 2011 Verteidigungsminister unter Mubarak, bevor er am 11. Fe-bruar dieses Jahres die Amts-geschäfte des Landes über-nahm. Die Notstandsgesetze sind seit 1981 bis dato in Kraft. Bislang können wir also eine neue Balance in der Machtdy-namik des politischen Regimes beobachten, aber noch keinen Sturz oder eine komplette Aus-wechslung alter Eliten.Politikwissenschafter Jack Goldstone hingegen argumen-tiert, dass eine Revolution das Bestreben formeller oder infor-meller Volksbewegungen nach Transformation politischer In-stitutionen und Autorität ist. Dieses Bestreben ist nicht-in-stitutionell und untergräbt das politische Regime. Revolution wird hierbei vielmehr als Pro-zess verstanden.In der Tat hat in Ägypten eine massive Volksbewegung den Fall eines Diktators gefordert und beansprucht weiterhin die Säuberung alter Eliten von po-litischen Institutionen. Es ist damit nachvollziehbar zu argu-mentieren, dass Ägypten sich in einer Revolution befindet. Zwei Argumente, zur gleichen Sache mit unterschiedlichen Ergebnissen. Was ist es denn nun?Es ist wichtig, dass die Aufstän-de in Ägypten in großen Teilen der Bevölkerung als Revolution wahrgenommen wurden. Die-

se Perzeption lässt eine ganz andere Herangehensweise für Demonstranten zu, als wenn die Ereignisse nur als massive Proteste verstanden werden: Möglichkeiten des Umbruchs erscheinen größer, als sie nor-mativ vielleicht sein mögen.Allerdings muss noch kein Stempel auf die Ereignisse in Ägypten oder Tunesien auf-gesetzt werden. Ich erinnere mich daran, wie Henner Für-tig auf dem Deutschen Orien-talistentag erklärte, dass es noch zu früh sei, um die Ge-schehnisse im Iran 1979 in seiner Gesamtheit zu begrei-fen. Entsprechend dürfte es

noch reichlich Analysebedarf in Ägypten geben.Bislang konnten wir in der Tat Massenproteste mit revolutio-nären Elementen beobachten. Gerade jetzt befinden wir uns im Machtpoker um die Zukunft des Landes. Einen Militärcoup haben wir bislang auch nicht beobachten können - aber die-se Möglichkeit ist durchaus noch vorhanden.Daher schlage ich vor, wir war-ten noch etwas mit dem Etiket-tieren, oder wir bedienen uns Begrifflichkeiten im Bewusst-sein, dass es noch andere Sze-narien gibt.Dimitris Soudias

DIE LINKE auf dem Weg ins außenpolitische AbseitsAls der libysche Despot Muha-mar al Gaddafi im März des Jahres 2011 seine Armee, in-klusive der in Zentralafrika zu-sammengekauften Söldner, in Marsch setzte, um die Auf-ständischen im Osten des Lan-des zu massakrieren, hatte er damit die ungeschriebene Ge-schäftsgrundlage zerstört, welche der Westen mit Despo-ten in aller Welt hat: Bespitz-le, verfolge, sperre ein, folte-re – so lange die Menschen sich dies gefallen lassen, ist dies allein dein Problem. Tue aber nichts, was die Menschen im Westen mehrheitlich nach Sanktionen gegen dich verlan-gen lässt – denn Sanktionen sind schlecht für‘s Geschäft.« Folgerichtig nahm der Westen die Verhinderung von Sanktio-

nen selbst in die Hand, der UN-Sicherheitsrat gab ihm freie Hand. Kurz vor Bengasi stopp-te die hochmoderne westliche Kriegstechnik Gaddafis Ar-mee, welche zum Großteil mit sowjetischem Gerät aus den 70er Jahren ausgerüstet ist.Wenige Wochen vorher, in Ägypten, war es anders gelau-fen. Mit viel Sympathie hatte die Welt nach Kairo geschaut, wo sich die Menschen die Gän-gelung und Verfolgung durch einen anderen Despoten, Hos-ni Mubarak, nicht länger bie-ten lassen wollte. Dieser hatte auch eine Armee, hochmodern ausgerüstet, sechs mal so groß, fünf mal so teuer wie je-ne Libyens und im Unterschied zu dieser außerdem ein milliar-denschweres Wirtschaftsim-perium. Es gibt faktisch kein größeres Geschäft im Lande, in welches die ägyptische Armee nicht involviert ist. Der ägypti-sche Verteidigungsminister ist faktisch der Wirtschaftsminis-ter des Landes. Folgerichtig

bedurfte es nicht des westli-chen Eingreifens gegen des Despoten: Die ägyptische Ar-mee sicherte ihre Geschäfts-grundlage selbst und schickte Mubarak in Pension.Am 20. März verabschiedete der Bundesvorstand der LIN-KEN eine Resolution gegen das militärische Eingreifen des Westens in Libyen. Wie nicht anders zu erwarten, wendet sich das Papier der »einzigen deutschen Friedenspartei« mit deutlichen Worten gegen die Luftangriffe auf die libysche Armee. Wie nicht anders zu erwarten, behauptet das Pa-pier, dass man Demokratie nicht herbeibomben könne. Wie nicht anders zu erwarten, blendete man dabei aus, dass nicht nur die eigene Demokra-tie sehr wohl herbeigebombt worden war, sondern histo-risch durchaus so einige De-mokratien durch Waffengewalt herbeigeführt wurden. Wie nicht anders zu erwarten, lob-te man die Aufstände in Ägyp-

ten und Tunesien, gab sich ent-täuscht, dass es nun in Libyen nicht so laufe, wie man es als »einzige deutsche Friedens-partei« gern hätte und emp-fahl statt Bomben Sanktionen gegen Gaddafi. So gipfelte die Resolution in einer wunderba-ren Behauptung: »Wenn kein Öl mehr fließt und kein Geld mehr kommt, wächst die politische Vernunft.« Freilich: Schon die Sanktionen gegen den Irak seit Anfang der 90er Jahre führten nicht etwa zu Armut, Hunger und medizinischer Mangelver-sorgung beim irakischen Volk, sondern zu wachsender politi-scher Vernunft beim Despoten Saddam Hussein, der seinem Volke praktisch mit jedem boy-kottierten Barrel Öl eine neue politische Freiheit zugestand. Und schließlich: Wie nicht an-ders zu erwarten, wirft man den libyschen Konflikt in einen Topf mit jenen in Jugoslawien, dem Irak, in Afghanistan, um sich seine Einteilung der Welt in gut und böse wieder einmal

selbst zu bestätigen. Dass in Libyen die Mechanismen des Marktes ausnahmsweise auch dafür gut sind, Menschen in ihrem selbst aufgenommenen Kampf gegen eine der ekelhaf-testen Figuren der Gegenwart zu unterstützen, passt nicht in das Weltbild der »einzigen deutschen Friedenspartei«. Der Beifall einer Reihe ande-rer übler politischer Gestalten dürfte ihr dafür sicher sein.Nein – Krieg darf kein Mittel der Politik sein. Genau des-halb ist es angezeigt, den Krieg schnellstmöglich zu beenden, den Gaddafi gegen sein eige-nes Volk angezettelt hat, statt dieses Volk mit Sanktionen noch mehr zu strafen, als es durch die Herrschaft Gadda-fis seit Jahrzehnten ohnehin schon ist. Danach kann und muss man allerdings tatsäch-lich daran gehen, seine Ge-schäftsgrundlagen neu zu de-finieren.Uwe Schaarschmidt

Wachstumsbranche Vernunft

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Nachhaltige Finanzplanung

Sehr geehr-te Frau Kestner,ich bin selbstän-diger Ver-siche-

rungsmakler, leider läuft das Geschäft wegen der Krise zur-zeit nicht mehr so toll. Als Va-ter von 2 kleinen Kindern be-wohne mit meiner Familie eine recht teure Wohnung (650 Euro Warmmiete), außerdem bin ich privat krankenversichert. Ich habe wegen der zurückgehen-den Einnahmen und weil meine Frau nichts verdient einen An-trag auf ALG II gestellt und be-kam den Bescheid, dass meine private Kranken- und Pflege-versicherung nur in Höhe von ca. 140,00 EUR bezuschusst wird, meine Krankenversiche-rung kostet aber 249,00 EUR. Die Wohnungsmiete hat die ARGE zwar für 3 Monate aner-kannt, hat mich aber aufgefor-dert, mir eine günstigere Woh-nung mit einer Kaltmiete von max. EUR 476,85 zuzüglich der Heizkosten zu suchen. Ist die Auffassung der ARGE zur Woh-nungsmiete und zur Kranken-versicherung richtig?Erik E. (Dresden) Sehr geehrter Herr E.,der Bescheid zur Krankenversi-cherung ist nicht (mehr) richtig, denn das Bundessozialgericht hat mit Urteil vom 18.01.2011 (Az: B 4 AS 108/10 R) entschie-den, dass die Behörde die vol-len Beiträge zu übernehmen hat. Auch die Aussage zur Miete ist nicht mehr haltbar. Das SG Dresden hat am 21.12.2010 ent-schieden, dass sich die Frage der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft nicht mehr nach der Richtlinie der Landeshaupt-stadt Dresden aus dem Jahre 2008 richten darf; vielmehr sei auf die um 10% erhöhten Wer-te der Wohngeldtabelle zu § 12 des WoGG zurückzugreifen. Hinzu kommen dann noch die Heizkosten in der tatsächlichen Höhe. Für einen 4-Personen-Haushalt ist danach eine Brut-tokaltmiete von EUR 568,70 zuzüglich der Heizkosten (um die EUR 100,00 dürften dabei je nach Heizquelle angemes-sen sein) übernahmefähig. Ih-re Wohnung liegt mithin nach derzeitiger Rechtslage also »im grünen Bereich«. Bitte legen Sie umgehend Widerspruch gegen die Bescheide ein. Marlen Kestner

KirchentagAm 19. März 2011 traf sich die LAG Religion und Weltan-schauungsgemeinschaften in Dresden und wertete die ver-schiedenen Anti-Nazi-Akti-onen im Februar in Dresden aus. »Wir sind der Meinung, dass diese als Erfolg einge-schätzt werden können.«Als Gast konnten wir Genos-sen Klee aus München be-grüßen, der sich stark beim Aufbau der bayrischen LAG Christ_innen engagiert. In den alten Bundesländern sind vie-le Christinnen und Christen, auch solche, die Haupt - oder ehrenamtlich in der Kirche ar-beiten, in unserer Partei or-ganisiert. Schwerpunkt der Beratung war der 33. Evange-lische Kirchentag, der in der Zeit vom 1. bis 5. Juni 2011 in Dresden stattfinden wird.DIE LINKE aber auch die Ro-sa-Luxemburg-Stiftung sind mit zahlreichen Veranstaltun-gen, zu denen auch viele unse-rer Spitzenpolitiker ihre Zusa-ge gaben, aber auch auf dem »Markt der Möglichkeiten« in den Messehallen präsent.Wir würden es als Arbeitsge-meinschaft auch gut finden, wenn in der Stadt selbst unse-re Partei z.B. mit Infoständen präsent ist, ein Hilfsangebot des Stadtverbandes Dresden wurde schon ausgesprochen. Viele technische Einzelheiten sind aber noch zu klären. Die bayrischen Erfahrungen mit dem Auftreten unserer Partei auf dem Ökumenischen Kir-chentag letztes Jahr in Mün-chen können jedenfalls opti-mistisch stimmen: Wir waren bei den Gästen dort gefragte Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner. Wenn al-so noch Genossinnen und Ge-nossen, in welcher Form auch immer, helfen wollen, sind sie herzlich dazu eingeladen. Wir verabschiedeten dann noch den Vorstellungstext für eine Broschüre, die für Neumitglie-der bestimmt ist. Unser nächs-tes Treffen wird etwas unkon-ventioneller sein: Wir wollen uns am Samstag, den 6. Au-gust 2011 um 11.00 Uhr in Gut-tau zu einer Wanderung durch das Oberlausitzer Biosphären-reservat treffen. Neugierige und Interessierte sind uns je-derzeit herzlich willkommen. [email protected]

Beratung mit Vertretern der Stadt- und Kreisver-bände am 19.März 2011 in Dresden Zu den eher unangenehmen Aufgaben in einer Partei ge-hört, sich regelmäßig mit den eigenen Finanzstrukturen zu beschäftigen. Und noch unan-genehmer wird es, wenn ge-spart werden muss. Im laufenden Haushaltsjahr hat der Landesvorstand ungedeck-te Ausgaben i.H.v. 33.000Euro zu bewältigen. In der Finanz-planung der nächsten Jahre ist das Minus sogar noch größer. Die Gründe hierfür sind viel-schichtig. Zum einen verzeich-nen wir stetig sinkende Mitglie-derzahlen; dadurch sinken die Einnahmen aus Parteibeiträ-gen. Ebenso ist festzustellen, dass nicht alle Mitglieder ih-ren Parteibeitrag statutenge-recht bezahlen. Bei einer Ana-lyse wurde erneut festgestellt, dass der Durchschnittsbeitrag beim Lastschrifteinzugsver-fahren bedeutend höher liegt, als bei der Barzahlung. Gleich-zeitig steigen ständig die Kos-ten für Wahlkämpfe der Partei. Und, und, und ...

Ziele und GrundsätzeBevor man sich mit finanziellen Details beschäftigt, muss man erst mal grundsätzliche Fragen stellen, wie bspw. : Ist eine Ge-schäftsstelle der Partei ein Bü-ro, in dem wir Verwaltung leis-ten, Kampagnen entwickeln und/oder ein Anlaufpunkt für die Menschen? Ist das ein Wi-derspruch und wenn ja, wie kann er aufgelöst werden?Brauchen wir eine Landeszei-

tung und wenn ja, wer macht die und für wen wird sie ge-macht?Brauchen wir einen landeswei-ten Internetauftritt? Oder ist nicht die Summe der einzelnen Internetseiten der Kreisver-bände die Widerspieglung der Arbeit der Landespartei?Müssen wir Landesparteita-ge mit 300 bis 400 Personen durchführen? Und, müssen wir jedes Jahr eigentlich Landes-parteitage durchführen, die mit Übernachtungen verbun-den sind? Wäre es nicht einfa-cher wir organisieren Landes-parteitage in den Großstädten und die Hälfte der Delegierten und Gäste schläft bei Genos-sInnen?Was fällt unter politischer Ar-beit im Rahmen des Geldaus-gebens? Der Blumenstrauß zum Geburtstag, die Frauen-tagskarten, der Neujahrsgruß - muss dafür wirklich unser knapp bemessenes Parteigeld ausgegeben werden?Wäre es nicht an der Zeit, nicht nur mit den gewählten Abge-ordneten der Partei sondern auch mit gewählten kommu-nalen WahlbeamtInnen (Bür-germeister, Dezernenten) Vereinbarungen über Man-datsträgerbeiträge abzuschlie-ßen?Und, wäre es nicht auch end-lich notwendig mit den haupt-amtlichen MitarbeiterInnen bei der Partei- und der Fraktion, wenn sie nicht Mitglieder der Partei sind und somit keinen Beitrag für die Partei leisten, eine Spendenvereinbarung ab-zuschließen?Unter Vorbereitung und Lei-

tung des Finanzbeirats, dis-kutierten Vertreter des Lan-desvorstandes mit den Kreisvorsitzenden, Schatz-meistern, Kreisgeschäftsfüh-rern und Interessierten am 19. März Themen wie: Was sind unsere Aufgaben als Partei – was kann die Partei jetzt und in Zukunft leisten (da-mit einher geht die Frage, was für eine Partei wir sein wollen/können)?Wie ist zukünftig Präsenz in der Fläche sicher zu stellen, bei sinkenden Einnahmen – welche Ausgaben sind künf-tig durch die Kreise nicht mehr leistbar?Analyse der Ausgabenstruk-tur im Landesverband, in den Stadt- und Kreisverbänden und den landesweiten Zusam-menschlüssen.Ein erstes Ergebnis der Ver-sammlung ist die Verabredung, dass die TeilnehmerInnen der Beratung diese Debatte vor Ort in die Kreis- und Stadtvor-stände tragen und über die Kleinzeitungen diese Diskussi-on bis in die Basisorganisatio-nen führen. Basiskonferenzen zum Thema sind ebenfalls wün-schenswert. Die zweite Verab-redung ist, dass im Herbst die-sen Jahres, nach gründlicher qualifizierter Debatte, eine Fi-nanz- und Strukturplanung für unseren Landesverband be-schlossen werden kann, die drei Bedingungen erfüllt: 1. Sie muss nachhaltig sein und damit langfristig gelten, min-destens bis 2019.2. Sie muss von einer großen Mehrheit getragen werden. Wir brauchen dazu einen offenen und transparenten Dialog in-nerhalb der Landespartei.3. Sie muss rechtlich sauber sein und mit dem Parteienge-setz und anderen Regelungen in Übereinstimmung gebracht werden.Rico Gebhardt, Landesvorsit-zender und Antje Feiks, Landes-geschäftsführerin

Der Landesvorstand, die AG Religionsgemeinschaften und die Bundespartei suchen noch Unterstützer, die vor allem am 2.-4. Juni (Do-Sa) jeweils von 10-18 Uhr Stände auf dem »Markt der Möglichkeiten« und ggf. im Dresdner Stadt-zentrum betreuen. Wir freuen uns auf eure Rück-meldung und danken jedem Unterstützer.

Wo kann frau / man am 8. März den 100. Internationalen Frau-entag authentisch feiern? Na-türlich in Wiederau im Landkreis Mittelsachsen, dem Geburtsort von Clara Zetkin! Die Frauen des örtlichen Vereines Heimat und Natur hatten zum Feiern, Nach-denken, Reden und Schlemmen eingeladen. Das Geburtshaus von Clara Zetkin wird durch das bürgerliche Engagement als Dau-erausstellung betrieben und hält damit die Erinnerung an das Le-ben und Wirken der Initiatorin des Internationalen Frauentages wach. Jana Pinka

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Kämpfe um Zeit

Zukunft der Arbeit

Zum Vorschlag für eine Fe-ministischen Eröffnung des Programms

Als die Programmkommissi-on den ersten Entwurf vor-stellte, räumte sie selbst ein, dass mit Hinblick auf den Fe-minismus Nachbesserungs-bedarf bestände. Nun hät-te man dieses Problem durch viele Änderungsanträge, nach dem Motto ergänze in Zeile XX »und Frauen« oder wo es um die Überwindung des Ka-pitalismus geht zu ergänzen »und das Patriarchat«. Solche Nachbesserungen sind leider notwendig. Jedoch haftet sol-chen Nachbesserungen auch die Banalität des Nebensatz-feminismus an.Glücklicherweise hatten die damaligen Vorsitzenden La-fontaine und Bisky die marxis-tische Feministin Frigga Haug mit der feministischen Be-gleitung der Programmdebat-te beauftragt. Frigga brachte daraufhin Frauen aus Ost und West, strömungs- und gene-rationsübergreifend zusam-men. Am Anfang stand der

Versuch, geschult an Texten von Luxemburg, Gramsci und Brecht sich Fähigkeiten im di-alektischen Denken anzueig-nen. Soll heißen: Dinge in ih-rer Widersprüchlichkeit, in ihrer historischen Einordnung zu erfassen. Zudem wollten wir einen Ansatz, der unsere Ziele marxistisch-feministisch herleitet und der trotzdem an Erfahrungen des Alltagsver-standes anknüpft.Die Frauen, die sich mit Tele-fonkonferenzen und Mails auf eine gemeinsame Textproduk-tion einließen, entschieden sich für eine Feministische Er-öffnung, die dem Programm vorangestellt werden soll. Die-se selbstbewusste Herange-hensweise ist passend, weil die Eröffnung in der Vier-in-ei-nen-Perspektive mündet, die eine Perspektive für Frauen und Männer gleichermaßen darstellt. Unter dem Aufbruch ins Leben im Vier-Viertel-Takt verstehen wir: dass es vier gleichberechtigte Tätigkeits-felder gibt, die jeweils im Le-ben von Männern und Frauen

einen gleichgroßen Anteil ein-nehmen: ein Viertel Erwerbs-arbeit, ein Viertel Reproduk-tionsarbeit, ein Viertel für Muße, Kunst und Kultur und um das Ganze komplett zu ma-chen ein Viertel Politik.Im Zentrum der Eröffnung ste-hen die Kämpfe um Zeit. Das knüpft einerseits an an der Er-kenntnis von Marx: »Ökono-mie der Zeit, darin löst sich schließlich alle Ökonomie auf.« Anderseits ist in Zeiten, wo Stress und Zeitnot allge-genwärtig sind, die Aneignung von Zeit auch ein dem Alltags-verstand vertrautes Thema.Von der Arbeit und ihrer Ver-teilung aus begründet sich al-le Herrschaft, da es letztlich immer um die Verfügung über Arbeitskraft geht, indem letzt-lich um die Zeit gestritten wird, in der Menschen tätig sind. Deswegen geht die Eröffnung aus von den vier großen Tei-lungen der Arbeit, in Frauen- und Männerarbeit, zwischen Stadt und Land, von Kopf und Hand und die Trennung von Ar-beit und Nichtarbeit. So man-

cher marxistischer Ausdruck übrigens erweckt heute Asso-ziationen, die gerade gerückt werden müssen. Ein Beispiel: Die Trennung von Arbeit und Nichtarbeit, hört sich heute so an, als rede man über Er-werbslosigkeit. Dabei geht es eben nicht um die Trennung zwischen Erwerbslosen und Erwerbsarbeitsplatzinhaben-den – also innerhalb der Klas-se. Vielmehr geht es hier um die Trennung zwischen den-jenigen, die nur ihre Arbeits-kraft als Ware haben und den-jenigen, die über Eigentum an Produktionsmitteln ohne eige-ne Leistung verfügen.Der Kapitalismus gedieh auf der Verknotung der vier gro-ßen Teilungen der Arbeit und benötigt zu seiner Überwin-dung die Auflösung dieses Zu-sammenwirkens. Darauf zielt die Vier-in-Einem-Perspek-tive, die Mut macht auf die Kämpfe um Aneignung der Zeit.Katja Kipping

www.dielinke-sachsen.

Ich teile die Intention der bei-den Autorinnen vollständig. Aber schon der begehrte Platz ist pro-blematisch. Problematisch ist auch die Weitschweifigkeit und mangelhafte Präzision der Aus-führungen. Das Herangehen ist völlig indiskutabel für ein Partei-programm. Ein Parteiprogramm ist keine – hier zumal etwas schwache – Abhandlung über Geschichte der Unterdrückung der Frauen. Obwohl das Problem der Zeitverfügung inhaltlich von Anfang an eingeführt ist, wird es völlig unzureichend erfasst. Wohl aber sollte auch dieses Problem bei der Überarbeitung des Pro-grammentwurfs mehr Aufmerk-samkeit erhalten. Ein schwerfäl-liger Prosa-Stil vernachlässigt historische Genauigkeit und sprachliche Direktheit. Der be-gehrte Platz vor der Präambel ist falsch. Vielmehr muss diese Sichtweise durchkomponiert werden durch das Programm, und insbesondere in einem völlig neu zu schreibenden Abschnitt zu Arbeit, Wirtschaft und sozial-ökologischem Umbau.Ralf Becker

Die Verlockungen des Grundeinkommens und er-weiterten Arbeitsbegriffs Arbeit ist mehr als Erwerbs-arbeit, so die 3. Bundesfrau-enkonferenz der LINKEN in ei-ner Resolution. Wer wollte das bestreiten. Unbestreitbar ist auch, dass Erwerbsarbeit die Chancen höchst unterschied-lich verteilt, wie viel freie Zeit zur Verfügung steht und in wel-cher Form wir diese Zeit nutzen (können). Bildung und Muße stoßen schnell an ihre Gren-zen, wenn deren Wahrneh-mung von der Höhe des Ein-kommens abhängt. Um jedem Menschen eine gesellschaft-liche Teilhabe zu garantieren, benötige man die finanzielle Absicherung durch ein bedin-gungsloses Grundeinkommen, so die Anhänger eines erwei-terten Arbeitsbegriffs. Wird damit, durch die Höhe des Grundeinkommens, der finan-zielle Aufwand normiert, der für „Reproduktionsarbeit, po-litische Arbeit im Gemeinwe-sen, Bildung und Muße“ auf-gewendet werden kann und darf? Wohl kaum: Trotz Grund-einkommen werden diejenigen mit besserer finanzieller Aus-stattung mehr teilhaben kön-nen. Auch die Anhänger eines erweiterten Arbeitsbegriffs können sich nicht der Tatsa-che entziehen, dass in einer kapitalistischen Gesellschaft Erwerbsarbeit in Form von Lohnarbeit erfolgt und dass Ar-beit nur dann als wertschöp-

fend zählt, wenn sie Mehrwert schafft. Den Arbeitsbegriff zu-nächst auf Erwerbsarbeit zu reduzieren ist insoweit nicht etwa Ausdruck einer engstir-nigen politischen Borniertheit, sondern Fokussierung auf ein zentrales Merkmal kapitalis-tischer Produktionsverhält-nisse. Gerade wer eine Erwei-terung des Arbeitsbegriffs in Richtung Reproduktionstätig-keit anstrebt, muss sich darü-ber im Klaren sein, dass hierfür die Überwindung der Verkür-zung wertschöpfender Arbeit auf Lohnarbeit und mithin die Überwindung kapitalistischer Schranken der gesellschaftli-chen Entwicklung zwingende Voraussetzung ist. Insoweit mag ein bedingungs-loses Grundeinkommen zwar für diejenigen, denen man ei-ne Teilhabe durch Arbeit und/oder nicht ausreichende fi-nanzielle Mittel verweigert, at-traktiv sein, aber es bietet für die Betroffenen letztlich keine emanzipatorische Perspektive. Ob gewollt oder nicht, primärer Effekt eines solchen Grundein-kommens wäre ein Einstieg in eine Teilhabe auf niedrigem Ni-veau, die mehr von den eigent-lichen Fragen weg führt als selbst die Lösung zu sein. Schließlich, wer die „Fixierung des Arbeitsbegriffs auf die Er-werbsarbeit im Sinne abhängi-ger Beschäftigung“ kritisiert, muss erklären, ob die abhängi-ge Beschäftigung sich durch die Einführung eines bedingungs-

losen Grundeinkommens so-zusagen von selbst erledigt. Und: Trotz wortreicher Demen-tis der Grundeinkommens-Be-fürworter besteht die große Gefahr, dass Arbeitgeber in Fortsetzung der heutigen Auf-stocker-Praxis in Niedriglohn-bereichen mit noch ruhigerem Gewissen Hungerlöhne zah-len, käme doch für die Grund-absicherung der Staat auf. Ge-rade Linke müssen ablehnen, dass Fremdbestimmung und Abhängigkeit vom Staat für viele Menschen zum bestim-menden Moment ihres Alltags werden, zumal die Politik über dessen Finanzierung und Hö-he jeweils neu nach Kassenla-ge entscheiden könnte. Natür-lich kann und muss über den Arbeitsbegriff intensiv disku-tiert werden. Welche Antwort gibt darauf der Programment-wurf? Im zweiten Punkt der Präambel heißt es: DIE LINKE kämpft „für ein Recht auf gu-te, existenzsichernde Arbeit, für Vollbeschäftigung und die Umverteilung von Arbeit durch Arbeitszeitverkürzung, gegen Billigjobs, Hungerlöhne und gegen den Ersatz regulärer Beschäftigung durch Leihar-beit oder Scheinselbstständig-keit. Wir wollen, dass die Men-schen Erwerbsarbeit, Arbeit in der Familie, die Sorge für Kin-der, Partner und Freunde und schließlich individuelle Weiter-bildung und Muße selbstbe-stimmt verbinden können.“ Der Vorwurf, im Programmentwurf

werde einem verengten Ar-beitsverständnis gehuldigt und der Selbstbestimmung in und außerhalb der kapitalistischen Lohnarbeit kein Raum gelas-sen, ist insoweit nur schwer nachvollziehbar und wertet den konkreten Kampf um Ver-besserungen und Humanisie-rung des (Arbeits)Alltags ab. Der Kampf für bessere Arbeits-bedingungen, höhere Löhne, mehr Mitbestimmung und Frei-räume durch Arbeitszeitver-kürzung, ist immer auch ein Kampf gegen die Verwertungs-logik des Kapitals.Zumindest derzeit lässt der „erweiterte Arbeitsbegriff“ mehr politische Fragen offen als er löst. Ein bedingungslo-

ses Grundeinkommen zur Er-möglichung eines anderen Mo-dells von Arbeit, die Ketten der Erwerbsarbeit sprengend, um damit drängende gesellschaft-liche Probleme zu lösen, er-scheint mehr als verlockend, birgt aber die Gefahr, sich neue Fesseln und Beschränkungen aufzuerlegen. Die Diskussion muss weiter geführt werden, Entweder/Oder-Kategorien sind dabei wenig hilfreich. Un-verzichtbar ist es aber momen-tan, weiter für „gute Arbeit“, mit mehr Freiheiten und Selbstbe-stimmung in und außerhalb der Lohnarbeit, zu streiten. Sabine Zimmermann, SprecherInnenrat LAG betrieb&gewerkschaft

Kommentiert

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NEIN zum Krieg – Libyen und die Europäische Nachbarschaftspolitik

GAGFAH-Klage: Millionenpoker oder Mieterrechte?

Tagtäglich erreichen uns neue schockierende Nachrichten aus Libyen. Seit der Annah-me der Resolution des Sicher-heitsrats der Vereinten Nati-onen, die sowohl den Erlass einer Flugverbotszone über Li-byen beinhaltet als auch zum Schutz der Menschen in Liby-en vor Gaddafis Truppen die Ergreifung »aller notwendi-gen Maßnahmen« erlaubt, mit Ausnahme von Besatzungs-truppen, herrscht in Libyen endgültig Krieg. Die Waffen, mit denen Gaddafi heute ge-gen die eigene Bevölkerung vorgeht, stammen zu wesent-lichen Teilen aus Europa. Über viele Jahre haben sich die eu-ropäischen Regierungen den Schutz vor Flüchtlingen aus

Afrika mit der massiven fi-nanziellen Unterstützung des Gaddafi-Regimes erkauft. Dabei war die massenhaf-te Verletzung der Menschen-rechte von geringem Interes-se. Erst am 22. Februar 2011 hat die EU ihre Verhandlun-gen über ein neues Koopera-tionsabkommen abgebrochen – es war und bleibt die Maxi-me »Öl- und Gasimporte zu-erst«. Wir fordern, dass es in der EU ein grundsätzliches Umdenken der Beziehungen zu den südlichen Nachbarlän-dern geben muss. Die Euro-päische Gemeinschaft steht in der Pflicht den Menschen zu helfen, die den Mut aufge-bracht haben, sich gegen die bestehenden Verhältnisse

aufzulehnen und ihre Zukunft selbst zu entscheiden. Dabei geht es um ein konsequentes Waffenembargo, das Einfrie-ren der Konten des Gaddafi-Clans und dessen politische Isolierung. Die EU muss sich außerdem der drohenden hu-manitären Krise zuwenden. Die Flüchtlingsströme aus Nordafrika in Italien, beson-ders auf Lampedusa, steigen besonders seit dem Sturz des tunesischen Diktators Zine el Abidine Ben Ali an. »Gemäß dem Grundsatz der Nichtzu-rückweisung laut Charta der Grundrechte dürfen Men-schen nicht nach Libyen oder in ein anderes Land zurück-geführt werden, in denen ihr Leben bedroht ist.” Die Ver-

stärkung von Frontex (Euro-päische Agentur für die opera-tive Zusammenarbeit an den Außengrenzen) stellt für uns keine Lösung dar. Wir fordern, in der EU ein Netz offener Auf-nahmezentren für Menschen aufzubauen, die derzeit aus Nordafrika fliehen. Dafür müs-sen auch geeignete EU-Mittel eingesetzt werden. In diesen Zentren müssen grundlegen-de humanitäre Hilfe, würdi-ge Lebensbedingungen und eine angemessene Sozial- und Rechtsberatung für alle Menschen, ungeachtet ihres Rechtsstatus, angeboten wer-den. Unsere Erwartungen an die EU sind, dass sie ihre Au-ßengrenzen für Asylsuchende aus der Krisenregion öffnet

und zugleich die dringend not-wendige, massive humanitäre Hilfe für die Bevölkerung vor Ort leistet. Der Bürgerkrieg und das Töten in Libyen müs-sen ein Ende finden. Militäri-sche Auseinandersetzungen sind keine Lösungen zur Stär-kung von Demokratiebewe-gungen. Dr. Cornelia Ernst/Susanna Karawanskij

Zunächst: Worum geht’s? Die amerikanische Investment-gesellschaft Fortress kauf-te 2006 für fast eine Milliarde Euro den gesamten kommu-nalen Wohnungsbestand von rund 45.000 WOBA-Wohnun-gen in Dresden. Damit kam die WOBA unter das Dach der Fortress-Tochter GAGFAH. Die so genannte Sozialcharta ist Bestandteil des Kaufvertra-ges und sichert zugunsten der Mieter umfangreiche Schutz-rechte, darunter ein Vorkaufs-recht für die eigene Wohnung bei Weiterveräußerung an Drit-te. Dieses Recht soll verletzt worden sein, was die verzins-te Strafzahlungsforderung der Stadt gegen die Gagfah von über einer Milliarde Euro be-gründet.Ein kurzer Rückblick: Mit dem WOBA-Verkauf wurde kommu-nales Vermögen abgegeben und steht weder zur Daseins-vorsorge im Bereich Wohnen, noch als solider Vermögensbe-standteil der Kommune, noch zugleich auch als Einflussfak-tor in anderen stadtgestalteri-schen Feldern zur Verfügung. Unbestritten ist andererseits, dass die Entschuldung für die Stadt entscheidende Spielräu-me z. B. bei Schulen und KITA, bei Kulturbauten und Sport… eröffnete bzw. zurückbrachte. Was ist seit 2006 passiert:Die Gagfah hat für viel Kredit-geld Wohnungen und Wohn-umfeld aufgewertet und bei moderaten (da durch die So-zialcharta begrenzten) Miet-steigerungen Verbesserungen der Wohnbedingungen be-wirkt sowie den (früher zwei-stelligen) Leerstand drastisch

reduziert. Andererseits wur-den durch hohe Bankkredite, Mieteinnahmen und Rationa-lisierung, vor allem aber eben durch die Weiterveräußerung von Wohnungsbeständen die Mittel »erwirtschaftet«, die an Fortress bzw. den Hedge-fonds zurückgeflossen sind. D.h. der Finanzinvestor Fort-ress hat sein Geschäft positiv abgeschlossen und ist vor je-der weiteren Haftung durch die Selbständigkeit der Gagfah gut geschützt. Ihr Schäfchen ist im Trockenen. Die Gagfah ist nun für die Wohnungen, die Mieter und die Sozialcharta allein ver-antwortlich. Als selbständiges börsennotiertes Unternehmen ist es seinen Eignern zur Er-wirtschaftung von Gewinn ver-pflichtet. (Das ist übrigens bei jedem privaten Vermieter so.)Nun komme ich zum Klagevor-gang: Es geht um eine Verlet-zung der Sozialcharta, gegen die die Stadt natürlich unbe-dingt vorgehen muss. Dass die Verletzungen mit Strafzah-lungen belegt sind, ist positiv. Für Strafzahlungen muss al-lerdings allein die Gagfah auf-kommen, da die auslösenden Finanzinvestoren nicht mehr in Haftung sind. Ein entschei-dender Vertragsmangel, finde ich. Sollten also die Zahlungen durch die Gagfah wirtschaft-lich nicht leistbar sein, heißt das Insolvenz. Damit verkom-men die Strafforderungen aus der Sozialcharta letztlich zum Papiertiger, denn das Insolven-zvermögen in Form der Woh-nungen fällt keinesfalls der Stadt zu.Mir fällt auf, dass in der öffentli-chen Darstellung des Vorgangs nicht die Sozialcharta und die

verletzten Rechte der Mieter im Vordergrund stehen, sondern die Hoffnung, dass der Stadt wenigstens ein 3stelliges Mil-lionensümmchen zufallen mö-ge, mit dem man ein paar neue Großprojekte finanzieren könne. Meines Erachtens - ein Irrglaube und vor allem ein falsches politi-sches Signal. Wieso?Zunächst muss das Gericht in der Sache feststellen, ob die Sozialcharta verletzt wur-de durch Nichtgewährung des Vorkaufsrechts bzw. durch Nichtweitergabe der Pflichten daraus bei den veräußerten Wohnungsbeständen. Gagfah dazu: Alle Verpflichtungen sei-en weitergegeben, und für evtl. Strafzahlungen komme sie weiterhin selbst auf. Selbst bei Entscheidung der Sache zugunsten der Stadt muss das Gericht aber auch zur Höhe urteilen. Es wird die Milli-arden-Strafforderung dem tat-sächlich entstandenen Scha-den gegenüberstellen. Es wird darauf stoßen, dass die Sozial-charta Mieterrechte schützen und nicht zur Insolvenz des Un-

ternehmens und letztlich zum Schaden der Mieter führen soll. Das Gericht wird schließlich darauf stoßen, dass die wirt-schaftliche Leistungsfähigkeit nicht so weit durch die Strafen gemindert werden kann, dass am Ende wieder die Mieter be-lastet werden. Ade also zu der Hoffnung auf paar schöne Mil-liönchen, denn diese wären am Ende durch die Mieter aufzu-bringen. Lediglich die von den Börseneignern erwarteten Ge-winne können als Strafmaß in Betracht kommen. Das fände ich auch politisch richtig. Nur wer kann das für alle Zukunft trennen von evtl. doch aufer-legten Mehrbelastungen ge-genüber den Mietern? Gibt es also gar keine Lösung für die gerichtliche Auseinan-dersetzung (oder abzusehen-de Versuche der außergericht-lichen Einigung)? Doch, ich sehe eine Lösung und vor allem eine politische Zielstellung zugunsten der Mieter: Ein solcher Weg, der dem Geiste der Sozialcharta entspricht, wäre die Leistung

von Strafzahlungen in Form der Überführung von Antei-len der Gagfah an die Stadt. D.h. die Stadt bekommt wie-der relevante Vermögensantei-le, Mitspracherechte und Ver-fügungsmacht innerhalb der Gagfah oder/und auch über Teile des Wohnungsbestandes.Dazu brauchen wir zunächst in den eigenen Reihen einen politischen Standpunkt. Da-zu bedarf es in der Stadt einer Konsensbildung z.B. über eine Lenkungsgruppe. Und dazu be-darf es der Aufklärung der Mie-ter über mögliche Folgen. Im heutigen Stadium dominiert der Finanzpoker. Sind dem Fi-nanzbürgermeister die Mieter dabei egal? Leider vermute ich auch bei einigen Stadtratsfrak-tionen ähnliche Motive. Kehren wir zurück zum Aus-gangspunkt: Es geht um den Schutz der Mieter durch die Sozialcharta, und es geht um den Einfluß der Stadt auf Woh-nen in dieser Stadt. Und das sollte im Mittelpunkt des Ge-schehens stehen und bleiben!Rainer Kempe

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KindergrundsicherungWeg aus der Armut und Ausgrenzung von Kindern und Jugendlichen

In Deutschland hat die Einkom-mensarmut von Kindern und Jugendlichen erschrecken-de Ausmaße angenommen. Je nach Erhebungsjahr, Daten-basis und Altersstufe liegt bei diesen die Armutsrisikoquote zwischen 15 und 28 Prozent, durchschnittlich also ist jedes fünfte Kind bzw. jede/r fünf-te Jugendliche betroffen. Au-ßerdem: 2009 lebten ca. 2,6 Millionen Kinder und Jugend-liche in Abhängigkeit von dem stigmatisierenden, repressi-ven und bedürftigkeitsgeprüf-ten Grundsicherungssystem Hartz IV (SGB II): von den un-ter 15-Jährigen waren 1,7 Mil-lionen im Leistungsbezug, von den unter 25-Jährigen 0,9 Mil-lionen. Dazu kommen noch ca. 1,2 Millionen Kinder unter 15 Jahren in verdeckter Armut. Insgesamt beträgt die Quo-

te der verdeckten Armut von Familien mit Kindern bei be-dürftigkeitsgeprüften Grund-sicherungen in Deutschland ca. 40 Prozent. Das heißt, auf eine Leistungen beziehende Bedarfsgemeinschaft mit Kin-dern kommt fast nochmal eine Bedarfsgemeinschaft mit Kin-dern, welche die zustehenden Transferleistungen nicht er-hält. Diese Familien leben also mit einem Einkommen unter-halb des politisch festgelegten Existenzminimums. Der grund-rechtlich garantierte Anspruch auf Transferleistungen wird aus verschiedenen Gründen nicht realisiert: Scham, Nicht-wissen und Angst vor Repres-sionen, Stigmatisierungen und Diskriminierungen. Alles das sind Gründe, die ihre systemi-sche Ursache in den bedürf-tigkeitsprüfenden Grundsiche-rungssystemen haben. Armut und Ausgrenzung von Kindern und Jugendlichen kann auf verschiedenen We-gen minimiert bzw. beseitigt werden: durch eine Erhöhung der Einkommen der Eltern (Er-werbseinkommen und/oder Transfereinkommen), durch öffentliche und kostenfreie Zu-gänge zu Bildung, Kultur, Mo-bilität, Freizeit, Sport usw., durch armutsfest ausgestal-tete Transfersysteme für Kin-der und Jugendliche. Sinnvoll ist aus vielerlei Gründen ein Mix dieser Ansätze. So sieht es auch DIE LINKE. Bezüglich der Ausgestaltung von direkten Transfersyste-men für Kinder und Jugend-liche liegen derzeit unter-schiedliche Vorschläge auf dem Tisch: wie zum Beispiel erhöhte Kinderregelsätze in den bestehenden Grundsi-cherungssystemen, erhöh-te Kinderzuschläge zum Kin-dergeld, erhöhtes Kindergeld und Kindergrundsicherungen. Die renommierten Armutsfor-

scherInnen Irene Becker und Richard Hauser haben im Auf-trag der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung drei verschiedene Reformalternati-ven auf ihre Wirkung hinsicht-lich der Armutsbekämpfung untersucht: a) eine unbürokra-tische Kindergrundsicherung, b) ein erhöhtes Kindergeld, c) ein altersgestaffelter, verbes-serter Kinderzuschlag. zu a) Die Kindergrundsiche-rung beträgt 500 Euro für al-le Kinder und Jugendliche, Bedürftigkeitsprüfungen ent-fallen – es handelt sich also um ein Kindergrundeinkommen. Hartz IV für Kinder/Jugendli-che wird abgeschafft, ebenso kindbedingte Steuerfreibeträ-ge. Aus Gründen der sozialen Gerechtigkeit und Finanzier-barkeit wird die Kindergrundsi-cherung mit dem Grenzsteuer-satz des bisherigen elterlichen Einkommens versteuert. Ge-winnerInnen sind Familien oh-ne oder mit geringem Einkom-men sowie mittelverdienende Familien. zu b) Das Kindergeld soll auf 322 Euro erhöht werden, ledig-lich der Erhöhungsbetrag wird nicht auf weiterhin bestehen-de Grundsicherungsleistun-gen wie Hartz IV angerechnet. Die kindbedingten Steuerfrei-beträge mit systematischer Bevorteilung der höheren Ein-kommensschichten werden beibehalten.zu c) Der Kinderzuschlag von maximal 140 Euro wird auf ma-ximal 200 bis 272 Euro erhöht. Es gibt keine Veränderungen bzgl. Hartz IV und kindbeding-ter Steuerfreibeträge. Die Ergebnisse der Untersu-chung von Becker und Hauser zeigen, dass die Kindergrund-sicherung die Einkommensar-mut bei Kindern und Jugendli-chen radikal reduzieren würde: bei Kindern bis zum 15. Le-bensjahr von 16,5 Prozent auf

3 Prozent, bei 16- bis 24-Jäh-rigen von 22 auf 13 Prozent. Verdeckte Armut wird vollkom-men eliminiert, da diese Leis-tung allen Kindern/Jugendli-chen zusteht, also auch keine Bedürftigkeitsprüfung erfolgt. Mit dem erhöhten Kindergeld erfolgt in der Altersgruppe bis zum 15. Lebensjahr eine Re-duktion der Einkommensarmut auf rund 5 Prozent, mit einem verbesserten Kinderzuschlag lediglich auf 15 bis 11 Prozent. Für 16- bis 24-Jährige mini-miert sich mit dem erhöhten Kindergeld die Einkommens-armut auf rund 15 Prozent, mit dem verbesserten Kinderzu-schlag lediglich auf 20 bis 18 Prozent. In beiden Fällen (er-höhtes Kindergeld, verbesser-ter Kinderzuschlag) verbleiben sehr viele Kinder und Jugendli-chen in Hartz IV. Viele erreicht außerdem nicht einmal die-se ihnen zustehende bedürf-tigkeitsgeprüfte Grundsiche-rung (verdeckte Armut). Dazu kommt beim verbesserten Kin-derzuschlag, dass dieser eben-falls bedürftigkeitsgeprüfte Transfer besonders anfällig für eine hohe Nichtinanspruch-nahme ist (derzeit eine Quote der verdeckten Armut von 66 Prozent).DIE LINKE könnte, wenn sie sich für die oben genannte Aus-gestaltung der Kindergrundsi-cherung entscheiden würde, in einem breiten Bündnis für dieses Konzept kämpfen. Im derzeit bestehenden Bündnis für die Kindergrundsicherung wirken mit: Arbeiterwohlfahrt, Bundesarbeitsgemeinschaft kommunaler Frauenbüros und Gleichstellungsstellen, Deut-scher Kinderschutzbund, Deutsche Gesellschaft für Sys-temische Therapie und Famili-entherapie, Gewerkschaft Er-ziehung und Wissenschaft, Pro Familia, Zukunftsforum Fami-lie, Verband berufstätiger Müt-

ter. Auch der Verband allein-erziehender Mütter und Väter fordert diese Kindergrundsi-cherung. Die oben genannten Verbände und Gewerkschaf-ten werden dabei unterstützt durch namhafte Wissenschaft-lerInnen wie z. B. Prof. Dr. Wal-ter Hanesch, Prof. Dr. Ernst-Ulrich Huster und Prof. Dr. Margherita Zander. Bündnis 90 /Die Grünen haben sich im letzten Bundestagswahl-programm für eine solche Kin-dergrundsicherung ausgespro-chen, die SPD Sachsen auf ihrem Landesparteitag im Juni 2010. Ronalde Blaschke, wissen-schaftlicher Mitarbeiter von Katja Kipping

Quellen: Irene Becker/Richard Hauser: Kindergrundsicherung, Kindergeld und Kinderzuschlag: Ei-ne vergleichende Analyse aktueller Reformvorschläge. Abschlussbe-richt für die Hans-Böckler-Stiftung, Riedstadt/Frankfurt am Main 2010Ronald Blaschke: Grundein-kommen – der beste Weg, um Armut auszumerzen: Beispiel Kindergrundsicherung, 2011; unter www.grundeinkommen.de/29/01/2011/grundeinkom-men-der-beste-weg-um-armut-auszumerzen-beispiel-kinder-grundsicherung.html

KommentiertUm den Bundestag lahmzulegen …… braucht es sehr viel weni-ger, als man gedacht hätte. Während nach den Terrorwar-nungen im Spätherbst die Si-cherheitsvorkehrungen mas-siv verschärft wurden, um das Parlament in jeder Form zu schützen, hat jetzt ein einzel-ner Bagger ausgereicht, um wenigstens die Arbeitsfähig-keit der Volksvertreter für ei-nen Tag auszuschalten. Nach-dem bei Bauarbeiten in der Nähe mehrere Kabel aus Ver-sehen durchtrennt worden wa-ren, ging im Bundestag nicht mehr viel. Lediglich die Tele-fone, die Fahrstühle und eine Notbeleuchtung funktionier-ten noch. Alles andere, von den Computern, die zur Arbeit gebraucht werden, bis zur To-ilettenspülung, war außer Be-trieb. Wie es sein kann, dass ein so wichtiges Gebäude, bei dem sonst an alle Eventualitä-ten gedacht wurde, von ledig-lich ein paar Stromleitungen abhängig ist, konnte allerdings noch niemand erklären.Michael Leutert, MdB

Dialog- und Sozialtour

Für eine neue soziale Idee.16.5. bis 20.5.2011

mehr Infos unter:www.linke-landesgruppe-sachsen.de

Fraktion vor Ort:

Fraktion vor Ort: Dialog und Sozialtour

Dresden, 17. Mai, 14 Uhr/18 UhrIm öffentlichen Dialog mit Ver-treter_innen der Verbände des Bündnisses »Kindergrundsi-cherung« und anschließend Podiumsdiskussion »Kinder-grundsicherung – Wege aus der Armut« – gemeinsam mit RLS Sachsen u.a. mit Katja Kip-ping (MdB), Annekatrin Klepsch (MdL), Barbara König, (GF) Zu-kunftsforum Familie e.V., Ver-treter_in vom Kinderschutz-bund Sachsen

Chemnitz, 19. Mai, 14 Uhr/ 18 UhrIm öffentlichen Dialog mit Ver-bänden für Kinder- und Fami-lienfreizeit - anschließend Po-diumsdiskussion zum Thema: Erholung und Ferien für Kinder und Jugendliche aus finanz-schwachen Familien »Ferien für alle?«u.a. mit Michael Leutert (MdB), Jörn Wunderlich (MdB), Anne-katrin Klepsch (MdL), Klaus Ti-schendorf (MdL)

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Im April dieses Jahres liegt die Gründung der SED 65 Jahre zurück. Aus die-sem Anlass dokumentiert Links! Auszüge aus einem Vortrag des Historikers Prof. Dr. Günter Benser, den er anlässlich des 50. Jahrestages im März 1996 in Dresden gehalten hat.

Zu DDR-Zeiten befand sich die Darstellung und Wertung der SED immer in einem vorab ge-gebenen theoretisch-ideolo-gischen Zusammenhang. Sie galt als Verwirklichung einer historischen Gesetzmäßigkeit, bedingt durch eine historische Mission der Arbeiterklasse und war von daher eine nicht mehr kritisch zu überprüfende his-torische Errungenschaft. […] Die Frage ist nicht oder sollte es längst nicht mehr sein, ob es Zwänge gegeben hat, son-dern in welchem Verhältnis die Zwänge zu den erfolgten Ent-scheidungen gestanden haben und wie sich die Masse der Mit-glieder verhalten hat. Natürlich geht es auch um die Frage, in welchem Verhältnis die Zwän-ge im Osten zu den Zwängen im Westen stehen. Manche Politi-ker und Historiker wollen ver-gessen machen, dass es nicht nur überall in Deutschland Be-satzung gegeben hat, sondern dass Besatzungsregime der Sache nach letztendlich keine Demokratien, sondern Militär-diktaturen sind. Jede Siegermacht hatte nach-vollziehbare eigene Sicher-

heitsinteressen, und jede trug Verantwortung für das Überle-ben der ohne eigene staatliche Souveränität vegetierenden deutschen Bevölkerung. Es er-scheint mir deshalb unakzep-tabel, wenn uns die Geschichte so vorgeführt wird, als ob einer gewaltsamen Sowjetisierung Ostdeutschlands eine freies Spiel der Kräfte und eine un-befleckte demokratische Emp-fängnis im deutschen Westen gegenüber-gestanden habe. […]Aus dem sowjetischen Ver-ständnis von Macht und Macht-gebrauch ergab sich häufig ein besonders rigides Vorgehen zur Durchsetzung der tatsäch-lichen oder vermeintlichen In-teressen der UdSSR. Und da die sowjetische Besatzungs-macht in einer kommunistisch dominierten Einheitspartei of-fenbar einen unverzichtbaren Garanten ihrer Sicherheitsin-teressen gesehen hat, zöger-te sie auch nicht, eine Fusion von KPD und SPD voranzutrei-ben. Im Westen steht den Ur-teilen sowjetischer Militärtri-bunale und der Verfrachtung von Menschen in sowjetische Zwangslager, die unterschied-lich begründet waren, so nichts Gleichsetzbares gegenüber. Aber es bleibt dennoch immer nachzuweisen, inwieweit der-artige schlimme Vorgänge und persönliche Schicksale tat-sächlich mit der Entscheidung für oder wider die Einheits-partei in Verbindung zu brin-gen sind. Gegenwärtig sehen

wir uns mit den unterschied-lichsten Zahlen konfrontiert. In Schulungsmaterialien der SPD ist von 20.000 gemaßregel-ten Sozialdemokraten die Re-de. Als nach dem XX. Parteitag der KPdSU auf Vorschlag ei-ner Sonderkommission des ZK der SED eine Begnadigung po-litische Verurteilter stattfand, befanden sich darunter nach den statistischen Unterlagen 691 Sozialdemokraten, von de-nen 5 bereits verstorben wa-ren. Irgendwo zwischen diesen Zahlen liegt die Realität. Die-se Realität ist unabhängig von quantitativen Größenordnun-gen bitter. Es ist dennoch be-rechtigt, zu fordern, dass diese Realität den Opfern des kalten Krieges und den politisch Re-pressierten im deutschen Wes-ten gegenübergestellt werden

muss. […]Ginge es nur um Worte, wür-de das Akzeptieren des Be-griffs »Zwangsvereinigung« den Weg freimachen, um all jene Kräfte zusammenführen, die in diesem Lande Refor-men durchzusetzen vermögen, die Arbeitslosigkeit beseiti-gen oder radikal dezimieren, eine ökologische Wende er-reichen, den Frauen, den Kin-dern und den Minderheiten zu ihren Rechten verhelfen könn-ten - wer wäre dann befugt, auf irgendwelchen Benennun-gen und Nichtbenennungen historischer Geschehnisse zu beharren? So liegen aber die Dinge nicht. Mit dem Verdikt »Zwangsvereinigung« ist er-fahrungsgemäß ein politisch instrumentalisierter Umgang mit Geschichte und eine Dis-

kriminierung von Biographien verbunden, die so nicht hinge-nommen werden dürfen.Die gleichen Leute, deren Vor-behalte gegen die Einheitspar-tei uns heute so prononciert vorgestellt werden, haben zur selben Zeit gemeinsam mit Kommunisten eine funktions-fähige Verwaltung aufgebaut, ihre Unterschriften unter Ver-ordnungen zur Durchführung der Bodenreform gesetzt, ei-ne Schulreform durchgeführt, den Freien Deutschen Ge-werkschaftsbund und die Freie Deutsche Jugend aus der Tau-fe gehoben, sich für die Unter-bringung von Umsiedlern ein-gesetzt, die Volkssolidarität ins Leben gerufen und vieles ande-re Notwendige und Vernünftige getan. Dafür braucht sich doch die SPD nicht zu schämen.

Einheit trotz Konflikten

Der 125. Geburtstag Ernst Thälmanns

ist Anlass, des aufrechten Kommunisten und Antifaschis-ten zu gedenken, der seit der Mitte der zwanziger Jahre bis zu seinem Tod an der Spitze der Kommunistischen Partei Deutschlands stand.Die Partei DIE LINKE wurzelt in verschiedenen Traditions-zusammenhängen und steht in einem reichen und frucht-baren wie auch tragischen und schuldvollen Erbe. Neben so-zialdemokratischen und links-sozialistischen Traditionen gehören die des deutschen Kommunismus zu den prägen-den ihres historischen Selbst-verständnisses. Es ist die Par-tei Rosa Luxemburgs, Karl Liebknechts, Clara Zetkins, Paul Levis und August Thalhei-mers, der sich die Linkspartei vor allem verbunden fühlt.Der KPD ist aber auch nicht ohne Ernst Thälmann zu ge-denken. Der Kampf hundert-tausender Proletarier gegen

Militarismus, Faschismus und Krieg wird immer mit seinem Namen verbunden bleiben.Ernst Thälmann kam als 39jäh-riger an die Spitze der Partei. Nach schweren Klassenkämp-fen und komplizierten inner-parteilichen Auseinanderset-zungen stand er vor Aufgaben, die ihm ein Höchstmaß an in-tellektuellen und politischen Fähigkeiten abverlangten. Es war dies die Zeit, in der sich der Stalinismus zunehmend in der internationalen kommunisti-schen Bewegung durchsetzte. Ernst Thälmann trug diese Ent-wicklung voller Überzeugung mit. Die Sowjetunion und die Politik ihrer Führung blieb für ihn Zeit seines Lebens nicht hinterfragtes Vorbild. Die Sta-linisierung der weltweit größ-ten kommunistischen Partei außerhalb der Sowjetunion ge-hört zu den tragischen Kapiteln der Geschichte des deutschen Kommunismus.Für die sich konstituierende Partei des demokratischen So-zialismus gehörte deshalb zum

Bruch mit dem Stalinismus als System unverzichtbar auch die kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte der KPD.Mangels demokratischer Le-gitimation leiteten die Führun-gen der SED ihren Herrschafts-anspruch nicht zuletzt aus dem von ihnen geschaffenen My-thos um Ernst Thälmann und der Kontinuität des jeweiligen Politbüros zum »Thälmann-schen Zentralkomitee« ab. Kri-tisches Hinterfragen der Thäl-mann-Legende war unerlaubt. Der Thälmann-Mythos in der DDR hatte mit der historischen Person Thälmanns nur noch wenig zu tun. Dabei erweist

sich der Mensch aus Fleisch und Blut als interessante und widerspruchvolle Gestalt, des-sen Leben über das vergange-ne Jahrhundert weit mehr aus-zusagen vermag als die zur Ikone des Thälmann-Mythos erstarrte Figur.Im vergangenen Jahr erschien ein aufwändig gestalteter zweibändiger »Thälmann-Re-port« von Eberhard Czichon und Heinz Marohn. Es han-delt sich um den bisher am-bitioniertesten Versuch, die Biographie Ernst Thälmanns zu rekonstruieren. Dieser Ver-such muss aus der Sicht des Verfassers als misslungen be-zeichnet werden. Es handelt sich - verkürzt gesagt – um einen Rückfall in die stalinis-tische Thälmann-Legende der SED-Geschichtsschreibung. Die angebliche »Demontage« des Thälmann-Bildes der »Ge-schichtsrevisionisten« ordnet sich nach Czichon und Ma-rohn ein in den Versuch der »Reformer-Fraktion in der PdL um Gregor Gysi und die Gebrü-

der Brie«, zu denen die Autoren auch den Verfasser dieser Zei-len zählen, den Aufbau des So-zialismus der DDR zu delegiti-mieren.« Im Umfeld von PDS/Linkspar-tei wurde dagegen in den zu-rückliegenden Jahrzehnten intensiv zu diesen Themen ge-forscht. Konturen eines neu-en vielschichtigen und plura-len Bildes der Geschichte des deutschen Kommunismus sind entstanden. In ihm hat Ernst Thälmann seinen Platz.Ernst Thälmann wurde nicht demontiert. Er wird als kämp-fender, irrender, strategisch überforderter, dem Stalinis-mus dienender, leidender, standhafter, 1939 überrasch-ter, der Haft Tribut zollender, als von Stalin und seinen Gesellen gedemütigter und schließlich vorsätzlich fallen Gelassener gezeichnet. Er ist keine Ikone mehr. So hat die Linke ihn zu-rück gewonnen und sie über-lässt ihn weder dem Antikom-munismus noch stalinistischen Apologeten. Klaus Kinner

Mensch, nicht FigurFo

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Seite 6Links! 4/2011

ParlamentsreportTermine

Impressumlinks! Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die WeltHerausgebergremium: Dr. Mo-nika Runge, Verena Meiwald, Prof. Dr. Peter Porsch, Achim Grunke, Rico Schubert Verleger: Verein Linke Kultur und Bildung in Sachsen e.V., Großenhainer Str. 101, 01099 Dresden

Namentlich gekennzeichne-te Beiträge geben nicht un-bedingt die Meinung der Re-daktion wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinn-wahrende Kürzungen vor. Ter-mine der Redaktionssitzungen bitte erfragen.Die Papierausgabe wird in der Lausitzer Rundschau Drucke-rei GmbH in Cottbus in einer Auflage von 17.650 Exp. ge-

druckt. Redaktion: Kevin Reißig, Rico Schubert (V.i.S.d.P.)Kontakt: [email protected] Tel. 0351-84 38 9773Bildnachweise: Archiv, iStockphoto, pixelioRedaktionschluß: 28.2.2011Die nächste Ausgabe er-scheint am 15.4.2011. Die Zei-

tung kann abonniert werden. Jahresabo 10 Euro incl. Ver-sand. Abo-Service 0351-84389773Konto: KontoNr. 3491101007, BLZ 85090000, Dresdner VolksbankInternet www.links-sachsen.de

TIPPS13. April, 19 Uhr Vortrag und Diskussion Wie weiter mit dem Euro?Mit Lucas Zeise, Wirtschafts-journalist, Frankfurt/M.Schon die Einführung des Eu-ro im Jahr 1999 war umstrit-ten. Sie war an Bedingungen geknüpft worden, die schon da-mals keineswegs alle der betei-ligten Länder erfüllten. Der Sta-bilitäts- und Wachstumspakt, der die neue Währung sichern sollte, hat sich als wenig hilf-reich erwiesen. Heute wird laut darüber nachgedacht, ob diese Währung Bestand haben wird, ob es nicht einen Süd- und ei-nen Nord-Euro geben sollte oder ob man die Eurozone nicht besser verlässt, wenn andere Länder sie nicht verlassen. Was also sind die Geburtsfehler die-ser Währung, lassen sie sich beheben oder ist der Euro zum Untergang verurteilt? Lucas Zeise, Frankfurter Finanzmark-texperte, Mitbegründer der Fi-nancial Times Deutschland und Redaktionsmitglied der Mar-xistischen Blätter (jüngste Bü-cher: »Ende der Party- Die Ex-plosion im Finanzsektor und die Krise der Weltwirtschaft« und »Geld - der vertrackte Kern des Kapitalismus«) legt seine Sicht der Dinge dar.WIR AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden

28. April, 16 Uhr Vortrag und Diskussion Arabische Revolutionen?Mit Prof. Dr. Werner Ruf, KasselAngestoßen durch die Demons-trationen in Tunesien im De-zember 2010 erwachten zahl-reiche Protestbewegungen in weiteren Staaten Nordafrikas und des Nahen Ostens. Immer mehr Menschen gehen für ih-re Rechte auf die Straßen – die Forderung nach politischer Emanzipation und Mitbestim-mung. Westliche Medien spre-chen von einer arabischen Re-volution. Doch bleibt die Frage offen, was danach passiert. Ist eine Revolution möglicherwei-se eine Voraussetzung für die Bildung einer neuen Staats-form, so ist sie aber bei weitem keine hinreichende Bedingung. Wiederherstellung wichtiger staatlicher Strukturen, Etab-lierung der gesellschaftlichen Partizipation und deren institu-tionelle Verankerung – ein lan-ger Weg mit einem unvorher-sehbaren Ausgang steht den arabischen Ländern bevor. Wie also sehen die nächsten Bilder aus, von denen die Medien be-richten werden? Und wie groß ist die Chance, darin eine nach-haltige Etablierung einer Demo-kratisierung zu sehen?Klub Gshelka, An der Kotsche 51, 04207 Leipzig, 16.00 UhrRosa-Luxemburg-Stiftung, Har-kortstraße 10, 04107 Leipzig, 18.30 Uhr

22. Chemnitzer Ostermarsch

Die BRD – seit 10 Jahren im Kriegszustand Ostermontag, den 25. April 201110.00 Uhr: Treff am Rathaus Chemnitz – Auftaktkundge-bung, Rundstrecke durch Chemnitz mit Zwischenkund-gebungen 1. Zwischenkund-gebung – Markuskirche2. Zwischenkundgebung – Schlosspark 15.00 Uhr: Schlusskundge-bung Marx - MonumentEin weiterer Ostermarsch fin-det am Samstag, 23.04. in Leipzig statt.

Die Arbeitsgemeinschaft& betrieb&gewerkschaft im Stadtverband DIE LINKE Chemnitz lädt alle Interes-sierten zu einer Podiumdis-kussion: „Arbeitnehmer-freizügigkeit ja, aber ohne Lohndumping“ ein.Diese Veranstaltung fin-det am Mittwoch, dem 27.4.2011, 18 Uhr statt. Diskussionspartner sind: Sa-bine Wils, Mitglied des Eu-ropäischen Parlamentes, DIE LINKE, Torsten Steid-ten, Landessprecher der AG betrieb&gewerkschaft, Ge-rald Kemski, Bundessprecher der AG betrieb&gewerkschaft (Moderation), Thomas Micha-elis, AG betrieb&gewerkschaft Chemnitz (Moderation)Zum 1. Mai 2011 wird in der Eu-ropäischen Union die volle Ar-beitnehmerfreizügigkeit einge-führt. An diesem Tag fallen die noch gültigen Schutzregelun-gen im Rahmen der Arbeitneh-mer -und Dienstleistungsfrei-heit weg. Mit diesem Wegfall droht eine neue Runde des Lohndumpings, von welcher im Besonderen europäische und auch deutsche Arbeitnehmer betroffen sind.Rothaus e.V, Lohstrasse 2, Chemnitz

6. April, 19 Uhr Lesung Stimmen aus der Gesell-schaft - Lesung sozialkriti-scher TexteMit Eva Gabriele Rex, Autorin, Dresden - liest aus ihren Tex-ten, Julia Bonk, MdL, DresdenGabriel Krappmann, Dresden, musikalische Umrahmung Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden

12. April, 18 Uhr Film, Vor-trag und Diskussion Asozi-al und minderwertig – Aus-grenzung und Vernichtung von Menschen im National-sozialismusMit Stefanie Hüttner, BerlinEine gemeinsame Veranstal-tung von VVN/BdA Leipzig und der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen e.V.Rosa-Luxemburg-Stiftung, Har-kortstraße 10, 04107 Leipzig

15. April, 16 Uhr Vortrag und Diskussion Bürger-schaftliches Engagement – Engagierte Bürger/in-nen oder Ausfallbürgen des Staates?Im Rahmen der Tage der De-mokratie und Toleranz der Zwi-ckauer Region vom 11. April bis 20. April 2011 - »Bürgerschaft-liches Engagement«Mit Ines Hantschick, Stadträtin und Bürgervereinsvorsitzende, LeipzigHaus der Begegnung, Mari-enthaler Straße 164 B, 08060 Zwickau

19. April, 18 Uhr Vortrag und Diskussion Reihe: »Junge Rosa« Extremis-musbegriffMit Juliane Nagel, linXXnet, LeipzigWir AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden

26. April, 18 Uhr Vortrag und Diskussion »Daß die Dinge geschehen, ist nichts; daß sie gewußt wer-den, ist alles.« Egon Friedells Kulturgeschich-te zwischen Objektivität und Narrativität oder Vom Wert der Anekdote für die Geschichts-schreibungMit Prof. Dr. Renate ReschkeModeration: Prof. Dr. Karl-

Heinz SchwabeRosa-Luxemburg-Stiftung, Har-kortstraße 10, 04107 Leipzig

27. April, 19 Uhr Vortrag und Diskussion Linke in Regierungsverantwortung – Erfahrungen aus Bran-denburgMit Dr. Helmuth Markov, Fi-nanzminister, Potsdam Brandenburg ist ein weite-res Land, in dem Linke in Re-gierungskoalitionen vertre-ten sind. Welche Erfahrungen konnten aus anderen Ländern übernommen werden und wel-che nicht? Wie ist es mit dem »Entzaubern«; verliert die Linke ihre Unschuld, wie oft kolpor-tiert wird? Wo sind Haltelini-en, welche Kompromisse geht man nicht ein? Helmuth Mar-kov berichtet von seinen Er-fahrungen als stellvertretender Ministerpräsident und Finanz-minister in Brandenburg.WIR AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden

6. Mai, Podiumsdiskussion Linke Geschichtswissen-schaft heute im Lichte von Leben und Werk von Wal-ter MarkovMit Dr. Helmuth Markov (Stellv. Ministerpräsident und Minis-ter der Finanzen des Landes Brandenburg), Dr. Gerald Die-sener (Karl-Lamprecht-Ge-sellschaft Leipzig), Dr. Monika Runge (Vorsitzende der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen und Mitglied des Sächs. Land-tags), Prof. Manfred Neuhaus (Leiter der Berliner Arbeitsstel-le der MEGA), Prof. em. Hans Hautmann (Alfred-Klahr-Ge-sellschaft, Linz) und Mgr. David Mayer (Inst. für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität Wien: Geschichte marxistischer Historiographie)Eine gemeinsame Veranstal-tung der Rosa-Luxemburg-Stif-tung Sachsen, des Bildungs-verein der KPÖ Steiermark, der Alfred-Klahr-Gesellschaft und des KSV GrazKarl-Franzens-Universität, Uni-versitätsplatz 3, 8010 Graz

6. bis 8. Mai,18. Beratungs-tage des Rohrbacher Krei-ses der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen e.V.

Der Wandel steht im Raum II. – Globalisierungs-Be-stimmtheit unseres Tuns – Deutschlands Einordnung in erdumspannende Pro-zesseMit Prof. Dr. Reinhold Kram-pitz, Magdeburg, Prof. Dr. Hel-mut Meier, Leipzig, Angela Is-phording, Berlin, Dr. Arndt Hopfmann, Berlin, Dr. med. An-nelies Wirsing, Dresden, Prof. Dr. Rainer Hampel, Zittau/Gör-litzAnmeldung erforderlich bei Dr. Jutta Rochhausen: Siedlung 28, 19057 Schwerin-Lankow, Tel. 0384-4866547 E-mail: [email protected]: ca. 17,50 € im DZ pro Person/Nacht, ca. 22,50 € im EZ, Frühstück: ca. 5,00 €, Abendbufett: ca. 7,50 €Hotel Käthe-Kollwitz-Hütte, Holzstraße 2, 04774 Dahlen

7. Mai, 10 Uhr Kolloqui-um ArbeitsGesellschaft im WandelMit Prof. Dr. Friedhelm Hengs-bach SJ, Ludwigshafen, Dr. Ale-xandra Wagner, BerlinDr. Cornelia Heintze, Leipzig, Dr. Andreas Willnow, Leipzig, Dr. Horst Hesse, LeipzigEnrico Stange (MdL), LeipzigModeration: Dr. Dieter Janke, Dr. Horst Hesse, Prof. Dr. Joa-chim TeschTeilnahmebeitrag 5,00 EuroAnmeldung bis 25. AprilMassenarbeitslosigkeit als Dauerphänomen gehört seit den späten siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts zum Erscheinungsbild entwi-ckelter kapitalistischer Indust-riestaaten. Trotz verheißungs-voller Ankündigungen wurde auch mit der neoliberalen De-regulierung keine Trendwende hin zu einem Beschäftigungs-aufbau eingeleitet. Geht der Gesellschaft die Arbeit aus? Welche Zukunft hat die »Er-werbsarbeit«? Solche und ähn-liche Fragen werden auch im linken Spektrum der Gesell-schaft verstärkt diskutiert. Der Wirtschaftswissenschaftliche Arbeitskreis der Rosa-Luxem-burg-Stiftung Sachsen will sich daher dem Thema »ArbeitsGe-sellschaft im Wandel« mit einer ganztägigen Veranstaltung zu-

wenden.Rosa-Luxemburg-Stiftung, Har-kortstraße 10, 04107 Leipzig

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Kleiner Text, großer Aufruhr

Missstände benennen und abstellenDer französische Bestsel-ler „Empört Euch“ sorgt für FuroreWas den Deutschen im letz-ten Jahr »ihr« Sarrazin- Buch »Deutschland schafft sich ab« war – kein Buch wurde mehr gekauft - das war den Franzosen im letzten Jahr ihr »Empört Euch« von Stépha-ne Hessel, einem 92jährigen Resistance-Kämpfer, der in Berlin geboren wurde und mit seinen Eltern nach Paris floh, später in London de Gaulles Mann war um die Verbindun-gen zwischen französischem Militär im Exil und den Re-sistance-Gruppen in Frank-reich aufzubauen. Schließ-lich nach Frankreich kam, hier von der Gestapo aufgespürt wurde und im KZ Buchen-wald am Strang enden sollte. Da es ihm unter abenteuerli-chen Umständen gelang, die Identität eines toten Kampf-gefährten anzunehmen, blieb ihm dieses Schicksal erspart.

Später wurde er Diplomat in französischen Diensten und arbeitete u.a. in der UNO die Menschenrechts-Charta aus. Der Sohn des Spiegel-Grün-ders Rudolf Augustein, Jakob Augstein – übrigens Heraus-geber der Ost-West-Wochen-zeitschrift »Freitag« – wies unlängst in einer Spiegel-Ko-lumne darauf hin, welches Ar-mutszeugnis sich deutsche Leser ausstellen, in dem sie einen Hetzer wie Sarrazin auf den Schild heben während die Franzosen lieber den großen Menschenrechtler und linken Aufklärer Stéphane Hessel le-sen. Keineswegs darf man da-raus jedoch auf eine größere Aufgeklärtheit der Franzosen schließen, denn sonst ließen sich kaum in jüngster Zeit die großen Erfolge des Front Nati-onal erklären, möchte man er-gänzen.Was macht das Buch eines 92jährigen Autors so attrak-tiv? Es ist die Klarheit der Ge-

dankenführung, mit der er als Weltkriegs-Überlebender in al-ler Deutlichkeit daran erinnert, was das Ziel der Menschen-rechtscharta war und wie wichtig es ist, sich Zeit seines Lebens für die »richtige Seite« und eine gerechte Sache zu engagieren – auch wenn sei-ner Auffassung nach heute für viele nicht mehr so klar ist, wo der Feind eigentlich steht. Es scheint ein Buch insbesondere für die sächsischen LINKEN zu sein. Wenn man heute darüber liest, wie die Immobiliengesell-schaft Gagfah die Mieter von 40.000 ehemaligen Dresd-ner KWV-Wohnungen verra-ten und verkaufen will und sich vor Augen führt, dass es aus-gerechnet eine Mehrheit der Dresdner LINKEN war, die dem Beschluss zum Verkauf an die-se US-Heuschrecke entweder zustimmte oder sich – mehr oder weniger wohlwollend – der Meinung enthielt, dann markierte das einen Tiefpunkt

linker Verwirrung. Auch wenn Linke allen Ernstes meinen, In-ternationalismus sei es doch, wenn VW-Autobauer akzep-tieren müssten, dass ihre Jobs nach Rumänien gingen. Solche Sprüche und ähnlich Schlim-mes deuten darauf hin, dass in weiten Teilen des linken pro-fessionellen Politikbetriebes die Orientierung an den wirk-lichen Werten verloren ge-gangen ist. Sozialpolitiker, die in ARGE-Beiräten sitzen und Angst vor einem Gespräch mit Arbeitslosen haben oder Land-tagsabgeordnete, die längst nicht mehr wissen (wollen!?) was an der Basis los ist, sind inzwischen keine »Speziali-tät« der »Bürgerlichen« mehr und es ist ein großes Verdienst dieses Resistance-Kämpfers, darauf hinzuweisen, dass es eben nicht darauf ankommt, sich als technokratisches Räd-chen in einen Politikbetrieb einzufügen, sondern dass es viel mehr entscheidend ist al-

les dafür zu tun, um gegen den Stachel zu löcken, Missstände zu benennen und wirkliche Ak-tionen zu ergreifen um diese abzustellen – ein weites unbe-stelltes Feld. Wer den Hessel ernst nimmt in Sachsen könn-te auf den Majakowski verfal-len: »Lege den Finger auf jeden Posten und frage wie kommt er da hin?« So mancher Posten scheint da heute bedenklich besetzt zu sein.Die Streitschrift, die nur 3,99 Euro kostet, bei Ullstein er-schienen ist und die man in kurzer Zeit »durch« hat, en-det mit dem Ausspruch: »Neu-es schaffen heißt Widerstand leisten. Widerstand leisten heißt Neues schaffen.« Nun denn, an‘s Werk!PS: Inzwischen ist eine Nach-folgeschrift des interessanten Autors in Frankreich erschie-nen unter dem Titel »Engagiert Euch!«Ralf Richter

Das Manifest »Der kom-mende Aufstand« propa-giert die Revolte

Ein kleiner Text sorgt für gro-ße Aufregung. Ein »Unsicht-bares Komitee« hat 2007 eine poetisch-radikale Flugschrift namens »Der kommende Auf-stand« (»L‘insurrection qui vi-ent«) herausgebracht, die jüngst auf Deutsch beim Ver-lag Edition Nautilus erschien, aber auch frei im Internet ver-fügbar ist. Der Text ist mehr als Diskurs, auf jeden Fall wird er als etwas Anderes, Größe-res, Gefährlicheres denn als bloßer Text rezipiert – was nicht zuletzt die Verfasser freuen und bestätigen dürf-te: Diskursive und praktische Unsicherheitszonen sind es, die sie produzieren wollen. Sie sehen die Schrift als Teil einer gegen die bestehenden Ordnung gerichteten Praxis. Deshalb auch die Anonymität der Verfasser. In Zeiten von Google Street View, Vorrats-datenspeicherung, digitalen Fingerabdrücken, einem Meer von Überwachungskameras will sich das »Unsichtbare Ko-mitee« dem neuen Terror der Sichtbarkeit entziehen. Ob mit Erfolg, das weiß man nicht.In Frankreich nahm die Poli-zei Ende 2008 acht Personen fest, beschuldigte sie, Ver-fasser der Broschüre zu sein, für Anschläge auf TGV-Ober-leitungen verantwortlich zu zeichnen und in einer »anar-cho-autonomen Kommune« zu leben. Als Kopf hinter dem

Ganzen wurde Julian Cou-pat, Schüler und Freund des Philosophen Giorgio Agam-ben, ausgemacht, der prompt hochkarätige Unterstützung durch offene Briefe und So-lidaritätserklärungen erfuhr. Coupat und die anderen Be-schuldigten mussten schließ-lich freigelassen werden. Ein weiterer großer medialer Auf-schrei erfolgte durch Glenn Beck, Moderator des US-ame-rikanischen Fernsehsenders FOX, der zwar zugestand, das Büchlein gar nicht gelesen zu haben, aber dennoch, Bilder der griechischen Revolte im Dezember 2008 und ande-re Straßenkampf-Szenen be-schwörend, vor einem neuen linken Radikalismus warnte.Die apokalyptische Predigt des »kommenden Aufstands«, die das Leben im Kapitalismus als Hölle schildert und den ei-genen Revolt-Weg als einzigen Weg aus dem Jammertal vor-schlägt, trug also Früchte und provozierte die Gegenpredigt derjenigen, die das Bestehen-de zementieren wollen und dafür die Hölle der kommunis-tischen Aufsässigkeit in blu-tigen Bildern vorführen müs-sen.»L‘insurrection qui vient« be-zieht sich positiv auf die Re-volte in den französischen Vorstädten und griechischen Universitätsvierteln und will ein Aufstandsprogramm zur Zertrümmerung des globa-len Kapitalismus liefern. Die Verfasser machen sich keine Gedanken über linke Bünd-

nispolitik, über Rahmen- und Richtungsforderungen, über Wahlempfehlungen und ähn-lich brave Beschäftigungen. Es geht ihnen um die revo-lutionäre Tat: Man will nicht mehr warten, sondern zu-schlagen. Jenseits der beste-henden Organisationen, Par-teien und linken Milieus soll man in Freundschaft verbun-dene Kommunen aufbauen, die sich so organisieren, dass man der Arbeit entfliehen und sich auf ein widerständiges Le-ben konzentrieren kann. Ge-gen die Entfremdung und die Zumutungen der Lohnarbeit soll der Mensch in der Revolte

sich allumfassend bilden und befähigen. Diese lokalen Kom-munen organisieren dann den Aufstand gegen die Warenge-sellschaft und schaffen be-freite Zonen: »Es geht darum, kämpfen zu können, Schlösser zu knacken, Knochenbrüche ebenso zu heilen wie eine An-gina, einen Piratensender zu bauen, Volksküchen einzurich-ten, genau zu zielen, aber auch darum, zerstreutes Wissen zu sammeln und eine Landwirt-schaft des Krieges zu schaf-fen, die Biologie des Planktons und die Zusammensetzung des Bodens zu verstehen, das Zusammenwirken der Pflan-

zen zu studieren...«.Wird »Der kommende Auf-stand« in den hiesigen Milieus des Linksradikalismus aufge-griffen, in der Hoffnung, dass diese mal ordentlich durchei-nandergewirbelt werden und eine Poesie der Widerstän-digkeit entwickeln? Ein guter Bekannter, der es wissen soll-te, meinte, Leute wie die Ver-fasser der Flugschrift würden höchstwahrscheinlich wegen »dominanten Redeverhaltens« aus den einschlägigen Lokali-täten verbannt werden.Gerhard Hanloser, Neues Deutschland

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Zeit für Autoren

„Bleibt gut, Kinder!“

Nach der nuklearen Katastro-phe in Japan diskutiert alle Welt das Für und Wider der Nutzung von Kernkraft. Die kann zu-vorderst für kriegerische oder für »friedliche« Zwecke, d. h. zur Energiegewinnung einge-setzt werden; doch das sind zwei Seiten derselben Medail-le: Die Geschichte zeigt, dass auch der friedliche Gebrauch von Atomkraft unermessliches Leid verursachen kann.Seit Jahrzehnten warnen Men-schen vor den Auswirkungen nuklearer Katastrophen – ob sie nun durch Bomben oder durch Kraftwerke verursacht werden; Musik ist ein unverzichtbarer Bestandteil des Widerstands und begeistert oft eine gan-ze Generation. So auch »Eve of destruction«, dem nachgesagt wird, der erfolgreichste Protest-song überhaupt zu sein. 1965 von P. F. Sloan geschrieben, machte ihn der amerikanische Folkrock-Sänger Barry McGui-re weltberühmt. Obwohl zahl-reiche Radiostationen den Song boykottierten, wurde er in kur-zer Zeit enorm erfolgreich und verkaufte sich weltweit über sechs Millionen Mal.Das Lied kreiert eine düstere, depressive Endzeitstimmung am Vorabend der Vernichtung (»Eve of destruction«). Es ist eine ebenso fassungslose wie grimmige Warnung vor der Ver-nichtung der Menschheit durch atomare Waffen - eine ankla-gende Dystopie, die zugleich die Frustration der Jugend im Zeitalter des Wettrüstens und des Vietnamkrieges ausdrückt. Und die in gewisser Weise auch Zeugnis von deren erschüttern-der Machtlosigkeit ablegt. »If the button is pushed, there’s no running away/ There‘ll be no one to save, with the world in a grave” – wenn es zum Atom-krieg kommt, entrinnt ihm nie-mand. Auch nicht jene unschul-dige Jugend, die – wenn es nach den Herrschenden geht - zwar »alt genug ist zum Töten, aber nicht zum Wählen«. Der Ge-danke an den Untergang, singt McGuire, lässt das Blut in den Adern gefrieren. Alles Nachden-ken ändert nichts an der Reali-tät – wenn der Respekt vor dem Leben zerstört wird, ist – so beschreibt McGuire – nur eine Konsequenz denkbar.Die atomare Katastrophe – zu-mindest die durch Krieg be-dingte – scheint vorerst ab-gewendet, nicht jedoch die vermeintlich »friedlich« verur-sachte. Gebannt sein wird die Gefahr erst, wenn auf die Nut-zung nuklearer Technologie endgültig und vollständig ver-zichtet wird. Kevin Reißig

Diese Worte, die der Fünfjähri-ge als letztes von seiner ster-benden Mutter hörte, sollten ihm zu einer Kraft gebenden Le-bensmaxime werden. Der Ös-terreicher Herrmann Gmeiner, der Begründer der SOS- Kinder-dörfer, am 23.6.1919 geboren, entstammte einer kinderrei-chen Bauernfamilie. Die Erin-nerung an die Mutter blieb zeit-lebens gegenwärtig. Die enge familiäre Bindung und die tiefe, in ehrlichem Glauben gründen-de, christliche Erziehung ließen in ihm einen unerschütterlichen Glauben an das Gute im Men-schen entstehen. Gymnasium und Studienwunsch, für Fami-lie eines Vaters mit neun Kin-dern ebenso ungewöhnlich wie finanziell unerreichbar, wurde über ein durch den Dorfgeistli-chen vermitteltes Stipendium ermöglicht. Gmeiner galt als ungesellig, als Grübler und un-ruhiger Geist. Nach dem Gym-

nasium wurde er 1939 zur Wehr-macht einberufen – Landecker Gebirgsjäger. Bevor ihn Kriegs- und Siegesrausch anstecken konnten, fiel sein älterer Bruder Jodok in Frankreich. Eine tiefe menschliche Trauer hinderte, den Kult der ‚stolzen Trauer‘ und der Vergeltung mitzumachen.Nach dem Krieg wollte er Arzt werden, wurde aber Sozial-pädagoge. Seine Kindheitser-innerungen bestimmten sein neues Handlungsfeld: die Mut-ter-Kind-Beziehung als Basis der ganzen persönlichen und gesellschaftlichen Entwicklung – Kindern ohne Mutter musste geholfen werden. Das Gute wür-de sich nicht von allein durch-setzen, man muss ihm helfen. So entstand im Dezember 1949 das erste SOS-Kinderdorf. Für die Finanzierung dieser Dörfer suchte und gewann er freigiebi-ge private und öffentliche Hän-de.

Besonders als er mit der Um-setzung der Idee der SOS-Kin-derdörfer in den Ländern der Dritten Welt begann, machten sich mehr und mehr Einsich-ten breit, dass in der Verteilung des Reichtums in der Welt et-was nicht in Ordnung sein kann; Genügsamkeit und vernünfti-ge Selbstbeschränkung seien wichtiger für die Sicherheit des Lebens als die Befriedigung je-der Begehrlichkeit, wie sie in der westlichen Lebensart zum Aus-druck käme. So beschreibt er seine Eindrücke über Indien von einer Asienreise 1977, auf der er Kinderdörfer in Bethlehem, Bhersaf, Beirut, in Pakistan, In-dien Bangla Desh und Nepal besuchte, wie folgt: »Wo bleibt das Resultat der Umverteilung des Besitzes? ... Die Länderei-en sind verstaatlicht ... Und wo gibt es einen Armen, dem es jetzt besser ginge? ... Jedenfalls wachsen die Slums am Rande

der Städte, wird das Proletariat zahlreicher, fließt Geld dorthin, wo Geld ist und wird die Armut immer bedrückender.« Er sah deutlich, dass sich die ‚Dritte Welt‘ in einem Prozess tiefgrei-fender historischer Wandlungen befindet. Wie sehr auch ihn die ideologischen Stereotype des kalten Krieges beherrschten, zeigt seine Angst um das Saigo-ner Kinderdorf 1978, das er als verloren ansah, weil die Nordvi-etnamesen Südvietnam besetz-ten und die Einheit der vietna-mesischen Nation erreichten. Am 26.4.1986 starb Gmeiner. Sein Werk aber lebt fort und entwickelt sich weiter unter der Führung ehemaliger Kinderdorf-kinder wie Helmut Kutin, dem heutigen Präsidenten von SOS-Kinderdorf international, und Alexander Gabriel, die beide im ersten Kinderdorf der Welt Imst /Tirol aufgewachsen sind.Ralf Becker

Leipziger Buchmesse: Bei aller Fülle (2150 Aussteller aus 35 Ländern, Besucherrekord mit 163.000 Besuchern), bei al-lem Massenansturm ist es je-des Mal beeindruckend: Man geht nie fort von der Messe ohne das Bedürfnis zu haben, beim nächsten Mal wieder un-bedingt dabei sein zu müssen. Für den Bücherwurm ist die Buchmesse Leipzig wohl die Messe der Messen – kein Ver-gleich zu Frankfurt. Leipzig bie-tet ein einzigartiges Volkslese-fest: »Leipzig liest«. Das macht Lust zum Weiterlesen. Und es gibt die Möglichkeit, sich mit Autoren zu treffen, in denKul-turredaktionen live bei Sen-dungen dabei zu sein, die man sonst nur im Radio hört oder Fernsehen sieht – dazu ist je-der eingeladen an den Ständen von ARD, ZDF, ARTE, 3sat und natürlich MDR Figaro. Für den Dresdner, der Leipzig ohnehin die Weltoffenheit neidet, ist die Buchmesse eine geradezu zwingender Grund, wenigstens einmal im Jahr ins schöne Leip-zig zu kommen.Wen die neuen Trends interes-sierten, der war wohl bei »Book Rix« in Halle 5 richtig - zur Ver-anstaltung »SocialBook: Neu, innovativ, genial, sozial! Mit So-cialBook geben wir dem Men-schen D A S zeitgemäße Mittel für digitales und soziales Sch-reiben«. Da konnte man von Vivian Tan, der jungen Referen-tin des blutjungen Unterneh-mens lernen, dass in Zukunft alles ganz radikal anders wird. »Es ist vorbei mit der Trennung von Schreiber und Leser! Ein Social Book schreiben nämlich Freunde gemeinsam, und zwar

via Twitter und Facebook.« Die Zukunft gehört demnach dem Leser-Schreiber, auch »Wrea-der« genannt: »Kennzeichnend für diese Art von Literatur (der Literatur von heute) ist, dass sie konsequent die traditionel-le Beziehung von Autor und Le-ser umzukehren, zu verwischen und am Ende sogar aufzulö-sen scheint. Jeder Leser ist da-zu eingeladen und angehalten selbst am Schreibprozess teil-zunehmen.« Dies schreibt Flori-an Hartling in seinem Werk »Der digitale Autor«. BookRix sei da-zu angetreten, seine Idee in die Tat umzusetzen, erläutert Vi-vian Tan – wir ergreifen unter-

dessen die Flucht und suchen lieber echte Autoren, die sich völlig unsozial und unmodern-gestrig noch nicht aufgelöst ha-ben und alles egoistisch selbst schreiben. Hören bei Holger Michael zu, der im Pahl Rugen-stein Verlag »Marschall Pilsud-ski 1867 bis 1935 Schöpfer des modernen Polens« geschrieben hat. Beeindruckend das De-büt »Captain Randolph in den schwarzen Bergen«, das die Gratwanderung des Einzelnen in Zeiten der Wirtschaftskrise beschreibt, im Berufsleben zu bestehen, ohne sich im Ange-sicht der Angst vor dem Verlust de Arbeitsplatzes korrumpie-

ren zu lassen. Der Autor Niko-laos Katsouros ist schreibender Jurist und IT- Unternehmer aus Frankfurt am Main. Die Leute hängen ihm an den Lippen, ver-stehen die Botschaft und die Fragezeit reicht nicht aus - so viele wollen mit dem Autor dis-kutieren. Beim Thema »Social Book« verschwanden die Mas-sen kopfschüttelnd, ohne eine einzige Frage an die Referentin zu stellen. Am Ende bleibt das sehr beruhigende Gefühl, dass die Zeit für den digitalen Autor offensichtlich genau so wenig gekommen ist, wie die für das Social Book ... Ralf Richter/Rico Schubert

Atomare Endzeit

Musik

Ein prall gefülltes Programm erwartete die Besucherinnen und Besucher der Leipziger Buchmesse 2011 vom 17. bis 20. März - 163.000 Menschen nutzen es. So viele wie noch nie!