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Thema: Pflege und Träger der Erinnerungskultur Gedenkjahre und die Logik medialer Ausmerksamkeit Erinnerungsdiskurs zum „Anschluss” in Tageszeitungen Zur Sichtbarkeit der Widerstandsforschung Die letzten Zeugen des „Anschlusses” Evaluation der Gedenkstätte Mauthausen „NachRichten” und „Zeitungszeugen” Jahrgang 24 Kommunikation in Vergangenheit und Gegenwart ISSN 0259-7446 4,80 zeit & medien medien & zeit 1/2009 1/2009

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Thema:Pflege und Träger der

Erinnerungskultur

Gedenkjahre und die Logikmedialer Ausmerksamkeit

Erinnerungsdiskurs zum„Anschluss” in Tageszeitungen

Zur Sichtbarkeit der Widerstandsforschung

Die letzten Zeugen des„Anschlusses”

Evaluation der GedenkstätteMauthausen

„NachRichten” und„Zeitungszeugen”

Jahrgang 24

Kommunikation in Vergangenheit und Gegenwart

ISSN 0259-7446€ 4,80

zeit&medienmedien & zeit

1/20091/2009

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1938 – 1988 – 2008Gedenkjahre und die Logik

medialer Aufmerksamkeit 4

Heidemarie Uhl

Vielgestaltig, widersprüchlich, anerkannt? Der „offizielle“ Erinnerungsdiskurs zum

„Anschluss“ in österreichischen

Tageszeitungen 8

Birgit Entner / Ulrike Fleschhut

Aus, vorbei, vergessen? Zur Sichtbarkeit der Widerstandsforschung in

der österreichischen Erinnerungskultur 22

Klaus Kienesberger

Die letzten Zeugen Die Wegbereitung zum „Anschluss“ aus der

Perspektive von ZeitzeugInnen 36

Bernd Semrad

Annäherung an das UnfassbareSchülerInnenbefragung als Teil der Evaluation

des didaktischen Konzepts der Gedenkstätte

Mauthausen 48

Gisela Säckl

„NachRichten“ und „Zeitungszeugen“ Historische Aufklärung zwischen Mündigkeit

und Paternalismus? 54

Fritz Hausjell

Rezensionen 59

ImpressumMedieninhaber, Herausgeber und Verleger:

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© Die Rechte für die Beiträge in diesem Heft liegen beim„Arbeitskreis für historische Kommunikationsforschung (AHK)“

Redaktion:Wolfgang Duchkowitsch, Bernd Semrad

Lektorat & Layout:Bernd Semrad

Korrespondenten:Prof. Dr. Hans Bohrmann (Dortmund),

Univ.-Prof. Dr. Hermann Haarmann (Berlin),Univ.-Prof. Dr. Ed Mc Luskie (Boise, Idaho),

Univ.-Prof. Dr. Arnulf Kutsch (Leipzig),Dr. Markus Behmer (München),

Prof. Dr. Rudolf Stöber (Bamberg)

Druck:Buch- und Offsetdruckerei Fischer,1010 Wien, Dominikanerbastei 10

Erscheinungsweise:medien & zeit erscheint vierteljährlich

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fürhistorische Kommunikationsforschung. Sie will Forum für eine kritische und interdisziplinär ausgerichtete Auseinandersetzung über Theorien, Methoden und

Probleme der Kommunikationsgeschichte sein.

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historische Kommunikationsforschung (AHK)“,Schopenhauerstraße 32, A-1180 Wien

Vorstand des AHK:Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Duchkowitsch (Obmann),

a.o. Univ.-Prof. Dr. Fritz Hausjell (Obmann-Stv.),Mag. Gaby Falböck (Obmann-Stellvertreterin),

Mag. Bernd Semrad (Geschäftsführer),Mag. Fritz Randl (Geschäftsführer-Stv.),

Mag. Christian Schwarzenegger (Schriftführer),Dr. Erich Vogl (Schriftführer-Stv.),

Mag. Marion Linger (Kassierin),Dr. Norbert P. Feldinger (Kassier-Stv.)

medienzeit&

Inhalt

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Editorial

Die Fachgruppe Kommunikationsgeschichteder Deutschen Gesellschaft für Publizistik-

und Kommunikationswissenschaft hielt ihre Jah-restagung 2009 in Eichstätt zum Themenkreis„Geschichtsjournalismus“ ab. Eine wichtige Kategorie im Geschichtsjournalis-mus – mithin wichtiger Träger der Erinnerungs-kultur – ist der sogenannte Gedenktagsjournalis-mus. Auch wenn die Wissenschaft diesem auf-grund des (zunehmenden) Inszenierungs- undEventcharakters (Stichwort „Histotainment“) eingerüttelt Maß an Skepsis entgegenbringt, lässtsich dieser im real existierenden Journalismusnicht wegleugnen. Nicht zuletzt erfüllen Gedenk-anlässe in einer Gesellschaft eine Orientierungs-funktion und tragen zur Ausbildung und Tradie-rung von Identität bei.Das Jahr 2008 stand hierzulande für das Geden-ken an den 70. Jahrestag des „Anschlusses“ Öster-reichs an das Deutsche Reich. Diesem Anlasswurde in den Jahrzehnten seit dem Ende des„Dritten Reichs“ in unterschiedlichem Ausmaßmediale Aufmerksamkeit und wissenschaftlicheBetrachtung zuteil – am Umgang mit dem„Anschlussgedenken“ wurde nicht zuletzt diedemokratische Reife vulgo Distanz zum NS-Gedankengut gemessen. Dieses Heft greift dasGedenkjahr 2008 auf, um einen Querschnittdurch rezente (kommunikations-)historische For-schungen zur österreichischen Erinnerungskulturzu bieten.

Heidemarie Uhl eröffnet das Heft und bilanziertKontinuitäten und Brüche im Gedenken an„Anschluss“ und Nationalsozialismus. Als pro-noncierte Kennerin der österreichischen Erinne-rungskultur betrachtet Uhl inhaltliche und for-male Aspekte des Gedenkens insbesondere imVergleich von 1988 zu 2008. Dabei stehen zweizentrale Fragen zur Beantwortung offen: Ist derAbschied von der Opferthese wirklich vollzogen?Und kann angesichts dessen, was auch in denanderen Beiträgen dieses Hefts thematisiert undanalysiert wird, von einer „Erkaltung“ desGedächtnisortes „Anschluss“ gesprochen werden?

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Antwortofferte auf diese Kernfragen gibt der Bei-trag von Birgit Entner und Ulrike Fleschhut.Ausgehend von einer Längsschnittuntersuchungzum „Anschlussgedenken“ im Jahr 1968, 1988und 2008 kommen die beiden Autorinnen zumSchluss, dass im Wechselspiel zwischen offiziellerErinnerungspolitik (der politischen Repräsentan-tInnen) und medialer Berichterstattung (in die-sem Fall in der Wiener Zeitung und Kronen Zei-tung) ein steter Wandel des „Anschluss“-Gedenk-diskurses zu konstatieren ist. Von der Negierungder Mitverantwortung hin zu einer – auch dergenerationellen Ablöse geschuldeten – differen-zierten Perspektive auf den „Anschluss“.

Klaus Kienesberger widmet sich in seinerBetrachtung der Sichtbarkeit des GedächtnisortesWiderstand in der österreichischen Erinnerungs-kultur. Als Gegenerzählung zum willfährigenOpfer einerseits, als marginalisiertes For-schungsthema andererseits – ausgehend von einerRückschau auf die Ausstellung „unSICHTBAR –widerständiges im salzkammergut“ wagt Kienes-berger einen Ausblick auf die künftige Repräsen-tation und Rekonstruktion des Widerstands imösterreichischen Gedächtnis.

In engem Zusammenhang mit dem eingangs vor-gestellten Beitrag steht jener von Bernd Semrad.Er stellt Teilergebnisse eines Oral History-Pro-jekts vor, das die Stimmen der „letzten Zeugen“des „Anschlusses“ sammelt und auswertet. DiesesForschungsvorhaben ist Teil eines größeren Pro-jekts zur geistigen Wegbereitung des „Anschlus-ses“ in Medien und öffentlicher Kommunikationdes austrofaschistischen „Ständestaats“. Deutlichwird eine generationelle Lagerung, die die Mit-verantwortung heute zwar akzeptiert, aber Argu-mentationsmuster tradiert, die im offiziellen Dis-kurs spätestens 1988 eine Marginalisierungerfuhren: Zum Beispiel herrscht weitreichenderKonsens darüber, dass der Nationalsozialismus„Gutes“ gebracht habe („Arbeitsplätze“, „Auto-bahnen“), der allgemeine Jubel daher nicht zumVorwurf gemacht werden dürfe. Demgegenüber

durchbrechen einige Stimmen diesen Chor,indem sie nachträglich monieren, dass man sehenkonnte, was der Nationalsozialismus bringenwürde – wenn man nur wollte…

Gisela Säckl evaluierte in einem Lehrveranstal-tungsprojekt in Kooperation mit dem didakti-schen Leiter des Mauthausen Memorials im Bun-desministerium für Inneres, Yariv Lapid, das Ver-mittlungskonzept der Gedenkstätte. Das ehema-lige Konzentrationslager wird von TausendenSchülerInnen jährlich besucht. Zentrale Fragender Evaluierung betrafen daher auch inhaltlicheund formale Aspekte und werden in die Neukon-zeption des didaktischen Konzepts des Memorialsmiteinbezogen.

Ebenfalls Bezug auf ein „Produkt“ des Erinne-rungsjahres 2008 nimmt der Essay von FritzHausjell. Er war federführend verantwortlich fürdas Projekt NachRichten – die NS-Zeit in Öster-reich, analysiert und bewertet von Kommunikati-onswissenschaftlerInnen, HistorikerInnen undanderen ExpertInnen; ergänzt durch Wiederab-drucke von Zeitungen und Dokumenten der NS-Zeit. Das in Deutschland in diesem Jahr gestarte-te Pendant – Zeitungszeugen – stieß dagegen auferhebliche Widerstände. Hausjell vergleicht Kon-zeptionen und Erfahrungswerte der beiden Pro-jekte.

Nicht zuletzt sei erwähnt, dass die Beiträge in die-sem Heft beinah ausnahmslos auf Forschungenam Institut für Publizistik- und Kommunikati-onswissenschaft der Universität Wien zurückge-hen und von MitarbeiterInnen und Studierendendieses Hauses getragen wurden. Diese Ausgabevon medien & zeit bildet damit einen Schwer-punkt in Forschung und Lehre ab, der auch inHinkunft eine große Rolle einnehmen soll – undmuss. medien & zeit wünscht erhellende Lektüremit instruktiven Beiträgen!

WOLFGANG DUCHKOWITSCH

BERND SEMRAD

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Im Zeitalter des Gedächtnisses operiert derBlick in die Vergangenheit in einem zweifachen

Rahmen: Nicht allein durch die Bezugnahme aufdas historische Ereignis selbst, sondern auch aufbisherige Formen der Rekonstruktion und Inter-pretation eines Ereignisses im kulturellenGedächtnis. Im sogenannten „Gedenkjahr1938/88“ – dieser Begriff setzte sich im medialenDiskurs rasch durch – agierten die Projekte einerAuseindersetzung mit der „unbewältigten Ver-gangenheit“ Österreichs vor dem Hintergrundder Vorstellung, dass die bereits im Gründungs-dokument der Zweiten Republik – der Unabhän-gigkeitserklärung vom 27. April 1945 – einge-schriebene Externalisierung der NS-Vergangen-heit praktisch unverändert bis zur Zäsur derWaldheim-Debatte 1986 bestanden habe. Dieseit 1945 erfolgten Initiativen gegen die Ver-harmlosung des Nationalsozialismus, die symbo-lischen Kämpfe der 1960er und 1970er Jahre umdie Durchsetzung des als kommunistischund/oder als praktisch nicht existent angesehenenWiderstandes als historischem Bezugspunkt desneuen Österreich waren dem kulturellen Verges-sen anheimgefallen: Sie waren in den cultural fra-mes des Zerbrechens der Opfer- und Widerstand-serzählungen, aus denen sich die politischenMythen im Nachkriegseuropa1 speisten, nichtmehr von Relevanz bzw. nachgerade unsichtbargeworden. Zwanzig Jahre nach 1988 kann von der tabularasa einer gänzlich „unbewältigten Vergangen-heit“ im Blick auf 1938 allerdings nicht mehr dieRede sein, angesichts der gesellschaftlichenGrundsatzdebatte des Gedenkjahres 1938/88und den darauf folgenden Diskussionen, etwa imZusammenhang mit der Wehrmachtsausstellungund regelmäßig angesichts von Wahlerfolgen derHaider-FPÖ bzw. der im Jahr 2000 gebildetenÖVP-FPÖ Regierungskoalition.

Wie Gesellschaften erinnern, erklärt sich offen-kundig nicht allein aus dem konkreten histori-schen Bezugpunkt eines lieux de memoire, son-dern auch aus den Formen des Durcharbeitens,des Ausverhandelns, die ein Ereignis bereitserfahren hat. Damit gewinnt die Frage nach demZusammenhang zwischen kollektivem Gedächt-nis und den Logiken medialer Aufmerksamkeit2

an Relevanz: Geht man von Jan Assmanns Defi-nition von kulturellem Gedächtnis als „kollektivgeteiltem Wissen“ aus, so sind Medien im Hin-blick auf die Formierung dieses spezifischen Wis-sens von elementarer Bedeutung, sowohl was dieverdichteten Phasen der Auseindersetzung mitdem „heißen“ Gedächtnis3 einer Gesellschaftbetrifft als auch die Tradierung jenes unhinter-fragten impliziten Wissens, das die cultural pat-terns eines Kollektivs reproduziert und tradiert.

Das Jahr 1938 erfüllt zweifellos die Kategorieeines „heißen“ Gedächtnisortes, vergleicht manallerdings 1988 mit 2008, dann erscheinen dieKontroversen um „Anschluss“ und Opfertheseweitgehend an sozialer Energie eingebüßt zuhaben. Dieser Befund basiert nicht auf einemFehlen an medialer Aufmerksamkeit anlässlichder 70. Wiederkehr des März 1938, ganz imGegenteil: Die „Anschluss“-Tage haben erwar-tungsgemäß eine entsprechende Resonanz inMedienberichten gefunden, waren Gegenstandvon Sonderbeilagen, Serien und Titel-Storys inden Print-Medien, von Hörfunk-Sendungen undTV-Dokumentationen.

Aber nur auf den ersten Blick mag das medialeInteresse an das „Gedenkjahr 1938/88“ erinnern,als erstmals, gerade auch im medialen Diskurs,eine breite Auseinandersetzung mit „Anschluss“und NS-Herrschaft in Österreich stattgefundenhat. Das Erregungspotenzial von 1988 ist aller-

1938 – 1988 – 2008Gedenkjahre und die Logik medialer Aufmerksamkeit

Heidemarie Uhl

1 Vgl. Judt, Tony: Die Vergangenheit ist ein anderes Land.Politische Mythen im Nachkriegseuropa. In: Transit.Europäische Revue, 6, 1993, S. 87-120.

2 Vgl. Franck, Georg: Ökonomie der Aufmerksamkeit. EinEntwurf. München 1998.

3 Vgl. Maier, Charles S.: Heißes und kaltes Gedächtnis. Zurpolitischen Halbwertszeit des faschistischen undkommunistischen Gedächtnisses. In: Transit. EuropäischeRevue, 22, 2002, S. 153-165.

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dings nicht allein aus der 50. Wiederkehr des„Anschlusses“ zu erklären, sondern vor allemauch als Reaktion auf die Waldheim-Debatte19864 zu sehen: Kurt Waldheims Aussage überdie „Pflichterfüllung“ als Wehrmachtssoldat warunvereinbar mit der Sichtweise der offiziellenOpferthese. Gemäß dieser Darstellung warÖsterreich im März 1938 gewaltsam besetzt wor-den, die Jahre 1938 bis 1945 galten als Fremd-herrschaft, gegen die sichtrotz brutaler Unter-drückung ein Österreich-patriotischer Widerstandregte. Die österreichischenSoldaten in der DeutschenWehrmacht wären hinge-gen „unter dem Zwangeines unerhörten Terrors“5 zum Kriegsdienst ineinem „sinn- und aussichtslosen Eroberungs-krieg“6 gezwungen worden. Die breite Unterstützung für Waldheim – erwurde bekanntlich 1986 trotz Anschuldigungenüber die Verstrickung in Kriegsverbrechen zumBundespräsidenten gewählt – ließ allerdingserkennen, dass die offizielle Sichtweise von Öster-reich als erstem Opfer Hitlerdeutschlands keines-wegs common sense war – vielmehr war es diepopulistische Antithese zum offiziellenGeschichtsbild, die in weiten Teilen der öster-reichischen Bevölkerung die Einstellung zu Kriegund NS-Herrschaft prägte: Auch in diesem Nar-rativ waren die ÖsterreicherInnen Opfer, abernicht Opfer des Nationalsozialismus, sondernOpfer der alliierten Armeen im Krieg gegen denNationalsozialismus.

Das war die Ausgangsposition im Kampf um dieErinnerung im Österreich der späten 1980erJahre. Aber nicht allein in Österreich hatten diesozialen Energien der Mitte der 1980er Jahre ein-setzenden „memory wars“ die Kraft, Gesellschaf-ten zu spalten und nachhaltige Konfliktkonstella-tionen zu generieren, die in der Folgezeit immerwieder aktiviert werden konnten. Vielmehr bil-den die Grundsatzdebatten um den Ort des

Nationalsozialismus in den jeweiligen nationalenGedächtnissen eine gemeinsame Signatureuropäischer Gesellschaften in der Spätmoderne.7

Wenngleich diese Konflikte im nationalen Rah-men ausgetragen wurden – etwa der Historiker-streit in der BRD, die Waldheimdebatte in Öster-reich, der Konflikt um die Beteiligung der polni-schen Bevölkerung an Judenerschießungen inJedwabne –, so ergibt sich daraus doch die trans-

nationale Signatur einesneuen Umgangs mit dertraumatischen Geschichtedes 20. Jahrhunderts. DerHistoriker Tony Judt hatvon der Phase des Zerbre-chens der europäischenNachkriegsmythen und der

Neuverhandlungen des Geschichtsbildes gespro-chen, die in den 1980er Jahren einsetzt.8

In der österreichischen Variante der Erosion derNachkriegsmythen stand die Kritik an der Opert-hese, die seit 1945 die offizielle Sichtweisebestimmt hatte, im Vordergrund. Die Vorstel-lung, dass Österreich 1938 von fremden Mächtenüberfallen worden war, dass die Jahre 1938 bis1945 eine von außen aufgezwungene Fremdherr-schaft waren, mit der Österreich nichts zu tunhatte, wurden nun als „Geschichtslüge“ (RobertMenasse)9 entlarvt, die der Verdrängung und Ver-leugnung des österreichischen Anteils an den NS-Verbrechen, insbesondere des Holocaust, gedienthatte.

Ein wesentliches Argument der Kritik an derOpferthese waren die Bilddokumente der Mas-senbegeisterung in den Straßen Wiens und ande-rer Städte in der Nacht der Machtergreifung derösterreichischen Nationalsozialisten – nach demvon Hitler erzwungenen Rücktritt Schuschniggs–, und von der Hysterie beim Einmarsch deut-scher Truppen, die im Empfang Hitlers in Wienihren Höhepunkt fand. Diese jahrzehntelangkaum öffentlich gezeigten Fotographien gewan-nen 1988 breite Medienpräsenz, waren auf den

4 Vgl. Toth, Barbara/Czernin, Hubertus (Hrsg.): 1986. DasJahr, das Österreich veränderte. Wien 2006.

5 Figl, Leopold, zit. n. Mahnmal unerbittlicher Gerechtigkeit.In: Das Kleine Volksblatt, 21. August 1945, S. 1f.

6 Proklamation vom 27. April 1945. In: Staatsgesetzblatt fürdie Republik Österreich, 1. Mai 1945.

7 Flacke, Monika (Hrsg.): Mythen der Nationen. 1945 –Arena der Erinnerungen. Mainz 2004; Lebow, RichardNed/Kansteiner, Wulf/ Fogu, Claudio (Hrsg.): The Politics

of Memory in Postwar Europe. Durham-London 2006, S.40-72; Judt, Tony: Epilog: Erinnerungen aus demTotenhaus. Ein Versuch über das moderne europäischeGedächtnis. In: Judt, Tony: Geschichte Europas von 1945 biszur Gegenwart. München-Wien 2006, S. 931-966.

8 Vgl. Judt, Die Vergangenheit ist ein anderes Land.9 Menasse, Robert: Das Land ohne Eigenschaften. Essay zur

österreichischen Identität. 3. Aufl., Wien 1993, S. 15.

Das Jahr 1938 erfüllt zweifel-los die Kategorie eines„heißen“ Gedächtnisortes, dieKontroversen haben aber ansozialer Energie eingebüßt.

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Titelseiten von Presseorganen, auf Ausstellungs-plakaten, Büchern und Broschüren zu sehen.1988 wurde die Aussagekraft dieser Bilder kon-troversiell diskutiert: Spiegelten sie die Einstel-lung der ÖsterreicherInnen wider, die Zustim-mung zu einem „Anschluss“ an das nationalsozia-listische Deutschland, und waren so schlagendeArgumente gegen den Mythos vom „erstenOpfer“? Oder waren es Propagandaaufnahmen,die nun für bare Münze genommen wurden, wieetwa der Widerstandskämpfer Josef Hindels –weitgehend vergeblich – monierte?10

Der Jubel am Heldenplatz war ein wunder Punktder Opferthese, der immer wieder Erklärungsbe-darf erweckte. Bereits im „Rot-Weiß-Rot-Buch“der österreichischen Bundesregierung aus demJahr 1946 wurde erklärt, das die „Tatsache“ des„Widerstandes des österreichischen Volkes gegenseinen braunen Unter-drücker“ gegen die Evidenzder Bilder vom März 1938bewiesen werden müsse: Inder Weltöffentlichkeit sei„noch vielfach die Wirkungder optischen und akusti-schen Täuschungsmanöverder nationalsozialistischenPropaganda festzustellen.“11

Diejenigen, die in den Märztagen verzweifelt zuHause gesessen hätten, könne man nicht sehen,wurde dem häufig entgegengehalten. Und so hilf-los – oder beschönigend – dieses Argument klin-gen mag, die NS-Propaganda entfaltete eine visu-elle Überzeugungskraft, die mit visuellen Gegen-argumenten kaum zu entkräften war. Bereits dieBildpolitik des Ständestaates war demgegenüberauf verlorenem Posten gestanden. Und es ist keinZufall, dass es keine Icon-tauglichen Bilder derDemonstrationen gegen den „Anschluss“ anNazi-Deutschland gibt.12

2008 haben die Bilder der „Anschluss“-Begeiste-rung ihren Stachel verloren. Was jahrzehntelangpraktisch in keinem Schulbuch, in keiner Aus-

stellung zu sehen war, was 1988 noch vielfach alsTabubruch empfunden wurde, ist nun ein histo-risches Dokument wie andere auch. Die Bildpo-litik der medialen Darstellung des März 1938 hatdie Bilder der NS-Machthaber in den Kanon desösterreichischen Bildgedächtnisses eingeschrie-ben. Eine Diskussion über die Propaganda-Funk-tion, die diesen Bildern auch inhärent ist, ist weit-gehend ausgeblieben. Selbst die Fotografien vonlokalen NS-Aktivitäten in Graz und in der Steier-mark, die im Rahmen des Kunstprojekts 63 Jahredanach von Jochen Gerz acht Wochen lang in derKleinen Zeitung veröffentlicht werden, habenkaum negative Resonanz oder öffentlich artiku-lierte Irritation hervorgerufen.13

Die Konfrontation der österreichischen Gesell-schaft mit ihrem „großen Tabu“, der Verstrickungin die Verbrechen des Nationalsozialismus, hatte

bereits 1988 stattgefunden,damit war es kaum nochmöglich, das mediale For-mat der Kontroverse unddes Skandals aufzurufen.Der einzige Eklat des„Anschluss“-Gedenkensbezog sich auf den Versucheiner Reaktivierung derOpferthese. Es gebe keinen

„Staat in Europa, der mehr Recht hat, sich alsOpfer“ von Nazi-Deutschland zu bezeichnen alsÖsterreich, sagte Otto Habsburg bei einerGedenkveranstaltung der ÖVP im Parlament.Habsburg erhielt dafür zwar „anhaltendenApplaus“, Wolfgang Schüssel sah sich allerdingszu einer umgehenden Distanzierung veranlasst.14

Die medialen Reaktionen auf Habsburgs Behar-ren auf der Opferthese ließen aber erkennen, dassdie Rhetorik der „postwar myths“ im Gedächt-nisdiskurs nunmehr weitgehend marginalisiertist.

Zwei Jahrzehnte nach 1988 verbindet sich mitdem „Anschluss“-Gedenken offenkundig jeneRoutine, mit der Jahrestage mittlerweile ihren

10 Hindels, Josef: Nazivergangenheit und Gegenwart. In:Zukunft, 9/1987, S. 20.

11 Rot-Weiß-Rot-Buch. Gerechtigkeit für Österreich!Darstellungen, Dokumente und Nachweise zur Vorgeschichteund Geschichte der Okkupation Österreichs. Nach amtlichenQuellen. Erster Teil. Wien 1946, S. 3.

12 Petschar, Hans: Anschluss. „Ich hole euch heim.“ Der„Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich. Fotografie

und Wochenschau im Dienst der NS-Propaganda. EineBildchronologie. Wien 2008.

13 http://www.kleinezeitung.at/steiermark/1745596/index.do(download 17.3.2009)

14 Österreich und Dollfuß als Opfer, orf.at,http://www.orf.at/080310-22766/index.html (download17.3.2009).

Mit dem „Anschluss“-Geden-ken verbindet sich jene Routi-ne, mit der Jahrestage mittler-weile ihren Fixplatz im Haus-halt der medialen Aufmerk-samkeit haben.

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Fixplatz im Haushalt der medialen Aufmerksam-keit eingenommen haben, aber auch ihr Ablauf-datum, sobald dieses Zeitfenster wieder geschlos-sen ist. 2008 hat „1938“, einer der umstrittensten histo-rischen Bezugspunkte der Zweiten Republik, sei-nen Streitwert offenkundig eingebüßt. Auch dieKontroversen um die Beurteilung des März 1938im Gedenkjahr 1938/88 sind weitgehend demVergessen anheimgefallen, die Konflikte zwischenden Verteidigern der Opferthese und den Ver-fechtern einer neuen Haltung der Mitverantwor-tung für die Verbrechen des NS-Regimes sindweitgehend „history“ geworden, nur noch vonInteresse für die Geschichtswissenschaft, archi-viert in den Speichern der Gedächtnisgeschichte.

Die These könnte lauten, dass „Aufarbeitung derVergangenheit“ auch der Logik medialer Auf-merksamkeit folgt. Der Kampf um die Erinne-rung, um die Prägung des kollektiv geteilten Wis-sens, das den Repräsentationen des kulturellenGedächtnisses zugrunde liegt, wird in den Gesell-schaften der Moderne vor allem auch in den Mas-senmedien ausgetragen. Der mediale Aufmerk-samkeitsfaktor der Konfrontationen mit denTabus einer „unbewältigten Vergangenheit“ unddie damit verbundenen Medienereignisse sindeinerseits Indikatoren für die Fieberkurven gesell-schaftlicher Erinnerung, zugleich bewirken sieeine Abkühlung des heißen Konfliktgedächtnis-ses.

Heidemarie UHL (1956)Historikerin und Kulturwissenschafterin an der Österreichischen Akademie der Wissen-schaften in Wien, Institut für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte. Zuvor Mitar-beiterin der Abteilung Zeitgeschichte sowie des Spezialforschungsbereichs „Moderne.Wien und Zentraleuropa um 1900“ an der Universität Graz. 2005 Habilitation im FachAllgemeine Zeitgeschichte an der Universität Graz.Wintersemester 1999/2000 Research Fellow am IFK Internationales ForschungszentrumKulturwissenschaften Wien, 2006 Fellow am Berliner Zentrum für vergleichendeGeschichte Europas an der Freien Universität Berlin, 2007 Gastprofessorin am Institutfür Zeitgeschichte der Universität Wien, 2009 Gastprofessur an der Hebrew University.Lehraufträge an den Universitäten Wien und Graz.

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1 Jäger, Margarete/Jäger, Siegfried: Deutungskämpfe. Theorieund Praxis Kritischer Diskursanalyse. Wiesbaden 2007, S.23.

2 Jäger/Jäger, Deutungskämpfe, S. 19.

3 Vgl. ebd., S. 36.4 Burkart, Roland: Kommunikationswissenschaft. Grundlagen

und Problemfelder. Umrisse einer interdisziplinärenSozialwissenschaft. Wien/Köln/Weimar 2002, S. 473.

Im März 2008 jährte sich die Annexion Öster-reichs durch das Deutsche Reich zum 70. Mal.

In zahlreichen Gedenkveranstaltungen wurde aufdieses Ereignis und auf die Folgen und Verbre-chen des nationalsozialistischen Regimes Bezuggenommen. Im Vergleich zu anderen Gedenkjah-ren der vergangenen Jahrzehnte werden Konti-nuitäten und Brüche in der Erinnerung an den„Anschluss“ sichtbar. Im Versuch diese nachzu-zeichnen, beschäftigte sich diese Arbeit mit derBerichterstattung von staatlichen Gedenkveran-staltungen. Das Interesse richtete sich dabei aufdas „offizielle“ Gedächtnis, im Speziellen aufstaatliche Akte des Erinnerns und wie diese immedialen Diskurs aufgegriffen und dargestelltwerden. Dabei interessierte zunächst das Ausmaß,vor allem aber die inhaltliche Umsetzung. DieAnalyse beleuchtete die Differenzen undGemeinsamkeiten zweier ausgewählter Tageszei-tungen in ihrer Bezugnahme auf Gedenkveran-staltungen im Querschnitt und im zeitlichenLängsschnitt. Dazu wurden Zeitungsartikelwährend einer Woche rund um den Gedenktagdes „Anschlusses“ in den Jahren 1968, 1988 und2008 ausgewählt. Im Zentrum standen die Fra-gen, wie den Ereignissen von 1938 gedachtwurde, welches Bild von Österreich konstruiertwurde und wie sich die Berichterstattung überden „Anschluss“ innerhalb des gewählten Zeit-raums veränderte.Durch die Analyse der Berichterstattung des„Anschlussgedenkens“ wurde versucht, den Dis-kursstrang des „Sprechens über den Anschluss“nicht nur an einem bestimmten Zeitpunkt, son-dern über einen Zeitverlauf hinweg zu beobach-ten. Nach Siegfried Jäger, der Diskurse auch als„gesellschaftliche Produktionsmittel“1 bezeichnet,die Leitlinien für die Gestaltung von Wirklichkeitherstellen, spiegeln Diskurse gesellschaftlicheWirklichkeit nicht einfach wider, sondern siebestimmen und formen Realität stets über die

handelnden Subjekte. Dabei üben Diskurseimmer Machtwirkungen aus, „weil sie institutio-nalisiert, geregelt und an Handlungen angekop-pelt sind.“2 Die verschiedenen Diskurse einerGesellschaft sind eng miteinander verwoben,dabei haben Symbole eine wichtige Funktion:Mit dem Vorrat an Kollektivsymbolen, die alleMitglieder einer Gesellschaft kennen, steht einRepertoire an „Bildern“ zur Verfügung, mit demwir uns ein Gesamtbild von der gesellschaftlichenWirklichkeit bzw. der politischen Landschaft derGesellschaft machen, mit dem wir diese deuten,und – vor allem auch durch die Medien – gedeu-tet bekommen.3

Entsprechend des zugrunde liegenden Diskurs-verständnisses gilt es, nicht von einer einseitigen,sondern einer wechselseitigen Beeinflussung vonGesellschaft und Medien zu sprechen. Mediensind keineswegs teilnahmslose Zusehende undAbbildende, sie sind vielmehr „Instanzen derSelektion und Sinngebung, die aktiv in die gesell-schaftliche Konstruktion von Wirklichkeit ein-greifen.“4 Als Untersuchungsobjekt darf dasMedium Zeitung daher nicht als reine Vermitt-lungsinstanz zwischen politischem System undRezipienten verstanden werden. Wichtig istdamit festzuhalten, dass die „offizielle“ Erinne-rung die individuelle Erinnerung nicht zwingenddeterminiert. Über die Medien werden in kom-plexen Prozessen der Meinungsbildung – durchThemenauswahl, Akzentuierung und Form –vielmehr diskursive Angebote bereitgestellt. Den-noch bietet die Analyse der Berichterstattungeinen Zugang zur „gesellschaftlichen Erinne-rungspraxis“, denn die Wahrnehmung vonmedialen Inhalten unterliegt bereits einembestimmten Selektionsmuster, das sich das Indivi-duum durch soziale Praxis angeeignet hat. Wiedie Medien mit der nationalsozialistischen Ver-gangenheit umgehen, reflektiert also in hohemMaße den Umgang der Gesellschaft mit der NS-

Vielgestaltig, widersprüchlich, anerkannt?Der „offizielle“ Erinnerungsdiskurs zum „Anschluss“ in österreichischen Tageszeitungen

Birgit Entner / Ulrike Fleschhut

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5 Vgl. Ziegler, Meinrad/Kannonier-Finster, Waltraud:Österreichisches Gedächtnis. Über Erinnern und Vergessender NS-Vergangenheit. Wien 1993, S. 46.

6 Vgl. ebd., S. 45.7 Vgl. Wodak, Ruth et al.: Die Sprachen der Vergangenheiten.

Öffentliches Gedenken in österreichischen und deutschenMedien. Frankfurt am Main 1994, S. 38.

8 Vgl. ebd., S. 12.9 Ebd., S. 37.10 Assmann, Jan: Das kulturelle Gedächtnis. Schrift.

Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen.München 1992, S. 31.

11 Vgl. ebd., S. 34.12 Vgl. ebd., S. 34f.13 Assmann, Aleida: Der lange Schatten der Vergangenheit.

Erinnerungskultur und Geschichtspolitik. München 2006,S. 25.

14 Vgl. Assmann, Jan: Das kulturelle Gedächtnis, S. 36.15 Vgl. Assmann, Aleida: Der lange Schatten der

Vergangenheit, S. 60.

Vergangenheit.5 Daraus lässt sich schließen, waserinnert wird und was als Tabu gilt, wo der Dis-kurs verortet werden kann und wo die Prioritätenim Verlaufe des Diskurses gesetzt wurden.6

Es gibt nicht die Vergangenheit, sondern viel-mehr „unterschiedliche Vergangenheiten, diebewältigt und aufgearbeitet werden müssen.“7

Dabei bestimmen zumeist weniger Wissenschaf-terInnen und HistorikerInnen, sondern vielmehrdie herrschenden politischen Kräfte, welche Ver-gangenheiten ins Licht gerückt und welche inden Schatten gestellt werden. Jede Vergangen-heitsbewältigung ist gleichzeitig ein Versuch derBewältigung der Gegenwart. Jeder Versuch, inder gegenwärtigen Politikzu agieren, setzt folglicheine Auseinandersetzungmit der Vergangenheit vor-aus.8 Staatliches Gedenkenund damit „offizielles“Gedenken bedeutet also„öffentlichkeitswirksamesHerausstellen von Inhaltenhistorischen Bewußtseins, die von einem Konsensder politischen Kultur und ihrer Hauptträgerunterstützt werden“, daher interessiert „wo, zuwelchem Zeitpunkt, in welcher Form, in wel-chem Medium und in welchem Setting gedachtwird“.9

Im Zentrum der Analyse standen Äußerungenund Handlungen von PolitikerInnen, die in ihrerBezugnahme auf den „Anschluss“ von 1938 inausgesuchten tagesaktuellen Medien transportiertwurden. Welches Wirklichkeitsbild konstruierendabei die Medien und auf welche Art und Weisegehen politische Eliten mit der Geschichte Öster-reichs um? Wie wird das Ereignis „Anschluss“erinnert? Dazu soll zunächst auf den Begriff„Erinnerung“ eingegangen werden.

Gedächtnis und Erinnerung

„In der Erinnerung wird Vergangenheit rekon-struiert“10, das heißt, Vergangenheit entsteht, indem man sich aus der Gegenwart auf sie bezieht.Dabei geht Erinnerungskultur stets von einemBruch aus, der erst zum Entstehen von Vergan-genheit führt. Im Gegensatz zu „Tradition“ oder„Überlieferung“ wird stets auch das „Verdrängen“und „Vergessen“ miteinbezogen.11 Die Frage, wasnicht vergessen werden darf, ist eine der zentralenFragen jeder Erinnerungskultur.In den 1920er Jahren formte der französischeSoziologe Maurice Halbwachs den Begriff „kol-

lektives Gedächtnis“(„mémoire collective“) undbetrachtete das Gedächtnisals ein soziales Phänomen.12

Seinen Überlegungen zufol-ge kann ein isolierterMensch überhaupt keineErinnerungen erfahren,„weil diese erst durch Kom-

munikation, d.h. im sprachlichen Austausch mitMitmenschen, aufgebaut und verfestigt wer-den.“13 Erinnerungen entstehen nur durch Kom-munikation im Rahmen der sozialen Gruppe. Indiesem Zusammenhang entwickelte Halbwachsden Begriff „soziale Rahmen“ („cadres sociaux“),die für die Konstituierung bzw. Stabilisierung derErinnerung verantwortlich sind. Damit könnensowohl das „Erinnern“ als auch das „Vergessen“erklärt werden. Sind keine Bezugsrahmen in derGegenwart vorhanden, wird die Vergangenheitnicht rekonstruiert und damit vergessen.14

Jan und Aleida Assmann erweiterten seine Theseum zwei Begriffe – das „kommunikative“ und das„kulturelle Gedächtnis“ und bemühten sich umeine schärfere begriffliche Trennung.15 Das „kom-munikative Gedächtnis“ umfasst Erinnerungen,die sich auf die gegenwärtige Vergangenheitbeziehen. Dies sind Erinnerungen, die das Indivi-

Es gibt nicht die Vergangen-heit, sondern vielmehr unter-schiedliche Vergangenheiten,die bewältigt und aufgear-beitet werden müssen.

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16 Vgl. Assmann, Jan: Das kulturelle Gedächtnis, S. 50.17 Vgl. ebd., S. 52.18 Assmann, Aleida: Der lange Schatten der Vergangenheit, S.

60.19 Ebd., S. 57.20 Ebd., S. 235.21 Brix, Emil: Kontinuität und Wandel im öffentlichen

Gedenken. In: Brix, Emil/Stekl, Hannes (Hrsg.): DerKampf um das Gedächtnis. Öffentliche Gedenktage inMitteleuropa. Wien/Köln/Weimar 1997, S. 13-21, S. 16.

22 Ebd.23 Vgl. Stekl, Hannes: Öffentliche Gedenktage und

gesellschaftliche Identitäten. In: Brix/Stekl, Der Kampf umdas Gedächtnis, S. 91-116, S. 91.

24 Vgl. Assmann, Jan: Das kulturelle Gedächtnis, S. 15.25 Ebd., S. 57.26 Brix, Emil/Stekl, Hannes: Vorwort. In: Brix/Stekl, Der

Kampf um das Gedächtnis, S. 10f.27 Vgl. Brix, Kontinuität und Wandel im öffentlichen

Gedenken, S. 16.

duum mit seinen Zeitgenossen teilt. Charakteri-stisch dafür ist das „Generationen-Gedächtnis“:Wenn seine Repräsentanten sterben, weicht eseinem neuen Gedächtnis.16 Das „kulturelleGedächtnis“ hingegen richtet sich auf Fixpunktein der Vergangenheit. Dabei bleibt Vergangenheitnicht als solche bestehen, sie gerinnt vielmehr insymbolische Figuren, an denen die Erinnerunghaftet.17 Was zählt, ist nicht die faktische, sonderndie erinnerte Geschichte. Das „kulturelle Ge-dächtnis“ ermöglicht „identitätsbildende Kom-munikation über zeitliche Abstände hinweg“18,dadurch sind wir niemals nur Mitglieder unserereigenen Epoche. Dadurch wird ermöglicht,„Erfahrungen und Wissen über die Generatio-nenschwellen zu transportieren und damit einsoziales Langzeitgedächtnis auszubilden.“19 Ohnedie Übertragung von Erinnerungen in Form vonZeichen und Symbolen und ihre Manifestierungin Texten und Bildern gäbe es kein „kulturellesGedächtnis“. Kurz gesagt: „Repräsentationensind die Grundlage des kulturellen Gedächtnis-ses.“20

Gedenktage als „Orte der Erinnerung“Der französische Historiker Pierre Nora prägteden Begriff „Historische Gedächtnisorte“ („lieuxde mémoire“21). Diese Orte des Erinnerns „die-nen der symbolischen Vergegenwärtigung vonEreignissen und Personen, die zum Zweck derSchaffung oder Erhaltung von Gruppenidentitä-ten gehalten werden.“22 Dazu zählen beispielswei-se Bauwerke, Denkmale, Begräbnisse, oder auchStraßennamen. Die Analyse von Inhalt, Formund Funktion solcher Gedächtnisse kann auf Ver-änderungen politischer, kultureller und staatli-cher Identitäten Rückschlüsse ermöglichen.Gedenk- und Feiertage versuchen Vergangenheitüber Rituale in die Gegenwart zu transformierenund bilden einen wesentlichen Bestandteil des„kulturellen Gedächtnisses“ einer Gesellschaft.Sie haben eine einheitsstiftende Funktion, be-zwecken emotionale Identifikation und gewährendamit Stabilität von sozialen Gruppen und politi-schen Systemen.23 Im Gegensatz zu individuellenErinnerungen werden die Prozesse auf kollektiver

und institutioneller Ebene durch eine gezielteErinnerungs- bzw. Vergessenspolitik gesteuert.24

Feste und Riten sorgen durch ihre regelmäßigeWiederkehr für die Weitergabe und Bewahrungdes „identitätssichernden Wissens und damit fürdie Reproduktion der kulturellen Identität.“25

Öffentliche Gedenktage sind damit „wichtigeAustragungsorte des Kampfes um die Inhalte deskollektiven Gedächtnisses.“26 Form und Wirkungdieser Gedenktage sind von den herrschendengesellschaftlichen Gegebenheiten abhängig. DieAnalyse solcher Feierlichkeiten kann historischeWandlungsprozesse deutlich machen.27

Über den ForschungsstandEs gibt bereits einige umfassende Querschnitts-analysen zum Anschlussgedenken, wobei auffällt,dass die meisten auf das Gedenkjahr 1988 Bezugnehmen. Davon werden an dieser Stelle nur eini-ge exemplarisch vorgestellt. Ruth Wodak, FlorianMenz, Richard Mitten und Frank Stern schlossenim Jahr 1994 ein zweijähriges Forschungsprojektmit dem Titel „Die Sprachen der Vergangenhei-ten“ ab, in dem sie das offizielle Gedenken imGedenkjahr 1988, fünfzig Jahre nach dem„Anschluss“ Österreichs und fünfzig Jahre nachder Reichspogromnacht, analysierten. Dabeiuntersuchten sie das mediale Umfeld und zogeneinen Vergleich zwischen Österreich undDeutschland. Von zentralem Interesse war dieDissonanz zwischen den konsensorientiertenGedenkveranstaltungen und den öffentlichenAuseinandersetzungen um die Affäre Waldheim.Dazu haben die WissenschafterInnen vier symbo-lische Verdichtungen für die Analyse ausgewählt:Den Historikerbericht zu Waldheims Vergangen-heit, die Gedenkveranstaltungen zum Anschluss-tag, die Errichtung des „Mahnmals gegen denKrieg und Faschismus“ und das Gedenken an dasNovemberpogrom 1938.Heidemarie Uhl lieferte in ihrer 1992 veröffent-lichten Publikation „Zwischen Versöhnung undVerstörung. Eine Kontroverse um Österreichshistorische Identität fünfzig Jahre nach dem‚Anschluß‘“, eine präzise Analyse der Berichter-stattung zum Gedenkjahr 1988. Als Basis dienten

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28 Pollak, Alexander: Der „Anschluss“ im Mediendiskurs derZweiten Republik. Politischer Wandel und die sichverändernden Konturen des medialen Geschichtsdiskurses zur„Anschlussfrage“ in Österreich. In: Gruber, Helmut/Menz,Florian/Panagl, Oswald (Hrsg.): Sprache und politischerWandel. Frankfurt am Main 2003, S. 166-187, S. 167.

29 Vgl. Manoschek, Walter: „Aus der Asche dieses Kriegeswieder auferstanden“, Skizzen zum Umgang derÖsterreichischen Volkspartei mit Nationalsozialismus undAntisemitismus nach 1945. In: Bergmann, Werner/Erb,Rainer/Lichtblau, Albert (Hrsg.): Schwieriges Erbe. DerUmgang mit Nationalsozialismus und Antisemitismus inÖsterreich, der DDR und der Bundesrepublik Deutschland.

Frankfurt a. M./New York 1995, S. 49-64, S. 49. 30 Vgl. Botz, Gerhard: Geschichte und kollektives Gedächtnis

in der Zweiten Republik. „Opferthese“, „Lebenslüge“ und„Geschichtstabu“ in der Zeitgeschichtsschreibung. In: Kos,Wolfgang/Riegele, Georg (Hrsg.): Inventur 45/55.Österreich im ersten Jahrzehnt der Zweiten Republik. Wien1996, S. 51-85, S. 56ff.

31 Sieder, Reinhard/Steinert, Heinz/Tálos, Emmerich:Wirtschaft, Gesellschaft und Politik in der Zweiten Republik.Eine Einführung. In: Dies. (Hrsg.): Österreich 1945-1995.Gesellschaft, Politik, Kultur. Wien 1995, S. 9-32, S. 17.

32 Ziegler/Kannonier-Finster, Österreichisches Gedächtnis, S.36.

ihr in Printmedien publizierte Texte zur Darstel-lung der österreichischen Zeitgeschichte und zuFragen der österreichischen Vergangenheit sowieReden von „offiziellen“ Erklärungen zum „An-schlussgedenken“, die sie in einer eingehendenInhaltsanalyse erörterte. Das Material untersuch-te sie in Hinblick auf ihre These von der Modifi-kation des Opfermythos. Im Aufsatz „Der ‚Anschluss‘ im Mediendiskursder Zweiten Republik. Politischer Wandel unddie sich verändernden Konturen des medialenGeschichtsdiskurses zur ‚Anschlussfrage‘ inÖsterreich“, beschreibt Alexander Pollak dieErgebnisse seiner Studie im Rahmen eines inter-disziplinären Projekts mit dem Titel „History inthe making“, Teil des Wittgenstein-Forschungs-schwerpunktes „Diskurs, Politik, Identität“ unterder Leitung von Ruth Wodak, das sich mit poli-tischen und medialen Diskursen und individuel-len Erinnerungen an die NS-Zeit auseinander-setzt. Pollak kommt zum Schluss, dass die„Opferthese“ „keineswegs ein über Jahrzehnteunhinterfragtes und unerwidertes ‚durchgängiges‘mediales Darstellungsmuster im Rahmen derBehandlung der ‚Anschlussfrage‘ war.“ Nur durch„Defizite in der wissenschaftlichen Aufarbeitungder öffentlichen Diskurse zur ‚Anschlussfrage‘ “habe sich die Auffassung durchgesetzt, dass derOpfermythos in der breiten Öffentlichkeit erstmit der Waldheim-Affäre brach.28

Weiters erschienen quantifizierende kommunika-tionswissenschaftliche Studien zum „Anschluss-gedenken“, wie von Heinz Fabris „Zwischen Auf-klärung und Verdrängen. 1938-88 in der Bericht-erstattung“, oder ein Projekt des Wiener Institutsfür Publizistik- und Kommunikationswissen-schaft unter der Leitung von Holger Rust. Eineumfassende Längsschnittanalyse über den„Anschluss“-Diskurs, auf Basis des bestehendenMaterials, scheint noch ausständig.

Offizielle Gedächtnispolitik inÖsterreich: Zwischen Konstruktion und Bewältigung

Die unmittelbare Erinnerung: Der Ursprungder OpfertheseBevor die Ergebnisse der Analyse dargelegt wer-den, soll zunächst die Entwicklung der Gedächt-nispolitik in den Blick genommen werden. Dabeispielt die Opferthese eine wesentliche Rolle. DieGrundlage für das von den politischen Elitengeschaffene historische Selbstbild Österreichs bot1943 die Moskauer Deklaration, worin festge-schrieben wurde, dass Österreich völkerrechtlichdas erste Opfer der Nationalsozialisten war. DiePassage, die Österreichs Mitverantwortung an-sprach, fand im Gegensatz zum Bild des Opfersin der Unabhängigkeitserklärung vom 27. April1945 nur noch marginal Erwähnung.29 Waszunächst quasi als „Notlüge“ im offiziellen Selbst-verständnis der Republik erschien, wurde tatsäch-lich „zu einer Art staatstragenden Gründungsmy-thos“ und gehörte lange Zeit zum öffentlichenKonsens der Zweiten Republik. Die Opfertheseentwickelte sich zu einem erfolgreichen nationa-len, politischen und sozialen Integrationsmittel.Gerhard Botz spricht von einem „generalisieren-den Opferbegriff“, worin sich jeder Österreicherund jede Österreicherin wiederfinden konnte,beispielsweise als Opfer von Deutschland odervon Übergriffen der Alliierten.30 Der Nationalso-zialismus wurde „politisch exterritorialisiert undpsychisch externalisiert“.31 Die Betonung des„Österreichischen“ in Abgrenzung zu den „Deut-schen“ war für die offizielle Selbstdarstellung unddie Nationenbildung ebenso wichtig wie dieZurückweisung jeder Schuld an den Verbrechendes Nationalsozialismus. Für die tatsächlichenOpfer war kein Platz mehr, ihre Anerkennunghätte das neue Selbstverständnis der ZweitenRepublik gefährdet.32

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Widersprüchliches Österreich: Erinnerungskul-tur der 1940er und 1950er JahreIn der „antifaschistischen“ Phase der österreichi-schen Nachkriegsgeschichte33 – gekennzeichnetdurch die rigide „Entnazifizierungs-Gesetzge-bung“ – wurde besonders der österreichischeWiderstand gegen Hitlerdeutschland betont.Eine deutliche Zäsur kann Ende der 1940er,Anfang der 1950er Jahre festgestellt werden, alsder antifaschistische Grundkonsens und dieAnerkennung des politischen Widerstandes ge-gen das NS-Regime in den Hintergrund traten.34

Die Opferthese verhalf auch das oberflächlicheVerfahren der Entnazifizierung zu rechtfertigen.Nach dem Ausscheiden der KPÖ aus der Allpar-teienkoalition konnten SPÖ und ÖVP den ehe-maligen Nationalsozialisten ungehindert entge-genkommen.35 Diese Annäherung lässt sich vorallem durch wahlpragmatische Gründe erklären:Vor den Nationalratswahlen 1949 buhlten dieParteien um das neue Wählerpotenzial der amne-stierten „Ehemaligen“.36 Ebenso war für dieseZäsur der Ausbruch des Kalten Krieges bestim-mend. Zugunsten der Westintegration hatte der„Antikommunismus […] den Antifaschismus alsLegitimationsgrundlage der Zweiten Republikabgelöst.“37 Vor allem durch den Marshallplanvon 1948 wurde eine politisch-ökonomischeWestbindung garantiert.38

In den Verhandlungen um den am 15. Mai 1955abgeschlossenen Staatsvertrag erreichten die poli-tischen Eliten die endgültige Streichung der Mit-schuld-Klausel. Der Nationalsozialismus wurdeals Ereignis außerhalb der österreichischenGeschichte umgedeutet.39 Außerdem entstandeine breite Bewegung der Errichtung von Gefal-lenendenkmäler zu deren Anlässen „österreichi-

sche Politiker bei Kriegerdenkmalenthüllungenden ehemaligen Wehrmachtssoldaten ihren Dankfür die Pflichterfüllung und Opferbereitschaft beider Verteidigung der Heimat“40 aussprachen. So entstand seit Beginn der 1950er Jahre einwidersprüchliches Geschichtsverständnis. Nebender staatsrechtlichen Argumentation, Österreichsei Opfer der aufgezwungenen GewaltherrschaftHitlers geworden, wurde durch die Neutralisie-rung des Opferstatus innerhalb des Landes aufdie Integration der österreichischen Gesellschaftgezielt. Rund um den Staatsvertrag und die Neu-tralität von 1955 – dem zentralen Gründungsmy-thos – „wurde ein Bewußtsein von Eigenstaat-lichkeit und Nationalgefühl entwickelt, wie esÖsterreich vor 1945 nicht gekannt hatte.“41 Uhlspricht vom „Staatsvertrags-Narrativ“ und be-schreibt die Wahrnehmung der ÖsterreichInnennach dem Abzug der Alliierten als ein Gefühlendgültiger „Freiheit“ zehn Jahre nach der„Befreiung“.42

Gewahrtes Gleichgewicht trotz Aufbruchs-stimmung: die 1960er und 1970er JahreIn den 1960er Jahren lässt sich nach Uhl eine„partielle Transformation der Geschichtspolitikund, damit korrelierend, der Gedächtniskultur“konstatieren: Eine sich zunehmend entwickelndeösterreichische Identität, die ausbreitende Politi-sierung der StudentInnen, aber auch die Ent-wicklung eines neuen kritischen Journalismuswaren maßgeblich daran beteiligt, dass sich dieRahmenbedingungen des Geschichtsbewusstseinszu wandeln begannen.43 Trotzdem konnte sich inden 1960er bis Anfang der 1980er Jahre ein„widersprüchliches Gleichgewicht des Opfer-und Pflichterfüllungsmythos“44 halten.

33 Pollak, Der „Anschluss“ im Mediendiskurs der ZweitenRepublik, S. 170f.

34 Vgl. Uhl, Heidemarie: Vom Opfermythos zurMitverantwortungsthese. NS-Herrschaft, Krieg undHolocaust im „österreichischen Gedächtnis“. In: Gerbel,Christian et al. (Hrsg.): Transformation gesellschaftlicherErinnerung. Studien zur „Gedächtnisgeschichte“ der ZweitenRepublik. Wien 2005, S. 50-85, S. 53.

35 Vgl. Appelt, Erna: ÖsterreichischeGeschichtswahrnehmungen. In: Gärtner, Reinhold (Hrsg.):Blitzlichter. Österreich am Ende eines Jahrhunderts.Innsbruck/Wien 1999, S. 99-116, S. 106f.

36 Vgl. Bailer, Brigitte: Alle waren Opfer. Der selektiveUmgang mit den Folgen des Nationalsozialismus. In:Kos/Riegele (Hrsg.): Inventur 45/55. Österreich im erstenJahrzehnt der Zweiten Republik. Wien 1996, S. 181-200, S.196.

37 Appelt, Österreichische Geschichtswahrnehmungen, S. 108.38 Vgl. Mayrhofer, Petra: Gesellschaftliche Konfliktlinien im

österreichischen politischen Diskurs seit 1945. Dipl. Arb.Univ. Wien 2005, S. 33f.

39 Vgl. Appelt, Österreichische Geschichtswahrnehmungen, S.106.

40 Uhl, Heidemarie: Vom Opfermythos zurMitverantwortungsthese. NS-Herrschaft, Krieg undHolocaust im „österreichischen Gedächtnis“, S. 60ff.

41 Ziegler/Kannonier-Finster, Österreichisches Gedächtnis, S.32.

42 Vgl. Uhl, Heidemarie: Gedächtnisort der Republik. In:Maimann, Helene (Hrsg.): Was bleibt. Schreiben imGedenkjahr. Wien 2005, S. 277-281, S. 279.

43 Uhl, Vom Opfermythos zur Mitverantwortungsthese. NS-Herrschaft, Krieg und Holocaust im „österreichischenGedächtnis“, S. 65.

44 Hanisch, Ernst: Der Ort des Nationalsozialismus in derösterreichischen Geschichte. In: Tálos, Emmerich et al.(Hrsg.): NS-Herrschaft in Österreich. Ein Handbuch. Wien2000, S. 11-24, S. 14.

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Mitte der 1960er Jahre begannen sich im Zugeder Affäre um Taras Borodajkewycz Wandlungs-prozesse auch in den offiziellen Gedächtnisdis-kursen abzuzeichnen.45 Aussagen des Universität-sprofessors Borodajkewycz über die NSDAP undantisemitische Äußerungen lösten Demonstratio-nen von Gegnern und Anhängern aus, bei denender ehemalige kommunistische Widerstands-kämpfer Ernst Kirchweger getötet wurde. Er wardas erste Todesopfer politischer Auseinanderset-zungen der Zweiten Republik. „Deutliche Worteder Abgrenzung gegenüber einer Verharmlosungdes Nationalsozialismus“ waren schließlich prä-gend für den darauf folgenden 20. Jahrestag derösterreichischen Unabhängigkeitserklärung imApril 1965, als der Weiheraum für den öster-reichischen Freiheitskampf im äußeren Burgtorder Wiener Hofburg eröffnet wurde, das erstestaatliche, von Österreich errichtete Widerstands-denkmal.46 Dennoch „blieben die Gegenerzäh-lungen eines verbreiteten ‚Alltagsfaschismus‘ […]weitgehend unberührt.“ Die Aufarbeitung derZeit der Ersten Republik wurde in den 1970erJahren durch die Beauftragung einer Historiker-kommission eingeleitet.47 In den 1960er Jahrenentstand auch ein breites Interesse an Auschwitzund dessen Zugehörigkeit zur österreichischenGeschichte,48 was durch die Gedenkstätte Maut-hausen sichtbar wird, welche sich in den siebzigerund vor allem in den achtziger Jahren „zum zen-tralen Gedächtnisort des offiziellen Österreichsentwickelte.“49

Opfer- oder Tätergesellschaft? Die 1980er und 1990er Jahre1986 eskalierten die Auseinandersetzungen imZuge der „Waldheim-Affäre“.50 Anlässe für dieDebatte um die österreichische Vergangenheithätte es unter anderem sowohl in den Sechzigernmit der „Borodajkewycz-Affäre“, als auch in den

Siebzigern mit der „Wiesenthal-Kreisky-Peter-Debatte“ gegeben. In den Achtzigern jedoch wardie „Enkelgeneration der Kriegsgeneration insErwachsenenalter getreten“ und hatte genügendAbstand, um sich mit der nationalsozialistischenVergangenheit auseinanderzusetzen.51 Kurt Wald-heim wurde zum Symbol einer unbewältigtenVergangenheit und zu einem paradigmatischenBeispiel des „Vergessens“ und „Verdrängens“52, daer betonte, wie Hunderttausende andere Öster-reicherInnen auch nur seine Pflicht erfüllt zuhaben und seine Kriegsvergangenheit in hohemRange verschwiegen hatte.53 Waldheim war zuvorGeneralsekretär der Vereinten Nationen, wasauch international Empörung auslöste. Durch dieWahl Waldheims offenbarte sich, dass die Mehr-heit der wahlberechtigten Bevölkerung an derOpfertheorie festhielt.54

Heidemarie Uhl vermutet, dass das Gedenken andie 50. Wiederkehr des „Anschlusses“ nur durchdie Sprengkraft der Waldheim-Debatte auf eineerhöhte Aufmerksamkeit gestoßen ist,55 und auchRuth Wodak sieht sie als Vorbedingungen „jenerkonsensmäßigen und öffentlichkeitswirksamenErinnerung“56 des Jahres 1988, was in der Inten-sität und Totalität der Beschäftigung mit der NS-Vergangenheit erkennbar ist.57 Auch der AufstiegHaiders in der FPÖ sorgte für Debatten, weshalbder damals amtierende Bundeskanzler Franz Vra-nitzky das Ende der Kleinen Koalition veranlas-ste. Mit dem Zerfall der Nachkriegsordnung1989 und dem Verlust der wichtigen Identitäts-grundlage der Brückenfunktion Österreichs unddem Bedeutungsverlust der Neutralität mussteein kollektives Selbstbild neu formuliert werden.Der Staatsvertrag und die damit einhergehendeNeutralität zählten zu den Grundbausteinen derösterreichischen Identität und die österreichische„Wir-Gemeinschaft“ musste mit dem Beitritt zurEU 1995 vereinbar gemacht werden.58

45 Vgl. Uhl, Heidemarie: Vom Opfermythos zurMitverantwortungsthese: Transformationen des„österreichischen Gedächtnisses“. In: Flacke, Monika(Hrsg.): Mythen der Nationen. 1945 – Arena derErinnerung. Mainz 2004, S. 481-508, S. 490.

46 Uhl, Vom Opfermythos zur Mitverantwortungsthese:Transformationen des „österreichischen Gedächtnisses“, S.491.

47 Vgl. Uhl, Vom Opfermythos zur Mitverantwortungsthese.NS-Herrschaft, Krieg und Holocaust im „österreichischenGedächtnis“, S. 70.

48 Vgl. Hanisch, Der Ort des Nationalsozialismus in derösterreichischen Geschichte, S. 11.

49 Uhl, Vom Opfermythos zur Mitverantwortungsthese. NS-Herrschaft, Krieg und Holocaust im „österreichischenGedächtnis“, S. 68.

50 Vgl. Rathkolb, Oliver: Die paradoxe Republik. Österreich1945 bis 2005. Wien 2005, S. 197f.

51 Vgl. Hauer, Nadine: NS-Trauma und kein Ende. In:Pelinka, Anton/Weinzierl, Erika (Hrsg.): Das große Tabu.Österreichs Umgang mit seiner Vergangenheit. Wien 1987,S. 28-41, S. 28.

52 Vgl. Uhl: Vom Opfermythos zur Mitverantwortungsthese.NS-Herrschaft, Krieg und Holocaust im „österreichischenGedächtnis“, S. 73f.

53 Vgl. Rathkolb, Die paradoxe Republik, S. 48.54 Vgl. ebd., S. 48.55 Vgl. Appelt, Österreichische Geschichtswahrnehmungen, S.

111.56 Wodak et al., Die Sprachen der Vergangenheiten, S. 10.57 Vgl. ebd., S. 7.58 Vgl. Rathkolb, Die paradoxe Republik, S. 148f.

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59 Vgl. Uhl, Vom Opfermythos zur Mitverantwortungsthese:Transformationen des „österreichischen Gedächtnisses“, S.494.

60 Uhl, Vom Opfermythos zur Mitverantwortungsthese. NS-Herrschaft, Krieg und Holocaust im „österreichischenGedächtnis“, S. 74.

61 Vgl. Uhl, Vom Opfermythos zur Mitverantwortungsthese:Transformationen des „österreichischen Gedächtnisses“, S.495.

62 Vgl. Rathkolb, Die paradoxe Republik, S. 207ff.63 Vgl. Uhl, Vom Opfermythos zur Mitverantwortungsthese.

NS-Herrschaft, Krieg und Holocaust im „österreichischenGedächtnis“, S. 76.

64 Uhl, Vom Opfermythos zur Mitverantwortungsthese:

Transformationen des „österreichischen Gedächtnisses“, S.498.

65 Uhl, Vom Opfermythos zur Mitverantwortungsthese. NS-Herrschaft, Krieg und Holocaust im „österreichischenGedächtnis“, S. 76.

66 Vgl. Liebhart, Karin: Politisches Gedächtnis undErinnerungskultur – die Bundesrepublik Deutschland undÖsterreich im Vergleich. In: Gehler, Michael/Böhler, Ingrid(Hrsg.): Verschiedene europäische Wege im Vergleich.Österreich und die Bundesrepublik Deutschland 1945/49 biszur Gegenwart. Innsbruck 2007, S. 468-490, S. 481.

67 Vgl. Uhl, Heidemarie: Gedenken ohne Stachel. In: DerStandard, 8./9. März 2008, S. 38.

Mit der Erosion der Opferthese durch die Wald-heim-Affäre wurde nun auf politischer Ebene derösterreichische Anteil an den NS-Verbrechen ein-gestanden.59 So fand die offizielle Reformulierungder Gründungserzählung – von der Externalisie-rung zur Internalisierung der NS-Zeit – durchFranz Vranitzky am 8. Juli 1991 im Nationalratstatt. Er bekräftigte, dass Österreich „Mitverant-wortung für das Leid, das zwar nicht Österreichals Staat, wohl aber Bürger dieses Landes überandere Menschen und Völker gebracht haben,“60

trage.Schließlich wurde 1997 ein NS-Opfergedenktagam 5. Mai, dem Tag der Befreiung des Konzen-trationslagers Mauthausen, als gemeinsameInitiative aller im Parlament vertretenen Parteieneingerichtet. 2000 wurde das Holocaust-Denk-mal am Wiener Judenplatz errichtet und weiterelokale Opferdenkmäler installiert, die auch jüdi-schen Opfern gewidmet waren, wodurch zumAusdruck kommt, dass die „Mitverantwor-tungsthese“ nicht nur im „offiziellen“ Österreichsondern auch auf Ebene kleinerer Kommunenakzeptiert wurde.61 Außerdem prägten nun neueSymbole, wie die Bilder der jubelnden Menschenam Heldenplatz, das österreichische historischeBildgedächtnis.

Das neue Jahrtausend zwischen EU-Sanktio-nen und ErfolgsgeschichteNach den Nationalratswahlen von 1999 bildeteder ÖVP-Obmann Wolfgang Schüssel gemein-sam mit der FPÖ unter Jörg Haider trotz hefti-gem Widerstand des damaligen Bundespräsiden-ten Klestil eine neue Regierungskoalition, die zuEU-Sanktionen führte.62 International hafteteÖsterreich nun endgültig das Image des „Nazi-landes“ an, was geschichtspolitische Maßnahmenzur Folge haben musste.63 Die Fragen desUmgangs mit der Vergangenheit gewannen durchdie ÖVP-FPÖ-Zusammenarbeit an Aktualität.Bundespräsident Klestil forderte eine Präambel inder Regierungserklärung, in der Österreichs Ver-

antwortung für die NS-Vergangenheit festge-schrieben wurde. Auch die zukünftige kritischeAuseinandersetzung mit der jüngsten Geschichtemusste in dieser Erklärung fixiert werden.64 Sowurde im Jahr 2000 der Versöhnungsfonds fürdie Entschädigung von NS-Zwangsarbeitern und-Zwangsarbeiterinnen eingerichtet. Im Wider-spruch dazu erklärte der damalige BundeskanzlerWolfgang Schüssel im selben Jahr in der Jerusa-lem Post, dass nicht nur „der souveräne öster-reichische Staat […] das erste Opfer des Nazi-Regimes war“, sondern dass auch „die Österrei-cher […] das erste Opfer“ waren.65

Die politischen Inszenierungen zum „Jubiläums-jahr 2005“ und das Festhalten am „Staatsver-tragsmythos“ zeigten, dass die „Opferthese“ inmodifizierter Form den öffentlichen Diskursnoch mitbestimmt. Die Bezeichnung „Jubiläum-sjahr“ ist im Gegensatz zum „Gedankenjahr“positiv konnotiert. Im Vordergrund stand dieErfolgsgeschichte der Zweiten Republik mit demzentralen Bezug auf das Jahr 1955, in dem dieUnterzeichnung des Staatsvertrages stattfand,Österreich endgültig „befreit“ und die Neutralitätbesiegelt wurde. Das Jahr 1945 zählte 2005 nichtzu einem zentralen Gedächtnisort, als tatsächli-che Befreiung wurde der Abzug der alliiertenTruppen angesehen. Nur kleinere Ausstellungs-projekte setzten sich kritisch mit dem Erbe desAustrofaschismus und Nationalsozialismus aus-einander.66

2008, 70 Jahre nach dem „Anschluss“, gedenktdie österreichische Republik erneut diesem Ereig-nis – für Uhl ein „Gedenken ohne Stachel“ – einGedenken, das seinen Streitwert verloren habe.Die Bilder von der Menge, die Adolf Hitler amWiener Heldenplatz im März 1938 zujubelte,boten 1988 noch Stoff für heftige politische Kon-troversen. Heute sei es nur mehr die Erinnerungan 1933, die noch Diskussionen provoziere.67

Zwei Tage nach Erscheinen ihres Artikels, am 10.März 2008, lud die ÖVP umstrittene Gäste wieden Neffen von Kurt Schuschnigg oder Otto von

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68 Jäger/Jäger, Deutungskämpfe, S. 31.69 Vgl. Pollak, Der „Anschluss“ im Mediendiskurs der Zweiten

Republik, S. 186.

Habsburg zu ihrer Gedenkveranstaltung ins Par-lament. Habsburgs dort getätigte kontroverseAussage, dass es keinen Staat gebe, der mehrRecht hätte, sich als Opfer zu bezeichnen alsÖsterreich, sorgte teils für Beifall, teils für Aufre-gung.

„Anschlussdiskurse“ in KronenZeitung und Wiener Zeitung

Durch das explorative Vorgehen konnte der Erin-nerungsdiskurs in den zwei ausgewählten Medienin seiner Charakteristik beschrieben werden. Umihn in seiner vollen Dimension zu erfassen undum weitere Aussagen über die Entstehung undEntwicklung von Diskursen treffen zu können,ist es im Rahmen einer Diskursanalyse notwen-dig, einerseits die Untersuchung im Querschnittumfangreicher zu gestalten, andererseits größereZeiträume diskursiver Abläufe zu analysieren,„um auf diese Weise ihre Stärke, die Dichte der Verschränkungen der jeweiligen Diskurssträngemit anderen Änderungen, Brüche, Versiegen undWiederauftauchen etc. aufzeigen zu können.“68

Aus diesem Grund orientiert sich die Arbeit ander Methode der qualitativen Inhaltsanalyse nachMayring, dennoch wurde versucht, die Ergebnis-se mithilfe bestehender Erkenntnisse von For-schungsarbeiten zu diesem Thema zu kontextua-lisieren und in einen größeren Zusammenhangeinzubetten, was einem diskursanalytischen Vor-gehen näher kommt. Zudem betrachten wir eineDiskursanalyse weniger als methodisches Werk-zeug, sondern vielmehr als Blick auf die Materie.Untersuchungsgegenstand ist einerseits die Wie-ner Zeitung als offizielles Organ der RepublikÖsterreich, der zweite Untersuchungsgegenstandist die von Pollak als „volksnahes“ Mediumbeschriebene Neue Kronen Zeitung.69 Mit derBerücksichtigung der Gedenkjahre 1968, 1988und 2008 erstreckt sich der Untersuchungszeit-raum jeweils vom 9. bis zum 15. März. Durch diekomparative Untersuchung der beiden Printme-dien soll versucht werden, ein kritisches Bild überdie Entwicklung des „Anschluss“-Diskurses zuerhalten, da sich der Status und das Gewicht desOpfermythos im Laufe der Zeit änderten. DasMaterial wurde nach vordefinierten Kategoriengesichtet, die die Vergangenheitsbewältigung, denGegenwartsbezug, die Erwähnung des Weges

zum „Anschluss“ und des Wiederaufbaus sowiedas Opfergedenken und Ankündigungen zuGedenkveranstaltungen umfassen.Die Wiener Zeitung, lange im Staatseigentum,zeichnet sich dadurch aus, „offizielle“ Verlautba-rungen zu veröffentlichen. Insbesondere in denersten beiden Analysejahren wurden vielfachungekürzte Gedenkreden von Politikern und Par-tei-Erklärungen publiziert. Unkommentierte undungekürzte Reden von PolitikerInnen wurden inAnbetracht der fehlenden journalistischen Selek-tion nicht in die Analyse einbezogen. Grundsätz-lich lässt sich sagen, dass in der Wiener Zeitungganz im Sinne eines „offiziellen Blattes“ versuchtwurde, eine „objektive“ konsensorientierte Sicht-weise darzustellen, wobei sich nach Interpretationder Autorinnen im Zusammenhang der Entwick-lung hin zu einer klassischen Tageszeitung, einevermehrt meinungsorientierte Tendenz abzeich-net, was sich in Kommentaren und ähnlichenjournalistischen Stilformen widerspiegelt. DieArtikel über Gedenkveranstaltungen waren sehrdetailliert und boten umfassende Informationenüber den Ablauf der Feierlichkeiten. Reden vonPolitikern wurden sehr oft und ausführlich einge-bunden. Verglichen mit der Wiener Zeitung hältsich die Kronen Zeitung in der untersuchten The-matik mit ihrer Berichterstattung quantitativzurück. So wurden 1968 keine Artikel gefunden,die den Analysekriterien entsprachen, die WienerZeitung berichtete in vier Beiträgen über „offiziel-les“ Gedenken. Während die Wiener Zeitung imJahr 1988 im Analysezeitraum noch 14 Artikelüber staatliche Gedenkfeiern veröffentlichte,waren es im Jahr 2008 nur mehr vier. In der Kro-nen Zeitung erschienen 1988 sieben Artikel, 2008lediglich zwei. Dieses Ergebnis kann zum einenin der unterschiedlichen Wertigkeit begründetliegen, kann aber auch methodische Ursachenhaben, das heißt z. B. in der Begrenzung des Ana-lysezeitraums auf eine Woche. Zudem waren dieSelektionskriterien im Bezug auf staatlichesGedenken relativ eingegrenzt. Allerdings müssenauch die unterschiedlichen Charakteristika derbeiden Tageszeitungen in Betracht gezogen wer-den: Während die Wiener Zeitung offizielleBeiträge beförderte und zumeist neutral berichte-te, wies die Kronen Zeitung einen völlig anderenStil und ein anderes Selektionsmuster auf. DieBerichterstattung tendiert eher dazu, Gedenkver-anstaltungen zu bewerten und zu kommentieren.

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So grenzt sich die Darstellung der untersuchtenThematik in der Kronen Zeitung deutlich von derjournalistischen Arbeit der Wiener Zeitung ab, inder auch versucht wird, Distanz zu wahren. Alsstaatliches Medium machte die Wiener Zeitung1968 und 1988 in verschiedener Weise aufGedenkveranstaltungen aufmerksam und berich-tete ausführlich über die Feierlichkeiten. Im Zugeder Analyse fiel auf, dass die Kronen Zeitung 1988nur auf Veranstaltungen hinwies, bei denen aucheine Beteiligung der österreichischen Bevölke-rung möglich war.

Formen des GedenkensIn beiden Zeitungen kamen in den ausgewähltenArtikeln vorwiegend Vertreter der beiden Groß-parteien als AkteurInnen zu Wort. In der Analyseberücksichtigt wurden lediglich RepräsentantIn-nen des „offiziellen Österreichs“, wenn sie indi-rekt oder direkt zitiert wurden. Nicht berücksich-tigt wurden andere öffentliche RepräsentantIn-nen wie VertreterInnen der Kirche, HistorikerIn-nen, die HochschülerInnenschaft, etc. Sowohl inder Wiener Zeitung als auch in der Kronen Zei-tung fanden vor allem die wichtigsten politischenSprecherInnen der Parteien Erwähnung. Injedem untersuchten Jahr waren dies jeweils derBundespräsident (1968: Franz Jonas, 1988: KurtWaldheim, 2008: Heinz Fischer), der Bundes-kanzler (1968: Josef Klaus, 1988: Franz Vranitz-ky, 2008: Alfred Gusenbauer), sowie der Vize-kanzler (1988: Vizekanzler, Außenminister undÖVP-Obmann Alois Mock, 2008: Wilhelm Mol-terer). Die Wiener Bürgermeister erfüllen eben-falls eine wichtige Funktion innerhalb derGedenkveranstaltungen (1968: Bruno Marek,1988: Helmut Zilk). Weitere Akteure sind Natio-nalratsabgeordnete, NationalratspräsidentInnen,verschiedene Minister und Landeshauptmänner.Die Orte, an denen die Gedenkveranstaltungenstattfanden, sind in sehr hohem Maße symbol-trächtig (die Kranzniederlegung in der Kryptaund im Weiheraum des äußeren Burgtores, Gott-esdienst im Stephansdom etc.) und ereignetensich in einem festlichen und entsprechenden poli-tischen Rahmen (Staatsakt in der Hofburg, Son-dersitzung des Ministerrats, Gedenkstunde in derSäulenhalle des Parlaments, Gedenkstunde imRathaus, Sondersitzungen der Landesregierungen

und Landtage etc.) oder wurden zu großenöffentlichen Gedenkanlässen inszeniert (Gedenk-minute, Großkundgebung am RathausplatzWien, „1988“ etc.). Letztere fanden wie erwähntin der Kronen Zeitung am meisten Beachtung. Der Akt des „Anschlusses“ wurde in der Bericht-erstattung der Wiener Zeitung oft synonym mitdem Beginn des NS-Regimes und gleichzeitig fürseine Folgen verwendet. So gab es im Analyse-zeitraum auch eine Diskussionsveranstaltung, dieim Gedenken an den „Anschluss“ Österreichsstattfand, die aber rasch die mangelnde Auseinan-dersetzung mit dem Antisemitismus unmittelbarnach dem Zweiten Weltkrieg zum Thema hatte. Die oft findigen Umschreibungen für das Wort„Anschluss“ machen eine Analyse interessant.Besonders die Betonung auf „Hitler-Deutsch-land“ oder „Okkupation“ kann auf Tendenzen,den Nationalsozialismus zu externalisieren, hin-weisen. So klingen die Vokabel, die für das Ereig-nis „Anschluss“ stehen, in der Wiener Zeitung desJahres 2008 um einiges neutraler als im Vergleichzu 1968, als noch vermehrt von der „Okkupati-on“ Österreichs und vom „braunen Zugriff“ dieRede war. Im Zusammenhang damit finden sich1968 in der Wiener Zeitung viele Rechtfertigun-gen, warum die Menschen zunächst für den„Anschluss“ waren und erst zu spät bemerkten,was dies bedeutete. Es wurde auch auf ökonomi-sche Hintergründe hingewiesen, wonach Öster-reich auch als wirtschaftliches Opfer verstandenwerden konnte.In der Kronen Zeitung war 1988 im Zuge des Auf-rufs zu Besinnung und Versöhnung die Erwäh-nung Waldheims auffällig. Er betonte, dass dieGedenktage zum Nachdenken über Österreichdienen sollen. Man soll eine Lehre aus derGeschichte ziehen, meinte er und übernahm dieVerantwortung für die Taten der ÖsterreicherIn-nen. Die Wende der Elite von der Opfer- hin zurMittäterrhetorik fand 1988 deutlichen Nieder-schlag in der Kronen Zeitung. So hat auch Zilk1988 von Opfern und Tätern – und Vranitzkyzwar nicht von einer kollektiven, aber individuel-len Schuld an NS-Verbrechen – gesprochen.70

2008 bezog sich die Politik in Verbindung mitdem „Anschluss“ mehr auf gegenwärtige Verhält-nisse und Krisen. Eine Aufarbeitung der ErstenRepublik wurde im Gegensatz dazu nur marginal

70 N.N: Bundespräsident Waldheim, Kanzler Vranitzky undBürgermeister Zilk zum März 1938. „Lawine des Leidens

losgetreten!“ In: Kronen Zeitung, 11. März 1988.

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71 N.N.: Vor 30 Jahren: Im Würgegriff Hitlers.Bundespräsident und Bundeskanzler gedenken derschicksalhaften geschichtlichen Ereignisse. In: Wiener Zeitung,13. März 1968.

72 N.N.: „Lawine des Leidens losgetreten!“ BundespräsidentWaldheim, Kanzler Vranitzky und Bürgermeister Zilk zumMärz 1938. In: Kronen Zeitung, 11. März 1988.

73 N.N.: Auftakt der offiziellen Gedenkveranstaltungen –

Vranitzky: „Österreicher waren Opfer und Täter“. In:Wiener Zeitung, 11. März 1988.

74 N.N.: Gedenkveranstaltungen der Parteien – Mock: „GegenSchuldzuweisungen“. In: Wiener Zeitung, 12. März 1988.

75 Ebd.76 N.N.: „Österreicher waren Opfer und Täter“. 77 Gnam, Peter: Profile Pointen Politik: „Entschädigungen“. In:

Kronen Zeitung, 15. März 1988.

erwähnt. Auffällig war die geringe Berücksichti-gung der Aussagen der NationalratspräsidentinBarbara Prammer in Bezug auf die Abwehr einesSchlussstrichs unter die Geschichte, da sich nacheiner Umfrage sechzig Prozent der Österreiche-rInnen ein Ende der wissenschaftlichen Aufarbei-tung des NS-Regimes wünschten. In den Unter-suchungsjahren 1968 und 1988 äußerten sichPolitiker zumeist in Bezug auf die Zukunft, eineDiskussion um den Schlussstrich existierte den-noch kaum. Wie mit Geschichte umgegangen werden soll, isteiner der konfliktträchtigsten Bereiche, in denendeutlich wird, dass der offizielle Konsens wohlnicht immer leicht einzuhalten ist. Einerseits wirdErinnerung als Notwendigkeit gesehen, anderer-seits tauchen auch immer wieder Stimmen auf,vermehrt den Blick nach vorne zu richten.Während Jonas 1968 davor warnte, dassZukunftsaussichten wie der Wirtschaftsauf-schwung, die Stabilität und Neutralität Öster-reichs vor neuen Gefahren nicht ganz bewahrtwerden könnten,71 plädierte Zilk 1988 bereits fürdie Jugend, in deren Händen die Zukunft Öster-reichs liege. Auch in der Kronen Zeitung wurdeZilks Statement erwähnt, indem er betonte, dassdas dauernde Reden über die Vergangenheit dieZukunft überschatten würde.72 Stadtrat ErhardBusek (ÖVP), in der Wiener Zeitung zitiert, for-derte mehr Mut, um dringliche Zukunftsfragenzu lösen, denn die alleinige Besinnung auf dieGeschichte bringe Österreichs Zukunft nichts.73

Im selben Jahr wehrte sich daneben ÖVP-Obmann Mock gegen Schuldzuweisungen undsprach Dankbarkeit gegenüber den Gründervä-tern der Republik aus.74 Grüne Parlamentarierkritisierten die offiziellen Feierlichkeiten als „Ali-biveranstaltungen“ und blieben ihnen fern.75

Trotz der generellen Wandlung 1988 wurde der„Anschluss“ in der Kronen Zeitung immer nochals „Besetzung Österreichs“ und als „Okkupati-on“ bezeichnet. Auch das „gewaltsame Ende desLandes im März 1938“ fand in einem Artikel sei-nen Niederschlag. Als einziger Politiker nahm nurAlt-Vizekanzler Fritz Bock (ÖVP), erwähnt vonder Wiener Zeitung, explizit Bezug auf den Opfer-

status Österreichs, als er auf der Großkundge-bung am Wiener Rathausplatz verlautbarte, dass„Österreich […] erstes Opfer Hitlers und diegroße Mehrheit der Österreicher für die Unab-hängigkeit des Landes gewesen“76 sei. AndereAussagen, die in der Wiener Zeitung publiziertwurden, waren differenzierter und sprachen vorallem den Jubel an, mit dem Hitler auf dem Hel-denplatz begrüßt wurde. Bereits 1968 wurde inder Kronen Zeitung von Jubelnden gesprochen,der Alltagsfaschismus aber noch verschwiegen.2008 standen bereits neutralere Begriffe für denMärz 1938 im Vordergrund, wobei einerseitsvom „Anschluss“ und andererseits vom „Ein-marsch der deutschen Truppen“ die Rede war.Die Haltung der politischen RepräsentantInnen,sich nach außen hin konsensorientiert zu gebenund nach innen hin zur Abgrenzung alte Gräbenwieder aufzubrechen und gegenseitige Schuldzu-weisungen auszusprechen, zog sich in der Analy-se durch alle Untersuchungszeiträume. Jedochschien in allen Artikeln der Wiener Zeitung undauch der Kronen Zeitung darüber Übereinstim-mung zu herrschen, dass man aus den Gescheh-nissen der Vergangenheit lernen und Konsequen-zen für die Gegenwart und Zukunft ziehen muss.Die einzige Ausnahme stellte das Statement des1988 noch jungen FPÖ-Parteiobmanns JörgHaider dar, der kritisierte, dass Gedenktage keine„Zahltage“ seien.77

Diese unzähligen Verweise auf die Geschichte,wie sie im Analysematerial der Wiener Zeitungzuhauf gefunden wurden, sind einerseits ein Spe-zifikum politischer Reden, die zumeist in einenRückblick, einen Verweis auf den Status quo undeinen Blick in die Zukunft gegliedert sind. Ande-rerseits kann auch durch den Bezug auf die Ver-gangenheit die Gegenwart legitimiert undbegründet werden. Die Rechtfertigung, warumman etwas gedenkt, liegt wieder stets in derGegenwart begründet. Ein politischer, also „offi-zieller“ Grundkonsens herrschte in Österreichzumeist darüber, dass das Lernen aus den Ereig-nissen des „Anschlusses“ und die Aufarbeitungder Geschichte, die zum „Anschluss“ führte,unabdingbar seien. 1968 beispielsweise konnten

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explizite Handlungsanweisungen für die Gegen-wart festgemacht werden, wie zum Beispiel derAppell von Jonas, die Unantastbarkeit der parla-mentarischen Demokratie und die demokratischeVerfassung zu wahren. Die UnabhängigkeitÖsterreichs müsse außer jeder Diskussion ste-hen.78 Dieses Muster, also Aufrufe zum Lernenaus der Geschichte, wurde auch 1988 – wohlganz klar im Zusammenhang mit der Waldheim-Affäre und der dadurch begonnenen Debatte –fortgeführt. Auch 2008 mahnten die Politikeraufgrund der aktuellen Regierungssituation mitBezugnahme auf die Zeit vor dem „Anschluss“zum Miteinander. Politik müsse glaubwürdigbleiben, wurde in der Wiener Zeitung zitiert.Außerdem betonten Gusenbauer (SPÖ) undMolterer (ÖVP) im selben Jahr einhellig, dass derMärz 1938 als Warnung für heutige Generatio-nen gelten müsse.79 Auch in der Kronen Zeitungstand die „offizielle“ Ablehnung der Koalitions-streitigkeiten im Vordergrund, wobei vor allemBundespräsident Fischer darauf hingewiesenhatte, dass das Misstrauen in der Ersten RepublikÖsterreich in die Hände des Nationalsozialismusgeführt habe. Dennoch war der Opfermythosaufgrund der umstrittenen Gästeliste der ÖVPGedenkfeier und der Rede Otto Habsburgs wie-der im Gespräch. Von der Opferthese jedochdistanzierte sich Nationalratspräsidentin BarbaraPrammer (SPÖ) und erklärte sie als „Fiktion derGeschichte“.80

Österreich – Bilder/Symbole – Kontinuitäten/BrücheGenerell schienen ÖVP-Politiker vermehrt zumRückgriff auf Österreich-Bilder zu neigen. DieGedenkveranstaltung im Parlament 2008 wurdevon der Wiener Zeitung mit den Worten „AlsÖsterreich zur Ostmark wurde“ betitelt. DerArtikel begann mit den dramatischen Worten:„Am 12. März 1938 wurde Österreich für siebenJahre von der Landkarte gelöscht.“81

Es ist eine ideologische Frage, nach welchenBezügen in der Vergangenheit gegriffen wird, um

die Wegbereitung des „Anschlusses“ zu erklären.Sowohl die ÖVP als auch die SPÖ sahen einendirekten Zusammenhang zwischen der Grün-dung der Ersten Republik und dem „Anschluss“.Als Ursache des „Anschlusses“ wurde 1968 diemangelnde österreichische Identität angesehen82

und in diesem Zusammenhang der Wille derÖsterreicher, von 1918 an zur Deutschen Repu-blik zu gehören, was den Kampf Hitlers umÖsterreich erleichtert hätte. Dieses starke Bildvon der Auslöschung Österreichs zog sich durchdie Argumentationen der PolitikerInnen. DiesesBild wiederum stand in scharfem Kontrast zu der„Aggression von außen“. Insbesondere 1968wurde der „Anschluss“ auf die Okkupation vonaußen geschoben, also die Verantwortung exter-nalisiert, was sich auch in symbolhaftenUmschreibungen niederschlug, wenn die Natio-nalsozialisten als „Totengräber“ und die jubeln-den Österreicher als „geblendete Opfer“ beschrie-ben wurden.83 Vermehrt tauchte 1968 das Argu-mentationsmuster auf, dass die Welt dem„Anschluss“ ruhig zugesehen hätte. Dies wurdeauch 1968 in dem untersuchten Artikel der Kro-nen Zeitung kritisiert, wo die Schuld auf die Alli-ierten geschoben und von den damaligen öster-reichischen Politikern genommen wurde.84

Der Widerstand kann auf unterschiedliche Weisein der Berichterstattung verortet werden. Zumeinen beklagte sich 1968 unter anderem derdamalige Bundespräsident Jonas über den man-gelnden Widerstand gegen den „Anschluss“,85

zum anderen sprach Zilk 1988 den „Geist derLagerstraße“ direkt an.86 Dazu sei auch die in derKronen Zeitung zitierte Aussage von Zilk 1988erwähnt, dass Widerstand „heute leicht“ – undHeroismus nur von sich selbst – gefordert werdenkönne.87

Die symbolhafte Beschreibung der „inneren Zer-rissenheit“ bzw. die tiefe „innere Spaltung“(Gusenbauer)88 der beiden großen Parteien derErsten Republik und deren weitreichender politi-scher Auseinandersetzungen zog sich durch sämt-liche Argumentationsstränge, die im Beobach-

78 N.N.: Vor 30 Jahren: Im Würgegriff Hitlers.Bundespräsident und Bundeskanzler gedenken derschicksalhaften geschichtlichen Ereignisse. In: WienerZeitung, 13. März 1968.

79 Schmidt, Katharina: Als Österreich zur Ostmark wurde.Gedenkveranstaltung zum 70. Jahrestag des Anschlusses anHitler-Deutschland im historischen Reichsratsaal. In: WienerZeitung, 13. März 2008.

80 Ebd.81 Ebd.82 N.N.: ÖVP Erklärung zum 13. März. In: Wiener Zeitung,

12. März 1968.83 N.N.: Österreichs Freiheitskampf in Dokumenten. Eine

sehenswerte Ausstellung im Stadtschulratsgebäude. In: WienerZeitung, 12. März 1968.

84 Derka, Ludwig: Vor 30 Jahren: Die Sterbestunde der 1.Republik. In: Kronen Zeitung, 10. März 1968.

85 N.N.: Vor 30 Jahren: Im Würgegriff Hitlers.86 N.N.: Zilk: Kritik an den Heldendenkmälern. Zahlreiche

offizielle Gedenkveranstaltungen der Bundesländer zumMärz 1938. In: Wiener Zeitung, 11. März 1988.

87 Gnam, Peter: „Lawine des Leidens losgetreten!“.Bundespräsident Waldheim, Kanzler Vranitzky undBürgermeister Zilk zum März 1938. In: Kronen Zeitung,11. März 1988.

88 Schmidt, Als Österreich zur Ostmark wurde.

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tungszeitraum der Wiener Zeitung erfasst wurden.Jonas sprach 1968 bereits Gräben zwischen denLagern an. Im Untersuchungsmaterial von 1988ist zu erkennen, dass ständig auf 1933 verwiesenwurde. So betonte zum Beispiel auch Vranitzky,dass Bedingungen wie vor 1938 nicht mehr ent-stehen dürfen, womit er vor allem das Zusam-menbrechen der Wirtschaft und das Auseinan-derdriften der Lager mein-te.89 Die durch Krisengeprägte Erste Republikwurde von den „Offiziellen“2008 in der Kronen Zeitungbeinahe instrumentalisiert,um darauf hinzuweisen,dass Streitigkeiten, wie sie inder amtierenden Regierungbestünden, die Schwächung des österreichischenBewusstseins, des Vertrauens in die Demokratieund somit des Staates selbst zur Folge haben kön-nen. Der „Anschluss“ hätte durch eine funktio-nierende Zusammenarbeit der demokratischenKräfte verhindert werden können, meinte zumBeispiel Wilhelm Molterer von der ÖVP.90 1988war der Weg zum „Anschluss“ in der Kronen Zei-tung hingegen kein Thema. Fragen wie es dazukommen konnte wurden zwar gestellt, historischeEreignisse der Ersten Republik jedoch ausge-klammert. Eine klare Differenzierung zwischen Opfer undTäter ist im Analysematerial von 1968 nichterkennbar, im Gegensatz dazu wurde dieseDichotomie 1988 in besonderem Ausmaß ange-sprochen. In offiziellen Statements waren Öster-reicher also nicht nur Opfer, sondern trugen auchMitverantwortung. Bundeskanzler Franz Vranitz-ky beispielsweise erklärte im Interview mit in-und ausländischen Journalisten, dass die Öster-reicherInnen beim „Anschluss“ an das „DritteReich“ sowohl Opfer als auch Täter gewesenwären. Neben 1988 wurden jedoch auch im Jahr2008 auf die Mitverantwortung der Österreicher-Innen verwiesen. So betonte Wilhelm Molterer(ÖVP) in Reaktion auf Habsburg, dass „allzuviele Österreicher den Nationalsozialismus unter-stützt“ hätten und das Land „lange gebraucht hat,

um sich einzugestehen, dass es nicht nur Opferwar.“91 Auch in der Kronen Zeitung war zu erken-nen, dass sich 1988 die großen österreichischenEliten in Gedenkveranstaltungen eine Mitschuldeingestanden und zwischen Opfern und Täterndifferenzierten und sich dies 2008 fortsetzte. Sowar es auch für den Bundespräsidenten HeinzFischer von großer Bedeutung bei der Gedenkta-

gung mit dem Titel „Anato-mie eines Untergangs1938“ im Reichsratssaal imParlament, deutlich zwi-schen Opfer und Täter zudifferenzieren.92 Konti-nuität konnte auch imGedenken an die Opferfestgemacht werden. Appel-

le, dass die Unabhängigkeit Österreichs gewahrtwerden müsse, zogen sich durch sämtliche Argu-mentationen während des Analysezeitraums. Im Jahr 1988 gab es Demonstrationen gegen eineTeilnahme Waldheims an den Gedenkveranstal-tungen. Dazu war die Erwähnung der Waldheim-Demonstranten in der Kronen Zeitung 1988 vonbesonderer Bedeutung. Sie wurden als Menschenbeschrieben, die nur einen Sündenbock für dieGeschichte suchen.93 Auf jeden Fall wiesen dieAussagen in der Kronen Zeitung besonders daraufhin, dass durch Waldheim eine neue österreichi-sche Identität entstanden sei und die Affäre trotzoder besonders wegen des internationalen Auf-schreis zu einer Stärkung des Nationalgefühlsgeführt habe. So war das Opfergedenken äußerst vielschichtigund schloss viele Opfer mit ein. Wird beispiels-weise den Opfern des österreichischen „Freiheits-kampfes“ gedacht, ist in der offenen Aussagenicht festgelegt, welche Opfer darin impliziertsind. 1988 war die Gleichstellung der Opfer einwichtiges Thema. So wurde in der Wiener Zei-tung berichtet, dass Bundeskanzler Franz Vranitz-ky im „persönlichen Gedenken“ die Gedenkstät-te in einem „Zigeuner“-Anhaltelager besuchte,wo er sich für eine rasche Gleichstellung aus-sprach.94 Die Darstellung in der Kronen Zeitungzeigte, dass Waldheim für die Neutralisierung des

89 N.N.: Auftakt der offiziellen Gedenkveranstaltungen –Vranitzky: „Österreicher waren Opfer und Täter“. In:Wiener Zeitung, 11. März 1988.

90 d.k.: Der Verlust des Grundvertrauens. In: Kronen Zeitung,11. März 2008.

91 Schmidt, Als Österreich zur Ostmark wurde.92 Kindermann, Dieter: Fischer: Unbehagen beseitigen.

Gedenkstunde im Parlament an den „Anschluss“. Gusenbauer& Molterer sprechen zur Koalitionskrise. In: Kronen Zeitung,13. März 2008.

93 Gnam, Peter: Der Unterschied. In: Kronen Zeitung, 13.März 1988.

94 N.N.: Entschädigung für Zigeuner. Gedenkveranstaltungund Anti-Waldheim-Demonstration. In: Wiener Zeitung, 13.März 1988.

Eine klare Differenzierung zwi-schen Opfer und Täter ist 1968nicht erkennbar, im Gegensatzdazu wurde dies 1988 beson-ders angesprochen.

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Opferbegriffs bezeichnend war, da sich jederangesprochen und als Opfer fühlen konnte. 2008nannte auch Bundespräsident Heinz Fischerkeine speziellen Opfergruppen mehr, einetatsächliche Neutralisierung war jedoch nichtmehr zu erkennen.Dieses wurde ebenso von der Erzählung des erfol-greichen Wiederaufbaus gestärkt, worauf Bundes-kanzler Klaus 1968 deutlich Bezug genommenhatte. Er sprach von einer Bilanz des Schreckens,die nach 1945 gezogen werden musste, die Zwei-fel an der Lebensfähigkeit des Staates seien durchden Krieg jedoch verschwunden.95 Im Analyse-material der Wiener Zeitung aus dem Jahr 1988fand sich keine Bezugnahme auf die Besatzungs-zeit und den Wiederaufbau, mit Ausnahme einerSPÖ-Erklärung, welche die Generation, die ausden Konzentrationslagern, von den Schlachtfel-dern, aus der Emigration und der Kriegsgefan-genschaft kam, würdigte. Sie hätten sich „überden Gräben von 1934 die Hände zu einer neuenZusammenarbeit, zu einem neuen demokrati-schen Österreich“ gereicht.96 Solche Aussagensuggerieren einen Schlussstrich nach 1945, einenNeuanfang, den es de facto nicht gegeben hat. Inden Artikeln aus dem Jahr 2008 der Wiener Zei-tung wurde zum Wiederaufbau und zur Besat-zungszeit keine Stellung bezogen. In der KronenZeitung findet diese Zeit nur 1988 durch Vertei-digungsminister RobertLichal (ÖVP) Erwähnung,der sich für den Glauben andie Wiederaufbaugenerati-on aussprach.97

Vranitzky betonte 1988 vordem Ministerrat, dass ersich gegen eine „offiziöseGeschichtsdarstellung“ wende und hielt fest, dassdie Erinnerung an die Ereignisse vor 50 Jahrennicht als „lästige Pflichtübung“ gesehen werdendürfe.98 Es schien nur die Frage bestehen zu blei-ben, wessen und in welcher Form gedacht werdensoll.

Schlussbemerkungen

Nach dem Zweiten Weltkrieg sahen sich die poli-tischen Eliten mit der Aufgabe konfrontiert, eine

gemeinsame, spezifisch österreichische Identitätmit aufzubauen. Ein wesentliches Element dafürwar die Neutralisierung des Opferbegriffs, wo-durch sich jeder als Opfer sehen konnte. DieSchuldfrage löste Österreich dadurch, indem essich deutlich von Deutschland abgrenzte und sodie Verantwortung am Geschehenen von sichweisen konnte. Der große Mythos war geboren:Österreich als Staat wäre durch die Aggression„Hitler-Deutschlands“ von der Landkarte ge-löscht worden und erstes Opfer des Nationalso-zialismus gewesen. Diese Entwicklungen warenkein Zufall. Sie waren vielmehr bewusste Schach-züge der agierenden Politik, die für die Schaffungeiner spezifisch österreichischen Identität benutztwurden. Es ist ein besonderes Merkmal der Zwei-ten Republik, dass dieses Geschichtsbild von derösterreichischen Bevölkerung bald aufgenommenund internalisiert wurde. Dass Österreich inbedeutender Weise in das NS-Regime verstricktwar, ein erheblicher Anteil der KriegsverbrecherÖsterreicher waren und auch der „kleine Mann“wesentlich daran beteiligt war, war hingegen jahr-zehntelang kein Teil der kollektiven Erinnerung.Versuche, dieser Erinnerung auf die Sprünge zuhelfen, galten als störend und gefährdeten dieheimelige Eintracht. 1988 schrieb Ruth Wodak: „Gegen den‚Anschluß‘ von 1938 zu sein bereitet […] weniger

Probleme als seiner zugedenken, denn eine Dar-stellung der Ereignisse jenerTage, die über eine bloßeVerurteilung hinausgeht,müsste notwendigerweiseStellung zu verschiedenen‚Meilensteinen‘ auf dem

Wege zum ‚Anschluß‘ beziehen – innerhalb despolitischen Rahmens, den die Grundwerte derZweiten Republik bilden. Hier droht aber derstaatstragende Konsens zusammenzubrechen.“99

Diese Feststellung scheint auch zwanzig Jahrespäter noch Bestand zu haben. Am 12. März2008 fand im historischen Sitzungssaal des Parla-ments die „Gedenkveranstaltung anlässlich des70. Jahrestages des Einmarsches deutscher Trup-pen in Österreich“ statt. In den gemeinsamenGedenkveranstaltungen übten die beiden Regie-rungsparteien SPÖ und ÖVP – im Kontrast zum

95 N.N.: Gedenkstunde der Bundesregierung. In: WienerZeitung, 13. März 1968.

96 Mock, „Gegen Schuldzuweisungen“.97 N.N.: Das Gedenken Österreichs an den März 1938. In:

Kronen Zeitung, 12. März 1988.

98 N.N.: „Tag der Betroffenheit.“ Staatsorgane gedachten derBesetzung Österreichs vor 50 Jahren. In: Wiener Zeitung, 12.März 1988.

99 Wodak et al., Die Sprachen der Vergangenheiten, S. 73.

In den gemeinsamenGedenkveranstaltungenübten die Regierungspartei-en im Kontrast zum politi-schen Tagesgeschäft Konsens.

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politischen Tagesgeschäft – Konsens. Die eigenenGedenkfeierlichkeiten sollten jedoch durchAbgrenzung geprägt sein, was vor allem durch dieBezugnahme auf die Vergangenheit stattfand. DieUrsachen für den „Anschluss“ werden in der Zeitdes „Ständestaates“ (bzw. des „Austrofaschismus“– selbst diese Begrifflichkeiten bieten Anlass zuStreit; Anm.) oder im Ende der Monarchiegesucht. 2008 führte die Einladungspolitik unddie kontroversen Äußerungen, die auf einerÖVP-Gedenkveranstaltung im Parlamentgetätigt wurden, zu unterschiedlichen Reaktio-nen. Die Fragen nach den Wegbereitern undUrsachen des „Anschlusses“ scheinen nochimmer zu polarisieren. Es stellt sich lediglich dieFrage, ob sie bei den Gedenkveranstaltungenoffen in Erscheinung treten oder zugunsten eineskonsensuellen öffentlichen Gedenkens in denHintergrund rücken. Uhl vertritt die These, dasshingegen das Jahr 1938, als „einer der umstrit-tensten historischen Bezugspunkte der ZweitenRepublik“, im Gedenkjahr 2008 seinen Streit-wert verloren habe und damit eine neue Phase desösterreichischen Gedächtnisses einleite.100 In

Anbetracht der Aussage von Otto Habsburg undder daraufhin entfachten Diskussion lässt sicheine solche Prognose auch kritisch betrachten.Denn, um es mit Jäger zu halten: „Diskursehaben eine Geschichte, eine Gegenwart und eineZukunft.“101 Sie sind damit niemals völlig abge-schlossen.Unseres Erachtens steht für die Kommunikati-onsgeschichte eine umfassende Auseinanderset-zung mit der „offiziellen“ Erinnerungskultur inall ihren Dimensionen, also im Längs- wie imQuerschnitt aus, und damit auch Fragen derRepräsentation und Rezeption. Und ein weiteresPhänomen darf wohl in der Forschung nicht ausden Augen gelassen werden. In den letzten Jahrenscheinen vermehrt private Initiativen, die sich mitdem Thema „Erinnerung“ befassen, die Vergan-genheit aufzuarbeiten und einen Teil der kollekti-ven Erinnerung zu generieren. Auch diese Formdes Gedenkens sollte ihrem Stellenwert gerechtwerden. Das Festmachen an dem Ereignis„Anschluss“ und der wiederkehrenden Jahrestagescheint für dieses Vorhaben ein geeigneter Mark-stein.

100 Uhl, Gedenken ohne Stachel, S. 38. 101 Jäger/Jäger, Deutungskämpfe, S. 31.

Birgit ENTNER (1986)Bakk. Phil.; derzeit Magisterstudium der Publizistik- und Kommunikationswissenschaftan der Universität Wien mit den Schwerpunkten Kommunikationsgeschichte und Journalismus.

Ulrike FLESCHHUT (1980)Bakk. Phil.; derzeit Magisterstudium der Publizistik- und Kommunikationswissenschaftan der Universität Wien mit den Schwerpunkten Kommunikationsgeschichte undÖffentlichkeitsarbeit; arbeitet als Grafik-Designerin.

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1 Neugebauer, Wolfgang: Widerstand und Opposition. In:Tálos, Emmerich et al. (Hrsg.): NS-Herrschaft inÖsterreich. Ein Handbuch. Wien 2000, S. 187-212, hier S.188.

2 Habsburg, Otto: Rede bei der Gedenkveranstaltung derÖVP anlässlich des 70. Jahrestags des „Anschlusses“ am 10.März 2008.

3 So versuchte die konservative Tageszeitung Die Presse einengeschichtspolitischen „Tätermythos“ zu konstruieren.Chefredakteur Michael Fleischhacker schrieb imAufmacher der Ausgabe von 8./9. März 2008: „Bald zeigtesich auch auf dem Feld der Geschichtspolitik, dass

‚Entmythologisierung‘ niemals die aufklärerischeÜberwindung eines irrationalen Ideengebäudes bedeutete,sondern das Ersetzen eines politisch nutzlos gewordenenMythos durch einen politisch erwünschten oder, wie dasheute heißt, korrekten. Man schritt also zur Produktioneines ‚Tätermythos‘: Er erzählt davon, dass der Ständestaatals Wegbereiter des Nationalsozialismus zu verstehen seiund die Österreicher also nicht dessen erste Opfer,sondern seine perfekten Exekutoren gewesen seien.“

4 Daser, Peter: Bilanz: Gedenkjahr 2008,http://oe1.orf.at/inforadio/100917.html?filter=3,abgerufen am 25. Januar 2009.

Vor mittlerweile neun Jahren – im Jahr 2000– konstatierte Wolfgang Neugebauer in sei-

nem Beitrag zum Sammelband „NS-Herrschaftin Österreich“ eine schwierige Situation derWiderstandsforschung in Österreich: „In denletzten Jahren ist durch den von der Waldheim-kontroverse ausgelösten Paradigmenwechsel impolitischen und zeitgeschichtlichen Diskurs, indessen Verlauf eine Verlagerung des Forschungs-interesses zu Holocaust, KZ-Forschung, Arisie-rung, NS-Euthanasie und NS-Täter bzw. zudamit zusammenhängenden Nachkriegsproble-men erfolgte, eine gewisse Stagnation in derWiderstandsforschung eingetreten.“1

In der Rückschau auf das „Gedenkjahr 2008“scheint nicht nur die Widerstandsforschung inÖsterreich ungebrochen eine Identitätskrise zudurchlaufen, auch das Gedenken an den Wider-stand ist generell im kollektiven Gedächtnisunterrepräsentiert: Nicht nur die Zahl der im ver-gangenen Jahr erschienenen wissenschaftlichenBeiträge zum Themenkomplex des Widerstandsgegen den Nationalsozialismus blieb überschau-bar, auch das offizielle Gedenken konzentriertesich in erster Linie auf die Erinnerung an neural-gische Daten wie den 12. März 1938 (den Jahres-tag des sogenannten Anschlusses) sowie den 8.Mai 1945 (das Datum der Befreiung Österreichs)und beschränkte sich in der Befassung mit demWiderstand auf eingeübte Würdigungen dernoch lebenden WiderstandskämpferInnen.

Das Gedenkjahr 2008: Ein Blick zurück

Das öffentliche Gedenken im Jahr 2008 wurdevon den meisten KommentatorInnen in Medienund Wissenschaft als routiniert und konsensori-entiert beurteilt. Reibepunkte blieben bis aufgezielte Provokationen – wie z.B. das inszenierteVentilieren der Opferthese durch Otto Habsburgim Parlament – eher eine belächelte Ausnahme.2

Einige wenige Versuche, den Opfermythos durchdas demonstrative Beschwören eines mutmaßli-chen Tätermythos zu reinstallieren, wirkten argu-mentatorisch plump und hilflos.3 Das Konflikt-potenzial war wohl auch deshalb enden wollend,weil im Gegensatz zum „Gedankenjahr 2005“ diegroßen staatlichen Inszenierungen unterblieben:„Es gab keine übersteigenden, hyperpatrioti-schen, naiven Zugänge zu diversen Jahrestagen“,beurteilte der Historiker Oliver Rathkolb dieAktivitäten des „Gedenkjahres“ und verwies dar-auf, dass viele Gedenkveranstaltungen, Ausstel-lungen und Projekte auf regionaler Ebene veror-tet waren.4

Vielleicht mag die mangelnde Sprengkraft, wel-che eine Diskussion der Opferthese noch in sichbirgt, mit einem Befund der Historikerin Heide-marie Uhl zusammenhängen, die in einem derersten Rückblicke auf die offiziellen Gedenkfei-ern des Jahres 2008 das Erkalten des Erinne-rungsortes 1938 konstatierte: „Wenn das heißeGedächtnis einer Gesellschaft das ist, was wehtut, dann ist 1938 zu einem kalten Gedächtnisortgeworden. Die Präsenz der ‚Anschluss‘-Tage inden Medien und die Unzahl an Veranstaltungen

Aus, vorbei, vergessen?Zur Sichtbarkeit der Widerstandsforschung in der österreichischen Erinnerungskultur

Klaus Kienesberger

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erinnern nur auf den ersten Blick an das Gedenk-jahr 1938/88, als die Debatten um ‚Verdrängung‘und ‚Aufarbeitung‘ der NS-Vergangenheit mitaller Intensität auch in den Medien ausgetragenwurden.“5 Im Endeffekt sei die Opferthese 70Jahre nach dem „Anschluss“ entrümpelt unddurch ein differenzierteres Geschichtsbildabgelöst worden.Diese zugespitzte These Uhls ist insofern einguter Ausgangspunkt für den vorliegenden Auf-satz, als sich an diesen Befund die Frage nach demPlatz des Widerstands im österreichischenGedächtnis knüpft. Seit der Formulierung derMoskauer Deklaration – der argumentativenGrundlage für die Begründung des Opfermythos– wurde das Bewusstsein für den Widerstand alskonstituierende Kraft für das Entstehen der Zwei-ten Republik grosso modo mit der Opfertheseverknüpft. Denn die Opferthese „erschöpfte sichja nicht allein im Argument, dass Österreich das‚erste Opfer‘ der nationalsozialistischen Angriffs-politik gewesen sei, sondern postulierte auch,dass das ‚österreichische Volk‘ […] in Oppositionzum NS-Regime gestanden sei.“6

Im folgenden Aufsatz wird der Frage nachgegan-gen, ob der Gedächtnisort Widerstand in Öster-reich tatsächlich – wie Heidemarie Uhl 2005 fest-stellte – einem „fading out“7 unterworfen undsomit in Gefahr ist, geschichtspolitisch und vorallem geschichtswissenschaftlich zu erkalten. DerBeitrag bezieht darüber hinaus auch die gesell-schaftspolitisch äußerst wichtige Frage derGeschichtsvermittlung mit ein. Daran knüpfensich grundlegende Fragen:

– Was meinen wir, wenn wir heute von „Wider-stand“ sprechen?– Auf welchen Grundstock an Erforschung desWiderstands können wir aufbauen?– Wo ist der gesellschaftliche Platz des Wider-stands 70 Jahre nach Beginn des Zweiten Welt-kriegs?– Mit welchen Problemstellungen musste sichdie österreichische Widerstandsforschung in ihrerGeschichte auseinandersetzen?– Welchen Stellenwert nimmt die Erforschungdes Widerstands heute ein?– Welche Problemlagen ergeben sich in der wis-senschaftlichen Auseinandersetzung mit dem

Thema Widerstand?– Wie ist das österreichische Widerstandsge-dächtnis konturiert?– Welche Perspektiven bietet die Widerstandsfor-schung für die Zukunft?– Welche theoretischen und methodischen Defi-zite gilt es zu bearbeiten, welche Forschungs-lücken zu schließen?

In einem Aufsatz aus der Feder eines Kommuni-kationshistorikers herrscht bei der Beantwortungdieser Fragen freilich die kommunikationshistori-sche Perspektive vor, allerdings soll ein diszipli-nenüberschreitender Blick über den Tellerrandgewagt werden. Der vorliegende Aufsatz wirddemnach von einer regionalen Auseinanderset-zung mit „dem Widerstand“ ausgehend – anhandder Konzeption der Ausstellung unSICHTBAR –widerständiges im salzkammergut – offene Fragender Widerstandsforschung formulieren und For-schungsdesiderate benennen. Es ist zu betonen,dass in einem kurzen Beitrag wie dem vorliegen-den keine erschöpfende Darstellung der öster-reichischen Widerstandsforschung möglich ist.Viel wichtiger scheint es, Forschungsfelder zubenennen, welche insbesondere die Kommunika-tionsgeschichte als ureigene Positionierungbegreifen sollte.Im vorliegenden Aufsatz wird die Ausgangstheseaufgestellt, dass der österreichische Widerstandgegen den Nationalsozialismus 70 Jahre nachdem „Anschluss“ kaum mehr als diskutierens-und erforschenswert erachtet wird, nichtsdesto-trotz vor allem zahlreiche theoretisch und metho-disch innovative Herangehensweisen wesentlichzu einer Belebung der Widerstandsforschung bei-tragen würden.

Definition des WiderstandsDer vorliegende Aufsatz geht von einer breitenWiderstandsdefinition aus, wie sie mit der Grün-dung des Dokumentationsarchivs des Öster-reichischen Widerstands (DÖW) in Österreicheingeführt wurde und heute noch Standard ist.Deren Einführung bedeutete einen Qualitäts-sprung in der hiesigen Widerstandsforschung, dasie es aufgrund ihrer Breite ermöglichte, Wider-standsformen wie z.B. den Widerstand von Ein-

5 Uhl, Heidemarie: Gedenken ohne Stachel. In: Der Standard,8./9. März 2008.

6 Uhl, Heidemarie: Der „österreichische Freiheitskampf“. Zuden Transformationen und zum Verblassen einesGedächtnisortes. In: Kramer, Helmut/Liebhart,

Karin/Stadler, Friedrich (Hg.): Österreichische Nation –Kultur – Exil und Widerstand. In memoriam Felix Kreissler.Wien/Berlin 2006, S. 303-311, hier S. 305.

7 Uhl, Der österreichische Freiheitskampf, S. 305.

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zelpersonen, Verweigerung oder Oppositionsver-halten anzuerkennen, die bis dahin nicht sichtbarwaren.8

In der Folge wird der Einfachheit und Lesbarkeithalber der Begriff „Widerstand“ als Sammelbe-griff der in Österreich zwischen 1938 und 1945stattgefundenen Widerstandshandlungen subsu-miert. Es ist – sofern nicht anders ausgewiesen –vom Widerstand gegen den Nationalsozialismusdie Rede, nicht von früheren und späteren For-men widerständigen Handelns. Die regionaleEingrenzung auf das Gebiet Österreichs wirdbewusst gewählt, da der Widerstand in Öster-reich durch seine spezifische Vorgeschichte eineverglichen zu Deutschland differente Ausgangs-position vorfand. Somit erfolgte auch die Rezep-tion des Widerstands nach 1945 unter spezifi-schen Rahmenbedingungen, denen in der wissen-schaftlichen Untersuchung Rechnung getragenwerden muss.

Widerstandsforschung im„Gedenkjahr 2008“

Im Jahr 1987 kritisierten prominente Zeithistori-kerInnen wie Gerhard Botz die auf „antifaschisti-schen“ Mythen aufbauende Auseinandersetzungmit dem österreichischen Widerstand und forder-ten einerseits kontroversielle Geschichtsinterpre-tationen, „die den unangenehmen Problemenunserer Vergangenheitslinien nicht ängstlich ausdem Wege gehen und einer einigermaßen ratio-

nal geführten Diskussion zugänglich sind“9,andererseits eine Änderung bzw. Erweiterung derForschungsparadigmen hin zur Erforschung derTäterInnen und Involvierten,10 um die „struktu-relle Doppelbödigkeit der Identität der ZweitenRepublik Österreich“11 sichtbar zu machen. „Dertraditionellen Widerstandsforschung würde dannjener Stellenwert zukommen, der ihr aufgrundeines umfassenderen wissenschaftlichen Zugangs,der auch die unangenehmen Teile österreichischerGeschichte nicht ausspart und in die historischenAnalysen miteinbezieht, gebührt.“12 Dieser Para-digmenwechsel ist mittlerweile – mit vollerBerechtigung und unter tatkräftiger Mithilfe derdamals beteiligten WissenschaftlerInnen – imMainstream der österreichischen historischenForschung angekommen, wobei allerdings justdie Widerstandsforschung quantitativ und quali-tativ auf der Strecke geblieben sein dürfte. Sym-ptomatisch kann das „Gedenkjahr 2008“ als Bei-spiel herangezogen werden: Die in diesem Jahrerschienenen Publikationen waren in Zahl undUmfang überschaubar und brachten kaum sub-stanziell Neues, sondern konzentrierten sich eherauf Gesamt- und Übersichtsdarstellungen,13

essayistisch-theoretische Abhandlungen,14 Beiträ-ge zu Sammelbänden,15 Ausstellungskataloge,16

(auto-)biografische Lebensberichte, Broschürenund Kurzzusammenfassungen17 sowie Dokumen-tationen von Oral-History-Projekten.18

Auch in der wissenschaftlichen Auseinanderset-zung in Form von Symposien oder Tagungen tratdas Thema Widerstand kaum in Erscheinung: Bis

8 Der Widerstandsbegriff des DÖW fußt auf einerDefinition von Karl R. Stadler, siehe dazu: Stadler, Karl:Österreich 1938 – 1945 im Spiegel der NS-Akten. Wien1966, S. 11f.

9 Botz, Gerhard: Erstarrter „Antifaschismus“ und„paranazistisches“ Substrat: Zwei Seiten einer Medaille. In:Botz, Gerhard/Sprengnagel, Gerald (Hrsg.): Kontroversenum Österreichs Zeitgeschichte. Verdrängte Vergangenheit,Österreich-Identität, Waldheim und die Historiker.Frankfurt/New York 1994, S. 452-464, hier S. 464.

10Vgl. Safrian, Hans: Tabuisierte Täter. StaatlicheLegitimationsdefizite und blinde Flecken der Zeitgeschichtein Österreich. In: Botz/Sprengnagel, Kontroversen, S. 527-535; Manoschek, Walter: Die österreichischeZeitgeschichtsforschung in der Paradigmenkrise. In:Botz/Sprengnagel, Kontroversen. S. 536-541.

11 Manoschek, Zeitgeschichtsforschung, S. 541.12 Ebd.13 In der Folge handelt es sich um Aufzählungen ungeachtet

der wissenschaftlichen oder literarischen Qualität derangeführten Beiträge: Vgl. Neugebauer, Wolfgang: Derösterreichische Widerstand 1938-1945. Wien 2008;Broucek, Peter: Militärischer Widerstand. Studien zurösterreichischen Staatsgesinnung. Wien 2008.

14 Vgl. Rabinovici, Doron: Der ewige Widerstand. Über einenstrittigen Begriff. Wien/Graz/Klagenfurt 2008.

15 Vgl. mehrere Beiträge in: Steinthaler, Evelyn (Hrsg.):Frauen 1938. Verfolgte – Widerständige – Mitläuferinnen.Wien 2008; Leitner, Irene: NS-Euthanasie: Wissen undWiderstand. Wahrnehmungen in der Bevölkerung und derWiderstand Einzelner. In: Kepplinger, Brigitte/Marckhgott,Gerhart/Reese, Hartmut (Hrsg.): Tötungsanstalt Hartheim.Linz 2008, S. 217-260; Bailer-Galanda, Brigitte: 1938-1945: Verfolgung und Widerstand. In: Karner,Stefan/Mikoletzky, Lorenz (Hrsg.): Österreich. 90 JahreRepublik. Beitragsband der Ausstellung im Parlament.Innsbruck/Wien/Bozen 2008; Baumgartner,Andreas/Bauz, Ingrid/Winkler, Jean-Marie (Hrsg.):Zwischen Mutterkreuz und Gaskammer. Täterinnen undMitläuferinnen oder Widerstand und Verfolgung. Wien2008.

16 Vgl. Kienesberger, Klaus et al. (Hrsg.): unSICHTBAR –widerständiges im salzkammergut. Wien 2008; Halbrainer,Heimo/Lamprecht, Gerald/Mindler, Ursula (Hrsg.):unsichtbar – NS-Herrschaft: Verfolgung und Widerstand inder Steiermark. Graz 2008.

17 Vgl. Evangelische Kirche in Österreich: Robert Bernardis(1908-1944). Wien 2008.

18 Vgl. die DVD von erinnern.at: Das Vermächtnis.Verfolgung, Vertreibung und Widerstand imNationalsozialismus. Bregenz 2008.

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auf wenige Ausnahmen wurde die Wider-standsthematik lediglich am Rande mitverhan-delt.19 Auch die für die öffentliche Präsentationhistorischer Inhalte wichtige Ausdrucksform derAusstellung wurde im Jahr 2008 zum Thema„Widerstand“ kaum genutzt: Lediglich einigekleinere Ausstellungsprojekte wurden realisiert,20

der Widerstand zumeist in Randkapiteln abge-handelt.21

Exkurs: Das Weiterleben der Opferthese: Die Österreich-Ausstellung in AuschwitzEine Sonderstellung nahm 2008 die geschichts-politische Diskussion um die Neugestaltung derÖsterreichischen Gedenkstätte im StaatlichenMuseum Auschwitz-Birkenau ein, wodurch derösterreichische Widerstand quasi über die Hin-tertür in den politischen und wissenschaftlichenDiskurs eingebracht wurde. Seit geraumer Zeitwird das dort vertretene Geschichtsbild Öster-reichs als nicht mehr dem wissenschaftlichen undpolitischen Erkenntnisstand entsprechend ange-sehen: Die Kritik an der 1978 eröffneten Ausstel-lung konzentriert sich in erster Linie auf dasOpfergedenken und die Fokussierung auf denWiderstand sowie die vernachlässigte TäterIn-nenseite: „Das eigene Volk wurde darin alsunschuldiges Opfer äußerer Gewalt dargestellt,der Widerstand im Sinne nationaler bzw. politi-scher Sinnstiftung interpretiert.“22

Das dominante Bild des Widerstands, das damalsdazu gedient hatte, „unter der österreichischenJugend Identifikation mit der Nation über diepositiven Vorbilder des Widerstandes zu schaf-fen“,23 war mit ein Grund, die Möglichkeiteneiner Neugestaltung der Österreichischen Ge-denkstätte ins Auge zu fassen. Die Leitliniendafür wurden 2008 vorgestellt24 und sollen eineUmgestaltung ermöglichen, für die es zentral ist,„nicht allein der Opfer zu gedenken und der (sic!)

Widerstand zu würdigen, sondern hier müssenauch die österreichischen Täter thematisiert wer-den […].“25 Die Bedeutung der Umgestaltungwurde heuer erstmals explizit auf die politischeAgenda gesetzt und soll in den kommenden Jah-ren umgesetzt werden.26

Repräsentation und Rekonstruk-tion des Widerstands im Jahr2008 am Beispiel der AusstellungunSICHTBAR – widerständiges imsalzkammergut

Wie zuvor angesprochen ist die Thematisierungdes österreichischen Widerstands auch heutenoch voller Fallstricke und mutmaßlich wird justaufgrund der Komplexität der Interessenslagenim wissenschaftlichen Mainstream in den unter-schiedlichen Disziplinen zur Zeit ein Bogen umdie Thematik gemacht: Es ist evident, dass dieWiderstandsforschung und -vermittlung mar-ginalisiert ist und kaum innovative Forschungs-ansätze in diesem Bereich eingesetzt werden. Inder Folge sollen am Beispiel der Konzeption fürdie Ausstellung unSICHTBAR – widerständigesim salzkammergut, in die der Autor federführendinvolviert war, grundsätzliche Problemlagen derErforsch- und Präsentierbarkeit von Widerstandim Jahr 2008 erläutert und Überlegungen ange-stellt werden, wie ein konstruktiver Umgang mitdiesen gefunden werden kann.Dabei soll es nicht darum gehen, ein Good-prac-tice-Beispiel zu erläutern – was auch anmaßendwäre – sondern es soll anhand des Beispielsdemonstriert werden, welche Grundprobleme desUmgangs mit Widerstand sich in der wissen-schaftlichen Auseinandersetzung stellen und wiediese Problemlagen auch relevant werden, wennes in einem nächsten Schritt darum geht,

19 Nur das Symposium Wer widerstand? 3. InternationalesSymposium „Der europäische Widerstand und das KZ-Mauthausen“ des Mauthausen Komitees Österreich sowiedes Instituts für Frauen- und Geschlechterforschung ander Johannes Kepler Universität Linz widmete sich explizitder Widerstandsthematik. Weitere öffentliche Tagungen,die das Thema mitbetrachteten, waren: März 1938 unddie Folgen für Kirche und Klöster in Österreich von EUCistoder die Enquete Kinder und Jugendliche imNationalsozialismus der ÖsterreichischenBundesjugendvertretung.

20 So wurde im Rahmen der oberösterreichischenLandesausstellung in Strobl am Wolfgangsee dasAusstellungsprojekt unSICHTBAR – widerständiges imsalzkammergut realisiert, in Graz die Ausstellungunsichtbar – NS-Herrschaft: Verfolgung und Widerstand inder Steiermark, in Wien am Stephansplatz eine Ausstellung

über den kirchlichen NS-Widerstand sowie imBezirksmuseum Brigittenau ein Beitrag zu Widerstand inder Brigittenau.

21 Republikausstellung 1918/2008 im Parlament in Wien.22 Vgl. Bailer, Brigitte/Perz, Bertrand/Uhl, Heidemarie:

Projektendbericht. Neugestaltung der ÖsterreichischenGedenkstätte im Staatlichen Museum Auschwitz-Birkenau.Wien, Juni 2008.

23 Bailer/Perz/Uhl, Projektendbericht, S. 21f.24 vgl. ebd.25 ebd., S. 39.26 So heißt es im aktuellen Regierungsprogramm im Kapitel

„Kunst und Kultur“: „Erneuerung des Österreich-Pavillonsin der Auschwitz-Gedenkstätte; Koordination undTeilfinanzierung durch den Nationalfonds“, RepublikÖsterreich: Regierungsprogramm für die XXIV.Gesetzgebungsperiode, S. 236.

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27 „Mission Statement: Der zeitgeschichtliche Part vonunSICHTBAR beschäftigt sich mit dem ThemaWiderstand. unSICHTBAR ist keine Ausstellung, diezeigen will, ‚wie es damals war‘, sondern zum Ziel hat,Geschichte zu hinterfragen. unSICHTBAR konstruiertkeine zusammenhängende, stimmige Geschichte für dasDamals, sondern wirft in fünf Räumen einen Blick darauf,wie Geschichte im Heute ‚gemacht‘ wird.“www.strobl2008.at, 18. Jänner 2009.

28 Die folgenden Überlegungen basieren auf den Aufsätzen:Kienesberger, Klaus: Geschichte ist heute. ZurAusstellbarkeit der Geschichte des Widerstands. In:Kienesberger et al., unSICHTBAR, S. 20-31 sowie ders.:Zersetzende Worte. Zu Kommunikation und Vernetzung imWiderstand. In: Kienesberger et al., unSICHTBAR, S. 84-93.

29 Z.B. Verhaftungs- und Verhandlungsprotokolle,Polizeiberichte, etc.

Geschichte auszustellen und öffentlich zu verhan-deln. In einer medialisierten Gesellschaft, in derdie Prozesse der Forschung und der Präsentationimmer nahtloser ineinander greifen, kann unddarf Wissenschaft nicht unabhängig von ihrerVermittlung und den damit verknüpften Vermitt-lungsformen betrachtet werden. Anhand einesklar regional und inhaltlich abgegrenzten Projektswie unSICHTBAR lassen sich die Herausforde-rungen der Erforschung und Präsentation vonWiderstand klarer konturiert erkennen.

(Re)Präsentation von WiderstandDie Ausstellung unSICHTBAR – widerständigesim salzkammergut war als einer von 14 Beiträgenzur oberösterreichischen Landesausstellung vonApril bis November 2008 in Strobl am Wolf-gangsee zu sehen. Der Ausstellungsbeitrag befas-ste sich sowohl auf zeitgeschichtlicher als auch aufkünstlerischer Ebene mit dem Thema Wider-stand im Salzkammergut und seiner Rezeption inder Zweiten Republik. Im Folgenden wird aufden zeithistorischen Beitrag Bezug genommen. Die Ausstellung zielte in ihrer Grundkonzeptionnicht darauf ab, ein möglichst umfassendes Bilddes Widerstands im Salzkammergut zu zeichnen,sondern konzentrierte sich darauf, die Geschichtedes Widerstands im Salzkammergut unter beson-derer Berücksichtigung seiner Vorgeschichtesowie seiner Rezeption und der Relevanz für loka-le, nationale und darüber hinaus reichende Erin-nerungskulturen in Schlaglichtern zu beleuchten.Diese Aspekte hatten bis dahin kaum Betrach-tung gefunden: weder in wissenschaftlichen nochin populären Formen historischer Erzählungen.Die Ausstellung sollte mittels eines niederschwel-ligen und gut verständlichen Ansatzes komplexegeschichts- und erinnerungspolitische Zusam-menhänge anhand lokaler Beispiele, die Identifi-kationsflächen bieten, darstellen und so eine kri-tische Auseinandersetzung mit der Entwicklungspezifisch österreichischer Erinnerungskulturenermöglichen. Dieses Vorhaben wurde durch denregionalen Bezug erleichtert, da sich das Salzkam-mergut aufgrund seiner historisch-politischenEntwicklung zu einem Kristallisationspunkt der

NS-Geschichte besonders dazu eignet, historischeKontexte und ihre Rezeption anhand regionalerBeispiele verständlich zu machen.27

(Re)Konstruktionen: Grundlegende Problemedes Umgangs mit dem Widerstand 28

Im Vorfeld der Ausstellung galt es, die Grundfra-gen der Befassung mit Widerstand zu diskutieren.Dazu gehörte einerseits die Frage, über welcheMöglichkeiten man heute verfügt, Widerstandumfassend darzustellen. Alleine dieser Anspruchwäre unversöhnlich mit dem Quellen- undErkenntnisstand, denn die Geschichte des Wider-stands ist eine von Lücken und Leerstellen: IhreRekonstruktion basiert auf zwei maßgeblichenErkenntnisquellen, nämlich einerseits den Aktender politischen Verfolger,29 andererseits auf denErzählungen der Involvierten. Neben den poli-tisch gefärbten „Fakten“ und den Verästelungenund Verzerrungen menschlicher Erzählungenbleibt somit ein breiter Raum für Erzählungenund Mythen, die für das heutige Bild von Wider-stand prägend waren. Darum erschien es wenigsinnvoll, die allgemeingültige Geschichte desWiderstands im Salzkammergut festschreiben zuwollen, ohne die Wirkmacht von Erzählungenund die nachträglichen historischen (Re-)Kon-struktionsversuche mit zu betrachten. DerWiderstand hängt unmittelbar mit seiner Rezep-tion zusammen und kann folglich nicht losgelöstdavon betrachtet werden. Lohnender scheint es in der Betrachtung desWiderstands, den Blick auf ebendiese Leerstellenzu richten: Es gilt, fehlende Fakten, nicht vor-handene Akten und auch die Bilderlosigkeit desWiderstands zu thematisieren und sicherzustel-len, dass jene Unsicherheitsfaktoren, welche dieWiderstandsgeschichtsschreibung zwangsläufigbegleiten, auch klar identifizierbar sind und dieWirkmacht von Mythen und Erzählungen sicht-bar wird. Diesem Prinzip sollte bei der Gestal-tung der Ausstellung Rechnung getragen werden,ohne in die Falle zu tappen, die Existenz von Fak-ten völlig zu negieren, Geschichte per se alsErzählung aufzufassen und somit in den Bereichvölliger Beliebigkeit zu überführen.

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Es wurde in der Konzeption und Gestaltung derAusstellung darüber hinaus versucht, einem wei-teren Problemfeld Rechnung zu tragen: Die Kon-tinuitäten des Widerstands sollten rekonstruiertwerden, da vor allem die konservative Wider-standsgeschichtsschreibung Traditionslinien desWiderstands vor 1938 verwischt und zur Bekräf-tigung der Opferthese den 12. März, den Tag des„Anschlusses“, als Zäsur in der Geschichte desWiderstands zu installieren versucht hat. Diekonservative Strategie zielte darauf ab, das Regi-me Dollfuß/Schuschnigg als staatlich gefördertenWiderstand gegen den Nationalsozialismus zuverorten, wodurch faschistische Kontinuitätenund Vorleistungen für den Nationalsozialismuszugedeckt wurden. So musste in der Gestaltungder Ausstellung der Tatsache, dass ein Großteildes Widerstands im Salzkammergut auf Struktu-ren des Widerstehens gegen das austrofaschisti-sche System aufbaute, Rechnung getragen wer-den. Prinzipiell lässt sich konstatieren, dass eineder zentralen Aufgaben der heutigen Befassungmit Widerstand darin liegt, Menschen Hand-werkszeuge zu reichen, historische Interpretatio-nen lesen und verarbeiten zu lernen sowie histo-rische Quellen kritisch zu betrachten. Anhanddes Konzepts der Ausstellung soll ein Versuch,diesen Anforderungen gerecht zu werden, vorge-stellt werden.Wie bereits erwähnt, ist die Darstellung vonWiderstand mit einigen grundlegenden Proble-men behaftet, die weniger mit der Geschichte desWiderstands an sich denn mit seiner Rezeptionzu tun haben: Die zentrale Ursache für die Pro-bleme liegt wohl in der Mystifizierung des Wider-stands sowie seiner politischen Instrumentalisie-rung und Indienstnahme in den ersten Nach-kriegsjahren. Zwischen 1945 und 1949 wurdeder österreichische Widerstand als Rechtfertigungfür die Stimmigkeit der Opferthese und somit fürdie Unabhängigkeit Österreichs herangezogenund der politisch motivierte antifaschistischeGrundkonsens konnte dadurch auch in derBevölkerung eine gewisse Breitenwirksamkeitentfalten. Ab 1949 jedoch, als die ehemaligenNationalsozialisten wieder wahlberechtigt warenund die beiden Großparteien SPÖ und ÖVPbegannen, diese in die eigenen Reihen zu inte-grieren, erstarrte der antifaschistische Widerstandzu einem Mythos und einer Hülle: Der StaatÖsterreich konnte mit dem Bezug auf denWiderstand bequem Außenpolitik machen undsich als durch den heroischen Widerstand wie-dererstandener Staat präsentieren, während dieeigene Mitschuld elegant und bequem abgeschüt-

telt wurde. Innergesellschaftlich hingegen ver-schwand die Erinnerung an den Widerstandzunehmend in spezifischen, parteipolitisch ge-prägten Sphären und in der breiten Bevölkerungdurch die integrative Kraft der Bezugnahme aufdie „Opfer des Krieges“.Daraus wird erkennbar, dass die Geschichte desWiderstands über weite Strecken der ZweitenRepublik eine Feigenblattfunktion übernommenund dazu beigetragen hat, einen für die öster-reichische Identität lange Jahre grundlegendenMythos zu stiften, während die Geschichte desWiderstands selbst sukzessive dem Vergessenanheimzufallen drohte.Neben der zwischen Mythos und Vergessen oszil-lierenden Rezeption des Widerstands existierenweitere Grundprobleme, welche die Widerstands-forschung besonders komplex und kompliziertmachen und die im Wesen des Widerstands selbstbegründet sind:

– Wer Widerstand leistete, trachtete naturgemäßdanach, möglichst wenige Spuren zu hinterlas-sen und unsichtbar zu bleiben. Deshalb blieben– sofern die Widerstandshandlungen erfolgreichwaren – kaum verwertbare Dokumente aus derPerspektive der Widerstandsleistenden. Sie setz-ten tunlichst alles daran, die Spuren, etwa kom-promittierende Akten, zu vernichten. Historike-rInnen fehlen diese Spuren im Prozess derRekonstruktion, der ermitteln soll, wie es damalsgewesen war.– Sichtbar wurde Widerstand immer dann,wenn er in diesem Sinn nicht erfolgreich war:Die Hauptquelle zum Widerstand sind heuteAktenbestände der Gegner des Widerstands. Sieenthalten Vernehmungsprotokolle, decken Struk-turen des Widerstands auf oder umfassen Flug-blätter, die dem jeweiligen Regime in die Händefielen und nur deshalb heute noch erhalten sind.Diesem Umstand müssen HistorikerInnen auchRechnung tragen, indem sie diese Beständebesonders kritisch untersuchen und hinterfragen:So waren beispielsweise die Nachforschungender Nationalsozialisten immer von der natio-nalsozialistischen Ideologie geprägt, die einFreund-Feind-Schema pflegte. Dass Wider-standsleistende in den Akten als KommunistIn-nen bezeichnet wurden, obwohl sie einfach nuraus Menschlichkeit handelten, kam ebenso vorwie Geständnisse, die nur durch Folter erpresstwurden.– Widerstand war nahezu bilderlos: Es existie-ren kaum Bilder, die den Widerstand dokumen-tieren. Der Grund liegt, wie im Falle der Akten,auf der Hand: Es galt, sich möglichst unsichtbar

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zu machen, phantomhaft zu bleiben und nurim entscheidenden Moment ein Gesicht anzu-nehmen.– Die Geschichtsschreibung des Widerstands warlange einseitig dominiert: In den 1950er und1960er Jahren wurde „Widerstand“ mit demmilitärischen Handeln gegen Hitler gleichge-setzt. Am bekanntesten ist in diesem Zusam-menhang das Hitler-Attentat von Graf Stauf-fenberg vom 20. Juli 1944. Im besten Fallewerteten die HistorikerInnen auch noch bürger-lich-konservative Aktivitäten als Widerstand. – Was bleibt, sind die Erzählungen. In den1970er Jahren widmete sich eine neue Genera-tion von HistorikerInnen dem Widerstand der„einfachen“ Leute, dem Widerstand jener, dienicht mitmachen wollten und entdeckten auchden Widerstand aus der ArbeiterInnenbewegungneu. Dabei war man jedoch in Ermangelunganderer Quellen auf „mündlich erzählteGeschichte“ 30 angewiesen, also auf die Erzäh-lungen der Beteiligten. Dieser damals neueQuellenfundus bot unschätzbare Vorteile, weilErzählungen jene Geschichte zeigen, die langezugedeckt wurde. Sie sind aber leider aus ver-ständlichen Gründen auch unpräzise: DasGedächtnis verblasst und Menschen neigen dazuzu vergessen.

Das Gedächtnis des Widerstands ist jedoch sterb-lich: Es gibt kaum noch lebende ZeitzeugInnen,die den Widerstand persönlich miterlebt haben.Nach dem Tod der letzten ZeitzeugInnen wirdWiderstand ein anderes Gesicht bekommen. Daskollektive Bild des Widerstands wird in Zukunftnicht mehr von jenen mitbestimmt werden, dieim Widerstand aktiv waren, sondern durch kul-turelle Produkte wie Filme, Bücher oder Reporta-gen geprägt sein. Es ist anzunehmen, dass die Bil-der des Hitler-Attentats nach dem Tom Cruise-Blockbuster „Operation Walküre“ in der breitenBevölkerung mit den Bildern eben dieses Filmesverknüpft sein werden. Die Gefahr, dass diese dasursprüngliche Ereignis zu überlagern und zuersetzen beginnen, liegt auf der Hand.Es sind also neue Ansätze notwendig, um Wider-stand darstellen zu können. Wo Quellen undDokumente fehlen, wo kaum mehr ZeitzeugIn-nen zu befragen sind, ist es unerlässlich, in ersterLinie Strategien und Handlungsanleitungen imUmgang mit Geschichte deutlich zu machen.

– Wo Lücken sind, muss auf diese hingewiesenwerden. Oftmals können erst Leerstellen dazubeitragen, historisches Verstehen zu stärken undzu verdeutlichen, dass eine zusammenhängendeund zielgerichtete Geschichte nicht existiert.Geschichte lässt sich nicht immer umfassendrekonstruieren und faktenreich bebildern.Lücken entstehen vorrangig aufgrund ungleicherMachtverhältnisse, weil historische Dokumenteund Akten in erster Linie von jenen produziertwerden, die im Besitz der politischen und gesell-schaftlichen Macht sind. Das ist ebenso aussage-kräftig wie erhalten gebliebene Akten undDokumente.– Vorhandene Quellen bleiben oft unhinterfragt.Es muss auch Aufgabe der Forschung sein, denUmgang mit Quellen zu forcieren. HistorikerIn-nen müssen darstellen, woher sie ihre Quellenbeziehen: Es wird kaum thematisiert, wieschwierig es ist, an Quellen heranzukommenund diese historiographisch zu verwerten. Eben-so selten erlernen die RezipientInnen einen kri-tischen Umgang mit diesen Quellen und haltensie oft für unbedingt authentisch und unhinter-fragbar. Dieser Mythos von Ausstellungstückenals unbeugsame und unwiderlegbare Zeugnisseihrer Zeit muss relativiert und ihre Auswahlbegründet werden.– Geschichte lässt verschiedene Interpretationenzu und bietet Interpretationsangebote. Darumist es notwendig, den Konstruktionscharaktervon Geschichte zu zeigen – und den Beitrag,den HistorikerInnen als AkteurInnen dazu lei-sten. HistorikerInnen müssen ihre eigene Rolleund ihre Stärken und Schwächen thematisieren.– Geschichten und Geschichtsschreibung sindKonstruktionen, die nach sozialen, kulturellenund politischen Gesichtspunkten erzählt undgeformt werden. Es existiert keine „fertige“ undendgültige Form von Geschichte und Geschichts-schreibung.– Geschichte wird in der Gegenwart geschriebenund deshalb auch von gegenwärtigen Machtver-hältnissen und Interessen geprägt. Darum ist essinnvoll, diese Einflussfaktoren zu thematisieren.– Geschichte ist sowohl von sichtbaren als auchvon unsichtbaren Faktoren bestimmt, wobeiletzteren kaum Aufmerksamkeit gewidmet wird.Es ist also notwendig, den Blick speziell auf dieunsichtbaren Aspekte zu richten.– Geschichte kann nicht isoliert von ihrer

30 „Mündlich erzählte Geschichte“ ist ein Ausdruck, den derLinzer Laienhistoriker Peter Kammerstätter häufig

verwendete.

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Rezeption betrachtet werden: Geschichtsschrei-bung muss neben dem historischen Ereignis auchthematisieren, was später aus diesem Ereignisgemacht wurde. Das wirft Fragen nach derRezeption und Erinnerung auf: Wie ist dasEreignis im so genannten kollektiven Gedächtniseiner Gesellschaft verankert? Wie wird daranerinnert? Und welche Interessen prägen welcheForm der Erinnerung?

In der Realisierung der Ausstellung unSICHT-BAR wurde also primär danach getrachtet,

– den Pfad der reinen Wissensvermittlung zuverlassen,– Menschen zu ermächtigen, Geschichte zu hin-terfragen und deren Interpretation und Rezepti-on zu verstehen– den kritischen Umgang mit Geschichte undderen Vermittlung zu befördern– sowie Mythen und deren Instrumentalisierungzu erkennen.

In der Vermittlung von Widerstandsgeschichtemuss neben dem Wissenserwerb vermehrt derUmgang mit Geschichte ins Zentrum rücken undder Anspruch, eine zusammenhängende undschlüssige Schichte zu präsentieren, fallen gelas-sen werden. Die Allgegenwärtigkeit vonGeschichte in Medien, in der Politik und im all-täglichen Handeln erfordert es, Strategien imUmgang mit dieser zu entwickeln und Hand-lungsanleitungen zu entwerfen, die es erlauben,Formen der einseitigen Aneignung und Instru-mentalisierung von Geschichte entgegenzutretenund Mythen zu erkennen. Nicht zuletzt soll eseiner breiten Masse auch möglich sein, zu dechif-frieren, welche Geschichte im Gedächtnis undder Erinnerung ihrer Gesellschaft repräsentiertwird. Es tut also Not, zu einem kritischenUmgang mit Geschichte und ihrer Vermittlungzu finden – das gilt auch für eine oft marginali-sierte und instrumentalisierte Widerstandsge-schichtsschreibung.Die Ausstellung unSICHTBAR war von ihrerKonzeption her konsequenterweise nicht alslückenlose Dokumentation des Widerstands im

Salzkammergut gedacht, sondern vielmehr alsDiskussionsangebot: unSICHTBAR setzte in derRealisierung darauf, Schlaglichter anzubieten,den Blick auf das Fehlende zu richten und die Bil-der- und Sprachlosigkeit des Widerstands zu the-matisieren sowie jenen Menschen Stimmen undBilder zu geben, die bislang weder Stimme nochBild hatten bzw. nicht über diese verfügen konn-ten. Aufbauend auf die Dichotomie Sichtbar-keit/Unsichtbarkeit wurden den BesucherInneneinzelne Aspekte des Widerstands präsentiert,ohne den Anspruch zu erheben, die einzig richti-ge Geschichte zu erzählen.Dass eine Ausstellung in Graz nicht nur den glei-chen Titel verwendete, sondern auch einen ähnli-chen Ansatz wählte,31 unterstreicht die Notwen-digkeit, die ausgetretenen Pfade der konventio-nellen Widerstandsforschung zu verlassen undfügt sich somit zu einem Ganzen.

Zur Gegenwart der österreichi-schen Widerstandsforschung

Bevor auf die Gegenwart und Zukunft derWiderstandsforschung eingegangen wird, seienan dieser Stelle zwei Thesen zur Krise derErklärungskraft der österreichischen Wider-standsforschung in den 1980er Jahren formuliert:

– Ein Grund für die langjährige Einförmigkeitder Widerstandsforschung mag darin zu suchensein, dass „der Widerstand“ bereits ab1946/1947 begann, in drei große Blöcke (kom-munistisch, sozialdemokratisch, katholisch-kon-servativ) zu zerfallen und diese Landschaft desWiderstands blieb über Jahrzehnte unverändertbzw. wurde als Konstrukt nicht in Frage gestellt.Die Wissenschaft begnügte sich damit – odermusste sich aus verschiedenen Gründen wie derZugänglichkeit zu Akten oder der gesellschaftli-chen Tabuisierung damit begnügen –, ebendieseTopographie zu erwandern, stellte sie aber nichtgrundsätzlich in ihrer Verfasstheit in Frage. Diedarauf basierenden Mythen und Erzählungenwurden nur am Rande gestreift, aber nicht hin-terfragt. Der kritische Blick bedurfte erst der

31 So formulieren die Gestalterinnen der Ausstellungunsichtbar. NS-Herrschaft: Verfolgung und Widerstand inder Steiermark ihren Ansatz folgendermaßen: „‚Unsichtbar.NS Herrschaft: Verfolgung und Widerstand in derSteiermark‘ spürt abseits der Aspekte derWechselwirkungen von Terror, Verfolgung undPartizipation der Bevölkerung am NS-Regime denAspekten des Un-/Sichtbaren nach. Dabei werden nichtnur der sich weitgehend im Verborgenen vollziehende

Widerstand, die Widerstandskämpfer und -kämpferinnen,ihre ideologischen Wurzeln und Taten ins Blickfeldgerückt und damit der Unsichtbarkeit entrissen, sondernes wird auch die Frage nach der Sichtbarkeit und demWissen-Wollen oder Wissen-Können um die Verbrechendes Regimes gestellt.“ Halbrainer/Lamprecht/Mindler:unsichtbar. NS-Herrschaft: Verfolgung und Widerstand inder Steiermark, S. 15.

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grundlegenden Erschütterung der politischenStruktur des Landes, dessen Spitze des Eisbergsder Fall Waldheim war.- Eine zweite Ursache lag in der mangelndenBreite der Widerstandsforschung begründet:Während gesellschaftliche Pressure-Groups wieTraditionsverbände das Gedenken an die Kriegs-opfer, an die KriegsteilnehmerInnen gesellschaft-lich breit zu verankern vermochten und damitgesellschaftliche Diskurse weitgehend mitbe-stimmten, verblieb der Widerstandsdiskurs inengen Bahnen und die Ergebnisse der Wider-standsforschung mit dem Problem nehaftet,nicht nur in der Tiefe ungenügend zu sein, son-dern auch in der Breite kaum Relevanz gewon-nen zu haben. Das ließ Platz für das Einübenvon Mythen und Geschichtserzählungen. DasProblem war, dass die Mythen des Widerstandseinem klar strukturierten Milieu verhaftet blie-ben und sich somit keine abweichende Betrach-tungsweise durchsetzen konnte. Die Geschich-te(n) des Widerstands wurden den Menschenabseits eines bestimmten Milieus (des Wider-stands) entfremdet – und ebenso dürfte es auchin einem gesellschaftlichen Subsystem wie derForschung gewesen sein.

Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dassdie Widerstandsforschung bis in die 1980er Jahreeine klar strukturierte Denkweise aufwies unddeshalb kaum mehr Innovationskraft zu generie-ren vermochte. Von der Mitte der 1980er Jahreeinsetzenden Befreiung profitierte die Wider-standsforschung jedoch am wenigsten. Heutescheint sie ein ungeliebtes Kind ohne konkreteForschungsperspektiven zu sein. Es sei an dieser Stelle die etwas provokante Theseformuliert, dass in der Widerstandsforschungnicht die Perspektiven fehlen, sondern dass derKomplexität und dem multi- sowie interdiszi-plinären Charakter geschichtswissenschaftlicherForschung in diesem Bereich bislang noch nichtRechnung getragen wird. Die Widerstandsfor-schung hat es verabsäumt, aus den etabliertenStrukturen zu steigen und sich modernen For-schungsansätzen zu öffnen. Die Widerstandsfor-schung vermochte den Eindruck nicht zu zer-streuen, es würden noch die Worte Josef Hindelsgelten, der die bis in die 1980er Jahre gültige For-mel auf den Punkt brachte: „Es hat in der NS-Zeit zwei Österreich gegeben: Ein Österreich derfanatischen Nazis, der rabiaten Antisemiten, derMörder und Kriegsverbrecher. Und ein Öster-

reich der Widerstandskämpfer, der Verfolgten,der anständig Gebliebenen.“32 Jahrelang hattesich die Wissenschaft nicht die Mühe gemachtbzw. war es gesellschaftlich nicht gern gesehen,die tradierten Erzählungen zu untersuchen, zudifferenzieren und scheinbare Wahrheiten zu hin-terfragen. Eingefahrene Denkmuster wurdennicht aufgelöst, sondern die vorhandenen Struk-turen im Denken weiter verwendet.Es bedarf keiner ausschweifenden Beweis-führung, um konstatieren zu können, dass diegeforderte Pluralität sowohl im gesellschaftlichenBewusstsein als auch in der Forschung eingetre-ten ist. Die Geschichtsbilder des 21. Jahrhundertssind vielgestaltiger und unterschiedlicher gewor-den. Sowohl der linguistic als auch der culturalturn haben in der historischen Forschung Spurenhinterlassen, sogenannte postmoderne Ansätzeeignen sich Vielfalt und Differenziertheit auch inder methodischen Vorgehensweise an, unter-schiedlichste Disziplinen befassen sich mit histo-rischen Materialobjekten. Die Zeit des National-sozialismus wird aus zahlreichen Perspektivendurchleuchtet und deshalb sukzessive fass- undbegreifbarer. Zugegebenermaßen verharrt auchdie Widerstandsforschung nicht mehr in antifa-schistischen Paradigmen, sondern hat sich theore-tisch und methodisch geöffnet. Nichtsdestotrotzbleiben vielversprechende Ansätze in der Wider-standsforschung heute unreflektiert und werdennicht genutzt. Im Jahr 2009 ist es notwendig,auch in diesem Bereich ein Umdenken einzufor-dern: Die Widerstandsforschung muss sich –abseits wichtiger Grundlagenarbeit, die nochnicht abgeschlossen ist – neuen Ansätzen öffnen:Ein Angelpunkt in diesem Umdenken muss sein,die Erzählungen des Widerstands und über denWiderstand zu untersuchen und zu differenzie-ren. Widerstandsforschung darf sich nicht längerdarauf verlassen, dass ihr Fundament stabil undunumstößlich ist, sondern gerade die Basis hin-terfragen. Das ist insofern unerlässlich, als Wider-stand auch im Jahr 2009 permanent unter derPrämisse der Opferthese diskutiert wird. DieWiderstandsforschung vermochte sich noch nichtvom Dualismus Widerstand/Opfer zu lösen undbezieht sich – egal ob in Befürwortung oderAblehnung der Opferthese – auf diese eine zen-trale Erzählung. Wichtig wäre es, unter die Ober-fläche zu schauen und die subkutanen Erzählun-gen aufzudecken. Die Opferthese hatte viele Sub-erzählungen bzw. Seitenstränge und regionaleAusprägungen. So hat Heidemarie Uhl im Prin-

32 Hindels, Josef: Nazivergangenheit und Gegenwart. In: Zukunft. 9/1987, S. 21.

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zip Recht, wenn sie schreibt: „Es ist eben nichtallein die Opferthese in ihrer Formulierung ausdem Jahr 1945, sondern es sind vielmehr ihreDeutungsvarianten, die es ermöglichten, diewidersprüchlichen Erfahrungen der Österreiche-rInnen 1938-1945 ebenso wie die unterschiedli-chen geschichtspolitischen Interessen nach 1945zu integrieren.“33 Nichtsdestotrotz geht Uhl vonder Annahme einer alles überstrahlenden Opfert-hese aus, die nur in ihren verschiedenen Ausprä-gungen und Varianten auftritt. Doch viele – vorallem regionale – Mythen des Widerstands ent-standen großteils unabhängig von der Klammerder Opferthese, sondern waren vielschichtiger,ausdifferenzierter und nah an lokalen Erzählun-gen.So wäre es von eminenter Bedeutung, Wider-stand nicht nur unter der Prämisse der Opferthe-se zu diskutieren, sondern sich beispielsweisealternativen Erzählungen zu widmen, die mitun-ter nur in bestimmten gesellschaftlichen, regiona-len oder kulturellen Milieus vermittelt wurden,trotzdem aber gesellschaftliche Wirkmacht zuerlangen vermochten.34 Es ist wichtig, sich dieFrage zu stellen, welche Diskurse in welchengesellschaftlichen Gruppen und Milieus geführtwurden, welche Relevanz die Widerstandsthema-tik in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichengewinnen konnte: Die Widerstandsforschungwird nicht darum herumkommen, sich zu fragen,welche Bedeutung Widerstand in der Region, imDorfgefüge oder auch in den Familien einnahm,wie die Erzählungen tradiert wurden und welcheDiskursmacht Widerstand für sich in Anspruchnehmen konnte. Die Bezugnahme auf dieOpferthese sollte ergo fürderhin mehr eine hin-terfragte Klammer, aber nicht mehr Ausgangs-punkt wissenschaftlicher Auseinandersetzung mitdem Widerstand sein.

Zukunftsperspektiven der Widerstandsforschung

Welche Ansätze der Widerstandsforschung schei-nen nun zukunftsträchtig zu sein? Angesichts dergebotenen Kürze des Beitrags sollen hier nur eini-ge wenige Ansätze thematisiert werden, derenEinbeziehung in die Widerstandsforschung vonenormem Wert sein könnte. Allerdings muss demvorangestellt werden, dass teilweise wichtigeGrundlagenarbeit noch aussteht und große For-schungslücken wie z.B. die Auseinandersetzungmit den Deserteuren und anderen Opfern derNS-Militärjustiz35 erst in den vergangenen Jahrengeschlossen werden konnten. WeiterführendeProjekte wie z.B. eine breite Dokumentation vonWiderstand und Verfolgung in der Steiermarkoder Kärnten sind noch immer ausständig.36

Zukunftsperspektive RegionalgeschichteHervorragende Forschungsperspektiven bietetnoch immer die Auseinandersetzung mit derunmittelbaren Lebensumgebung von Men-schen.37 Historische Prozesse und Entwicklungenlassen sich besser vermitteln, wenn sie Anker-und Anknüpfungspunkte bieten. In der regional-und lokalgeschichtlichen Forschung ist dies gege-ben. Darum wird auch in Zukunft die Regional-geschichte in der Widerstandsforschung eine pro-minente Rolle spielen. Allerdings wird sich dieseForm von Geschichtsschreibung immer wenigerauf die Erforschung der historischen Fakten ansich beschränken, sondern Schwerpunktlegungenerfordern, die sich aus neuen wissenschaftlichenHerangehensweisen ergeben: Kommunikations-geschichtliche Fragestellungen werden ebensoBerücksichtigung finden müssen wie die Ausein-andersetzung mit regionalen Erinnerungskultu-ren.38

33 Uhl, Freiheitskampf, S. 307.34 Wie z.B. die ebenfalls in überhöhten Status erhobene

Geschichte der Widerstandsgruppe Willy-Fred imSalzkammergut, deren Leiter Sepp Plieseis teils zuLebzeiten, teils postum eine nahezu mythische Verklärungerfuhr.

35 vgl. Manoschek, Walter (Hrsg.): Opfer der Militärjustiz.Urteilspraxis – Strafvollzug – Entschädigungspolitik inÖsterreich. Wien 2003; Fritsche, Maria: Entziehungen.Österreichische Deserteure und Selbstverstümmler in derDetuschen Wehrmacht. Wien 2004; Metzler, Hannes:Ehrlos für immer? Die Rehabilitierung der

Wehrmachtsdeserteure in Deutschland und Österreich. Wien2007.

36 Auch die Reihe des DÖW zu Widerstand in den einzelnenBundesländern weist noch Lücken auf.

37 vgl. dazu einige Publikationen jüngeren Datums wie z.B.Cäsar, Maria/Halbrainer, Heimo (Hrsg.): „Die imDunkeln sieht man doch“. Frauen im Widerstand –Verfolgung von Frauen in der Steiermark. Graz 2007;Kienesberger et al., unSICHTBAR.

38 vgl. dazu Rettl, Lisa: PartisanInnendenkmäler.Innsbruck/Wien 2006.

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Widerstandsgeschichte als GeschlechtergeschichteDie Widerstandsgeschichtsschreibung war einForschungsfeld, in dem die Geschlechterfragebereits vergleichsweise früh – in den 1970er Jah-ren – gestellt wurde.39 Eine offensive Beschäfti-gung mit der Rolle von Frauen im Widerstanderfolgte Hand in Hand mit dem Aufkommen derAlltags- und Sozialgeschichte ab den 1980er Jah-ren.40 Die Erforschung alltäglicher Handlungenlenkte den Blick auf die meist unbedankte Tätig-keit von Frauen als Kommunikations- und Orga-nisationsdrehscheiben: „Die Thematisierung desWiderstandes von Frauen wurde nicht zuletztdurch den Paradigmenwechsel in der Wider-standsforschung gefördert, der eine erweiterteDefinition des Begriffs ‚Widerstand‘ mit sichbrachte.“41 Eng damit verknüpft war die Erweite-rung der historischen Quellen und Methoden:Lebensgeschichtliche Erinnerungen wurdenebenso in den geschichtswissenschaftlichenMainstream eingeführt wie deren Nutzbarma-chung durch die Oral History.Allerdings war die Zahl relevanter Publikationen,die sich aus Perspektive der Geschlechterge-schichte an das Phänomen des Widerstandsannäherten, in den vergangenen Jahren bis aufeinige äußerst positive Ausnahmen überschau-bar.42 Forschungsdefizite bestehen sowohl in derErforschung regionaler Spezifika als auch in derBefassung mit dem sozialen Hintergrund vonFrauen im Widerstand. Ähnlich formuliert dasMartina Gugglberger: „Es wäre wünschenswert,dass sich weitere Studien mit einem regionalensowie geschlechtersensiblen Blick diesem Thema(Widerstand, Anm.) widmen und verstärkt denGeschlechterverhältnissen innerhalb der Wider-standsgruppen, den Beziehungsformen und

-geflechten von RegimegegnerInnen oder derBedeutung von Widerstandsaktivitäten für dieFrauen selbst nachgehen. Dabei ginge es nichtdarum, neue ‚Heldinnen des Widerstandes‘ zustilisieren, sondern die Handlungen und Leistun-gen von Frauen sichtbar zu machen, die währenddes NS-Regimes […] eins nicht konnten: nichtstun.“43

Der Alltag des WiderstandsEnorme Lücken existieren noch immer in derErforschung des Alltags des Widerstands:Während zu manchen grundlegenden Aspektendes Widerstandshandelns – wie zum Beispiel zurRolle der Frauen in Widerstandsorganisationen44

– mittlerweile auf wertvolle Forschungsarbeitzurückgegriffen werden kann, fehlen themenspe-zifische Arbeiten, die auf Strukturen, Zusammen-hänge und Verbindungen verweisen und Abstrak-tionsleistungen erbringen. Es sollen an dieserStelle beispielhaft einige wenige offene For-schungsfelder angeführt werden.- Es gibt kaum zusammenhängende Forschungenüber die Alltagsgeschichte von Kindern undJugendlichen im Widerstand.45

- Über den Alltag des unorganisierten Wider-stands ist – wohl auch aufgrund der enormenVielfalt an widerständischen Ausdrucksformen –bislang wenig publiziert worden.- Außerdem mangelt es aus kommunikationswis-senschaftlicher Perspektive an einer erschöpfen-den Darstellung der Kommunikationsstrukturendes Widerstands.46 Zu viele Erkenntnisse werdennoch immer aus biografischen Erzählungen derErinnerungsliteratur47 bezogen, während einesystematische Betrachtung der Geschichte desWiderstands als Kommunikationsgeschichte aus-geblieben ist.

39 vgl. Brauneis, Inge: Widerstand von Frauen in Österreichgegen den Nationalsozialismus 1938 – 1945. Wien 1974.

40 vgl. Reichart, Elisabeth: Heute ist morgen. Fragen an denkommunistisch organisierten Widerstand im Salzkammergut.Wien 1983; Berger, Karin et al.: Der Himmel ist blau.Kann sein. Frauen im Widerstand. Österreich 1938 – 1945.Wien 1985; Berger, Karin et al.: Ich geb Dir einen Manteldass du ihn noch in Freiheit tragen kannst. Widerstehen imKZ. Österreichische Frauen erzählen. Wien 1987; Bauer,Ingrid: „Tschikweiber haum’s uns g’nennt…“ Frauenlebenund Frauenarbeit an der „Peripherie“: Die HalleinerZigarrenfabriksarbeiterinnen 1869 bis 1940. Wien 1988;Bailer-Galanda, Brigitte: Zur Rolle der Frauen imWiderstand oder die im Dunkeln sieht man nicht. In:Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes(Hrsg.): Jahrbuch 1990. Wien 1990, S. 13-22.

41 Gugglberger, Martina: „Das hätt ich nicht gekonnt: nichtstun.“ Widerstand und Verfolgung von Frauen am Beispiel desReichgaues Oberdonau. In: Gehmacher, Johanna/Hauch,Gabriella: Frauen- und Geschlechtergeschichte desNationalsozialismus. Fragestellungen, Perspektiven, neue

Forschungen. Wien 2007, S. 153-168, hier S. 153.42 vgl. Amesberger, Helga/Halbmayr, Brigitte (Hrsg.): Vom

Leben und Überleben – Wege nach Ravensbrück. DasFrauenkonzentrationslager in der Erinnerung. 2 Bände.Wien 2001; Hauch, Gabriella: (Hrsg.): Frauen imReichsgau Oberdonau. Geschlechtsspezifische Bruchlinien imNationalsozialismus. Oberösterreich in der Zeit desNationalsozialismus. Bd. 5. Linz 2006.

43 Gugglberger, „Das hätt ich nicht gekonnt“, S. 165.44 vgl. die bereits angeführten Publikationen von Ingrid

Bauer oder Elisabeth Reichart.45 einschlägige Beiträge dazu finden sich in: Tálos,

Emmerich et al. (Hrsg.): NS-Herrschaft in Österreich. Wien2000; vgl. außerdem: Gehmacher, Johanna: Jugend ohneZukunft. Hitler-Jugend und Bund Deutscher Mädel inÖsterreich vor 1938. Wien, 1994.

46 Skizzen dazu existieren u.a. bei Kienesberger, ZersetzendeWorte.

47 Z.B. Plieseis, Sepp: Vom Ebro zum Dachstein. Linz 1946;Gaiswinkler, Albrecht: Sprung in die Freiheit. Wien 1947.

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Widerstandsgeschichte als KommunikationsgeschichteDabei böte speziell die Betrachtung des kommu-nikativen Vernetzens Perspektiven, die wesentlichzur Erklärung widerständigen Handelns und sei-ner Funktionsweise beitragen können: Vor allemorganisierte Widerstandsgruppierungen mussteneine „kritische Masse“ erreichen, um operieren zukönnen und dafür war gelingende Kommunikati-on das Um und Auf. Am Beispiel der Wider-standsgruppe im Salzkammergut lassen sichexemplarisch anhand von Schlaglichtern einigeLeitlinien für eine kommunikationshistorischeAnalyse festmachen:

Die Analyse kommunikativer Dis-/Kontinuitäten:Der Nationalsozialismus gab sich den Anspruch,die Kommunikation der Menschen in den Dienstdes Systems zu stellen und oppositionelle Kom-munikationsstrukturen zu zerschlagen. Insofernwar es bereits eine wichtige Leistung des Wider-stands, Organisations- und Kommunikations-strukturen aufrechtzuerhalten. Insbesondere diespezifisch österreichische Situation bietet span-nende Erkenntnismöglichkeiten über kommuni-kative Dis-/Kontinuitäten, war doch die gesamteLinke bereits 1933 bzw. 1934 im austrofaschisti-schen System illegal geworden.

Strategische Kommunikation des Widerstands:Widerstand zu organisieren bedeutete auch, Kon-takte und Netzwerke zu pflegen und schrittweisezu erweitern, um Aktionen und Aktivitäten pla-nen und durchführen zu können. Dies konnteallerdings nur funktionieren, wenn konspirativgearbeitet wurde und widerständige Kommuni-kation für die Nationalsozialisten unsichtbar blie-ben. Das erforderte, Nachrichten zu verschlüs-seln, belastendes Material zu verstecken und dieeigene politische Gesinnung so gut wie möglichzu verschleiern.

Schaffung von Gegenöffentlichkeiten:Die Effektivität des Widerstands bestand auchdarin, von Zeit zu Zeit aus der Unsichtbarkeit zutreten und sich zu deklarieren. Als wichtiges Sig-nal musste er sich selbst sichtbar machen und dieeigene Existenz beweisen. Dieser Schritt war eingefährliches Unterfangen und erfolgte über ver-schiedene Aktivitäten, z.B. über Literaturarbeitoder über Anschläge und Aktionen im öffentli-chen Raum.

Eine umfassende Analyse in diesem Bereich istwohl eher Wunschdenken geschuldet, es wäreaber durchaus lohnend, diese Analyse beispiels-weise anhand eines abgeschlossenen Kommuni-kationsraums durchzuführen.

Rezeption des Widerstands „Der österreichische Widerstand wurde ange-zweifelt, bagatellisiert oder geleugnet. Nur wennes darum ging, sich außenpolitische Vorteile zuverschaffen oder bei feierlichen Anlässen, wurdeder Widerstand verbal hochgehalten.“48

Es ist kaum zu glauben, dass trotz dieses Befun-des Wolfgang Neugebauers zur Rezeptionsge-schichte des Widerstands weiterhin eine eklatan-te Forschungslücke in der Auseinandersetzungmit der Rezeption des Widerstands in der Zwei-ten Republik besteht. Bislang existieren kaumausführliche Arbeiten, die sich damit auseinan-dersetzen, welchen Niederschlag Widerstands-handeln in der Geschichte der Zweiten Republikfand. Dies ist als nahezu fahrlässig zu qualifizie-ren, wenn man bedenkt, dass die Vermittlungvon Geschichte an der Schwelle zum zeitzeugen-losen Zeitalter eine der zentralen Herausforde-rungen ist, vor der die Geschichtswissenschaftsteht. Die Kommunikationsgeschichte ist prädestiniert,diese Lücke zumindest in Teilen zu schließen,zumal die Vermittlung und Rezeption vonGeschichte zu deren ureigenen Forschungsberei-chen gehören muss. Bislang existieren in diesemBereich weder einschlägige Studien zu dengroßen Leitlinien des Widerstandsgedächtnissesin Österreich noch Forschungsansätze, die sichder Erforschung desselben in abgegrenztenRegionen widmen und somit Rücksicht aufregionale Spezifika politischer, sozialer und kultu-reller Natur nehmen können. Ebenso sind Arbei-ten zur Rezeption des Widerstands in kulturellenProdukten wie Zeitungen, Zeitschriften oder Fil-men kaum vorhanden.Interessante Ansätze, wie die Beschäftigung mitdem Widerstandsgedächtnis bzw. der Wider-standsrezeption aussehen kann, werden im Fol-genden kurz vorgestellt:

Widerstand im kulturellen GedächtnisEin vielversprechender Ansatz, der bislang in derWiderstandsforschung kaum Resonanz gefundenhat, ist die Beschäftigung mit dem kulturellenGedächtnis des Widerstands, das z.B. in Form

48 Neugebauer, Der österreichische Widerstand, S. 239.

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von Denkmälern, Erinnerungstafeln oder Geden-korten im öffentlichen Raum Sichtbarkeiterlangt. Damit werden Erinnerungsorte definiert,an denen die Erinnerung an den Widerstandsymbolisch wachgehalten wird. In einer diesbe-züglich wegweisenden Arbeit von Lisa Rettl defi-niert die Autorin Denkmäler als „subjektive bzw.interessen- und empfindungsgeleitete Vergangen-heitsverarbeitungen verschiedener gesellschaftli-cher Gruppierungen.“49 Anhand dieser Denk-mäler unternahm die Autorin eine bislang nochnicht in Angriff genommen geschichtskulturelleBeschäftigung mit dem Partisanenwiderstand inKärnten und untersuchte die regionale Denkmal-kultur unter der Prämisse, dass diese als Kristalli-sationspunkt einer innergesellschaftlichen Ge-spaltenheit des kollektiven Gedächtnisses zubetrachten sei.50

Auf einer ähnlichen Ebene – allerdings nur in Sei-tensträngen auf Erinnerungsorte des Widerstandsverweisend – agiert Karl Klambauer, der Denk-mäler und Gedächtnisorte in Wien zwischen1945 und 1986 untersucht hat, dabei allerdingsstärker auf der Ebene der ikonographischen Be-deutung der einzelnen Denkmäler und Gedenk-zeichen verblieb.51

Dieser von Rettl (und auch Klambauer) präsen-tierte Ansatz zeigt, wie vielversprechende undstark gegenwartsrelevante Bezugspunkte undMethoden in die Widerstandsforschung einge-führt werden können. Dem liegt die Annahmezugrunde, dass das kulturelle Gedächtnis alswichtiger Aspekt von Erinnerung an den Wider-stand Relevanz besitzt.Allerdings darf die Widerstandsforschung nichtden gleichen Fehler machen, wie er in manchenanverwandten Forschungsfeldern passiert, wo dieKonzentration auf das kulturelle Gedächtnis feti-schistische Züge annimmt. GesellschaftlicheWandlungsprozesse lassen sich nicht primär anDenkmalkulturen festmachen bzw. auf Ebeneeiner Analyse kultureller Produkte erklären –damit bleiben insbesondere subkulturelle Strö-mungen unterrepräsentiert, die kaum gesell-schaftliche Definitionsmacht erlangten undsomit unsichtbar bleiben, sofern nicht auch kom-

munikative Aspekte mitanalysiert werden. DieWiderstandsforschung wird in Zukunft vor allemjenen Diskursen nachspüren müssen, die bislangkaum sichtbar waren. Nur damit kann sie dazubeitragen, ein differenziertes Bild des Widerste-hens und seiner Rezeptionsgeschichte zu zeich-nen.

Widerstand im kommunikativen GedächtnisHeidemarie Uhl konstatiert in einer Auseinan-dersetzung mit den Transformationen des öster-reichischen Gedächtnisses, dass es „in weiten Tei-len der Bevölkerung einen subkutanen Gegendis-kurs zum skizzierten offiziellen Geschichtsbild[gab], der auf der Ebene der überregionalenöffentlich-publizistischen Kommunikation zwarkaum in Erschienung trat, in der familialen, loka-len und regionalen Überlieferung aber umsomachtvoller wirksam war […].“52 Während siesich mit diesem Befund in erster Linie auf „sub-kutane Diskurse“ der TäterInnenseite bezieht,dürfte dieser auch für regionale Erzählungen desWiderstands zutreffend sein, zumal ja ein Milieujener existierte, die aktiv am Widerstand beteiligtwaren: Sie gründeten Organisationen, sammeltensich bei Veranstaltungen, gaben Medien heraus,gedachten gemeinsam der Opfer aus ihren Rei-hen etc.Die Forschungsfragen, wie Erzählungen desWiderstands familiale, lokale und regionaleMilieus prägten, drängen sich in diesem Kontextgeradezu auf. Bislang wurde deren Einfluss ledig-lich konstatiert, jedoch kaum im Detail nachge-wiesen. Die Befassung mit der Entwicklung abge-grenzter kollektiver Widerstandsgedächtnisse istkaum existent und in der Widerstandsforschungfehlt im Speziellen ein Zugang, der fragt, welcheInstanzen kollektive Bilder vom Widerstand undwelche Mechanismen des kommunikativenGedächtnisses die Erinnerung an den Widerstandprägten. Es ist für eine kritische Befassung mitWiderstandsgeschichte unerlässlich, auch jeneBilder von Widerstand sichtbar zu machen, diemit den bisher verfügbaren historiografischenMethodeninstrumenten kaum erfasst werdenkonnten und sich folgende Fragen zu stellen:

49 Rettl, PartisanInnendenkmäler, S. 12.50 ebd., S. 13.51 vgl. Klambauer, Karl: Österreichische Gedenkkultur zu

Widerstand und Krieg. Denkmäler und Gedächtnisorte inWien 1945-1986. Innsbruck/Wien/Bozen 2006.

52 Uhl, Heidemarie: Von „Endlösung“ zu „Holocaust“. Die

TV-Ausstrahlung von „Holocaust“ und die Transformationendes österreichischen Gedächtnisses. In: Uhl, Heidemarie(Hrsg.): Zivilisationsbruch und Gedächtniskultur. Das 20.Jahrhundert in der Erinnerung des beginnenden 21.Jahrhunderts. Innsbruck u.a. 2003 (Gedächtnis –Erinnerung – Identität 3), S. 153–180, hier S. 158.

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Klaus KIENESBERGER (1978)Mag. phil.; Studium der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft sowie der Politikwissenschaft an der Universität Wien.2007/2008 Konzept und wissenschaftliche Leitung des Projekts unSICHTBAR - widerstän-diges im salzkammergut, 2007/2008 Leitung des Projekts Erinnerungsorte erschließendes Vereins GEDENKDIENST, 2007 Herbert-Steiner-Anerkennungspreis des DÖW und derITH für die Diplomarbeit Der Österreich-Diskurs in der DDR von 1970 bis 1980.Projekte zu den Themenbereichen Widerstandsforschung, Geschichtsvermittlung,Gedenkstättenpädagogik sowie zu den Beziehungen Österreich-DDR,langjährige Mitarbeit im Arbeitskreis für historische Kommunikationsforschung.

– Wurde über den Widerstand überhaupt gesprochen?– Wie wurde darüber gesprochen?– Wer hat darüber in welchem Kontext gesprochen? – Welches Bild von Widerstand wurde dadurch erzeugt?

In der Frage der Weitervermittlung von Wider-standsgedächtnissen ist es spannend, Instanzender Geschichtsvermittlung in den Fokus zu neh-men, die bislang kaum als solche wahrgenommenbzw. untersucht wurden und dazu beitragen, dasBild von Widerstand zu prägen. Darunter fallensoziale Gefüge wie z.B. Familien, Freundeskreise,Vereine etc., wie auch Harald Welzer – der einenWeg zeigt, wie man das kommunikative Gedächt-nis in einen Forschungszweig einführen kann –erläutert: „Denn die kommunikative Vergegen-wärtigung von Vergangenem in der Familie istkein bloßer Vorgang der Weitergabe von Erleb-nissen und Ereignissen, sondern immer auch einegemeinsame Praxis, die die Familie als eine Grup-pe definiert, die eine besondere Geschichte hat,an der die einzelnen Mitglieder teilhaben und diesich nicht zu verändern scheint. Familien zele-brieren im „conversational remembering“, imgemeinsamen Sprechen über Vergangenes, ihreGeschichte als Interaktionsgemeinschaft, unddabei geht es um die Bestätigung der sozialenIdentität der Wir-Gruppe.“53

Damit lässt sich eruieren, wie sehr historischeLeerstellen instrumentalisierbar und geeignetsind, in Erinnerungslandschaften Mythen zuerrichten: „Denn das Interessante an Geschichtendieser Art ist ja, dass sie unvollständig, wider-sprüchlich, lückenhaft, historisch disparat undgerade deshalb für das Gedächtnis einer Erinne-rungsgemeinschaft wirksam sind: Jeder der

Zuhörer kann eine Bruchstelle, jeden Wider-spruch dafür nutzen, seinen eigenen Sinn in dieGeschichte hineinzutragen […].“54

Diese Grundidee, auf abgegrenzte soziale Milieus,auf familiale Erzählungen Bezug zu nehmen,erscheint zukunftsträchtig und sollte von derWiderstandsforschung aufgegriffen werden. Trotzalledem ist es parallel dazu notwendig, die Fak-tenlage zu verbessern: Denn nur ein Fundament,auf dem aufgebaut wird, kann Mythenbildungverhindern und bestehende Mythen entlarven.

Fazit und Ausblick

Die österreichische Widerstandsforschung befin-det sich – quod erat demonstrandum – in einerselbst gewählten Sackgasse. Diese Selbstbegren-zung ließe sich durch einen Theorie- und Metho-denimport auflösen. Es wäre vor allem ein loh-nender Schritt, den Blick auf die Rezeptionsge-schichte des Widerstands zu richten, denndadurch lässt sich zeigen, wie uneindeutig auchExistenzen des Widerstands waren und wie engdie Grenze zwischen Vergessen und Mythenbil-dung sein kann.Ein weiterer Schwerpunkt muss auf dieGeschichtsvermittlung gelegt werden: Dort pro-bate Modelle zu finden und auch die Wider-standsgeschichte einzubauen ist unerlässlich, umeine selbstkritische Analyse gegenwärtiger Gesell-schaften zu ermöglichen: Denn Geschichte ansich ist sinnfrei und hat keine Aufgabe, aber dieGeschichtsvermittlung ist umso bedeutsamer, umzu sensibilisieren und auch im Sinne Adornos55

negativen gesellschaftlichen Entwicklungen ent-gegenzuwirken. Es gibt also viel zu tun. Das Ar-gument, eine geschichtswissenschaftliche Modesei tot, ist nicht stichhaltig.

53 Welzer, Harald: Das kommunikative Gedächtnis. EineTheorie der Erinnerung. München 2008, S. 165.

54 ebd., S. 179f.55 vgl. Adorno, Theodor W.: Erziehung nach Auschwitz. In:

Ders.: Erziehung zur Mündigkeit. Vorträge und Gesprächemit Hellmut Becker 1959-1969. Frankfurt a. M. 1971, S.88-104.

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Zeitzeugen haben Konjunktur. Wenngleichsie als „natürlicher Feind des Historikers“

diffamiert oder entsprechende (journalistische)Formate als „Kopfsalat mit Zeitzeugen“1 abgetanwerden, ist deren wissenschaftlicher „Wert“ den-noch nicht von der Hand zu weisen. NorbertFrei, der die „Geburt des Zeitzeugen“ auf 1945datierte und damit den Titel einer Tagung kreier-te, die in Jena den Stellenwert von Zeitzeugendiskutierte, hob in seinem Fazit hervor, dass das„Kulturphänomen“ Zeitzeuge auch künftig Be-achtung verdiene, ebenso jedoch seine Rezeptionsowie die Problematik konkurrierender Verwer-tungsinteressen, die hinter seinem medialen Auf-tritt stehen, kritisch betrachtet werden müssen.2

Die Kritik stützt sich dabei vorrangig auf dieSelektivität der Zeitzeugenauswahl und derenEinsatz. Zu beliebig und unwissenschaftlichwerde mit dieser Quelle umgegangen. Lutz Niet-hammer verwies auf das unterschiedliche Be-griffsverständnis des Begriffs „Zeitzeuge“. Dahermüsse weiterhin zwischen wissenschaftlicher undjournalistischer Aufbereitung differenziert unddie damit einhergehenden Deutungskonkurren-zen mitbedacht werden.3

Auch bei der diesjährigen Jahrestagung der Fach-gruppe Kommunikationsgeschichte in der Deut-schen Gesellschaft für Publizistik- und Kommu-nikationswissenschaft zum Thema „Geschichts-journalismus“ wurde das Phänomen „Zeitzeuge“oftmals thematisiert. Dabei wurde erneut die Dis-krepanz zwischen wissenschaftlich-quellenkriti-scher Analyse und journalistisch-eklektizistischer„Beilage“ zu historischen Dokumentationen,

Reportagen und halbfiktionalen Dramen deut-lich. Der Kampf um diese Deutungshoheit wirdwohl niemals entschieden werden – nicht zuletztweil der Begriff „Zeitzeuge“ unterschiedlich aus-gelegt wird.Dabei wurde nicht erst mit Guido Knopp undanderen Fernsehformaten „der Zeitzeuge“ vorden Vorhang gebeten – ab den späten 1970er Jah-ren, mit der Wende in der Geschichtswissen-schaft, wurde die Abkehr von der vornehmlichpositivistischen Herrschaftsgeschichte und imGegenzug die Hinwendung zu emanzipatori-schen Perspektiven auf Geschichte und derenQuellen betrieben. „Geschichte von unten“ lautetder programmatische Titel einer Schrift, die 1984für Österreich die Zeitenwende unterstrich.4

Diese „Geschichte von unten“ ist auch einer ver-stärkten Einbeziehung von Zeitzeugen aus allengesellschaftlichen Bereichen verpflichtet – mitbesonderer Betonung jener Bevölkerungsgrup-pen, deren Stimme ansonsten nicht öffentlichgehört würde.Heute kann konstatiert werden, dass auch dieKommunikationsgeschichte in den vergangenenJahren Aussagen von Zeitzeugen in höherem Aus-maß nützt. Die Anwendungsgebiete der Oralhistory-Methode sind mannigfaltig, wie MarkusBehmer jüngst zusammenfassend darlegte.5 Sozeigt Behmer deutlich, dass Oral history zwar sel-ten als solitäre Methode (respektive Quelle)einem angemessenen Erkenntnisinteresse ent-spricht. Doch in Kombination mit anderenMethoden bzw. als Teil eines umfassenderen For-schungszusammenhangs finden lebensgeschicht-

* An dieser Stelle dankt der Autor allen Gesprächspartner-innen und -partnern. Ebenso all jenen studentischenKolleginnen und Kollegen, die als Teil dieses Projektsihren Beitrag dazu geleistet haben, all jene Stimmen fürunsere und künftige Generationen zu sichern. In weitererFolge wird aus Gründen der Lesbarkeit das generischeMaskulinum verwendet.

1 Frei, Norbert: „Kopfsalat mit Zeitzeugen“. In: SüddeutscheZeitung, 22. Januar 2005.

2 vgl. den Tagungsbericht der Jenaer Tagung „Die Geburtdes Zeitzeugen nach 1945“ 18.12.2008-20.12.2008. In:H-Soz-u-Kult, 18.3.2009, <http://hsozkult.geschichte.hu-

berlin.de/tagungsberichte/id=2557>3 ebd.4 Ehalt, Hubert Christian (Hrsg.): Geschichte von unten.

Fragestellungen, Methoden und Projekte einer Geschichte desAlltags. Wien 1984

5 vgl. Behmer, Markus: Quellen selbst erstellen. Grundzüge,Anwendungsfelder und Probleme von Oral History in dermedien- und kommunikationsgeschichtlichen Forschung. In:Arnold, Klaus/Behmer, Markus/Semrad, Bernd (Hrsg.):Kommunikationsgeschichte. Positionen und Werkzeuge. Eindiskursives Hand- und Lehrbuch. Münster: Lit-Verlag2008, S. 343-361.

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Die letzten ZeugenDie Wegbereitung zum „Anschluss“ aus der Perspektive von ZeitzeugInnen*

Bernd Semrad

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liche Interviews Einsatz, etwa auf einer explorati-ven Ebene. Oral history spielt also eine wichtigeRolle in der Kommunikationsgeschichte, einer-seits als Quelle für – zum Beispiel – historischeRezeptions- und Wirkungsforschung, anderer-seits per se als Gegenstand wissenschaftlicherBetrachtung. Hier tritt der Doppelcharakter vonOral history zu Tage, insbesondere wenn Zeitzeu-genaussagen als kommunikative Akte einer Erin-nerungskultur fokussiert werden, wie auch imvorliegenden Beitrag.

I Konjunktur an Zeitzeugenberichten

2008 jährte sich der „Anschluss“ Österreichs andas Deutsche Reich zum 70. Mal. Für die Wis-senschaft nicht per se Anlass, „Gedenktagswissen-schaft“ zu betreiben – dennoch ist die Öffentlich-keit im Umfeld derartiger Erinnerungsanlässe fürForschungsergebnisse sensibilisiert. Nicht zuletzt,weil damit auch der Logik des (Wissenschafts-)Journalismus besser entsprochen werden kann,sodass der Transfer von wissenschaftlichen (Teil-)Ergebnissen in die Öffentlichkeit gewährleistetwerden kann, sich Wissenschaft selbst in denöffentlichen Erinnerungsdiskurs einbringt undTeil desselben ist.6

Im vorliegenden Projektzusammenhang interes-sierten als Vergleichsobjekte auch jene Publikatio-nen, die mit der Erinnerung an den „Anschluss“Österreichs an das Deutsche Reich bzw. der NS-Vergangenheit Österreichs in Zusammenhangstehen. Alleine rund um den 70. Jahrestag des„Anschlusses“ im Frühjahr 2008 erschienen meh-rere Porträtsammlungen von Zeitzeugen, biogra-fische Darstellungen und Produkte lebensge-schichtlicher Interviews.7

Ein weiterer Ausgangs- und Bezugspunkt diesesForschungsprojekts ist der Befund der Historike-rin und Kulturwissenschaftlerin Heidemarie Uhl,die in einer Momentaufnahme im Rückblick aufdas Erinnerungsjahr 2008 schlussfolgerte, dassder Gedächtnisort 1938 erkaltet sei. Denn wenndas „heiße Gedächtnis einer Gesellschaft das ist,

was weh tut,“ könne angesichts der erinnerungs-kulturellen Inhalte im vergangenen Jahr nur voneiner Erkaltung gesprochen werden. Wenn hier auf das kollektive Gedächtnis und dengesamtgesellschaftlichen Erinnerungs-DiskursBezug genommen wird, so mag dies – im Ver-gleich zu 1938/88 – durchaus Berechtigunghaben.8

Wenn aber – wie in vorliegendem Projekt – erstdie Summe der individuellen Erinnerung zueinem Ganzen wird, kann die Erkaltung nur einTrugschluss sein. Solange Zeitzeugen zu einerkonkreten Epoche der Geschichte leben, solangekann es auch kein prinzipielles Erkalten derGeschichte geben, weder auf der Ebene des „offi-ziellen“ Erinnerungsdiskurses noch – schon garnicht – auf der Ebene individueller Erinnerung,die in vorliegendem Projekt zu einer generatio-nenspezifischen kollektiven Erinnerung gerinnt.

II Reden über den „Anschluss“

Dieser Beitrag entstand ausgehend von Teilergeb-nissen eines größeren Projekts am Institut fürPublizistik- und Kommunikationswissenschaftder Universität Wien.9 Das Gesamtprojekt „ ‚Anschluss‘-Diskurse“ umfasst neben der „geis-tigen Wegbereitung“ in der österreichischenPublizistik sowie der Erinnerungskultur an den„Anschluss“ auch die Perspektive der Zeitzeugen. Diesem Projekt liegt der besondere Impetuszugrunde, die „letzten Zeugen“ des Nationalso-zialismus zu befragen. Der familiengeschichtlicheKonnex zur NS-Zeit wird ständig geringer – imGegenzug erscheint es umso dringlicher, dieStimmen dieser „Generation“ an Zeitzeugen zusichern und der Nachwelt zur Verfügung zu stel-len. Schon die soziodemografischen Daten derBefragten zeigen, dass sich der allergrößte Teil derfür dieses Forschungsvorhaben befragten Perso-nen zur Zeit des Nationalsozialismus im Kindes-und Jugendalter befand. Dass dies weiterhin auchEinfluss auf die Qualität der zu erhebendeninhaltlichen Kategorien hat, wird weiter untendarzustellen sein.

6 Wie auch anhand des vorliegenden Projekts gezeigtwerden kann, das im Zuge des „Gedenktagsjournalismus“thematisiert wurde – Klambauer, Otto: „Die sind alleHitler schauen gegangen“. In: KURIER, 3. März 2008, S. 4.Vgl. auch Semrad, Bernd/Vogl, Erich: Die schleichendeWegbereitung in den Zeitungen. In: KURIER, 4. März2008, S. 4 sowie dies.: „Das unabhängige Österreich ist tot“.In: KURIER, 13. März 2008, S. 5.

7 So zum Beispiel Horowitz, Angelika/Horowitz, Michael:Verdrängen, Vergessen, Verzeihen. Erinnerungen an das Jahr

1938 – Zeitzeugen berichten. MHM-Verlag 2008; A Letterto the Stars (Hrsg.)/Kuba, Andreas (Red.): Die letztenZeugen. Das Vermächtnis der Holocaust-Überlebenden.Verlag Verein Lernen aus der Zeitgeschichte 2008 oderKohl, Walter: Die dunklen Seiten des Planeten. RudiGelbard, der Kämpfer. Buchverlag Franz Steinmaßl 2008.

8 vgl. den Beitrag von Heidemarie Uhl in diesem Heft.9 Dieses Projekt (Leitung Wolfgang Duchkowitsch) wurde

von der Kulturabteilung der Stadt Wien, MA7/3627-07,gefördert.

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Das Teilprojekt „Reden über den ‚Anschluss‘ “hatte zum Ziel, vermittels lebensgeschichtlicherInterviews Fragen zur (medialen) Wegbereitungdes Nationalsozialismus, zu Fragen der Identitätund des kognitiven Wissens zum Nationalsozia-lismus nachzugehen. In diesem Oral history-Pro-jekt wurde also versucht, die Geschichte des„Anschlusses“ aus der Sicht von Zeitzeugen zurekonstruieren. Dabei standen inhaltliche Aspek-te zu „Anschluss“, Nationalsozialismus und öster-reichischer Identität ebenso im Vordergrund wieformale Aspekte lebensge-schichtlicher Interviews.Erkenntnisleitend dazu waru.a. die Studie „Österreichi-sches Gedächtnis“10, die imGefolge des „Bedenkjahres“1988 Fragen nach „Erin-nern und Vergessen“ dernationalsozialistischen Vergangenheit stellte.Davon ausgehend sollten im vorliegenden Projektauch erinnerungsgeschichtliche Zusammenhängeberücksichtigt werden, die den öffentlichen Dis-kurs der letzten beiden Dekaden aufgreifen. ImZuge der Waldheim-Affäre und der erinnerungs-politischen Zäsur konnte von einer uneinge-schränkten Gültigkeit des „Opfermythos“ nichtmehr gesprochen werden.11 Weiters ist in diesemProjekt weniger die „große Geschichte“ zentraleErkenntnisperspektive, vielmehr soll „Geschichtevon unten“12 dazu beitragen, den Weg Öster-reichs in den Nationalsozialismus anhand vonlebensgeschichtlichen Interviews zu rekonstru-ieren, mithin individuelles Gedächtnis anschluss-fähig zu machen für kollektives Gedächtnis. Ins-besondere wird untersucht, über welche Kanäleund „Medien“ der „Anschluss“-Gedanke, derNationalsozialismus und Antisemitismus kom-muniziert und verbreitet wurde. Markus Behmer hat – siehe oben – jüngst darge-legt, welche Vorzüge die Methode der Oralhistory im Kontext medien- und kommunikati-onshistorischer Fragestellungen aufweist.13 Folge-richtig wurde auch in diesem Forschungsvorha-ben mit kommunikationsgeschichtlicher Schwer-punktsetzung danach getrachtet, Fragen histori-

scher Rezeptions- und Wirkungsforschung zustellen. Die mediale und kommunikative Wegbe-reitung von NS-Gedankengut und „Anschluss“-Idee stand – bei allen Schwierigkeiten der Erin-nerung an „Alltagshandeln“ wie etwa Medien-konsum – im Mittelpunkt des Leitfadens. DieGrundidee trotz aller Hemmnisse war, subjektiveBedeutungsstrukturen zu erschließen, die sich imfreien Erzählen über bestimmte Ereignisse her-ausschälen, sich einem systematischen Abfragenaber verschließen würden.14

Als Orientierungsrahmendiente ein Gesprächsleitfa-den, der die drei einanderüberlappenden BereicheIndividuum, mediales bzw.politisches System umfasst.Aneignung von Wissen undWerten um den Nationalso-

zialismus, Fragen der kollektiven Identität, Fra-gen des Medienkonsums bzw. der kommunikati-ven Ebene auf dem Weg in den Nationalsozialis-mus sowie die retrospektive Einordnung undBewertung der spezifisch österreichischen „Ver-gangenheitsbewältigung“ zwischen Verleugnungund Verdrängung (vgl. Opfermythos) sind diezentralen Inhalte dieser Zeitzeugengespräche.Fokussiert ist dieser Leitfaden auf den individuel-len Erfahrungsbereich des Individuums – jedochkönnen die Schnittmengen zur medialen Öffent-lichkeit („kommunikative“ Ebene) sowie zurhistorisch-politischen („kognitive“) Ebene nichtausgeblendet werden. Zur Verdeutlichung sollen hier wesentlicheinhaltliche Kategorien bzw. Fragenkomplexe aus-zugsweise dargestellt werden:

Leitfaden: Inhaltliche Kategorien

a) Lebensgeschichte

• soziodemografische Daten (Geburtsdatum, Ortetc.), Geschlecht • soziales Umfeld / Milieu / Herkunftsfaktoren(Eltern, Familie, „Stand“, etwaige politisch-ideolo-gische Hintergründe etc.)

10 Ziegler, Meinrad/Kannonier-Finster, Waltraud:Österreichisches Gedächtnis. Über Erinnern und Vergessen derNS-Vergangenheit. 2. Aufl. Wien: Böhlau 1993.

11 vgl. dazu etwa Uhl, Heidemarie: Zur Rekonstruktion derVergangenheit im Gedenkjahr 1938/88. Eine Analyse derösterreichischen Medienberichterstattung zum „Anschluß“-Gedenken. In: medien & zeit 3 (1991), S. 33-40 sowie dieBeiträge von Klaus Kienesberger sowie Birgit

Entner/Ulrike Fleschhut im vorliegenden Heft von medien& zeit.

12 vgl. Ehalt, Geschichte von unten.13 Behmer, Quellen selbst erstellen.14 vgl. Mayring, Philipp: Einführung in die qualitative

Sozialforschung. Eine Anleitung zu qualitativen Denken. 5.Aufl. Weinheim: Beltz 2002, S. 72.

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In diesem Oral history-Pro-jekt wurde versucht, dieGeschichte des „Anschlusses“aus der Sicht von Zeitzeugenzu rekonstruieren.

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• Schulische und berufliche Sozialisation (Schulbil-dung, Berufsausbildung und -ausübung; Motive,Beweggründe, Einschätzungen)

b) Lebensgeschichte im Kontext von Medien undÖffentlichkeit

• Mediale Sozialisation: Welche Medien wurdenwarum und wie intensiv genutzt / zu welchen hattedie Person überhaupt Zugang?• Auf Beispiele (Radio, konkrete Tages- undWochenzeitung bzw. Kino-Wochenschau) bezogeneindividuelle Angaben zu Medienaneignung, -nut-zung, und -bewertung • Erinnerung an den zeitgenössischen Medienkon-sum: besonders eindrückliche Erinnerungen (Zei-tungen, Artikel, Wochenschauen, Radiosendungen,Filme?) – warum eingeprägt?• Haben Menschen im Umfeld (gemeinsam?) Medi-en genutzt und gab es Kommunikation über Medie-ninhalte?• Welche kommunikativen Strukturen (Familie,Ausbildung, Beruf, öffentliches oder vereinsgebunde-nes Leben) sind in Erinnerung geblieben – gab eskommunikative „Autoritäten“ (im Sinne eines„Meinungsführers“)?

c) Lebensgeschichte im Kontext von Politik undGesellschaft

• Politische Sozialisation: Wann, warum, wie unddurch wen für Politik interessiert• Politische Einstellungen und Werthaltungengegenüber einzelnen Parteien, dem austrofaschisti-schen Ständestaat und dem Nationalsozialismus.• Aktiv politisch tätig (oder jemand im näherenUmfeld)?• Involvierung in NS oder Parteiorganisationen,NSDAP-Mitgliedschaft• Religion: Affinität zu Katholizismus, Glaubens-fragen

E (Individueller) Erfahrungsraum im Kontextvon Politik, Propaganda und „Anschluss“

• Wann und wie von Nationalsozialismus, politi-schen Entwicklungen in Deutschland, Hitler oderanderen NS-Themen mitbekommen?• Bild des Nationalsozialismus bzw. der politischenInhalte im Wandel der Zeit (z.B. nach der „Macht-ergreifung“ 1933, dem Juliputsch 1934, dem Juli-abkommen 1936 hin zum „Anschluss“): Wie hatsich dieses Bild geprägt oder geändert?

• eigene Zuordnung/Identität – als „Österreicher“oder als „Deutsche“ gefühlt• Welches Bild von Hitler wurde vor dem„Anschluss“ überliefert – wodurch wurde dieses Bildgeprägt? Wie waren die Einstellungen zuHitler/Deutschland/Nationalsozialismus im Verlaufder Zeit?• Wissen über Antisemitismus: wann und wiedamit konfrontiert, wie reagiert? • Austrofaschistische, nationalsozialistische, antise-mitische Propaganda – wie und in welcher Formvermittelt? (Familie, Bekannte, Schule/Beruf?)• Wurde man durch Medien oder Personen „über-zeugt“ bzw. was beeinflusste mehr? …

„Anschluss“:• Hitler am Heldenplatz? Jubelnde Menschenmas-sen? Wie und wo hat die Person den „Anschluss“erlebt? Welche Gedanken, Emotionen oder Ängsteprägen die Erinnerung?• Welche Informationen, welche Stimmungen hatdie Person vom 12. März , vom Tag des „Anschlus-ses“ durch die Medien bekommen?• Herrschten anfänglich Euphorie oder Zweifel am„Anschluss“ vor, wie wurden diese durch Medienvermittelt/geprägt?• Persönliche, familiäre Betroffenheit durch„Anschluss“/Nationalsozialismus?• Bei jüngeren Zeitzeugen: wurden die Geschehnissedurch die Eltern vermittelt? Wenn ja, wie?• Gab es auch eine kritische Diskussion über den„Anschluss“? Konkret wahrgenommene Veränderun-gen im „Alltag“?• Wie wurde die Volksabstimmung am 10. April1938 empfunden? …

Gedenken an den „Anschluss“:• Welche Assoziationen und Konnotationen verbin-det die Person heute mit dem Wort „Anschluss“?• Der „Anschluss“ wurde von den Alliierten in derMoskauer Deklaration als „gewaltsame Annexion“Hitler-Deutschlands dargestellt, daher sei Österreichdas erste Opfer und in seiner vollständigen Souver-änität wiederherzustellen. Dieser Zusammenhangbegründete den Opfer-Mythos, der in der ZweitenRepublik nach wie vor weit verbreitet ist - Wie stehtdie Person zu dem Bild der Opferrolle Österreichs?• Wie hat sich die eigene Meinung dazu – mögli-cherweise auch durch Medienberichterstattung undöffentliche Diskurse – verändert? …

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III Auswertung der inhaltlichen Kategorien

Soziodemografische AspekteGanz im Sinne der oben dargestellten Program-matik, „Geschichte von unten“ zu betreiben,wurde danach getrachtet, mittels einer Zufalls-stichprobe, die einen – wenn auch nicht reprä-sentativen – Querschnitt der Bevölkerungabdeckt, möglichst die gesamte Breite an Erinne-rungen, Einstellungen und Lebensverläufenabzudecken. Befragt wurden 105 Personen, in die(vorläufige) Auswertung wurden 100 Personenaufgenommen. Ausschließungsgrund dabei war,dass die Person zur Zeit des „Anschlusses“ (noch)nicht in Österreich lebte. Naturgemäß konntendaher zu den zentralen inhaltlichen Kategorienkaum Aussagen bzw. nur solche aus einer kaumvergleichbaren Außenperspektive getätigt wer-den. Die Zufallsstichprobe weist eine zufrieden-stellende Streuung auf, was die Verteilung demo-grafischer Faktoren auf Geburtsjahrgänge,Geschlecht, Wohnort und -milieu betrifft.Personen der Geburtsjahrgänge 1910 bis 1918sind jeweils ein- bis zweimal in der Stichprobeenthalten, stellen gegenüber der Alterskohorteder 1919 bis 1927 Geborenen die Minderheitdar. In diesen Jahrgängen wurden jeweils zwi-schen fünf und sieben Personen befragt. Aus-reißer sind die Jahrgänge 1920 und 1925 – ausdiesen beiden sind jeweils 14 Zeitzeugen in derStichprobe enthalten. Schon dieser grobeÜberblick zeigt, dass es sich bei den für diesesProjekt Befragten in der Regel um Personen han-delt, die zur Zeit des „Anschlusses“ noch Jugend-liche bzw. junge Erwachsene waren. Dies wird beider Auswertung und Bewertung noch eine Rollespielen.Die Geschlechterverteilung ist mit 51 Frauen und49 Männern beinahe ausgewogen, ebenso was dasLebensumfeld betrifft. Dabei wurden bloß Wienund die Landeshauptstädte als „urban“ einge-stuft, der Rest der Herkunftsorte unter weitestge-hend „ländlich“ subsummiert. Auch dieser Faktorwird in der zusammenfassenden Betrachtung vongesonderter Bedeutung sein. Ergo weist die Bun-desländerstreuung einen deutlichen Überhang fürWien aus: Bis auf sechs Gesprächspartner ausLinz bzw. Graz lebten im betreffenden Zeitraumalle Zeitzeugen im urbanen Umfeld in Wien (44)

– hinzugezählt wurden auch die 1938 eingemein-deten Ortsteile, die zuvor am Rande Wiens lagen(hier lebten zwei Personen). Die weiteren 50Gesprächspartner stammen aus ländlichen Regio-nen aller österreichischer Bundesländer – Nie-derösterreich (17), Oberösterreich (14), Steier-mark (7), Kärnten (4), Vorarlberg (3), Salzburgund Burgenland (je 2) sowie Tirol (1). Da dieOral history-Gespräche im Zuge eines Lehrveran-staltungsprojekts mit Studierenden am Institutfür Publizistik- und Kommunikationswissen-schaft durchgeführt wurden, bildet sich dadurcherkennbar auch die regionale Herkunft der Stu-dierenden ab. Nicht zuletzt soll noch einem Fak-tor Beachtung geschenkt werden, der in metho-dologischer Hinsicht relevant erscheint: Bei 15Befragten (also einem Sechstel) handelt es sichum Großmutter bzw. Großvater der Interviewer,in weiteren zehn Fällen besteht ein anderes ver-wandtschaftliches Verhältnis. Eine systematischeVerzerrung aufgrund der Gesprächssituation,etwaiger Vorkenntnis oder auch familiärer Tabuskann somit weitgehend ausgeschlossen werden –nicht zuletzt, da der Projektkontext in manchenFällen eine neue Vertrauensbasis begründete unddie Zeitzeugen erstmals über diese Zeit sprachen.

Der „Anschluss“ aus der Sicht der Zeitzeugen:Motive und Erklärungen„Wir wollten einfach nur überleben.“15 DieserSatz einer Zeitzeugin beinhaltet mehr als nur eineKernaussage, die den Erkenntnissen der inhalts-analytischen Auswertung der Zeitzeugenge-spräche entspringt. Ein anderer Zeitzeuge, einKommunist, der im Untergrund kämpfte undgleich nach dem „Anschluss“ aus Österreich floh,fasste die Gründe für die Begeisterung für dasAufgehen des Heimatlandes in einem Groß-deutschland mit einem Satz von Brecht zusam-men: „Erst kommt das Fressen, dann die Moral“(O.R.).Tatsächlich orteten beinahe alle Befragten – obnun Anhänger, Gegner oder Mitläufer des NS-Regimes – die Gründe für den „Anschluss“ in derArmut, in der wirtschaftlichen Not, die die ErsteRepublik geprägt hatte. Die Hoffnung auf Besse-rung habe die Menschen in die Arme der Verfüh-rer, der Versprecher getrieben, die bereits inDeutschland gezeigt hatten, wie man Arbeitslo-sigkeit effektiv zu bekämpfen habe. Oft hörten

15 Nachfolgend genannte Personen werden anonymisiertdargestellt (hier Karla R.). Vgl. dazu im Detail dieZeitzeugenporträts im unveröffentlichten Projektbericht:Duchkowitsch, Wolfgang/Semrad, Bernd/Vogl, Erich:

„Anschluss“-Diskurse. MA7/3627-07.Für die Vorbereitung dieses Beitrags und dieUnterstützung bei der Auswertung der Transkripte seiErich Vogl großer Dank ausgesprochen.

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die Österreicher von Bekannten aus Deutschlandbzw. von aus Deutschland heimgekehrten Arbei-tern, die von nahezu paradiesischen Zuständenim Nachbarland berichteten. Im ständestaatli-chen Österreich hingegen dominierte die Armut,sorgte die Sorge um die Zukunft für Flexibilitätbei potenziellen neuen Regierungsformen. „DerStändestaat war ja auch eine Diktatur“, formu-lierte es stellvertretend Zeitzeuge K. H., „da fielder Gang in die nächste nicht so schwer.“ Manche Zeitzeugen verwiesen allerdings auch aufdie seit dem Ende des Ersten Weltkrieges vorhan-denen politischen Tendenzen Richtung Deutsch-land. Österreich sei Träger deutscher Kultur hießes, Österreich sei alleine nicht lebensfähig.Zudem hätten die Politiker beinahe aller Cou-leurs von Beginn der Ersten Republik an denWunsch nach einem Aufgehen Österreichs ineinem Großdeutschen Reich geäußert – mehrereZeitzeugen erwähnten diesbezüglich den NamenKarl Renner, aber auch die Kirche, namentlichKardinal Innitzer, die sich zunächst positivgegenüber den Entwicklungen, die in den„Anschluss“ mündeten, gezeigt hatten. ManchGesprächspartner verwies auch auf die Friedens-verträge von St. Germain und Versailles, die dieEntwicklungen in Österreich und Deutschlandvorherbestimmt hätten.Rund neun Zehntel derBefragten sprachen 70 Jahredanach jedenfalls von allge-meiner Begeisterung in derBevölkerung für den„Anschluss“. Als persönlichangetan deklarierte sichjeder Zweite, ein Viertelwollte dem „Anschluss“ neutral gegenübergestan-den sein, 17 behaupteten, Skepsis bzw. Ableh-nung bei der Annexion verspürt zu haben. DieDaten werden untermalt von Schilderungen,etwa von Mädchen, die die deutschen Soldatenumarmten und mit Blumen und Küssen bedach-ten, von Freudentränen auf dem Heldenplatz,von großer Freude, dass die Knechtschaft nunvorüber sei, von Freudenkundgebungen überall.Schon vorher, so die Berichte, müssten Teile derBevölkerung auf den „Anschluss“ vorbereitetgewesen sein, zahlreiche Zeitzeugen erzählen vonvon Hakenkreuzansteckern, die Kindern schonvorab gegeben worden waren (vgl. z.B. Franz Z.und Emmi F.), oder Hakenkreuzfahnen und -bin-den, die sofort beim Einmarsch zur Verfügungstanden sowie von illegalen Nationalsozialisten,die im Ständestaat Propaganda für den

„Anschluss“ getrieben hätten (vgl. etwa Frau S.).Der „Anschluss“, kommentierten Zeitzeugen, seifür viele Menschen – vor allem aus wirtschaftli-chen Motiven heraus – erstrebenswert gewesen. „Lieber Hitler sei so nett, und zeige dich vomFensterbrett“ – diesen Satz brüllten die Men-schenmassen, die sich unter dem Hotel Imperialversammelt hatten, um den Diktator zu sehen,erinnert sich Martha K., die hinzufügte, sie, alsdamals 16-Jährige und ihre Altersgenossen hättenweniger aus Freude über Hitlers Ankunft als viel-mehr aus Begeisterung für den Spruch an sichund um des Schreiens willen mitgemacht. Manche Interviewte nannten auch Prozentzah-len, die ihrer Meinung nach die Verhältnisse überdas Ausmaß der Befürworter ausdrückten – dieAngaben reichten von mehr als 50 Prozent bis zu90 Prozent. Jedenfalls gab es keinerlei Aussage,die sich unter 50 Prozent bewegte. Ebenso hochist die Anzahl jener, die eine positive Entwicklungnach dem März 1938 erkannten. Manche spra-chen sogar von „einem sehr schönen ersten Jahrnach dem ‚Anschluss‘“ (Emmi F.), von allgemei-nem „Aufschwung“ (z.B. Ing. L., Herr P.), kon-kret wurden der Autobahnbau, das „Geld fürMütter“ (Theresia E.) und generell Arbeitsplatz-beschaffung genannt. Während einige die einkeh-rende Ordnung und Organisation durch die

Nationalsozialisten begrüß-ten, zeigten sich viele ande-re erschreckt von Denunzi-antentum, Gleichschaltung,von der Angst, etwasFalsches zu tun, von deroffenbar überall präsentenAngst vor Bespitzelung, vor

der Gestapo, vor dem Konzentrationslager. Die Angst ist ein wesentlicher Faktor in den Aus-sagen der Zeitzeugen. Niemand hätte sichgetraut, gegen das Regime aufzutreten, da sonstdie Todesstrafe drohte, lautet ein Tenor. Von eini-gen Zeitzeugen wird ein differenzierterer Blickauf den „Anschluss“ eingenommen, wenn es umdie Motivlage geht, dass nämlich eine Zustim-mung zum „Anschluss“ nicht gleichzusetzen wäremit uneingeschränkter Sympathie mit den Natio-nalsozialisten.

Hitler und der „Führerkult“Diese Tendenz wird bestätigt durch die Antwor-ten zum Komplex „Hitler und NS-Ideologie“ –oft wurde Hitler skeptisch beäugt, viele damalsjunge Menschen sagten, die Jugend sei begeistertund unkritisch dem NS-Regime gefolgt, wogegen

Die Angst ist ein wesentlicherFaktor in den Aussagen derZeitzeugen. Niemand hättesich getraut, gegen das Regi-me aufzutreten.

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die Älteren sehr oft geahnt hätten, dass der Wegmit dem „Führer“ ein böses Ende finden würde.Die meisten Befragten allerdings meinten, manhätte ja nicht wissen können, dass Hitler Kriegund Vernichtung im Sinn gehabt habe. AdolfHitler jedenfalls wurde von Teilen der Bevölke-rung nahezu vergöttert – vielfach fallen bei derFrage nach der Bedeutung des Diktators unterden Österreichern Formulierungen wie „Messias“(z.B. Othmar L., Frau J.), „Heiliger“ (Fritz Z.),„wie ein Gott verehrt“ (Josef G.), oder „Retter derZivilisation“ (Fritz P.), sprachliche Bilder, wie sievon der Propaganda der Nationalsozialistenbewusst eingesetzt wurden, was wiederum vonder Bevölkerung (so einGutteil der befragten Zeit-zeugen) erkannt und zumTeil auch bewundertwurde. Stellvertretend da-für stehen Aussagen wie„Goebbels war ein Genie“(Dr. Karl B.); „Goebbelskonnte alle mitreißen“ (Gertrude P.); „Die jungenLeute von heute hätten den Hitler einmal erlebensollen, wie der reden konnte, da wären sie auchbegeistert gewesen“ (Frau A.); „Da wurde mitMordspropaganda inszeniert“ (Karlfranz O.).Hitler, so eine Aussage, habe zur richtigen Zeitdas Richtige gewollt und den Leuten das Richti-ge gesagt. Er habe Arbeit und Ordnung gebracht.Der Jugend sei Disziplin beigebracht worden,lautet eine Ergänzung, etwas, das der heutigenGeneration fehle (vgl. Resi und Rudolf W.).Von Hitler sei eine besondere Ausstrahlung aus-gegangen, die Frauen seien verrückt gewesennach ihm, er habe schöne, ausdrucksstarke Augengehabt, so erklären einige Zeitzeugen die Wir-kung Hitlers auf die Massen, die auch als Mas-senhysterie bezeichnet wird. Vor allem die Ereig-nisse auf dem Heldenplatz und vor dem HotelImperial, als sich der Diktator den Massen prä-sentierte, blieben in der Erinnerung vieler Men-schen haften. Andere hingegen berichteten vonHitler als einem dauernd schreienden, hässlichenAgitator, von dem nichts Gutes ausgegangen wäre(z.B. Johannes R.).Als eine generelle Erkenntnis aus der Analyse derGespräche lässt sich festhalten: Die Menschenstanden Hitler zunächst mehrheitlich positivgegenüber, da er die in ihn gesetzten Hoffnungender Österreicher nach Arbeit und Nahrung erfüll-te. Viele Menschen waren froh, die Armut hintersich gelassen zu haben und in bessere Zeitenblicken zu dürfen. Die Stimmung allerdings

kippte für viele mit Beginn, spätestens mit demnegativen Verlauf des Krieges, einige wenige aller-dings erachteten die Expansionsbestrebungen alsvernünftig, da es sich um deutsche Gebiete han-delte. Zu diesem Zeitpunkt, nach dem erfolgrei-chen Polenfeldzug, sei die Stimmung, so berich-ten einige Zeitzeugen, in breiten Teilen derBevölkerung noch hervorragend gewesen (vgl.u.a. Frau Brunhilde, Ruth Sch., Fritz Sch.).

Österreich, Opfer, TäterDer Opferrolle Österreichs können jedoch diewenigsten Befragten etwas abgewinnen. Stetswird betont, dass sich unter den Tätern auch

zahlreiche Österreicher be-fanden, dass die meisten den„Anschluss“ ja herbeige-sehnt hätten und dass beider Annexion selbst keinWiderstand geleistet wurde,wobei oft Schuschniggzitiert wurde mit den Wor-

ten, man möge kein deutsches Blut vergießen(Ruth Sch, Dr. Heinz Z.). Den Rassenwahn hät-ten zwar die Deutschen eingeleitet, doch dieÖsterreicher hätten sich daran beteiligt, „Öster-reich kann kein Opfer gewesen sein, denn dieLeute waren reif, dass sie selber entscheidenkonnten“, befand Zeitzeugin Hermine R., eineandere bezeichnete die Opferthese als eine großeLüge (Rosa W.), ein anderer meinte, mit derOpferthese habe Österreich 40 Jahre lang gutleben können (Fritz Z.).

Antisemitismus und das Wissen um Konzen-trationslagerDem heiklen Thema Antisemitismus wurde voneinem Großteil der Befragten nicht ausgewichen– die überwiegende Mehrheit erzählte, von Anti-semitismus bzw. von Konzentrationslagerngewusst zu haben (die Namen Dachau undMauthausen wurden vornehmlich genannt, sel-ten, doch vereinzelt auch Auschwitz), doch nurganz wenige Personen gaben an, von Judenver-nichtungen mitbekommen zu haben. Kernaussa-gen: „Erst nach dem Krieg haben wir Kenntniserlangt von den Gräueltaten“ (vgl. u.a. Frau A.;Frau Brunhilde), und „man dachte, es handeltesich bei Konzentrationslagern um Arbeits- bzw.Umerziehungslager, wie man sie aus dem Stände-staat kannte“ (Joseph J.; vgl. auch Maria B.;Maximilian B.). Von Misshandlungen hingegen –vor allem im Zuge der „Reichskristallnacht“ –konnten viele Zeitzeugen berichten (vor allem

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„Die jungen Leute von heutehätten den Hitler einmalerleben sollen, wie der redenkonnte, da wären sie auchbegeistert gewesen“ (Frau A.)

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Gehsteig putzende Juden wurden genannt), eini-ge hatten auch markante Ereignisse von schwerenMisshandlungen in Erinnerung behalten, als etwaKZ-Häftlinge vom Wachpersonal mit Gewehrenerschlagen wurden (Erika und Rudolf B.), oderals 13-jährige Kinder mitten auf der Straße einenJuden halb tot prügelten und ihm drohten, denPenis abzuschneiden (Edith I.). Bemerkenswertist auch die – zurückzuführen auch auf dieDurchschnittsjahrgänge der Befragten von 1920bis 1926 – häufige Nennung von jüdischen Kin-dern, die plötzlich nicht mehr in der Schule auf-tauchten. Rund ein Zehntel aller Gesprächspartner zeigteVerständnis für den Antisemitismus bzw. bezogoffen Stellung gegen Juden: „Die richtigen Judenhabe ich nicht gemocht“ (Frau K.); „Wir habendas – Judenhetze, Anm. – ein bisschen verstan-den, weil wir doch sehr verjudet waren“ (Dr.Charlotte R.), knapp ein Drittel stand dem Anti-semitismus neutral gegenüber bzw. hatte dazu auspersönlicher Erfahrung nichts zu erzählen, dezi-diert dagegen sprach sich ein gutes Drittel derZeitzeugen aus. Häufig jedoch tauchte „der Jude“in den Erzählungen als in der Bevölkerung veran-kertes Feindbild auf, das bereits lange vor Hitlerpräsent war. Die Juden seien für Krankheiten undMissernten verantwortlich gemacht worden, dieNationalsozialisten hätten sich dieser Klischeesbedient. Als die am meist gebrauchten Stereotypeentpuppten sich die „Wucherzinsen“ die dieJuden von den armen Leuten verlangten (vgl. z.B.Frau U. K.), die „Wucherjuden“, „Das Geldma-chen, das ist in den Juden drin“ (vgl. Maria S.).

Abschied von ÖsterreichVielfach bezeichneten sich die befragten Personenpolitisch desinteressiert, was ebenso vornehmlichan der Altersstruktur gelegen haben mag – soerklärte ein Großteil der politisch nicht engagier-ten bzw. interessierten Personen, man sei einfachzu jung gewesen, zudem habe man generell ande-re, existentiellere Sorgen gehabt. Dennoch blie-ben vielen Menschen gewisse Vorgänge und Ent-wicklungen auch aus der Zeit des „Austrofaschis-mus“ haften. Neben den aufstrebenden illegalenNationalsozialisten und der Armut (zahlreicheBerichte von bettelnden Menschen und großerVerzweiflung über die Arbeitslosigkeit) und denpolitisch unruhigen Zeiten waren es vor allemdrei spezielle Ereignisse, die sich im kollektivenGedächtnis festsetzten. Erstens der Bürgerkriegvon 1934 (Mit Tränen in den Augen, berichtetetwa Rudolf P., habe ihm der Vater die Einschuss-

löcher beim Karl-Marx-Hof gezeigt); zweitens dieErmordung von Kanzler Dollfuß („Dabei hatteich Tränen in den Augen und verspürte Hass“,Dr. Franz S.; „Ein Freund hat bei der TrauerfeierVioline gespielt“; Rosa W.); drittens dieAbschiedsrede von Kanzler Schuschnigg („DieWorte haben mich tief berührt“, Emmi F.; Daswar so wahnsinnig traurig“, Dr. Charlotte W.).Mehr als ein Sechstel berichtete von persönlichenErinnerungen an die Abschiedsworte Schusch-niggs „Gott schütze Österreich“.Die Beantwortung der Identitätsfrage gestaltetesich als nicht einfach, nur etwa ein Drittel derBefragten ging konkret auf diesen Aspekt ein.Dennoch ergab sich ein interessantes Ergebnis –etwas mehr als 30 Prozent betonten, sich zur Zeitdes „Dritten Reiches“ als Deutsche gefühlt zuhaben (zwei davon sahen sich auch im Jahr 2008als solche), weitere 30 Prozent als Österreicher,der Rest konnte bzw. wollte kein klares Urteil fäl-len und wurde also in die Kategorie „neutral“ ein-geordnet. Bei den Argumenten für das „Deutsch-tum“ fanden sich vornehmlich Ausführungen wie„Österreich als Träger der deutschen Kultur“(Ing. L.), damals seien eben alle Deutsche gewe-sen, zu Deutschland zu gehören habe nichtgestört oder „Sehnsucht der Österreicher nacheinem geeinten Deutschland“ (vgl. Herr C.).Der Krieg kann als die einschneidende Verände-rung im Bewusstsein gedeutet werden. Nach derersten allgemeinen Euphorie sei zunächst im Sep-tember 1939 die Ernüchterung eingetreten undbei vielen die Erkenntnis, wofür die Arbeitsplatz-beschaffung gedient hätte. Dennoch befandenzahlreiche Interviewpartner, die Depression habeerst mit der Kriegswende eingesetzt, vor allemmit der Niederlage von Stalingrad. Davor hättenHitlers Feldzüge samt den daraus resultierendenBlitzsiegen der allgemeinen Zufriedenheit undBewunderung kaum Abbruch getan. Für beinahealle Befragten ist der Krieg das Schrecklichste ausder Zeit des Nationalsozialismus. Die Traumatader Frauen waren die Bombenangriffe sowie dieAngst vor den russischen Besatzern, jene derMänner Hunger, Durst sowie Erlebnisse mit Par-tisanen und Angriffe, bei denen sie beinahe umsLeben gekommen wären. Ein Offizier etwa schil-dert die Angst, die ihn befiel, als er und seineTruppe im Frühjahr 1945 von Partisanen gefan-gen wurden, er sich fragte, ob er seine Frau undseine Kinder jemals wieder sehen würde, ob sieüberhaupt noch lebten, und bei all diesen Gedan-ken sei ihm einzig die Gewissheit zugute gekom-men, über einen letzten Ausweg zu verfügen – die

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geladene Pistole, um seinem Dasein ein Ende zubereiten (Erich V.). Der gleiche Offizier ver-schaffte einige Monate davor in einem Feldpost-brief an seine Frau seiner Entrüstung über dasStauffenberg-Attentat Luft. Die Attentäter seienhirnverbrannte Verräter, man schäme sich in die-sen Tagen, deutscher Offizier zu sein. Für andere wiederum prägten sich die Eiseskälte(minus 53 Grad) der Ostfeldzüge sowie „einge-schlagene Schädel von Kameraden“ (Johann D.)auf immer ein. Für manche hingegen war derKrieg eine Notwendigkeit, zumal zunächst ja ein-zig deutschsprachige Gebiete einverleibt wordenseien, was eine legitime Angelegenheit dargestellthätte. Erst danach, mit der Kriegserklärung andie Westmächte, hätte sich der Krieg zu einemFlächenbrand ausgeweitet (vgl. Fritz Sch.). DerÜberfall auf die Sowjetunion wurde von einemKriegsteilnehmer als richtige, präventive Maß-nahme erachtet (vgl. Rudolf W.).Der Großteil der Soldaten aber dachte anders. AlsHans B. bei einem Angriff einen Kameraden fal-len sah, „da dachte ich: Ich war noch nie in denArmen eines Mädchens. Wenn ich jetzt sterbe,habe ich etwas wahrscheinlich sehr Schönes nichterlebt.“

Geistige Wegbereitung & MedienkonsumErwartungsgemäß gestaltete sich die Beantwor-tung der Fragen nach der medialen Wegbereitungdes Nationalsozialismus und die retrospektiveBetrachtung des eigenen Medienkonsums sowiedie Rekonstruktion kommunikativer Strukturenschwierig. Daraus resultieren für die kommunika-tionshistorische Interpretation und Bewertungentsprechende Grenzen. Dennoch lassen sich ausden bislang vorliegenden 100 Gesprächen bereitsentscheidende Faktoren herausfiltern, die bei derweiteren Betrachtung aus lebensgeschichtlicherPerspektive mitbedacht werden müssen.So hängt die Ausdifferenzierung der Kategorienvon Erinnerungsleistung der Zeitzeugen ebensoab wie von unbewussten oder bewussten Vorgän-gen selektiver Erinnerung (Verdrängen, Ver-schweigen) sowie von der kognitiven Ebene derHauptkategorie. Es zeigte sich in den Erinne-rungsinterviews deutlich, dass die Ebene dermedialen Erfahrung weniger detailliert erinnertwerden kann als das globale Erleben von Propa-ganda, Repression und Angstvermittlung. Ebensokönnen für die Realität gesellschaftlicher Kom-munikation deutliche Anzeichen für einen hierar-chisierten Kommunikationsfluss ausgemachtwerden.

Dies liegt zum einen an der generationellen Lage-rung der Zeitzeugen (jugendliches Alter, schuli-sche Erfahrung bzw. Sozialisation in den NS-Jugendorganisationen), zum anderen an der Qua-lität des Erlebens – interpersonale Kommunikati-on wird stärker erinnert als medial vermittelteKommunikation, zumal der Zugang zu Medien-produkten (insbesondere Tageszeitungen) sehreingeschränkt war – und sich hier vor allem aufurbane Milieus konzentrierte. Für ländlicheBereiche hingegen zeigen sich noch deutlicherepatriarchal und katholisch geprägte Strukturen,die eine noch stärkere Geschlechtersegregationund Kommunikationshierarchie aufweisen. Hierzeigen sich Nutzungsmuster, die wie für dienationalsozialistische Propaganda geschaffenschienen: exklusive Wochenzeitungsleser, einestarke illegale NS-Bewegung und in den meistenHaushalten noch nicht einmal Radioempfangs-geräte.Radio als neues Medium übte überproportionaleFaszination auf den Großteil der Befragten aus:Die erste Konfrontation datiert auf deren Jugend-jahre, die Aneignung eines neuen Mediums informaler und inhaltlicher Art wurde dadurchbefördert. Die häufige Erwähnung des Radios istdadurch weitgehend erklärbar, allerdings darf diehäufige Nennung der „Schuschnigg-Rede“(„Gott schütze Österreich“) am Vorabend des„Anschlusses“ nicht überbewertet werden. Eherrekurriert diese Erinnerung auf nachträglich„Gelerntes“ als auf Primärerfahrung am 11. März1938.

IV Fazit aus der Perspektive derErinnerungskultur

Alter der Zeitzeugen Wie bereits oben angemerkt, zeigte sich, dass einwichtiges Unterscheidungsmerkmal zu vergleich-baren lebensgeschichtlichen Studien das Alter derhier Befragten darstellt. Die vergleichsweisegering vertretenen Geburtsjahrgänge vor 1920sind inhaltlich/formal von der Mehrzahl der jün-geren Befragten zu unterscheiden. Zur Zeit des„Anschlusses“ befand sich der überwiegende Teilder Befragten im Kindes- oder Jugendalter bzw.im jungen Erwachsenenalter. Deutlich wurde,dass Kinder und Jugendliche durchweg „begei-stert“ vom Nationalsozialismus waren, was zuTeilen mit geringem Interesse an Politik,Unkenntnis, alters- und geschlechtsbedingtemHeraushalten der Kinder/Jugendlichen aus Poli-

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16 vgl. dazu die frühen Polemiken der Arbeiterzeitung ebensowie des Kleinen Blatts vor deren Verbot bzw. Umwandlungin eine ständestaatliche, Dollfuß-treue Zeitung 1934;Detailergebnisse dazu in der Teilstudie „MedialeWegbereitung des Nationalsozialismus“, deren Publikationzur Zeit vorbereitet wird.

17 vgl. dazu den Kommentar von Gerhard Botz: Diescheinbar eiserne Logik der Krise. In: Der Standard, 10.März 2009, S. 39 – Botz sieht Parallelen zwischen derAnziehungskraft der rechtspopulistischen Parteien vonheute mit der Anziehungskraft der NSDAP, vor allem wasdie Gewinnung „der Jugend“ betrifft.

18 vgl. dazu etwa prägnante Ergebnisse derdiskursanalytischen Betrachtung des Erinnerungsdiskurseszum „Anschluss“ im Beitrag von Ulrike Fleschhut undBirgit Entner in diesem Heft.

19 vgl. den unpublizierten Beitrag von C. H.20 Dies kann auch als Hinweis auf die widerstreitenden

Erinnerungsorte bestimmter Bevölkerungsgruppengesehen werden. Während Widerstand als Erinnerungsortzur Stützung der „Opferthese“ missbraucht wurde, sehenehemalige Widerstandskämpfer dies differenzierter. Vgl.dazu den Beitrag von Klaus Kienesberger in diesem Heft.

tik genauso zu tun hat wie mit dem kaum ausge-prägten Zugang bzw. Möglichkeit zu kritischerMeinungsbildung. Ebenso zeigt sich ein deutli-ches Stadt-/Land-Gefälle.Ein bedeutender Faktor in der Wegbereitung desNationalsozialismus liegt also in der Einbezie-hung der Jugend. Wiewohl aus heutiger Sicht –und klaren, unverstellten Blickes – klar ist, dassdie sogenannte „Arbeiterpartei“16 vielmehr eine(asymmetrische) Volkspartei war, die jedoch inbeträchtlichem Ausmaß junge Menschen anzog.17

Stellvertretend dafür sei ein kursorischer Quer-schnitt durch die Aussagen der Zeitzeugen ange-führt: Von „Befreiung vom Elternhaus“, „Aben-teuer und Erlebnis“ ist die Rede, erst „danach“(nach dem Krieg; Anm.) sei vielen klar geworden,dass dies der „Ertüchtigung für den Militär-dienst“ o.ä. gedient habe.

Externalisierung von Verantwortung/Schuld Eine exkulpierende Argumentationsstrategie(bewusst oder unbewusst) verweist auf ein Narra-tiv, das die Zweite Republik wie kein anderesgeprägt hat: Österreich als Opfer des Nationalso-zialismus. Ähnlich der Ebene medial vermittelterErinnerungskultur zeigen sich bei Zeitzeugen invermehrtem Ausmaß Rechtfertigungen, warumdie Österreicher zunächst sehr wohl den„Anschluss“ herbeigesehnt, zumindest bejubelthaben – dann aber spätestens mit der Wende desZweiten Weltkrieges bemerkten, was der Natio-nalsozialismus tatsächlich brachte: Es wird auf diewirtschaftliche Not hingewiesen, Österreichkönne – so die Lesart der Zeitzeugen – als wirt-schaftliches Opfer gesehen werden. Ähnlich verhält es sich mit einer anderen Ursachedes „Anschlusses“, der mangelhaft ausgeprägtenIdentität Österreichs.18 Wenngleich der austrofa-schistische Ständestaat seinen gleichgeschaltetenMedien einen Rot-Weiß-Rot-Patriotismus dik-tierte, konnte dies nicht darüber hinwegtäuschen,dass die Anhänger der untergegangenen Habs-

burger-Monarchie genauso wie jene (quer durchalle Lager) verbreiteten Teile der Gesellschaft, diesich als Deutsch-Österreicher verstanden, mitdieser oktroyierten Identität etwas anfangen.Dass selbst Sozialdemokraten von 1919 an den„Anschluss“ forderten, sich als „deutsche“ Arbei-terpartei sahen und daher ebenso wenig ver-mochten, eine genuin österreichische Identität zuformen, soll hier nur am Rande erwähnt werden.An dieser Stelle sei angemerkt: Über die Gültig-keit einer „Schweigespirale“ (Elisabeth Noelle-Neumann), eine der wichtigsten theoretischenGrundfragen der Kommunikationswissenschaft,kann bislang nur unzureichend befunden werden– wenn wie hier ausschließlich auf die Quelle derlebengeschichtlichen Interviews zurückgegriffenwird. An anderen Orten19 wurde davon gespro-chen, dass die „Schweigespirale“ und deren biolo-gistischer Hintergrund eine Exkulpationsthesedarstellen, wonach „die Deutschen“ (also auchdie Österreicher zur NS-Zeit) zu großen Teilennur deshalb zugestimmt hätten, da sie aufgrundeiner Isolationsfurcht, die aus der Wahrnehmungeiner Repression („soziale Haut“) entspringt, die(bloß) vermeintliche Mehrheitsmeinung ange-nommen hätten. Allerdings müssen hiezu weitere Forschungenangestellt werden, da dieser Exkulpationsthesejust jene Zeitzeugenstimmen widersprechen, die– wohl aufgrund ihrer politisch-ideologischenSozialisation und Exposition (Widerstand,„Opfer“) – den „normalen“ per Zufallsstichprobegewonnenen Stimmen entgegenhalten, dass diesevermeintliche Zustimmung relativiert werdenmüsse. Zur Verdeutlichung: Während viele Zeit-zeugen davon sprachen, dass „70 %“, „80 %“,„90 %“, „die meisten“ oder gar „alle dafür“ gewe-sen seien, sagen Opfer des NS-Staats wie auchWiderstandskämpfer: „Was sind schon 100.000am Heldenplatz?“, „die Mehrheit war dagegen“,„Wie viele sind zu Hause gesessen und habengeweint…?“ etc.20

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21 vgl. Behmer, Quellen selbst erstellen, S. 346.

V Fazit aus kommunikations-historischer Sicht

Vorausgeschickt werden muss, dass – siehe oben– Oral history nur eine unter mehreren anderenQuellen für die wissenschaftliche Analyse dar-stellt und darstellen kann. Gleichwohl muss mitdem Haupttitel dieses Beitrags auch eine Feststel-lung getroffen werden, die einerseits nicht inAbrede gestellt werden kann und andererseitswesentliche Parameter für die Analyse der gewon-nenen Quellen aus kommunikationshistorischerSicht darstellen: Die nur bedingt planbare Aus-wahl der Zeitzeugen bringt mit sich, dass zu über-wiegenden Teilen Zeitzeugen befragt wurden, diezur Zeit des „Anschlusses“ im Kinder- undfrühen Jugendalter waren. Schon allein darausergeben sich methodologische Einschränkungen,die die Grenzen der Oral history nicht aufwei-chen, gleichwohl erklärbar machen. Einschrän-kend muss ebenso hinzugefügt werden, dass perOral history Faktoren der Mediennutzung, mit-hin der Rezeptionsforschung nicht hinlänglichgeklärt werden können. In diesem Fall stimmt es,dass sich die Quellen ausdünnen, je weiter derenWurzel zurückliegt. Auch Markus Behmer weistdarauf hin, dass Mediennutzung eine Form„flüchtigen Alltagshandelns“ darstellt, derenRekonstruktion sehr bald auf unüberwindbareGrenzen stößt.21

Die selektive Erinnerung der Zeitzeugen an derenMedienkonsum – zumal in deren Jugendalterund Adoleszenz – kann daher auch nicht letztgül-tig Aufschluss darüber geben, wie die o.g. Theseder Schweigespirale interpretiert und geprüftwerden können.Für vorliegenden Fall wird dies insofern relati-viert, als sehr häufig formale Aspekte hervorgeho-ben wurden, allen voran die Lautstärke desNationalsozialismus: Aus dem Radio habe Hitlergeschrieen, Goebbels habe geplärrt, die Massenhätten getobt o.ä. Auch konnten viele Zeitzeugenzumindest über Begleitumstände der Mediennut-zung Auskunft geben: Stichwort „Repressions-drohung“, „Kommunikationsunfreiheit“, „Zen-sur“ etc.

Angst und RepressionsdrohungWichtige Kategorien, die sich im Lauf derGespräche – auch im Zusammenhang mitMedienkonsum – als übergreifende Narrative

herausstellten, betreffen „KZ“ und Deportatio-nen von „missliebigen“ Personen. Das „Ver-schwinden“ von Personen, dass jüdische Nach-barn „abgeholt“ (sic!) wurden oder man nur„irgendwie“ gewusst habe, was in KZs passierte,taucht in vielen Gesprächen auf. Aber kaumjemand wollte z.B. von systematischen Judenver-folgungen gewusst haben. Viele Personen spre-chen auch vom „KZ“ und der Furcht, aufgrunddes Hörens von „Feindsendern“ im „KZ“ zu lan-den, argumentieren weiters, aufgrund dieserRepressionsdrohung „nichts gegen das Regime“gesagt haben zu können – gleichzeitig wollen sieaber nicht gewusst haben, was mit den KZ-Häft-lingen passiert. Währenddessen etwa – stellvertre-tend – Zeitzeugin Rosa M. sagt, „alle habengewusst, was in Mauthausen passiert, sonst hättensie ja nicht so große Angst davor gehabt.“ DieseJunktimierung scheint in vielen Fällen schlüssig,spricht auch der stockende Gesprächsfluss, Pau-sen, ausweichende Antworten und widersprüchli-che Auskünfte darüber, ob und wann jemandetwas von Judenverfolgung und KZs mitbekom-men habe, dafür, dass hier Verdrängung und Ver-schweigen nach wie vor als Gesprächsstrategienangewandt wurden.Namentlich wurde im kommunikationshistori-schen Kontext auch das Konzept des „Two-step-flow of communication“ ersichtlich. Paul F.Lazarsfeld („The People’s Choice“) begründetedamit die These vom opinion leader, der bewirkt,dass (Wahl-)Entscheidungen nicht (immer) auf-grund eines direkten Inputs getroffen werden,sondern zumeist durch Verstärkung eines „Mei-nungsführers“ gesprägt oder adaptiert werden.Hier muss zwar angemerkt werden, dass Lazars-feld zu jener Zeit in einem demokratischen Envi-ronment forschte (US-Präsidentschaftswahlen),dennoch kann das Konzept eines hierarchischenKommunikationsflusses zumindest in seinenGrundfesten auch auf vorliegenden Zusammen-hang übertragen werden. Damit stoßen wir aneine weitere Grenze der Interpretation, diezumindest durch die vergleichsweise häufigeNennung von „Kommunikationsbarrieren“ sei-tens der Zeitzeugen aufgeweicht werden kann.„Väter“ seien es gewesen, die über Politik disku-tiert hätten, weibliche Gesprächspartner sprachendementsprechend von „den Männern“, die darü-ber befunden hätten, was sie selbst in den meistenFällen ohnehin nicht interessiert hätte. Patriar-

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22 vgl. dazu auch Behmer, Quellen selbst erstellen, S. 340f.sowie als Musterbeispiel Meyen, Michael: Denver Clan

und Neues Deutschland. Mediennutzung in der DDR.Berlin: Christoph Links Verlag 2003.

chale Gesellschaftsstrukturen, das jugendlicheAlter der meisten Gesprächspartner und das tota-litäre Kommunikationssystem machen den Ver-gleich schwierig, doch in weiteren Schritten undkünftigen methodologischen Überlegungen(wenn auch nicht mehr für die NS-Zeit) solltedies sehr wohl mitbedacht werden.Abschließend sei noch kurz skizziert, was für denweiteren Verlauf dieses Projektteils als Zielsetzungdient: Ausgehend von einer noch größerenAnzahl an Zeitzeugengesprächen soll – soweit esdie Grenzen der Interpretation nicht sprengt –vor allem den kommunikationshistorischenAspekten des „Two-step-flow of communication“(hierarchischen, nicht-egalitären Kommunikati-onsstrukturen), der „Schweigespirale“ (als Phäno-men der Externalisierung von Verantwortung/Schuld), den formalen Aspekten von Verdrän-gung und Verschweigen im Gesprächsverlauf(bezogen v.a. auf widersprüchliche Aussagen zumWissen um Konzentrationslager, systematischen

Verfolgungen) sowie generationsspezifischenerinnerungspolitischen Implikationen um Opfer-these und „Schlussstrich“-Forderung Aufmerk-samkeit geschenkt werden.Es stellte sich schon bei dieser ersten Analyse eindeutlicher Zusammenhang von Milieu (politi-sche, religiöse Sozialisation, Herkunft, Eltern-haus) – Bildung – Alter – Geschlecht – undMedienkonsum (Zugang, Nutzung und Bewer-tung) heraus, der bei der inhaltlichen und forma-len Auswertung aller Gespräche zur theoretischenVerdichtung herangezogen werden soll. Ziel sollsein, Zeitzeugen und deren Erfahrungen zu Typo-logien zusammenzufassen und damit weitere Fra-gen zur Wegbereitung des Nationalsozialismusaufzuhellen.22 Die vorliegenden, noch weiter zusystematisierenden Befunde sind also keineswegsletztgültige Urteile, sie unterstreichen aber schonjetzt den Wert dessen, was die Zeitzeugen für dieWissenschaft und die Erinnerungskultur derösterreichischen Gesellschaft hinterlassen haben.

Bernd SEMRAD (1976)Mag. phil.; Studium der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der Universität Wien. Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Lehrbeauftragter und Doktorand amInstitut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien. Projekte und Publikationen zu Kommunikations- und Fachgeschichte, Erinnerungskul-tur und biografischer Kommunikationsforschung, zuletzt u.a. Kommunikationsgeschichte. Positionen und Werkzeuge. Ein diskursives Hand- undLehrbuch. Münster: Lit 2008 (Hrsg. gem. m. Klaus Arnold und Markus Behmer); Journa-listische Persönlichkeit. Fall und Aufstieg eines Phänomens. Köln: Herbert von Halem2009 (Hrsg. gem. m. Wolfgang Duchkowitsch, Fritz Hausjell und Horst Pöttker).

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Annäherung an das UnfassbareSchülerInnenbefragung als Teil der Evaluation des didaktischen Konzepts der Gedenkstätte Mauthausen1

Gisela Säckl

Im Auftrag des Mauthausen Memorials wurdeim Dezember 2008 und Jänner 2009 eine

BesucherInnenbefragung mit besonderer Rück-sichtnahme auf Schülerinnen- und Schülergrup-pen durchgeführt. Wichtige Fragen waren bei-spielsweise auch die Vorbereitung der Fahrt, dieEindrücke der Schülerinnen und Schüler direktnach dem Besuch des ehemaligen Konzentrati-onslagers und die Gestaltung der Führung. Zieldes vorliegenden Berichts ist eine Zusammen-schau der Ergebnisse beziehungsweise ein quanti-tativ erhobener Umriss zum Status Quo derGedenkstätte.Das Mauthausen Memorial in Oberösterreichliegt an einer sehr exponierten Stelle: nicht räum-lich, sondern im geschichtlichen Spannungsfeldzwischen Vergangenheitsbewältigung und Ver-gangenheitsverdrängung. Das ehemalige Konzen-trationslager Mauthausen ist laut Statistik Austriamit rund 200.000 Personen pro Jahr die meistbe-suchte Gedenkstätte Österreichs.2 Der Großteilder Besucher sind dabei Schülerinnen undSchüler, die im Regelfall organisiert und voneinem Guide durch das Areal begleitet werden. Invielen österreichischen Schulen ist eine Exkursionnach Mauthausen Teil des Lehrplans und bietetfür unterschiedliche Unterrichtsfächer Anknüp-fungspunkte für weitere Diskussionen und Aus-einandersetzungen. Aus diesem Grund war es vorallem dem pädagogisch-didaktischen Leiter desMauthausen Memorials, Yariv Lapid, ein zentra-les Anliegen, diese Besuchergruppe näher unterdie Lupe zu nehmen. Der Fragebogen stellt eineKombination aus geschlossenen und offenen Fra-gen dar, die Aufschluss über verschiedenste Berei-che liefern sollen:

Wie alt sind die Schülerinnen und Schüler imDurchschnitt? Woher kommen die meisten und welche Schul-typen besuchen sie?

In welchem Zusammenhang kommen dieJugendlichen nach Mauthausen? Welche Eindrücke sind am stärksten? Wie werden sie auf den Besuch vorbereitet? Welche gestalterische Herangehensweise könntebei den Führungen zukünftig besser realisiertwerden? Welche Fragen bleiben offen? Wie fühlen sie sich bei der Konfrontation miteinem Originalschauplatz eines dunklen Kapi-tels der eigenen Landesgeschichte?

Befragt wurden im Erhebungszeitraum vom1.12.2008 bis zum 13.1.2009 insgesamt 314 Per-sonen, das Hauptaugenmerk wurde in weitererFolge auf 310 der ausgefüllten Fragebögen gelegt– es handelt sich dabei ausschließlich um Perso-nen im Alter zwischen 13 und 19 Jahren. Diesespezifische Einschränkung macht somit konkre-tere Aussagen über diese Altersgruppe möglich.Die Auswertung fand mittels standardisiertenMessmethoden im Statistikprogramm SPSS statt.Die Ergebnisse sollen Anhaltspunkte für an dieBesucherstruktur angepasste Vermittlungspro-gramme liefern und als Quelle für Feedback vonjungen Besucherinnen und Besuchern derGedenkstätte dienen.In der Auswertungsphase dieses Berichts kam esam 13. Februar 2009 erneut zu einem Übergriff,der den nach wie vor emotionsgeladenen undzweifelhaften Umgang mit der eigenen Vergan-genheit in Österreich veranschaulichte: An denMauern des Mauthausen Memorials stand ingroßen roten Lettern: „Was unseren Vätern derJud ist für uns die Moslembrut seid auf der Hut!3. Weltkrieg – 8. Kreuzzug!“3. Der Schriftzugwurde in der Nacht auf die Außenmauern gemaltund konnte erst nach Tagen von einer Reini-gungsfirma mit größtem Aufwand entfernt wer-den.

1 Die Erhebung wurde im Wintersemester 2008/09 amInstitut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaftder Universität Wien im Rahmen eines Proseminars fürhistorische Kommunikationsforschung (UE-HIST)geplant und in Kooperation mit dem Mauthausen

Memorial durchgeführt und ausgewertet.2 www.statistik.at/web_de/static/meistbesuchte_museen_

und_ausstellungen_1990_bis_2006_nach_einrichtungstyp__021261.pdf [Zugriff: 10.2.2009]

3 http://ooe.orf.at/stories/342299/ [Zugriff: 15.2.2009]

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Zum Zeitpunkt der Fertigstellung des Berichtswaren die Verantwortlichen noch nicht bekannt,der Vorfall verdeutlicht jedoch die Brisanz derThematik: Wenn auch in einem traurigenZusammenhang, unterstreicht der Vorfall auchden Stellenwert des Mauthausen Memorials inÖsterreich. Das Mauthausen Memorial stehtrepräsentativ für die vielen österreichischenGedenkorte4 an den Holocaust und die Verbre-chen des Nationalsozialismus. Um größte media-le Aufmerksamkeit zu erregen, schien Mauthau-sen, das in den Köpfen vieler Österreicherinnenund Österreicher unmittelbar mit dem ehemali-gen Konzentrationslager verbunden war und ist,als beste Angriffsfläche für eine Provokation die-ser Art. Es ist ein Ort, der keineswegs nur sym-bolisch an Gräueltaten erinnert. Das ehemaligeKonzentrationslager ist ein historischer Schau-platz, der in seiner Authentizität nicht alleinAnlaufstelle für die Hinterbliebenen der Opfer ist– vor allem soll sie für zukünftige Generation alsMahnmal und greifbarer Teil der eigenenGeschichte und neuralgischer Punkt des „kollek-tiven Gedächtnisses“5 der Gesellschaft sein. Alleindeshalb ist die Schändung eines solchen Ortesbesonders beunruhigend und verdeutlicht dieDringlichkeit einer Auseinandersetzung mit tra-dierten Geschichtsbildern. „Gedenkstättenpädagogik“ als Teildisziplin derErziehungswissenschaft und „Geschichtsvermit-tung“ als zentrales Moment in Kommunikations-und Geschichtswissenschaft sollen unter anderemals zentrale Begriffe der Evaluierung verstandenwerden. Die Motivation vor dem Besuch derGedenkstätte und der gewonnene, weiter beste-hende Eindruck nach der Führung stehen imZentrum. Diese Beurteilungen sind in Kombina-tion mit möglichen Einflüssen auf soziodemogra-phischer Ebene zu eruieren und zu hinterfragen. Die methodische Umsetzung mittels einer quan-titativen Befragung stößt durch die Notwendig-keit der Konzeption eines Fragebogens mit teilsgeschlossenen Fragen zweifelsohne an Grenzen.Die in der Motivforschung eher zur Anwendungkommende qualitative Methodologie könntezusätzlich konkrete subjektive Beweggründe undErfahrungen erheben. Die quantitative Herange-

hensweise erfordert codierbare und damit zählba-re Sachverhalte. Aus diesem Grund ist der Groß-teil der Fragen auf das Areal der Gedenkstättebzw. auf die vor Ort angebotene Führung bezo-gen. Der Begriff der „Gedenkstätte“ setzt sich imSinne dieser Annäherung aus zwei Elementenzusammen: Zum einen ist mit der „Stätte“ derBezug auf einen Ort angesprochen, zum anderenverweist das „Gedenken“ auf eine Tätigkeit, diemit diesem Ort verbunden ist.6

Forschungsstand

Im Bereich der Evaluierung von Gedenkstätten inÖsterreich sind nur wenige Vorarbeiten geleistetworden. So hat etwa die Integration eines Evalua-tions-Projekts in eine universitäre Lehrveranstal-tung in ähnlicher Art schon 2006 stattgefunden:Mit dem Projekt „Lernen durch Geschichte“wurde im Rahmen einer Kursreihe zum Thema„Projektmanagement“ und „Projektbegleitung“am Institut für Gesellschafts- und Sozialpolitikder Johannes Kepler Universität in Linz eine Eva-luierung des Gedenkstätte Hartheim durchge-führt.7

In den Jahren 1938 und 1939 wurde das SchlossHartheim in Alkoven bei Linz von den National-sozialisten übernommen und zu einer Hinrich-tungsstätte umfunktioniert. Zehntausende Men-schen, größtenteils mit Behinderung, wurden als„unwertes Leben“ eingestuft und für medizini-sche Versuche missbraucht. Die Ermordungwurde gemeinhin als „Gnadentod“ verstanden.8

Die heutige Gedenkstätte wurde renoviert undumfasst auch ein groß angelegtes Ausstellungsa-real. Didaktische Konzepte für unterschiedlicheSchulstufen sowie Führungen werden angeboten.Im Zeitraum von 23.10.2006 bis 7.12.2006 wur-den in Hartheim die daran angelehnten Fragebö-gen ausgegeben und insgesamt 344 Schülerinnenund Schüler sowie 14 Lehrerinnen und Lehrer zuihrem Besuch in der ehemaligen Euthanasiean-stalt Hartheim befragt. Im Falle der Gedenkstät-te Hartheim konnte aufgrund einer höheren zurVerfügung stehenden Stundenzahl der Seminareein weiterer Fragebogen für das Lehrpersonal aus-

4 Eine Auflistung der Gedenkorte in Österreich findet sichunter folgendem Link: http://www.memorial-museums.net/WebObjects/ITF.woa/1/wo/q4K3P2WcVvkuwcVAjktXdg/1.37.1.1.37 [Zugriff: 15.2.2009]

5 Vgl.: Assmann, Aleida: Erinnerungsräume. Formen undWandlungen des kulturellen Gedächtnisses. München 1999.

6 Vgl. Pampel, Bert: Mit eigenen Augen sehen, wozu der

Mensch fähig ist. Zur Wirkung von Gedenkstätten auf ihreBesucher. Frankfurt/New York 2007, S. 25-73.

7 Vgl. Dieplinger, Anna/Wegschneider, Angela(Hrsg./Leiter): Projekt „Lernen durch Geschichte“.Abschließender Projektbericht. Linz 2007.

8 Vgl.: Matzek, Tom: Das Mordschloss, Auf der Spur von NS-Verbrechen in Schloss Hartheim. 1. Aufl. Wien 2002, S. 15.

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gearbeitet und ausgewertet werden. Die Konzep-tion der Fragebögen zielte vor allem auf dieinhaltliche Ebene der unterschiedlichen Vermitt-lungsprogramme der Gedenkstätte ab und nahmdirekt Bezug auf die Präsentation der Ausstellung„Wert des Lebens“.9 Die Evaluation des Maut-hausen Memorials zielt im Gegenzug nicht aufdie Bewertung der gezeigten Ausstellung in derGedenkstätte ab, sondern ist auf die didaktischenVoraussetzungen der Schülerinnen und Schülervor dem Besuch sowie die Evaluation derFührungen fokussiert. Die Möglichkeiten unterschiedlicher Präsentatio-nen und effektiver Umsetzung von Inhalten, dieauf persönlicher Ebene – als Teil der eigenen(Familien-)Geschichte – und auf abstrakterEbene – als Teil eines großen Ganzen – berührenkönnen, sind mannigfaltig. So groß die Auswahlder denkbaren Richtungen sein mag, so schwerist die Einschätzung des Eindrucks der Schülerin-nen und Schüler. Yariv Lapid als Kontaktpersonund treibende Kraft im Bereich der Verbesserungder didaktischen Konzeption des MauthausenMemorials stellte schon in der Planungsphase derEvaluierung klar: Es soll nicht das Ziel dieser Eva-luierung sein, besonders gut zu sein und beson-ders viele „sehr gute“ Bewertungen zu erhalten;das tiefer greifende Ziel sollte sein, die Schüle-rin/den Schüler in gewisser Weise zu verstören,einen unweigerlich gefühlten Respekt und einmoralisches Unwohlsein zu erzeugen. Keine auf-gehalste Erschütterung, sondern ein nachhaltigesGespür für Gerechtigkeit auch im Zusammen-hang mit gegenwärtigen Situationen ist Merkmaleiner gelungenen Vermittlungsarbeit.Zugleich obliegt jenen Gedenkstätten, die überVerbrechen gegen die Menschlichkeit Zeugnisablegen, eine ganz besondere Verantwortunggegenüber den toten wie auch den überlebendenOpfern. Als symbolische Friedhöfe10 dürfen dieGedenkstätten nicht ganz durch das offizielleGedenken vereinnahmt sein, sondern müssenauch für das individuelle Trauern Platz lassen.Den didaktischen Zugang für Jugendliche zueinem reflektierten Nachdenken über geschichtli-che Ereignisse in der Vergangenheit des eigenenLandes zu legen, muss Ziel guter Vermittlungsar-beit sein. Wie weit es möglich ist, diesen persön-lichen Bezug bei einem Besuch einer Gedenkstät-te zu schaffen, soll in einer Zusammenschau dererhobenen Ergebnisse versucht werden.

Soziodemographie

Insgesamt handelt es sich bei der vorliegendenBefragung um eine Ausschöpfung von 310 Frage-bögen. Ein statistisch auffälliger Zusammenhangzwischen dem erhöhten Auftreten männlicherBefragter kann nicht festgehalten werden. Da essich um eine Zufallsstichprobe handelt, ist einebeinahe vorliegende geschlechterspezifischeGleichverteilung, so wie sie sich in dieser Stich-probe zeigt, ein Gradmesser für die Repräsentati-vität und eine ausreichende Stichprobengröße. Die Altersverteilung ist aufgrund des Ausschei-dens von vier Extremfällen nahezu homogen. Umeine besser verteilte Altersdifferenzierung zu errei-chen, wurde bei der Beantwortung einiger For-schungsfragen die Altersgruppe in jüngere (13-bis 15- Jährige) und ältere (16- bis 19-Jährige)Befragte geteilt. Rund 50 % fallen hier in diejeweils berücksichtigte Gruppe. Anteilsmäßig bil-den 74 männliche und 81 weibliche Befragte diejunge Gruppe, im Vergleich dazu sind es 92 Män-ner und 62 Frauen in der älteren. Für die Aus-wertung der Schülerinnen- und Schülergruppenwurde das Alter, nahezu gleichbedeutend damitdie unterschiedliche Schulstufe und der möglicheGrad der bereits stattgefundenen Auseinanderset-zung mit der Thematik als zentraler Parameterfestgesetzt.Die meisten befragten Schülerinnen und Schülerkamen aus einer Allgemeinen höheren Schule(AHS), insgesamt stammen 66,8 % der Befragtenaus einer AHS (in absoluten Zahlen 207 Perso-nen). Der stark ersichtliche Überhang in dieserGruppe macht einen Vergleich der Vorbereitungder Schülerinnen und Schüler besonders interes-sant. Darüber hinaus lassen sich Schlussfolgerun-gen auf den Lehrplan, der offensichtlich vielfacheinen Besuch im Mauthausen Memorial vorsieht,ziehen.Die geographische Zuordnung der befragten Per-sonen wurde mittels der Frage nach der Postleit-zahl gelöst. Es soll jedoch an dieser Stelle daraufverwiesen werden, dass es sich um den Wohnortder/des Befragten handelt und nicht zwingendum das Bundesland der besuchten Schule. DieVerteilung der regionalen Zugehörigkeit zeigteinen klaren Überhang bei den Besucherinnenund Besuchern aus der Steiermark (23,4 % derBefragten). Die Bezeichnung „nicht Österreich“in der Auswertung umfasst codierte Postleitzah-

9 Dieplinger/Wegscheider, Lernen durch Geschichte, S. 4.10 Vgl. Rüsen, Jörn: Über den Umgang mit den Orten des

Schreckens, Überlegungen zur Symbolisierung des Holocaust.

In: Hoffmann, Detlef: Das Gedächtnis der Dinge. KZ-Relikte und KZ-Denkmäler 1945-1995. Frankfurt amMain 1998, S. 330-343 und S. 338-341.

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len von Deutschland bzw. in einigen Fällen auchanderer an Österreich grenzender Länder(Schweiz, Lichtenstein). Rund jede(r) Fünftestammt aus Wien und beinahe jede(r) dritteSchülerIn aus einem der Nachbarländer Öster-reichs.

Auswertung

„Wie ist dein allgemeiner Eindruck vomBesuch vom ehemaligen KZ Mauthausen?“

Den ersten Eindruck bewerteten 297 Personengültig. Die Benotung des allgemeinen Eindrucksist auffallend positiv ausgefallen, da von diesenPersonen 92,3 % „Sehr gut“ oder „Gut“ angege-ben haben. Dieser insgesamt sehr positive Ein-druck ist als ambivalente Meinungsäußerung zusehen, da es auch von der didaktischen Konzepti-on her nicht Ziel war, dass der Besuch als beson-ders positives Ereignis in Erinnerung bleibt – vieleher sollte versucht werden, eine Verstörung, einUnbehagen bei den Besucherinnen und Besu-chern zu erzeugen. Wünschenswert wäre es, einenbleibenden und mahnenden Eindruck zu hinter-lassen und nicht die Vorstellung, einer „guten“oder „gut aufbereiteten“ Sache beigewohnt zuhaben. In diesem Fall ist der allgemeine Eindruck als nuroberflächlich für weitere Argumentationen geeig-nete Information zu werten. Es handelt sich beidieser Frage um eine „Eisbrecherfrage“ oder „Ein-leitungsfrage“11, die am Anfang eines Fragebogensdie/den Befragte(n) auf die Thematik einstim-men soll. Eine prinzipielle positive Bewertung, im Sinneeines gelungenen und den Erwartungen derSchülerinnen und Schülern entsprechenden all-gemeinen Eindrucks, ist aber in jedem Fall alspositives Feedback zu werten.

„Du bist nach Mauthausen gekommen wegen:“

Hier zeigt sich ein eindeutiges Bild: Über 90 %geben an, dass die Exkursion einzig und aus-schließlich dem Besuch in Mauthausen dient.Diese Verteilung lässt selbst in Anbetracht derSchwankungsbreiten die Schlussfolgerung zu,dass die Mehrheit der Schülerinnen und Schülerallein mit dem Hintergrund das MauthausenMemorial zu besuchen eine Exkursion machen.

Als zweithöchster Wert wurde „Mauthausen undein anderes Ziel“ genannt (6 % der Befragten),lediglich neun Personen gaben an, das Mauthau-sen Memorial als „Zwischenstation“ zu sehen.

„Beurteile selbst inwieweit du im Schulunter-richt auf den Besuch in Mauthausen vorberei-tet wurdest“

Über die Hälfte der Befragten (52 %) fühltensich „sehr ausführlich“ oder „ausführlich“ vorbe-reitet. Der Wert der der „gar nicht“ vorbereitetenSchülerinnen und Schüler scheint mit 9 %jedoch trotzdem alarmierend. Etwa jede(r) Fünf-te gibt an, „gar nicht“ oder nur „etwas“ im Unter-richt vorbereitet worden zu sein. Diese Wertewerden angesichts der Folgefrage weiter verstärktund das tatsächliche Ausmaß der schulischenVorbereitung auf die Fahrt wird anhand derAnzahl der Unterrichtsstunden zum Thema kon-kretisiert.

„Wie viele Schulstunden schätzt du hat dieVorbereitung auf den Besuch in Mauthausengedauert?“

Bei der Auswertung dieser Frage zeigte sich, dassdie Stundenanzahl der Vorbereitung auf denBesuch der Gedenkstätte mit ein bis zwei Unter-richtsstunden am häufigsten genannt wurde(39%). Lediglich rund 14 Prozent gaben an, sichmehr als vier Unterrichtsstunden mit der Thema-tik und vorbereitenden Übungen auseinanderge-setzt zu haben. Alarmierend in diesem Zusam-menhang ist der Wert der „gar nicht“ vorbereite-ten Schülerinnen und Schüler: 50 Personen(mehr als 16 Prozent) geben an, keinen vorberei-tenden Unterricht gehabt zu haben. Diese Vertei-lung spiegelt somit nicht die subjektive Bewer-tung der vorab stattgefundenen Auseinanderset-zung mit dem Besuch des Mauthausen Memori-als wieder.

Evaluation der Führung

„Wie beurteilst du … den Aufbau der Route“ „Wie beurteilst du … die Dauer der Führung“„Wie beurteilst du … die Erzählungen desGuides“„Wie beurteilst du … die Beantwortung dei-ner/eurer Fragen durch den Guide“

11 Atteslander, Peter u.a. (Hrsg.): Methoden der empirischen Sozialforschung. 6. Auflage, Berlin/New York 1991, S. 195.

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„Wie beurteilst du … die Nachvollziehbarkeitdes Häftlingsalltags?“

Grundsätzlich ist festzuhalten, dass die Eva-luierung der Führung überdurchschnittlich gutausgefallen ist und von den teilnehmenden Perso-nen im Mittel mit der Note 1,602 bewertetwurde. Am besten wurden dabei allgemein „dieErzählungen des Guides“ sowie „die Beantwor-tung deiner/eurer Fragen durch den Guide“ mitjeweils einem Mittelwert von 1,36 benotet. DieDauer der Führung schnitt in der Itembatteriemit einem durchschnittlichen „Gut“ am schlech-testen ab. Eine eindeutige Signifikanz weist die Bewertungbeim ersten Eindruck und der durchschnittlichenBewertung der Führung auf. Schülerinnen undSchüler, die den ersten Eindruck besonders gutbewerteten, gaben auch bei der Evaluierung derFührung bessere Noten. Generell haben die weib-lichen Respondenten in der Itembatterie bessereNoten vergeben als die Männer. Die relative Wer-tigkeit ist bei beiden Geschlechtern gleich.Was die altersspezifische Verteilung betrifft, lie-gen keine Signifikanzen im Bezug auf dieGesamtbewertung vor. Es kann somit nicht voneinem Zusammenhang zwischen dem Alter derSchülerInnen und der allgemeinen Bewertungder Führung festgestellt werden. Tendenziellbewerten ältere Schülerinnen und Schüler dieeinzelnen Punkte besser als jüngere Befragte, ein-zige Ausnahme ist in diesem Zusammenhang diedurchschnittliche Note für die „Nachvollziehbar-keit des Häftlingsalltags“. Hier wurde von den13- bis 15-jährigen im Mittel eine Schulnote von1,52 angegeben, während die ältere Gruppe miteinem Mittelwert von 1,84 die insgesamt schlech-teste Note vergibt. Diese Diskrepanz kann unteranderem daher rühren, dass die Gestaltung derFührung für die jüngeren Besucher eher auf dieGrundlagen und damit die Daten und Faktenfokussiert wird, während die älteren Schülerinnenund Schüler mehr über die weiteren Hintergrün-de erfahren. Erstaunlich ist auch die exakt gleicheBewertung der „Erzählungen des Guides“ miteinem Wert von 1,36 in beiden Altersgruppen.„Die Beantwortung der Fragen durch den Guide“wurde von den jüngeren Besucherinnen undBesuchern schlechter bewertet.

„Welcher Platz ist dir am stärksten in Erinnerung?“

Hier zeigte sich ein eindeutiger Überhang zurAngabe „Gaskammer/Hinrichtungsräume“.Rund 62 % haben diesen Bereich „am stärkstenin Erinnerung“. Im Vergleich dazu ist „der Stein-bruch/die Todesstiege“ mit lediglich 12,6 % weitabgeschlagen an zweiter Stelle zu nennen. DieseAngaben sind sicherlich durch den Ablauf derFührungen beeinflusst – das Ausmaß der Todes-stiege wird erst ersichtlich, wenn man in denSteinbruch tatsächlich hineingeht. Da aber derAblauf einer Führung variiert, gehen nicht alleGruppen die Todesstiege hinunter.

Offene Fragen

(„Welcher Platz ist dir am stärksten in Erinnerung“) – „Warum?“

„Besonders ist dir diese Erzählung in Erinnerung…“

„Was hat dir bei der Führung gefehlt? WelcheFragen hättest du noch?“

Die Interpretation der erzielten Ergebnisse istaufgrund der einzelnen Teilauswertungen zu tref-fen. Wottawa/Thierau konstatieren richtig: „Inden meisten Fällen ist der entscheidende Zweckder Datenerhebung nicht eine vergleichendeBewertung im Sinne des ‘Hypothesentestens’,sondern soll viel mehr heuristischen Wert haben,Hinweise auf mögliche sinnvolle Verbesserungs-vorschläge liefern.“12

Zusammenfassend ist damit zu sagen, dass fol-gende neuralgische Punkte in der Evaluationwegweisend für Verbesserungen sein können:

Das durchschnittliche Alter der Schüler beträgtlaut Stichprobe 15,65 Jahre. Vorrangig solltedahingehend ein didaktisches Konzept vor allemfür Schülerinnen und Schüler der 9. Schulstufekonzipiert werden. Weiters ist auf Grund desSchultyps eine verstärkte Abstimmung auf Schü-lerinnen und Schüler einer Allgemeinbildenden

12 Wottawa, Heinrich/Thierau, Heike: Lehrbuch Evaluation. 2. vollst. überarb. Aufl., Bern u.a. 1998, S.130.

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Höheren Schule (AHS) anzuraten. Eine weitereunterstützende Maßnahme sollte in punkto Vor-bereitung getroffen werden: In diesem Zusam-menhang hat die Befragung eindeutig gezeigt,dass das Ausmaß des vorbereitenden Unterrichtszu gering ausfällt. Mehr als die Hälfte (56,6 %)geben an, „gar nicht“ oder nur in geringem Maße(„ein-zwei Unterrichtsstunden“) auf die Fahrtnach Mauthausen vorbereitet worden zu sein.

Regional gesehen ist der Anteil der nicht-öster-reichischen Besucherinnen und Besucher mitüber einem Viertel der Befragten wider Erwartenhoch. Die meisten Besucher sind jedoch ausÖsterreich – hier ist die Vermutung, dass es sichvor allem um Schülerinnen und Schüler aus derunmittelbaren Umgebung (Oberösterreich) han-delt, durch den relativ geringen Anteil (10,6 %)zu widerlegen.

Der Verdacht, dass ein hoher Prozentsatz derSchülerinnen und Schüler im Zuge einer „Klas-senfahrt“ nach Wien als Zwischenstopp nachMauthausen kommt, konnte widerlegt werden.Über 90 % geben an, dass die Exkursion einzigund ausschließlich dem Besuch in Mauthausendient.

Die Führung im Allgemeinen und die Guideswurden durchwegs positiv beurteilt. Am bestenwurden dabei „die Erzählungen des Guides“sowie „die Beantwortung deiner/eurer Fragendurch den Guide“ mit jeweils einem Mittelwertvon 1,36 benotet.

Die freien Äußerungen sind zu einem Gutteil aufdie Phänomenologie der „Sozialen Erwünscht-heit“13 zurückzuführen und spiegeln klar denGrad der Erschütterung wieder. Dennoch kannvor allem in den freien Äußerungen teilweise einegewisse Phrasenhaftigkeit herausgelesen werden.Sich wiederholende vorgefasste Moral- und Wer-

turteile sind in der Konzeption der Führung wei-testgehend zu vermeiden. Die viel kritisierte „Lei-chenbergpädagogik“14 als Abschreckung und pä-dagogische Maßnahme sollte weiterhin in denHintergrund gerückt werden. Selbst wenn vonSchülerInnenseite mehr Bildmaterial gefordertwird, ist mit einer Visualisierung dosiert umzuge-hen.

Das eklatant hohe Auftreten unbeantworteterFragen ist hier, vor allem bei den offenenAbschlussfragen, auf die bei Befragungen dieserArt sehr häufig vorkommenden „Non-Opini-ons“15 zurückzuführen. Die Schüler haben sichüber eine Verbesserung noch keine Gedankengemacht, die Eindrücke vor Ort sind noch zuüberwältigend und eine konstruktive Kritik, oderKritik im weiten Sinne, ist in einer solchen Situa-tion schwer zu formulieren. Zumal Kritikfähig-keit an dieser Stelle auch ein gewisses Vorwissenbedingt: Um Verbesserungen anzuregen, muss eseinen elaborierten Ansatz zur Reflexion als Vor-aussetzung geben. Hier ist mittels Sensibilisie-rung schon im Unterricht Vorarbeit zu leisen.

Für zukünftige Evaluationsvorhaben ist ein ande-rer zeitlicher Rahmen anzuregen, um auf einebesser verteilte und größere Stichprobe zurück-greifen zu können. Hier wäre es sinnvoll, denbesucherstärksten Monat zu eruieren und mittelsQuotenvorgaben eine möglichst vielschichtige,homogene und vorab gewichtete Stichprobe zubekommen. Interessant wäre auch eine Erhebungder nach dem Besuch des Mauthausen Memorialsin Unterrichtsstunden stattgefundenen Nachbe-reitung. Eine darauf abgestimmte Befragung derLehrerschaft könnte mögliche Gründe für dierelativ geringe schulische Vorbereitung liefernund Ansätze für ein didaktisches Konzept „ondemand“ für eine Auseinandersetzung vor/nachdem Besuch liefern.

13 Brosius, Hans-Bernd/Koschel, Friederike: Methoden derempirischen Kommunikationsforschung. Eine Einführung.Wiesbaden 2001, S. 112f.

14 Borries, Bodo von: Wer sich an Vergangenes erinnert, ist

verurteil es noch einmal zu erleben. Zu Möglichkeiten undGrenzen historischen Lernens. Hannover 1994, S. 30f.

15 Brosius/Koschel, Methoden der empirischenKommunikationsforschung, S. 114f.

Gisela SÄCKL (1981)Mag. phil.; Studium der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der Universität Wien. Lehrbeauftragte und Doktoratsstudentin ebendort. Seit 2008 Projektassistentin (u.a. für die Media-Analyse) beim Österreichischen Gallup-Institut.Seit 2004 Mitglied des Arbeitskreises für historische Kommunikationsforschung (AHK).

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„NachRichten“ und „Zeitungszeugen“Historische Aufklärung zwischen Mündigkeit und Paternalismus?

Fritz Hausjell

Eine Vorbemerkung erscheint hier zunächstnötig: Die nachfolgenden unsystematischen

Anmerkungen bekennen sich zur Parteilichkeit.Als wissenschaftlicher Leiter des Publikationspro-jektes NachRichten. Österreich in der Presse: Sam-meledition vom Anschluss zur Befreiung 1938-45sowie als Berater für Verleger Peter McGee auchbei der ähnlichen deutschen PublikationreiheZeitungszeugen. Sammeledition: Die Presse in derZeit des Nationalsozialismus tätig, darf und kannanderes von mir nicht erwartet werden.

Der britische Verleger Peter McGee edierte mitseinem in London ansässigen Verlag AlbertasLimited in den letzten Jahren in mehrereneuropäischen Ländern Faksimiles von histori-schen Zeitungen aus sensiblen Epochen. DieReprints umgab er jeweils mit einem vierseitigenMantel, der zumeist von WissenschaftlerInnenverfasste Erläuterungen des historischen Kontex-tes enthält. Vertrieben werden die wöchentlicherscheinenden Ausgaben jeweils an Zeitungskios-ken sowie im Abonnement.

In Deutschland kam es zum Eklat, als das ProjektMitte Jänner 2009 gestartet wurde. Der erstenAusgabe lag neben einem kommunistischen undeinem nationalkonservativen Blatt auch dienationalsozialistische Zeitung Der Angriff bei.Das bayrische Finanzministerium forderte denVerleger auf, dies zu unterlassen und die vertrie-benen Exemplare einzuziehen. 1945 hatten dieAlliierten den Hausverlag der Nationalsozialisten,die Franz Eher Nachfolger GmbH, verboten,aber die Rechte an Publikationen wie demAngriff oder dem Völkischen Beobachter dem StaatBayern übertragen, der jegliche weitere Verbrei-tung verhindern sollte. Als die zweite Ausgabe derZeitungszeugen einen Reprint des VölkischenBeobachters enthielt, stellte das bayrische Finanz-ministerium wegen „nicht akzeptabler Miss-brauchsgefahr“ Strafantrag. Ebenso wurden zivil-rechtliche Schritte eingeleitet. Gegen die Heraus-geber wurde in der Folge wegen Verwendens vonKennzeichen verfassungswidriger Organisationenund Verstoßes gegen das Urheberrechtsgesetzermittelt.Der Zentralrat der Juden in Deutschland unter-

stützte die eingeleiteten rechtlichen Schritte aus-drücklich. Die Zeitungszeugen-Ausgaben könnten„in keiner Weise“ die selbst gesetzten Ziele derHerausgeber, politische Bildung zu betreiben,erfüllen, meinte der Generalsekretär des Zentral-rats der Juden, Stephan Kramer, in Berlin. DerZentralrat argumentierte, es handle sich nicht umeine kommentierte Edition von Originalzeitun-gen aus der NS-Zeit, sondern um „isolierte kom-plette Nachdrucke der Zeitungen“. Diese seienlediglich von einem Mantel umgeben, der aufklä-rerische Hintergrundinformationen zur Verfü-gung stelle. Damit bleibe „es völlig dem Zufallüberlassen, ob sich der Leser tatsächlich mit demgesamten Zeitungsprojekt auseinandersetzt.“Angesichts eines neuen Höchststands an rechts-extremistischen Straftaten stelle sich die Frage, obDeutschland „Kopiervorlagen für Nachwuchsna-zis in jedem Zeitungskiosk“ brauche. Auch Bay-erns Justizministerin Beate Merk (CSU) kritisier-te, die Herausgeber nähmen die Verbreitungnationalsozialistischer Inhalte „billigend inKauf“. Wer sich trotz eines ausdrücklichen Ver-bots der Staatsregierung zu einer derartigen Ver-öffentlichung entschließe, zeige, dass ihm dienötige Sensibilität im Umgang mit Geschichteund Recht fehle. Diese „bewusste Provokation“mache es „unvermeidlich, in ein so hohes Gut wiedie Pressefreiheit eingreifen zu müssen“. Das Amtsgericht München ordnete die Beschlag-nahme an. Eine heftige Auseinandersetzung imdeutschen Feuilleton folgte, auch über Deutsch-land hinaus sorgten die Vorgänge für publizisti-sche Debatten. Dabei ging es weniger um diejuristisch umstrittenen Ansprüche Bayerns, son-dern vielmehr um die Frage, wie mit der NS-Ver-gangenheit umgegangen werden kann und sollund in welcher Weise dabei die Mittel der NS-Propaganda herangezogen werden dürfen. Habennach 60 Jahren Demokratie diese historischenNS-Propagandamittel noch immer Wirkkraft beieinem Teil der heutigen Bevölkerung oder kön-nen sie zur Erklärung von Attraktivität und Ver-führung ungefährlich herangezogen werden? DieDeutsche Bundeswehr beantwortete diese Fragenjedenfalls auf ihre Weise und verbot die Zeitungs-zeugen in den Kasernen.

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Erstaunlicherweise hatte in diesen aufgeregtenTagen aus Bayern niemand nach Österreichgeblickt. Die bayrische Justizministerin hätte beiihrer österreichischen Amtskollegin einfach nach-fragen können, ob im Jahr davor, als ein sehr ähn-liches Projekt Woche für Woche an österreichi-schen Kiosken erhältlich war, zu Missbrauchgeführt hatte. Mir ist jedenfalls kein einziger Fallbekannt. Handelte der österreichische Staat alsoliberaler, aufgeklärter oder sorgloser als der bayri-sche? Verleger Peter McGee hatte jedenfalls in derVorbereitungsphase des österreichischen Publika-tionsprojektes NachRichten beim Justizministeri-um eine Expertise aller relevanten Rechtsaspekteeingeholt und eine eindeutige juristische Unbe-denklichkeitserklärung erhalten. Der bayrischeStaat hatte im Übrigen 2008 kein einziges Malbei NachRichten nachgefragt, auf welcher Rechts-basis die Wiener Ausgabe des Völkischen Beob-achters nachgedruckt wurde, erschien dieser dochvon 1938 bis 1945 in der „Franz Eher Nachf.G.m.b.H., Zweigniederlassung Wien“.

Gleichwohl waren in Österreich – allerdings vonwenigen Seiten – in der Projektierungsphase vonNachRichten warnende Stimmen zu hören. Ziem-lich kontrovers wurde im ORF intern eineDebatte geführt, ob dieser die Werbespots fürNachRichten ausstrahlen oder ablehnen solle. Kri-tiker des Projektes argumentierten dabei ähnlichwie in Bayern mit einem möglichen Missbrauchder Zeitungsreprints, die der Publikation ent-nommen werden können: Sie waren der redli-chen Überzeugung, den ORF vor einem Ima-geschaden für den Fall bewahren zu wollen, wenndann – durch NachRichten ermöglicht –, derStürmer in tausenden Haushalten auf dem Nacht-kastl und der aufklärende Mantel im Papierkorbliegen würde.

In diese Debatte waren im ORF nicht nur Teiledes Managements, sondern auch Publikums- undStiftungsrat befasst. Schließlich wurde dochzugunsten des Projektes entschieden und derORF nahm den Werbeauftrag an. Charakteri-stisch war allerdings, dass diese Debatten nieöffentlich geführt wurden und es dem NachRich-ten-Team, das gerne unterschiedliche Sichtweisenauf dieses zeitgeschichtliche Informationsprojektdiskutiert hätte, nur ganz wenige Personen fand,die dem Projekt kritische Einwände entgegen-brachten. Auf der anderen Seite unterstütztenprominente Persönlichkeiten aus Politik, Kultur,Religion, Sport und Gesellschaft mit entspre-chenden Statements den Start des NachRichten-

Projekts (und zogen diese Unterstützung auchnicht zurück).

Dem NachRichten-TV-Werbespot verlieh jemanddie Stimme, der immer schon furchtlos im ORFwar: Teddy Podgorski. Er war und ist im Übrigenneben Hugo Portisch am Fernsehbildschirm einzeitgeschichtlicher Aufklärer ersten Ranges, der esschafft Ernsthaftigkeit und Humor gekonnt zukombinieren. Seine Sendereihen zur Medienzeit-geschichte unter dem Titel „Déjà vu“ verdienennicht nur das Prädikat „erstklassig“, sondern ver-langen nach Wiederholung und Fortsetzung.

Offizielle Kooperationspartner von NachRichtenwaren die Österreichische Nationalbibliothek(ÖNB) sowie das „Dokumentationsarchiv desösterreichischen Widerstandes“ (DÖW). Zweit-genannter Institution kamen nach einigen Ausga-ben Bedenken. Für die Ausgabe 7 zum Thema„Novemberpogrom 1938“ war die Leiterin desDÖW, Brigitte Bailer-Galanda strikt gegen denReprint der Ausgabe des Kleinen Volksblattes, daauf der Titelseite großformatig eine üble Propa-gandazeichnung platziert war, in der der „ewigeJude“ dem Attentäter Herschel Grünspan denRevolver führt. Gleichwohl im Mantel nicht nureine Erläuterung der Propaganda erfolgt war, son-dern zudem ein weiterer Aufsatz die propagandi-stische Vorbereitung und Begleitung des Novem-berpogroms erklärte, drängte das DÖW darauf,diese Zeitung nicht nachzudrucken, da ähnlicheSujets auch in der rezenten antisemitischen Pro-paganda noch verwendet werden. Wir einigtenuns aus der Zeitnot heraus auf einen Kompro-miss: Das Bild wurde im Reprint stark verkleinertdargestellt und mit einem erklärenden Text verse-hen. Bei einer der nächsten Nummern kam esaufgrund des Nachdrucks eines antisemitischengegen US-Präsident Roosevelt gerichteten Plaka-tes zur Fortsetzung des Dissenses. Der DÖW-Vorwurf lautete erneut, wir würden den NeonazisKopiervorlagen für deren Homepages liefern,weiters sei der Nachdruck der NS-Propagandarücksichtslos gegenüber den noch lebendenOpfern des NS-Regimes und insgesamt derpublizistische Stil von NachRichten zu „reißerischgestaltet“. Meine Einwände dazu diskutierten wirzwar freundlich, aber wir lösten daraufhin dieKooperation auf. Die Vereinbarung, zur Frage„Gibt es Grenzen der Darstellung bei der Ver-mittlung der NS-Herrschaft und warum oderwarum nicht?“ später eine öffentliche Debatte zuführen, wurde indes noch nicht eingelöst. Siekönnte gleichwohl auch im Forum dieser Zeit-

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schrift geführt werden. Da der Raum für vorlie-gende Anmerkungen zu NachRichten und Zei-tungszeugen von vornherein beschränkt war, solldie detaillierte Debatte hier noch nicht eröffnetwerden. Grundlagen für diese und andere Debat-ten zu den zeitgeschichtlichen Aufklärungspro-jekten bieten demnächst zwei Diplomarbeiten,die derzeit in Arbeit sind: Pavlina Ricankovaschreibt im Fach Medienwissenschaften undJournalistik an der Masaryk Universität Brünneine Magisterarbeit dazu und Verena Bruhaschreibt ihre Diplomarbeit am Institut für Publi-zistik- und Kommunikationswissenschaft derUniversität Wien.

Das NachRichten-Projekt war in Österreich sorg-fältig vorbereitet worden: Der Verleger ließ nichtnur die rechtliche Situation beim Justizministeri-um klären, sondern es wurde auch bei jenenösterreichischen Zeitungsverlagen, die heute dieTitelrechte damals edierter Tageszeitungenhaben, die Zustimmung zum Reprint eingeholt.In Fokusgruppengesprächen ließ Peter McGeezudem erheben, wie groß das Nutzungspotenzialfür das publizistische Angebot ist und ob Titelund Aufmachung als passend empfunden wer-den. Der ursprüngliche Titel „Kriegsblätter“wurde daraufhin verworfen, weil sich in denFokusgruppen zeigte, dass sich mit dem Kriegniemand besonders identifizieren wollte, wederals explizite Gegner noch als offene Befürworter.Von meiner Seite gab es schon davor Einwändegegen den Titel, da zum einen die NS-Herrschaftnicht nur auf Krieg fokussiert vermittelt werdensollte. Zum anderen wäre dieser Titel hinderlichgewesen, wenn das Projekt – bei besonderemErfolg – danach für die Jahre 1933 bis 1938 bzw.1945 bis 1955 weitergeführt werden sollte. Füreine professionelle öffentliche Präsentation vonNachRichten sorgte das Engagement der PR-Agentur Trimedia Communications Austria. Beivergleichbaren Projekten davor hatte es der Verle-ger im Wesentlichen dem Zufall überlassen, wiesich die Medienberichterstattung beim Start einesProjektes entwickelte. Österreich indes galt PeterMcGee von außen besehen als schwierigesGebiet, wofür die verspätete Auseinandersetzungmit der eigenen Rolle im „Dritten Reich“, dieWaldheim-Debatte, die Wehrmachtsausstellungsowie die Restituierung ehemals „arisierter“Kunstwerke durchaus Zweifel aufkommen ließ,ob denn genügend Menschen in Österreich Inter-esse an einem derartigen publizistischen Angebothaben würden. Ich war überzeugt und ermutigtePeter McGee, der auch eine Reihe anderer

Gespräche für seine Entscheidungsfindung führ-te.

Der Erfolg in Österreich war schließlich beein-druckend und nach Auskunft von Peter McGeevergleichbar gut wie beim Vorgängerprojekt inHolland. Die 50.000 Stück umfassende Startauf-lage der ersten Ausgabe war alsbald ausverkauftund musste nachgedruckt werden, insgesamtwurden rund 63.000 Stück verkauft. Das Kon-zept sah vor, dass durch eine breite Werbekampa-gne (zwei Wochen lief in fast jedem Werbeblockder Primetime des ORF-Fernsehens ein 30-Sekunden-Spot, ebenso in Österreich-Werbefen-stern der deutschen privaten TV-Anbieter) undeine erfolgreiche Medienarbeit möglichst vieledazu bewegt werden sollten, zumindest eines derersten Hefte zu kaufen, um so an die dauerhaftinteressierten LeserInnen zu kommen. Die Erfah-rungen aus anderen Ländern ließen erwarten,dass sich die KäuferInnenzahl nach etwa vier bisfünf Ausgaben bei einem Fünftel bis Viertel derErstausgabe einpendeln und dann nur nochleicht sinken würde. Österreich war insofernanders, als von Nummer 5 und 6 immer nochrund 23.000 Stück verkauft wurden. Danach gin-gen die Verkaufszahlen zwar erwartungsgemäßnoch etwas zurück, allerdings langsam, und fielenschließlich nie unter 13.000. Es gibt keine Detai-lanalysen dazu, wer NachRichten nun gekauft undgelesen hat. Die von mir immer wieder – unsy-stematisch – befragten TrafikantInnen berichte-ten fast unisono über ihre Überraschung: dassnämlich praktisch alle Altersklassen zu NachRich-ten griffen.

Die Verkaufszahlen von Zeitungszeugen inDeutschland sind (noch) geheim, aber sovielkann verraten werden: Die Startauflage lag nichtbeim zehnfachen der österreichischen Verkäufeder ersten Nummer, sondern beim knapp fünffa-chen. Bedenkt man das viel umfangreichere Kon-kurrenzangebot im Bereich der publizistischenThematisierung des „Dritten Reiches“ sowohl imPrintbereich als auch im öffentlich-rechtlichenFernsehen, so war der Start des Projektes einerfreulich erfolgreicher. Schwierig wurde es mitder völlig unverständlichen Beschlagnahmungder Ausgabe 2 im gesamten deutschen Bundesge-biet im Auftrag des bayrischen Staates. Men-schen, die ein Abo zeichnen wollten, begannenverständlicherweise zu zögern. Die Debatte inden Medien dazu bedeutete zwar für das Projektmehrheitlich Rückenwind, aber auch manchenGegenwind. Der Verleger drängte mithilfe seiner

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Anwälte auf eine rasche juristische Entscheidung,die dann aber doch wertvolle Zeit kostete.

Warum Zeitungszeugen in Deutschland bisherweniger erfolgreich war als NachRichten, hat wohlmehrere Gründe: Ein wesentlicher Grund dürftedarin liegen, dass in Deutschland bisher von Sei-ten der Medien mehr zeitgeschichtliche Informa-tionen an die LeserInnen, SeherInnen und Höre-rInnen herangetragen wurden. Ein kurzzeitigaktives ähnliches Projekt gab es übrigens schon1973 unter dem Titel Zeitungen als Dokumente,die es allerdings nur auf insgesamt 14 Ausgabenbrachte und die auch nicht alle der Zeit der NS-Herrschaft gewidmet waren. Zudem ist das Pro-jekt in Deutschland in der medialen Öffentlich-keit zum Teil auf Kritik gestoßen, während diesein Österreich völlig ausblieb. Vermutlich lag esdaran, dass das Feuilleton etlicher meinungs-führender deutscher Blätter ein möglicherweisehöheres kritisches Potenzial aufweist, jedenfallsaber personell wesentlich besser ausgestattet ist alsdie meisten österreichischen Printmedien. Gutgemachte PR hatte sohin in österreichischenMedien tendenziell mehr Chancen, weitgehendunverändert abgedruckt zu werden, weil selbstführende Blätter ziemlich schlanke Redaktionenaufweisen. Ob das Produkt Zeitungszeugen auchals Konkurrenz zu eigenen publizistischenBemühungen im Bereich der zeitgeschichtlichenAufklärung begriffen und journalistisch deshalbmitunter kritischer behandelt wurde, scheintauch ein überlegenswerter Gedanke. Ebenso derUmstand, dass manche deutsche Zeitungsverlage,die schon in den Jahren 1933 bis 1945 existier-ten, damit rechnen mussten, dass ihre – bei wei-tem nicht immer sorgfältig aufgearbeitete NS-Geschichte – in Zeitungszeugen Thema werdenkönnte.

Letzteres zeichnet im Übrigen NachRichten undZeitungszeugen aus. Dass ein Fokus dieser zeitge-schichtlichen Aufklärung auch auf die Rolle derPropaganda, der Medien und ihrer Journalist-Innen (sofern dieser Begriff unter diesen Rah-menbedingungen überhaupt angemessen ist)sowie auf den Umgang der MediennutzerInnenmit dieser medialen und propagandistischen In-szenierung gerichtet wurde und wird, unterschei-det die Projekte von den meisten zeitgeschichtli-chen Aufklärungsbemühungen. Warum die vonMassenmedien geleistete zeitgeschichtliche Auf-klärung sowohl in Deutschland als auch in Öster-reich bisher die Rolle der Medien erstaunlichwenig erhellt hat, muss unsere Forschung aber

auch die Medienpraxis erst noch beantworten.Man darf vermuten, dass es etwas damit zu tunhat, dass dies vielfach die Geschichte der eigenenLehrmeisterInnen war, die nicht allzu viele wirk-lich anrühren wollten.

Ein weitere Besonderheit stellt die systematischeKontrastierung von NS-Propagandamediendurch die Exil- und Widerstandspublizistik dar:Damit wird erstmals für ein breites Publikum dasandere Deutschland und das andere Österreicheinem interessierten Publikum zugänglich. EinTeil der deutschen Exilzeitschriften ist ja seit eini-gen Jahren erfreulicherweise online abrufbar(http://deposit.ddb.de/online/exil/exil.htm), inÖsterreich steht dies allerdings noch völlig aus(allerdings wird derzeit ein interdisziplinäres Pro-jekt unter Federführung der ÖsterreichischenGesellschaft für Exilforschung dazu entwickelt).NachRichten und Zeitungszeugen hat gerade auchdeshalb für die Unterrichtsarbeit in Schulen unddie Lehre an Universitäten Material bereitgestellt,das davor nicht oder nur sehr mühsam erreichbarwar. Konsequenterweise suchte Peter McGee dieKooperation mit dem Bildungsministerium, dasüberaus kooperativ reagierte. Den Schulen wurdeein preislich stark reduziertes Angebot gemachtund in einem Brief mögliche Nutzungsweisenvon NachRichten im Unterricht vorgeschlagen:

„1. NachRichten als Beispielmaterial im zeitge-schichtlichen Unterricht: Vergleich der gegenü-bergestellten Zeitungsexemplare (einerseits NS-Presse, andererseits deutschsprachige Presse desAuslands sowie Exilzeitschriften).

2. NachRichten als Ergänzung zu „Zeitung in derSchule“ (ZiS): Wie ändern sich Medien überZeitläufe hinweg bzw. wie sind sie unter unter-schiedlichen (medien-)politischen Rahmenbedin-gungen gestaltet?

3. Analyse der Propagandastrategien des Natio-nalsozialismus anhand der NS-Zeitungen, er-gänzt durch Fachliteratur.

4. Exilzeitschriften: Erarbeitung und Diskussionvon Problemen des Asyls von Österreicherinnenund Österreichern in den 30er und 40er Jahren.

5. Literaturunterricht: Literatur und ihre medialeBehandlung in NS-Zeitungen im Gegensatz zuExilzeitschriften.

6. Beschäftigung mit der Sprache des Nationalso-

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zialismus, mit Sprachwandel anhand der Nach-Richten-Exemplare im Gegensatz zur Gegenwart(ZiS – Zeitung in der Schule).

7. Medienkunde und Medienkritik: Was ist Jour-nalismus und zählen die Zeitungen des National-sozialismus dazu?

8. Regionalnachrichten: Meldungen im Lokalteilals Ausgangspunkt für zeitgeschichtliche Recher-cheprojekte im Umfeld der Schule.

9. Werbung im historischen Wandel: Wertewan-del-Analyse z.B. anhand von Kontaktanzeigenerarbeiten (in historischen Zeitungen im Gegen-satz zu aktuellen).“

Es wurde bisher nicht untersucht, wie oft und wieintensiv in verschiedenen Fächern mit NachRich-ten im Schulunterricht gearbeitet wurde. Aber inden E-Mails, die das Redaktionsteam erreichten,waren LehrerInnen recht zahlreich vertreten. Alsim Juni 2008 das japanische öffentlich-rechtlicheFernsehen NHK eine Woche lang filmte, umdann am 2.8.2008 in der NHK-Sendeleiste„Kodawari Life Europe“ ein 20-minütiges Por-trait zu zeigen, war es recht einfach, eine Schulezu finden, in der gerade mit NachRichten gearbei-tet wurde.

Das Vorgehen des bayrischen Staates gegen denVerleger Peter McGee erscheint im Nachhineinvon besonderer Sorg- und Verantwortungslosig-keit gekennzeichnet. Zumal es schon 2008 in etli-chen deutschen Medien eine Berichterstattungüber Peter McGees NachRichten-Projekt – unddamit auch über den Nachdruck der Wiener Aus-gabe des Völkischen Beobachters gegeben hatte,hätte sich die bayrische Regierung über allfälligeMissbräuche der Publikation durch die Bevölke-rung frühzeitig informieren können. Vermutlichspielte aber die Ablenkung von einer unangeneh-men Causa um die Aufklärung bzw. das Verhaltender bayrischen Politik rund um den unaufgeklär-

ten Mordversuch am damaligen Passauer Polizei-direktor Alois Mannichl eine Rolle. Es könntesein, dass der breite politische Angriff gegen einenbritischen Kleinverlag bayrischen Regierungspoli-tikerInnen als geeignete Ablenkungsmaßnahmeerschienen war. Auf Basis von ein wenig Recher-che wäre allerdings einerseits nie der Lapsus pas-siert, den über alle Verdächtigungen erhabenenPeter McGee der NS-Wiederbetätigung zu zei-hen. Andererseits hätten sich die Verantwortli-chen aus Bayern bei etwas mehr Kenntnis seinerPersönlichkeit sich ausrechnen können, dass PeterMcGee im Bewusstsein um die Richtigkeit seinerSache dafür jedenfalls und beharrlich vor Gerichtgehen würde. Was dieser dann auch tat. DasUrteil der 2. Strafkammer des Landgerichts Mün-chen 1 vom 17. April 2009 gibt ihm nun imWesentlichen Recht, denn dort heißt es u.a.: Derim Januar 2009 erlassene Beschlagnahmebe-schluss gegen zwei Beilagen der zweiten Ausgabevon Zeitungszeugen wird als rechtswidrig erklärtund aufgehoben. Die Beilage einer Ausgabe desVölkischen Beobachters aus dem Jahr 1933 und desPlakats „Der Reichstag in Flammen“ dieneerkennbar der staatsbürgerlichen Aufklärung undsei somit rechtmäßig. Dass das nachgedruckteWahlplakat und der nachgedruckte VölkischeBeobachter Hakenkreuze und damit Kennzeichenverfassungswidriger Organisationen enthalten,ergibt sich aus dem Publikationskonzept; [DerHerausgeber] will gerade auf diese Weise – durchdie Zurverfügungstellung von Nachdrucken – einauthentisches Bild von der Vergangenheit gebenund so die Presse in der Zeit des Nationalsozialis-mus möglichst realistisch darstellen,“ so dasGericht. Die damit verbundene Gefahr berechti-ge zwar zu einer kritischen Auseinandersetzungmit dem Projekt. „Das Gesamtkonzept lässtjedoch erwarten, dass der durchschnittlich gebil-dete und geschichtlich interessierte Bürger sich inder gebotenen Distanz weiterbildet und dieZusammenhänge durch die Publikation verste-hen und es nicht zu einem Missbrauch der abge-druckten Hakenkreuze kommen wird.“

Fritz HAUSJELL (1959)Ao. Univ.-Prof. Dr. phil., lehrt und forscht am Institut für Publizistik- und Kommunikati-onswissenschaft der Universität Wien. Arbeitsschwerpunkte: Nationalsozialismus undMedien, Exiljournalismus, Kommunikationsgeschichte. Wissenschaftlicher Leiter des Pro-jekts “NachRichten”; Mitbegründer und Mitherausgeber der Fachzeitschrift medien &zeit; Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Exilforschung.

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Rezensionen

PETER GENTZEL: Ausgrenzung – Kommuni-kation – Identität. Gesellschaftliche undsubjektive Wirklichkeit in den Tage-büchern Victor Klemperers. (= Kommuni-kationsgeschichte, hrsg. v. Walter Höm-berg u. Arnulf Kutsch, Bd. 27) Berlin: Lit-Verlag 2008, 202 Seiten

Wie wird politisch betriebene und gesellschaftlichorganisierte Stigmatisierung für die Betroffenenerleb- und spürbar? Wie realisiert sich soziale Aus-grenzung im beruflichen und privaten Alltag, inder Einschränkung des Aktionsraums und derFreiheitsgrade der Lebensgestaltung, in den Ver-änderungen der Interaktion mit Freunden,‚Freunden’ und Fremden, und v.a.: Wie teilt sichAusgrenzung kommunikativ mit, wie also verän-dern sich Begrüßungen, Gespräche und Korre-spondenz im Prozess fortschreitender Exklusion?Diesen Fragen widmet sich Peter Gentzels Studiesowohl theoretisch als auch empirisch, letzteres inForm einer Analyse der Tagebücher Victor Klem-perers für den Zeitraum 1930-45. Als Magisterar-beit am Leipziger Lehrstuhl für Historische undSystematische Kommunikationswissenschaft ent-standen und nun in der Reihe Kommunikations-geschichte publiziert, handelt es sich doch nur inzweiter Linie um eine historische Arbeit, scheintGentzels Hauptinteresse doch ein theoretisch-systematisches zu sein: die Verhältnisbestimmungvon (interpersonaler) Kommunikation und Iden-tität, sowie die Konzeptualisierung von Ausgren-zung als der Beschädigung von Identität unddamit als Phänomen, das sich in interpersonalerKommunikation und durch sie realisiert. Gleich-wohl wäre eine Herabwürdigung der Tagebuch-analyse zum bloß illustrativen Fallbeispiel unange-bracht, zeichnet sie doch ein prägnantes Bild derebenso langfristigen wie durchgreifenden Umbil-dung der Alltags- und Interaktionsstrukturen desjüdischen Professors Klemperer und seiner FrauEva im Lauf des ‚Dritten Reiches‘. Mit ihren Erkenntnisinteressen bewegt sich dieArbeit auf in der Kommunikationswissenschaft,zumal der deutschsprachigen, wenig ausgetrete-nen Pfaden und trägt dem Rechnung, indem sieihren Untersuchungsgegenstand zunächst alseinen genuin kommunikationswissenschaftlichenqualifiziert. Im Zuge dessen wird der Ort inter-personaler Kommunikation im Spektrum kom-munikationswissenschaftlicher Materialobjekte(im Hinblick zumindest auf die deutschsprachigeKW korrekterweise) als zwar systematisch zentral,

aber forschungspraktisch bisher randständigbeschrieben. In einem nächsten Schritt arbeitetGentzel die gesellschaftliche Dimension interper-sonaler Kommunikation heraus, womit der Wegbereitet ist für die Konzeption von sozialer Aus-grenzung als einem zugleich (makro-)gesellschaft-lichen wie Interaktionen strukturierenden Phäno-men. Letzteres bewerkstelligt Gentzel in einemDreischritt über soziologische Klassiker des inter-pretativen Paradigmas: Zunächst wird Identitätim Rückgriff auf G. H. Mead als im Sozialisa-tionsprozess kommunikativ konstituiert beschrie-ben. Die sozialkonstruktivistische Position vonBerger/Luckmann wird herangezogen, um dieBeziehung zwischen Gesellschaft und Individuumkonzeptionell als eine dialektische zu fassen undliefert zugleich die Begründung für die Fokussie-rung auf alltägliche Interaktionsprozesse und dieLebenswelt als diejenige Ebene, auf der ‚Re-alität‘intersubjektiv – und damit vorrangig kom-munikativ – interpretiert und so zur ‚Wirklich-keit‘wird. Auch die subjektive Wirklichkeit derAusgrenzung ist demnach auf eben dieser lebens-weltlichen Ebene alltäglicher Interaktion zusuchen, wenngleich die von Gentzel als „struktu-rell“ (S. 91) bezeichnete Dimension von Ausgren-zung keineswegs negiert, wohl aber bewusst weit-gehend ausgeblendet wird. Die konzeptionellenVorarbeiten komplettierend rekonstruiert Gentzelschließlich Goffmans Konzept des Stigma alsbeschädigte Identität und arbeitet die von Goff-man beschriebenen charakteristischen Strukturender Kommunikation und Interaktion unter Betei-ligung Stigmatisierter, deren psychische Konse-quenzen für die betroffenen Personen und mögli-che Kompensationsstrategien heraus. Ergebnisdieser Theoriearbeit ist neben der bereits ange-sprochenen theoretischen Konzeptualisierung vonAusgrenzung und der Festlegung der Analyseebe-ne der Untersuchung ein Inventar von ca. 30Kategorien, das subjektive Ausgrenzungswirklich-keit auf der Ebene alltäglicher Interaktion empi-risch fassbar machen soll und der Auswertung derKlemperer-Tagebücher zugrunde liegt. Das Spek-trum der betrachteten Dimensionen reicht vonPhänomenen der Alltagsgestaltung, Interaktionund Kommunikation über die soziale Anerken-nung und die Bedingungen der Ausübung derberuflichen Rollenträgerschaft, das Netzwerk dersozialen Beziehungen, die Sichtbarkeit von Sym-bolen der Stigmatisierung einerseits, der Legiti-mität der stigmabasierten Diskriminierung undder Macht ihrer Urheber und Anhänger anderer-

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seits, bis zu den psychischen, insbes. emotionalenReflexen dieser Situation beim stigmatisiertenIndividuum. Nach der quellenkritischen Beschreibung undEinordnung der Tagebücher und einer methodo-logischen Reflexion seiner Vorgehensweise präsen-tiert Gentzel im dritten Teil der Arbeit die Ergeb-nisse seiner Analyse der Tagebücher Victor Klem-perers, wobei durch das Erhebungsprinzip ‚Jahrfür Jahr‘ die Dynamik der Ausgrenzungserfahrun-gen des Ehepaars über den Untersuchungszeit-raum hinweg zu erfassen versucht wird. DieserVersuch gelingt eindrücklich: Die Analyse zeigt,wie ab 1933 Macht- und Bedrohungssymbolik imöffentlichen Raum zunehmen, wie sich der Akti-onsraum des Ehepaars parzelliert und verengt,zunächst auf den Wohnort Dresden, später daseigene Heim und wenige Inseln verbündeter Orte.Die beruflichen Rechte und Möglichkeiten desProfessors Klemperer werden beschnitten, erbekommt immer seltener die Gelegenheit zupublizieren, wird von bestimmten Kollegenkrei-sen gemieden, von Prüfungen ausgeschlossen.Dichte und Qualität der direkten Interaktionendes Ehepaars mit der Umwelt entwickeln sich dif-ferenziell in Abhängigkeit von der Positionierungder jeweiligen Partner im und zum Stigmatisie-rungszusammenhang: Auf der einen Seite nehmenMenge und Intimität der Interaktionen mit ‚Nor-malen‘, d.h. nichtjüdischen, insbesondere regime-freundlichen deutschen Kollegen, Bekannten,und Zufallsbekanntschaften ab, explizite Interak-tions- und Kommunikationsverweigerungen undoffene Konfrontationen zu. Ab 1933 lichtet sichauch der Kreis der engeren Freunde der Klemper-ers, bis das Ehepaar schließlich 1942 praktisch mitsich allein ist. Parallel fokussieren sich Interaktionund Kommunikation auf gleichermaßen Stigma-tisierte bzw. Sympathisanten, wobei sich zugleichsowohl das Themenspektrum in Konversationenverengt als auch ein spezieller Sprachcode heraus-bildet. Als besonders einschneidend erlebt Klem-perer die Einführung der Zwangskennzeichnungmittels ‚Judenstern‘ im Jahr 1941, wodurch dieVerheimlichung des Stigmas unmöglich und des-sen interaktionsstrukturierende Macht unhinter-gehbar wird. Um 1942 schließlich gleichen dieStrukturen des Alltags und der Interaktion desEhepaars Klemperer kaum mehr denen vor 1933,während sie sich in der zweiten Hälfte des Jahres1945 schnell wieder auf den Stand von vor 1933zurückbilden. Mit der Darstellung der Arbeit dürfte deutlichgeworden sein: Gentzel scheut Komplexität nicht,betreibt ambitionierte Theoriebildung, entwickelt

ein differenziertes Analyseinstrumentarium undvermag dieses Niveau auch bei der Darstellungund Diskussion der Tagebuchanalyse zu halten.Darunter leidet gerade im theoretischen Teil etwasdie Übersichtlichkeit, trotz einiger Zwischenresü-mees. Gleichwohl ist die Transparenz und Syste-matizität der Arbeit hervorzuheben: Alle relevan-ten Fragen im wissenschaftsstrategischen, konzep-tuellen und methodisch-methodologischenBereich werden diskutiert, die sukzessive ent-wickelte theoretische Modellierung wird kohärentin ein differenziertes, detailliert offengelegtesKategorienraster überführt. An diesem orientiertsich auch die Ergebnisdarstellung, ohne denBezug zum theoretischen Hintergrund zu verlie-ren. Lediglich die Einführung einiger zur Tage-buchanalyse herangezogener Konzepte (insbes.des Kommensalitätskonzeptes) im methodologi-schen – nicht etwa im theoretischen Teil – derArbeit erscheint unter Systematizitätsgesichts-punkten inkonsequent. Die Visualisierung derbeobachteten Veränderungen für einige Untersu-chungskategorien in Form von Liniendiagram-men trägt das Ihrige zur Eindrücklichkeit derErgebnisse bei. Schade nur, dass eines der Schau-bilder doppelt abgedruckt wurde, zu Lasten einesanderen. Überhaupt: Das leidige Stichwort ‚Lek-torat‘. Die Validität der Untersuchungskategorienund damit auch der ihr zugrundeliegenden theo-retischen Modellierung zeigt sich nicht nur aufPlausibilitätsebene, nämlich in der bereits erwähn-ten Beobachtung einer schlagartigen Re-Formati-on der Alltags- und Interaktionsstrukturen derKlemperers nach dem Ende der Naziherrschaft,sondern auch in ihrer Kongruenz mit Ergebnissender aktuellen soziologischen Ausgrenzungs- sowieder sozialpsychologischen Stigmaforschung.Damit drängt sich allerdings notwendigerweisezugleich die Frage auf, inwieweit Gentzel den hierthematisierten Phänomenen mit einem begriff-lich-konzeptuellen Instrumentarium gerecht wer-den kann, dessen rezenteste Elemente aus den1960er Jahren stammen und das somit spätereEntwicklungen weitestgehend unberücksichtigtlässt? Im Bereich der Ausgrenzungsforschung sinddiese Befürchtungen am wenigsten begründet,konzentriert sich Gentzel doch auf eine in deraktuelleren soziologischen Ausgrenzungsdebattevergleichsweise wenig untersuchte Ausgrenzungs-dimension. Aber auch auf dieser Analyseebenewären Ergänzungen möglich, in den Sinn kom-men hier beispielsweise die Arbeiten von N. Eliaszur ‚Etablierten-Außenseiter‘-Figuration, oderauch Studien im Umkreis des ‚Impression-Mana-gement‘-Konzepts. Allerdings: Es mag Weiterent-

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wicklungen gegeben haben, die von Gentzel her-angezogenen Autoren sind aber auch heute nochdie jeweils einschlägigen. Die wesentlichenDimensionen sozialer Ausgrenzung in sozialenNahbeziehungen werden daher in diesem Modellzweifellos erfasst. Zudem gewährleistet dieBeschränkung auf wenige, zudem hinsichtlichihrer Perspektive, Analyseebene und mitgeführtenPrämissen kompatible Ansätze die Homogenitätdes begrifflich-konzeptuellen Rahmens. Eine loh-nende Weiterung könnte jedoch der Einbezugaktuellerer Entwicklungen im Bereich der inter-personalen Kommunikation sein, existiert hierdoch ein – wennauch übersichtliches – For-schungsfeld an der Schnittstelle zwischen Identitätund Kommunikation, sowie eine Reihe von Kon-zepten, die eine Identifikation und Strukturierungweiterer ausgrenzungsrelevanter Dimensionen ins-besondere der Beziehungsebene interpersonalerKommunikation erlauben könnte. Obwohl dieserBereich nämlich von Gentzel als systematisch zen-tral und Fokus seiner Untersuchung stehend ein-geführt wird, nehmen kommunikative Phänome-ne im engeren Sinn im letztlich eingesetzten Ana-lyseraster vergleichsweise (!) geringen Raum ein.Sinnvoll sind solche Elaborationen zumindest fürempirische Zwecke freilich überhaupt nur dann,wenn die zu analysierenden Quellen entsprechen-de Informationspotentiale bieten, was bei den hieruntersuchten Tagebüchern kaum der Fall seindürfte. In dieser Hinsicht sind die eben formulier-ten Desiderata eher als Anregungen zur Weiter-entwicklung des Instrumentariums für andereAnwendungsbereiche zu verstehen. Einem ebensovielversprechenden Unterfangen widmet sichGentzel selbst im Rahmen seines Dissertations-vorhabens: der Ausarbeitung einiger in der Arbeitangestellter Überlegungen zur theorie- und fach-systematischen Verortung und Bedeutung inter-personaler Kommunikation. Was aber – bilanzie-rend – die vorliegende Arbeit anbetrifft, so geht siesowohl in theoretischer als auch empirischer Hin-sicht weit über das für eine Magisterarbeit Erwart-bare hinaus, weshalb sie es auch verdient, nicht anden betreffenden Maßstäben gemessen zu werden.

Felix Frey

BERNHARD PÖRKSEN / WIEBKE LOOSEN / ARMIN

SCHOLL (HRSG.): Paradoxien des Journalis-mus. Theorie – Empirie – Praxis. Fest-schrift für Siegfried Weischenberg. Wies-baden: VS Verlag für Sozialwissenschaf-ten 2008, 747 Seiten

Ein Praktiker meinte im Gespräch über diesenBand, dass hier alle aktuellen Fragen und Proble-me, die gegenwärtig den Journalismus beschäfti-gen, behandelt werden. Anhand dieses Buchesund der darin versammelten Autorinnen undAutoren könnten, meinte er weiter, eigene Posi-tionen überprüft werden, nämlich wie man alsJournalist selbst mit den Paradoxien umgeht,denn in Wirklichkeit gehe es im Journalismus sehroft um Paradoxienmanagement. In ihrem Vorwort „Kleine Apologie der Fest-schrift“ postulieren die Herausgeber Pörksen/Loosen/Scholl, dass es sich eben nicht um eine als„klassisch“ einzustufende Festschrift handelt, diesich als „schlichte Huldigung lesen lässt, sondernals das, was wissenschaftliche Kommunikationausmacht: resümierende Anerkennung und ent-schiedene, in der Sache begründete Kritik, kon-struktive Weiterführung und engagierte Debatte(…)“(S. 14). Die Beiträgerinnen und Beiträgerhatten sich an die klaren thematischen Vorgabender Herausgeber zu halten, um so zumindest vonder Ausgangsidee – her zu gewährleisten, dass dieAusführungen vor dem Hintergrund der beschrie-benen Aufgabenstellung betrachtet und geschrie-ben werden. Ausgangspunkt bildete die Grund-these des zu ehrenden Jubilars, dass „SiegfriedWeischenberg als Theoretiker, als Empiriker undals Praktiker ein Denken des Widerspruchs prak-tiziert, eine dialektisch angelegte Reflexion jenerAporien, Dilemmata und Widersprüche, die tiefin die westliche Medienordnung eingelassen sind“(S. 14). Journalismus per se ist vereinfacht for-muliert ein Diener zweier Herren: der Publizistikund des Kommerz. In dieser Paradoxie, Schizo-phrenie, in diesem Ausbalancieren der unter-schiedlichsten Anforderungen arbeiten Journali-sten. Und so ist die „Einführung und Begriffser-klärung“ der Herausgeber sehr aufschlussreichund spannend zu lesen, denn hier werden diegrundlegenden Problemperspektiven und begriff-lichen Schärfe- und Unschärferelationen, die imheutigen Journalismus schlagend sind, in einersachlich kühlen, argumentativ stringenten Formbenannt. Damit ist eine kluge Voraussetzung fürdie folgende Kapitelgliederung und theoretischeHinführung zu den Beiträgen der 43 Autorinnenund Autoren gegeben. Eine formale „Paradoxie“

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findet sich auch, indem die Seite 33 mit den Lite-raturhinweisen zwei Mal abgedruckt ist, sodass die„Spannungsfelder des Journalismus“ gleich zweiMal beginnen. Nach dem ersten Kapitel, den Voraussetzungen,folgt das zweite Großkapitel „Spannungsfelder desJournalismus“ – Neuberger resümiert in seinenAusführungen über „Die Allgegenwart des Wider-spruchs“ (vgl. S. 37-61), dass es vor allem darumginge die „Ambivalenz der Medienevolution“ (S.56) zu durchschauen, da sich hier sehr deutlicheinerseits unerfüllte Euphorien in Bezug aufÖffentlichkeitsutopien zeigen würden (als Beispielwird das evidente Beispiel von Brecht und Enzens-berger angeführt), und dass sich – wie zuvorbereits postuliert – Journalismus per se in einerparadoxen Situation befinde. In diesem Abschnittfinden sich Forderungen nach mehr Ökonomik-Forschung in der Journalistik und Kommunikati-onswissenschaft von Ruß-Mohl (vgl. S. 119),Wyss (vgl. S. 124) diskutiert Fragen der Kommer-zialisierungstrends, Donsbach verweist auf dieunterschiedlichen Traditionen der Entwicklungdes Journalismus und der Pressefreiheit in denUSA und Großbritannien im Gegensatz zu derSituation in Deutschland (vgl. S. 149), Prottbeschäftigt sich mit den „abhängigen Selbstdar-stellern“ (ab S. 193-208), um auch die „Paradoxieeiner wechselseitigen Verschränkung von Fesse-lungen und Entfesselungen im Journalismus“ zubeschwören. Thomaß geht in ihrem Beitrag über„Aporien und Dilemmata journalistischer Ethik“(vgl. S. 297) von der These aus, dass journalisti-sche Ethik über den definierten nationalen Kom-munikationsraum hinaus auf viele Öffentlichkei-ten und Rezipienten trifft. Am Beispiel des Kari-katurenstreits versucht sie diese These zu veran-schaulichen und einen Dialog der Kulturen zuforcieren (vgl. S. 308).S. J. Schmidt konstatiert,dass Mediensysteme eben von „Paradoxierungenund Schematisierungen“ (S. 324) leben. Und - um in der notwendigen Aufzählung derBeiträger einen Sprung nach vorne zu machen -Bucher/Schumacher befassen sich mit dem Inno-vationspotenzial eines konvergenten Journalis-mus, der Beitrag von Schönbach schließt daran anund beleuchtet die Zukunftsperspektiven des Bür-gerjournalismus und dass man wohl doch nichtohne Journalisten auskommen kann, da die Nach-richtenfunktion und die „zuverlässige Überra-schung“ (S. 508) nur von diesen geleistet werdenkann, und das Publikum gar nicht die Möglich-keit und das Interesse hätte, diese Aufgabe zuübernehmen. Im dritten großen Kapitel „Spannungsfelder der

Wissenschaft“ sind wiederum viele Beiträge ver-sammelt, die einerseits „Theorie und Paradigma“thematisieren, andererseits „Theorie und Empire“und „Theorie und Praxis“. Löffelholz geht von derTheorienvielfalt in dem Versuch Journalismus zubeschreiben aus und konstatiert gleich zu Beginnseines Beitrags, dass es viele Ansätze gibt, die „amBeginn des 21. Jahrhunderts normative mit empi-risch-analytischen Zugängen, ontologische mitkonstruktivistischen Vorstellungen, individualisti-sche mit organisations- oder gesellschaftsorientier-ten Annäherungen, sozialsystemische mit kultur-bezogenen Auffassungen (…)“ (S. 533) miteinan-der konkurrieren. Denn für Löffelholz sind dieunterschiedlichen Ansätze, in ihrer Konsistenz undInkonsistenz ein Weg, um die Theoriedebatte vor-anzutreiben (vgl. S. 534), und er setzt sich auchmit Weischenbergs Zwiebel-Modell auseinander,beschreibt dessen Grenzen und fordert, dass dieForscher „ihre Überlegungen für ein weltweitesPublikum“ (S. 546) aufbereiten. Daran ansch-ließend beklagt Haller, dass man sich von der „Ideeeiner ‚Supertheorie’ längst“ hat verabschiedenmüssen und moniert, „dass die Journalistik ihrTheoriegeschäft mehr oder weniger kampflos andie sozialwissenschaftlich zentrierten, von häufigenParadigmenwechseln heimgesuchte Medienwis-senschaft abgetreten hat (…)“ (S. 550). Die Grün-de dafür verortet Haller darin, dass der Journalis-mus in Deutschland „vor allem ein Politikum war(…), das im Käfig des Systemdenkens domestiziertwerden sollte“ (S. 550). Haller verwehrt sich in sei-ner Argumentation dagegen, dass der Journalismusin ein systemtheoretisches Korsett verpackt werde,und dass „die Luhmann-Apologetik den prakti-schen Journalismus fast bis zur Unkenntlichkeitmit Theorielack übermalt hat“ (S. 552). Rühl stelltfest, dass der Begriff „paradox“ in den journalisti-schen Lehr- und Handbüchern selten vorkommt(vgl. S. 572) und verweist auf Kant, dem die Kon-zeption von Paradoxa suspekt war (vgl. S. 573).Eine seiner Thesen ist, dass Journalismusproblemedahingehend paradox seien, „als sie teils aktuell,teils potenziell zu unterscheiden sind – aber niegleichzeitig“ (S. 576). Kleinsteuber beschreibt den Wunsch (oder dieParadoxie?), dass Journalisten Romane schreibenwollen, und dass das Verhältnis von Journalistenzum Spannungsroman immer schon ein engeswar. Als Beispiele nennt er Edgar Allan Poe, EdgarWallace und Georges Simenon – denen gemein-sam ist, dass sie nicht nur erfolgreiche Autoren desSpannungs- bzw. Kriminalromans waren, sondernauch Journalisten waren (vgl. S. 409). Kleinsteu-ber stellt – und damit ist sein Beitrag a-typisch im

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Vergleich mit den sonstigen – Journalisten alsMedienthriller-Autoren vor und versucht damitzu zeigen, dass Journalisten besonders auf zweiEbenen mit Paradoxien umgehen müssen, „einer-seits in der widersprüchlichen Lebenswirklichkeitdes Journalisten zwischen abhängiger Beschäfti-gung und dem Traum von der eigenen Freiheit,zum anderen in der Spanne zwischen den tägli-chen Produktionsroutinen des Schreibens unddem Wunsch, selbstbestimmt und ohne Limitsdie eigene Geschichte erzählen zu können“ (S.425). Ein Zitat, das für viele Beiträge als pars prototo für die Auseinandersetzung mit Journalismusgelesen werden kann. Loosen weist in ihrem Beitrag darauf hin, dassWissenschaft und Journalismus zumindest zweiParadoxien miteinander teilen: „als soziale Funkti-onssysteme die Paradoxie der offenen Geschlos-senheit und als konstruktivistische Beobachterzweiter Ordnung die nicht-willkürliche Willkür-lichkeit ihrer Operationen. Zum anderen sind fürbeide Funktionssysteme – bei allen sonstigenUnterschieden – die Begriffe ‚Wahrheit’ und‚Objektivität’ gleichermaßen relevant (…) undKernelemente zahlreicher einschlägiger Diskurse“(S. 601). Im vierten und letzten Großkapitel geht es umden zu Ehrenden selbst: „Schluss: Porträt undGespräch“. Beim Gespräch, das in kleine Absätzeeingeteilt ist (Frage- Antwort-Spiel) werden vonden „Versprechen der Journalistik“ (S. 721), überdie Erwartungen der Praktiker an eine Journali-stenausbildung, über die Vorstellung der Integra-tion von Theorie und Praxis im Fach, über dieAufgaben der Journalistik, über systemtheoreti-sche Ansätze in der Journalistik bis hin zum Vor-schlag „nachrichtlich/nicht-nachrichtlich“ als eineneue Leitdifferenz des Journalismus zu diskutie-ren, und darüberhinaus zu den Strukturmerkma-len und den Stars der journalistischen Branche(vgl. 738). Weischenberg resümierend: „Journalis-mus ist schrecklich und schön, das kann ich ausvielfältiger eigener Erfahrung sagen; ich selbst binmit Leib und Seele Journalist gewesen, obwohl ichmich fast jeden Tag über den Journalismus undseine Bedingungen geärgert habe. (…) Wenn esgelingt, das Bewusstsein für diese in unserMediensystem eingebauten Schizophrenien undnie ganz auflösbaren Paradoxien wach zu halten,wenn es gelingt diese Widersprüche immer wiederneu erkennbar und erfahrbar zu machen, sie nichtaufzulösen, sondern zu analysieren und kontroversauszutragen, dann erscheint mir die Journalistiknicht mehr ganz so unmöglich“ (S. 741). Auf denersten Blick mutet der Band sehr heterogen an –

auch und vor allem wegen der verschiedenentheoretischen Zugänge: deren Bogen sich vonnormativen und individualistischen Journalismus-konzepten, den analytischen Empirismus, überfunktionalistische und konstruktivistischeSystemtheorie, sozial-integrative Ansätze, organi-sationstheoretische Ansätze bis zu Ansätzen derCultural Studies spannen lässt – doch es gibteinen manchmal manifest scheinenden undmanchmal vielleicht nur imaginär vorhandenenroten Faden: den in der Person von Siegfried Wei-schenberg. Diese Festschrift ist – im besten Sinnedes Wortes – ein Fest für Theorie und Praxis desJournalismus, und auch eine gute Lektüreempfeh-lung für höher semestrige Studierende, besondersdeshalb, weil sie dieses Buch auch aus mnemo-technischen Gründen gut gebrauchen können,denn – wie nicht anders zu erwarten – beziehensich die Autorinnen und Autoren auf bekanntehistorische, theoretische und empirische Aus-gangspunkte, die den Journalismus kennzeichnenund den wissenschaftlichen Diskurs in der Jour-nalistik bestimmen. Und weil die prominent ver-sammelten Autorinnen und Autoren ernsthaft,manchmal leicht polemisch doch immer glaub-haft um eine theoretisch fundierte Auseinander-setzung mit Journalismus ringen.

Petra Herczeg

MICHAEL ECKARDT: Zwischenspiele der Film-geschichte. Zur Rezeption des Kinos derWeimarer Republik in Südafrika 1928-1933. Berlin: Trafo Verlag 2008, 487 Sei-ten.

Eine in der Thematik äußerst spezielle und –wenn man so will – für die Südafrikawissenschaf-ten, aus deren Sicht hier die Buchvorstellungerfolgt, recht ungewöhnliche Studie hat MichaelEckardt vorgelegt. Es handelt sich um eine über-arbeitete Fassung seiner Dissertation, die an derUniversität Stellenbosch erarbeitet worden ist. Inihr untersucht Eckardt die deutschen Filme, dieEnde der 1920er/zu Beginn der 1930er Jahre inSüdafrika zur Aufführung gelangten und vorallem deren Rezeption im damaligen Rassisten-staat sowie mannigfache Fragen zu den Umstän-den der dortigen Aneignungsweisen der Kinopro-duktionen deutschen Ursprungs. Zu Recht hebtder Verfasser zu Beginn seiner Studie hervor, dassbisher „die Filmhistoriographie den KontinentAfrika besonders stiefmütterlich und allenfalls alsein Randgebiet der Fachgeschichte behandelt“ (S.

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13) hat. Immerhin gibt es einige deutsch- undenglischsprachige „Filmgeschichten“, die unbe-greiflicher Weise ohne Erwähnung des afrikani-schen Kontinents auskommen. Erst ab den1980er Jahren hat sich in dieser Hinsicht sukzessi-ve ein Paradigmenwechsel in der Filmhistoriogra-phie vollzogen.Der Süden Afrikas bleibt dennoch bis heute weit-gehend außerhalb des Blickwinkels der Filmhisto-riker, selbst wenn sie sich in den letzten Jahrenzunehmend der Analyse der sogenannten Koloni-alfilme zugewandt haben. Bei der Beurteilung isteine Besonderheit zu berücksichtigen, denn es exi-stierte in Südafrika eine andere Form kolonialerHerrschaft als in der übrigen überseeischen Welt,welche somit nicht in das gängige Klischee derweitverbreiteten Vorstellungen von europäischerKolonialherrschaft passt. Anders als im übrigenAfrika entwickelte sich im Süden des Kontinentsselbst keine Kolonialgesellschaft mit starken Ver-bindungen zum „Mutterland“, sondern Südafrikaist zu großen Teilen aus burischen Siedlerkolonienentstanden. Jedoch gab es mit Natal und der Kap-kolonie auch englische Kolonien, die zur damali-gen Südafrikanischen Union im Jahre 1910zusammengeschlossen wurden. So schwierig, weil kompliziert, sich die allgemeineGeschichte Südafrikas darstellt, ist auch die Film-geschichte der heutigen Republik Südafrika zubewerten. Die „post-koloniale Schule“, so Eckardtzu Recht, negiert noch heute Südafrika „als film-geschichtlichen Sonderfall“ (S. 17). Diesen in derFilmgeschichte weißen Flecken etwas zu beseitigenoder wenigstens zu verkleinern hat sich Eckhardtzur Aufgabe gemacht. Ein ambitioniertes und sehraufwändiges Unternehmen, was ohne Zweifel inweiten Teilen als gelungen betrachtet werden kann,denn es werden deutsche wie südafrikanischeQuellen sowie eine beträchtliche Anzahl von ein-schlägiger Literatur, inklusive schwer zugänglicherAufsätze, kenntnisreich und in der Analyse span-nend ausgewertet. Somit ist insgesamt geseheneine recht umfangreiche Studie entstanden. Der Verfasser hebt zum Anfang seiner Ausführun-gen bereits hervor, dass es im Untersuchungszeit-raum im Süden Afrikas eine starke pro-deutscheHaltung gab, die sich selbstverständlich auch inder damaligen Haltung zu deutschen Filmen aus-drückte. Die germanophile Einstellung der süd-afrikanischen Öffentlichkeit kam indes nicht nurdurch den starken deutschen Bevölkerungsanteilzustande, sondern resultierte auch aus der Tatsa-che, dass die burische Bevölkerung zu einemgroßen Anteil auf deutschsprachige Vorfahrenzurückzuführen ist. Und so hat auch die Sprache

der Buren, das Afrikaans, viele deutsche Elemen-te. Eine bis heute anhaltende, zuweilen naiveDeutschfreundlichkeit blieb nicht aus, was nichtzuletzt an der Auswahl und Rezeption vondeutschsprachigen Filmproduktionen zum Aus-druck kommt. Von allen südafrikanischen„weißen“ Bürgern (Schwarze dürften kaum beson-deres Interesse und Geld für die Präsentation dereuropäischen Kultur gehabt haben), und hieruntervor allem die Afrikaanssprachigen und natürlichden nicht wenigen in Kapstadt und Umgebungwohnenden Deutschstämmigen, war (wie übrigensauch heute noch zu beobachten) die übergroßePräsenz von US-amerikanischen Hollywood-Fil-men zuwider. Eine eigene ins Gewicht fallendesüdafrikanische Filmproduktion gab es allerdingsnicht. Also wurden vor allem deutsch- und eng-lischsprachige Filme in die damalige Südafrikani-sche Union importiert. Diese beherrschten dieKinoprogramme. Wie die südafrikanische Kinoin-dustrie auf diese Situation reagierte, wie in all ihrenmehr oder minder reichen Facetten die Filme vonder afrikaanssprachigen, als auch der englischstäm-migen Bevölkerung Südafrikas rezipiert wurden,analysiert der im Jahre 2008 in Deutschland pro-movierte Medienwissenschaftler Michael Eckardt.Neben den für eine Dissertation üblichen Ein-führungskapiteln besteht die Arbeit aus fünf sub-stantiellen Hauptteilen. So stehen etwa „Kino undGesellschaft in Südafrika in den 1920er und1930er Jahren“ (S. 53 ff.) im Mittelpunkt derUntersuchung. Hier findet der Leser interessanteAusführungen zu allgemeinen historischen Prozes-sen im südlichen Afrika, aber auch zu spezifischenfilmgeschichtlichen Reminiszenzen. Eigene Kapi-tel sind der Analyse der damaligen branchenrele-vanten Presselandschaft und der Filmkritik in Süd-afrika sowie dem Export von europäischen undnordamerikanischen Filmen ins Land am Kapgewidmet. Zwei weitere, akribisch untergliederteKapitel befassen sich mit den dort gezeigten deut-schen Spielfilmen sowie mit Rezeptionsanalysen.Die Arbeit überzeugt in ihrer wissenschaftlichenAussage, nicht zuletzt durch die vielen Statistikenund Tabellen. Es handelt sich hier also um einedetaillierte, mit großem Fleiß und Engagementerarbeitete, einen besonderen Aspekt der deutsch-südafrikanischen Beziehungen beleuchtendePublikation, an der kein Historiker vorübergehenkann, der sich in irgendeiner Weise mit dendeutsch-südafrikanischen Kulturbeziehungenbefassen will. Abgesehen davon ist es ein wichtigesWerk der außereuropäischen Mediengeschichte.

Ulrich van der Heyden

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zeit&medienmedien & zeit

NEUERSCHEINUNG

Klaus Arnold, Markus Behmer, Bernd Semrad (Hg.):

Kommunikationsgeschichte. Positionen und Werkzeuge. Ein diskursivesHand- und Lehrbuch.(= Kommunikationsgeschichte Band 26.) Münster: LIT 2008.

Was sind die Ziele historischer Kommunika-tionsforschung? Über welche Theorien wird inder Kommunikationsgeschichte diskutiert?Welche Methoden eignen sich für die Erfor-schung historischer Fragestellungen?Das Lehr- und Handbuch informiert über denaktuellen theoretischen Diskurs und die zentra-len Werkzeuge, die zur historischen Erforschungder öffentlichen Kommunikation und derFachgeschichte herangezogen werden können. Der thematische Bogen spannt sich von derKulturwissenschaft und Systemtheorie überBiographismus und Genderforschung bis hin zuquantitativen und qualitativen Analyseverfahren. Mit Beiträgen von Horst Pöttker, Rainer Gries,Kurt Imhof, Klaus Arnold, Rudolf Stöber, Wolfram Peiser, Wolfgang R. Langenbucher,Susanne Kinnebrock, Edgar Lersch, JürgenWilke, Markus Behmer, Christoph Classen,Michael Meyen, Hans Bohrmann, JosefSeethaler, Maria Löblich und Stefanie Averbeck.

464 S., geb., EUR 39,90ISBN 978-3-8258-1309-3