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© Schattauer 2013 Tierärztliche Praxis Großtiere 3/2013 190 Kasuistik Metastasierendes malignes Melanom mit Festliegen ante partum infolge Rückenmarkskompression bei einer Stute* Ein Fallbericht L. Hildebrandt 1 ; K. Jäger 2 ; A. Snyder 3 ; A. Sobiraj 1 1 Ambulatorische und Geburtshilfliche Tierklinik, Veterinärmedizinische Fakultät, Universität Leipzig; 2 Institut für Veterinär-Pathologie, Veterinärmedizinische Fakultät, Universität Leipzig ; 3 Medizinische Tierklinik, Veterinärmedizinische Fakultät, Universität Leipzig Schlüsselwörter Pferd, Cauda-equina-Syndrom, Tumor Zusammenfassung Der Fallbericht beschreibt die Einengung des Rückenmarkskanals durch ein malignes Melanom mit resultierendem akutem Festliegen bei einer hochtragenden, 17 Jahre alten Welsh-B-Ponystute. Als ur- sächlich für das akute Festliegen war der Einbruch von Metastasen des malignen Melanoms in den Wirbelkanal im Bereich der letzten Lendenwirbel und des Kreuzbeins anzusehen, wo der Tumor die Dura mater infiltriert und das Lenden- sowie Sakralmark auf einer Länge von 10 cm mittelgradig komprimiert hatte. Dargestellt werden neben dem klinischen Bild labordiagnostische, pathologisch-anatomische und histopathologische Befunde. Key words Brood mare, cauda equina syndrome, tumour Summary The case report describes a narrowing of the spinal canal in the lum- bar and sacroiliac regions with entailing acute recumbency in a near- term 17-year-old Welsh B Pony mare. The reason for recumbency was metastases of a malignant melanoma in the spinal canal of the lumbo-sacral region, where the tumour had invaded the dura mater and applied severe pression on the spinal cord over a length of 10 cm. Clinical findings, laboratory diagnostics, pathological-anatomical and histopathological findings are presented. Korrespondenzadresse Dr. Lydia Hildebrandt Ambulatorische und Geburtshilfliche Tierklinik Veterinärmedizinische Fakultät der Universität Leipzig An den Tierkliniken 29 04103 Leipzig E-Mail: [email protected] Metastatic malignant melanoma with spinal cord compression and resulting recumbency ante partum in a mare. A case report Tierärztl Prax 2013; 41 (G): 190–194 Eingegangen: 22. Januar 2013 Akzeptiert nach Revision: 8. April 2013 Einleitung Melanome sind gut- oder bösartige Pigmentgeschwulste, die durch Wucherungen von Melanozyten entstehen. Die melanozytären Tu- moren bei den Haussäugetieren werden gemäß WHO-Klassifika- tion (4) in Naevi, Melanozytome (benigne Melanome), Melano- akanthome und maligne Melanome eingeteilt. Darüber hinaus gibt es beim Pferd die dermale Melanomatose der Schimmel sowie dermale anaplastische Melanome nichtschimmelfarbener Indivi- duen (7, 15, 17, 21, 23). Melanozytäre Naevi zeichnen sich durch ihre Benignität und oberflächliches Wachstum aus. Sie kommen bei jüngeren Pferden aller Farbvarianten vor. Anaplastische, maligne Melanome treten bei älteren, nicht schimmelfarbenen Tieren mit hoher Metastasie- rungsrate auf. Equine dermale Melanome stellen kleine erhabene Knötchen mit niedriger Metastasierungsneigung dar, während es sich bei der equinen dermalen Melanomatose um eine flächige Ansammlung dermaler Melanome mit hoher Metastasierungs- tendenz handelt. Beide Formen treten vornehmlich in der Peri- nealregion, an den äußeren Genitalien und unter dem Schweif bei Schimmeln über 15 Jahren auf. Mittel der Wahl zur Einschätzung der Dignität einer solchen melanozytären Neoplasie ist deren his- topathologische Untersuchung, beispielsweise über Entnahme ei- nes Bioptats (20, 21). Benigne Melanome können sich im Lauf der Zeit zu malignen entwickeln (19). Beim Pferd gibt es mehrere Berichte über metastasierende me- lanozytäre Tumoren als Ursache für neurologische Ausfallserschei- nungen im Sinne eines Cauda-equina-Syndroms (6, 11, 12, 16, 18, 22). Die neurologischen Ausfälle beruhen in den meisten Fällen * Herrn Prof. Dr. Dr. h. c. mult. H. Bostedt zum 75. Geburtstag gewidmet. For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. Downloaded from www.tieraerztliche-praxis.de on 2013-07-03 | ID: 1000521564 | IP: 139.18.25.12

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© Schattauer 2013 Tierärztliche Praxis Großtiere 3/2013

190Kasuistik

Metastasierendes malignes Melanom mit Festliegen ante partum infolge Rückenmarkskompression bei einer Stute*Ein Fallbericht

L. Hildebrandt1; K. Jäger2; A. Snyder3; A. Sobiraj11Ambulatorische und Geburtshilfliche Tierklinik, Veterinärmedizinische Fakultät, Universität Leipzig; 2Institut für Veterinär-Pathologie, Veterinärmedizinische Fakultät, Universität Leipzig; 3Medizinische Tierklinik, Veterinärmedizinische Fakultät, Universität Leipzig

SchlüsselwörterPferd, Cauda-equina-Syndrom, Tumor

ZusammenfassungDer Fallbericht beschreibt die Einengung des Rückenmarkskanals durch ein malignes Melanom mit resultierendem akutem Festliegen bei einer hochtragenden, 17 Jahre alten Welsh-B-Ponystute. Als ur-sächlich für das akute Festliegen war der Einbruch von Metastasen des malignen Melanoms in den Wirbelkanal im Bereich der letzten Lendenwirbel und des Kreuzbeins anzusehen, wo der Tumor die Dura mater infiltriert und das Lenden- sowie Sakralmark auf einer Länge von 10 cm mittelgradig komprimiert hatte. Dargestellt werden neben dem klinischen Bild labordiagnostische, pathologisch-anatomische und histopathologische Befunde.

Key wordsBrood mare, cauda equina syndrome, tumour

SummaryThe case report describes a narrowing of the spinal canal in the lum-bar and sacroiliac regions with entailing acute recumbency in a near-term 17-year-old Welsh B Pony mare. The reason for recumbency was metastases of a malignant melanoma in the spinal canal of the lumbo-sacral region, where the tumour had invaded the dura mater and applied severe pression on the spinal cord over a length of 10 cm. Clinical findings, laboratory diagnostics, pathological-anatomical and histopathological findings are presented.

KorrespondenzadresseDr. Lydia HildebrandtAmbulatorische und Geburtshilfliche TierklinikVeterinärmedizinische Fakultät der Universität LeipzigAn den Tierkliniken 2904103 LeipzigE-Mail: [email protected]

Metastatic malignant melanoma with spinal cord compression and resulting recumbency ante partum in a mare. A case reportTierärztl Prax 2013; 41 (G): 190–194Eingegangen: 22. Januar 2013Akzeptiert nach Revision: 8. April 2013

Einleitung

Melanome sind gut- oder bösartige Pigmentgeschwulste, die durch Wucherungen von Melanozyten entstehen. Die melanozytären Tu-moren bei den Haussäugetieren werden gemäß WHO-Klassifika-tion (4) in Naevi, Melanozytome (benigne Melanome), Melano -akanthome und maligne Melanome eingeteilt. Darüber hinaus gibt es beim Pferd die dermale Melanomatose der Schimmel sowie dermale anaplastische Melanome nichtschimmelfarbener Indivi-duen (7, 15, 17, 21, 23).

Melanozytäre Naevi zeichnen sich durch ihre Benignität und oberflächliches Wachstum aus. Sie kommen bei jüngeren Pferden aller Farbvarianten vor. Anaplastische, maligne Melanome treten

bei älteren, nicht schimmelfarbenen Tieren mit hoher Metastasie-rungsrate auf. Equine dermale Melanome stellen kleine erhabene Knötchen mit niedriger Metastasierungsneigung dar, während es sich bei der equinen dermalen Melanomatose um eine flächige Ansammlung dermaler Melanome mit hoher Metastasierungs -tendenz handelt. Beide Formen treten vornehmlich in der Peri -nealregion, an den äußeren Genitalien und unter dem Schweif bei Schimmeln über 15 Jahren auf. Mittel der Wahl zur Einschätzung der Dignität einer solchen melanozytären Neoplasie ist deren his-topathologische Untersuchung, beispielsweise über Entnahme ei-nes Bioptats (20, 21). Benigne Melanome können sich im Lauf der Zeit zu malignen entwickeln (19).

Beim Pferd gibt es mehrere Berichte über metastasierende me-lanozytäre Tumoren als Ursache für neurologische Ausfallserschei-nungen im Sinne eines Cauda-equina-Syndroms (6, 11, 12, 16, 18, 22). Die neurologischen Ausfälle beruhen in den meisten Fällen * Herrn Prof. Dr. Dr. h. c. mult. H. Bostedt zum 75. Geburtstag gewidmet.

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191 L. Hildebrandt et al.: Metastasierendes malignes Melanom bei einer Stute

auf einer Einengung des Rückenmarkskanals durch die infiltrativ wachsende Neoplasie. Aber auch Metastasen anderer nichtneuro-naler Neoplasien, wie z. B. Lymphosarkome, multiple Myelome, extramedulläre Plasmozytome, Fibrosarkome und Hämangiosar-kome, können zu einer extraduralen Kompression führen (11, 16, 18). Im Folgenden wird eine Einengung des Rückenmarkskanals im Bereich der letzten Lendenwirbel und des Iliosakralgelenks mit resultierendem akutem Festliegen bei einer hochtragenden Pony -stute beschrieben.

KasuistikPatient und Anamnese

Die 17 Jahre alte, schimmelfarbene Welsh-B-Ponystute befand sich, gerechnet vom letzten Deckdatum, am 346. Trächtigkeitstag. Die vorhergehenden drei Trächtigkeiten und Geburten waren ohne Komplikationen verlaufen. Etwa 3 Wochen vor Einlieferung in die Klinik wies das Pferd erstmalig einen schwankenden Gang auf und setzte dunklen Urin ab. Wegen des näher rückenden Geburtster-mins wurde die Stute ab ca. 14 Tagen vor ihrer Einweisung regelmä-ßig durch die Besitzer kontrolliert. Bis eine Woche vor der Klinik-einweisung legte sie sich hauptsächlich nachts nieder, stand dann aber spontan und ohne Probleme auf. Am Morgen der Klinikein-weisung wurde sie festliegend vorgefunden. Der zunächst konsul-tierte Haustierarzt stellte Lebenszeichen der Frucht bei noch ge-schlossener Zervix fest. Die Stute erhielt eine intravenöse Infusion von isotoner Kochsalz- und Glukoselösung sowie eine Dexametha-son-Injektion (0,1 mg/kg i. v.). Da sich der Zustand des Festliegens nicht änderte, wurde das Tier am selben Tag überwiesen.

Klinische Untersuchung

Beim Eintreffen lag die Stute in Seitenlage fest und zeigte ein un -gestörtes Sensorium. Die Herzfrequenz betrug 60 Schläge/min, die Atemfrequenz 16 Züge/min und die rektal gemessene Körper -innentemperatur 36,7 °C. Die Maulschleimhäute waren blassrosa, die kapilläre Rückfüllungszeit lag unter 2 Sekunden und das venö-se Blutangebot war prompt. Die Labien erschienen gefältet und (noch) nicht ödematisiert. Perianal und perilabial sowie an der Schweifunterseite fielen multiple, verschieden große, derb-knotige, schwarze Zubildungen in bzw. unter der Haut auf, die im Bereich des Schweifansatzes teilweise ulzerierten (▶ Abb. 1). Das mäßig angebildete Euter wies schlaffe, nicht milchgefüllte Zitzen auf. Die Sensibilität im Bereich von Vorder- und Hintergliedmaßen, Kör-perstamm und Kopf war vorhanden, der Analreflex geringgradig vermindert.

Bei der rektalen Untersuchung befand sich viel eingetrockneter, fester Kot in der Ampulla recti, den die Stute auch unter aktivem Pressen nicht spontan absetzen konnte. Im Bereich des Becken-rings ließ sich auf 11 bis 1 Uhr eine den Geburtsweg geringgradig einengende, etwa faustgroße, derb-knotige Umfangsvermehrung palpieren. Diese war nicht verschieblich und zur Wirbelsäule nicht

klar abgegrenzt. Fruchtteile mit Spontanbewegungen konnten in der nicht tonisierten Gebärmutter bereits in der Beckenhöhle er-tastet werden. Die transrektale sonographische Untersuchung des Uterus ergab klar erscheinende Fruchtwässer und einen unauffäl-ligen Plazentabefund. Bei der manuellen Untersuchung der Vagina wurden eine geringe Menge eines schleimigen, klaren, nicht ge-ruchsabweichenden Sekrets festgestellt. Die Zervix war geschlos-sen, lag am Vaginalboden und trug zentral einen zähpappigen Schleimpfropf.

Labordiagnostische Untersuchung

Der Katheterharn war kaffeebraun, trüb und hatte einen aromati-schen Geruch. pH-Wert (8,3; Referenzbereich [RB] 6,8-8,4) und Dichte (1035 kg/l; RB 1020-1060 kg/l) lagen im Referenzbereich. Die Glukosekonzentration im Urin betrug 13,81 mmol/l (RB negativ), der Gesamtproteingehalt 0,8 g/l (RB < 0,01 g/l). Mit der Quickfär-bung konnten geringgradig irregulär geformte Tubulusepithelzellen mit Melaningranula im Zytoplasma dargestellt werden (▶ Abb. 2). Im Nativsediment traten vereinzelt Plattenepithelzellen auf, einige Harnsäure- sowie zahlreiche Ammoniumuratkristalle.

Die Blutuntersuchung ergab eine geringgradige Aktivitätsstei-gerung der CK (2511 U/l) und γ-GT (723 U/l) sowie eine erhöhte Glukose- (8,9 mmol/l) und Bilirubinkonzentration (80 µmol/l).

Weiterer Verlauf

Über einen venösen Zugang in der rechten V. jugularis externa erhielt die Stute einmalig ein nichtsteroidales Antiphlogistikum (Flunixin-Meglumin, 1,1 mg/kg i. v., Flunidol®-RP, CP-Pharma)

Abb. 1 Multiple, verschieden große, derb-knotige, teilweise ulzerierende, schwarze Zubildungen unter der Haut in der Perianal- und Perilabi-algegend sowie an der Schweifunterseite

Fig. 1 Multiple, different-sized, rough-nodular, in parts ulcerating, black proliferations under the skin in the perianal and perilabial regions as well as at the tail base.

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sowie eine Dauertropfinfusion von isotoner Kochsalzlösung (NaCl 0,9%, 1,3 l/h, Fresenius Isotone Kochsalzlösung 0,9%®, Fresenius Kabi). Auch mit aktiver Unterstützung konnte sich das Tier nicht in Brust-Bauch-Lage halten. Die Gliedmaßen und der Kopf-Hals-Bereich wurden über Nacht abgepolstert und an der Stute so wenig Manipulationen wie möglich durchgeführt, da sie darauf jedes Mal mit Ruderbewegungen reagierte. Sie zeigte ein leicht gedämpftes Allgemeinbefinden, reagierte aber auf ihre Umgebung und nahm trotz Seitenlage angebotenes Raufutter auf.

Am Tag nach der abendlichen stationären Aufnahme hatte sich der Gesamtzustand nicht verändert. Es erfolgte erneut eine voll-ständige klinische Befundung. Aufgrund des Verdachts auf irre-versible Rückenmarkschädigung durch Metastasen eines malignen Melanoms und der daraus resultierenden schlechten Prognose für die Stute wurde nach Rücksprache mit den Besitzern der Ent-schluss gefasst zu versuchen, das ungeborene Fohlen zu retten. Die auch für die Lungenentwicklung des Fohlens notwendige Dexa-methasongabe durch den Haustierarzt lag ungefähr 36 Stunden zurück. Für die Geburtseinleitung wurden der Stute 40 IE Oxyto-cin (10 IE/100 kg i. v., Oxytocin 10 IE/ml®, CP-Pharma) in 500 ml Glukose 5% (Glucose "Braun" 5%-Injektionslösung, Albrecht) als Dauertropfinfusion über 30 Minuten verabreicht. Eine geburts -induzierende Wirkung blieb jedoch aus. Die Stute zeigte keinerlei erkennbare Presswehen, die Zervix blieb fest verschlossen und der rektal palpierte Uterus wies nur einen mäßigen Tonusanstieg auf. Auf eine Wiederholung des Versuchs der Partusinduktion wurde verzichtet. Statt dessen wurde das Pferd in Allgemeinanästhesie verbracht (Romifidin, 0,05 mg/kg i. v., Sedivet®, Boehringer Ingel-heim; Butorphanol, 25 μg/kg i. v., Alvegesic®, CP-Pharma; Ket -amin, 2,5 mg/kg i. v., Ursotamin®, Serumwerk Bernburg) und nach Laparotomie in der Medianen und Hysterotomie ein geringgradig prämatures, lebendes Stutfohlen entwickelt. Unmittelbar danach wurde die Stute euthanasiert. Das Neugeborene konnte nach an-fänglicher Intensivbetreuung und 3 Wochen mutterloser Aufzucht gesund und gut entwickelt an die Stutenhalter übergeben werden.

Pathologisch-anatomische und histopathologische Befunde

Die knotigen Umfangsvermehrungen im Bereich des äußeren Ge-nitales und der Schweifunterseite zeigten im Anschnitt ein homo-gen schwarzes Erscheinungsbild. Im nahe gelegenen Bindegewebe und in der Kruppenmuskulatur, vor allem im Bereich des M. glu-taeus medius, fiel eine hochgradige Infiltration mit einer schwar-zen Masse auf. Weitere derartige Umfangsvermehrungen wurden in den Mm. psoas major und minor, in der Muskulatur der Bauch-decke, transmural in der Magenwand, in Mandibular-, Retropha-ryngeal- und Sternallymphknoten sowie dem Drüsengewebe der Glandula parotis, in beiden Luftsäcken und der Kaumuskulatur nachgewiesen. Nach der Präparation der Wirbelsäule wurde er-sichtlich, dass die Neoplasie aus der angrenzenden Kruppen- muskulatur auf Höhe der letzten Lendenwirbel und des Kreuz-beins in den Wirbelkanal eingebrochen war. Dort hatte der Tumor auf einer Länge von 10 cm die Dura mater hochgradig infiltriert und das Lenden- sowie Sakralmark mittelgradig komprimiert (▶ Abb. 3).

Mittels histopathologischer Untersuchung wurde die Neoplasie als epitheloidzelliges, melanotisches, hochgradig infiltrativ wach-sendes und sehr pleomorphes malignes Melanom charakterisiert, das in den untersuchten Lokalisationen zahlreiche Blut- und Lymphgefäßeinbrüche aufwies. In den Nieren lag, neben einer multifokalen Nekrose der Tubulusepithelzellen, in zahlreichen

Abb. 2 Sediment des Katheterharns: geringgradig irregulär geformte Tubu-lusepithelzellen mit zytoplasmatischen Melaningranula (T), Ammoniumurat-kristalle (A)

Fig. 2 Sediment of the urine: mild irregularly shaped tubular epithelial cells with cytoplasmic melanin granules (T), ammonium urate crystals (A).

Abb. 3 Wirbelsäule im Lumbosakralbereich: Einbruch des malignen Mela-noms (*) in den Wirbelkanal (Pfeile), insbesondere im Bereich des 4. und 5. Kreuzbeinwirbels (S4–5) mit Kompression des Rückenmarks und Infiltration der Dura mater (Pfeilspitzen) auf Höhe des 6. Lendenwirbels (L6)

Fig. 3 Lumbosacral region: invasion of the malignant melanoma (*) into the spinal canal (arrows), particularly in the region of the 4th and 5th sacral vertebrae (S4–5) with spinal cord compression and infiltration of the dura mater (arrowheads) at the 6th lumbar vertebra (L6).

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Glomerula, Tubulusepithelzellen, Tubuluslumina und in den Sam-melrohren ein feingranuläres, braunschwarzes, mit Wasserstoff-peroxid bleichbares und in der Masson-Fontana-Färbung tief-schwarz anfärbbares Pigment vor (▶ Abb. 4).

Diskussion

Bei etwa 15% der Hauttumoren des Pferdes handelt es sich um melanozytäre Tumoren und diese sind zu 90% benigne. Melano -zyten können aufgrund bisher ungeklärter Ursachen maligne ent-arten und zeigen dann eine ausgeprägte hämatogene und lympho-gene Metastasierungstendenz (7, 13, 17). Melanome kommen zwar bei allen Farbvarianten und Rassen vor, doch erkranken Schimmel am häufigsten daran (13, 15, 21). Die Tumoren treten beim Pferd ab einem Alter von 5–9 Jahren auf, wobei das Risiko an einem Melanom zu erkranken mit höherem Alter steigt. Bei Schimmeln im Alter von mehr als 15 Jahren wird von einer Inzi-denz von über 80% berichtet (7, 17, 21). Ursache hierfür sind die Pigmentveränderungen in der Haut der mit dunklem Fell gebore-nen Schimmel. Durch Degradierung der Melanozyten ergraut das Haarkleid, und am häufigsten treten Melanome dort auf, wo dieser Prozess beginnt (19). Dies sind die Perinealregion, die äußeren Genitalien, der Schweifansatz, das Areal um die Augen und der obere Halsbereich (1, 7, 11, 13, 16–19, 21, 22).

Anhand der Lokalisation der Tumoren am Tierkörper lässt sich keine Aussage über eine eventuelle maligne Entartung der Mela-nozyten treffen. Mittels histologischer Untersuchung ist es mög-lich, die Dignität einer melanozytären Neoplasie einzuschätzen, woraus die Prognose für diesen Einzeltumor resultiert (4). Diese Ergebnisse erlauben jedoch keinen Rückschluss in Bezug auf das biologische Verhalten anderer Melanome in der Haut des Tieres. Der deutlichste und sicherste klinische Hinweis auf eine maligne Entartung ist eine beschleunigte Wachstumsrate (7). Je nach Ort und Ausmaß der Metastasierung können die Pferde noch Jahre damit leben (1). Die Metastasierung erfolgt über Lymph- und Blutgefäße, wobei in der Regel, wie auch bei dem hier vorgestellten Pferd, die regionalen Lymphknoten zuerst Metastasen aufweisen (7, 16, 21, 22). Weitere Zielorgane sind, abhängig von der Lokalisa-tion des Primärtumors, Lunge, Milz, Niere, Leber, Herz, Gehirn und Rückenmark (7, 21, 22).

Die Lymphdrainage der Perinealregion des Pferdes erfolgt über die kaudalen Anorektallymphknoten mit anschließendem Abfluss über die Lnn. ischiadici, sacrales und Lnn. iliaci mediales (22). Die Lymphbahnen verlaufen ventral des Kreuzbeins, im Bereich des Iliosakralgelenks und ventral der letzten Lendenwirbel, was die beim vorliegenden Fall festgestellten Metastasen in der Gluteal- und Beckengürtelmuskulatur erklärt. Bei älteren Schimmeln ist ei-ne ausgedehnte Metastasierung maligner Melanome bekannt (12), die auch hier eindrucksvoll anhand von Metastasen in Magen, Bauchdecke, Mandibular-, Retropharyngeal- und Sternallymph-knoten, Glandula parotis, den Luftsäcken und der Kaumuskulatur nachgewiesen werden konnte. Der Einbruch der Neoplasie aus der

Glutealmuskulatur in den Wirbelkanal mit konsekutiver Kompres-sion des Rückenmarks ist als Ursache für die klinische Symptoma-tik eines Cauda-equina-Kompressionssyndroms im vorgestellten Fall zu sehen. Das Absetzen von kaffeebraunem Urin lässt sich am ehesten auf die Ausscheidung von Melaningranula aus den Tu-morzellen zurückführen, da dieses Pigment histologisch in den Epithelien und den Lumina der Nierentubuli sowie zytologisch in Tubulusepithelien im Harnsediment nachgewiesen wurde. Darü-ber hinaus zeigten die Tubulusepithelzellen ausgedehnte Nekro-sen, obwohl Melanin allein nicht als nephrotoxisch gilt (9). Mög -licherweise bestand bei dieser Stute eine polyfaktoriell bedingte Läsion der Nieren, da durch die gleichzeitige Schädigung der Ske-lettmuskulatur zusätzlich Myoglobin freigesetzt wurde, das neph-rotoxisch wirken kann (9).

Der klinisch interessante Aspekt dieses Falls ergibt sich aus der anfänglichen Ataxie bzw. aus dem Festliegen mit Absetzen von kaffeebraunem Harn bei einer hochtragenden Stute, was zunächst den Verdacht auf eine trächtigkeitsbedingte oder von einer Schä -digung der Muskulatur ausgehende Ätiologie nahelegte. Die blut-chemische Untersuchung wies auch eine geringgradig erhöhte Ak-tivität der CK und γ-GT sowie einen erhöhten Glukose- und Bili-rubinspiegel auf. Aufgrund der nur in geringem Ausmaß erhöhten Werte ist jedoch davon auszugehen, dass diese aus dem Festliegen, der vorberichtlich bereits über die letzten Wochen bestehenden schlechteren Beweglichkeit und einer vermutlich daraus folgenden reduzierten Futteraufnahme resultierten und nicht die Ursache für das Festliegen waren. Der Nachweis der pleomorphen, pigment-haltigen Zellen im Urin und letztlich die Obduktion konnten be-stätigen, dass die Hauptursache für die klinischen Symptome die Kompression des Kreuz- und Lendenmarks sowie multifokal der

Abb. 4 Niere (Hämalaun-Eosin-Färbung): Nachweis von feingranulärem Melaninpigment (Pfeile) in den Epithelien der Nierentubuli (T) mit Nekrose der Tubulusepithelzellen; G = Glomerulum

Fig. 4 Kidney (haemalaun-eosin stain): detection of melanin pigment (ar-rows) in the epithelium of the renal tubules (T) with necrosis of tubular epithelial cells; G = glomerulus.

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Skelettmuskulatur durch eine metastasierende melanozytäre Neo-plasie war.

Im Fall einer nachgewiesenen Metastasierung ist die Therapie von Melanomen schwierig und hätte im vorliegenden Fall auf-grund der Schädigung mehrerer Organe nicht durchgeführt wer-den können. Ziel sollte somit sein, die Dignität melanozytärer Tu-moren zu bestimmen und maligne Neoplasien frühzeitig chirur-gisch zu entfernen (18), soweit dies Lokalisation und Größe der Tumoren gestatten. Neben einer chirurgischen Therapie besteht die Option, das Wachstum und die Streuung der Melanome durch orale Gabe von Cimetidin, einem Antihistaminikum, zu verzö-gern. Cimetidin wirkt immunmodulierend, indem es die Immun-suppression umkehrt, die durch die bei Tumorpatienten vermehrt vorkommenden T-Suppressor-Zellen induziert wird (2, 3, 5, 21). Die Wirkung von Cimetidin erfolgt nur träge. So tritt eine anti -tumoröse Wirkung meist nicht vor 3–4 Monaten nach Therapie-beginn ein. Die Dosis wird mit 2,5 mg/kg TID p. o. angegeben (2, 3, 5, 21).

InteressenkonfliktDie Autoren bestätigen, dass kein Interessenkonflikt besteht.

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Fazit für die PraxisMelanozytäre Neoplasien in der Haut des Pferdes sind zu 10% mali-gne und zeigen eine hohe hämatogene und lymphogene Metasta -sierungstendenz. Der deutlichste und sicherste klinische Hinweis auf eine maligne Entartung ist eine beschleunigte Wachstumsrate. Am häufigsten treten Melanome bei älteren Schimmeln in der Perineal -region, an den äußeren Genitalien, dem Schweifansatz, um die Au-gen und im oberen Halsbereich auf. Im Perineum vorkommende mali-gne Melanome können in die Hintergliedmaßenmuskulatur und in den Wirbelkanal metastasieren, woraus klinisch ein Cauda-equina-Kompressionssyndrom resultiert. Folglich sollte bei Pferden mit einer diesem Fall ähnlichen Symptomatik neben orthopädischen oder mus-kulären Ursachen auch ein metastasierendes Melanom differenzial-diagnostisch bedacht werden.

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