online-Zeitschrift für Interkulturelle Studien · kation in der Praxis umzusetzen. Grundlegend...

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I Jahrgang 8 I Ausgabe 9 I www.interculture-journal.com online-Zeitschrift für Interkulturelle Studien Inhalt Sofie Olbers Austausch mit Anderem Joachim Willems Interreligiöses und interkulturelles Lernen Karina Schlingensiepen/ Kati Trempler/Tobias Ringeisen Die kontextspezifische Erfassung kultureller Profile nach Hofstede Daniel H. Scheible Interkulturelles Training für internationale Führungskräfte Margret Steixner „Fine-tuning“ durch interkulturelles Coaching Michael Poerner China-Knigge für deutsche Geschäftsleute? Susanne Wiegner/ Stefanie Rathje Interkulturelles Consulting zwischen Wunsch und Wirklichkeit 2009 Herausgeber: Jürgen Bolten Stefanie Rathje Interkulturalität als Gegenstand in Lehre, Training, Coaching und Consulting

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I Jahrgang 8 I Ausgabe 9 I www.interculture-journal.com

online-Zeitschrift für Interkulturelle Studien

Inhalt

Sofie OlbersAustausch mit Anderem

Joachim WillemsInterreligiöses und

interkulturelles Lernen

Karina Schlingensiepen/Kati Trempler/Tobias Ringeisen

Die kontextspezifische Erfassung kultureller Profile nach Hofstede

Daniel H. ScheibleInterkulturelles Training für

internationale Führungskräfte

Margret Steixner„Fine-tuning“ durch

interkulturelles Coaching

Michael PoernerChina-Knigge für deutsche

Geschäftsleute?

Susanne Wiegner/Stefanie Rathje

Interkulturelles Consulting zwischenWunsch und Wirklichkeit

2009Herausgeber:Jürgen BoltenStefanie Rathje

Interkulturalität als Gegenstandin Lehre, Training, Coaching und Consulting

Herausgeber:Prof. Dr. Jürgen Bolten (Jena)Prof. Dr. Stefanie Rathje (Berlin)

Wissenschaftlicher Beirat:Prof. Dr. Dr. h.c. Rüdiger Ahrens (Würzburg)Prof. Dr. Manfred Bayer (Danzig)Prof. Dr. Klaus P. Hansen (Passau)Prof. Dr. Jürgen Henze (Berlin)Prof. Dr. Bernd Müller-Jacquier (Bayreuth)Prof. Dr. Alois Moosmüller (München)Prof. Dr. Alexander Thomas (Regensburg)

Chefredaktion und Web-Realisierung:Mario Schulz

Editing:Susanne Wiegner

Fachgebiet:Interkulturelle WirtschaftskommunikationFriedrich-Schiller-Universität Jena

ISSN: 1610-7217www.interculture-journal.com

Vorwort der Herausgeber

Austausch mit Anderem - Kultur und Kompetenz

Sofie Olbers

Interreligiöses und interkulturelles Lernen - notwendige Bezüge und notwendige Unterscheidungen

Joachim Willems

Die kontextspezifische Erfassung kultureller Profilenach Hofstede: Pilotierung eines Kurzfragebogens für Lehrer

Karina Schlingensiepen/ Kati Trempler/ Tobias Ringeisen

Interkulturelles Training für internationale Führungskräfte - Evaluation eines Trainingsprogramms bei einem Industrie-unternehmen mit Stammsitz in Deutschland

Daniel H. Scheible

„Fine-tuning“ durch interkulturelles Coaching

Margret Steixner

China-Knigge für deutsche Geschäftsleute?Die Darstellung Chinas in interkultureller Ratgeberliteratur

Michael Poerner

Interkulturelles Consulting zwischen Wunsch und Wirklichkeit - Eine Marktstudie

Susanne Wiegner/ Stefanie Rathje

Inhalt

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Vorwort der Herausgeber

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In unserer aktuellen Ausgabe setzen sich die Autoren aus ver-schiedenen Perspektiven mit der Frage auseinander, welche Rolle und zugleich welche Bedeutung Interkulturalität als Ge-genstand in Lehr-, Trainings-, Coaching- und Consulting-szenarien spielt.

Der erste Beitrag von Sofie Olbers beschäftigt sich zunächst grundlegend mit dem Problem, welche Rolle Kultur für die Herausbildung interkultureller Kompetenz spielt. Aus einer anthropologischen Perspektive präsentiert sie verschiedene Ansätze, Kultur zu definieren, Kultur zu unterscheiden und zu beschreiben. Diese überprüft sie hinsichtlich ihrer Relevanz für interkulturelle Weiterbildungsmaßnahmen.

Joachim Willems vergleicht in seinem Beitrag aus einer päda-gogischen Perspektive interkulturelles und interreligiöses Ler-nen in der Schule. In der geführten Analyse identifiziert er sowohl notwendige Bezüge als auch notwendige Unterschei-dungen, die den beiden Lernformen zugrunde liegen müssen.

Ebenfalls auf den Lernraum Schule fokussierend, setzt sich der Beitrag von Karina Schlingensiepen, Kati Trempler und Tobias Ringeisen mit der Frage auseinander, wie ein geeigne-ter Fragebogen für Lehrer für die Erfassung von kulturellen Unterschieden unter Zuhilfenahme von Hofstedes Dimensi-onsmodell abgebildet werden kann.

Daniel H. Scheible geht auf Basis der empirischen Untersu-chung eines Trainingsprogramms für Fach- und Führungskräf-te der Frage nach, in wieweit interkulturelle Trainings tatsäch-lich in der Lage sind, interkulturelle Kompetenz bei den trai-nierten Mitarbeitern zu fördern.

Margret Steixner plädiert in ihrem Beitrag für eine Integration des interkulturellen Coachings in andere Bereiche des Coa-chings. Basierend auf einer Coaching-Fallstudie entwickelt die Autorin einen hilfreichen Fragenkatalog für das interkulturelle Coaching.

Anhand einer Analyse aktueller „China-Knigge“ für deutsche Manager betrachtet Michael Poerner in seinem Beitrag das darin vermittelte Chinabild. Er geht dabei der Frage nach, ob es sich bei den Ratgebern tatsächlich um fachlich fundierte Darstellungen handelt oder ob sie sich vielmehr an den übli-chen, im Laufe der Geschichte tradierten, undifferenzierten Wahrnehmungsmustern orientieren.

Susanne Wiegner und Stefanie Rathje analysieren in ihrer empirischen Studie den deutschsprachigen interkulturellen Consultingmarkt. Ausgehend von klassischen Consulting-Definitionen weisen sie bei den analysierten Angeboten und

Vorwort der Herausgeber

Vorwort der Herausgeber

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Anbietern im Bereich des interkulturellen Consulting eine große Lücke zwischen Wunsch und Wirklichkeit nach.

Zusätzlich zu den Artikeln der neuen Ausgabe berichtet Jür-gen Bolten in der Rubrik „Rezensionen und Berichte aus For-schung und Praxis“ kurz über die Konzeption der interkultu-rellen Videocast-Serie „Miteinander“, die soeben mit einem Trainingsfilm zum Thema „Interkulturalität“ an den Start ge-gangen ist. Kornelia Kończal rezenziert das Buch: „Querden-ker, Vermittler, Grenzüberschreiter. Beiträge zur deutschen und polnischen Literatur- und Kulturgeschichte“ von Marek Zybura und Matthias Mahn rezensiert die Toolbox: „Koopera-tionskompetenz“ von Stefanie Rathje.

Die Herausgeber bedanken sich an dieser Stelle bei allen Au-torinnen und Autoren und freuen sich auf zahlreiche weitere Beiträge für zukünftige Ausgaben von interculture journal.

Stefanie Rathje (Berlin) und Jürgen Bolten (Jena) im November 2009

Olbers: Austausch mit Anderem – Kultur und Kompetenz

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Abstract

Intercultural contact and training for intercultural compe-tences have to deal with the question: what is culture? The following article recommends for getting more engaged with the topic of such a great complexity, one that is too complex to be dealt with in a course of just a weekend workshop. The article gives an overview of several anthropological concepts of culture and discussions, which are worth to study regard-ing intercultural communication and competences. There are several possibilities to define, describe and differentiate cul-tures. The article wants to show the perspective of seeing the potential of the growing and transforming process in culture.

1. Wenn der Wind der Veränderung weht, bauen die einen Windmühlen und die anderen Mauern

Die Begegnung mit Andersartigkeit hat in unserer Mensch-heitsgeschichte ganz unterschiedliche Ansätze hervorgerufen. So erfanden die einen Windmühlen, mit denen Eigenes mit Anderem zu etwas Neuem verarbeitet wurde. Andere wollten das bereits Vorhandene erhalten und bauten Mauern zum Schutz. So begegnen uns im öffentlichen Diskurs Parolen wie z.B. „kulturelle Verschiedenartigkeit“ „interkulturelle Missver-ständnisse“, „Leitkultur“, oder auch „Diversität bereichert“, „Chancen der Globalisierung“ und „Innovationspotential“.

Spagat üben – so ähnlich fühlt sich vielleicht das Erlernen interkultureller Kompetenzen an. Ähnlich schwierig ist es häufig theoretische Konzepte der Interkulturellen Kommuni-kation in der Praxis umzusetzen. Grundlegend erfordert das Erlernen interkultureller Handlungsstrategien für die Bewälti-gung konkret gegebener Situationen Spürsinn für die jeweili-gen Befindlichkeiten und die Fähigkeit unter Umständen ex-treme Positionen spontan auszubalancieren.

Alle, die sich in ihrem beruflichen oder privaten Leben inter-kulturell weiterbilden wollen, sollten erkennen, dass dies nicht in einem Wochenend-Training zu lernen ist. Es gleicht eher einem ständigen sich-üben, sich über sich selbst bewuss-ter werden und dem Überwinden vieler innerlicher Grenzen. Die Herausforderung besteht darin einen mehr kreativen Um-gang mit unserer Umgebung zu finden, sie auch in dieser Weise zu erfahren und zu verstehen. Auch dabei ist es wich-tig in der Balance zwischen aneignen und loslassen zu blei-ben.

Zum Erlernen interkultureller Kompetenzen ist es grundle-gend sich an das Kulturthema anzunähern. Es geht darum sich (Beobachtungs-)Methoden anzueignen, die einen dazu befähigen kulturelle Handlungen zu erschließen und zu inter-

Austausch mit Anderem - Kultur und Kompetenz

Sofie Olbers

M.A. Ethnologie (Universität Hamburg)

Olbers: Austausch mit Anderem – Kultur und Kompetenz

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pretieren. Gegenwärtig wird die kulturelle Komponente in allen möglichen Bereichen stark betont. Grundsätzlich kann die vermehrte Auseinandersetzung mit dem Thema Kultur zu einem besseren Verständnis untereinander beitragen. Aller-dings werden kulturelle Erklärungen häufig als Ursache oder Bedingung von auftauchenden Schwierigkeiten herangezo-gen, die nicht kultureller Art sind. Der Ethnologe Alexander Laviziano (2005) bemerkt, dass man die vorschnelle Verwen-dung des Kulturbegriffs sogar als Werkzeug einer Politik mit neuen rassistischen Zügen sehen kann, wenn sie Unterschie-de nicht durch biologische, sondern durch kulturelle Ver-schiedenheit rechtfertigt. Eine einseitige Darstellung von kul-turellen Unterschieden kann außerdem zur Legitimierung un-gleicher Machtverhältnisse dienen. So erklärt die Ethnologin Christine Tuschinsky, die in interkulturellen Fortbildungsprog-rammen tätig ist: „Kultur ist ein Modell zur Erklärung von Dif-ferenz und nicht deren Ursache“ (Tuschinsky 2002:6).

Die Betrachtung und Benutzung von Kultur kann also ver-schiedenste Bezugspunkte haben.

2. Was ist Kultur?

Mit dieser Frage setzen sich Ethnologen seit 200 Jahren aus-einander, und sie können und wollen bis heute keine definiti-ven Antworten darauf geben. Dagegen meinen Interkultura-listen Antworten gefunden zu haben. Auf dem interkulturel-len Markt ist die Nachfrage nach einfachen, kurzfristig vermit-telbaren Konzepten groß. Interkulturelle Trainingsmaßnah-men und Handbücher sind populärer denn je. Der theoreti-sche Hintergrund bleibt bei den Kultur-Tipps jedoch häufig undurchsichtig und unpräzise.

Eine zu kurzsichtige und schemenhafte oder reduzierte Dar-stellung, was Kultur ist, kann leicht stereotypes Denken und Handeln fördern und festigen. In diesem Sinne wird das Er-lernen interkultureller Kompetenzen eher blockiert als erleich-tert.

In dem vorliegenden Artikel geht es um Möglichkeiten Kultur zu definieren, Kulturen zu unterscheiden und zu beschreiben und Kultur einen Raum zu geben um sich weiter zu entfalten. Es werden Konzepte betrachtet, die für die interkulturelle Weiterbildung sinnvoll erscheinen. Verschiedene wissen-schaftliche Ansichten werden zusammengetragen, um die Komplexität des Themas zu veranschaulichen. Dies soll dazu anregen sich mit der Frage danach, was Kultur ist oder sein könnte weitreichender zu beschäftigen.

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3. Kultur und Kommunikation: Hall

Der US-amerikanische Ethnologe Edward T. Hall wird von vie-len als Gründervater der Interkulturellen Kommunikation be-zeichnet und schuf seinerzeit eine Verbindung zwischen Kul-turanthropologie und Kommunikationswissenschaft. Hall wurde nach dem Zweiten Weltkrieg am Foreign Institute der Behörde des US-Außenministeriums eingesetzt, um zusam-men mit Psychoanalytikern und Linguisten geeignete Schu-lungs- und Trainingsprogramme zur Auslandsvorbereitung zu entwickeln (Laviziano 2005). Es ging Hall nicht nur um das Wissen über andere Kulturen, wie es in der Ethnologie haupt-sächlich der Fall war, sondern auch darum, wie Individuen sich in anderen kulturellen Kontexten bewegen. Er ging Fra-gen nach, wie die fremde Kultur erlebt, erfahren und verar-beitet wird und wie eigene, kulturelle Werte in Bezug auf die neuen Begebenheiten reagieren. Er untersuchte, wie in unbe-kannten Situationen gehandelt wird, wie man sich einer an-deren Kultur anpasst, ob und wie sich dabei Selbst- und Fremdbilder und auch die Persönlichkeit verändern (Moos-müller 2007).

Hall bezeichnet Kultur als ein Kommunikationssystem: „Kul-tur ist ein System zur Produktion, Übermittlung, Speicherung und Verarbeitung von Informationen“ (Hall / Hall 1984:16). Für Hall bildet sich ein kultureller Stil durch das fortwährende miteinander Kommunizieren innerhalb einer bestimmten Sprachgemeinschaft (Moosmüller 1996).

Hall versucht Kultur mit Hilfe von Sprache zu charakterisieren: Kultur „is a language of behavior“ (Sorrells 1998:11) – impli-ziert, dass jeder Kultur ein Muster oder eine Grammatik zu-grunde liegt, die das menschliche Verhalten vorstrukturiert (Hall / Hall 1984). Bei der interkulturellen Kommunikation geht es für ihn deshalb primär darum, sich seine eigenen, kul-turellen Wahrnehmungs- und Handlungsmuster bewusst zu machen (Laviziano 2005).

Diese linguistische Kulturkonzeption war zu Halls Zeit eine führende Annahme unter den Sozial- und Kulturwissenschaft-lern in den USA. Schon in den 1940ern war das Hauptthema die Beziehung zwischen Sprache und der damit verbundenen Weltsicht. Hier leitete die Sapir-Whorf-Hypothese die Theo-riebildung. Sie besagt, dass die Struktur einer Sprache die Konzeptualisierung unserer Welt bestimmt. Dies impliziert, dass Menschen, die unterschiedliche Sprachen sprechen, im Grunde verschieden denken.

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4. Kultur im Kopf: Goodenough

Parallel zu diesem Interesse - den Kulturbegriff durch sprach-wissenschaftliche Annäherungen zu erschließen - entwickelte sich seit den 1950er/1960er Jahren die kognitive Ausrichtung ethnologischer Theoriebildung. Sie ging aus von US-amerikanischen Wissenschaftlern mit Ward Goodenough als führendem Vertreter. Die Cognitive Anthropology entlehnte ihre Analyseverfahren ebenfalls aus dem Bereich der Linguis-tik (Kokot 1998). Untersucht wird innerhalb dieser Richtung der gemeinsame „Wissensbestand“ oder das „Kulturelle Wis-sen“ (Kokot 1998:326) einer jeden menschlichen Gruppe als Teilbereich von Kultur. Das kulturelle Wissen einer Gruppe ist der gemeinsame Bestand an Überzeugungen, Regeln und Werten. Goodenough (1957) bezeichnete Kultur als das, was die Menschen lernen und wissen müssen, um sich in ihrer kulturellen Gemeinschaft angemessen verhalten zu können:

„As I see it, a society’s culture consists of whatever it is one has to know or believe in order to operate in a manner acceptable to its members, and do so in any role that they accept for any one of themselves. Culture, being what people have to learn as distinct from their biological heritage, must consist of the end product of learning: knowledge, in a most general, if relative, sense of the term. By this definition we should note that culture is not a material phenomenon; it does not consist of things, people, behavior, or emotions. It is rather an organization of these things. It is the forms of things that people have in mind, their models for perceiving, relating, and otherwise interpreting them.” (Goodenough 1957:167)

Halls und auch Goodenoughs Kulturdefinition waren attraktiv für die Interkulturelle Kommunikation, da sie folgende An-nahmen festlegte:

• Kultur ist ein vorprogrammiertes Regelwerk in den Köpfen der Menschen.

• Verhalten ist von diesem Regelwerk ableitbar und erklär-bar.

• Dieses Regelwerk wird in der Sozialisation erlernt und bei einem Auslandsaufenthalt mitgenommen.

• Wenn dieses Regelwerk einer bestimmten Kultur erfasst wird, kann man es, ähnlich wie eine Sprache, lernen, damit man sich in einer fremden Kultur zurechtfinden kann und akzeptiert wird.

• Kulturen können und müssen kategorisiert werden, damit kulturelle Unterschiede aufzeigbar sind.

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5. Interkulturelles Training: Hofstede

Das gängigste Kulturkonzept, das in interkulturellen Trai-ningsmaßnahmen angewandt wird, stammt von dem Wirt-schaftmanager Geert Hofstede. Hofstede definiert Kultur als mentale Programmierung, als „software of the mind“ (Hofstede 1991:4) oder auch als “the collective programming of the mind which distinguishes the members of one group or category of people from another” (Hofstede 1991:5).

Anhand einer schematischen Darstellung der „Kulturzwiebel“ erläutert Hofstede (1991) Aspekte seiner Kulturauffassung:

Symbols

Heroes

Rituals

Values

Abb.1: Kulturzwiebel nach Hofstede 1991:9 Symbole, Helden (Persönlichkeiten) und Rituale einer Kultur sind Praktiken und somit für einen außenstehenden Beobach-ter sichtbar. Ihre kulturelle Bedeutung bleibt jedoch unsich-tbar und lässt sich deshalb nur durch Interpretation erschlie-ßen. Den Kern der Zwiebel sieht Hofstede in den Werten. Sie sind weitreichende Tendenzen, die bestimmen, welche Dinge anderen vorgezogen werden. Sie sind Gefühle mit einem Plus- und einem Minuspol bzw. mit einer positiven und einer negativen Seite. Werte werden nach Hofstede von Kindern gelernt, nicht bewusst, sondern implizit. Viele Werte bleiben dem Menschen unbewusst, sind aber handlungsweisend.

Berühmt ist Hofstede für die von ihm entwickelten Kulturdi-mensionen, mit denen sich kulturelle Unterschiede einschät-zen lassen. Dazu benutzt er die Unterscheidung in National-kulturen als Grundkategorisierung der verschiedenen Kultu-ren. Anhand derer analysiert er aus einer Studie vier verschie-dene Werte- bzw. Kulturdimensionen: Machtdistanz (hoch-

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niedrig), Individualismus-Kollektivismus, Maskulinität-Femininität und Unsicherheitsvermeidung (hoch-niedrig). Die Dimensionen können so Werte-Differenzen zwischen Natio-nalkulturen messen (Hofstede 1991).

6. Problematik

Kultur in der Weise darzustellen, dass letztlich eine vorwie-gend statische Position beschrieben wird, klar lokalisiert, ka-tegorisiert oder mittels konstruierter Werteunterschiede, das muss heute mehr denn je in Frage gestellt werden. Gefordert wird dies vor allem aufgrund neuer Erkenntnisse der Sozial- und Kulturwissenschaften und durch die Auswirkungen der Globalisierung.

Für das interkulturelle Lernen muss es darum gehen entstan-dene Regelwerke in den Köpfen der Menschen zu hinterfra-gen und nicht zu verfestigen. Werden Kulturen in National-staaten kategorisiert, kann dies jedoch dazu führen, dass Teilnehmer einer Trainingsmaßnahme die Einstellung entwi-ckeln, sie verstünden sich mit Menschen innerhalb ihrer eige-nen nationalstaatlichen Kultur grundsätzlich besser als mit kulturell Anderen. Damit werden Kommunikations- bzw. Interaktionsprobleme mit kulturell Fremden vor-ein-genommen (Straub 2007) bzw. andere Möglichkeiten nicht mehr offen gehalten und daher kaum noch erfahrbar (Erwar-tungshaltung).

Auch durch die einseitige Teilanalyse von Werten kann man in gefährliche Fallen geraten. Handlungsabläufe auf Werte zurückzuführen, kann leicht zu Fehlinterpretationen führen. Werte sind äußerst schwierig zu erfassen, denn aus welcher Sicht werden sie bestimmt? Außerdem stellen Werte nicht – wie durch festgelegte Wertedimensionen hervorgerufen – die Quintessenz von Kultur dar (Köppel 2001).

Die Kulturdimensionen Hofstedes sind abstrakt konstruierte Begriffspolaritäten, angelehnt an Persönlichkeitsmerkmale, die besonders im konkreten Fall häufig irrelevant sind (Vester 1998, Köppel 2001). Wie „kollektivistisch“ z.B. die eine oder andere Nationalkultur eingeschätzt wird, hängt stark vom Standpunkt des Betrachters ab. Sprach- und Kommunikati-onswissenschaftler Jürgen Bolten (2007) ist der Ansicht, dass das Aufzeigen von kulturellen Unterschieden anhand von Kul-turdimensionen nur eine durchschnittlich deskriptive, keine prozesshafte und vor allem eine kaum erklärende Funktion hat. Durch die schnelle Übertragung von kulturellen Eigen-schaften auf einzelne Individuen kann stereotypes Handeln gefördert werden.

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Eine Kulturdarstellung ist immer eine Abstraktion der komp-lexen Wirklichkeit. Die Kategorisierungen bleiben ein wacke-liges Gerüst, von dem man sich vor allem in der Praxis immer wieder distanzieren muss, auch weil keinerlei Abweichungen erklärt werden. Ein bewegliches Konstrukt wie Kultur ist letz-tlich nur relativ zu erfassen.

Dennoch werden gerade aufgrund ihres relativ einfachen Darstellungsvermögens gerne Kulturkonzepte von Hall, Goodenough und vor allem Hofstede in Trainingsmaßnah-men verwandt. Dabei werden jedoch Paradigmenwechsel in der Theorieentwicklung in den Sozial- und Kulturwissenschaf-ten außer Acht gelassen, die ich nun mit der Vorstellung wei-terer Ansätze darstellen möchte, da sie gerade für den inter-kulturellen Dialog anregende Erkenntnisse liefern können.

7. Kultur und Bedeutung: Geertz

In den 1970er Jahren machte sich die Ethnologie verstärkt Gedanken über Themen wie Selbst- und Fremdzuschreibun-gen, Subjekt-Objekt-Polarisierungen und der ethnographi-schen Repräsentation des Anderen. Daraus ergaben sich Überlegungen zum Verhältnis von Ethnographen und Ein-heimischen (dem „I/eye“ und dem „Other“) auch hinsichtlich von Machtaspekten und Ethnozentrismen. In den Humanwis-senschaften kam damit eine Debatte ins Rollen, in der alte Konzepte in dekonstruktivistischer und poststrukturalistischer Weise hinterfragt und kritisiert wurden (Dahlén 1997). Der Ethnologe Clifford Geertz hat in seinen Arbeiten in den 1960er/1970er Jahren damit begonnen. Er entfernte sich von der etablierten Vorstellung, Kultur sei etwas Abstraktes, Be-grenztes, Identifizierbares in den Köpfen und fand sie eher in den Handlungen der Menschen (Gottowik 1997). Er definier-te Kultur als “symbolic action” (Geertz 1973:10). Für Geertz ist Kultur ein von Menschen gesponnenes Symbolsystem: „man is an animal suspended in webs of significance he him-self has spun, I take culture to be those webs“ (Geertz 1973:5). Kultur, Kulturentstehung und Kulturwandel versteht Geertz als die “Aneignung und Anwendung vorgefundener Zeichensysteme sowie deren Anpassung an sich stetig verän-dernde Anforderungen, d.h. die Interpretation einer symbo-lisch vorstrukturierten Welt“ (Gottowik 1997:217).

In der von Geertz begründeten, symbolischen Anthropologie, ist der zentrale Gegenstand für die Interpretation einer Kultur das ihr zugrunde liegende Welt- und Selbstbild, ihr Ethos (Gottowik 1997). Geertz, als führender Vertreter dieser Rich-tung, macht außerdem deutlich, dass der Ethnograph immer eine eigene Formulierung der Symbolsysteme anderer Kultu-ren liefert: „the representation of one sort of life in the cate-

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gories of another“ (Geertz 1988:144). Mit diesem Ansatz, in dem der Beschreibungsprozess anderer Kulturen primär als Interpretationsprozess zu verstehen ist, wird Erkenntnis in ih-rer Relativität sichtbar. Die Aussagen des Ethnographen wer-den nur als Interpretation der Interpretation der Einheimi-schen gewürdigt (Geertz 1983). Damit haben die wissen-schaftlichen Aussagen keine absoluten Geltungsansprüche, d.h. die Möglichkeit des Missverstehens oder Irrtums wird mit in Erwägung gezogen. Wissenschaft selbst wird als kulturelles System begriffen. In den 1970er/1980er Jahren entwickelte sich die symbolische oder auch interpretative Anthropologie zu einem der einflussreichsten Paradigmen der amerikani-schen Kulturanthropologie (Gottowik 1997).

In dieser Debatte, auch bezeichnet als „interpretative Wen-de“ in den Sozialwissenschaften, gab es viele verschiedene Einflüsse und Trends. Die Ethnologen Martin Fuchs und Eber-hard Berg (1993) identifizieren innerhalb dieser vielschichti-gen Auseinandersetzung den breiten, wenn auch diffusen Konsens der Ethnologen, „nicht mehr nur über und vor allem nicht mehr für die Anderen sprechen zu wollen“ (Fuchs / Berg 1993:73). Kultur wird mehr als etwas Dynamisches anstatt als etwas Fixierbares verstanden. Der ethnographische Untersu-chungsgegenstand soll nicht mehr aus sich heraus existieren, sondern entsteht auch und vor allem im (Interaktions-)Prozess selbst. Diese Erkenntnis, auch als „Othering“ ausgedrückt, wird zur grundlegenden Problematik ethnographischer For-schung (Fuchs / Berg 1993). In dieser Auseinandersetzung wurden genau die Phänomene des Kulturkontakts erörtert. Clifford (1986) signalisierte bereits in seiner Einführung zu dem Buch „Writing Culture“, dass Kulturen nicht unverän-dert bleiben: „`Cultures´ do not hold still for their portraits“ (Clifford 1986:10). Bei dem Versuch, Kulturen abzubilden, kann es leicht zu Verfälschungen kommen, z.B. durch Verein-fachungen oder Zeitauswahl und durch die Konstruktion ei-ner „Wir“-und-„die Anderen“-Beziehung. Solche `Bilder´ ma-chen die Belastung oder Negierung einer Machtbeziehung zwischen Forschendem und Beforschten kaum sichtbar. Des Weiteren ist zu erkennen, dass jede Darstellung oder Ein-schätzung des „Anderen“ eine Konstruktion des Eigenen ist (Clifford 1986). In der von Clifford (1986) ausgelösten „Wri-ting-Culture-Debatte“, und seit dem Buch Orientalism von Edward Said (1978) wurde aufgedeckt, dass die Europäer ihre „Wilden“ oder „ahistorischen Anderen“ letztlich selbst er-schaffen haben (Moosmüller 2007).

Seitdem fragte man sich, wie soziale Realität in einer sich ra-dikal verändernden Weltordnung beschrieben werden kann. Eine eindeutige Theorie reduziert Wandel und Reichtum des sozialen Lebens zu sehr, wie Dahlén (1997) bemerkt. Ambi-

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guität, Mehrdeutigkeit, Unsicherheit, Widerspruch und Ironie sollten in ihrer Qualität anerkannt und mit in der Repräsenta-tion sozialer Phänomene eingebunden werden. Man betrieb Kulturanalyse nicht als „an experimental science in search of law but [as] an interpretative one in search of meaning“ (Geertz 1973:5). Es geht Wissenschaftlern dieser Richtung primär um die Bedeutung anderer Lebensweisen und um eine ganzheitliche Einbeziehung menschlicher Realitäten (Köppel 2001).

Auch wenn viele Auseinandersetzungen weiterhin in ihren eigenen Kritiken gefangen blieben und das Dilemma des unerfüllbaren Objektivismus sowie der unmöglichen Reprä-sentation nicht aufheben konnten, so trugen sie doch dazu bei, über die praktizierten Formen aufzuklären (Fuchs / Berg 1993). Aus analytischer Sicht ist den dekonstruktivistischen Richtungen allerdings vorzuwerfen, dass sie zentrale Katego-rien diffuser machen als sie es schon sind, vor allem dadurch, dass Paradigmen aufgebrochen und verschiedene Modelle verquickt werden. Damit entsteht auch eine gewisse Unmög-lichkeit, generalisierte Forschungsergebnisse zu produzieren. Fuchs und Berg (1993) sehen diese Unübersichtlichkeit nicht einfach als Begleiterscheinung eines neuen, modischen Trends des Postmodernismus, sondern meinen, man sollte „die aktuelle Debatte vor allem auch als Ergebnis eines im-manenten Reflexionsprozesses […] verstehen, der sich aus der Problematik einer Wissenschaft des Fremden und genereller des Exotismus als einer zentralen Facette des modernen Welt-verhältnisses ergibt“ (Fuchs / Berg 1993:75). Insofern wurde und wird durch diese Auseinandersetzung das erste Mal die Pluralität soziokultureller Existenzweisen ins Zentrum der Dis-kussion gerückt. Diese Debatte ist zentral für die Vertiefung gleichberechtigter, interkultureller Verständigung und ein wichtiger Beitrag, um einen fundierten Perspektivwechsel zu erfassen. Das ist gerade für das häufig anzutreffende, (un)bewusste, (häufig westliche) Dominanzverhalten schwie-rig: Auch deshalb sollten Interkulturalisten sich mit den ge-nannten, weitergehenden Ansätzen befassen.

8. Kultur und globale Phänomene

In der Ethnologie betrachten einige Wissenschaftler seit den 1980er/1990er Jahren Kultur und Raum nicht mehr als Ein-heit. Konzepte wie Globalisierung, Transnationalismus, Ethni-zität, Diaspora, Multikulturalismus, Hybridität und Kreolisie-rung rücken ins Zentrum des Interesses (Moosmüller 2007, Hannerz 1998). Geertz (1996) beschreibt diese Erscheinungen in seinen Worten:

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„Angesichts der Stückhaftigkeit unserer Welt scheint die Auffassung von Kultur – einer bestimmten Kultur, dieser Kultur – als Konsens über grundle-gende gemeinsame Vorstellungen, gemeinsame Gefühle und gemeinsame Werte kaum noch haltbar. Es sind im Gegenteil die Verwerfungen und Brüche, die heute die Landschaft der kollektiven Identitäten konturieren.“ (Geertz 1996:74)

Ein ortsgebundenes Konzept von Kultur deutet für die Ethno-loginnen Karen Fog Olwig und Kirsten Hastrup (1998) auf einen vom Nationalismus geprägten Gedanken hin, den ich hier als Indiz sehen will, um Erscheinungen im Vorfeld ge-nauer anzusehen. Separate Welten als Nationen wurden häu-fig erst vor relativ kurzer Zeit durch politische Entscheidungen künstlich hergestellt und sind als solche eine Konstruktion. Nationen wurden manchmal nur auf der Weltkarte geformt, und die jeweilige Kultur wurde damit als natürlich verwurzelt in dem jeweiligen begrenzten Gebiet dingfest gemacht. Den-noch ist diese Art von Kulturbegrenzung nicht nur als analyti-sches Konstrukt zu verstehen, sondern darüber hinaus auch ein weit verbreitetes Bild. Diese konstruierte Sicht trägt zu einer real gelebten Wirklichkeit bei und darf deshalb nicht als irrelevant verworfen werden.

Dennoch sind „Kulturgrenzen“ nicht gleich den nationalen Grenzen, denn sie sind im Gegensatz zu einer klar abgesteck-ten Linie nicht deutlich erkennbar. Sie gleichen eher einem dynamischen Übergang: Interkulturalität ist z.B. an Grenz-städten Bedingung und heute in den meisten Großstädten „normal“. Kultur an sich ist Kulturwandel (Laviziano 2005).

8.1 Globalisierung und Transnationalismus

Die kulturelle Globalisierung verlangt von sozial- und kultur-wissenschaftlichen Forschern einen veränderten Blickwinkel auf ihre Untersuchungsgegenstände. Lokale Einheiten und Prozesse sollen daher nicht mehr isoliert von globalen Phä-nomenen betrachtet werden (und umgekehrt), besonders die der Ökonomie, Politik und Geschichte (Kokot / Dorsch 2006; Fog Olwig / Hastrup 1998). Es wird also eine stärkere Beach-tung gesamter Kontexte aufgrund gegenseitiger Einflüsse ver-langt. Die Globalisierung von Kultur heißt auch, dass geogra-phische Räume zunehmend eine Bedeutungsveränderung erfahren. Der zweidimensionale Raum mit seinen Zentren, Peripherien und Grenzen wird zu einem multidimensionalen, globalen Raum mit unbegrenzten, diskontinuierlichen und sich gegenseitig durchdringenden Sub-Räumen (Kearney 1995). Globales hebt aber keineswegs Lokales auf. Geertz (1996:69) beschreibt die heutige Welt mit der wachsenden Globalisierung als ein Paradoxon: „Kosmopolitismus und Pro-vinzgeist sind keine Gegensätze mehr, sie sind miteinander verbunden und verstärken sich wechselseitig.“

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Durch den neu(er)en Bezugsrahmen des Globalen sind kultu-relle Aspekte schwierig am Bestehenden festzumachen. Die interdisziplinär orientierten Kulturwissenschaftler Paul Drech-sel, Bettina Schmidt und Bernhard Gölz (2000) sind der An-sicht, dass sich Einheiten wie Nationalstaaten im Zuge der Globalisierung auflösen und deren innere Segmentierung immens zunimmt. Dieser Gedanke ist eng mit dem globalen Phänomen des Transnationalismus verknüpft. Im Gegensatz zu „international“ sind mit „transnational“ grenzüberschrei-tende Beziehungen nicht zwischen Staaten, sondern zwi-schen individuellen Akteuren und Gruppen gemeint, deren Mitglieder sich meist durch ein oder mehrere spezifische Zu-gehörigkeitsmerkmale wie z.B. ethnische Herkunft, Religion, Beruf oder auch Subkultur etc. zusammensetzen (Kokot / Dorsch 2006). Besonders dies spricht gegen eine territoriale Kategorisierung von Kulturen. Der Grundgehalt des Transna-tionalen ist für Drechsel et.al. (2000) die „Abwesenheit des Anwesenden“. Das bedeutet: „… geographische und soziale Nähe fallen auseinander. Man muss nicht mehr an einem Ort leben, um zusammenzuleben. An demselben Ort zu leben heißt keineswegs, zusammenzuleben“ (Drechsel et al. 2000:128). Transnationale Akteure, zu denen multinationale Unternehmen und auch Diasporagemeinden gehören, sind weit reichend dafür verantwortlich, dass sich die National-grenzen auflösen. Sie sind grenzübergreifend tätig und schaf-fen sich eine eigene ökonomisch, politisch und sozial souve-räne Handlungsmächtigkeit. Dabei übergehen sie die Territo-rialstaaten oder spielen sie sogar gegeneinander aus, indem sie nationalstaatliche Gesetze umgehen und z.B. steuergüns-tigere Produktionsstätten wählen.

Kulturelle Globalisierung bedingt, so Drechsel et al. (2000), dass die Differenz von Nähe und Ferne, sowie die Innen- und Außenkoordination von Nationalstaaten zerfällt. Sie gehen diesem Trend nach und beschreiben die Welt als eine „raum-lose `Vielfalt ohne Einheit´“ (Drechsel et al. 2000:139). Sie sprechen eher von „Trans-Kultur“ (Übergang) als von „Inter-Kultur“ (zwischen den Kulturen). Solch ein Rahmen (Vielfalt ohne Einheit) kann sozial- und kulturwissenschaftliche For-schung, zwar komplizieren, erfreut sich allerdings umfassen-der Erkenntnisse.

8.2 Untersuchungsfeld „contact zone“ – Untersu-chungsgegenstand „Netzwerk“

Der Untersuchungsgegenstand sozial- und kulturwissen-schaftlicher Forschung verliert seine lokale Bestimmung und muss neuerdings als nur punktuell verortetes Netzwerk ver-standen werden (Kokot / Dorsch 2006). Fog Olwig und Hast-rup (1998) schlagen vor, die Idee von Kulturverortung zwar

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nicht auszublenden, aber neu zu erkunden. Dabei ist Kultur – wie gesagt – weniger klassisch territorial zu bestimmen, als vielmehr durch die Erforschung diskursiver und experimentel-ler Räumen („places“), in denen Menschen leben, und die sie immer wieder neu erfinden. Das Feld wird also nicht länger als ein Ort betrachtet, sondern „the field is … a contact zo-ne“ (Fog Olwig / Hastrup 1998:7). Anstatt lokale, kulturelle Einheiten als erwiesen anzunehmen, legen Fog Olwig und Hastrup (1998:3) den Untersuchungsfokus auf „the siting of culture as a dynamic process of self-understanding among the people we study“. Dieses Untersuchungsfeld setzt an den Knotenpunkten gesponnener Beziehungsnetzwerke an. In-nerhalb dieser kulturellen Begegnungen entstehen wechsel-seitige Konstruktionen. Dabei begibt sich auch der/die For-scher/in mit in die Untersuchungseinheit hinein. Sie sind Teil vom Untersuchungsprozess und auch Teil der globalen Ver-netzung. Soweit die Welt als ein globaler Raum betrachtet wird, der vielfach durch hierarchische Beziehungs- und Kräf-tekonstellationen charakterisiert ist, existieren klar definierte Orte nicht aus sich selbst heraus.

Wo Fog Olwig und Hastrup Beziehungsnetzwerke als Unter-suchungsgegenstand für kulturelle Phänomene einer sich wandelnden Welt bestimmen, setzt der Ethnologe Arjun Ap-padurai (1998) mit seinen Überlegungen zu imaginierten Le-benswelten an. Für ihn besteht die Welt aus enträumlichten ethnischen Räumen („ethnoscapes“), deren kulturell kons-truierte Orte der Identifikation oft nicht mit den konkreten physischen Lokalitäten übereinstimmen. Sein Untersuchungs-rahmen fokussiert imaginäre Welten, da die Imagination in der Gegenwart eine einzigartige Macht innerhalb der Gesell-schaft erlangt hat. Imagination war nach Appadurai schon immer in Form von Träumen, Liedern, Phantasien, Mythen und Geschichten ein fester Bestandteil in jeder Gesellschaft. Im heutigen Leben spricht er der Imagination zusätzlich eine eigentümliche Wirkung zu: „Mehr Menschen als je zuvor zie-hen heute mehr Variationen `möglicher´ Leben in Betracht als je zuvor“ (Appadurai 1998:21). Ursache dafür können die neuen Massenmedien sein und/oder der mögliche Kontakt mit anderen Welten, Nachrichten von ihnen und Gerüchte über sie. Appadurai unterstützt also eine Forschung, die auf-merksam ist für Faktoren, „durch die das gewöhnliche Leben heute sich nicht als durch die Gegebenheiten, sondern immer mehr als durch die Möglichkeiten gesteuert erweist“ (Appa-durai 1998:24).

Diese der Postmoderne zugeordneten Sichtweisen erfordern neue Theorien und Methoden um zu erkennen, dass dem Phänomen „Kultur“ heute mehr Dynamik, Komplexität, Hete-

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rogenität und Unbestimmtheit zu Eigen ist und zukünftig mehr an Forschung bedarf.

Wie schon von Drechsel et al. (2000) hinsichtlich der Auflö-sung von Nationalstaatlichkeit vorgeschlagen, mehr von Trans-Kultur zu sprechen, trage ich im folgenden Abschnitt weitere Gedanken zu einer Auffassung von Kultur mit flie-ßenden Grenzen zusammen.

8.3 Kultur als Fluxus

Kulturprozesse und deren Grundlagen als Mischformen anzu-sehen, welche sich in Hybridität, Flexibilität und in erfinderi-schem Synkretismus befinden, bedeutet ein binäres Denken zu überwinden. Damit soll vermieden werden Vorgänge auf eindeutige Ordnungsschemata zu reduzieren. Deswegen, und nicht nur wegen des Phänomens der Globalisierung, wird dem Fluxus mehr Aufmerksamkeit gewidmet (Hüsken 2003). Für die Interkulturelle Kommunikation kann ein solch fließen-des Konzept im Zusammenhang mit transkulturellen Phäno-menen von weiterem Interesse sein und wird Folgenden be-schrieben. Der Ethnologe Thomas Hüsken betont in diesem Zusammenhang:

„Anstelle einer Perspektive, die sich mit abgeschlossenen, inselartigen Kul-turen beschäftigt, steht der Fluxus einer globalisierten kulturellen Produk-tion im Mittelpunkt der Betrachtungen. Dieser Fluxus strömt als elementare Form der kulturellen Praxis beständig durch unterschiedliche Milieus, Sub-kulturen und Territorien und verwischt auf diese Weise ihre imaginären Grenzen. Seine Merkmale sind eben nicht Exklusivität, Homogenität und historische Kontinuität, sondern transnationale, transkulturelle und translo-kale Zusammenhänge, Austausch- und Mischungsverhältnisse und Hybri-dität“. (Hüsken 2003:18)

Hüsken übernimmt die Idee, Kultur als Fluxus zu charakteri-sieren, von dem Sozialanthropologen Ulf Hannerz, der die Metapher eines Flusses oder Stroms benutzt, um die Eigen-schaften von zeitgenössischen, komplexen Kulturen zu erfas-sen. Dabei besteht der “cultural flow” (Hannerz 1992:4) aus den hervorgebrachten Bedeutungen, welche die Individuen von und in ihrer Umwelt produzieren, wenn sie sie interpre-tieren. Dabei soll dieses Bild kein ungehinderter Transport be-deuten, sondern eher das unendliche Geschehen von (Um)Wandlung zwischen “internal and external loci“ (Han-nerz 1992:4). Hannerz findet diese Metapher sinnvoll, da sie paradox erscheinende Momente von Kultur bildlich einfängt:

„When you see a river from afar, it may look like a blue (or green, or brown) line across the landscape; something of awesome permanence. But at the same time, `you cannot step into the same water twice´, for it is al-ways moving, and only in this way does it achieve its durability. The same way with culture – even as you perceive structure, it is entirely dependent an ongoing process.” (Hannerz 1992:4)

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9. Kultur und Aktion: Praxis

Eine weitere Möglichkeit ist es Kultur als ein mehr personales, subjektives System aufzufassen, ähnlich wie es praxeologische Ansätze tun: Sie gehen davon aus, dass Kultur das Handeln den einzelnen Menschen formt und sie gleichzeitig dieses Handeln mit gestalten (unbewusst sowie bewusst). Kultur wird dabei als ein 'Dazwischen' verstanden, gespeist aus einer Art kulturellem Gedächtnis, innerhalb dessen (individuell mögliches) Handeln gestaltet wird (Moosmüller 2007).

Der praxeologische Ansatz untersucht die Kulturprägung ei-nes einzelnen Individuums. Er definiert Denk-, Wahrneh-mungs- und Interpretationsmuster als Bedeutungszusam-menhänge, die durch individuelle, alltägliche Erfahrungen entstehen (Hörning / Reuter 2004). Das Besondere an dieser Sichtweise ist, dass versucht wird zu verstehen, wie diese Be-deutungszusammenhänge zwischen dem Individuum und dem Kollektiv entstehen und sich verändern.

Ausgegangen wird von Bourdieu´s (1987) Konzept des Habi-tus. Der Habitus steht zwischen dem Objekt und dem Subjekt und ist in der Praxis als „Ort der Dialektik“ (Bourdieu 1987:98) angesiedelt. Habitusformen sind „Systeme dauer-hafter und übertragbarer Dispositionen“ (Bourdieu 1987:98), das heißt, der Habitus baut auf frühere Erfahrungen auf und versucht damit neue zu erklären und zu aktualisieren. Dabei haben Strukturen der Vergangenheit Einfluss auf die Zukunft, indem diese sich in sozialen, gegenwärtigen Praktiken ähnlich den vergangenen wiederholen. So unterliegt auch der Habi-tus einer objektivierten Regelmäßigkeit (ähnlich der Prog-rammierung bei Hofstede oder aber dem von Goodenough beschriebenen Regelwerk), allerdings ist er an die Praxis ge-bunden, durch die er jeweils verändert und transformiert wird.

Dem Habitus eigen ist auch eine Art Gewohnheit. Hörning (2004) beschreibt sie als Prozess, der sich wiederholen will (sonst wird sie nicht zu einer Gewohnheit). Allerdings muss Gewohntes, wenn es überleben will, paradoxerweise über Fähigkeiten verfügen, sich an andere Kontexte anzupassen bzw. sich entsprechend zu verwandeln. So meint Hörning, dass in Zeiten schneller Transformation (Globalisierung) Ge-wohnheiten über ein großes Maß an Kreativität und Wand-lungsmöglichkeiten verfügen müssen, da sie ansonsten aus-sterben und durch andere Formen des Handelns ersetzt wer-den. Sie brauchen also die Kompetenz, in zukünftigen Situa-tionen Ähnliches, wenn auch nicht Identisches, zu produzie-ren (wäre es identisch, gäbe es keine zeitliche Komponente).

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Stoßen kulturelle Formen in interkulturellen Situationen auf nicht gewohnte Strukturen, so ist anzunehmen, dass ein Ver-änderungsprozess eintreten kann oder muss. Allerdings mei-det der Habitus nach Bourdieu (1987) Situationen, die nicht in seine durch Gewohnheiten objektiven Bedingungen pas-sen, damit er seine Dispositionen selbstverständlich reprodu-zieren bzw. verstärken kann. Das erklärt zum einem Teil die Hartnäckigkeit von Klischees und Stereotypen. Zum anderen ist zu fragen, wo und wie häufig in dynamischen Gesellschaf-ten heute noch ähnliche Milieus zu finden sind, in denen sich der Habitus hinreichend reproduzieren kann (Hörning 2004).

Geht man nun davon aus, dass sich Verhaltens-, Denk- und Wahrnehmungsmuster eines Individuums in dieser Dialektik zwischen Objekt und Subjekt verfestigen und gleichzeitig ständig verwandeln, so ist daraus Folgendes für Kollektive zu schließen: Individuen, die in einem ähnlichen Kontext oder Umfeld leben und damit auch ähnliche Erfahrungen sam-meln, bilden einen ähnlichen Habitus aus (Bourdieu 1987), das heißt, sie verfügen (im aktuellen Gebrauch) über ähnliche kulturspezifische Muster.

Viel anders erklärt Hofstede auch nicht die Bildung von kul-turspezifischen Programmierungen. Der Unterschied zu dem hier vorgestellten Konzept ist aber das Einbeziehen der Praxis und damit das Berücksichtigen von Veränderungspotential. In diesem Sinne formuliert der Ethnologe Andreas König (2004) eine handlungsleitende Kulturkonzeption, die die verändern-de Praxis als Äquivalent zum feststehenden Regelsystem sieht: „Kultur können wir dann beispielsweise fassen als ein komp-lexes Regelsystem zur Anleitung sozialen Handelns und als den daraus entstehenden dynamischen und kreativen Prozess der Anwendung“ (König 2004:25).

Diese Definition ist zweiteilig angelegt: Die eine Seite verweist auf die kollektive Programmierung, auf die vorhersehbaren, systematischen Aspekte und die andere Seite auf die Anwen-dung des Regelapparats. Die Worte „dynamisch“, „kreativ“ und „Prozess“ deuten dabei auf die potenziell unendlich zahlreichen Möglichkeiten hin, der Aspekt der Anwendung zielt jedoch auf die tatsächlichen Geschehnisse ab. König sieht in dieser Konzeption eine Ähnlichkeit zu z.B. den Be-griffspaaren langue und parole oder auch Kompetenz und Performanz (König 2004).

Die soziale Praxis hat zwei Seiten: Wiederholung und Erneue-rung. Der Handelnde wiederholt bestehende Möglichkeiten aus seinem Repertoire von individuellen und kollektiven Er-fahrungen. Hörning meint: „Aber zur gleichen Zeit sind Prak-tiken auch produktiv zu denken: als ein eingespieltes In-Gang-Setzen von Verändertem, als neuartige Fortsetzung von Eingelebtem, als andersartige Hervorbringung von Vertrau-

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tem“ (Hörning 2004:33). Die Notwendigkeit für Erneuerung und Veränderung kommt meistens von Außen, durch externe Krisen oder Innovatoren, durch Wandel oder neue bzw. fremde Begegnungszusammenhänge (Moosmüller 2004).

10. Ausblick: Kultur und Improvisation?

Interkulturelle Kommunikation ist das „Aufeinandertreffen unterschiedlicher, intern strukturierter Bedeutungssysteme, bei dem Konventionen der Bedeutungsvermittlung und des sozialen Handelns außer Kraft gesetzt bzw. modifiziert wer-den“ (Busch 2007:71).

Das Besondere an interkultureller Kommunikation ist, dass Sender und Empfänger eher über unterschiedliche Denk-, Wahrnehmungs- und Interpretationsmuster verfügen können als das bei einer intrakulturellen Kommunikation der Fall wä-re.

Den Menschen ist universal eigen, dass sie alle kommunizie-ren können. Um die Rolle von Kultur in Kommunikationspro-zessen zu umschreiben, benutzte Claude Lévi-Strauss (1976) folgendes Bild als Metapher: Ein Orchester, das ein Konzert aufführt, ist in einen höchst komplexen Kommunikationsakt involviert. Die Ensemblemitglieder müssen alle der gleichen Partitur folgen, um trotz unterschiedlicher Instrumente und Einsätze ein harmonisches Ganzes zu bilden. Ist die Kommu-nikation oder der Kontakt interkulturell, folgen die einzelnen Ensemblemitglieder ihren eigenen, kulturellen Partituren und so kann Unerwartetes entstehen (Giordano 1996). Das heißt, wir alle spielen Instrumente, aber nach unterschiedlich kultu-rell geprägten Tonleitern. Dennoch ermöglicht die universelle Fähigkeit des Sendens und Empfangens unterschiedliche Harmonien etc. aufzunehmen und unter Umständen nachzu-vollziehen. Kultur ist aber nicht nur die Partitur, auch nicht nur die Fähigkeit des Spielens, ebenso nicht allein das Instru-ment, sondern auch Gebilde und Gestaltung all dessen. Je nach Zusammensetzung der Spieler und der zeitlichen Kom-ponente wird dabei immer etwas anders aufgeführt. Die ge-regelte Steuerung der Partitur ist also nicht absolut, sondern bezieht Spielräume mit ein, die von den Individuen gefüllt werden (Geertz 1983). Für Musiker, die aus unterschiedlichen Kulturkreisen kommen, ist es zumeist sehr reizvoll miteinan-der Musik zu machen, da das besonders viel kreatives Poten-tial frei setzen kann. Befriedigende Ergebnisse sind vor allem zu erwarten, sobald die Fähigkeit zu improvisieren und ande-re Schlüsselfertigkeiten eingebracht werden. Improvisieren lässt sich üben!

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Seit mehreren Jahren bin ich in dem transnationalen Kunst-Performance-Projekt HAJUSOM (www.hajusom.de) tätig, das mit jungen Flüchtlingen und Migranten (aus verschiedensten Länder der Welt) an produktionsbezogenen Projekten arbei-tet. Hier beobachtete ich eine Reihe von interkulturellen Be-gegnungen, sowohl zwischenmenschlich als auch künstle-risch. Mich hat immer fasziniert, wie die Sprache der Kunst (sei es bildlich, in der Bewegung, in Musik oder auch in Tex-ten – also in jeglichen künstlerischen Ausdruckweisen) allen Projektteilnehmern eine Art von Kommunikationsgrundlage bietet, die interkulturelle Zusammenkünfte um ein Vielfaches innovativ, spannend und revolutionär machen. Die Jugendli-chen, die ich über Jahre beobachten konnte, gingen alle durch eine Art Empowerment-Prozess: Über das Arbeiten in Kunstprozessen haben sie sich selbst und die anderen in vie-len Facetten kennen gelernt, sie probieren verschiedene Rol-len aus und lösen damit verfestigte, sie lernen die Akzeptanz von unterschiedlichen Ausdruckweisen und dass es unter-schiedliche ästhetische Empfinden gibt. Auf der Bühne ent-steht eine Art Probierebene, eine Art Spielraum, in dem Handlungsstrategien, Reaktionen, andere Rollen etc. erfahr-bar gemacht werden können. Auf dieser Ebene scheinen Ak-tionen erstmal keine konkreten Konsequenzen für die Realität zu haben. Allerdings ermöglicht uns das körperliche, emotio-nale Erleben auf der Probierebene Erfahrungen in den Alltag zu übertragen.

Interkulturelle Kompetenzen (Bolten 2003) beinhalten gewis-sermaßen Fähigkeiten, die im gemeinsamen Improvisieren freigesetzt und geübt werden können: Empathie (um den Anderen sinnenhaft nachvollziehen zu können), Flexibilität und Spontaneität, sowie Perspektivwechsel. Es geht um Rol-lendistanz, d.h. sich selbst zu reflektieren und Mehrdeutigkei-ten auszuhalten. Die Sinne werden für prozessorientiertes Handeln geschärft, Zufälligkeiten sollen zugelassen werden. Gemeinsam wird, durch die Reibung der Unterschiede, nach etwas Neuem - Synergie nachgespürt.

In der Kunst, bei der Auseinandersetzung mit ihren Gestal-tungsprozessen und dem gemeinsamen Schaffen eines Zu-sammenspiels kann kreatives Handeln besonders gefördert werden. Und kreatives, gestaltendes Handeln ist das, was wir in einem interkulturellen Kontakt benötigen, um mit dem Neuen nicht restriktiv und abwehrend umzugehen.

In weiteren theoretischen, wie v.a. empirischen Untersuchun-gen ist zu untersuchen, wie Methoden, Techniken und Pro-zesse von Improvisation in der künstlerischen Produktion Mo-tor für kulturelle Transformation ist. Sozial- und kulturwissen-schaftliches Interesse kann hierbei in der Untersuchung von Prozessen kultureller Transformation sein. Erziehungswissen-

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schaftliche Fragestellungen könnten in Kombination dazu klären, ob und wie solche Erkenntnisse für den interkulturel-len Dialog allgemein genutzt werden können, z.B. durch die Entwicklung einer neuen Methodik für interkulturelles Ler-nen.

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Willems: Interreligiöses und interkulturelles Lernen – notwendige Bezüge und notwendige Unter-scheidungen

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Abstract

In the last decades, the European societies became more and more multifaceted both culturally and religiously. Intercultural and interreligious education studies were developed simulta-neously to help to accommodate religious and cultural plural-ity. Surprisingly, the discussions about interreligious learning normally do not refer to the discussions about intercultural learning, and vice versa.

In this article religion and culture are defined as interweaved and felted with each other. As a consequence, interreligious learning and intercultural learning are dependent on each other. The author proposes to define a common goal of inter-religious and intercultural learning: to learn how to deal with other world views. To reach this goal, interreligious and inter-cultural learning are reliant on each other, but must be dis-tinguished as well.

1. Eine Quelle – zwei Flüsse?

Interreligiöse und interkulturelle Pädagogik erscheinen zuwei-len wie zwei Flüsse, deren Diskurse in eigenen Flussbetten fließen, ohne dass sich die Wasser mischen würden. Die gän-gige Literatur einer interreligiös interessierten Religionspäda-gogik bezieht sich nicht oder kaum auf die Arbeiten zur interkulturellen Pädagogik,1 und die interkulturelle Pädagogik vernachlässigt religiöse und interreligiöse Fragen ebenfalls (nahezu) vollständig.2 Dies überrascht, wenn man den Lauf der beiden Flüsse sozusagen zurückverfolgt und sich an-schaut, welches die Auslöser für die Entstehung bzw. das Aufblühen von interreligiöser und interkultureller Pädagogik in den letzten Jahrzehnten waren. Denn in beiden Fällen handelt es sich um Reaktionen auf gesellschaftliche Pluralisie-rungen: Im Blick sind die ethnisch-kulturell-religiösen Plurali-sierungen durch die verstärkte Arbeitsmigration seit den 1950er Jahren, später dann die zunehmende Globalisierung.3

In beiden Fällen wird Pluralität als Problem oder zumindest als Herausforderung wahrgenommen. Seit den 1960er Jahren entwickelte sich als frühe Form der interkulturellen Pädagogik eine „Ausländerpädagogik“, die sich kompensatorische Erziehung und Assimilation der ‚Ausländerkinder’ zum Ziel setzte, zugleich aber mit dem Angebot eines muttersprachli-chen Ergänzungsunterrichts versuchte, die ‚Ausländer’ fähig zur Rückkehr in ihre ‚Heimatländer’ bleiben bzw. werden zu lassen (vgl. Nieke 1986:462-463, Roth 2002:43).

Auch in der interreligiösen Pädagogik gilt Pluralität als He-rausforderung in Folge der Migrationsbewegungen seit den 1950er Jahren. Dies zeigt sich deutlich im Vorwort des Bu-

Interreligiöses und inter-kulturelles Lernen – notwendige Bezüge und notwendige Unterschei-dungen

Joachim Willems

Dr. theol. Dr. phil., Humboldt-Universität zu Berlin

Willems: Interreligiöses und interkulturelles Lernen – notwendige Bezüge und notwendige Unter-scheidungen

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ches „Interreligiöses Lernen“ von Stephan Leimgruber, der zum Eingang schreibt: „Die vorliegende Schrift versteht sich als religionspädagogische Antwort auf die dringliche Heraus-forderung durch die neue gesellschaftliche Situation der Mul-tikulturalität und des gefährdeten Zusammenlebens verschie-dener Religionen auf engem Raum.“ (Leimgruber 1995:9).4

In der Praxis zeigt sich, dass die zu bearbeitenden Probleme oft interkulturell und interreligiös zugleich interpretierbar sind. Dies zeigt sich exemplarisch an der Einführung eines verpflichtenden Schulfaches Ethik in Berlin. Der unmittelbare Auslöser, der die entsprechenden politischen Energien auf das Thema lenkte, war der ‚Ehrenmord’ an Hatun Sürücü durch ihren Bruder im Februar 2005 – der offenbar als zwar extremer, aber dennoch symptomatischer Ausdruck der Prob-leme einer multikulturellen und multireligiösen Gesellschaft gesehen wurde.5

Im Folgenden sollen Überlegungen dazu angestellt werden, was sich für Konsequenzen daraus ergeben bzw. ergeben sollten, dass sich interreligiöse und interkulturelle Pädagogik zwar auf dieselbe gesellschaftliche Situation beziehen, aber es kaum zum Austausch zwischen ihnen kommt. Zu diesem Zwecke ist zunächst das Verhältnis von Kultur und Religion bzw. Interkulturalität und Interreligiosität zu klären.

2. Religion und Kultur: verwoben und verfilzt

Die theoretische Literatur zum Thema Religion ist ähnlich unüberschaubar wie diejenige zum Thema Kultur oder zum Verhältnis beider. Beide Begriffe sind schillernd und werden in unterschiedlichen Disziplinen und von unterschiedlichen Wissenschaftlern so verwendet, dass teilweise wenig Über-einstimmung in den Definitionen vorzuliegen scheint. Die fol-genden Überlegungen orientieren sich an einer konstruktivis-tischen Theorie des Interkulturellen und Interreligiösen (vgl. Willems 2008).

Im Blick auf Kultur besteht in den gegenwärtigen Kulturwis-senschaften ein weitgehender Konsens darin, Kultur als eine anthropologische Universalie zu sehen bzw., in Überwindung der statischen Gegenüberstellung von Kultur und Natur, als „ein Attribut der menschlichen Natur“ (Straub 2004:580). Kulturen als symbolische Ordnungen und „kollektive hand-lungskonstituierende Sinnsysteme“ (Straub 2004:580) ent-stehen als Folge menschlichen Handelns. Zugleich beeinflus-sen sie dieses: Kultur ist demnach auch ein Rahmen oder Feld menschlichen Handelns. Insofern ist Kultur „ein struktureller Komplex möglicher Bestimmungsgründe von Handlungen“ und stellt den Menschen „Ordnungsformen und Deutungs-

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muster für die kognitive und rationale, emotionale und affek-tive Identifikation, Evaluation und Strukturierung von Gege-benheiten und Geschehnissen in der Welt sowie Prinzipien und Paradigmen der Handlungsorientierung und Lebens-führung“ bereit (Straub 2004:581).

Einig sind sich die gegenwärtigen Kulturtheorien weitgehend darin, Kultur als etwas Dynamisches zu verstehen. Da die „Ordnungsformen und Deutungsmuster“ (Straub 2004:581) Produkte menschlichen Handelns sind, sind sie veränderbar und verändern sich beständig. Schon deshalb kann man nicht von ‚der’ Kultur eines Volkes, einer Religionsgemeinschaft oder einer anderen Gruppe sprechen. Hinzu kommt ein wei-teres: In der Regel haben Menschen Anteil an verschiedenen Kulturen, da die Gruppen von Menschen, die einen Bezug auf die erwähnten „Ordnungsformen und Deutungsmuster“ tei-len und somit einer Kultur angehören, verschieden definiert sein können und sich in ihrer Reichweite und Exklusivität un-terscheiden (vgl. Hansen 2003). Denn der Begriff Kultur be-zieht sich, auch dies ist weitgehender Konsens, nicht (oder zumindest nicht nur) auf geschichtlich wirkungsmächtige Kul-turen (= ‚Hochkulturen’, ‚Nationalkulturen’), sondern allge-mein „auf die verbindende Kraft von partialen, regionalen oder lokalen, also auch flüchtigeren kulturellen oder subkul-turellen Lebenszusammenhängen“ (Straub 2004:582). Das bedeutet, dass partiale Kulturen mehrere Gesellschaften übergreifen können (so verbindet Punks in verschiedenen Ländern ihre spezifische Punk-Subkultur, zugleich unterschei-den sie sich voneinander nicht nur aufgrund individueller Merkmale der einzelnen Personen, sondern auch, weil sie aufgrund unterschiedlicher ‚nicht-punk-kultureller’ Sozialisa-tionen an verschiedenen Kulturen partizipieren).6 Demnach partizipieren einzelne Personen also in der Regel gleichzeitig an mehreren Kulturen oder Subkulturen. Außerdem ist von binnenkulturellen Differenzierungen („Kulturen in einer Kul-tur“) auszugehen (Straub 2004:581-582, wörtliche Zitate: 582).

Aus all dem wird ersichtlich, daß die Rede von deutlich ein-grenzbaren und voneinander abgrenzbaren Kulturen oder Kulturkreisen (vgl. z.B. Huntington 1996) zu relativieren und zu differenzieren ist. Die gegenwärtigen Kulturwissenschaften gehen stattdessen von einer „Deontologisierung, Deessentia-lisierung oder Desubstantialisierung des Kulturbegriffs“ (Straub 2004:584) aus und reflektieren mit, dass jede Kultur-beschreibung von einem kulturell kontingenten Standpunkt aus geschieht. Das bedeutet, dass kulturelle Wirklichkeiten nur im Vergleich mit anderen kulturellen Wirklichkeiten, also relational und immer nur vorläufig und flexibel, bestimmt werden können. Kultur ist somit, auch und besonders in wis-

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senschaftlichen Kontexten, ein „diskursiv ausgehandeltes Konstrukt“ (Straub 2004:584; vgl. Matthes 1992).

Versucht man, Religion zu definieren, so fällt es vermutlich noch schwerer, einen Konsens festzustellen, als bei einer De-finition des Begriffs Kultur (zur Übersicht über Religionsdefini-tionen vgl. Pollack 2003:28-55; zur Kritik an Pollacks eigenem Vorschlag vgl. Willems 2008:17). Dies ändert sich, wenn man nur die Literatur zu interreligiöser Bildung in den Blick nimmt. Dort ist man sich weitestgehend darin einig, dass die Religio-nen, auf die sich das interreligiöse Lernen bezieht, die sog. Weltreligionen sind bzw. ggf. National- oder Stammesreligio-nen. Religiös ist demnach alles, was zu tun hat mit Christen-tum, Islam, Judentum, Buddhismus, Hinduismus, afrikani-schen, asiatischen, amerikanischen, nordischen Natur- und Stammesreligionen oder mit ihren jeweiligen Ritualen, heili-gen Texten, Institutionen, Amtsträgern und den durch diese genannten Religionen bestimmten Vorstellungen, Überzeu-gungen, Werte.7

Was hat es für Konsequenzen, wenn man Religion und Kultur so definiert, wie es hier gemacht wurde?

Zunächst dies: Religion erscheint immer in der Form von Kul-tur, denn Religion stellt eben auch das zur Verfügung, was Straub als Kultur beschreibt, nämlich „Ordnungsformen und Deutungsmuster für die kognitive und rationale, emotionale und affektive Identifikation, Evaluation und Strukturierung von Gegebenheiten und Geschehnissen in der Welt sowie Prinzipien und Paradigmen der Handlungsorientierung und Lebensführung“ (Straub 2004:581). Sozial- bzw. kulturwis-senschaftlich betrachtet, trifft auch für Religionen zu, dass sie als Folge menschlichen Handelns entstehen: Religionen sind demnach Arten der Weltinterpretation, die mit anderen Arten der Weltinterpretation konkurrieren; Arten der Weltinterpre-tation, die sich als ‚viabel’ (vgl. Willems 2008:59-67) erweisen müssen und die sich im Laufe der Geschichte und vor dem Hintergrund neuer Erfahrungen verändern.

Dennoch sind Unterschiede zu beachten: Kann man sagen, dass Kultur eine menschliche Universalie sei, so gilt dies nicht für Religion – zumindest dann nicht, wenn man den Begriff der Religion an die bestehenden Religionsgemeinschaften bindet. Denn unbezweifelbar gibt es Menschen, die sich als nichtreligiös verstehen, und es ist ein Taschenspielertrick, die-se Menschen dann doch dadurch als religiös zu vereinnah-men, dass man Religion so weit definiert, dass jede Weltan-schauung und Weltdeutung zwangsläufig religiösen Charak-ter bekommt oder sogar „schon das Alternativessen in der Mensa dazu[gehört]“ (Luhmann 2002:57).8 Allerdings haben auch nichtreligiöse Menschen eine Weltanschauung, die funktional das leistet, was für andere Menschen Religion leis-

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tet, nämlich Orientierung zu bieten, Weltdeutungen zu struk-turieren, Handlungsoptionen zu ordnen und so weiter. Da in der Regel mehrere Personen eine solche Weltanschauung in einer mehr oder weniger ähnlichen Weise teilen (abgesehen vielleicht von psychopathologischen Fällen), kann man im Blick darauf durchaus, zumindest im übertragenen Sinne, von Konfessionskulturen sprechen, seien diese nun postmodern agnostisch oder streng atheistisch in einer marxistischen oder anderen Spielart. Weil dies ist so, können und sollten nichtre-ligiöse Weltanschauungen auch in interreligiöse Dialoge ein-bezogen werden.9

Religionsgemeinschaften sind ebenso wenig homogen, wie es sog. Nationalkulturen sind: Je nach Betrachterperspektive gibt es auch innerhalb von Religionsgemeinschaften Subkulturen oder Subreligionen: innerhalb des Christentums Konfessionen wie Protestantismus, Katholizismus oder Orthodoxie, inner-halb der Konfessionen wiederum verschiedene Strömungen wie z.B. liberale und konservative, innerhalb solcher Strö-mungen erneut Unterschiede wie, im Blick auf den linkslibe-ralen Protestantismus etwa der 1970er und 1980er Jahre, prokapitalistische Protestanten einerseits und antikapitalisti-sche andererseits. Andere innerkonfessionelle Unterschiede ergeben sich aus dem kulturellen Hintergrund der Konfessi-onsangehörigen: Es unterscheidet sich die Frömmigkeit und Theologie von Lutheranern in Deutschland durchaus von der-jenigen der brasilianischen oder russländischen Lutheraner. Die jeweiligen Untergruppen innerhalb einer Religionsge-meinschaft oder Konfession sind wiederum transkonfessionell miteinander verbunden: So findet sich zwischen deutschen Katholiken und Protestanten eine Schnittmenge, die beide partiell von polnischen Katholiken und norwegischen Luthe-ranern unterscheidet. Friedensbewegte Katholiken können sich wiederum friedensbewegten Protestanten näher fühlen als Teilen ihrer eigenen Konfessionsgenossen. Und auch das Phänomen charismatischer Erweckung verbindet Mitglieder unterschiedlicher Konfessionen und hebt sie zugleich von ih-ren jeweiligen Konfessionsgenossen ab. Metaphorisch aus-gedrückt: Jeder Mensch hat Anteil an unterschiedlichen Kul-turen und Subkulturen und entsprechend an unterschiedli-chen Religionskulturen und Religionssubkulturen. Diese über-lagern und ergänzen sich, und jeder Mensch bringt auf diese Weise neue Impulse in Kulturen und Religionskulturen ein, wodurch sich diese verändern – und in dieser veränderten Form auf Individuen ein- und zurückwirken.

Kultur ist wiederum, wenn man sie als Set von „Ordnungs-formen und Deutungsmuster[n]“ versteht, selbstverständlich religiös geprägt. Da nach der oben angebotenen Definition von Religion die Bewohner aller Regionen der Welt über viele

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Jahrtausende von Religion geprägt wurden, hat Religion auch diese Kulturen geprägt – und prägt selbst, in vielfach trans-formierter Form, bis heute auch Kulturen, die sich selbst nicht als religiös verstehen. Als Beispiel könnte die europäische so-zialistische Arbeiterbewegung dienen, die sich in weiten Tei-len von den traditionellen Religionen abgrenzt und dadurch Identität gewinnt, aber etwa durch die Rezeption der Marx-schen Geschichtsphilosophie die jüdisch-christliche Apokalyp-tik, mit Bloch gesprochen, „im Erbe“ behält (vgl. Bloch 1967).

Religion und Kultur erscheinen damit als miteinander verwo-ben oder, da das Bild des Verwobenseins noch impliziert, dass man beides eindeutig voneinander unterscheiden könnte, als verfilzt.

Auf welche Art und Weise man vor diesem Hintergrund im Einzelnen das Religiöse vom Kulturellen unterscheidet, ergibt sich nicht daraus, dass es ‚das Religiöse’ oder ‚das Kulturelle’ gäbe und man nur vor der Aufgabe stünde, ‚richtig’ zu sub-sumieren. Jede Definition von ‚Kultur’ und ‚Religion’ ist ein Konstrukt, und die Zuordnung von Phänomenen zum einen oder zum anderen ist die Folge einer kulturellen Zuschrei-bungspraxis (vgl. Willems 2008, 141-144).10 Dies zeigt sich gut an Beispielen, die gesellschaftlich aktuell diskutiert wer-den. So weisen die einen auf die religiösen Wurzeln des isla-mistischen Terrorismus hin mit dem Argument, dass die Ter-roristen etwa vom 11. September 2001 sich auf den Koran bezogen hätten. Diese Zuschreibung wird von einigen Musli-men zurückgewiesen, weil Islam doch Frieden bedeute und deshalb ein nichtfriedlicher Akt per definitionem nicht isla-misch sein könne. Offensichtlich lässt sich die Frage, wer mit seiner Zuschreibungspraxis hier ‚Recht hat’, nur innerhalb von Diskursen klären, die vorab bestimmte Festlegungen vorneh-men. Die Zuordnungen sind damit aber in hohem Maße nur noch Anwendungen der Regeln des jeweiligen Diskurses. Al-so: Wer die Vorentscheidung getroffen hat, nur das als isla-misch anzuerkennen, was dem Frieden dient, der legt eine andere Definition von Islam zugrunde als derjenige, der sich religionswissenschaftlich oder politologisch auf die Selbstaus-sagen von Attentätern bezieht, ohne deren theologische Stimmigkeit zu prüfen. Ähnliches lässt sich im Blick auf die Diskussion um sog. Ehrenmorde sagen: Man kann Ehrenmor-de als Folge eines kulturell geprägten oder eines religiös ge-prägten Ehrbegriffs und Wertesystems interpretieren.11 Die Diskussion aber, ob eine Interpretation von Ehrenmorden als kulturelles oder als religiöses Phänomen zutreffender sei, ist in der Regel fruchtlos, weil jeweils unterschiedliche Definitio-nen und eben Zuschreibungspraktiken zugrundegelegt wer-den, dies in der Diskussion aber nicht explizit thematisiert wird. Definiert man Religion und Kultur so, wie hier vorge-

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schlagen, dann müsste man es so ausdrücken: Ehrenmorde sind einerseits, im Sinne der gängigen alltagssprachlichen Re-ligionsdefinition, meist religiös begründet sind, wobei aber in der Religion ein bestimmter kultureller Einfluss deutlich ist. Andererseits sind Ehrenmorde natürlich kulturell begründet, aber basieren eben auf einer Kultur, deren Erscheinungsform in erheblichem Maße von Religion bestimmt ist.

Dennoch, obwohl man Religion und Kultur mit guten Argu-menten als verfilzt betrachten kann, wird die Unterscheidung beider in unserer Kultur ja nicht ohne Grund vorgenommen. Bekanntlich ist die Unterscheidung in zahlreichen Kontexten relevant, juristisch etwa dann, wenn Religionsfreiheit ge-schützt wird, nicht aber ‚Kulturfreiheit’. Dabei gehen die Kri-terien, anhand derer zwischen Religion und Kultur unter-schieden wird, von den Charakteristika des Christentums als der inoffiziellen ‚Leitreligion’ aus. Von einer Religion wird dann erwartet, dass sie ihre Regeln expliziter formuliert als eine Kultur, dass sie sich also auf kanonische Schriften be-zieht, Auslegungsregeln festlegt, eine Dogmatik und eine Ethik ausformuliert, Ämter schafft zur Tradierung des Glau-bens und der ‚Religionskultur’, eine Hierarchie ausbildet um zu regulieren, wer im Falle von Differenzen bei der Auslegung der kanonisierten Grundlagen entscheidungsbefugt ist, dass einigermaßen klare Regelungen der Mitgliedschaft bestehen und so weiter. Liegen explizite Regeln und kanonische Texte vor, so geht damit außerdem der Anspruch auf Richtigkeit oder Wahrheit einher.

Ist eine Religion durch diese Merkmale gekennzeichnet, wie es für die christlichen Konfessionen, das Judentum und den Islam in unterschiedlichem Maße gilt, so ist der Unterschied zu Kultur (oder: zu anderen Kulturen als diesen Religionskul-turen) deutlich. Diese muss eben auskommen ohne prägnant formulierte Bekenntnisse oder Ämterhierarchien – auch wenn bestimmte Texte oder historische Begebenheiten durchaus regulative Funktionen für eine Kultur oder sogar kanonischen Rang bekommen können und von den Trägern bestimmter sozialer Rollen wie Lehrern, Professoren oder allgemein Intel-lektuellen erwartet wird, dass sie über deren Auslegung wa-chen.

Bei näherem Blick zeigt sich gleichwohl, dass die genannten Kriterien in den Diskursen unserer Kultur keineswegs konse-quent angewendet werden, um zwischen Religion und Kultur zu unterscheiden. Dies wird deutlich bei einem Blick auf viele nichtchristliche Religionen, deren Angehörige sich gegenseitig anerkennen und von der Einheit ihres Glaubens überzeugt sind, auch wenn sie nur sehr wenige oder gar keine schriftlich fixierten Bekenntnisse haben und auf eine einheitliche Äm-terhierarchie ganz verzichten – mit der Folge, dass die Gren-

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zen der Religionsgemeinschaft verschwimmen, weil jede Reli-gionssubkultur anders definiert, wer als Glaubensgenosse anerkannt wird, abhängig davon, wie jemand die Bekenntnis-se interpretiert oder die mehr oder weniger als verbindlich angesehenen Texte oder Rituale hierarchisiert und gewichtet. Andererseits gibt es in unterschiedlichen Milieus durchaus große Unterschiede darin, wie die eigene Kultur definiert wird, auf die man sich bezieht. Dabei ist es durchaus möglich, dass Inklusionen und Exklusionen mit Hilfe von Mechanismen vollzogen werden, die denen einer Religionsgemeinschaft im oben genannten Sinn ähneln – dass also durchaus klare Krite-rien formuliert werden, die zu erfüllen hat, wer als Angehöri-ger dieser Kultur anerkannt werden möchte.

3. Interreligiöses und interkulturelles Lernen – Lernor-te, Profile und Problemanzeigen

Interreligiöses und interkulturelles Lernen geschieht jeweils an unterschiedlichen Lernorten. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass vermutlich ein Großteil der interkulturellen und interreli-giösen Lernprozesse nicht geplant und institutionalisiert vor sich geht, sondern lebensweltlich und informell geschieht: im alltäglichen, unmittelbaren Umgang mit Menschen anderer religiöser und ethnischer Zugehörigkeit in der Schule, am Ar-beitsplatz oder im privaten Bereich bzw. in der mittelbaren Begegnung mit anderen Kulturen und Religionen, vermittelt durch Medien wie Fernsehen, Radio, Internet, Bücher (Nach-richten und Unterhaltungsprogramme im Fernsehen, Bücher, in denen andere Religionen oder Kulturen geschildert werden und so weiter).

In institutionalisierter und pädagogisch geplanter Form kön-nen Menschen fast jeden Alters mit Bildungsangeboten inter-kulturellen Lernens in Berührung kommen: im Kindergarten, in der Schule (in vielen Fächern, vor allem den Fremdsprachen findet sich interkulturelle Kompetenz als Unterrichtsziel in den Lehrplänen), an der Universität, im Beruf (vor allem dort, wo Menschen berufsbedingt mit Migrantinnen und Migranten zu tun haben oder als Expatriates im Ausland tätig sind) oder in Angeboten der Erwachsenenbildung. Abhängig vom Lernort, unterscheiden sich die Ziele des interkulturellen Lernens teil-weise erheblich voneinander: Geht es in der vorschulischen und schulischen Bildung vorrangig darum, Formen des Um-gangs miteinander auch angesichts kultureller Unterschiede einzuüben, so steht in der beruflichen Weiterbildung im Vor-dergrund, Kompetenzen zu entwickeln, um auftretende Prob-leme besser und effektiver lösen zu können bzw. deren Ent-stehung im Voraus zu vermeiden.

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Für interreligiöses Lernen gilt entsprechend, dass auch hier das informelle Lernen für die Kompetenzentwicklung der meisten Menschen vermutlich wichtiger ist, als geplante und gesteuerte Lernprozesse. Solche gesteuerten Lernprozesse werden zum einen in der vorschulischen und schulischen Bil-dung angestrebt, zum anderen in der außerschulischen Ju-gendbildung und in der (meist gemeindlichen) Erwachsenen-bildung. In der Schule ist der vorrangige Ort von religiösem Lernen der Religionsunterricht bzw. seine entsprechenden ‚Ersatzfächer’ (Ethik, Werte und Normen, Philosophie etc.) bzw. im Geltungsbereich der ‚Bremer Klausel’ (Art. 141 Grundgesetz) und in Brandenburg, religionskundliche Fächer und Fächer mit religionskundlichem Anteil (Unterricht in bibli-scher Geschichte, Ethik, Lebensgestaltung – Ethik – Religions-kunde). Im Blick auf interreligiöses Lernen werden in der ent-sprechenden religionspädagogischen Literatur vor allem in fünf Bereichen Ziele benannt:

1. Interreligiöses Lernen muss eine Klärung der eigenen Posi-tion beinhalten und ist damit immer auch Identitätsbildung (vgl. z.B. Lähnemann 2005:416, Leimgruber 1995:38, Nip-kow 2005a:267, Ziebertz / Leimgruber 2003:434 und 438). Interreligiöse Kompetenz bedeutet demnach auch, über Kompetenzen im Umgang mit der je eigenen Religion oder Weltanschauung zu verfügen. Dazu gehört eine differenzierte Selbstwahrnehmung, Sprachfähigkeit im Blick auf eigene Überzeugungen, die Fähigkeit und Bereitschaft zu Selbstrefle-xion und Selbstkritik und die Bereitschaft, von und mit Ange-hörigen anderer Religionen und von ihren Traditionen zu ler-nen. Hier zeigen sich allerdings Unterschiede zwischen dem konfessionellen Religionsunterricht und religionskundlichen Unterricht bzw. Unterschiede innerhalb der religionsorientier-ten Didaktik, abhängig davon, ob sie auf den einen oder den anderen Unterricht abzielt. So steht die Identitätsbildung im konfessionellen Religionsunterricht weitaus deutlicher im Zentrum, als es im religionskundlichen Unterricht möglich ist – und gewünscht wird.

2. Interreligiöses Lernen beinhaltet die Vermittlung bzw. Aneignung religionskundlicher Grundkenntnisse (vgl. Lähne-mann 1998:352 als nur ein Beispiel für diesen ja unstrittigen Sachverhalt). Fraglich – und kaum diskutiert! – ist dann frei-lich, was zum ‚Kanon’ religionskundlicher Kenntnisse gehört und was nicht (vgl. Kaul-Seidman / Nielsen / Vinzent 2003).

3. Interreligiöses Lernen zielt ab auf die Erlangung hermeneu-tischer Fähigkeiten. Entsprechend der Diskussion um interkul-turelle Bildung ist dabei umstritten, ob der Umgang mit reli-giöser Pluralität besondere hermeneutische Fähigkeiten erfor-dert, oder ob es sich in der interkulturellen Begegnung letz-tlich nur um ein besonderes Anwendungsfeld allgemeiner

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(sozialer, personaler, fachlicher und Methoden-) Kompeten-zen handelt (vgl. Bolten 2001 im Blick auf interkulturelle Kompetenzen). Dabei sind verschiedene Stufenmodelle in Verwendung, die von unterschiedlich starken Differenzie-rungsfähigkeiten ausgehen, und zwar in der Regel beginnend mit einer möglichst vorurteilsfreien Wahrnehmung der Fremdheit über deren Interpretation bis zur Fähigkeit, daraus Konsequenzen zu ziehen: Lernen vom Fremden im Blick auf eigene Weltbilder, Vertiefung und Veränderung eigener Iden-titäten; Konsequenzen für das Zusammenleben (vgl. Sunder-meier 1996:155). Zu den hermeneutischen Fähigkeiten ge-hört im Besonderen die Fähigkeit zum Perspektivenwechsel. In einer prägnanten, allerdings auch nicht unproblematischen Formulierung: ‚sich selbst mit den Augen der Anderen sehen, die Anderen mit den Augen der Anderen sehen, das Eigene aus eigener Perspektive darstellen, das Fremde aus eigener Perspektive darstellen‘ sind Aspekte interreligiöser Kompetenz (vgl. Nipkow 2005a:267-268)

4. Weitere Ziele interreligiösen Lernens beziehen sich auf den konkreten Umgang mit Angehörigen anderer Religionen. Be-tont wird die Notwendigkeit, zu Metakommunikation fähig zu sein, den Anderen Anerkennung und Respekt gegenüber auch bei fortbestehendem Dissens entgegenzubringen (Am-biguitätstoleranz) sowie fähig zu sein zum gemeinsamen Handeln mit Menschen anderen Glaubens (vgl. z.B. Vött 2002:129, Ziebertz / Leimgruber 2003:440).

5. Die genannten Handlungskompetenzen basieren dabei auf einem nachhaltigen Wandel von Einstellungen im Blick auf andere Religionen bzw. deren Vertreter. Das diesbezügliche Erziehungsziel kann bezeichnet werden mit einer Haltung ak-tiver starker Toleranz und Empathiefähigkeit (vgl. Nipkow 2005b:374, Ziebertz / Leimgruber 2003:433).

Die genannten Ziele interreligiösen Lernens zeigen, dies wird auf den ersten Blick deutlich, eine große Nähe zu möglichen (und in der Tat oft formulierten) Zielen interkulturellen Ler-nens: Die Klärung und Bewusstmachung eigener Wertvorstel-lungen, Identitäten und Weltsichten ist ein erforderlicher Schritt bei der Auseinandersetzung mit anderen, also anders-kulturellen Wertvorstellungen, Identitäten und Weltsichten; die Beschäftigung mit anderen Kulturen verlangt den Erwerb von Kenntnissen und hermeneutischen Fähigkeiten ein-schließlich der Fähigkeit zur Metakommunikation, und auch im Blick auf Einstellungen und Haltungen wird in der interkul-turellen Bildung in ähnlicher Weise die Bedeutung von Aner-kennung der Anderen und Empathie mit ihnen betont, stär-ker noch als in der interreligiösen Pädagogik außerdem die Thematisierung von Diskriminierung. So benennt Nieke (2000:204) unter anderem als Ziele interkultureller Erziehung

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und Bildung „Thematisieren von Rassismus“ und „Ermuntern zur Solidarität“.12 Auernheimer, einer der einflussreichsten Vertreter der interkulturellen Pädagogik in Deutschland, fasst die „theoretischen und praktischen Bemühungen interkultu-reller Pädagogik“ in „vier Fragenkomplexe[n] oder Motive[n]“ zusammen:

a) „das Motiv der Fremdheit oder die Verstehensproblema-tik“,

b) „das Motiv der Anerkennung, das auf die Identitätsprob-lematik verweist“,

c) „das Engagement für Gleichheit, gegen Diskriminierung und Ausgrenzung aufgrund von Ethnisierung [zum Begriff der Ethnisierung: s.u.] oder Rassen-Konstrukten“,

d) „das Motiv interkultureller Verständigung in globaler Ver-antwortung“ (Auernheimer 1998:20).

Dass die Klärung der eigenen Position bei Auernheimer nicht auftaucht, hat seinen guten Grund: Im Blick auf interkulturel-le Bildung in es sinnvoll, Kultur nicht als etwas ‚an sich’ gege-benes zu betrachten, also auch nicht eine angeblich eigene deutsche oder türkische Kultur kennen zu lernen (‚deutsche Kultur’, auch wenn es nicht so genannt wird, lernen Schüle-rinnen und Schüler ohnehin in allen Fächern) – gar noch mit dem Ziel, dann zu ‚wissen’, wie man sich ‚seiner’ Kultur ent-sprechend zu verhalten habe.13 Daher ist auch eine Vermitt-lung von Grundkenntnissen über eine bestimmte Kultur prob-lematischer, als eine Vermittlung von Grundkenntnissen über eine Religion. Interkulturelle Pädagogik sollte demgegenüber ausgehen von interkulturellen Überschneidungssituationen, in denen sich unterschiedliche kulturelle Weltsichten manifestie-ren. Dabei werden dann die von Auernheimer genannten Punkte relevant: Wahrnehmung und Verstehen des Fremden – also Motive, die auch für die Vertreter einer interreligiösen Pädagogik zentral sind.

Gerade die Nähe bei der Definition von Zielen macht deutlich, inwiefern interkulturelles und interreligiöses Lernen aufeinan-der angewiesen sind. Die Werte und Überzeugungen, die ei-ne Person vertritt, ihre Weltbilder und Weltdeutungen sind sowohl durch Kultur geprägt, als auch durch Religion oder Weltanschauung. Auch hier gilt, dass beides miteinander ver-filzt ist. Da dies auch für Angehörige anderer Religionen und Kulturen gilt, ist eine Hermeneutik des Anderen oder des Fremden (vgl. Sundermeier 1996) immer eine interreligiöse und eine interkulturelle Hermeneutik zugleich, und die tole-rante Haltung ihnen gegenüber ist folglich geprägt von inter-religiöser wie interkultureller Toleranz. Selbst im Blick auf den Erwerb von Kenntnissen über eine andere Kultur gilt, wenn man davon ausgeht, dass Kultur und Religion miteinander

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verfilzt sind, dass Kenntnisse über eine andere Kultur auch religionskundliche Kenntnisse beinhalten müssen – und dass religionskundliche Kenntnisse wiederum nur vermittelt wer-den können als Kenntnisse von einer Religion und ihren vielen Erscheinungsformen, die kulturell geprägt sind und die als Kultur betrachtet werden (so Willems 2008:99-104 mit Bezug vor allem auf Luhmann 1996 und Luhmann 2002).

Werden dagegen interkulturelles und interreligiöses Lernen voneinander getrennt, so sind die folgenden Probleme, so-wohl auf Seiten des interreligiösen Lernens (1) als auch des interkulturellen Lernens (2), wahrscheinlich:

1. Ein interreligiöses Lernen, das blind ist für interkulturelle Dimensionen, erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass es zu (ei-gentlich unerwünschten) Stereotypisierungen kommt. Denn ist die Leitdifferenz des Lernprozesses diejenige zwischen Christentum (oder, wenn nochmals zwischen den Konfessio-nen unterschieden wird: zwischen Katholizismus, Protestan-tismus und ggf. Orthodoxie), Islam, Judentum, Buddhismus und anderen Religionsgemeinschaften, so wird, mindestens unterschwellig, die Religionszugehörigkeit als Hauptmerkmal eingeführt, um wahrgenommene oder zugesprochene (auf jeden Fall: konstruierte) Unterschiede zu etablieren und zu deuten. Damit werden ‚Religiosierungen’ gefördert. Den Be-griff der ‚Religiosierung’ schlage ich vor, analog zu dem der Kulturalisierung oder Ethnisierung zu verwenden (vgl. Willems 2008:142). In der interkulturellen Pädagogik werden mit Kul-turalisierung und Ethnisierung Vorgänge bezeichnet, bei de-nen ein Verhalten mit der kulturellen oder ethnischen Zuge-hörigkeit einer Person erklärt wird und damit von einem Ein-zelfall aus Rückschlüsse auf eine ganze ethnische oder kultu-relle Gruppe gezogen werden. Kulturalisierung wäre es, wenn ein Besucher der deutschen Hauptstadt von einem Bus-fahrer unfreundlich behandelt wird und nun, vielleicht auch vor dem Hintergrund von Erzählungen über ähnliche Vor-kommnisse, zu wissen meint, dass ‚die’ Berliner eben etwas ruppig seien. Oder, um auf das Beispiel des ‚Ehrenmordes’ zurückzukommen: Begeht ein junger Türke einen Mord an seiner ‚westlich’ lebenden Schwester, so wäre es eine Kultur-alisierung, wenn man daraus die Konsequenz zöge, dass ‚die Türken’ einen Begriff von Ehre hätten, die ihre Integration in Deutschland unmöglich mache. Eine Religiosierung wäre es entsprechend, wenn von einzelnen Verhaltensweisen oder Merkmalen Rückschlüsse auf eine Religion oder Konfession als ganze gezogen würden: ‚die’ männlichen Juden tragen eine Kippa, ‚die Muslime’ neigen zum Terrorismus, ‚die Pro-testanten’ sind gebildet und aufgeklärt, ‚die Buddhisten’ sind friedlich und weise – und so weiter.

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Sicherlich sind Stereotypisierungen unvermeidlich, um Welt zu ordnen. Das gilt für jedes Individuum, das seine Weltsicht ausbildet, ebenso wie für jede Kultur als kollektiver Rahmen für Weltdeutungen. Problematisch werden Stereotype aller-dings, wenn sie ein Erklärungsmodell unter vielen aktivieren und damit andere, alternative – und möglicherweise über-zeugendere – Erklärungsmodelle ausblenden. Deshalb ist an Bildungsprozesse der Anspruch zu stellen, dass bestehende Stereotypisierungen reflektiert werden. Dies gilt insbesondere in dem Falle, dass in Unterrichtssituationen interreligiöses Lernen durch den Kontakt mit Vertretern anderer Religions-gemeinschaften angestrebt wird. Die zuweilen anzutreffende Vorstellung, dass bereits der Kontakt mit Angehörigen ande-rer Gruppen zu einem Abbau von Vorurteilen führen müsse, verkennt, dass auch der gegenteilige Effekt möglich ist (vgl. Krüger-Potratz 2005:157-158): Personen, die von einem Ste-reotyp überzeugt sind, können neuen Erfahrungen ‚assimilie-ren’, statt ihre eigenen Konzepte zu akkommodieren (vgl. Willems 2008:63-67 und 130-134).14 Kontakte können dann, wenn sie nicht weiter bearbeitet werden, zu einer Verfesti-gung von Stereotypen führen, weil die stereotypisierende Per-son nun überzeugt ist, nicht nur zu ‚glauben’, dass Menschen einer bestimmten ethnischen, kulturellen oder religiösen Gruppe bestimmte unveränderliche Merkmale haben, son-dern es auch aus eigener Erfahrung sicher zu ‚wissen’.

Ein weiteres Problem, das sich stellt, wenn die Differenz zwi-schen Religions- bzw. Konfessionsgemeinschaften als Leitdif-ferenz den Unterricht prägt, ist, dass Religionen als intern kul-turell homogen suggeriert werden. Aus dem Blick gerät damit die große Varianz innerhalb von Religionen. Diese ist nicht nur darin begründet, dass eine religiös motivierte Binnendiffe-renzierung zur Entstehung von ‚Konfessionen’ führt.15 Eine Binnendifferenzierung innerhalb von Religionen oder Konfes-sionen ergibt sich auch aus unterschiedlichen ‚Inkulturatio-nen’, die sich aufgrund der dynamisch-wechselseitigen Bezie-hung zwischen Individuen und der miteinander verfilzten Kul-tur und Religion vollziehen.16 So unterscheidet sich etwa die Gestalt des (in sich wiederum pluralen) Protestantismus in Deutschland erheblich vom Protestantismus in Russland (vgl. Willems 2005), in El Salvador (vgl. Andrée 2005) oder in Tan-sania (vgl. Fischer 2007). Ein interreligiöses Lernen, das diese Unterschiede nicht berücksichtigt, wird der Komplexität sei-nes Gegenstandes nicht gerecht und fördert Stereotypisie-rungen.

2. Ein interkulturelles Lernen wiederum, das interreligiös blind ist, birgt die Gefahr, die religiöse Fundierung von hand-lungsleitenden Überzeugungen, von Routinen und von, all-gemein gesprochen, kulturellen Steuerungen zu unterschla-

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gen. Die Motivationen für bestimmte Handlungen werden aber nicht verständlich, wenn Religion im interkulturellen Ler-nen ausgeblendet wird.

Ein Beispiel für eine problematische Verkürzung stellt ein kur-zer Artikel über das Kopftuch in der Türkei dar, der in fluter, einem Magazin der Bundeszentrale für politische Bildung er-schienen ist (Kerner 2006:34). Dort wird berichtet, dass es an türkischen Universitäten den Frauen verboten sei, ein Kopf-tuch zu tragen. Erwähnt wird am Rande auch, dass einige Studentinnen aus religiösen Gründen Kopftücher tragen wol-len und dass es deshalb zu Gerichtsverhandlungen in der Tür-kei und am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg kam. Die beiden Formulierungen, die sich auf Reli-gion beziehen, suggerieren dabei, dass das Kopftuch ein bzw. das Unterscheidungsmerkmal zwischen gläubigen und nicht-gläubigen Studentinnen sei. Was nicht in den Blick kommt, ist, dass es auch Studentinnen geben könnte, die sich als gläubig verstehen, aber kein Kopftuch tragen, oder dass Stu-dentinnen – vielleicht weniger in der Türkei, aber beispiels-weise in Deutschland – Kopftücher als Zeichen ihrer ethni-schen Identität tragen könnten. Dadurch, dass religiös-theologische Fragen letztlich ausgeblendet werden, argumen-tiert der Verfasser des kurzen Artikels selbst ‚theologisch’: Er schreibt dem Kopftuch zu, Symbol zu sein für muslimische Gläubigkeit – und suggeriert damit, dass es ein Zeichen von Nichtgläubigkeit sei, wenn eine Frau kein Kopftuch trägt. Das ist eine mögliche theologische Sichtweise, die auch von zahl-reichen Muslimen und vermutlich von den meisten Islamisten so vertreten wird. Sie ist aber nicht die einzige theologische Sichtweise. An einen guten interkulturellen Unterricht, der sich mit der Bedeutung des Kopftuches auseinandersetzt, wä-re daher der Anspruch zu richten, verschiedene theologische Meinungen und Positionen von kopftuchtragenden und nicht kopftuchtragenden Muslimas zur Kenntnis zu nehmen mit dem Ziel, deren jeweilige Entscheidungen für oder gegen ein Kopftuch in ihrem Kontext zu verstehen. Im genannten Arti-kel bleibt so die mögliche Frage und ‚kognitive Dissonanz’ unbearbeitet, die dadurch aufgeworfen wird, dass ein ver-meintliches deutsches Vorurteil gegenüber Türkinnen hinter-fragt wird – nicht alle Türkinnen tragen ein Kopftuch, in der Türkei ist dieses in öffentlichen Einrichtungen sogar verboten. Die Antwort auf die Frage, warum dies alles so ist, warum es also Türkinnen gibt, die Kopftücher fragen, und warum dies in der Türkei verboten ist, wird nicht einmal ansatzweise be-antwortet – und kann ohne Berücksichtigung der religiösen Aspekte auch nicht beantwortet werden.

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4. Schlussthesen

1. Es lässt sich ein gemeinsames ‚Globalziel’ interreligiösen und interkulturellen Lernens angeben: Lernen, mit anderen Weltdeutungen umzugehen.

Dazu gehört es, Andersheit wahrzunehmen, vor allem andere als die eigene Weltdeutung, die eigenen Wertungen, Ideale und Überzeugungen sowie die eigenen Handlungsroutinen, und angesichts dessen Kompetenzen zur interkulturellen und interreligiösen Kommunikation und Interaktion auszubilden. Dies beinhaltet, andersreligiöse oder anderskulturelle Logiken und Strukturen nachvollziehen zu können.

Außerdem gehört dazu, Wege zum Ausgleich von Interessen zu finden und zumindest ansatzweise die Grundlagen und Verfahren zu reflektieren, um einen solchen Ausgleich zu er-reichen. Dabei stellt sich die Frage, ob Konflikte, Probleme oder, allgemeiner, interreligiös-interkulturell relevante Situa-tionen am angemessensten als interkulturelles, interreligiöses, soziales, politisches, juristisches oder sonstiges Problem zu deuten und zu bearbeiten sind. Um dies entscheiden zu kön-nen, sind ggf. übliche Zuschreibungspraktiken zu rekonstruie-ren und zu hinterfragen, also zu fragen, ob es vielleicht wei-terführt, zum Beispiel ein Problem entgegen der üblichen Sicht nicht als schwierig zu betrachten, weil verschiedene ‚Kulturen’ involviert sind, sondern es als soziales oder interre-ligiöses zu sehen.

2. Es besteht eine Notwendigkeit, interkulturelles und interre-ligiöses Lernen aufeinander zu beziehen.

Die Notwendigkeit, interkulturelles und interreligiöses Lernen aufeinander zu beziehen, ergibt sich aus dem dargestellten Verhältnis von Religion und Kultur als miteinander verfilzt. Folgt man dieser Sicht, dann ist es gar nicht möglich, Religion ohne Kultur zu betrachten oder umgekehrt. Folglich kann auch das Interreligiöse nicht vom Interkulturellen getrennt werden.

Außerdem besteht, wie dargestellt, die Gefahr, dass es bei der Trennung beider leichter zu Stereotypisierungen, Kultur-alisierungen/Ethnisierungen und Religiosierungen kommt. Bei einer Verschränkung von interkulturellem und interreligiösem Lernen dagegen wird es möglich, solche Zuschreibungen so-wie die Kategorien Kultur und Religion altersangemessen zu reflektieren (oder solche Reflexionen zumindest anzubahnen).

Dazu bietet sich ein Lernen an Situationen an, die als interre-ligiöse und interkulturelle Überschneidungssituationen gedeu-

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tet werden können (vgl. Thomas 2005:33-40; Willems 2008:145-151). Denn die Beschäftigung mit interreligiös-interkulturellen Überschneidungssituationen zwingt geradezu zu einer (mindestens) biperspektivischen Betrachtungsweise – die im Idealfall ergänzt wird durch eine Betrachtung der Si-tuation unter weiteren Perspektiven, da das Handeln von Per-sonen nie erschöpfend mit deren ‚Kultur’ und ‚Religion’ er-klärt werden kann. Dies führt zwangsläufig zum Hinterfragen von Kulturalisierungen/Ethnisierungen und Religiosierungen. Damit dies gelingt, ist allerdings auch eine Unterscheidung von interreligiösem Lernen und interkulturellem Lernen nötig. Daraus folgt:

3. Es besteht eine Notwendigkeit, interkulturelles und interre-ligiöses Lernen voneinander zu unterscheiden.

Obwohl interkulturelles und interreligiöses Lernen aufeinan-der bezogen sein sollten, ist es dennoch sinnvoll, beide As-pekte zu unterscheiden. Denn die Unterscheidung von Religi-on und Kultur ist in unserer Gesellschaft und in den in ihr vorherrschenden Diskursen üblich und in vielen Kontexten relevant; Zuschreibungspraktiken sind kulturell ‚invisibilisiert’. Auch wenn vieles dafür spricht davon auszugehen, dass Reli-gion und Kultur miteinander verfilzt sind, so kann es einer interreligiös-interkulturellen Pädagogik, die nicht zwischen Religion und Kultur unterscheidet, nicht gelingen, entspre-chende gesellschaftliche Diskurse abzubilden. Damit kann es dann auch nicht gelingen, in diese Diskurse einzuführen, die dort getroffenen Unterscheidungen, wo sinnvoll, zu nutzen, und sie zu reflektieren, ggf. auch zu dekonstruieren.

Eine Unterscheidung von interkulturellem und interreligiösem Lernen ist auch sinnvoll, weil die Schülerinnen und Schüler die gesellschaftlich gängigen Zuschreibungspraktiken teilen und daher selbst zwischen Religion und Kultur unterscheiden. Ei-nige Aspekte, die dabei dem Bereich des Religiösen zuge-schrieben werden, können dann besser thematisiert werden und werden nicht übergangen, wenn man diese explizit als Teil eines (notwendigen) interreligiösen Lernens kennzeich-net: Zu denken ist dabei vor allem an ‚letzte’ Fragen nach Gott bzw. dem Göttlichen, an Fragen nach dem Sinn des Le-bens und dem Sinn angesichts des Todes, aber auch an Fra-gen nach religiöser Praxis, dem Zusammenleben von Men-schen unterschiedlicher Glaubensrichtungen und der Ausle-gung Schriften, die für Religionsgemeinschaften zentrale Be-deutung besitzen. Entsprechendes gilt im Blick auf Aspekte, die dem Bereich des Kulturellen zugeschrieben werden. Hier könnte man an Fragen des Zusammenlebens verschiedener ethnischer Gruppen denken.

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1 So fehlt im (evangelisch-religionspädagogischen) Standard-werk von Johannes Lähnemann (1998) Literatur zur interkul-turellen Pädagogik ebenso wie in demjenigen des (katholi-schen) Religionspädagogen Leimgruber (1995) (fast) völlig. 2 Der Begriff „Religion“ fehlt nicht nur im Glossar des Stan-dardwerkes von Krüger-Potratz (2005), sondern Religion kommt auch im übrigen Buch nur am Rande vor. 3 In diesem Sinne überschreibt Wolfgang Nieke das erste Ka-pitel seines Standardwerkes zur Interkulturellen Erziehung und Bildung mit „Interkulturelle Erziehung und Bildung als Antwort auf die Anforderungen der multikulturellen Gesell-schaft“ (Nieke 2000:13). Freilich schließt dies nicht aus, dass sich eine längere Vorgeschichte der interreligiösen wie der interkulturellen Pädagogik schreiben lassen. So beginnt Jo-hannes Lähnemann seinen Blick auf „Besinnung auf den ei-genen Glauben und Öffnung für andere Kulturen und Reli-gionen in der Geschichte evangelischer Religionspädagogik“ (Lähnemann 1998:41) mit einem Blick auf die „Vorausset-zungen in der Antike, im Mittelalter und in der Reformations-zeit“ (Lähnemann 1998:43) und behandelt dann näher die Entwicklung seit der Aufklärung (Lähnemann 1998:53-137). Krüger-Potratz stellt der „kurzen Geschichte“ der interkultu-rellen Pädagogik eine „lange Vergangenheit“ voran (Krüger-Potratz 2005:37 und 62). Dazu zählt sie „die Geschichte des bildungspolitischen und pädagogischen Umgangs mit sprach-lich-kultureller Heterogenität in der Zeit vor 1945“ (Krüger-

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Potratz 2005:62), insbesondere im 19. und frühen 20. Jahr-hundert (Krüger-Potratz 2005:64-66). 4 Auffallend ist, dass Leimgruber zwei Voraussetzungen macht, die auf den näheren Blick gar nicht so selbstverständ-lich sind: Er spricht davon, dass Multikulturalität etwas für Deutschland neues sei, und er nimmt das Zusammenleben verschiedener Religionen auf engem Raum als gefährdet wahr. Tatsächlich besteht die Neuerung weniger darin, dass Deutschland ein multikulturelles und multireligiöses Land ist, als vielmehr darin, dass diese Pluralität anders und stärker öf-fentlich wahrgenommen wird. Selbst dann, wenn man Kultur an Ethnizität bindet (und damit die kulturellen Unterschiede zwischen Proletariat und Adel, Stadt- und Landbevölkerung, Akademikern und Handwerkern außer Betracht lässt), war Deutschland ein multikulturelles Land mit nationalen Minder-heiten (Sorben, Sinti und Roma, Dänen, Arbeitsmigranten aus unterschiedlichen Ländern in unterschiedlichen Phasen der Geschichte) und mit zahlreichen Einzelpersonen, die aus an-deren Ländern und Kulturen stammen. Die religiöse Pluralität wiederum ist ebenfalls in Deutschland kein neues Phänomen: Seit der Reformation ist das Land bi- bzw. trikonfessionell, hinzu kommt, dass Juden vermutlich schon länger im Gebiet des heutigen Deutschland leben als Christen. Schließt man die verschiedenen nonkonformistischen christlichen Gruppie-rungen ein (von den Täufergruppen der Reformationszeit über die radikalen Pietisten bis hin zu den Freikirchen des 19. Jahrhunderts), dann wird das Bild eines multireligiösen Landes noch einmal bunter. Hinzu kommen weitere Strömungen in-nerhalb und außerhalb der Kirchen, die sich vor allem seit dem späten 19. Jahrhundert ausbreiteten und die religiöse Landschaft bis heute prägen: pantheistischer Humanismus, westlicher Buddhismus, neumystische, esoterische und okkul-te Strömungen. Selbst eine vermeintlich für Deutschland neue Religion wie der Islam hat eine sehr viel längere, bis mindes-tens ins 18. Jahrhundert zurückreichende Tradition. 5 Dies zeigt sich deutlich in einem kurzen Text zum Fach Ethik auf der Internet-Seite des Berliner Senats. Dort heißt es, nach einer kurzen Darstellung der Rechtslage im Blick auf den Reli-gionsunterricht:

„Unsere Gesellschaft hat sich seit dem Beschluss des Grundgesetzes enorm verändert. Das öffentliche Leben hat sich immer weiter liberalisiert, Leben ist komplex und Orientierung schwierig geworden. Eine wachsende Zahl von Einwanderern vielfältiger Herkunft und unterschiedlicher Religionszu-gehörigkeit tun ein Übriges, dass einheitliche Bezugspunkte für viele nicht mehr klar erkennbar sind. Orientierungsprobleme, Konflikte und teilweise eklatante Verstöße gegen die Grundlagen unseres gesellschaftlichen Zu-sammenlebens sind die Folge – nicht nur bei Heranwachsenden.“ (Berlin 2006:1)

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6 Zur Unterscheidung von Kultur und Subkultur vgl. Willems (2008:128-130). 7 Dies ließe sich an vermutlich allen grundlegenden Publika-tionen zum Thema Interreligiöse Pädagogik zeigen. Exempla-risch sei hier nur verwiesen auf Leimgruber 1995, der die Ka-pitel 3 bis 5 seines Buches „Interreligiöses Lernen“ über-schreibt mit „Lernprozeß Christen – Juden“, „Lernprozeß Christen – Muslime“ und „Lernprozeß Christentum [sic] – Fernöstliche Religionen“. Lähnemann (1998:13) beginnt sein Werk über „Evangelische Religionspädagogik in interreligiöser Perspektive“ mit einem Unterrichtsbeispiel aus Schottland, in dem eine Lehrerin ein Schülerheft mit dem Titel „Houses wi-thout Bedrooms“ erstellt hat, das „Bilder und Skizzen religiö-ser Gebäude [enthält]: Kirche, Moschee, Synagoge, hinduisti-scher Tempel“. 8 Klassischer Vertreter einer sehr weiten Religionsdefinition, nach der es unmöglich ist, nicht religiös zu sein, ist Thomas Luckmann (1991). 9 Die Rede davon, dass Weltanschauungen in Dialoge einbe-zogen werden können (und nicht allein Menschen, die einer bestimmten Weltanschauung anhängen), ergibt sich aus einer systemischen Betrachtung interreligiöses und interkultureller Dialoge, die eine an den beteiligten Individuen orientierte Be-trachtung ergänzt (vgl. Willems 2008:140-141). 10 Auf eine solche Zuschreibungspraxis kann man nicht ver-zichten, da man Sprache verwenden muss, um sich verständ-lich zu machen. Auch der vorliegende Text, der ja über weite Teile versucht, die Konzepte Religion und Kultur zu dekons-truieren, muss deshalb an anderen Stellen von Religion und Kultur sprechen, als gäbe es diese. Dies ist nicht die Folge ei-ner theoretischen Inkonsequenz, sondern eines notwendigen Wechsels der Diskurse. 11 Vollkommen abwegig ist dagegen die Definition, dass ein ‚Ehrenmord’ in Folge von Werteverfall verübt werde. Dies hatte der damalige Berliner CDU-Fraktionsvorsitzende Nicolas Zimmer (2005) behauptet („der Mord an Hatun Sürücü ist nur ein Beispiel für diesen schleichenden Werteverfall in unse-rer Gesellschaft“) und damit versucht, eine Änderung der Be-rliner Situation des Religionsunterrichts zu begründen. Über-zeugender erscheint mir die Sichtweise, dass die Konflikte um ‚Ehrenmorde’ eine Folge von zu vielen Werten sind: Die Mör-der handeln einem Wertesystem entsprechend, das mit dem-jenigen des Opfers und der Mehrheitsgesellschaft im Konflikt steht. Die Lösung ist daher nicht ein Mehr an Werten, son-dern die Herstellung eines weitergehenden Wertekonsenses –

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bzw. die Bearbeitung des Problems in einem anderen System, nämlich dem Rechtssystem. 12 Im Blick auf den Begriff Toleranz, den in der interreligiösen Pädagogik z.B. Ziebertz / Leimgruber (2003:433) ganz selbst-verständlich als Unterrichtsziel benennen und in der interkul-turellen Pdagogik etwa Nieke (2000:207), ist festzuhalten, dass dieser in der interkulturellen Pädagogik deutlich weniger konsensfähig ist als unter Religionspädagogen. So kritisiert Isabell Diehm, Toleranz lasse sich

„zwar im Sinne einer Tugend einfordern, ihre Praxis aber reifiziert zugleich Marginalität und bekräftigt bestehende soziale Ordnungen. Auch unter positiven Vorzeichen nehmen die auf die ‚ganze Person’ ausgeweiteten, ehemals zur Diskriminierung herangezogenen Differenzmerkmale die be-troffene Person gefangen und reduzieren diese gleichsam auf eben jene jeweils zugrunde gelegte Differenz [...].“(Diehm 2004:138)

Daraus folge:

„Wird ihm, dem ‚ganzen’ Subjekt, nun mit Toleranz begegnet, so bleiben all die genannten ‚traditionellen’, die Toleranz ebenfalls auszeichnenden Strukturmerkmale, wie die grundsätzliche Ablehnung des Tolerierten, das Machtgefälle, die Asymmetrie und Hierarchie sowie die grundsätzliche Auf-kündbarkeit der Toleranz, noch im Spiel.“ (Diehm 2004:137)

13 Möglich wäre aber, wie es Nieke als erstes Ziel von interkul-tureller Erziehung und Bildung formuliert, den „eigenen, un-vermeidlichen Ethnozentrismus“ zu erkennen (Nieke 2000:204). 14 Ein eindrückliches Beispiel hierfür ist der Bericht der Deutschlehrerin Rebecca Jung, die in einem Deutschkurs an Volkshochschule Essen mit muslimischen Teilnehmerinnen eine religionskundliche Einheit durchgeführt hat. Auf ihre Darstellung des Christentums war die erste Aussage einer Teilnehmerin: „Wer so was glaubt, muss verrückt sein.“ Jung (2005:12) resümiert: „Statt Interesse für die ‚andere’ Religion zu wecken und darüber hinaus die Bereitschaft, sich mit ihr auseinander zu setzen, hatte ich Ablehnung und Unverständ-nis hervorgerufen. Darüber hinaus war der Ton, die Stim-mung im Kurs zum ersten Mal ‚gekippt’.“ 15 Im Blick auf nichtchristliche Religionen werden dann in Analogie zur Kirchengeschichte ‚Konfessionen’ konstruiert, so dass suggeriert wird, Orthodoxe, Konservative und Liberale im Judentum, Sunniten, Schiiten und Aleviten im Islam oder die Anhänger der verschiedenen ‚Fahrzeuge’ im Buddhismus verhielten sich zueinander wie Katholiken, Protestanten und, falls diese überhaupt in den Blick kommen, Orthodoxe. 16 Vgl. als ein Beispiel einer spezifischen Inkulturation des Lu-thertums Willems (2003).

Schlingensiepen / Trempler / Ringeisen: Die kontextspezifische Erfassung kultureller Profile nach Hofstede: Pilotierung eines Kurzfragebogens für Lehrer

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Abstract

There is a lack of adequate instruments to capture the four dimensions of Hofstede’s cultural model (individualism-collectivism, power distance, masculinity-femininity, and un-certainty avoidance) at the individual level. Available instru-ments are either restricted to assessment at the country level (multidimensional measures), or they allow only capturing a single dimension. Additionally, no context-specific measures exist for schooling and education. In response, the current study piloted a context-specific instrument which enables the simultaneous measurement of Hofstede’s cultural dimensions at the individual level. Based on a sample of 80 teachers, a short questionnaire was constructed. With two items per scale, a 5-factor solution could be identified. Aside from one scale for masculinity-femininity, two separate scales emerged for individualism and collectivism, as well as for power dis-tance (teacher and student perspective). For uncertainty avoidance, no scale could be found. Analyses indicated good psychometric properties and sufficient (content and discrimi-nant) vali-dity of the scales. In essence, the current study pro-vided first evidence that Hofstede’s cultural dimensions may simultaneously be assessed with a context-specific instrument for teachers at an individual level. On the basis of additional samples, further research should examine (construct and cri-terion) the validity of the extracted scale structure and inves-tigate its predictive potential to unravel cultural variability in teacher’s interaction with students at school.

1. Wie können kulturelle Profile gemessen werden? Ein empirisch-methodischer Überblick

Interkulturelle Lernumgebungen in Schule und Ausbildung gewinnen in Deutschland immer mehr an Bedeutung. Unter-schiedliche Werte und Normen treffen dort aufeinander, wo-bei das Werteprofil von Lehrkräften und Schülern je nach kul-tureller Sozialisation sehr unterschiedlich geprägt sein kann (vgl. Triandis 1989). Begegnen sich nun Angehörige unter-schiedlicher Kulturkreise, so folgt jeder der Beteiligten oft un-bewusst weiterhin dem eigenen Interpretationsschema, also der eigenen ‚kulturellen Brille’. In der Folge steigt das Risiko, sowohl das Verhalten des fremdkulturellen Gegenübers als auch die Folgen des eigenen Handelns falsch zu deuten. Bei-spielsweise erweisen sich im Kontext Schule vormals erfolg-reiche Reaktionsmuster plötzlich als ineffektiv und es kommt zu Störungen der Kommunikation oder zu sozialen Konflik-ten. Besonders deutlich zeigen sich diese Probleme in multi-kulturellen Lernumgebungen (z. B. Ringeisen / Buchwald /

Die kontextspezifische Erfassung kultureller Profile nach Hofstede: Pilotierung eines Kurz-fragebogens für Lehrer

Karina Schlingensiepen

Universität Wuppertal, Fachbe-reich Bildungs- und Sozialwissen-schaften

Kati Trempler

Universität Wuppertal, Fachbe-reich Bildungs- und Sozialwissen-schaften

Dr. Tobias Ringeisen

Bildungs- und Wissenschaftszent-rum der Bundesfinanzverwaltung / FH des Bundes, Münster

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Mienert 2008a, Buchwald / Ringeisen / Vogelskamp / Teubert 2008).

Konflikte in multikulturellen Settings resultieren nicht allein aus dem Aufeinandertreffen unterschiedlicher Wertemuster, sondern werden durch Akkulturationserfahrungen der Betei-ligten moderiert (z.B. Berry / Sam 1997). Beispielsweise sind viele Schüler mit Migrationshintergrund in Deutschland auf-gewachsen und weisen ein kulturelles Profil auf, das sich von der Durchschnittsbevölkerung in Ihrem Herkunftsland unter-scheidet. Umgekehrt begünstigen die Anforderungen des Schulalltags auch bei deutschen Lehrern die Ausbildung eines ‚untypischen’ Werteprofils, das vom durchschnittlichen deut-schen Ausprägungsmuster abweicht (vgl. Ringeisen / Schwar-zer / Buchwald 2008b). Die Bestimmbarkeit des individuellen kulturellen Profils würde somit helfen, das Entstehungsrisiko von interkulturellen Konflikten zu reduzieren. Lehrer könnten eigene Bewertungsschemata und Verhaltensweisen gezielter reflektieren, um ihre Handlungstendenzen in interkulturellen Situationen besser zu verstehen. Umgekehrt wird Schülern auf diese Weise ermöglicht, Erwartungen ihrer Lehrer hin-sichtlich Mitarbeit und Unterrichtsgestaltung gezielter zu er-kennen und zu beantworten.

Für die vorliegende Studie wird zu diesem Zweck auf das mul-tidimensionale Kulturmodell von Hofstede (1980 und 2001) rekurriert. Aktuelle Forschungsarbeiten weisen darauf hin, dass der Vorhersagewert des Modells nicht nur auf den be-ruflichen Kontext begrenzt ist, sondern sich auch zur Erklä-rung kulturspezifischer Variation im Verhalten von Lehrern und Schülern eignet. So zeigte sich beispielsweise in ersten Studien, dass kulturelle Unterschiede in Hofstedes Werteprofil sowohl Interaktionsmuster im Unterricht als auch das Auftre-ten von und den Umgang mit Konflikten im Schulkontext be-einflussen können (Buchwald / Ringeisen 2007). Ein Überblick aktueller Forschungsarbeiten für den Kontext Schule findet sich bei Ringeisen et al. (2008a und 2008b).

Trotz empirischer Hinweise auf die Nützlichkeit des Modells fehlen bisher geeignete Instrumente für eine kontextspezifi-sche Messung der Hofstedeschen Wertedimensionen in Schu-le und Ausbildung. Verfügbare mehrdimensionale Instrumen-te sind nur für Datenerhebung und -auswertung auf Länder-ebene geeignet. Für die Bestimmung des kulturellen Profils von Individuen existieren bisher nur eindimensionale Instru-mente. Als Antwort auf den Mangel an adäquaten Instru-menten wird in der vorliegenden Studie ein Fragebogen pilo-tiert, der eine simultane Erfassung von Hofstedes Wertedi-mensionen auf der Individualebene ermöglicht. Ziel ist es da-bei, ein kontextspezifisches und kurzes Instrument für den

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Schulkontext zu entwickeln, das die zeitökonomische Erfas-sung des kulturellen Profils bei Lehrern erlaubt.

Als Hintergrund zur Fragebogenkonstruktion wird im folgen-den Abschnitt zunächst die Bedeutung des Begriffes „Kultur“ als Konstellation von Normen und Werten vorgestellt und das mehrdimensionale Kulturmodell von Hofstede (2001, Hofste-de / Hofstede 2006) eingeführt. Anhand von Beispielen wird im Anschluss erläutert, in welcher Form sich kulturelle Einflüs-se im Denken, Fühlen und der Interaktion von Lehrern und Schülern manifestieren. Ergänzend werden bisherige Instru-mente zur Erfassung von Hofstedes Werteprofil vorgestellt und methodische Probleme derselben skizziert.

Auf dieser theoretisch-empirischen Basis werden im zweiten Abschnitt die zentralen Forschungsfragen und Hypothesen abgeleitet. Die Forschungsmethodik wird im dritten Abschnitt vorgestellt, wobei der Fokus auf der Konstruktion des Instru-ments, der Stichprobe und dem Vorgehen bei Datenerhe-bung und Auswertung liegt. Komplementär zu den For-schungsfragen erfolgt die Darstellung der Ergebnisse im vier-ten Abschnitt. Im fünften Abschnitt schließlich werden die Ergebnisse unter Rückgriff auf die zuvor eingeführten Kon-zepte diskutiert und offene Fragen im Hinblick auf Mess-methodik und weiteren Forschungsbedarf aufgezeigt.

1.1 Kultur als Konstellation von Normen und Werten

In den vergangenen drei Jahrzehnten hat die kulturverglei-chende Psychologie eine Reihe von Ansätzen hervorgebracht, um kulturell bedingte Unterschiede auf Basis mehrerer Di-mensionen zu beschreiben (z.B. Hofstede 1980, Schwartz 1994, Trompenaars 1993). In dieser Forschungstradition wird „Kultur“ als ein mehrdimensionales Konstrukt verstanden, dass sich aus einer Mischung von bestimmten Normen und Werten in einer Gesellschaft zusammensetzt (Lehman / Chiu / Schaller 2004). Die Bedeutsamkeit dieser Normen und Werte wird von ihren Mitgliedern geteilt und akzeptiert. Kultur übernimmt dabei die Funktion eines Orientierungssystems, das Wahrnehmung und Denkmuster sowie Gefühle und Handeln der Angehörigen einer Gesellschaft prägt.

Als zentrales Merkmal hat sich das Konstrukt Individualismus-Kollektivismus etabliert, welches das Ausmaß und die Qualität von wechselseitiger sozialer Abhängigkeit („social related-ness“) in verschiedenen Lebensbereichen abbildet (Hofstede 1980, Triandis 1995). Im Bereich von Lernsettings hat die For-schung eine Reihe weiterer Normen und Werte identifiziert, die beispielsweise die Gestaltung einer Lernumgebung oder den Umgang zwischen Schülern und Lehrern im Kontext Schule beeinflussen. Beispiele umfassen die Bedeutung von

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Hierarchie vs. Gleichberechtigung, das Ausmaß von Struktu-rierung und Klarheit im Unterricht oder die Betonung von Wettbewerb und Leistungsorientierung als Gegenpol einer schülerzentrierten Förderung. Kulturspezifische Variationen in diesen Merkmalen einer Lernumgebung können durch zu-sätzliche Kulturdimensionen erklärt werden, die Geert Hofs-tede auf Basis eines weltweiten Forschungsprojektes ab den 1970er Jahren entwickelt und für den Kontext von Schule und Lernen spezifiziert hat (Hofstede 1986).

1.2 Das Kulturmodell von Hofstede

Hofstedes Modell (Hofstede 2001, Hofstede / Hofstede 2006) wurde auf Basis von mehr als 100.000 Mitarbeiterbefragun-gen in einem weltweit operierenden IT-Konzern entwickelt. Im Laufe der vergangenen 30 Jahre hat es mehr als 1000 For-schungsarbeiten zur Bedeutung von Kultur im Arbeitskontext angeregt und sich als ein bedeutendes Konzept zur Erklärung von kultureller Varianz im (sozialen) Verhalten entwickelt. In seinem Modell unterscheidet Hofstede neben dem bereits erwähnten Konzept von Individualismus-Kollektivismus die Dimensionen Machtdistanz, Maskulinität-Feminität und Unsi-cherheitsvermeidung. Studien aus der jüngeren Vergangen-heit (z.B. Hofstede / Bond 1988, Hofstede 2001) haben eine Erweiterung des Modells um die Dimension der Lang- vs. Kurzzeitorientierung vorgeschlagen, welche die relative Be-deutung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft im All-tag abbildet. Nachfolgestudien konnten weder die Dimension transkulturell replizieren, noch konsistente Zusammenhänge mit spezifischen Verhaltensmustern im Schul-, Ausbildungs- und Berufskontext identifizieren (Fang 2003). Im Folgenden wird deshalb auf eine Berücksichtigung dieser Dimension bei der Fragenbogenkonstruktion verzichtet.

Die Dimension Machtdistanz beschreibt „das Ausmaß, zu welchem die weniger mächtigen Mitglieder von Institutionen bzw. Organisationen eines Landes erwarten und akzeptieren, dass Macht ungleich verteilt ist“ (Hofstede / Hofstede 2006:59). Hofstede beschreibt Deutschland, viele angloameri-kanische Staaten und Skandinavien als Länder mit vergleichs-weise geringer Machtdistanz und nennt die erreichte Gleich-berechtigung besonders in Schule (zwischen Lehrern und Schülern) und Familie (zwischen den einzelnen Generationen) als hohes Gut. Lehrer gelten demnach nicht mehr als distan-zierte Autoritätspersonen, welche den Schülern im Rahmen von Frontalunterricht Wissen vermitteln. Vielmehr überneh-men sie mittlerweile die Rolle von ansprechbaren Lerngestal-tern, die den Schüler aktiv in die Gestaltung des Unterrichts einbeziehen, ihn ermuntern zu hinterfragen und seine freie Meinungsäußerung fördern sollten - unabhängig davon, ob

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diese mit der des Lehrenden übereinstimmt oder nicht (vgl. Hofstede 2001). Ein ausgeprägter Gehorsam gegenüber Er-ziehungspersonen – wie in vielen ost-, südosteuropäischen oder südamerikanischen Ländern üblich – wird nicht mehr verlangt. In diesen Ländern mit hoher Machtdistanz stellen Lehrende zu respektierende Autoritätspersonen dar, deren Schüler zu ihnen in einem Abhängigkeitsverhältnis stehen. Dort ist es nicht erwünscht, dass sich Schüler ohne Aufforde-rung zu Wort melden und Diskussionen mit dem Lehrer be-ginnen, die diesem einen Gesichtsverlust bescheren könnten (Hofstede 1986 und 2001).

Die Dimension Individualismus-Kollektivismus beschreibt, zu welchem Grad Individuen in Gruppen integriert sind und wie diese Zugehörigkeit das Denken, Fühlen und Handeln beeinf-lusst (Hofstede 2001). Wie viele Länder des angloamerikani-schen und west- bzw. nordeuropäischen Kulturkreises zeich-net sich Deutschland als individualistisch geprägte Gesell-schaft aus, in der die Mitglieder vorrangig ihr eigenes Wohl und das ihrer engsten Freunde und Verwandten verfolgen. Kinder lernen, sich über persönliche Attribute zu definieren. Selbstverwirklichung stellt das primäre Lebensziel dar, für dessen Erreichen jeder selbst verantwortlich ist. Zu diesem Zweck wird in der Schule selbstgesteuertes Lernen gefördert, um Schüler beim Erwerb von Problemlösekompetenz zu un-terstützen. Die eigenständige Beteiligung am Unterricht gilt dabei als zentrales Merkmal des Lernprozesses (Hesse 2001, Hofstede 1986).

In einer kollektivistischen Gesellschaft hingegen sind die Men-schen mit einer durch Zusammenhalt geprägten Gruppe ver-wachsen, die die Interessen der Mitglieder schützt und ihre soziale Einbindung fördert, im Gegenzug aber permanente Loyalität erwartet. Die Zugehörigkeit zu einer Gruppe kann im Allgemeinen nicht frei gewählt werden, sondern ergibt sich aus der (familiären und ethnischen) Herkunft, der sozia-len Schicht, der Religion, etc. Dementsprechend kann ein Mensch unterschiedlichen Gruppen wie einer Großfamilie, einem Unternehmen oder einer Bildungseinrichtung angehö-ren (Hofstede / Hofstede 2006). In Lernsettings wird in vielen kollektivistischen Ländern – vor allem in Südamerika und Ost-asien – die Einpassung des Schülers in die Klasse sowie in Peer-Groups gleicher ethnischer Herkunft erwartet. Verlet-zungen dieses Prinzips werden zumeist durch Sanktionen der Mitschüler beantwortet. Die Leistung des Einzelnen dient dem Wohl der gesamten Gruppe. Eine erfolgreiche Ausbil-dung oder ein abgeschlossenes Studium ermöglichen auf die-se Weise den individuellen gesellschaftlichen Aufstieg, erhö-hen aber auch Ansehen, Reputation und Stolz der In-Group (Hofstede / Hofstede 2006).

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Die Dimension Maskulinität-Feminität bezieht sich auf die Verteilung von Rollen zwischen den Geschlechtern und den Grad der Geschlechtsrollenstereotypisierung (vgl. Hofstede 2001). Als eher maskulin gilt derjenige, welcher sich „hart und materiell orientiert“ (Hofstede / Hofstede 2006:165). Verständnisvolles, sensibles und bescheidendes Verhalten hingegen wird als feminin charakterisiert. Maskulinität wird als stereotype Verhaltensweise eines Mannes verstanden, während Feminität eher den Frauen zugeschrieben wird. Maskulin geprägte Kulturen erwarten in Schule, Ausbildung und Beruf von Männern Merkmale wie Ehrgeiz und Selbstbe-hauptung: Erfolg wird anhand von Leistung, Stärke und Schnelligkeit im Wettbewerb mit anderen gemessen. Frauen hingegen sollen soziale Verantwortung übernehmen und Für-sorge für Familie, Kinder und Bedürftige zeigen. Die beiden Pole der Dimension unterscheiden sich nicht nur in der Ab-grenzung der zugrunde liegenden Geschlechtsrollenstereo-type, sondern auch in der Rigidität, mit der ihre Einhaltung gefordert wird (vgl. Trautner 2002). Maskuline Kulturen un-terscheiden zwischen geschlechtsrollenkonformem und ab-weichendem Verhalten und sind rigide in ihrer Kategorisie-rung. Feminine Kulturen hingegen lassen eine flexiblere Defi-nition der Geschlechtsrollen zu, die sich für beide Geschlech-ter auch überschneiden können. Generell tritt die Bedeutung von Wettbewerb und Leistung hinter Kooperation und Förde-rung des Einzelnen zurück.

Durch die Integration von Lernvoraussetzungen und Förder-möglichkeiten zeichnet sich beispielsweise Finnland als deut-lich feminin geprägtes Land aus. Es weist ein adaptives und sensibles Schulsystem auf, das besonderen Wert darauf legt, allen Schülern die gleichen schulischen (Entwicklungs-) Chan-cen zu gewährleisten. Als Unterstützung des Lehrer-kollegiums stehen dazu u. a. Assistenzlehrer, Simultandol-metscher und Sonderpädagogen zur Verfügung. Finnische Schüler erhalten keine Noten, sondern in schriftlicher Form eine individuelle Rückmeldung über ihre Leistungsentwick-lung. Auf diese Weise soll der Wettbewerb unter den Schü-lern nivelliert werden, um negative Folgeeffekte wie die Ab-senkung ihres fachspezifischen Selbstkonzeptes, ihres Selbst-wertes oder ihrer Leistungsfähigkeit abzufedern (vgl. Traut-wein / Lüdtke / Köller 2006).

Im Hinblick auf das erwünschte Leistungsverhalten kann das deutsche Schulsystem als maskulin eingestuft werden, da es von Schülern besonders die Merkmale „Ehrgeiz, Leistungsbe-reitschaft und Selbstbehauptung“ (Ringeisen et al. 2008b:13) im Wettbewerb mit anderen erwartet. Bei jeder Zeugnisaus-gabe kann beobachtet werden, dass deutsche Schüler ihre Noten miteinander vergleichen. Der „Beste“ einer Klasse wird

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ermittelt, um ihm eine gewisse Respektsäußerung zukommen zu lassen. Gleichzeitig haben feminine Aspekte im deutschen Schulsystem eine Bedeutung für die individuelle Förderung von Schülern sowie den Umgang miteinander. Von Schülern wie Lehrern beiderlei Geschlechts wird Kooperation und In-tegration gefordert, wobei der Erhalt eines funktionierenden Miteinanders im Vordergrund steht (Ringeisen / Buchwald / Schwarzer 2007). Schwächere werden respektiert und erhal-ten – beispielsweise im Falle von Leistungsdefiziten – bedarfs-gerechte Förderung. Ein Beispiel stellt das Angebot eines Wahlfachsystems dar, in dem sich Schüler nach Ihrer Leis-tungsstärke und / oder Interessen in Kursen zusammenfinden können.

Unsicherheitsvermeidung charakterisiert schließlich das Aus-maß, zu welchem unstrukturierte, mehrdeutige oder unbe-kannte Situationen als bedrohlich empfunden werden. Eine hohe Ausprägung drückt sich u. a. in einem starken Bedürfnis nach Vorhersehbarkeit aus (Hofstede 2001). Eine geringe Un-sicherheitsvermeidung hat z. B. im Schulalltag zur Folge, dass Lehrer flexibel mit unvorhergesehenen Situationen umgehen und - falls notwendig - improvisieren, ohne sich dadurch be-droht zu fühlen. Menschen in Ländern mit hoher Tendenz zur Unsicherheitsvermeidung wie in Deutschland, Griechenland oder Spanien entwickeln zur Bewältigung oft genau definier-te Verhaltensregeln, nach denen bestimmte Formen von Ver-halten in einer Situation angemessen sind oder nicht. In der Schule zeigt sich eine hohe Unsicherheitsvermeidung da-durch, dass der Unterricht durch klare Strukturen gekenn-zeichnet ist, definierte Regeln für den Umgang zwischen Leh-rern und Schülern bestehen und die Lehrenden zumeist sehr gut vorbereitet sind. In der Folge können Fragen sofort und korrekt beantwortet werden, um die Unterrichtsplanung nicht durch ausufernde Diskussionen durcheinander zu brin-gen.

1.3 Messung des kulturellen Profils nach Hofstede

Die weltweite und damit kulturübergreifende Gültigkeit des mehrdimensionalen Modells von Hofstede wurde in vielen Studien für den Schul- und Arbeitskontext nachgewiesen. Die relative Bedeutung der einzelnen Dimensionen kann jedoch sowohl zwischen Gesellschaften auf der Länderebene als auch zwischen Gruppen und Individuen innerhalb einer Ge-sellschaft variieren (vgl. Hofstede / Hofstede 2006, van de Vij-ver / Leung 1997). Abbildung 1 grenzt diese drei Betrach-tungsebenen schematisch voneinander ab.

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Abb. 1: Ebenen der kulturellen Analyse

Konkrete Abweichungen in den Dimensionsausprägungen zeigten sich zwischen den standardisierten Ausprägungsprofi-len auf nationaler Ebene und den Profilen einzelner Berufs-gruppen innerhalb eines Landes (Hofstede 2001, Hofstede / Hofstede 2006). Profilverschiebungen auf der Gruppen- oder Individualebene können dabei auf Lernprozesse in der berufli-chen Sozialisation zurückführbar sein. Beispielsweise ver-schieben sich in maskulin geprägten Ländern wie Deutsch-land mit zunehmender Berufserfahrung offensichtlich die Ausprägungswerte bei Lehrern in Richtung Feminität, wäh-rend sich die Werte für Machtdistanz verringern (Ringeisen et al. 2008b).

Die Ausprägungen der einzelnen Dimensionen können psy-chometrisch erfasst und zur Bestimmung eines kulturellen Profils zusammengeführt werden. Zu diesem Zweck hat Hofs-tede das „Value Survey Module“ (VSM) entwickelt. In seiner Fassung von 1994 stellt das VSM (kurz: VSM 94, vgl. Hofste-de 1994) zurzeit das einzige verfügbare Instrument dar, um Hofstedes Kulturdimensionen konstruktvalide zu erfassen. 2008 wurde eine überarbeitete Version (VSM 08) veröffent-licht, die bei Untersuchungsbeginn aber noch nicht vorlag. Das VSM 94 enthält 26 Items, wovon sechs demografische Daten erheben. Im Einklang mit seinem Modell decken je-weils vier Fragen die Dimensionen Machtdistanz, Individua-lismus-Kollektivismus, Maskulinität-Feminität, Unsicherheits-vermeidung sowie Langzeitorientierung ab. Alle Items sind mit einer 5–stufigen Likert-Skala versehen. Durch Standardi-sierung werden die Items einer Skala zu Indizes zusammenge-fasst, die im Allgemeinen Werte zwischen 0 und 100 errei-chen können.

Gruppenebene Analyseeinheit: Berufsgruppen, Männer / Frauen, etc.

Individuelle Ebene Analyseeinheit: Individuen in Gruppen / Gesellschaften

Nationale / gesellschaftliche Ebene Analyseeinheit: (Länder-)Stichproben

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Nach Hofstede (2001) eignet sich der VSM 94 primär zur Er-fassung und dem Vergleich von kulturellen Profilen bei Län-derstichproben auf der nationalen Ebene. Ein Einsatz auf der Gruppen- oder Individualebene ist nicht explizit vorgesehen. Nichtsdestotrotz wurde das VSM 94 in Ermangelung alterna-tiver Instrumente in einer Reihe von Studien eingesetzt (z.B. Teubert 2008). In der Folge wurde eine Reihe von psycho-metrischen Problemen offensichtlich, die stichprobenab-hängige Muster in Iteminterkorrelationen und resultierenden Faktorstrukturen sowie eine geringe Homogenität der Skalen umfassen. Hofstede (2001) selbst berichtet das Auftreten die-ser Probleme im Rahmen der Validierungsstudien zu seinem Kulturmodell. Verschiedene Berufsgruppen scheinen dem-nach unterschiedliche Beziehungen zu den einzelnen Dimen-sionen aufzuweisen. Vergleichbare messmethodische Proble-me zeigen sich auch bei anderen mehrdimensionalen Kultur-fragebögen (z.B. Bresnahan et al. 2005).

In deutscher Sprache stehen für die Messung des kulturellen Werteprofils auf der individuellen Ebene nur eindimensionale Instrumente bereit. Sie erfassen jeweils nur eine von Hofste-des Dimensionen. Ein validiertes Instrument zur simultanen Messung aller vier Dimensionen existiert bisher nicht. Der weitaus größte Teil der verfügbaren Instrumente fokussiert auf die Dimension Individualismus-Kollektivismus (z.B. Bier-brauer / Meyer / Wolfradt 1994). Ebenso mangelt es an kon-textspezifischen Instrumenten, welche im Bereich von Schule und Ausbildung die Ermittlung des kulturellen Profils von Leh-rern erlauben. Für Hofstedes mehrdimensionales Modell ste-hen bisher lediglich Skalen zum Umgang mit multikulturellen Lernumgebungen zur Verfügung, die entweder die Perspekti-ve des Lehrenden (Ringeisen / Spanowski / Buchwald 2009, Lichtblau / Over / Mienert 2008) oder des Schülers (Cultural Learning Environment Questionaire (CLEV), Fisher / Waldrip 1999) abbilden.

2. Forschungsfragen und Hypothesen

Als Antwort auf die methodischen Probleme von verfügbaren Instrumenten wurde in der vorliegenden Studie ein Fragebo-gen pilotiert, der eine simultane Erfassung von Hofstedes Wertedimensionen auf der Individualebene ermöglicht. Ziel war es dabei, ein kurzes Instrument für den Schulkontext zu entwickeln, das die zeitökonomische Erfassung des kulturel-len Profils bei Lehrern erlaubt. Als Antwort auf die methodi-schen Probleme bisheriger Instrumente erfolgte eine theorie-geleitete Itementwicklung, die sich eng an bisherigen For-schungsergebnissen zum mehrdimensionalen Kulturmodell von Hofstede orientierte. Drei Forschungsfragen und zugehö-

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rige Hypothesen leiteten die Analyse des Fragebogenent-wurfs:

1. Zeigt sich in Übereinstimmung mit dem zugrunde liegen-den Modell von Hofstede eine mehrdimensionale Lösung, welche die vier Kulturdimensionen widerspiegelt?

Es wurde angenommen, dass sich auf Basis der Datenstruktur mindestens vier gut abgrenzbare Komponenten ergeben, die sich inhaltlich als Dimensionen von Hofstedes Modell inter-pretieren lassen (vgl. Hofstede 2001).

2. Entsprechen die entwickelten Skalen den Anforderungen an gruppenvergleichende Instrumente, um zur Erfassung von kontextspezifischen Kulturprofilen auf der individuellen Ebene eingesetzt werden zu können?

Es wurde erwartet, dass sich aus den zu entwickelnden Itemgruppen Skalen bilden lassen, die trotz ihrer Kürze den inhaltlichen und statistischen Kriterien für gruppenverglei-chende Verfahren genügen.

3. Eignen sich die Skalen, um im Sinne der diskriminanten Validität zwischen verschiedenen Gruppen von Lehrern zu unterscheiden?

Aufgrund der unterschiedlichen politischen Entwicklung wäh-rend der deutschen Teilung wurde angenommen, dass die Skalen territoriale Unterschiede im kulturellen Profil von Leh-rern in Ost- und Westdeutschland abbilden können. Diese Annahme stützt sich auf zwei Befunde. Zum einen wurde ein bedeutender Teil der heutigen Lehrerschaft zur Zeit des kal-ten Krieges ausgebildet und unterrichtet heute in demselben Landesteil (vgl. Statistisches Bundesamt 2006). Zum anderen finden sich auch knapp 20 Jahre nach der Wiedervereinigung noch Unterschiede in den Werteprofilen zwischen Ost- und Westdeutschen, die offensichtlich eine hohe Stabilität aufwei-sen (vgl. Gulyanska 2005, Rieger 1992). Vor diesem Hinter-grund wurden die folgenden Hypothesen aufgestellt: Es wur-de angenommen, dass ostdeutsche Lehrer eine höhere Machtdistanz und höhere Kollektivismus-Werte als ihre west-deutschen Kollegen aufweisen. Im Bereich von Maskulinität-Feminität und Unsicherheitsvermeidung wurden keine Unter-schiede erwartet, da diese Merkmale für beide Bildungssys-teme Deutschlands charakteristisch waren und nicht aus-schlaggebend durch die unterschiedliche politische Entwick-lung beeinflusst gewesen sein sollten (vgl. Ahnert / Lamb 2000 und 2001).

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3. Methode

3.1 Konstruktion des Fragebogens

Basis dieser Studie waren Selbsteinschätzungen von Lehrkräf-ten aus berufsbildenden Schulen, die mittels eines neu konstruierten Fragebogens erhoben wurden. Zu diesem Zweck wurden nach dem deduktiven Prinzip (Lienert / Raatz 1994) für jede der vier Dimensionen von Hofstedes Kultur-modell (Maskulinität-Feminität, Individualismus-Kollektivis-mus, Machtdistanz und Unsicherheitsvermeidung) fünf bis sieben Items entwickelt. Die Formulierung orientierte sich an vorliegenden Forschungsergebnissen zur Bedeutung der Di-mensionen für Unterrichtsgestaltung und Lehrer-Schüler-Interaktion (z.B. Hofstede 1986, Ringeisen et al. 2007, 2008a und 2008b). Aufgrund des Mangels an angemessenen Mess-instrumenten war die Möglichkeit der Übernahme bereits er-probter Items aus anderen Verfahren nur begrenzt vorhan-den. Aus einem Fragebogen zur Evaluation eines interkultu-rellen Kompetenz-Trainings für Lehrer (Ringeisen et al. 2009), der auf Basis von Hofstedes Kulturmodell entwickelt worden war, konnten jedoch einzelne Items in abgewandelter Form verwandt werden.

Insgesamt wurden 25 Items konstruiert, die jeweils dimensi-onsspezifische Denkmuster, empathisches Einfühlen oder Verhaltenstendenzen aus Sicht des Lehrers im Schulkontext abbilden. Im Hinblick auf die jeweils zu erfassende Dimension wurde darauf geachtet, sowohl Items mit positiver als auch negativer Formulierung zu kombinieren. Neben theoretischen Annahmen und empirischen Befunden zu Hofstedes Modell orientierte sich die Formulierung der Items an allgemeinen Kriterien zur Konstruktion von Interviewfragen sowie an spe-ziellen Hinweisen zur Formulierung von Fragebogenitems (Bortz / Döring 2006, Mummendey 1987).

Alle Items wurden mit einer 5-stufigen Likert-Ratingskala von „1= trifft überhaupt nicht zu“, über „2 = trifft eher nicht zu“, „3 = teils - teils“, „4 = trifft eher zu“ bis „5 = trifft völlig zu“ versehen. Über die Einleitung „In einer multikulturell zu-sammengesetzten Klasse …“ wurde versucht, die Auswir-kung des als ‚Brille’ wirkenden Hofstede-Profils auf die Präfe-renz von Denkmustern, Einfühlungsvermögen und Verhalten in multikulturellen Alltagssituationen zu erfassen. Itembeispie-le für die Dimension Machtdistanz umfassen „… halte ich es für selbstverständlich, dass mich die Schüler als gleichberech-tigten Arbeitspartner ansehen“ (Wissen), „… verstehe ich, dass ich die Schüler auffordern muss, sich am Unterricht zu beteiligen“ (Empathie) und „… lasse ich es zu, dass sich die

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Schüler ohne Aufforderung am Unterricht beteiligen“ (Ver-halten).

Der finale Fragebogenentwurf bestand aus einer allgemeinen Einleitung, dem Itempool sowie einer Abfrage von soziode-mographischen Daten und Informationen zur Schule.

3.2 Stichprobe

Der Fragebogenentwurf wurde einer Stichprobe von N = 80 Lehrkräften aus berufsbildenden Schulen in NRW (Wuppertal; n = 30) und Sachsen-Anhalt (Eisleben und Hettstedt im Mans-felder Land; n = 50) vorgelegt, die sich zu zwei Dritteln aus Lehrerinnen (n = 58) sowie zu einem Drittel aus Lehrern (n = 22) zusammensetzte. Das durchschnittliche Alter der Lehren-den betrug 44,82 Jahre (SD = 10,25) und variierte nicht zwi-schen den beiden Länderstichproben. Die ungleiche Vertei-lung von Lehrerinnen und Lehrern (Verhältnis 2,6 : 1) ent-spricht in etwa den realen Verhältnissen in diesen Bundeslän-dern (Statistisches Bundesamt 2006).

Knapp 60% der Lehrkräfte aus Sachsen-Anhalt hatten weni-ger als zehn Dienstjahre Berufserfahrung, während der glei-che Anteil in NRW zwischen 10 und 20 Dienstjahren aufwies. 22,7% waren schon mehr als 20 Jahre als Lehrer tätig. Dieser Unterschied in den Dienstjahren, trotz ähnlicher Altersstruk-tur, lässt sich durch die höhere Anzahl an Quereinsteigern in den Lehrerberuf in Sachsen-Anhalt erklären, die vor allem in den Bereichen Hygiene, Wirtschaft, Technik, Gestaltung und Handwerk unterrichten.

Der Anteil von Schülern mit Migrationshintergrund in den Klassen der befragten Lehrkräfte wies eine hohe Spannbreite auf. In den Wuppertaler Schulen variierte der Anteil zwischen 10% und 65%, wobei er in den Einstiegsklassen höher als in den weiterführenden Klassen lag. Deutlich geringere Werte wiesen die Schulen in Sachsen-Anhalt auf, deren Anteil von Schülern mit Migrationshintergrund nur maximal 10% be-trug. Parallel differierte die Herkunft der Schüler. Während an den Schulen in NRW der Großteil aus der Türkei, Marokko und den Länder des Mittelmeerraumes stammte, waren die Schüler mit Migrationshintergrund in Sachsen-Anhalt meist osteuropäischer (und hier zum Großteil russischer) Herkunft.

3.3 Vorgehen bei Datenerhebung und Auswertung

Die Datenerhebung erfolgte in den Jahren 2007 und 2008, wobei Verteilung und Rücklauf der Fragebögen durch direk-ten Kontakt der beiden Erstautorinnen mit den Direktoren bzw. Fachlehrern der jeweiligen Schulen koordiniert wurden. Nach Eingabe der Daten wurden die negativ formulierten Items recodiert. Zur Auswertung wurden die Stichproben-

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daten einer Hauptkomponentenanalyse (Principle compo-nents analysis, PCA) unterzogen, die zunächst ohne Rotation durchgeführt wurde. Items, die teststatistische Mindestanfor-derungen nicht erfüllten und/oder ähnlich hohe Mehrfachla-dungen aufwiesen, wurden entfernt (vgl. Lienert / Raatz 1994). Um mögliche Interkorrelationen der Subskalen zu identifizieren, wurde für die verbliebenen Items eine anschlie-ßende PCA mit schiefwinkliger Rotation gewählt. Jedes Item sollte eine möglichst hohe Hauptladung (a > .40.) und eine möglichst geringe Nebenladung aufweisen (a < .30). Items mit Doppelladungen wurden nach dem Rost-Schermer-Kriterium (Rost / Schermer 1986) einer Skala zugeordnet. Die Homogenität der einzelnen Skalen wurde anhand einer Relia-bilitätsanalyse (interne Konsistenz anhand Cronbach’s Alpha) ermittelt. Ergänzend wurden Trennschärfen und Schwierig-keitsindizes bestimmt. Die Berechnung des Skalenzusammen-hangs erfolgte anhand der Pearson-Produkt-Moment-Korrelation.

4. Ergebnisse

4.1 Identifizierung der Dimensionen

Nach der mehrstufigen faktoriellen Auswertung konnten aus dem Datensatz infolge eines Scree-Tests und einer Parallel-analyse fünf Faktoren extrahiert werden, die 84% der Ge-samtvarianz aufklären. Jeweils zwei Items luden auf einem Faktor, die finale Lösung umfasste somit insgesamt 10 Items. Die Eigenwerte reichten von 2,2 (22% Varianzaufklärung = VA) bis 1,0 (9,8% VA). Alle Hauptladungen waren > .60 und die Nebenladungen – mit einer Ausnahme – alle < .30. Abbil-dung 2 zeigt den so entstandenen Itemsatz mit den zugehö-rigen Faktorladungen über alle fünf identifizierten Dimensio-nen.

Wie erwartet konnten für die einzelnen Dimensionen von Hofstedes Modell separate Skalen identifiziert werden, die im Hinblick auf Struktur und Inhalt aber leicht vom erwarteten Muster abwichen. Ohne Ausnahme luden die Items einer Ska-la hoch auf einen inhaltlich kongruenten Faktor, während sie auf den anderen Faktoren deutlich niedrigere oder gar Nullla-dungen aufwiesen.

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Itemformulierung F1 F2 F3 F4 F5

Skala Individualismus

Item 16: … erwarte ich, dass Schüler Fragen stellen, wenn sie etwas nicht verstehen.

.95 .06

Item 23: … erwarte ich von den Schülern, dass sie mich auf falsche Antworten aufmerksam machen.

.86 -.24 .10

Skala Kollektivismus

Item 10: … erwarte ich, dass sich Schüler gleicher ethnischer Herkunft zusammenfinden.

-.16 .82 -.09

Item 13: … erwarte ich, dass sich die Schüler nicht von selbst am Unterricht beteiligen, um ein Herausstechen aus der Gruppe zu vermeiden.

.88 .07 .11

Skala Maskulinität-Feminität

*Item 3: … gibt es in meinem Unter-richt unterschiedliche Angebote für unterschiedlich leistungsstarke und interessierte Schüler.

.05 .93 .10

*Item 5: … erwarte ich, dass sich Schüler nach Interessen und Neigun-gen zusammenfinden.

.08 .92 -.13

Skala Machtdistanz Lehrersicht

*Item 19: … kann ich gut Kontakt zu meinen Schülern herstellen.

.05 -.06 .92 -.13

Item 24: … ist der größte Teil meines Unterrichtes Frontalunterricht.

-.18 .06 .81 .21

Skala Machtdistanz Schülersicht

*Item 7: … halte ich es für selbstver-ständlich, dass mich die Schüler als gleichberechtigten Arbeitspartner ansehen.

-.16 -.10 .12 .94

*Item 15: … schätzen mich meine Schüler aufgrund meiner Freundlich-keit oder Lockerheit.

-.33 -.27 -.13 -.18 .75

Abb. 2: Faktorladungen der Skalen Anmerkung: Extraktionsmethode: Hauptkomponentenanalyse; Ro-tationstechnik: Oblimin mit Kaiser-Normalisierung (delta = 0); La-dungen <.05 sind nicht dargestellt; * negativ gepolte Items; F1 bis F5 = Faktorladungen je Skala (Hauptladungen sind kursiv hervor-gehoben).

Die Items zu Maskulinität-Feminität bildeten wie erwartet ei-ne homogene Skala; sie erfassen inhaltlich Denk- und Verhal-tensmuster. Für Individualismus-Kollektivismus ließen sich die Items nach ihrer Formulierung je dem passenden Pol zuord-nen und teilten sich somit in zwei Faktoren auf. Inhaltlich bil-den alle konstituierenden Items unterschiedliche Denkmuster ab. Die Items zur Machtdistanz verteilten sich ebenfalls auf

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zwei Faktoren, welche inhaltlich die Lehrer- sowie die Schü-lerperspektive widerspiegeln. Die Items der „Lehrerperspekti-ve“ bilden nur Verhalten ab, die der „Schülersicht“ erfassen hingegen Denkmuster und Empathie. Für Unsicherheitsver-meidung zeigten die Items weder durchgängig signifikante Interkorrelationen untereinander noch mit den Items anderer Skalen. Eine eigene Skala für diese Dimension konnte empi-risch daher nicht bestätigt werden.

Zwischen den identifizierten 5 Faktoren ergab sich nur eine signifikante Interkorrelation, Individualismus korrelierte leicht negativ mit Kollektivismus (r = -.27; p < .05) sowie tendenziell positiv mit Maskulinität-Feminität (r = .18; p = .10). Die rest-lichen Faktoren konnten als unabhängig identifiziert werden, die Koeffizienten variierten zwischen -.15 (p = .18) und .009 (p = .94).

Wie erwartet zeigten sich also auf Basis der Datenstruktur abgrenzbare und nahezu vollständig unabhängige Kompo-nenten, die sich inhaltlich als Dimensionen von Hofstedes Modell interpretieren lassen.

4.2 Inhaltliche und statistische Güte der Skalen

Trotz der geringen Zahl von nur zwei Items pro Skala konnten für Item- und Skalenkennwerte angemessene Koeffizienten für ein gruppenvergleichendes Verfahren gefunden werden. Die entsprechenden Ergebnisse sind in Abbildung 3 abgetra-gen. So lag die Homogenität aller fünf Skalen in einem guten bis befriedigenden Bereich, die Trennschärfen erreichten auf-grund der hohen Item-Interkorrelationen je Skala ebenfalls gute Werte. Ebenfalls positiv fielen die im mittleren Bereich liegenden Itemschwierigkeiten der Skalen Kollektivismus, Maskulinität-Feminität sowie Machtdistanz Lehrersicht auf. Für die Skala Machtdistanz Schülersicht wurden Schwierigkei-ten in einem guten bis befriedigenden Bereich ermittelt. Ein-zig bei der Skala Individualismus war aufgrund der hohen durchschnittlichen Zustimmung die Streuung der Itemschwie-rigkeiten einseitig eingeschränkt.

Um die inhaltliche Validität der identifizierten Skalen näher zu untersuchen, wurde der semantische Gehalt aller im Frage-bogen verbliebenen Items durch zwei Experten eingeschätzt und ihre Übereinstimmung in Form eines Interratings be-stimmt (vgl. Bortz / Döring 2006). Ohne die Ergebnisse der PCA zu kennen, ordneten die Experten unabhängig vonei-nander jedes der 10 verbliebenen Items einer der vier Hofste-de-Dimensionen zu (Individualismus-Kollektivismus, Machtdis-tanz, Maskulinität-Feminität und Unsicherheitsvermeidung).

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Itemformulierung rit Pi

Skala Individualismus: α = .84

Item 16: … erwarte ich, dass Schüler Fragen stellen, wenn sie etwas nicht verstehen.

.72 .84

Item 23: … erwarte ich von den Schülern, dass sie mich auf falsche Antworten aufmerksam machen.

.72 .82

Skala Kollektivismus: α = .67

Item 10: … erwarte ich, dass sich Schüler glei-cher ethnischer Herkunft zusammenfinden.

.51 .44

Item 13: … erwarte ich, dass sich die Schüler nicht von selbst am Unterricht beteiligen, um ein Herausstechen aus der Gruppe zu vermei-den.

.51 .44

Skala Maskulinität-Feminität: α = .86

*Item 3: … gibt es in meinem Unterricht un-terschiedliche Angebote für unterschiedlich leistungsstarke und interessierte Schüler.

.75 .52

*Item 5: … erwarte ich, dass sich Schüler nach Interessen und Neigungen zusammenfinden.

.75 .54

Skala Machtdistanz Lehrersicht: α = .68

*Item 19: … kann ich gut Kontakt zu meinen Schülern herstellen.

.51 .45

Item 24: … ist der größte Teil meines Unter-richtes Frontalunterricht.

.51 .56

Skala Machtdistanz Schülersicht : α = .70

*Item 7: … halte ich es für selbstverständlich, dass mich die Schüler als gleichberechtigten Arbeitspartner ansehen.

.54 .73

*Item 15: … schätzen mich meine Schüler aufgrund meiner Freundlichkeit oder Locker-heit.

.54 .37

Abb. 3: Psychometrische Kennwerte der Skalen Anmerkung: rit = korrigierte Trennschärfe; Pi: Schwierigkeitsindex; * negativ gepolte Items.

Auf Basis von Cohen’s Kappa ergab sich über alle 10 Items eine Übereinstimmung richtig zugewiesener Items von κ > .85. Zudem wies korrekterweise keiner der Rater ein Item der Dimension Unsicherheitsvermeidung zu. Nach Bortz und Dö-ring (2006) sprechen diese Ergebnisse dafür, dass die Skalen über eine gute inhaltliche Validität – sowie im Hinblick auf die spätere Nutzung als Instrument auf der Individualebene – ei-ne hohe Auswertungs- wie Interpretationsobjektivität verfü-gen. Die Konstruktvalidität scheint jedoch eingeschränkt zu sein, da für die Skala Maskulinität-Feminität aufgrund der Skalenkürze ggf. nicht alle inhaltlich relevanten Aspekte ab-gebildet werden konnten und die Skala Unsicherheitsvermei-dung vollständig fehlt.

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4.3 Diskriminante Validität der Skalen

Zur Überprüfung der diskriminanten Validität wurden die Mit-telwertsunterschiede der identifizierten Skalen zwischen ost- und westdeutschen Lehrern anhand einer Varianzanalyse un-tersucht. Geschlechtseffekte wurden dabei kontrolliert. Mit einer Ausnahme zeigten sich die erwarteten Unterschiede zwischen den beiden Stichproben, was als Hinweis auf die diskriminante Validität der Skalen interpretiert werden kann. Die Ergebnisse sind in Abbildung 4 abgetragen.

Skala und Stichprobe M SD F-Wert p

Skala Individualismus

Sachen-Anhalt 4,06 1,07 2,45 .12

NRW 4,42 0,72

Gesamtstichprobe 4,18 0,98

Skala Kollektivismus

Sachen-Anhalt 2,49 1,15 15,94 < .0001

NRW 1,56 0,42

Gesamtstichprobe 2,18 1,06

Skala Maskulinität-Feminität

Sachen-Anhalt 2,49 0,92 4,91 .03

NRW 2,98 0,93

Gesamtstichprobe 2,65 0,94

Skala Machtdistanz Lehrersicht

Sachen-Anhalt 2,67 0,98 5,49 .02

NRW 2,19 0,511

Gesamtstichprobe 2,51 0,88

Skala Machtdistanz Schülersicht

Sachen-Anhalt 1,96 0,85 4,40 .04

NRW 2,36 0,62

Gesamtstichprobe 2,09 0,80

Abb. 4: Vergleich der Skalenmittelwerte über die Substichproben

Wie erwartet zeigten die ostdeutschen Lehrer höhere Werte auf der Skala Kollektivismus und – tendenziell – geringere Werte auf der Skala Individualismus. Zusätzlich lag wie erwar-tet der Skalenmittelwert für Machtdistanz Lehrersicht bei den ostdeutschen Lehrern höher als bei der westdeutschen Stich-probe. Ein umgekehrtes Muster zeigte sich für die Skala Machtdistanz Schülersicht, da die ostdeutschen Lehrer hier geringere Werte als die westdeutschen Kollegen erreichten. Unerwarteterweise zeigte sich zwischen beiden Lehrergrup-pen auch ein Mittelwertsunterschied auf der Skala Maskulini-tät-Feminität.

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Insgesamt konnte also für die Skalen eine gute diskriminante Validität festgestellt werden. Einschränkte Validität weist ggf. die Skala Maskulinität-Feminität auf, da hier ein nicht postu-lierter Mittelwertsunterschied gefunden wurde. Trotz der kleinen Stichprobe schaffen es die identifizierten Skalen of-fensichtlich, Lehrer aus Ost- (Sachsen-Anhalt) und West-deutschland (NRW) anhand von erwarteten Ausprägungsun-terschieden in ihrem Profil über die einzelnen Hofstede-Dimensionen zu differenzieren.

5. Diskussion

In der vorliegenden Studie wurde ein kontextspezifisches Kurzinstrument für den Schulkontext pilotiert, das auf der Individualebene die zeitökonomische Erfassung von Hofstedes Kulturprofil bei Lehrern erlaubt. Die Diskussion der Befunde erfolgt im Folgenden komplementär zur Darstellung der For-schungsfragen und zur Präsentation der Ergebnisse im voran-gegangenen Abschnitt.

5.1 Identifizierung der Dimensionen

Wie erwartet konnten für die einzelnen Dimensionen von Hofstedes Modell abgrenzbare Skalen identifiziert werden, die untereinander nahezu vollständig unabhängig sind. Struk-tur und Inhalt der entwickelten Skalen weichen jedoch leicht vom postulierten Muster ab. Neben einer Skala für Maskulini-tät-Feminität konnten jeweils zwei separate Skalen für Kollek-tivismus und Individualismus sowie für Machtdistanz identifi-ziert werden. Letztere spaltete sich in die beiden Facetten Machtdistanz Lehrersicht und Machtdistanz Schülersicht auf. Eine eigene Skala für Unsicherheitsvermeidung konnte nicht gefunden werden, da die zugehörigen Items weder unter-einander noch mit den Items anderer Skalen korrelierten.

Die Aufspaltung von Individualismus und Kollektivismus in zwei Subskalen deckt sich mit neueren Studienergebnissen, die beide Facetten nicht mehr als Pole einer Dimension, son-dern als unabhängige Komponenten betrachten (z.B. Green / Deschamps / Páez 2005, Ringeisen 2008). Offensichtlich ist es möglich, dass Lehrer gleichzeitig eine hohe individualistische und kollektivistische Werteausprägung aufweisen. Abhängig von den jeweiligen Anforderungen einer (inter-)kulturellen Situation werden vermutlich eine und/oder beide Facetten selektiv aktiviert (vgl. Ringeisen et al. 2008a).

Diese Annahme der Kontextsensitivität könnte ebenfalls er-klären, warum die einzelnen Skalen in der aktuellen Studie nur einige der möglichen Denk-, Erlebens- und Verhaltens-muster einer jeweiligen Dimension abbilden. So repräsentie-

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ren die beiden Subskalen Individualismus und Kollektivismus jeweils nur Denkmuster, die Skala Maskulinität-Feminität hin-gegen erfasst Denkmuster und Verhaltensweisen. Für das Merkmal Machtdistanz verteilen sich die Denk-, Erlebens- und Verhaltensmuster auf die beiden identifizierten Skalen: Machdistanz Lehrersicht bildet Verhalten ab, Machtdistanz Schülersicht hingegen Denkmuster und Erleben. Diese Kon-zentration von bestimmten Denk-, Erlebens- und Verhaltens-mustern pro Skala steht im Kontrast zu bisherigen For-schungsergebnissen. Diese konnten eine größere Bandbreite an psychologischen Funktionsweisen identifizieren, die bei den Angehörigen einer Gesellschaft systematisch durch das vorherrschende kulturelle Profil auf der Länderebene beeinf-lusst werden (vgl. Ringeisen et al. 2008a und 2008b).

Mit Ausnahme von Unsicherheitsvermeidung bestätigte die Faktorenstruktur damit in unterschiedlicher Feingliedrigkeit die Dimensionen von Hofstedes Kulturmodell. Gegebenenfalls liegt eine eingeschränkte Konstruktvalidität vor, da nur einige der zu einer Dimension gehörenden Denk-, Erlebens- und Verhaltensmuster in den Items der jeweiligen Skala repräsen-tiert sind.

Die sehr geringen Interkorrelationen der Skalen deuten auf eine gute diskriminante Validität der Skalen hin (vgl. Bortz / Döring 2006, Lienert / Raatz 1994). Bisher verfügbare Instru-mente zur Erfassung von Hofstedes Dimensionen weisen va-riierende und z.T. über .60 liegende Interkorrelationen der Subskalen auf, die eine inhaltliche und konzeptionelle Ab-grenzung der Dimensionen erschweren (vgl. Hofstede 2001). Für die Skalen des vorliegenden Instruments hingegen konnte anhand einer PCA mit schiefwinkliger Rotation eine Unab-hängigkeit der identifizierten Skalen demonstriert werden.

5.2 Inhaltliche und statistische Güte der Skalen

Neben den bereits diskutierten Ergebnissen geben weitere Befunde Aufschluss über die psychometrische Qualität des kontextspezifischen Kurzfragebogens. So konnte gezeigt wer-den, dass auch mit der Minimalzahl von zwei Items pro Skala das konstruierte Instrument über ausreichende (inhaltliche) Validität und Reliabilität (nach Cronbach’s Alpha) verfügt. Die inhaltliche und statistische Güte der identifizierten Skalen ist für ein gruppenvergleichendes Verfahren angemessen, was sich in den durchweg guten Werten für Trennschärfen und Itemschwierigkeiten widerspiegelt. Die einzige Ausnahme stellt hierbei die Skala Individualismus dar, deren Items eine überdurchschnittlich hohe Zustimmung und somit eine ge-ringere Schwierigkeit aufweisen. Ein solches Antwortmuster war jedoch zu erwarten, da für deutsche Lehrer wie Leh-ramtsstudenten in bisherigen Studien durchweg hohe bis sehr

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hohe Individualismuswerte gefunden wurden (Ringeisen et al. 2008a und 2008b, Teubert 2008).

Die insgesamt positiven psychometrischen Befunde decken sich mit aktuellen Studienergebnissen zur Entwicklung von Kurzskalen in der Personaldiagnostik. Auch bei nur zwei Items pro Skala konnten für viele dieser Kurzinstrumente gute bis sehr gute psychometrische Eigenschaften identifiziert werden (z.B. Rammstedt / John 2006). Um den Nachweis psycho-metrischer Güte zu komplettieren, fehlt für die vorliegende Kurzskala der Nachweis ausreichender Retest-Reliabilität so-wie Angaben zur Kriteriumsvalidität. Letztere beziehen sich vor allem auf einen Nachweis der konvergenten Validität durch die Korrelation mit den vorliegenden Instrumenten zur Erfassung von Hofstedes Dimensionen im Schulkontext (z.B. Fisher / Waldrip 1999, Hofstede 1994, Ringeisen et al. 2009).

5.3 Diskriminante Validität der Skalen

Um neben den geringen Interkorrelationen der Skalen weite-re Hinweise auf die diskriminante Validität des Kurzfragebo-gens zu bekommen, wurden die Skalenmittelwerte zwischen den beiden Lehrergruppen (ost- und westdeutsch) auf Unter-schiede untersucht. Wie erwartet erreichten die ostdeutschen Lehrer höhere Werte auf den Skalen Kollektivismus und Machtdistanz Lehrersicht sowie – tendenziell – geringere Werte auf der Skala Individualismus. Ein umgekehrtes Muster zeigte sich für die Skala Machtdistanz Schülersicht. Unerwar-teterweise unterschieden sich beide Lehrergruppen auch in ihrer mittleren Ausprägung auf der Skala Maskulinität-Feminität.

Die gefundenen Gruppenunterschiede sollten vorsichtig interpretiert werden, da noch keine umfassenden Hinweise zur Validität und Reliabilität der Skalen vorliegen. Zudem be-ruhen die Ergebnisse auf einer kleinen Stichprobe, die ein un-gleiches Verhältnis von Lehrern aus Ost- und Westdeutsch-land aufwies. Somit ist die Aussagekraft und Generalisierbar-keit der Befunde ggf. eingeschränkt.

Trotz dieser Einschränkungen wird deutlich, dass ostdeutsche Lehrer offensichtlich einen distanzierteren Unterrichtsstil als ihre westdeutschen Kollegen pflegen. Gleichzeitig scheinen Sie aber zu erkennen, dass ihre Schüler sich mehr Freundlich-keit und Aufmerksamkeit von Ihnen wünschen. Um dies zu erreichen, bemühen sich die ostdeutschen Lehrer im Gegen-zug offensichtlich um ein kooperativeres – also feminineres – Verhalten im Umgang mit den Schülern, als dies bei ihren westdeutschen Kollegen der Fall ist.

Vergleicht man unter Berücksichtigung der o.g. Einschrän-kungen die Rohmittelwerte beider Lehrergruppen mit bisheri-

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gen Studienergebnissen zu Ost-West-Unterschieden im Ar-beitskontext, so zeigen sich deutliche Übereinstimmungen (z.B. Frese et al. 1994, Frese / Fay 2000, Rappensperger / Maier 1998). In den genannten Studien zeigte sich, dass ost- im Vergleich zu westdeutschen Führungskräften einen distan-zierteren Umgang mit ihren Mitarbeitern pflegen. Umgekehrt betrachtet ein Großteil der ostdeutschen Mitarbeiter ihre Vorgesetzten als Respektspersonen, deren Anweisungen Fol-ge zu leisten ist (vgl. Machtdistanz Lehrersicht). Vor allem in-nerhalb kleiner Betreibe oder Abteilungen wurde von den Mitarbeitern dagegen ein kooperativer Umgang gewünscht und oft auch gepflegt (vgl. Maskulinität-Feminität / Machtdis-tanz Schülersicht). Die Übereinstimmung dieser Ergebnisse mit den Gruppenunterschieden der aktuellen Studie unters-treicht die offensichtlich gute diskriminante Validität der fünf identifizierten Skalen. Es sollte jedoch beachtet werden, dass in den zitierten Vergleichsstudien Arbeitnehmer wie Füh-rungskräfte aus unterschiedlichen Branchen untersucht wur-den, deren Merkmale sich nicht ohne Weiteres auf die Be-rufsgruppe der Lehrer übertragen lassen (vgl. Hinweise zur Methodik bei van de Vijver / Leung 1997).

In zukünftigen Studien sollte die Beantwortung noch offener Fragen zur psychometrischen und inhaltlichen Güte des In-struments erfolgen. Zu diesem Zweck bedarf es einer größe-ren Gesamtstichprobe, die einen nahezu gleichgroßen Anteil von Lehrern aus Ost- und Westdeutschland aus möglichst al-len Bundesländern umfasst. Auf dieser Basis sollte zunächst die gefundene Skalenstruktur repliziert werden, um die Konstruktvalidität des Kurzinstruments genauer bestimmen zu können. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf einer Be-stätigung der Aufspaltung von Kollektivismus-Individualismus und Machtdistanz in jeweils zwei nahezu unabhängige Sub-skalen.

In einem weiteren Schritt sollten die Korrelationen der Skalen mit einer Reihe von Kriterien überprüft werden, um Hinweise auf die konvergente Validität zu bekommen. Ergänzend steht ein Nachweis ausreichender Retest-Reliabilität aus. Zur ge-naueren Bestimmung der diskriminanten Validität sollte ab-schließend untersucht werden, ob sich die ermittelten Profil-unterschiede zwischen ost- und westdeutschen Lehrern repli-zieren und somit als stichprobenunabhängige Phänomene generalisieren lassen.

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Scheible: Interkulturelles Training für internationale Führungskräfte – Evaluation eines Trainings-programms bei einem Industrieunternehmen mit Stammsitz in Deutschland

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Abstract

Intercultural training programs for specialists and executive staff have the goal to develop intercultural competence and thus to increase the efficiency of coordination processes over geographical and cultural distances. In an empirical study a training program of a globally organized industrial enterprise is examined with qualitative methods. A training program of several months clearly offers good conditions to obtain the desired effect. At the same time it becomes evident, that the process of intercultural learning requires intensive reflection and that the accompanying relatives of the trainees have to be included more than has been common practice up to now.

1. Einleitung

Viele international agierende Industriebetriebe sind ihrer Struktur nach global organisiert. Das heißt, sie betrachten ihre Märkte als global weitgehend homogen (vgl. Welge et al. 1998) und bearbeiten diese Märkte, indem sie ihre dezentra-len Unternehmensteile in den Ländermärkten von der Unter-nehmenszentrale aus steuern. Dabei trägt die Zentrale die strategische Verantwortung und kontrolliert die dezentralen Einheiten operational (vgl. Bartlett / Ghoshal 2002).

In der Literatur wird gemeinhin davon ausgegangen, dass die Globalisierung eines Unternehmens in der Absicht erfolgt, Komplexität zu reduzieren – sowohl bei den Produkten als auch bei den Prozessen. Es lassen sich Skalen- und Synergie-effekte erzielen, wenn die Produkte des Unternehmens in ei-ner weitgehend standardisierten Art und Weise angeboten werden können (vgl. Wortzel 1991). Die Globalisierung stellt daher insbesondere für Industrieunternehmen eine sinnvolle Strategie dar.

Die globale Struktur bedingt, dass die Koordination im Unter-nehmen in erster Linie vertikal erfolgt (vgl. Bartlett / Ghoshal 2002). So kommt es, dass sich die Führungskräfte in der Zent-rale mit den leitenden Mitarbeitern der dezentralen Einheiten eng abstimmen müssen (vgl. Hedlund / Rolander 1990), wo-bei vielfach große geographische und kulturelle Distanzen zu überwinden sind. Insbesondere die kulturellen Distanzen füh-ren zu einem erhöhten Zeitbedarf beim Abstimmungsprozess. Maßnahmen, welche die Handelnden in ihren Abstimmungs-bemühungen dazu befähigen, die kulturellen Distanzen zu überbrücken und sich in kürzerer Zeit zu verständigen, sind daher relevant für den Erfolg der Koordination im globalen Unternehmen.

Interkulturelles Training für internationale Füh-rungskräfte – Evaluation eines Trai-ningsprogramms bei ei-nem Industrieunterneh-men mit Stammsitz in Deutschland

Prof. Dr. Daniel H. Scheible

Hochschule Fresenius, Idstein, Fachbereich Wirtschaft & Medien, Professur für Management in interkulturellen und sozialen Kon-texten; berufspraktische Erfah-rungen als Trainer und Berater

Scheible: Interkulturelles Training für internationale Führungskräfte – Evaluation eines Trainings-programms bei einem Industrieunternehmen mit Stammsitz in Deutschland

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Als Maßnahme, die das Überbrücken von Distanzen ermög-licht und damit für effizientere Zusammenarbeit sorgt, setzen globale Unternehmen häufig auf den Face-to-Face-Kontakt (vgl. Wolf 1994). Die Mitarbeiter sollen sich untereinander vernetzen, sodass Abstimmungsprozesse vereinfacht werden (vgl. Steinmann / Schreyögg 1997). Zu diesem Zwecke besu-chen sich Vertreter bzw. Delegationen der verschiedenen Un-ternehmensteile zu bestimmten Anlässen gegenseitig. Außer-dem halten sich bestimmte Führungs- oder Fachkräfte länge-re Zeit in anderen Unternehmensteilen auf. Das sind in erster Linie Manager aus dem Mutterunternehmen, die aus Grün-den der Koordination und des Wissenstransfers als Expatriates in die Unternehmenstöchter entsandt werden. Immer häufi-ger werden aber auch Mitarbeiter der Unternehmenstöchter zur Weiterentwicklung als Inpatriates ins Mutterunternehmen delegiert. Dort erwerben sie dann neues Fachwissen, sollen aber auch ihre interkulturelle Kompetenz steigern.

Die Steigerung der interkulturellen Kompetenz von Managern und Fachkräften aus den verschiedenen Teilen des globalen Unternehmens wird in der wissenschaftlichen Diskussion wie auch in der Unternehmenspraxis als wirkungsvolle Maßnah-me angesehen, um die Erfolgsaussichten der Interaktionen zu erhöhen und damit die globale Integration im Unternehmen voranzutreiben. Dahinter steht die Annahme, dass eine ge-steigerte interkulturelle Kompetenz der Fach- und Führungs-kräfte dazu führt, dass sie sich inhaltlich leichter und schneller verständigen können und dass sie in die Lage versetzt wer-den, Missverständnisse zu vermeiden oder schnell aufzuklären (vgl. Porter / Samovar 1996, Thomas 2003). Die Effekte füh-ren zu einem Benefit für das Unternehmen. Die Fähigkeit, Missverständnisse schnell aufklären zu können, hilft, Kosten zu senken, die durch Reibungsverluste in der konzerninternen Interaktion verursacht werden. Entscheidungen lassen sich beschleunigt treffen und können wirkungsvoll umgesetzt werden.

Dass diese Annahme unter Praktikern verbreitet ist, zeigt eine Umfrage unter Managern internationaler Unternehmen aus dem Jahre 2000. Auf die Frage nach den wichtigsten Einfluss-faktoren für den Erfolg auf globalen Märkten nannten die befragten Manager an erster Stelle „multikulturelle Erfah-rung“ und an zweiter Stelle entsprechende Weiterbildungs-maßnahmen (vgl. Rosen 2000).

Interkulturelle Trainingsprogramme sind solche Weiterbil-dungsmaßnahmen (vgl. Zülch 2004). Inwiefern sie geeignet sind, interkulturelle Kompetenz von Fach- und Führungskräfte in der beschriebenen Art und Weise weiterzuentwickeln, wurde in einer empirischen Studie am Beispiel eines Trai-ningsprogramms eines global agierenden Industrieunterneh-

Scheible: Interkulturelles Training für internationale Führungskräfte – Evaluation eines Trainings-programms bei einem Industrieunternehmen mit Stammsitz in Deutschland

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mens mit Stammsitz in Deutschland überprüft. Bei diesem Trainingsprogramm wurden Fach- und Führungskräfte aus den internationalen Standorten des Konzerns in der Zentrale in Deutschland sechs bis 18 Monate lang trainiert – und zwar in fachlicher wie auch in interkultureller Hinsicht.

2. Zielsetzung

Es soll aufgeklärt werden, welche Effekte mit dem Trainings-programm im Hinblick auf die interkulturelle Kompetenz im Unternehmen erzielt wurden. Dabei soll zum einen unter-sucht werden, welche Kenntnisse und Fähigkeiten die Fach- und Führungskräfte im Laufe ihres Trainingsaufenthalts er-warben. Zum anderen soll berücksichtigt werden, dass inter-kulturelle Kompetenz neben Kenntnissen und Fähigkeiten auch der Bereitschaft zur Interaktion über kulturelle Grenzen hinweg bedarf (vgl. Scheible 2008). Inwiefern es den Mitar-beitern ermöglicht wurde und inwiefern sie dazu ermuntert wurden, über kulturelle Grenzen hinweg im Unternehmen zu kooperieren, soll ebenfalls untersucht werden.

3. Methodik

Für die Evaluation des Trainingsprogramms wurde ein qualita-tives Forschungsdesign gewählt. Dies ist dem Forschungsge-genstand angemessen, da es darum geht, Erfahrungen und Wahrnehmungen der Beteiligten an dem Programm auszu-werten. Außerdem ist der Einsatz von quantitativen Verfahren in der interkulturellen Forschung nicht unproblematisch, da bislang wenige Variablen für die Messung der Effekte inter-kulturellen Trainings gefunden wurden, die signifikante Er-gebnisse liefern (vgl. Mendenhall et al. 2004).

3.1 Datenerhebung

Das Forschungsdesign sah für die Datenerhebung drei Vorge-hensweisen vor:

• Mit 15 Teilnehmern des Trainingsprogramms wurden of-fene, weitgehend unstrukturierte Interviews geführt. Die Probanden wurden in der Zeit von Mai 2003 bis April 2004 ausgewählt. Befragt wurden sie jeweils zu Beginn und gegen Ende ihres Trainingsaufenthalts in Deutsch-land. Die Interviews wurden mitgeschnitten und verbatim transkribiert.

• Mit 15 Mitarbeitern der Konzernzentrale, die je ein Pro-jekt eines Trainee während dessen Trainingsaufenthalts betreut hatten, wurden offene, relativ stark strukturierte

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Interviews geführt. Außerdem wurde je ein solches Inter-view zu jedem Trainee mit dem Leiter des Trainingsprog-ramms geführt. Auch diese Interviews wurden mitge-schnitten und verbatim transkribiert.

• An 11 Trainingstagen, an denen die gesamte Gruppe der zu dieser Zeit in Deutschland anwesenden Trainees zu-sammenkam, wurden die Trainingsaktivitäten teilneh-mend beobachtet. Die Beobachtungen wurden chronolo-gisch protokolliert.

Die drei Vorgehensweisen wurden im Sinne der Methoden-triangulation kombiniert. Dies diente der kommunikativen Validierung. Verzerrungen, die durch den Einsatz der einen Technik entstanden, sollten durch den Einsatz der anderen Techniken korrigiert werden (vgl. Lamnek 1995).

Die Zusammenstellung der Stichprobe erfolgte nach dem Theoretical Sampling. Kriterium für die Auswahl der Untersu-chungspersonen war zum einen, von welcher Niederlassung die betreffenden Trainees entsandt worden waren. Die 15 Trainees, die an dieser Studie teilnahmen, kamen aus Nieder-lassungen des Unternehmens in sieben verschiedenen Län-dern. Aus Niederlassungen, die sehr viele Trainees entsenden, wurden auch mehrere Probanden in das Sample aufgenom-men. Zum anderen wurde als Kriterium für die Auswahl der Probanden die Dauer des Trainingsaufenthalts herangezogen. Die Teilnehmer an der Studie sollten mindestens sechs, höch-stens jedoch 18 Monate zum Training in der Konzernzentrale in Deutschland sein. Die durchschnittliche Trainingsdauer der Probanden betrug 10,2 Monate.

Zwei Probanden sind weiblich, die anderen 13 männlich. Zehn der 15 sind Ingenieure, einer Mechanikermeister und vier sind Wirtschaftswissenschaftler. Alle haben langjährige Berufserfahrung und arbeiteten vor Beginn ihres Trainings-aufenthalts zumindest schon zwei Jahre für das Unterneh-men. Sieben der Interviewees verfügten bereits vor ihrem Trainingsaufenthalt über berufspraktische Auslandserfahrung. 19 der 30 Interviews mit den Trainees wurden auf Englisch geführt, 11 auf Deutsch (ein Trainee sprach in seinem ersten Interview Englisch, im zweiten Deutsch). Die 15 interviewten Projektbetreuer sowie der Programmleiter sind alle männlich. Die Interviews mit ihnen fanden alle auf Deutsch statt. Die genauen Zeiträume der Datenerhebung sind Abbildung 1 zu entnehmen.

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Erhebungsschritt Zeitraum Medium

15 Probanden ausgewählt (Theoretical Sampling)

Mai 2003 – April 2004

15 Interviews geführt mit Trainees zu Trainingsbeginn

Juni 2003 – Mai 2004 Mitschnitte (Ø 51 min)

15 Interviews geführt mit Trainees zum Trainingsende

Oktober 2003 – Oktober 2004 Mitschnitte (Ø 46 min)

15 Interviews geführt mit Projektbetreuern

Dezember 2004 – Februar 2005 Mitschnitte (Ø 21 min)

15 Interviews geführt mit dem Programmlei-ter

Dezember 2004 Mitschnitte (Ø 10 min)

11 Gruppentrainingstage teilnehmend beobach-tet

Juni 2003 – September 2005 Protokolle

Abb. 1: Datenerhebung

3.2 Datenauswertung

Die Transkripte sämtlicher Interviews wurden einer mehrstufi-gen Interpretation unterzogen. Gemäß dem interpretativen Paradigma fand bei der Auswertung und Interpretation des Materials die Kategorien- und Hypothesenbildung statt (vgl. Lamnek 1995).

Zum Zwecke des methodisch kontrollierten Fremdverstehens wurde im Zuge der formulierenden Interpretation zunächst die thematische Struktur der einzelnen Interviews heraus-gearbeitet. Anschließend wurden die Texte bei der reflektie-renden Interpretation Abschnitt für Abschnitt auf ihre Aussa-gen hin untersucht.

Die darauf folgende komparative Interpretation wurde un-terstützt durch eine Mind-Mapping-Technik (vgl. dazu Hugl 1995). Zunächst wurde für jeden der 15 Probanden eine „kognitive Landkarte“ erstellt. Die erste Version jeder Land-karte entstand jeweils nach der reflektierenden Interpretation des Interviews eines Trainee zu Trainingsbeginn. Diese erste Version wurde nach der Interpretation des Interviews mit dem Trainee zum Trainingsende, nach der Interpretation des Inter-views mit dem Projektbetreuer und nach der Interpretation des Interviews mit dem Programmleiter sukzessive weiterent-wickelt. So zeigten die Mind-Maps schließlich die relevanten Kategorien jedes einzelnen Probanden auf – belegt durch entsprechende Ankerbeispiele. Die Mind-Maps wurden dar-aufhin untereinander verglichen. Im Zuge der komparativen

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Interpretation wurde so ein einheitliches Kategoriensystem gebildet, anhand dessen im Folgenden die Effekte des Trai-ningsprogramms aufgezeigt werden.

4. Ergebnisse

Von den 15 interviewten Trainees haben sich drei eigeninitia-tiv um die Teilnahme am Trainingsprogramm in Deutschland bemüht. Die übrigen sind von ihren Vorgesetzen auf das Programm aufmerksam gemacht worden. Zwei von ihnen hatten zunächst Bedenken, für mehrere Monate nach Deutschland zu gehen, insbesondere weil sie ihren Familien den Auslandsaufenthalt nicht zumuten wollten.

Die Motive, weshalb die Probanden an dem Trainingsprog-ramm teilnahmen, sind unterschiedlich. Für die meisten Trai-nees überwog der Aspekt der fachlichen Qualifikation gege-nüber dem Aspekt der interkulturellen Weiterbildung. Davon versprachen sie sich eine stärkere Verbesserung ihrer Karrie-rechancen. Aus diesem Grund war allerdings für alle Proban-den auch das Moment der Vernetzung – und damit der Er-möglichung interkultureller Kooperationen – bedeutsam. Sie wollten ihre Ansprechpartner in den Zentralbereichen in Deutschland kennen lernen, aber auch das Knüpfen von Kon-takten zu Mitarbeitern anderer Auslandswerke mit ähnlichen Aufgaben wurde genannt. Außerdem war es den meisten Probanden wichtig, ihre Kenntnisse in den Konzernsprachen Deutsch und Englisch zu verbessern.

Das Auswahlverfahren und das Verfahren zur Evaluation des Trainingsbedarfs bei den einzelnen Teilnehmern befanden sich zur Zeit der Datenerhebung in einer Phase der Umstruk-turierung. Die Probanden für diese Studie sind noch alle allein von den Leitern der entsendenden Auslandsniederlassungen ausgewählt worden. Inzwischen ist ein einheitliches Apprai-sal-System eingeführt, welches u.a. auch die Prüfung von Sprachkenntnissen beinhaltet.

Trainingspläne für den Aufenthalt in der Unternehmenszen-trale wurden erstellt, indem sich der jeweilige Trainee, sein Werksleiter und der Leiter des Trainingsprogramms auf be-stimmte Trainingselemente mit bestimmten Lernzielen ver-ständigten. Wie stark die jeweiligen Beteiligten in diesen Pro-zess involviert waren, differierte aber von Trainee zu Trainee. Auch dieses Verfahren ist inzwischen standardisiert und soll bei allen zukünftigen Kandidaten zum Einsatz kommen.

Zur Vorbereitung des Trainingsaufenthalts in Deutschland nahmen zwei Drittel der Probanden Kontakt zu ehemaligen Trainees auf. Die Nützlichkeit der so erhaltenen Informatio-nen bewertet die Hälfte dieser Teilnehmer im Nachhinein als

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gering. Organisatorische Unterstützung von Seiten des Un-ternehmens wird hingegen geschätzt, zumal von den 15 interviewten Trainees zehn von ihren Lebenspartnern und – soweit sie solche hatten – Kindern begleitet wurden. Die Programmverantwortlichen organisierten für sie Kindergar-tenplätze, Sprachkurse, gemeinsame Ausflüge etc.

Der Umstand, dass die Trainees auch schon bei relativ kurzen Trainingsaufenthalten von einem halben bis einem Jahr von ihren Angehörigen begleitet werden, wir von allen Teilneh-mern und Programmverantwortlichen positiv bewertet. Die Trainees fühlen sich stärker zum Unternehmen gehörig, wel-ches sich auch um das Wohlergehen ihrer Familien kümmert. Dieser Effekt ist von den Programmverantwortlichen durchaus intendiert, da das Unternehmen – wie viele global agierende Organisationen – gerade in den internationalen Standorten mit einer hohen Fluktuation der Fach- und Führungskräfte zu kämpfen hat. Nach Aussagen des Programmleiters führt das untersuchte Trainingsprogramm zu einer signifikanten Steige-rung der Verweildauer der Absolventen im Konzern. Dieser Umstand darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass drei Partner von befragten Trainees mit ihrer Situation in Deutsch-land unzufrieden waren. Gründe dafür waren Überforderung mit der Situation und mangelnde soziale Kontakte – insbe-sondere aufgrund sprachlicher Barrieren.

Mit einer Ausnahme haben sich alle Trainees sowohl nach ihrer eigenen Einschätzung als auch nach der Einschätzung der betreuenden Mitarbeiter in Deutschland so weiterent-wickelt, dass der Konzern davon profitiert, dass sie am Trai-ning teilgenommen haben. Für einige Teilnehmer trifft das aber vor allem wegen ihrer fachlichen Weiterqualifikation zu, die bei allen sowohl nach eigener Einschätzung als auch nach Ansicht der Projektbetreuer positiv verlaufen ist. Eine Steige-rung der interkulturellen Kompetenz war bei mehreren Trai-nees nur in geringem Maße zu beobachten. Zwei Probanden haben nur wenige Kontakte zu Kollegen geknüpft; den meis-ten der befragten Teilnehmer fiel es schwer, sich während ihres Trainingsaufenthalts voll in die Projektteams in Deutsch-land zu integrieren. In den Fällen, in denen die Integration gelang, nutzten die Trainees die Möglichkeit, verzweigte Netzwerke auszubilden, am effektivsten und intensivierten im Anschluss an ihren Trainingsaufenthalt in Deutschland die Kommunikation mit den Zentraleinheiten merklich.

Auch im Privatleben hatten die Trainingsteilnehmer Integrati-onsprobleme. Alle Probanden berichten von Schwierigkeiten, in Deutschland soziale Kontakte zu knüpfen. Als Gründe nennen die Befragten sprachliche Barrieren, aber auch, dass sie die Deutschen als distanziert erlebt hätten. Das trifft auch für die meisten der begleitenden Partner zu, nicht aber für die

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Kinder. Denen fiel im Gegenteil vielfach der Abschied von in Deutschland gewonnenen Freunden schwer. Bemerkenswert ist unter dem Aspekt der Integration, dass drei der interview-ten Trainees in ihrer Freizeit fast ausschließlich Kontakte zu Landsleuten pflegten.

Was die Anpassung an die fremdkulturelle Umgebung wäh-rend des Trainingsaufenthalts in Deutschland betrifft, so ver-folgten die Probanden sehr unterschiedliche Strategien. Ein Teilnehmer war der Überzeugung, er verändere sein Verhal-ten grundsätzlich nicht. Ein weiterer meinte, es bedürfe nur einer geringfügigen Anpassung, die automatisch erfolge. Im Gegensatz dazu war eine Teilnehmerin der Überzeugung, es hätte einer sehr weit reichenden Anpassung bedurft, die ihr aber nicht gelungen sei. Die meisten Trainees suchten sich einen Mittelweg. Bestimmte kulturelle Eigenheiten ihrer neu-en Umgebung, welche sie schätzen lernten, versuchten sie zu übernehmen, die Anpassung an andere lehnten sie ab. Auf-fällig ist, dass viele Trainees bestrebt sind, sich ihr Sozialleben ähnlich zu organisieren wie in der Heimat. Diejenigen Inter-viewpartner, die sich in der Heimat beispielsweise regelmäßig mit Kollegen zum Essen treffen, waren bemüht, auch in Deutschland solche Kontakte zu knüpfen. Trainees, die zu Hause das Wochenende mit der Familie mit Shopping zubrin-gen, taten das auch in Deutschland.

Dem Moment der Reflexion der interkulturellen Überschnei-dungssituation und der fremdkulturellen Erfahrungen maßen die Trainees fast durchweg eine geringe Bedeutung bei. Von Seiten des Unternehmens gibt es die Institution eines monat-lich stattfindenden Round Table. An dieser Veranstaltung nahmen im Beobachtungszeitraum jedoch nur rund 70% der Trainees teil.

Beim Erlernen der deutschen Sprache waren die Probanden sehr unterschiedlich erfolgreich. Dies hatte verschiedene Gründe. Einige Probanden arbeiteten in Projektteams mit, in denen ausschließlich Englisch gesprochen wurde. Diejenigen, die ihre Freizeit überwiegend mit Landsleuten verbrachten, machten ebenfalls geringe Fortschritte. Und schließlich war die Teilnahme am Sprachunterricht von Proband zu Proband von unterschiedlicher Intensität. Das Niveau der Sprachbe-herrschung hatte aber praktisch keinen Einfluss auf das kommunikative Verhalten der Befragten in der für sie fremd-kulturellen Umgebung. Ob ein Teilnehmer seine Deutsch-kenntnisse aktiv anwendete, hing stark von der Persönlichkeit des Betreffenden ab, nicht aber von seiner Sprachkompetenz.

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5. Diskussion

Kennzeichnend für das untersuchte Trainingsprogramm ist der Umstand, dass das gesamte Training im fremdkulturellen Kontext stattfindet. Es beruht sozusagen auf der Inpatriation internationaler Fach- und Führungskräfte im Umfeld der Kon-zernzentrale. Die Trainees sind nicht nur während ihrer Ar-beitszeit mit fremden Kulturen konfrontiert. Der gesamte All-tag spielt sich in einer ihnen fremden Umgebung ab. Das Le-ben in Deutschland wird insgesamt zum Training. Herausfor-derungen, die interkulturelle Kompetenz zu verbessern, stel-len sich in allen Lebensbereichen.

Was für die einen reizvoll erscheint, wirkt aber auf andere Kandidaten – so hat die Untersuchung gezeigt – zu einem gewissen Grad bedrohlich. Ein mehrmonatiger Trainingsauf-enthalt ist mit Unsicherheiten behaftet, unter anderem darü-ber, wie er sich auf die weitere Karriere auswirkt. Unsicher-heit wirkt aber Motivation hemmend. Außerdem sind Mitar-beiter, die noch nicht über Auslandserfahrung verfügen, ten-denziell seltener bereit, für ihr Unternehmen ins Ausland zu gehen (vgl. Kühlmann / Stahl 1995). Viele der lokalen Füh-rungskräfte in den Auslandswerken des untersuchten Unter-nehmens verfügen aber über keine Auslandserfahrung. Um also geeignete Kandidaten für die Teilnahme an einem sol-chen Trainingsprogramm zu gewinnen, kommt es entschei-dend darauf an, den damit einhergehenden Unsicherheiten zu begegnen und beispielsweise das Training in eine verlässli-che Karriereplanung einzubinden.

Die Bereitschaft der Trainees zur Interaktion über kulturelle Grenzen hinweg ist größten Teils vorhanden. Die Netzwerk-bildung orientiert sich aber stark an den organisatorischen Strukturen des Unternehmens – und die sind in einem globa-len Unternehmen wie dem untersuchten stark zentralisiert. So sind die Teilnehmer am Trainingsprogramm sehr viel stärker darauf bedacht, Kontakte zu Mitarbeitern der Konzernzentra-le zu knüpfen als zu ihren Mit-Trainees. Der Ermöglichung solcher horizontalen und lateralen Verknüpfungen ist deshalb besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Bei Veranstaltungen wie dem monatlich stattfindenden Round Table könnte dieser Prozess durch entsprechende interkulturelle Übungen unter-stützt werden. Dass die Intensität der Kommunikation mit den Mitarbeitern der Zentralbereiche durch das Training nachhaltig erhöht wurde, stützt die These, dass die Steige-rung interkultureller Kompetenz zu einer effektiveren Zu-sammenarbeit im globalen Unternehmen führt.

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Was den Erwerb neuer Kenntnisse und Fähigkeiten angeht, so bietet ein Trainingsprogramm wie das untersuchte ideale Bedingungen. Interkulturelle Erfahrungen werden in ver-schiedenen Lebensbereichen und über einen relativ langen Zeitraum gesammelt. Wird dem Moment der Reflexion dieser Erfahrungen aber nicht die nötige Bedeutung beigemessen, bleiben viele Bestandteile des erworbenen Erfahrungswissens auf der Ebene impliziten Wissens. Der Prozess der Wissens-konversion, bei der implizites in explizites Wissen transfor-miert wird (vgl. Nonaka / Takeuchi 1995), beinhaltet nämlich, dass sich die Lernenden der kulturellen Aspekte bewusst werden, dass sie darüber reflektieren und adäquate Hand-lungsmöglichkeiten in Betracht ziehen (vgl. Thomas 2003). Die Institution des Round Table ist als Forum für die Reflexion der interkulturellen Erfahrungen in der Gruppe grundsätzlich zu begrüßen. Solange das Commitment der Teilnehmer aber so gering ist wie im beobachteten Falle, müssen die erzielten Effekte gering bleiben. Darüber hinaus wäre eine professio-nelle Unterstützung der Reflexionsleistung auf der individuel-len Ebene in Form von Coaching eine sinnvolle Ergänzung. Die Trainees selber konzentrieren sich ansonsten auf den Er-werb fachlicher Qualifikationen, da sie sich von denen – so zeigen die Ergebnisse der Untersuchung – bessere Karriere-chancen versprechen.

Erkennbar wird durch die vorliegende Untersuchung, dass die Bewältigung der interkulturellen Überschneidungssituation durch die begleitenden Familienangehörigen nicht unproble-matisch ist. Auf den Umstand, dass die Partner dabei zu wei-ten Teilen auf sich allein gestellt sind, weist Stahl schon 1995 hin (vgl. Stahl 1995). In der Unternehmenspraxis hat sich daran aber bis heute nicht viel geändert. Für den Umgang mit diesem Problem sind Lösungen vonnöten, worin weiterer For-schungsbedarf zu sehen ist.

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Steixner: „Fine-tuning“ durch interkulturelles Coaching

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Abstract

Intercultural Coaching identifies and develops intercultural competence as a key to success in the international and glo-balised work environment. Coaching in general has gained recognition as a very suitable method for competence devel-opment on the job. Human resource experts are increasingly aware that intercultural aspects cannot be excluded from lea-dership or team-development programs. The inclusion of the intercultural realities and connected challenges into the scope of a coaching process demands enhanced professional and systematic approaches. Comprehension and application of intercultural theories increases the understanding and struc-turing of these experiences.

This article focuses on ways of integrating intercultural as-pects into a coaching process using client-centered methods. The thorough investigation of the often hidden cultural as-pects of a coaching topic depends on the intercultural awareness of the coach himself. The quality of the intercul-tural coaching process can only be guaranteed through the accessibility of specific intercultural coaching programs as well as on-going education for active coaches. This article ex-plores the role coaching plays in the intercultural learning process in combination with intercultural training. It lays out the skills needed in an international work setting by explain-ing the specific requirements and benefits linked to the core competencies. A catalog of possible coaching questions based on a case study enables the reader to gain a deeper understanding for the realities of an intercultural coaching process.

1. Zur Bedeutung des interkulturellen Coachings im interkulturellen Entwicklungsprozess

Coaching im Allgemeinen hat als eine Form der beruflichen Beratung in den letzten Jahren an Popularität gewonnen. Damit einher geht auch eine stärkere Präsenz der Methode in Wissenschaft und Medien, was sowohl eine Weiterentwick-lung des Fachbereichs, als auch eine gesteigerte Bewusst-seinsbildung der Personalverantwortlichen mit sich bringt. Als eine Konsequenz ist eine verstärkte Segmentierung der Coa-ching-Bereiche und die Entwicklung von spezifischen Metho-den und Werkzeugen zu beobachten. Im Zuge dieses Prozes-ses wurde auch klar: Coaching ist eine äußert geeignete Form zur Entwicklung und Festigung der interkulturellen Kompe-tenz. Als eine „On-the-Job“ Maßnahme gibt interkulturelles Coaching die nötige persönliche und kontextgebundene Un-

„Fine-tuning“ durch interkulturelles Coaching

Dr. Margret Steixner

Promotion zum Thema „Bedeu-tung und Relevanz des interkultu-rellen Coaching in der Entwick-lungszusammenarbeit“

Derzeit in Uganda tätig als freibe-rufliche interkulturelle Trainerin und Coach, www.intercultural-perspectives.com

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terstützung, die Personen in internationalen Aufgabenfeldern brauchen.

Interkulturelle Kompetenz wird durch die auf vielen Ebenen des Arbeitslebens spürbare Globalisierung zu einer nahezu allgemein nötigen Grundkompetenz und ergänzt soziale, strategische und fachliche Kompetenzen. Der Internationali-sierungsdruck bringt Unternehmen in eine Situation, in der die Wichtigkeit interkultureller Kompetenz nicht mehr negiert werden kann. Der berufliche Erfolg der Mitarbeiter/innen und in der Folge des Unternehmens hängt maßgeblich von den Fähigkeit ab, im internationalen Setup erfolgreich kommuni-zieren, verhandeln und Kooperationen etablieren und erhal-ten zu können.

Im Rahmen dieses Artikels möchte ich der Frage nachgehen, welchen Beitrag das interkulturelle Coaching zur Entwicklung und Weiterentwicklung der interkulturellen Kompetenz leis-ten kann. Die Besonderheiten des interkulturellen Coachings sollen auf Basis zweier Gegenüberstellungen herausgearbeitet werden. Erstens soll erläutert werden, wie sich interkulturelles Coaching von Training abhebt bzw. dieses ergänzen kann. Zweitens soll aufgezeigt werden welche speziellen „Features“ das interkulturelle Coaching ausmachen und wie es sich von anderen Coaching-Feldern unterscheidet. Neben dem Ver-such der Abgrenzung und Unterscheidung ist es mir ein An-liegen interkulturelles Coaching als einen integrativen Ansatz darzustellen. Es wird dargelegt, wie interkulturelle Aspekte in Führungs- oder Team-Coaching integriert werden können und welche Rolle die Sensibilisierung und Professionalisierung der in diesem Bereich tätigen Praktiker/innen spielt.

2. Grundlagen

2.1 WAS ist interkulturelle Kompetenz?

Interkulturelle Kompetenz wird ganz allgemein als Kompe-tenz formuliert, die zur Erhaltung der Handlungsfähigkeit in kulturfremdem Umfeld oder im Umgang mit kulturfremden Personen beitragen soll. Interkulturelle Kompetenz wird not-wendig, wenn Personen entweder durch einen beruflich be-dingten Auslandsaufenthalt unter veränderten Vorzeichen agieren müssen oder wenn durch die interkulturelle Zusam-mensetzung von Teams standarisierte Arbeitsweisen ins Wanken kommen. Dabei ist es wichtig zu betonen, dass sich interkulturelle Kompetenz erst im Zusammenspiel zwischen der affektiven, der Verhaltens- und der Wissensebene zeigt (Barmeyer 2002:212). Da Lernverhalten auf diesen drei Ebe-nen völlig unterschiedlich strukturiert ist, ist es wichtig, bei

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der Förderung interkultureller Kompetenz ein mehrdimensio-nales Entwicklungsmodell zu konzipieren, in dem Trainings- sowie Coaching-Einheiten einander abwechseln und ergän-zen.

2.2 WAS ist interkulturelles Coaching?

Coaching als eine personen- oder teamzentrierte Form der beruflichen Beratung nimmt sich der Entwicklung persönli-cher und beruflicher Kompetenzen an. Durch Fragen und Nachfragen werden auf systematische Weise Reflexionspro-zesse ins Rollen gebracht, sowie Mittel zur besseren Zielerrei-chung identifiziert und die Umsetzung begleitet (Rauen 2002:15). Grundsätzlich orientiert sich die Arbeitsbeziehung zwischen Coach und Klient an den unmittelbaren Herausfor-derungen und Entwicklungszielen des Klienten und ist in die-ser Weise eine sehr offene und situationsgebundene Interven-tionsform, die schwer standardisierbar ist. Interkulturelles Co-aching wird nicht selten als interkulturelles Einzeltraining missverstanden und als solches vermarktet. Meiner Ansicht und Erfahrung nach führt eine unklare Grenzziehung zu einer Verwässerung der Stärken der jeweiligen Methode und ge-fährdet die Beibehaltung einer coachenden Haltung im Pro-zess. Um die Qualität der jeweiligen Maßnahme, ob interkul-turelles Coaching oder Training, sicherzustellen, ist es wichtig, mehr Klarheit und Verständnis für Besonderheiten und Einsatzmöglichkeiten zu schaffen.

Interkulturelles Coaching kann in einer direkten und einer indirekten Form betrieben werden. Liegt der Fokus des Coa-ching-Prozesses auf der Bewältigung der interkulturellen Her-ausforderungen, die beispielsweise im Rahmen einer Aus-landsentsendung von Personal entstehen, ist von einer direk-ten Form zu sprechen. Interkulturelle Themen und Herausfor-derungen werden dabei in unmittelbarer Weise behandelt. Es besteht ein Einverständnis darüber, dass kulturelle Differenz einen Prozess auslöst, dessen Handhabung durch das Coa-ching bewusster gestaltet und verbessert werden soll. Erfah-rungsgemäß ist diese Bewusstheit und offensive Analyse eher die Ausnahme als die Regel. Indirektes interkulturelles Coa-ching liegt vor, wenn sich interkulturelle Fragen als integrier-ter Teil der Fallbesprechung darstellen. Interkulturelle Themen tauchen aufgrund der Veränderung der Arbeitsaufgaben und/ oder des Arbeitsumfeldes verstärkt in Coaching-Prozessen auf und können nicht immer klar von anderen Anliegen unter-schieden werden. Es ist jedoch notwendig und sinnvoll, inter-kulturelle Aspekte in einer flexiblen und offenen Weise in den Coaching-Prozess zu integrieren. In diesem Falle kann von einer indirekten Form des interkulturellen Coachings gespro-chen werden.

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2.3 Die Rolle des interkulturellen Coach

Ein interkultureller Coach sollte imstande sein, die interkultu-relle Dimension des Coaching-Anliegens zu erkennen, auf-zugreifen und auf die Komplexität der Falldarstellung adäquat zu reagieren. Durch entsprechende Weiterbildung und Sensi-bilisierung des Coachs bezüglich interkultureller Themen soll-te sichergestellt werden, dass dieser mit erkenntnisgenerie-renden und zielführenden Fragen reagieren und die kulturelle Dimension einer Führungssaufgabe oder Teamkonstellation erkennen kann. Die Integration interkultureller Themen in Coaching -Ausbildungen ist dabei ebenso nötig wie die Ent-wicklung spezifischer Aus- und Fortbildungen zum interkultu-rellen Coaching.

Um die Qualität und befriedigende Umsetzung des interkultu-rellen Coachings sicherstellen zu können, ist es nötig interkul-turelle Theorien und Modelle verstärkt in die Coaching-Praxis zu integrieren. Interkulturelles Wissen, Verständnis und die Fähigkeit zur Umsetzung und Anwendung steht dabei im Zentrum der Aufmerksamkeit. Der Coach sollte daher einer-seits selbst intensive kulturelle Selbstreflexion betrieben ha-ben, die es ihm ermöglicht, die eigene kulturelle Determinie-rung wahrzunehmen und im Coaching-Prozess zu nutzen. Andererseits sollte er mit den Theorien des interkulturellen Lernens, der kulturellen Identitätsentwicklung (Ward 2001:107) und den Modellen zur Identifizierung kultureller Differenz (Trompenaars 1993, Thomas 1993, Hofstede 2001, Steixner 2007 u.v.a.) vertraut sein und dieses Wissen soweit internalisiert haben, dass er imstande ist, dieses in adäquater Weise in den Coaching-Prozess zu integrieren. Durch die ge-schärfte Aufmerksamkeit des Prozessbegleiters soll sicherge-stellt werden, dass der interkulturelle Aspekt des Coaching-Anliegens entsprechend erfasst und bearbeitet wird, sowie Strategien identifiziert werden, die die kulturelle Abweichung berücksichtigen.

3. Besonderheiten von interkulturellem Training und Coaching

Aufgrund der Rolle, die der Coach in einem Coaching-Prozess einnimmt und die sich auf gezieltes Zuhören, Beobachten und Feed-back-Geben beschränkt, ist es dem Coach nur be-dingt möglich, ausschweifende Erklärungen zu interkulturel-len Dimensionen und Theorien zu geben. Es ist daher von großem Vorteil, wenn der Klient bereits im Rahmen eines Trainings mit interkulturellen Modellen (Bsp. Unterschiede in Führungs- oder Kommunikationsstilen) vertraut gemacht wurde, die jetzt in der Praxis angewandt und als Interpretati-

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onsmodelle genutzt werden können. In einem Maßnahmen-Paket zur Entwicklung interkultureller Kompetenz sollten sich daher stärker formative und umsetzungsorientierte Maßnah-men ergänzen. Interkulturelles Training ist dabei ein ideales Werkzeug zur Vermittlung des nötigen Wissens, während interkulturelles Coaching in einem holistischen Entwicklungs-konzept die Festigung des Wissens und die Umsetzung und Entfaltung angepasster Strategien unterstützt.

3.1 Training BAUT Wissen auf

Training im Allgemeinen verfolgt das Ziel einer mehr oder weniger strukturierten und geplanten Wissensvermittlung. Bei interkulturellen Trainings kann grundsätzlich zwischen kultur-spezifischen und kulturallgemeinen Trainings unterschieden werden. Bei kulturspezifischen Training steht die Auseinan-dersetzung mit der fremden Kultur und deren Besonderheiten im Vordergrund. Der Grundgedanke ist, dass durch das Erler-nen der Verhaltensregeln der Gastkultur die Interaktion ver-bessert und die Integration erleichtert werden kann (Thomas et al. 2003:249). Kulturallgemeines interkulturelles Training nimmt sich verstärkt der Implikation von kulturellen Mustern und Prägungen an. Es geht um eine generelle Sensibilisierung für die Effekte der kulturellen Prägung auf das Handeln, Den-ken und Fühlen.

In der methodischen Orientierung interkultureller Trainings lässt sich eine verstärkte Konzentration auf die kulturelle Selbstreflexion beobachten, die die Auseinandersetzung mit den Aspekten der fremden Kultur auf Basis eines verglei-chenden Ansatzes vorantreibt. Häufig werden auch verschie-dene Inhalte kombiniert und ein weites Spektrum an Metho-den verwendet. Grundsätzlich orientieren sich die im interkul-turellen Training verwendeten Methoden am Anspruch durch möglichst partizipative Gestaltung der Übungen und Diskus-sionen, Lernerfahrungen zu kreieren, deren Natürlichkeit die Übertragung in die Praxis sicherstellt. Die Trainingsziele dre-hen sich meist um die Anreicherung von Kenntnissen, die zur Meisterung der interkulturellen Herausforderungen beitragen sollen und können von landes- und kulturspezifischem Wis-sen bis hin zu kulturellem Einfluss auf Kommunikationsstile eine breite Fächerung von Themen aufweisen. Die Verant-wortung für die Konzeption und Gestaltung bleiben bei Trai-ningsmaßnahmen vorwiegend beim Trainer, während in ei-nem Coaching-Prozess der Klient eine aktivere Rolle ein-nimmt.

Interkulturelle Trainings leisten einen wichtigen Beitrag bei der Entwicklung einer Sprache, die die Auseinandersetzung mit kulturellen Dynamiken im interkulturellen Coaching erst

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ermöglicht. Ist das nötige kulturelle Basiswissen vorhanden, kann im Coaching optimal auf vorhandenes Wissen aufge-baut und das interkulturelle Kategoriesystem verfeinert wer-den.

Als eine besondere Form des interkulturellen Trainings kön-nen auch interkulturelle Lernplattformen wie beispielsweise „Argonaut“ (siehe Coghill & Berry 2003) genutzt werden. Diese verbinden den Vorteil eines „On-the-Job“ Settings mit der Vermittlung von Faktenwissen und kulturrelevanter In-formationen, die zur Intensivierung des Lernprozesses genutzt werden können.

3.2 Coaching begleitet die Umsetzung

Coaching zeichnet sich durch lösungs- und zielorientiertes Arbeiten aus und funktioniert somit im Spannungsbereich zwischen identifizierten Entwicklungszielen und konkreter Umsetzung. Dies gilt für Coaching im Allgemeinen ebenso wie für interkulturelles Coaching im Speziellen. Im interkultu-rellen Coaching arbeiten Coach und Klient an Entwicklungs-zielen, die in engem Zusammenhang mit bspw. den Heraus-forderungen der Zusammenarbeit in einem interkulturellen Team im Zuge einer Auslandsentsendung oder eines virtuel-len Teams entstehen. Grundsätzlich sollte klargestellt werden, dass sich interkulturelles Coaching zu Coaching-Prozessen im Allgemeinen nicht zwangsläufig in den Zielen, die der Klient erreichen will unterscheidet, sondern im Kontext, der im Coa-ching zur Bearbeitung steht. Personen, die in einem interkul-turellen Umfeld agieren, spüren in vielen Fällen einen erhöh-ten Bedarf an Fähigkeiten, die auch im monokulturellen Um-feld den beruflichen Erfolg beeinflussen. Die Entwicklungszie-le können sich deshalb mitunter relativ gering von einem „normalen“ Coaching abheben. Wichtig erscheint mir jedoch das Bewusstsein und die Sensibilisierung für die interkulturelle Dimension des Entwicklungsplanes, das im interkulturellen Coaching zum „Dauerbrenner“ wird. Jede Fragestellung soll-te auf Interkulturalität hin überprüft werden und so die Nut-zung der interkulturellen Brille geübt werden. Durch die ge-zielte und immer wieder erneute Anregung eines Perspekti-venwechsels kommt es dabei zur Beleuchtung kulturbeding-ter blinder Flecken, die eine einzigartige Form der Selbstrefle-xion ermöglichen. Diese hautnahe Auseinandersetzung trägt zur Entwicklung eines tiefergehenden Verständnisses für kul-turelle Dynamiken bei und hilft interkulturelle Kompetenz auf eine nachhaltige und effiziente Weise zu entwickeln. Interkul-turelles Training alleine kann nur selten solch eine massive und vernetzte Lernerfahrung ermöglichen.

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3.3 Vom richtigen Zeitpunkt

Interkulturelles Training und Coaching unterscheiden sich nicht nur in Methode und Inhalt. Neben der Frage nach Zielen und Inhalten sollte auch der richtige Zeitpunkt der jeweiligen Maßnahme in Betracht gezogen werden. In diesem Sinne sollte in der Konzeption von Entwicklungsmaßnahmen zur interkulturellen Kompetenz auf die jeweiligen Vorzüge der Ansätze eingegangen werden, sowie der positive Effekt einer möglichen Kombination von Training und Coaching erkannt werden. Studien, die sich mit der Effektivität von Maßnah-men beschäftigen, bestätigen, dass durch die Kombination der beiden Ansätze die besten Ergebnisse erzielt werden können und die Wirksamkeit von Training durch die Fortset-zung der lernenden Haltung durch Coaching um ein vielfa-ches erhöht werden kann (Olivero et al. 1997:4). Während im interkulturellen Training wichtige Grundlagen erarbeitet und durch Spiele und Übungen erfahrbar gemacht werden kön-nen, widmet sich das Coaching dem individuellen Lernpro-zess, der im unmittelbaren beruflichen Umfeld stattfindet. Der Coach unterstützt den Klienten in der Übersetzung der Lerninhalte in die unmittelbare eigene Arbeitspraxis. Durch Diskussion und Reflexion kommt es zu einer Synthese des Wissens. Die Prozessierung des Wissens durch Erfahrung und Reflexion ist das Kernelement der Kompetenzentwicklung. Interkulturelles Coaching profitiert von der Intensität, die durch das Stattfinden der Erfahrung im kulturfremden Um-feld entsteht. Ein wesentlicher Aspekt ist dabei die erlebte Minorität, die nur sehr schwer in interkulturellen Trainingssi-tuationen authentisch simuliert werden kann. Des Weiteren kann durch die Verankerung des Wissens in der Erfahrung eine andere Tiefe erreicht und die Anwendbarkeit überprüft werden. Interkulturelle Herausforderungen stehen auch häu-fig in Zusammenhang mit ungewohnten Handlungsweisen, die ähnlich wie Sprache erst durch Übung und Anwendung gefestigt werden können.

4. Der interkulturelle Lernprozess

4.1 Herausforderungen des interkulturellen Lernpro-zesses

Die größte Herausforderung des interkulturellen Lernprozes-ses ist das Schaffen von Situationen, in denen ein Zugang zur eigenen kulturellen Prägung geschaffen wird. Dies gilt für Coaching gleichermaßen wie für Training. Die im Coaching-Prozess bearbeiteten Themen und Fragestellungen werden von den Klienten nicht immer unmittelbar als interkulturelle Herausforderungen formuliert, sondern sind Teil der allge-

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meinen Falldarstellung und -besprechung. Die Beleuchtung des kulturellen Aspektes sollte in die Phase der Kontexterhe-bung und Strategieentwicklung einfließen und interkulturelle Aspekte der Lebensrealität sollten daher grundsätzlich als in-tegrativer Teil betrachtet werden. Durch die unmittelbare Eingebundenheit des Coaching in die Arbeits- und Lebensrea-lität ergeben sich Situationen, in denen die kulturelle Dimen-sion des eigenen Handelns und Denkens auf hautnahe Weise erfahrbar wird. Nichts desto trotz entsteht beim Auftreten von Reibungen und Konflikten in vielen Fällen eine große Un-sicherheit über die kulturelle Determination der Situation und ein Rückgriff auf persönlichkeitsbezogene Interpretationen, was als eine weitere Herausforderung bezeichnet werden kann. Bei der Suche nach Erklärungen rangieren persönliche Gründe wesentlich höher in der Liste der Erklärungen.

Beispiel: Eine Klientin berichtet über ihr Unverständnis der zurückhaltenden Haltung ihres ostafrikanischen Vorgesetzten beim Einfordern einer zusätzlichen Arbeitsstelle für die Au-ßenstelle. Sie beschreibt ihren sehr direkten Umgang, die Ve-hemenz mit der sie diese Forderung vertritt und ihr Unver-ständnis über die Zurückhaltung und Diplomatie ihres Vorge-setzten. Ihre Interpretation kreist um die Persönlichkeitsstruk-tur ihres Gegenübers und lässt kulturelle Erklärungen eines indirekten Kommunikationsstils und die Zurückhaltung ge-genüber den Autoritäten der Zentrale außer Acht. Durch die Auseinandersetzung mit den kulturell beeinflussten Füh-rungskonzepten konnte mehr Klarheit über die kulturellen Anteile geschaffen werden und konstruktiv Wege einer stra-tegischen Herangehensweise erarbeitet werden. Nachdem auch der Direktor die Forderung durchaus unterstützte, ent-schied die Klientin erstens mehr Bewusstsein über diese Ei-nigkeit zu schaffen und zweitens das Einvernehmen über ihre Rolle als „offene“ Kämpferin einzuholen, während sie ihren Respekt für seine diplomatische Herangehensweise direkt vermittelte und indirekt internalisierte.

Erfahrungsgemäß besteht eine starke Zurückhaltung im Gebrauch kultureller Erklärungsmodelle. Personen mit inter-nationaler Erfahrung sind sich meist bewusst, dass die unre-flektierte Verwendung kultureller Stereotypen die Interpreta-tion der Situation auf einfache Konzepte reduziert und der Komplexität nicht gerecht wird. Diese Einsicht kann eine Dis-tanzierung von Kulturalität mit sich bringen, die nur begrenzt hilfreich ist, da nicht zwischen einem informierten Umgang mit kultureller Verschiedenheit und einem reduzierenden Denken unterschieden wird. Es ist Teil des interkulturellen Lernprozesses, kulturelle Stereotype durch fundierte Parame-ter des Kulturvergleiches zu ersetzen und bestehende Katego-rien auf sensible und fundierte Weise zu erweitern. Die inter-

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kulturell kompetente Person zeigt die Fähigkeit, kulturelle Ka-tegorien in Verbindung mit den persönlichen Anteilen der beteiligten Personen zu vereinigen und beide Ebenen in die Fallbetrachtung einzubeziehen. Selbstkonzept und Kulturkon-zept sind Einheiten, die nur bedingt getrennt werden können und deshalb auch in ihrer Verknüpfung verstanden werden müssen. Es ist ein Bedürfnis des Menschen Ordnungen und Strukturen herzustellen (Glasersfeld 2006:31), die uns ermög-lichen, die Komplexität unserer Lebenserfahrung zu organisie-ren und soziale Gefüge zu schaffen, in denen wir uns sicher und kompetent bewegen können.

"Social categorization is a fundamental quality of cognition. It offers us a way to manage our chaotic environment in a predictable and efficient fa-shion." (Ting-Toomey 1999:149)

Diese Ordnungen und Wirklichkeitsmodelle sind immer kultu-rell überprägt. Die Erfahrungen, die Personen in einem kultur-fremden Umfeld machen, entbehren bis zu einem gewissen Maß immer dieser ordnenden Struktur. Durch das durch Kul-turkontakt ausgelöste „Chaos“ kann sich das menschliche Bedürfnis nach Ordnung und Wiederholung verstärken. Fehlt das Verständnis für interkulturelle Kategorien kann es dabei leicht zu einer Abwehrhaltung gegenüber der fremden Kultur kommen. Diese Überforderungen führen in vielen Fällen zum Rückgriff auf primitive Verhaltensweisen, als letzte Rettung der positiven Selbstwahrnehmung. Die Aufrechterhaltung dieser Interpretationen wird durch den Rückgriff auf „siche-re“ Beziehungen gestärkt (Steixner 2007:142).

Unterstützende und vorbereitende Maßnahmen können in effektiver Weise dazu beitragen, dass Personen die nötige Sicherheit und das Verständnis erhalten, diese „kulturelle Regression“ zu vermeiden.

4.2 Zur Gestaltung des interkulturellen Lernprozesses

Reflexion ist ein Grundelement aller Methoden der Kompe-tenzentwicklung und das Kernelement des interkulturellen Coachings. Die gecoachte Person wird durch systematische Reflexion zum besseren Verstehen des Kontexts und der Situ-ation hingeführt. Der lerntheoretische Hintergrund dieses An-satzes baut auf dem menschlichen Bedürfnis nach Ordnun-gen als Auslöser des Lernprozesses auf. Gezielte Reflexion steigert die Effizienz des Erfahrungslernens, insbesondere im interkulturellen Umfeld.

"Wir lernen überall da, wo wir Erfahrungen machen und diese Erfahrungen in der Reflexion auf andere Erfahrungen beziehen, also durch Synthetisie-rung von Erfahrungen neue Ordnungen herstellen." (Schmidt 2003:13)

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Interkulturelles Coaching kann Personen in einmaliger Weise in diesem Lernprozess unterstützen, indem es den Reflexions-prozess systematisiert und „institutionalisiert“. Durch Per-spektivenwechsel und empathisches Betrachten interkulturel-ler Situationen können neue und effektivere Verhaltensstra-tegien erörtert und deren Umsetzung im Coaching konkreti-siert werden. Eine Besonderheit des Erwachsenen-Lernens ist der Rückgriff auf etablierte Interpretationsmuster. Gerade im interkulturellen Kontext sind die Personen gefordert, Bekann-tes zu Verlernen, um Neues zu ermöglichen.

„Verlernen in diesem Sinne meint allerdings nicht vergessen, sondern be-wusst machen." (Hauser 2003:33)

Die bewusste Distanzierung von einer Situation oder Füh-rungsaufgabe und der professionelle Einsatz von Fragetechni-ken auf Basis des Wissens über interkulturelle Dynamiken und kulturelle Denkkonzepte kann die Performance von Personen mit internationalem Aufgabenfeld positiv beeinflussen und ihre interkulturelle Problemlösungskapazität in nachhaltiger Weise steigern.

Da es sich bei menschlichen Beziehungen im Arbeits- oder Privatleben um komplexe Situationen handelt, in denen Kul-tur und Persönlichkeit nicht als getrennte Konzepte betrach-tet werden können, sind die Lösungen keine einfachen schwarz-weiß Lösungen, wie wir sie aus der interkulturellen Ratgeberliteratur kennen. Interkulturelle Theorien und Model-le werden erst dann zu sinnvollen Hilfsmitteln, wenn der Be-zug zur Situation hergestellt wird. Die Bearbeitung von Ge-fühlen wie Frustration oder Hilflosigkeit sind Teil der Ausei-nandersetzung und ermöglichen wichtige Lernerfahrungen, die den Blick über den eigenen Tellerrand schärfen und das Entwickeln von Synergien im Arbeitsprozess ermöglichen.

4.3 Interkulturelle Kompetenzmodelle

Verschiedene Modelle interkultureller Kompetenz zeigen un-terschiedliche Perspektiven in Bezug auf eine systematische Darstellung der Teilaspekte interkultureller Kompetenz. Wäh-rend Christoph Barnmeyer (2002) zwischen einer kognitiven, einer Verhaltens- und einer affektiven Ebene unterscheidet, beschreibt Jürgen Bolten (2002) interkulturelle Kompetenz als Kernelement der strategischen, sozialen und Fach-Kompetenz, wie in der folgenden Darstellung gezeigt wird.

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Fachkompetenz

Berufliches Spezial-wissen, Sprachkenntnisse,

Landeskenntnisse,Berufserfahrung

etc.

Strategische Kompetenzen

Problemlösungskompe-tenz, Entscheidungs-

fähigkeit, Organisa-tionsfähigkeit

etc.

IndividuelleKompetenzen

SelbstorganisationBelastbarkeit

Rollendistanzetc.

Soziale Kompetenzen

AssimilationsfähigkeitKontaktfreudigkeit

Teamfähigkeit Offenheit etc.

Interkulturelle Kompetenz

Beschreibungs- und Erklärungsfähigkeit eigen-, fremd- und interkultureller

Prozesse, Metakommunikations-fähigkeit, interkulturelle

Lernbereitschaft Rollendistanz etc.

Abb. 1: Modell Interkultureller Kompetenz nach Jürgen Bolten (2002:70)

Bolten’s Modell (2002) stellt klar dar, dass interkulturelle Kompetenz die „Sahnehaube“ der sozialen, strategischen und fachlichen Fähigkeiten ausmacht, ohne die der interkul-turelle Erfolg verwehrt bleibt. Dieses Modell demonstriert auch die Notwendigkeit, interkulturelle Kompetenz in einer vernetzten und holistischen Weise zu entwickeln. Dreht sich ein Coaching-Prozess um die Verbesserung von Führungs-kompetenzen, wird es sich bei einer internationalen Personal-konstellation automatisch auch, aber nicht nur um interkultu-relle Führungskompetenzen handeln. Erst durch die Bezug-nahme auf die Besonderheiten des interkulturellen Kontext, in dem die Führungsperson agiert, können die für die Situati-on richtigen, lösungsorientierten und praxisrelevanten Strate-gien entwickelt werden.

4.4 Wirkungsradius der interkulturellen Kompetenz-entwicklung

Ebenso wenig wie interkulturelle Kompetenz als isolierte Kompetenz betrachtet werden soll, kann die Kompetenzent-wicklung als eine klar begrenzte Wirkungskette gesehen werden. Verschiedenste Studien belegen, dass beispielsweise die Auseinandersetzung mit eigenen Führungsqualitäten in den meisten Fällen auch einen bewussteren Umgang mit Herausforderungen des privaten Lebens nach sich zieht und sich beispielsweise häufig positiv auf Beziehungen außerhalb der Arbeit auswirkt (Goleman et al. 2003:131). Der Wir-

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kungsgrad interkultureller Kompetenz kann ebenso weit ge-zogen werden. Die Auseinandersetzung mit interkulturellen Herausforderungen bietet eine einmalige Gelegenheit der Erweiterung des eigenen Interpretationshorizonts und wird auch von Personen, die diese Exponiertheit bewusst erleben und managen, als Bereicherung im Bereich der Persönlich-keitsentwicklung erkannt. Das Optimum dieser interkulturel-len Lernerfahrung beschreibt Ting-Tommey wie folgt:

"They mindfully integrate their new learning experience abroad with what is positive in their own culture. They apply multidimensional thinking, enriched emotional intelligence, and diverse angles to solve problems or to instigate change for truly inclusive learning organisations." (Ting-Toomey 1999:250)

Ein Ausschnitt aus einem im Rahmen meiner Dissertation ge-führten Interviews demonstriert sehr treffend die erlebte Be-reichung:

“How it changed me yea, I think working overseas; working away from your home makes you a better person. I think it makes you a better person because you have to, I think you have to analyze, you have to do self-reflection, you have to analyze who you are and how you come across to people. Now if it happens that you are working in a language that is not your own, it is also really good for you.” (Interview 10 Zitat 42a)

In Auseinandersetzung mit den verschiedenen Ansätzen zur interkulturellen Kompetenz ist anzumerken, dass pädagogi-sche Ansätze des interkulturellen Lernens das Element der Erweiterung des Selbstkonzeptes durch die interkulturelle Er-fahrung in den Mittelpunkt stellen. Interkulturelle Kompe-tenzkonzepte aus dem Bereich der Wirtschaftswissenschaften betonen hingegen stärker das Element der möglichen Effi-zienzsteigerung durch die gezielte und bewusste Vermeidung interkultureller Fauxpas. Um der Komplexität der interkultu-rellen Kompetenz gerecht werden zu können, ist es sinnvoll, beide Aspekte komplementär zu betrachten. Personen, die die interkulturelle Erfahrung in positiver Weise meistern und stärker als inspirierende Herausforderung als eine Bedrohung der eigenen Tüchtigkeit und Effizienz sehen, sind mit einer größeren Wahrscheinlichkeit auch fähig, beruflich erfolgreich zu agieren.

5. Das Design des interkulturellen Coaching-Prozesses

Coaching als praxisorientierte und anlassgesteuerte Form der beruflichen Begleitung und Beratung stellt das Identifizieren von Zielen in den Mittelpunkt des Coaching-Prozesses. Die Auseinandersetzung mit den eigenen Entwicklungszielen wird zum zentralen Element und dient als roter Faden, der durch die Auseinandersetzung mit konkreten Praxisbeispielen belebt

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und an ihnen demonstriert wird. Beim Design eines Coa-ching-Prozesses ist es dem Coach immer ein Anliegen, die Entwicklungsziele des Klienten genau zu eruieren und auf diesen aufzubauen. Eine Möglichkeit diesen Prozess anzuge-hen, ist die Nutzung von standardisierten interkulturellen Kompetenzprofilen und anderer Beurteilungsverfahren. Als Beispiel kann der „Intercultural Readiness Check“ (IRC) oder das „Intercultural Developmental Inventory (IDI)“ (Paige 2004:99) genannt werden. Philippe Rosinski (2003) stellt in seinem Buch „Coaching across Cultures“ ein Modell vor, das die Identifizierung des eigenen kulturellen Profils ermöglichen und als Fahrplan zur Entwicklung eines Zielkatalogs dienen soll (Rosinski 2003:52ff.). Kompetenzprofile können einerseits helfen Entwicklungspotentiale zu identifizieren und so in di-rekter Weise auf die Zieldefinition im Coaching-Prozess ein-wirken. Andererseits sollte durch die Erörterung der, den Per-sonen zur Verfügung stehenden Ressourcen erarbeitet wer-den, wie diese im Alltag optimal eingesetzt oder durch die im Coaching-Prozess angeregte Diskussion ausgebaut werden können.

5.1 Rahmenmodelle und Entwicklungsziele

Auch wenn das interkulturelle Coaching grundsätzlich ein sehr offener und situationsorientierter Prozess ist, in dem so-wohl auf die speziellen Herausforderungen des Kontexts als auch die Persönlichkeit der beteiligten Personen eingegangen werden soll, ist es hilfreich sich an Rahmenmodellen zu orien-tieren. Diese Rahmenmodelle können sich einerseits stärker auf die inhaltliche Ebene beziehen und Erfahrungen auf Basis der Frage: „Was passiert da?“ analysieren. Andererseits kön-nen Modelle genutzt werden, die auf der Ebene des WIE an-greifen und die Frage, wie die Personen mit den kulturellen Unterschieden umgehen in den Mittelpunkt stellen. Im Rah-men meiner Dissertation habe ich ein Modell erstellt, in dem ich die Fähigkeiten, die zu interkulturell kompetentem Han-deln beitragen in Form von drei Sektoren dargestellt werden (Steixner 2007:169ff.). Die Sektoren

• Selbstmanagement

• Differenzmanagement

• Integrationsmanagement

zeigen verschiedene Fähigkeiten, die in der Persönlichkeit des Individuums verankert sind und als Ressourcen zur Gestaltung der interkulturellen Erfahrung genutzt werden können. Von diesem Katalog interkultureller Fähigkeiten ausgehend, kön-nen Entwicklungsziele definiert werden, die jedoch immer auch in Kombination mit der Persönlichkeit des Einzelnen be-

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trachtet werden müssen. Als ein Beispiel kann Stressresistenz als eine Fähigkeit des Selbstmanagement herangezogen wer-den. Obwohl Stressresistenz eine wichtige Grundvorausset-zung für die positive Meisterung des Kulturkontaktes dar-stellt, kann diese für unterschiedliche Personen verschiedene Bedeutungen und Formen annehmen. Während eine Person die Handhabung der eigenen Ungeduld in Verbindung mit Zorn thematisiert, kann jemand anderer dazu das Thema „Work-Life-Balance“ anführen. Im Coaching sollte der Raum geschaffen werden, die Notwendigkeit dieser Fähigkeit in den verschiedenen Farben auszumalen und die Relevanz im inter-kulturellen Kontext zu diskutieren.

Fähigkeiten-Katalog Interkultureller Kompetenz

Selbstvertrauen, Selbstbewusstheit, Persönliche Reife,

Stabilität, Kontaktfreudigkeit, Vertrauensfähigkeit,

Stressresistenz

Offenheit, Interesse, Durchhaltevermögen, Veränderungsbereit-schaft, Gegenseitig-

keit, Vorurteilsfreiheit, Toleranz, Empathie,

Respekt, Zurückhaltung

Flexibilität, Komplexitäts-

reduktion, Ambiguitäts-

toleranz, Frustrationstoleranz

Sektor: Differenz-

management

Sektor: Integrations-management

Sektor: Selbstmanagement

Abb. 2: Interkultureller Fähigkeiten-Katalog (Steixner 2007:169)

Viele dieser Fähigkeiten sind nicht unmittelbar auf interkultu-relle Interaktionen beschränkt, sondern sind ebenso Basis ei-ner positiven Interaktion im monokulturellen Kontext. In vie-len Fällen führt die interkulturelle Situation zu einem intensi-vierten Bedarf der genannten Basisfähigkeiten. Dies kann da-zu führen, dass schwach ausgeprägte Bereiche im interkultu-rellen Umfeld verstärkt ans Tageslicht treten und Situationen schneller als eine Überforderung erlebt werden.

In der Folge soll anhand eines Fallbeispiels demonstriert wer-den, wie Fähigkeiten aus den drei Sektoren im interkulturel-len Umfeld genutzt bzw. wie diese im interkulturellen Coa-ching gefördert werden können. Ergründende und bewusst-seinsschärfende Fragen stellen DAS zentrale Element jedes Coaching dar (Kindl-Beilfuß 2008:13). Deshalb kann das De-sign eines interkulturellen Coaching-Prozesses auch am bes-ten anhand von Fragen dargestellt werden, die den Zusam-menhang mit dem Fähigkeiten-Katalog aufzeigen. Diese an-regenden und reflektierenden Fragen sind Beispiele, wie Per-

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sonen konkret in der Meisterung der spezifischen Anforde-rungen unterstützt und begleitet werden können.

5.2 Fallbeispiel1

F. arbeitet als einzige entsandte Fachkraft in einer Nicht-Regierungsorganisation in Ostafrika. Sie leitet eine Abteilung, die für Koordination der Alphabetisierungsprogramme zu-ständig ist und ist unmittelbar für weitere drei Mitarbei-ter/innen verantwortlich. Sie selbst untersteht dem Direktor der Organisation, der bereits seit 15 Jahren in dieser Position tätig ist und dem von allen Seiten großer Respekt entgegen gebracht wird.

F. ist hoch motiviert durch ihre Arbeit zur Verbesserung der Lebenssituation der Bevölkerung beizutragen. Sie hat bereits 4 Jahre im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit gearbei-tet und verfügt über eine solide Universitätsausbildung im Bereich internationaler Entwicklung. Sie sieht dies als Grund-lage zur Meisterung der neuen Aufgaben.

Die neue Arbeitsstelle ist ihr erster Auslandseinsatz und auch die erste mit direkten Führungsaufgaben. Die Entsendeorga-nisation ermöglicht F. die Teilnahme an einem interkulturellen Training und stellt auch Coaching während des Auslandsein-satzes zur Verfügung. Ein wichtiges und dominantes Entwick-lungsziel stellt für F. die Entwicklung ihrer Führungskompe-tenzen unter Berücksichtigung der interkulturellen Dimension der aktuellen Führungsaufgabe dar. F. ist sich bewusst, dass Führungskompetenz ein zentrales Element des Erfolgs ihrer Arbeit ausmacht, da diese die positive Umsetzung des Aufga-benkatalogs beeinflusst.

Folgende Szenarien, die F. ins Coaching einbringt, demonst-rieren ihre wichtigsten Anliegen im Bereich der Teamführung und Arbeitsstile.

In ihren wöchentlichen Team-Sitzungen ist F. immer wieder mit einer, ihrem Empfinden nach, mangelnden verbalen Be-teiligung der anderen Teammitglieder konfrontiert. Diese er-scheinen zwar dienstbeflissen zu den angekündigten Treffen, hören interessiert die verschiedenen Darstellungen an und bringen sich bei direkter Ansprache zaghaft in das Gespräch ein. Die lebhafte Diskussion, die sich F. wünschen würde, bleibt jedoch auch nach wiederholten Aufforderungen aus. F. ist grundsätzlich sehr an den Meinungen ihrer lokalen Mitar-beiter/innen interessiert und ist sich bewusst, dass diese die Wirksamkeit der geplanten Maßnahmen oft wesentlich bes-ser einschätzen könnten. Sie bekommt das Gefühl, dass diese sich jedoch nicht trauen sie zu kritisieren und immer sehr po-sitiv auf ihre Vorschläge reagieren.

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Des Weiteren vermisst F. die direkte Zusammenarbeit mit ih-ren Teammitgliedern auch im unmittelbaren Arbeitsalltag. Obwohl sie des Öfteren klargestellt hat, dass sie jederzeit für Fragen zur Verfügung steht, erlebt sie diesbezüglich eine große Zurückhaltung. F. ist es gewohnt, in einem gleichbe-rechtigten Team zu arbeiten, in dem jede Person stark selbst-initiativ vorgeht und würde sich wünschen, dass auch zwi-schen ihr und den anderen Teammitgliedern Gleichberechti-gung und Selbstverantwortung als Arbeitsethos gepflegt werden.

Zudem kommt es immer wieder zu Situationen, in denen F. ihre eigene Kommunikationsfähigkeit in Frage stellt, da ihre Teammitglieder erteilte Arbeitsaufträge nicht adäquat erfül-len, auch wenn sie viel Zeit darauf verwendet, diese genau zu erklären. Des Öfteren kommt es zu Situationen, in denen sie einen Arbeitsauftrag entgegennehmen, ihn in der Folge je-doch nur unvollständig ausführen und sodann zur Seite legen ohne F. selbstinitiativ zu berichten oder auftretende Unklar-heiten zu klären. F. bekommt das Gefühl, dass sehr viele Auf-gaben an ihr hängen bleiben und sie frustriert das Gefühl ihre Teammitglieder bis ins Detail anleiten und die Durchführung jedes Schrittes im Auge behalten zu müssen. In dieser Situati-on beobachtet sie an sich selbst eine steigende Tendenz, Din-ge alleine zu erledigen, insbesondere wenn externe Faktoren wie Zeitdruck oder Qualitätsstandards hinzukommen. Sie ist sich bewusst, dass diese Art zu Arbeiten ihrem eigenen Ar-beitsethos zuwider läuft und spürt Zeichen von Frustration und Ausweglosigkeit. Sie ist sich bewusst, dass ihr eigener Führungsstil sich stark von dem des Direktors unterscheidet und dass ihre Erwartungen und Ansprüche für ihre direkten Teammitglieder z.T. völlig neu sind. Sie möchte nach Wegen suchen, dieses Dilemma aufzulösen und eine konstruktive Zusammenarbeit des interkulturellen Teams zu ermöglichen.

In der Folge sollen die Sektoren des interkulturellen Fähigkei-ten-Katalogs im Detail beschrieben und der Bezug zum Fall-beispiel durch beispielhafte Frage hergestellt werden.

5.3 Selbstmanagement

Selbstmanagement umfasst Fähigkeiten, die es Personen er-möglichen ihre persönliche Integrität auch unter Umständen zu erhalten, die eine Destabilisierung herausfordern. Selbst-management ermöglicht Personen eine gesunde Selbstein-schätzung und -wahrnehmung, die dazu beitragen soll, dass die eigene Wirkung auf andere erkannt und in der Entschei-dung über Handlungsmöglichkeiten genutzt werden kann. Diese Fähigkeiten sind grundsätzlich nicht auf den Kulturkon-takt beschränkt, gewinnen aber im interkulturellen Umfeld an

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Relevanz. Personen, die über gutes Selbstmanagement verfü-gen, ertragen das mentale „Chaos“, das der Kulturkontakt häufig auslöst besser und fühlen sich durch neue Sichtweisen inspiriert und herausgefordert.

5.3.1 Selbstvertrauen

Fähigkeiten, die unter den Bereich des „Selbstmanagements“ fallen, sind Selbstvertrauen, Stressresistenz und Selbstbe-wusstheit. Erfahrene Coachs werden bestätigen, dass The-men rund um Selbstvertrauen typische Anliegen eines Coa-ching- Prozesses darstellen und deshalb nicht auf interkultu-relles Coaching beschränkt sind. Stolpersteine, die im mono-kulturellen Umfeld auftauchen, werden im interkulturellen Umfeld häufig verstärkt. Eine Person, die im gewohnten kul-turellen Umfeld Schwierigkeiten hat, sich selbst positiv zu bewerten, kann im interkulturellen Umfeld durch die verstärk-te Exposition eine Intensivierung der Anforderungen erleben. Das Wegfallen von gewohnten Bezugssystemen reduziert die Möglichkeit, diese Verunsicherung abzufangen und resultiert in einer erhöhten Vulnerabilität.

5.3.2 Selbstbewusstheit

Ein weiterer Aspekt des Selbstmanagements ist Selbstbe-wusstheit. Im Unterschied zu Selbstbewusstsein geht es dabei um die Fähigkeit, die Wirkung des eigenen Verhaltens auf andere beobachten, reflektieren und verarbeiten zu können. Diese Fähigkeit ist trotz der universellen Einsetzbarkeit im in-terkulturellen Umfeld von spezieller Bedeutung und kann ge-rade durch interkulturelles Coaching optimal gefördert wer-den. Im Zuge des Sozialisierungsprozesses werden kulturelle Normen und Verhaltensweisen internalisiert und sie sind des-halb nur beschränkt unserer unmittelbaren Wahrnehmung zugänglich. Durch bewusste Auseinandersetzung mit den ei-genen Beweggründen und Handlungsabsichten verstärkt sich das Verständnis der eigenen kulturellen Prägung. Die Ent-wicklung interkultureller Kompetenz ist ein Prozess, der sich über die gesamte Dauer des Kulturkontaktes zieht und somit Gegenstand von lebenslangem Lernen. Selbstbewusstheit ist ein zentrales Element zur Ermöglichung dieser Lernerfahrung. Die lernende Person versucht in einer ständigen Pendelbewe-gung zwischen Selbst- und angestrebter Fremdwahrneh-mung, die Situation zu evaluieren, gelungene Strategien und Erfahrungen zu speichern und negative zu erkennen und aus-zusortieren (Goleman et al. 2003:67). Personen mit hoher Selbstbewusstheit machen sich in diesem Prozess selbst zum Forschungssubjekt und analysieren das Umfeld, die Situation, die Persönlichkeit der beteiligten Personen sowie die Wirkun-gen, die diese Faktoren auf das eigene Handeln haben.

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In der interkulturellen Konstellation gewinnt der Prozess der Selbstevaluierung an Komplexität, da die Wirkungen des ei-genen Verhaltens auf andere neben der persönlichen Dimen-sion auch durch kulturelle Determinanten beeinflusst werden und diese Aspekte in die Analyse miteinbezogen werden müssen. Dabei kann sowohl kulturspezifisches, als auch kul-turgenerelles Wissen, das im Rahmen von interkulturellen Trainings erworben wurde, hilfreich sein. So kann beispiels-weise das Wissen über die kulturelle Dimension von Füh-rungsstilen genutzt werden, um kritische Beobachtungen zur Wirkung von Motivationsstrategien anzustellen und diese an den Kontext anpassen zu können. Im interkulturellen Coa-ching kann durch die Nutzung der Kunst des Fragens das Entdecken der interkulturellen Dimension optimal gefördert und die Selbstbewusstheit in einer positiven Weise gestärkt werden. Eine weitere Aufgabe des begleitenden, interkultu-rellen Coachings kann die richtige Handhabung der Selbst-bewusstheit sein. Wird diese nämlich in übertriebener Weise praktiziert, kann sie zu einer Übersensibilität führen, die Handlungsunfähigkeit mit sich bringt.

Die folgenden Fragen können sinnvoll sein, um die Implikati-onen des Selbstmanagements in der Praxis zu eruieren und das Finden von Lösungen anzuregen.

5.3.3 Fragenkatalog: SELBSTMANAGEMENT

• Welche positiven Team- Erfahrungen haben Sie im Laufe ihres bisherigen Arbeitslebens gemacht?

• In welcher Weise haben Sie diese Erfahrungen geprägt?

• Welche Unterschiede entstehen durch die Interkulturalität der aktuellen Erfahrung?

• Was sind für Sie die drei wichtigsten Merkmale eines gu-ten Teams?

• Welche Erwartungen (implizit oder explizit) stellen Sie an ihr jetziges Team?

• In welchen Situationen fühlen Sie sich verunsichert?

• Können Sie genauer beschreiben, wann es zu solchen Verunsicherungen kommt?

• Wie reagieren Sie spontan auf solche Verunsicherungen?

• Welche Gedanken gehen Ihnen nach der Arbeit manch-mal durch den Kopf?

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• Wie reagieren Sie auf Situationen, in denen Sie mit ihrer „Weisheit“ am Ende sind?

• Was tun Sie in dieser Situation?

• Wo holen Sie sich Unterstützung?

• In welcher Situation konnten Sie eine positive Lösung fin-den?

• Was waren die Erfolgskriterien?

• Wie können Sie diese positiven Parameter für andere Be-reiche nutzbar machen?

5.4 Differenzmanagement

Unter Differenzmanagement sind Fähigkeiten vereint, die da-zu beitragen, dass Personen einen Bezug zwischen den Erfah-rungen im kulturell fremden Umfeld oder mit kulturell frem-den Personen auf der einen und der eigenen Person auf der anderen Seite herstellen können. In diesem Sinne geht es um die Bereitschaft, sich mit der kulturellen Differenz auseinan-derzusetzen und daraus neue Wirklichkeitsmodelle zu kon-struieren. Fähigkeiten, die dabei verstärkt an Wichtigkeit er-langen, sind Offenheit und Toleranz.

5.4.1 Offenheit

Offenheit kann in den verschiedenen Phasen des Kulturkon-taktes unterschiedliche Formen annehmen. Offenheit zeigt sich in der Anfangsphase des Kulturkontaktes häufig im Wunsch nach Anreicherung des kulturspezifischen Wissens über Traditionen und Kulturregeln, die eine unmittelbare Re-levanz für den Aufenthalt in der Gastkultur haben (Steixner 2007:177). Beispiele dafür sind etwa Kleidungsvorschriften, Ernährungsgewohnheiten oder Begrüßungsrituale. Die Of-fenheit gegenüber diesen neuen kulturellen Aspekten hat auch die Dimension der Neugierde, die ein grundlegendes Eingehen auf die neue Situation positiv beeinflusst, jedoch häufig im Laufe des Kulturkontaktes abnimmt. Janet Bennett (Bennett 2005:9) bezeichnet Neugierde als eine der Grundla-gen für interkulturelle Kompetenz, da diese dazu beiträgt, dass Personen versuchen, abseits ihrer etablierten Routinen zu denken und zu funktionieren.

Der Beitrag, den Coaching zum Differenzmanagement leisten kann, ist die bewusste Aufrechterhaltung von Offenheit als eine Grundlage des fruchtbaren Kulturkontaktes. Es ist Teil des menschlichen Verhaltens, Erfahrungen zu strukturieren und zu verorten und bei Wiederkehr der Situation auf Ver-gangenes Bezug zu nehmen. Personen mit langjähriger Aus-

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landserfahrung laufen deshalb Gefahr bereits Erlebtes zu schubladisieren und zu wenig auf die Feinheiten der Situation einzugehen. Grundsätzlich gibt es immer den Impuls, neue Situationen auf bekannte Elemente zu prüfen und bei der Suche nach Lösungen auf den bestehenden Erfahrungsschatz zurückzugreifen. Dieser Prozess hilft der Person einerseits, auch im fremdkulturellen Umfeld handlungsfähig zu bleiben, birgt jedoch andererseits die Gefahr des Rückgriffs auf unpas-sende Erfahrungen. Kulturen sind äußerst komplexe Systeme, die in der Tiefe erst durch intensive Auseinandersetzung ver-standen werden können. Handlungsentscheidungen im ei-genkulturellen Umfeld basieren auf einer breiten Erfahrungs-grundlage, während im interkulturellen Bereich sehr häufig von einer Erfahrung auf das Allgemeine geschlossen wird und die Nuancen der Situation zu wenig beachtet werden.

Im interkulturellen Umfeld kommt es immer wieder zu einem Interpretationsvakuum, das unterschiedliche Reaktionen her-vorrufen kann. Was die einen als spannende Abwechslung erleben, kann für andere große Unsicherheit bewirken und zu Rückzug führen. Fähigkeiten, die die Bereitschaft unterstüt-zen auf fremde und unbekannte Erfahrungen mit Offenheit und Vertrauen zu zugehen, können in diesem Prozess hilf-reich sein und die Anregung und Förderung ist ein integrati-ver Teil des Coaching-Prozesses.

5.4.2 Toleranz

Offenheit steht in engem Zusammenhang mit Toleranz. Die Wortbedeutung geht auf den lateinischen Begriff „tolerare“ zurück und beschreibt die Fähigkeit, etwas zu ertragen oder zu erdulden. Im interkulturellen Setting wird hier auf die Be-reitschaft Bezug genommen, Handlungsweisen, die fremd und daher oft unlogisch oder ineffizient erscheinen, auszuhal-ten und auf diese Weise neue Handlungsmöglichkeiten zu ermöglichen. So banal dieser Anspruch zu sein scheint, so schwierig kann die Umsetzung im interkulturellen Umfeld sein. Ein Beispiel sind divergierende Arbeitsstile, die durch die kulturelle Prägung beeinflusst werden. Während eine Person, die in einer schriftorientierten Kultur aufgewachsen ist, schriftliche Medien wesentlich höher bewertet und selbstver-ständlich in den eigenen Arbeitsstil integriert, kann eine mündlich orientierte Person eine Arbeitsweise wählen, in der Informationen hauptsächlich aus mündlichen Quellen bezo-gen werden. Eine tolerante Annäherung zwischen diesen Per-sonen mit unterschiedlichen Arbeitsstilen kann ermöglichen, dass diese Unterschiede auf der Meta-Ebene zugänglich ge-macht und in der Folge sinnvoll in die Strukturierung von Ar-beitsabläufen integriert werden.

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Die Komplexität des Differenzmanagements im interkulturel-len Umfeld ist an die tiefgehende Auseinandersetzung mit den kulturellen Grundannahmen und Werten gekoppelt, die im Kulturkontakt in extremer Weise stattfindet. Offenheit und Toleranz wird zur besonderen Herausforderung, wenn eigene Wertevorstellungen hinterfragt und aufgerüttelt werden. Dies steht in der interkulturellen Begegnung auf der Tagesord-nung. Der Wert einer gleichberechtigten Teamarbeit kann in einem interkulturellen Team durch die statusorientierte Füh-rungsweise des Vorgesetzten ins Wanken kommen und die eigene Offenheit und Toleranz gefährden. Auf Wissenschaft oder Erfahrung begründete Beurteilungen anderer Führungs-strategien kaschieren nicht selten die eigene Unfähigkeit, fremde Werte zu akzeptieren und mit diesen zu arbeiten. In-terkulturelles Coaching kann in diesem Rahmen Unterstüt-zung bieten, die kulturelle Determination der eigenen Werte zu erkunden bzw. die Geschichte der eigenen Werteentwick-lung mit den aktuellen Erfahrungen zu verbinden. Die Ausei-nandersetzung und Identifizierung der eigenen Werte ist ein zentrales Element des Coaching-Prozesses, auf das immer wieder Bezug genommen werden sollte. Klarheit über die eigenen Werte ermöglicht eine schlüssigere Argumentation der eigenen Verhaltensweisen und ermöglicht die Auseinan-dersetzung auf der Meta-Ebene. Dieser Prozess unterstützt die Persönlichkeitsentwicklung und schafft Wahlmöglichkei-ten für das Individuum und das Team. Dieser Bewusstwer-dungsprozess profitiert von einer berufs- oder erfahrungsbe-gleitenden Vertiefung bzw. kann häufig erst durch interkultu-relles Coaching effektiv ins Rollen gebracht werden. Durch die eigene Involviertheit in die zur Debatte stehende Situation kann von einer emotionalen und sozialen Dynamik ausge-gangen werden, die die Auseinandersetzung im interkulturel-len Coaching bereichert.

Folgende Fragen können im Rahmen des Differenzmanage-ment nützlich sein.

5.4.3 Fragenkatalog: DIFFERENZMANAGEMENT

• Was würden Sie gerne über ihre Teammitglieder erfahren, was Sie zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht wissen?

• Was macht Sie neugierig?

• Was waren die einprägsamsten Erlebnisse innerhalb der interkulturellen Erfahrung?

• Was genau hat Sie an dieser Situation bewegt?

• Wie ändert diese Erfahrung ihre eigene Sicht der Welt?

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• Kennt ihre Offenheit Grenzen?

• Wo liegen diese Grenzen und warum?

• Welche Führungsstrategien nutzen Sie am häufigsten?

• Welche Reaktionen haben Sie beobachtet?

• Wenn Sie Ihren eigenen Führungsstil und den des Direk-tors vergleichen, welche Ähnlichkeiten und Unterschiede erkennen Sie?

• Wie glauben Sie, dass Ihre Teammitglieder Ihren Füh-rungsstil beschreiben würden?

• Auf Basis dieser Reflexion, welche drei Dinge könnten Sie in aktuellen Kontext anders machen?

• Wie würde diese Anpassung aussehen?

• Wie geht es Ihnen mit der Idee der Anpassung?

• Was geben Sie auf?

• Was gewinnen Sie?

• Welche Bedeutung hat das Wort Toleranz in Ihrem tägli-chen Arbeitsleben?

• Wie konkret leben Sie Toleranz?

5.5 Integrationsmanagement

Der dritte Bereich des Fähigkeiten- Katalogs bezieht sich auf die Bereitschaft, die Erfahrung mit kulturell fremden Hand-lungs- und Denkweisen in das eigene Tun einfließen zu las-sen. In diesem Sinne ist dies der Schritt, in dem der eigentli-che Dialog und die interkulturelle Begegnung stattfinden. Personen, die über Fähigkeiten zur Integration verfügen, be-trachten das kulturell Fremde nicht (mehr) als etwas Entfern-tes, Fremdes, sondern nehmen es als Bereicherung und Inspi-ration wahr und gewinnen durch diese Auseinandersetzung die Möglichkeit, ihre eigene kulturelle Identität neu zu kon-struieren.

"The integrated person understands that his or her identity emerges from the act of defining identity itself. This self-reflective loop shows identity to be one act of constructing reality, similar to other acts that together yield concepts and cultures. By being conscious of this dynamic process, people can function in relationship to cultures while staying outside the constraints of a particular one." (Bennett 1993:60)

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5.5.1 Fähigkeiten zur Distanzierung und Relativierung

Die Fähigkeiten zur Distanzierung und Relativierung umfassen Rollen- und Situationsdistanz. Diese soll ermöglichen, dass Denk- oder Handlungsweisen, die spontan Irritationen auslö-sen bzw. so fremd erscheinen, dass sie wenig Relevanz für das eigene Handeln und Denken zu haben scheinen, aus dem Kontext gelöst werden, um die Auseinandersetzung mit dem fremden Denkkonzept auf einer konstruktiven Ebene zu er-möglichen. Auf Basis dieses Prozesses passiert einerseits eine Distanzierung und Relativierung der eigenkulturellen Interpre-tationsmuster, andererseits eine Annäherung an anderskultu-relle Lebensanschauungen als potentielle Ergänzungen des eigenen Verhaltensrepertoirs. Maureen Rabotin bezeichnet diese Fähigkeit als kulturelle Intelligenz, eine wichtige Res-source der interkulturellen Kompetenzentwicklung.

"Once we understand that, we become more aware of our own ethno-related behaviors and can experiment, practice, and choose from an en-larged repertoire of acceptable and adaptable interpersonal skills for an intercultural world." (Rabotin 2009:42)

Die Basis dieser Bereitschaft zum Perspektivenwechsel ist eine kulturelle Reife, die mit Klarheit über eigene Werte und Wer-tigkeiten einhergeht. Es handelt sich um eine spezielle Form kultureller Stabilität, die durch den gelungenen Bewusstwer-dungsprozess eine neue Flexibilität ermöglicht. Die eigene kulturelle Identität steht nicht mehr als diffuse Determination da, sondern wird durch die fortlaufende Auseinandersetzung verständlicher und handhabbar. Die Bewusstheit über die ei-gene kulturelle Prägung und die Implikationen für das eigene Selbstkonzept ist die Basis dieses kulturellen „Mergers“.

5.5.2 Ambiguitätstoleranz

Personen, die bereit sind, die eigene kulturelle Brille gegen eine interkulturelle einzutauschen, verfügen über eine hohe Ambiguitätstoleranz. Ambiguitätstoleranz bezeichnet die Fä-higkeit mit auftauchenden Widersprüchen umzugehen, diese auszuhalten und konstruktiv zu nutzen. Ambiguitätstoleranz ist nicht nur eine Fähigkeit, die im interkulturellen Setup ver-stärkt notwendig wird, sondern in gewissem Sinne wird in der interkulturellen Situation erst die Möglichkeit geschaffen, Ambiguität zu erleben. Die Erfahrung des Anders-Seins, des Nicht-Dazugehörens verstärkt die Erfahrung von Ambiguität. Durch die im Coaching-Prozess hergestellte reflektierende Distanz können die in der Situation enthaltenen Widersprü-che besser aufgearbeitet und die damit verbundenen Emotio-nen aufgegriffen werden. Die Diskussion trägt dazu bei, den vorschnellen und instinktiven Rückgriff auf gewohnte Inter-pretationen zu vermeiden und die Unklarheit einer Situation

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auszuhalten, sowie neue Spielarten zu entdecken und auszu-probieren.

5.5.3 Frustrationstoleranz

Eine weitere Fähigkeit zum positiven Integrationsmanage-ment ist Frustrationstoleranz. Im Gegensatz zur Ambigui-tätstoleranz handelt es sich dabei um den Umgang mit Erfah-rungen, die aktive Frustration mit sich bringen, die nicht zwangsläufig in aktiver Weise ausagiert werden müssen. Frustrationstoleranz umfasst die Fähigkeit, negative Rück-schläge zu verkraften und das positive Lernpotential der Her-ausforderung zu erkennen und zu nutzen. Frustrationstole-ranz bezeichnet auch die Fähigkeit, die eigene Inkompetenz zuzulassen und als Chance wahrzunehmen.

Interkulturelle Erfahrungen beinhalten durch die Konfrontati-on mit neuen, ungewohnten Erfahrungen ein erhöhtes Feh-lerpotential. Strategien in Bezug auf Kommunikation, Füh-rung oder Konfliktlösung, die im eigenen kulturellen Umfeld erprobt wurden und als erfolgreich gespeichert wurden, bil-den auch in der fremdkulturellen Umgebung zunächst die Basis der Auseinandersetzung. Frustrationstoleranz ist hierbei gerade in der Weise von besonderer Bedeutung als dass diese sicherstellt, dass neue Erfahrungen, auch wenn diese nur zum Teil zum Erfolg geführt haben, nicht sofort mit Hilfe von kul-turellen Stereotypen katalogisiert werden. Erst wenn sich die Person der Analyse und Bearbeitung stellt und somit neue Aspekte berücksichtigt, können diese schrittweise in das Er-fahrungsrepertoire integriert werden. Die Bearbeitung im in-terkulturellen Coaching kann den sicheren Rahmen bieten, den Personen brauchen, um Frustrationen uminterpretieren zu können. Personen, die im Chaos der interkulturellen Erfah-rung versinken, entwickeln nicht selten ein Überforderungs-syndrom, das im interkulturellen Umfeld als Kulturschock be-schrieben wird und nicht nur die positive Nutzung der Lerner-fahrung gefährdet, sondern in vielen Fällen die Kooperation auf der beruflichen Ebene erschwert oder unmöglich macht. Externe Begleitung hat das Potential durch Reflexion die Dis-tanzierung von der Situation und Rolle zu erreichen, die ein zielgerichtetes Weiterkommen ermöglicht.

Folgende Fragen sollen die Integration der kulturellen Diffe-renz in das eigene Selbstkonzept anregen und vorantreiben.

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5.5.4 Fragenkatalog: INTEGRATIONSMANAGEMENT

• Sie beschreiben eine Situation in der Ihre Erwartungen an das Team von der Realität abweichen.

• Welche Gefühle kommen als erstes auf, wenn Sie an ihre Teamzusammenarbeit denken?

• Wo unterscheidet sich die Realität von ihren Erwartun-gen?

• Wie gestalten Sie diesen Überschneidungsraum?

• Wer übernimmt die Verantwortung für die Gestaltung des Überschneidungsraums?

• Was würden Ihre lokalen Team- Mitglieder sagen, wenn ich Sie über Ihre Erwartungen befrage?

• Wenn eine Fee Ihnen drei freie Wünsche in Bezug auf Ihre Arbeitssituation zugestehen würde, was würden Sie wäh-len?

• Wie können Sie selbst die Fee sein?

• In welchen Situationen fällt es Ihnen leicht zu akzeptieren, dass andere anders handeln oder denken?

• Was bringt ihnen diese Erfahrung?

• Welche Verhaltensanpassungen nehmen Sie vor?

• Wo sind die Grenzen Ihrer Anpassungsbereitschaft?

• Wie zeigen Sie ihre Grenzen?

• Was passiert, wenn andere ihre Grenzen übertreten?

• Welchen Handlungsspielraum haben Sie?

• Wie nutzen Sie diesen Handlungsspielraum?

6. Zusammenfassung

Interkulturelles Coaching ist eine einzigartige und durchdrin-gende Methode der interkulturellen Kompetenzentwicklung, was als Hauptgrund der Effektivität von Coaching-Maßnahmen genannt werden kann. Durch die Eingebunden-heit in die unmittelbare Berufs- und Lebenserfahrung können Lernprozesse in einer praxisnahen und personenzentrierten Weise angeregt werden. Die Wirkung des Lernprozesses pro-fitiert von der Unmittelbarkeit der Erfahrung und der durch

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die eigene Involviertheit entstehenden emotionalen Beteili-gung, die als Basis der wahren Lernmotivation gilt. Zudem ermöglicht interkulturelles Coaching eine Form der Unterstüt-zung und Begleitung, die dazu beiträgt, dass das Überforde-rungssyndrom des Kulturschocks positiv uminterpretiert und zur Weiterentwicklung der interkulturellen Kompetenz ge-nutzt werden kann. Interkulturelles Coaching kann und sollte nicht zwangsläufig nur in einer „Reinform“ praktiziert wer-den, sondern in einer sehr integrativen Weise in verschiedene Coaching- Bereiche eingebunden werden. Entsprechende Aus- und Weiterbildung ist jedoch absolut notwendig, um die Qualität und Professionalität dieses Anspruches verwirklichen zu können.

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Steixner: „Fine-tuning“ durch interkulturelles Coaching

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1 Das Fallbeispiel ist eine aus verschiedenen Erfahrungen kon-struierte Darstellung, die keine bestimmte Person widerspie-gelt. Jegliche Vergleiche und Vermutungen des Wiedererken-nens sind daher nicht gerechtfertigt.

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Abstract

"Aimed specifically at Western businesses and managers, this book offers a general framework for understanding Chinese business culture."

"You are given practical advice throughout on business etiquette, and how to incorporate Chinese expectations to achieve your goals."

These are common samples of advertising texts of publica-tions which promise to give intercultural advice for German businesspeople who are going on a business trip to China. The authors of those publications, which predominantly stress their extensive experience on the Chinese market, intend to describe China and Chinese culture with special emphasis on business interactions in a straightforward and practice-oriented manner. But how do these descriptions by self-proclaimed China-experts look like in detail? Do they really help to bridge cultural differences, or is it just another exam-ple of recycling dominant images of China which are mainly characterized by a lack of differentiation?

This paper gives a brief overview of the analysis on the way China is presented in intercultural advice literature from 1972 to 2008 with a special focus on 2004 to 2008. It contains the first comprehensive list of intercultural advice books on the German book market from 1972 to 2008 and tries to outline a number of criteria for a first sound classification and evalua-tion of those publications.

1. Einleitung

"Mit diesem Managementbuch kann jeder, der im Reich der Mitte Geschäf-te machen will, von Expertenwissen profitieren." (Seelmann-Holzmann 2006:Klappentext)

"Welche Dos und Don‘ts Sie kennen müssen, was chinesische Partner als korrekten Umgang empfinden und welchen Eindruck Ihr Verhalten auf Chinesen macht." (Jing 2006:Klappentext)

"Nur wer die Kunst beherrscht, mit Chinesen geschickt zu verhandeln, wird im China-Geschäft erfolgreich sein. Dieser äußerst nützliche Ratgeber ver-mittelt das nötige Know-how dazu." (Vermeer 2007:Klappentext)

In etwa so lesen sich viele Werbetexte für Bücher, die inter-kulturelle Hilfestellung für einen bevorstehenden geschäftli-chen Chinaaufenthalt versprechen. Im Zuge sich stetig inten-sivierender Wirtschaftsbeziehungen zwischen Deutschland und China – aber nach wie vor erheblichen interkulturellen Problemen in der Zusammenarbeit (vgl. etwa Shi 2003, Witt-kop 2006, Niedermeyer 2001) – finden sich in den letzten Jahren immer mehr Publikationen im deutschen Buchhandel, die mit Titeln wie 30 Minuten für mehr Chinakompetenz (Jing

China-Knigge für deutsche Geschäfts-leute? Die Darstellung Chinas in interkultureller Ratgeberliteratur

Michael Poerner

Doktorand und wissenschaftli-cher Mitarbeiter am Arbeitsbe-reich Chinesische Sprache und Kultur am Fachbereich Translati-ons-, Sprach- und Kulturwissen-schaft der Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Poerner: China-Knigge für deutsche Geschäftsleute? Die Darstellung Chinas in interkultureller Ratgeberliteratur

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2006), Business Know-how China (Sieren 2007) oder Was Sie wissen müssen, um mit Chinesen erfolgreich Geschäfte zu machen (Vermeer 2007) versuchen, die Aufmerksamkeit po-tenzieller Leser auf sich zu lenken. Diese potenzielle Le-serschaft besteht in erster Linie aus deutschen Geschäftsleu-ten, denen das "Mysterium China" kompakt, verständlich und praxisorientiert erläutert und möglichst erfolgverspre-chende Handlungsempfehlungen gegeben werden sollen. Wie aber sehen diese Empfehlungen der "Chinaexperten" im Detail aus? Handelt es sich dabei tatsächlich um fachlich fun-dierte Darstellungen oder orientiert sich die Beschreibung Chinas vielmehr an den üblichen, im Laufe der Geschichte tradierten Wahrnehmungsmustern, die im Wesentlichen ge-kennzeichnet sind von einem Mangel an Differenzierung?

In diesem Beitrag wird erstmals der Versuch unternommen, alle deutschsprachigen interkulturellen Ratgeber zu China, die im Zeitraum von 1972 bis 2008 auf dem deutschen Buch-markt erschienen sind, zu erfassen und einer inhaltlichen Analyse zu unterziehen. Der Schwerpunkt liegt dabei auf dem Zeitraum 2004 bis 2008. Die zentrale Fragestellung besteht unter anderem darin, inwieweit diese Publikationen dem aus-formulierten Anspruch, die nötige "China-Kompetenz" für einen geschäftlichen Auslandsaufenthalt zu vermitteln, ge-recht werden bzw. inwieweit diese bei der Beschreibung kul-tureller Unterschiede dominierenden Chinabildern in Deutsch-land verhaftet sind. Die Untersuchung versteht sich dabei als ein erster Versuch, in einem nicht nur für die deutsche Chi-nawissenschaft allgemein, sondern insbesondere auch für Studierende äußerst interessanten Bereich eine erste Mo-mentaufnahme vorzunehmen, und zeichnet eine erste kon-zeptionelle Möglichkeit der Einordnung und Bewertung inter-kultureller Ratgeberliteratur zu China vor.1

Die Vorgehensweise gestaltet sich wie folgt. Zunächst werden Charakteristika allgemeiner und interkultureller Ratgeberlite-ratur näher bestimmt. Darauf folgt die Darstellung der Publi-kationszahlen auf dem deutschen Buchmarkt für den Zeit-raum 1972 bis 2008 und ein erster Versuch, die im Zeitraum 2004 bis 2008 erschienenen Ratgeber mit Hilfe zweier Kate-gorien voneinander abzugrenzen und verschiedenen Merk-malsgruppen zuzuordnen. Im Anschluss daran werden Prob-lemfelder, die sich unmittelbar aus der Beschäftigung mit die-sen Publikationen ergeben, kurz umrissen und auszugsweise anhand exemplarischer Textbeispiele vorgestellt. Im Fazit werden die wesentlichen Ergebnisse nochmals zu-sammengefasst.

Poerner: China-Knigge für deutsche Geschäftsleute? Die Darstellung Chinas in interkultureller Ratgeberliteratur

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2. Allgemeine und interkulturelle Ratgeberliteratur

Gegenstand der allgemeinen Ratgeberliteratur sind Aporien des Alltags. Aporien sind in diesem Zusammenhang als Situa-tionen zu verstehen, in denen bewährte Muster der Alltags-bewältigung nicht die antizipierten Ergebnisse zur Folge ha-ben und damit eine gewisse Verhaltensunsicherheit bzw. Rat-losigkeit entsteht, die wiederum in eine verstärkte Nachfrage nach externer Orientierungshilfe und Beratung mündet. Rat-geberliteratur richtet sich nicht an ein Fachpublikum, sondern an eine breite Zielgruppe potenziell interessierter Leser in der Bevölkerung. Publikationen dieser Art sind daher populärwis-senschaftlicher Natur, in allgemeinverständlicher Sprache ver-fasst und dem Selbstverständnis nach in erster Linie praxis- bzw. problemorientiert. Für eine Beschäftigung mit diesen Publikationen spricht aus kulturwissenschaftlicher Perspektive nicht nur deren enorme thematische Vielfalt (Gesundheit, Er-nährung, Psychologie, Rhetorik etc.), sondern vor allem auch deren erstaunlicher ökonomischer Erfolg: Seit 1996 bildet Ratgeberliteratur das zweitgrößte Segment auf dem deut-schen Buchmarkt nach der Belletristik (Heimerdinger 2008).

Interkulturelle Ratgeber sind eine Sonderform der allgemei-nen Ratgeberliteratur und richten sich vornehmlich an in der Wirtschaft tätige Personenkreise, die sich auf einen geschäft-lichen Auslandsaufenthalt interkulturell vorbereiten möchten. Gegenstand dieser Publikationen ist die Problematik der kul-turellen Distanz in Interaktionssituationen zwischen Personen aus verschiedenen Nationalkulturen. Kennzeichnend für diese Situationen ist, dass je nach Ausprägung der kulturellen Un-terschiede spezifische Verhaltensweisen, die sich in der Aus-gangskultur bewährt und als gültig erwiesen haben, ihre Wirksamkeit in einer bestimmten kulturellen Überschnei-dungssituation verlieren. Es folgt eine Konfrontation mit unerwarteten Reaktionen, die sich auf der Grundlage des je-weiligen ausgangskulturellen Selbstverständnisses nur schwer erschließen lassen. Interkulturelle Ratgeber versprechen vor diesem Hintergrund interkulturelle Hilfestellung in Form von leicht verständlichen Beschreibungen und Erklärungen. Sie fungieren damit als Vermittler und Interpreten zwischen kul-turell Eigenem und Fremdem. Da darüber hinaus für spezifi-sche Interaktionssituationen (erstes Treffen, Geschäftsessen, Verhandlungssituation etc.) erfolgversprechende Handlungs-empfehlungen ausgesprochen werden – also gewissermaßen für bestimmte Interaktionssituationen als "korrekt" aufge-fasstes Verhalten empfohlen wird – stellen interkulturelle Ratgeber zudem eine Sonderform der Anstandsbücher dar, deren Anfang das im Jahr 1788 veröffentlichte Über den Umgang mit dem Menschen von Adolf Knigge markiert (Zillig 2002).

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3. Publikationszahlen

Das Ziel der Recherche bestand darin, alle deutschsprachigen interkulturellen Ratgeber zu erfassen, die seit der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der VR China von 1972 bis in das Jahr 2008 auf dem deutschen Buchmarkt erschienen sind. Die Grundla-ge dafür bildeten vor allem der Bibliothekskatalog der Deut-schen Nationalbibliothek sowie eigenständige Recherchen im Verzeichnis lieferbarer Bücher des deutschen Buchhandels.2 Die Kriterien für die Auswahl entsprechender Publikationen leiten sich unmittelbar aus den genannten Charakteristika allgemeiner und interkultureller Ratgeberliteratur ab. Um den Bezug zum deutschen Sprachraum zu gewährleisten, wurden keine englischsprachigen Buchtitel bzw. Übersetzungen ins Deutsche berücksichtigt. Andere Publikationsformen als Bü-cher, etwa Hörbücher, wurden ebenfalls nicht in die Ergebnis-liste aufgenommen.3

Das Resultat der Recherche beläuft sich, einschließlich aller aktualisierten Auflagen, auf insgesamt 58 Publikationen. In den 1970er Jahren konnten keine Buchtitel gefunden wer-den. Für die 1980er Jahre wurde eine Publikation im Jahr 1986 ermittelt, in den 1990er Jahren beträgt deren Zahl 15, auf den Zeitraum 2000 bis 2007 entfallen insgesamt 43. Von diesen 43 wurden 34 Buchtitel seit 2004 publiziert, was die Aktualität der Thematik deutlich unterstreicht. Die Ergebnisse sind in nachfolgender Abbildung graphisch dargestellt. Eine Auflistung aller recherchierten Ratgeber findet sich im An-hang dieses Beitrags. Die Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

Abb. 1: Anzahl jährlich publizierter interkultureller Ratgeber für den Zeit-

raum 1986 bis 2008. Vor 1986 konnten keine Ratgeber ermittelt werden.

Die insgesamt 34 Publikationen aus dem Zeitraum 2004 bis 2008 lassen sich mit Hilfe zweier recht grober Kategorien in vier Merkmalsgruppen einordnen. Das erste Kriterium besteht

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in der thematischen Schwerpunktlegung und das zweite in der Darstellungsweise der Thematik.

In Bezug auf die jeweilige thematische Schwerpunktlegung lassen sich drei verschiedene Ratgeber identifizieren. Etwa die Hälfte der Publikationen legt den Schwerpunkt auf die Dar-stellung grundlegender kultureller Unterschiede zwischen China und Deutschland. Die sich daraus ergebenden unter-schiedlichen Verhaltensweisen werden anhand allgemeiner oder geschäftlicher Interaktionssituationen verdeutlicht und entsprechende Handlungsempfehlungen ausgesprochen. In einer ebenso großen Anzahl von Publikationen macht dieser Bereich hingegen nur einen Teil der Darstellung aus. Der Schwerpunkt wird hier auf den Themenbereich Wirtschaft ge-legt, der je nach Publikation unterschiedlich weit gefasst sein kann. Er reicht von allgemeinen Informationen zum Wirt-schaftsgeschehen, bis hin zu anwendungsorientierten Rat-schlägen für deutsche Unternehmer, die in der VR China be-reits vor Ort geschäftlich tätig sind bzw. tätig werden möch-ten. In diesem Bereich ist im Jahr 2007 eine neue Ratgeber-form hinzugekommen, die nicht nur den Schwerpunkt auf den Themenbereich Wirtschaft legt, sondern darüber hinaus auch touristische Informationen zu einzelnen Städten beinhal-tet und damit Züge eines Reiseführers trägt.

Bei der Darstellungsweise der Thematik lassen sich zwei ver-schiedene Ansätze unterscheiden. Im größten Teil der Litera-tur werden meist über Darstellungen zur Geschichte und Kul-tur Chinas bestimmte chinesische Verhaltenskennzeichen er-läutert und entsprechende Handlungsempfehlungen ausgesp-rochen. Alle drei im vorherigen Absatz genannten Ratgeber-formen folgen im Wesentlichen diesem Ansatz. Die Ausnah-me bildet eine kleine Anzahl von Publikationen, in denen der Schwerpunkt auf den Themenbereich Wirtschaft gelegt wird. In diesen Ratgebern werden individuelle Erfahrungsberichte deutscher Geschäftsleute in der VR China in den Mittelpunkt gestellt, die den Leser für bestimmte Problemsituationen und chinesische Besonderheiten sensibilisieren sollen. Darauf fol-gen entsprechende Handlungsempfehlungen, die meist mit Erläuterungen zur chinesischen Geschichte und Kultur ver-bunden sind.

Unter den insgesamt 34 Ratgebern lassen sich nach dieser Einordnung 15 Titel identifizieren, die sich weitestgehend auf den Themenbereich der interkulturellen Kommunikation be-schränken. Alle sechs im Jahr 2008 erschienen Buchtitel las-sen sich dieser Kategorie zuordnen.4 In ebenfalls insgesamt 15 Publikationen liegt der Schwerpunkt auf Wirtschaftsthe-men. Fünf der insgesamt sechs im Jahr 2007 erschienen Rat-geber fallen in diese Kategorie.5 Eine Publikation beinhaltet darüber hinaus auch touristische Informationen und trägt Zü-

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ge eines Reiseführers.6 Insgesamt drei Publikationen stellen Erfahrungsberichte deutscher Geschäftsleute in der VR China in den Mittelpunkt.7 Die Ergebnisse sind in nachfolgender Abbildung graphisch dargestellt.

Abb. 2: Verschiedene Formen interkultureller Ratgeber für den Zeitraum

2004 bis 2008

4. Problemfelder

Unabhängig von der jeweiligen inhaltlichen Schwerpunktset-zung bzw. Darstellungsweise ist allen Publikationen im Zeit-raum 2004 bis 2008 gemeinsam, dass sie den jeweiligen Ver-lagen zufolge von ausgewiesenen Experten verfasst wurden, die sowohl über umfangreiche praktische Erfahrung als auch über fundierte Sachkenntnis verfügen. Tatsächlich ist aller-dings eine erheblich Diskrepanz zwischen der postulierten "Chinakompetenz" einzelner Autoren und der inhaltlichen Gestaltung der jeweiligen Ratgeber auszumachen.

Grundsätzlich zu hinterfragen ist zunächst die Implikation so genannter "langjähriger praktischer Chinaerfahrung" als ein entscheidendes Qualitätsmerkmal für diese Publikationen. Entgegen der weit verbreiteten Annahme, längerfristige Aus-landsaufenthalte führten gewissermaßen automatisch zu ei-ner ausgeprägten zielkulturellen Expertise, zeigt sich gerade bei Personengruppen, die sich über einen längeren Zeitraum in der Zielkultur aufhalten, die Tendenz, persönliche Beobach-tungen und Erfahrungen "(…) auf einem relativ hohen Ab-straktionsniveau in Form typischer und charakteristischer all-gemeiner Merkmale und Eigenschaften zu kategorisieren" (Thomas 2005:103). Diese Kategorisierungen orientieren sich meist an dominierenden Wahrnehmungsmustern der Aus-gangskultur (vgl. etwa Diekmann 2007:47-60). Im Falle der untersuchten Ratgeber sind dabei eindeutige Parallelen zu historischen und gegenwärtigen Chinabildern zu erkennen (vgl. Poerner 2009a:51-71). Dies scheint umso mehr der Fall zu sein, wenn davon auszugehen ist, dass die Autoren über keine oder nur geringe Chinesisch-Kenntnisse verfügen.

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Vor diesem Hintergrund ist bemerkenswert, dass in vielen Publikationen eine Reflexion der eigenkulturellen Prägung im Sinne einer Auseinandersetzung mit dominierenden Fremd-wahrnehmungsmustern in der Ausgangskultur (Chinabilder) weder thematisiert noch als grundlegendes Problem erkannt wird. Analog dazu stellt sich auch die Situation in Bezug auf die Darstellung dominierender Wahrnehmungsmuster in der Zielkultur dar (Deutschlandbilder). Wenn überhaupt be-schränken sich entsprechende Erläuterungen meist auf holz-schnittartige Anekdoten in Bezug auf die Popularität deut-scher Qualitätsarbeit in China.8

Was die Beschreibung kultureller Unterschiede zwischen Deutschland und China angeht, sind für die untersuchten Publikationen fast ausschließlich entweder die Anwendung makroanalytischer Ansätze von Edward T. Hall, Geert Hofste-de und Fons Trompenaars oder mikroanalytischer Versuche im Rahmen der Kulturstandardforschung von Alexander Thomas kennzeichnend (zu diesen Ansätzen vgl. etwa Wong 2005, Stening / Zhang 2007, Fang 2003, Bolten 2003, Rathje 2003, Haas 2007).9 Es zeigt sich dabei ein recht uneinheitli-ches Bild. Es reicht von Ratgebern, in denen meist eine glei-chermaßen intensive und unreflektierte Beschäftigung mit diesen Ansätzen zu erkennen ist, bis hin zu Publikationen, in denen deren Ergebnisse inhaltlich falsch wiedergegeben wer-den bzw. deren Aussagefähigkeit als irrelevant abqualifiziert wird. Es versteht sich daher fast von selbst, dass nahezu aus-nahmslos auf der Basis eines nationalstaatlichen Kulturbe-griffs argumentiert und folglich auf eine Binnendifferenzie-rung verzichtet wird. Damit wird ignoriert, dass es innerhalb eines Landes beträchtliche Unterschiede, etwa zwischen ver-schiedenen Regionalkulturen, geben kann. Dies trifft in An-betracht der geographischen Größe und inneren Vielfalt in besonderem Maße auch auf die VR China zu.10

Was die postulierte Sachkenntnis der Autoren angeht, zeigen sich deutliche qualitative Abstufung zwischen Autoren mit chinawissenschaftlichem Hintergrund, und solchen, die sich primär auf Praxiserfahrungen berufen. Dies scheint auch für Autoren aus der Zielkultur zu gelten, die auf langjährige Er-fahrung in der Ausgangskultur verweisen können. Neben vie-len kompakten und auf die Bedürfnisse der Zielgruppe abge-stimmten Erläuterungen – etwa zu den Themen Geschichte, Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, chinesische Sprache und Schrift –, führt dies in manchen Ratgebern zu wenig durch-dachten Darstellungen, die streckenweise verwirrend oder sogar fachlich nicht richtig sind.11

Die Schlüsselfunktion chinesischer Sprachkenntnisse für ein tiefergehendes Verständnis und eine erfolgreiche Zusammen-arbeit wird in den untersuchten Ratgebern unterschiedlich

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beurteilt. Maßgeblich scheint dabei zu sein, ob die Autoren selbst über Chinesisch-Kenntnisse verfügen oder nicht. Im letzten Fall wird das Thema entweder ausgelassen oder die Notwendigkeit des Spracherwerbs ignoriert.12 Analog zu den nur in den wenigsten Ratgebern enthaltenen Erläuterungen in Bezug auf die Rolle professioneller Translatoren (Überset-zer/Dolmetscher) ist auch hier in vielen Ratgebern ein deutli-cher Mangel an Zielgruppenorientierung erkennbar.13 So wurde etwa in Untersuchungen zu interkulturellen Problemen deutscher Führungskräfte in der VR China deutlich, dass grundlegende Sprachkenntnisse, noch vor Kenntnissen zu Geschichte und Kultur Chinas, als unbedingt notwendig erachtet werden (Wittkop 2006).

5. Textbeispiele

Nachfolgend werden drei der genannten Problemfelder (Be-schreibung kultureller Unterschiede, Schlüsselfunktion chine-sischer Sprachkenntnisse, Rolle professioneller Sprachmittler) anhand von exemplarischen Textbeispielen aus den unter-suchten Ratgebern vorgestellt und kommentiert.

5.1 Beschreibung kultureller Unterschiede

Zunächst ein Beispiel dafür, wie etwa kulturelle Unterschiede im äußeren Erscheinungsbild zwischen deutschen und chine-sischen Geschäftsleuten am Beispiel des jeweiligen Kleidungs-stils beschrieben werden.

"Der Bauern-Typ […] ist […] Multimillionär, […] aber er läuft noch immer im alten ausgebeulten Anzug und in Plastikschuhen herum […]. So taucht er auch beim Porsche-Händler mit zwei Plastiksäcken voller Geld auf […]. Der Louis-Vuitton-Prada-Boss-Typ möchte zeigen, dass er es geschafft hat, und deswegen trägt er mehrere Lagen teuerster westlicher Designer-Kleidung. […] Er wird mit Sicherheit BMW oder Porsche Cayenne fahren […]. Wundern Sie sich nicht, […] wenn er zwei Uhren gleichzeitig trägt. […] Der internationale Geschäftsmann hat womöglich in den USA studiert und ist deshalb mit den internationalen Dresscodes vertraut." (Sieren 2007:86-87)

Die Darstellung schließt mit dem Hinweis, dass noch kein Ge-schäft in China an der Kleidung gescheitert sei. Empfohlen wird "normale" Geschäftskleidung in Form eines Anzuges mit Krawatte.14 Die Kategorisierung nach diesem Muster of-fenbart eine Schwäche, die in vielen Ratgebern erkennbar ist. Zwar werden einerseits durchaus hilfreiche Hinweise in Bezug auf den ersten Kontakt mit chinesischen Geschäftsleuten ge-geben. Andererseits bilden vermutlich einzelne Erfahrungen der Autoren die Grundlage für eine stark verallgemeinernde und abwertend ironische Beschreibung "chinesischer Typen". Die Beschreibungen orientieren sich dabei an Vorstellungen von China, die sich im Laufe der Geschichte in Europa und

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Deutschland herausgebildet haben und auch heute noch die wesentliche Grundlage bei der Auseinandersetzung mit China in der breiten Öffentlichkeit darstellen (vgl. Poerner 2009a:51-63, Poerner 2009b). Wohlhabende chinesische Ge-schäftsleute in Form zurückgebliebener Bauern bzw. ge-schmackloser Imitatoren westlichen Lebensstils vermitteln das Bild eines rückständigen China, dass im Grunde nichts ande-res anstrebt, als dem "Westen" nachzueifern, dabei aller-dings nicht ganz ernst genommen werden kann. Deutsche Geschäftsleute werden auf diese Weise in Abgrenzung zu skurrilen chinesischen aufgewertet. Dies wird auch dadurch deutlich, dass bei der Beschreibung des "internationalen Ge-schäftsmannes", der sich "westlichen" Konventionen ent-sprechend kleidet, keine pejorative Beschreibung vorgenom-men wird.

Nachfolgend ein weiteres Textbeispiel, in diesem Fall zu Be-schreibungen kultureller Unterschiede im Verhalten zwischen deutschen und chinesischen Geschäftsleuten am Beispiel der Verhandlungssituation.

"Ob im Westen oder in China, niemand möchte gerne "das Gesicht verlie-ren", also bloßgestellt werden. […] In der chinesischen Tradition kann man im Übrigen sein Gesicht nur unter Freunden, nicht aber gegenüber Auslän-dern verlieren. Geschickte Chinesen verhandeln von Beginn an unter dem Mythos des Gesichtverlierens und locken westliche Geschäftsleute in die Irre […]." (Sieren 2007:94)

Da man in China gegenüber Ausländern sein Gesicht ohnehin nicht verlieren könne, sollten sich deutsche Geschäftsleute nicht unnötig mit solchen Fragen auseinandersetzen und sich von "listigen" Chinesen nicht in die Irre führen lassen.

Dieses Textbeispiel steht exemplarisch für Beschreibungen kultureller Unterschiede, die einen Mangel an Sachkenntnis und Zielgruppenorientierung aufweisen. Zum einen wird dem in der Kulturstandardforschung ermittelten deutsch-chine-sischen Kulturstandard Gesicht geben – Gesicht nehmen eine Absage erteilt, ohne dass im weiteren Verlauf des Ratgebers deutlich wird, auf welcher Grundlage dieses Postulat ge-troffen wurde (vgl. Liang / Kammhuber 2007). Zum anderen geht diese "Empfehlung" einher mit einem weiteren äußerst populären Chinabild: Die Vorstellung von undurchschaubaren und ausgekochten Geschäftsleuten, die wahre Interessen verbergen und westliche Geschäftspartner bewusst hinterge-hen bzw. in die Irre führen.

5.2 Relevanz von Chinesischkenntnissen

Wie bereits erwähnt, hält sich die Einsicht in die Notwendig-keit zumindest elementarer Fremdsprachenkenntnisse in vie-len der untersuchten Ratgeber in engen Grenzen.

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"Was die chinesische Sprache angeht, sollten sich Unternehmer fragen: Wollen wir Geld verdienen oder Chinesisch lernen? […] Da nirgendwo so sehr der Ton die Musik macht wie in der chinesischen Sprache, sehen sich linguistische Anfänger häufig unverstanden. Die acht Hauptdialekte können selbst Chinesen nicht einwandfrei unterscheiden […]." Himmelmann / Hungerbach (2005:159)

Von dem Erwerb "einer Fremdsprache, die fremder kaum sein kann" (Ebd.) wird also deutlich abgeraten. Deutsche Ge-schäftsleute sollten Prioritäten setzen und sich nicht von zweitrangigen Fragestellungen vom Weg abbringen lassen. Zudem sei Chinesisch so kompliziert, dass selbst Chinesen untereinander Schwierigkeiten hätten, sich zu verständigen. Abgesehen von der Bemerkung, dass "der Ton die Musik ma-che", wird in der gesamten Publikation auf weiterführende Hintergrundinformationen zur chinesischen Sprache ebenso verzichtet, wie auf Erläuterungen zur Schriftsprache und Um-schrift.

Auf der Grundlage populärer Vorstellungen vom Chinesi-schen als eine exotische und im Grunde unerlernbare Spra-che, stehen Beschreibungen wie diese repräsentativ für die weit verbreitete Überschätzung des Englischen als Lingua franca bei gleichzeitiger Unterschätzung der Schlüsselfunkti-on landessprachlicher Kenntnisse in China (vgl. Kupfer 2003, Glaser 2005). Das ist insofern nur schwer mit der ausformu-lierten Zielsetzung der Publikationen in Einklang zu bringen, da in Untersuchungen zu interkulturellen Problemen nach China entsandter deutscher Führungskräfte – wie bereits er-wähnt – die Bedeutung grundlegender Chinesischkenntnisse hervorgehoben wird (Wittkop 2006). Da zudem Grund-kenntnisse im gesprochenen Chinesisch in kurzer Zeit erwor-ben werden können, wäre der Erwerb im Rahmen einer Vor-bereitung auf einen Chinaaufenthalt entgegen landläufiger Einschätzungen durchaus möglich (Kupfer 2003).

5.3 Funktion professioneller Translatoren (Überset-zer/Dolmetscher)

Die zentrale Rolle, die professionelle Translatoren, also Über-setzer und Dolmetscher, in der Interaktion zwischen Men-schen aus verschiedenen Nationalkulturen einnehmen, wird nach wie vor unterschätzt bzw. nicht wahrgenommen. Dies spiegelt sich auch in den untersuchten Ratgebern wider. In der großen Mehrzahl der Publikationen findet eine Auseinan-dersetzung mit dieser Frage nicht statt. Nachfolgend ein Bei-spiel aus einem Ratgeber, der vorgibt sich mit der Funktion von Dolmetschern zu beschäftigen.

"Er ist ihr Papagei, der auf der Schulter seines Herrn sitzt und nah an des-sen Kopf und Mund sein muss. Er hat, außer dass er hoffentlich ein guter Übersetzer in beide Richtungen ist, den großen Vorteil, dass er seinem

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Herrn Zeit verschafft, während der Übersetzung die nächsten Worte auf die Goldwaage zu legen." (Himmelmann / Hungerbach (2005:160)

Die Rolle eines Dolmetschers besteht also darin, als "Papagei" seinem "Herren" als Sprachrohr zu dienen. Als guter "Über-setzer" in beide Richtungen verschaffe er seinem "Herren" zudem etwas Zeit, sich gezielt auszudrücken. Die Ausführun-gen zu diesem Themenbereich beschränken sich auf diese wenigen Zeilen.

Repräsentativ für viele Publikationen zeigt sich in diesem Textbeispiel, dass fundierte Kenntnisse in diesem Bereich nur bruchstückhaft bis gar nicht vorhanden sind. Weder scheint der Unterschied zwischen Übersetzen und Dolmetschen be-kannt zu sein, noch scheint ein wesentlicher Unterschied zwi-schen translatorischen Fähigkeiten und fremdsprachlichen Kenntnissen zu bestehen. Auf der Grundlage weit verbreite-ter anachronistischer Vorstellungen von Translation wird die schriftliche bzw. mündliche Übertragung von Informationen aus einer Sprache (und Kultur?) in eine andere als ein einfa-cher (und wörtlicher!) Dekodierungsvorgang dargestellt. Es wird damit nicht berücksichtigt, dass die Arbeit von Translato-ren wesentlich komplexer ist als allgemein angenommen, da neben vielen anderen Faktoren vor allem auch interkulturelle Fragestellungen eine entscheidende Rolle spielen (vgl. etwa Hornby et al. 2003, Snell-Hornby 2006, Bachmann-Medick 2007:238-283, Renn / Shimada / Straub 2002).

Bezogen auf die Zielgruppe der Publikationen wird damit übersehen, dass bei einem geschäftlichen Aufenthalt in der VR China in Verbindung mit nicht vorhandenen Chinesisch-Kenntnissen – was in der Regel der Fall sein dürfte – der je-weilige Dolmetscher meist die einzige Verbindungsperson zur Außenwelt darstellt. Dies gilt nicht nur für die eigentliche Interaktion mit dem Geschäftspartner (Verhandlung, Ge-schäftsessen etc.), sondern für den gesamten Zeitraum des Aufenthaltes in der Zielkultur. Angesichts dessen wären ent-sprechende Erläuterungen, etwa in Bezug auf Zusammenar-beit, Kommunikationsverhalten, Rekrutierung und Entloh-nung, sicher sinnvoll. Bis auf wenige Ausnahmen ist dies in der großen Mehrzahl der Ratgeber allerdings nicht der Fall.15

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6. Fazit

Zusammenfassend muss festgestellt werden, dass eine größe-re Zahl interkultureller Ratgeber im deutschen Buchhandel nicht gleichbedeutend ist mit einer gestiegenen Anzahl fun-dierter Darstellungen, die der ausformulierten Zielsetzung ge-recht werden. Für die tatsächliche Qualität einer Publikation sind nicht nur entsprechende Erfahrungen und fundierte chi-nawissenschaftliche Kenntnisse der Autoren von zentraler Bedeutung, sondern insbesondere auch Fachwissen aus dem Bereich der interkulturellen Kommunikation sowie chinesische Sprachkenntnisse.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage nach der Rolle der deutschen Chinawissenschaft, deren Kernkompetenz er-klärtermaßen u. a. in der interkulturellen Vermittlung zwi-schen Deutschland und China besteht (vgl. Liang 2008, Leut-ner 1998, Pohl 1999, Vötter 2007). Tatsächlich hält sich ge-genwärtig die theoretische und anwendungsorientierte Aus-einandersetzung mit kulturellen Unterschieden zwischen Chi-na und Deutschland an der Schnittstelle zwischen Sinologie und interkultureller Kommunikation allerdings in engen Grenzen. Lehrveranstaltungen, in denen Möglichkeiten und Grenzen bei der Beschreibung distanter Kulturen fachlich fundiert thematisiert und reflektiert werden, sind nicht weit verbreitet. Es bleibt daher zu hoffen, dass die Beschäftigung mit diesem Themenbereich zunimmt, zumal sich gegenwärtig im Zuge der flächendeckenden Umstellung auf B.A.- und M.A.-Studiengänge und der damit einhergehenden Modulari-sierung des Lehrangebots eine gute Gelegenheit bietet, den Anforderungen an ein praxisorientiertes Ausbildungsprofil stärker gerecht zu werden. Dies gilt umso mehr, als dass auch in der Sinologie über die scheinbare Dichotomie zwischen "bedeutungslose(n) 'Glasperlenspiele(n)'" und "praktischen Interessen verpflichteten Nützlichkeitsinteressen" (Straub 2007:229) hinaus eine wissenschaftliche Beschäftigung mit gesellschaftlich relevanten Problemstellungen nicht nur mög-lich, sondern unter Umständen auch dringend nötig ist (Straub 2007, List 2004, Hansen 2003:369-373).

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Zinzius, Birgit (2007): China-Handbuch für Manager. Kultur, Verhalten und Arbeiten im Reich der Mitte. Berlin: Springer.

Zürl, Karl-Heinz (1999): Erfolgreich in China. Ein Reisebuch für Manager. Berlin: Springer.

Zürl, Karl-Heinz (2006): Managerwissen kompakt China. München: Hanser.

Zürl, Karl-Heinz / Huang, Jinmei (2002): Wirtschaftshandbuch China. Mün-chen: Oldenbourg.

1 Der Beitrag basiert im Wesentlichen auf der Diplomarbeit Business-Knigge China – Die Darstellung Chinas in interkultu-reller Ratgeberliteratur, die in der Reihe "Publikationen des Fachbereichs Angewandte Sprach- und Kulturwissenschaft (FASK) der Johannes Gutenberg-Universität Mainz" bei Peter Lang auch in Buchform erschienen ist (Poerner 2009a). 2 Die Deutsche Nationalbibliothek ist die zentrale Archivbiblio-thek der Bundesrepublik Deutschland und hat per Gesetz die Aufgabe, alle deutschen und deutschsprachigen Publika-tionen zu sammeln, zu archivieren, zu dokumentieren, bib-liographisch zu verzeichnen und der Öffentlichkeit zur Verfü-gung zu stellen. Siehe dazu das Bundesgesetzblatt 2006 Teil 1 Nr. 29 (ausgegeben in Bonn, 26.06.2006), das auf der Internetseite der Bibliothek abrufbar ist: http://www.d-db.de/wir/pdf/dnbg.pdf [Zugriff am 30.01.2009]. 3 Ein Beispiel hierfür ist etwa das im Jahr 2007 im Trivero Ver-lag in München erschienene Hörbuch Business Knigge China von Eggolf von Lerchenfeld und Thomas Holzapfel. 4 Blöscher 2008, Diekmann / Fang 2008, Huang / Retzbach 2008, Lott 2008, Pohl 2008, Roth 2008, Chen 2006, Jing 2006, Kuan / Häring-Kuan 2006, Lin-Huber 2006, Woesler 2004a, Woesler 2004b, Pohl 2004, Chen 2004, Strittmatter 2004.

Poerner: China-Knigge für deutsche Geschäftsleute? Die Darstellung Chinas in interkultureller Ratgeberliteratur

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5 Kotte / Li 2007, Reisach / Tauber / Yuan 2007, Rommel 2007, Vermeer 2007, Zinzius 2007, Lee 2006, Senger 2006, Wind 2006, Woesler 2006, Zinzius 2006, Zürl 2006, Hacken-schmidt / Auer / Herrenkirchen / Utermann 2005, Lee 2004, Senger 2004, Woesler 2004c. 6 Sieren 2007 7 Seelmann-Holzmann 2006, Himmelmann / Hungerbach 2005, Thomas / Schenk 2005. 8 Ausnahmen sind etwa die beiden Ratgeber China für An-fänger und China.de. Vgl. Pohl (2008:7-40) und Vermeer (2007:13-22). Ein paradigmatisches Beispiel für die Wirksam-keit von dominierenden Fremdheitsprofilen in der Ausgangs-kultur war beispielsweise die Chinaberichterstattung in deut-schen Printmedien während der Olympischen Sommerspiele 2008 in Peking. Vgl. Poerner 2009b. 9 Eine Ausnahme ist etwa der Ratgeber China für Anfänger, in dem versucht wird, über eine kulturhistorische Analyse domi-nierender religiöser bzw. philosophischer Anschauungen grundlegende Unterschiede zwischen chinesischen und deut-schen (bzw. westlichen) Wertvorstellungen zu erläutern. Al-lerdings folgt danach auch die Anwendung der genannten Ansätze. Vgl. Pohl 2008. 10 Erste Ansätze in dieser Frage findet man etwa in dem Rat-geber Der China-Knigge. Vgl. Kuan / Häring-Kuan (2007: 305-315). 11 Ausnahmen sind etwa die beiden Ratgeber Der China-Knigge und China – Wirtschafts-partner zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Vgl. Kuan / Häring-Kuan 2007 und Reisach / Tauber / Yuan 2007. 12 Ausnahmen sind etwa die Ratgeber China.de und China – Wirtschaftspartner zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Vgl. Vermeer (2007:168 und 179) und Reisach / Tauber / Yuan (2007:466-470). 13 Lesenswerte Ausnahmen sind etwa die beiden Ratgeber Chinesen verstehen lernen und China.de. Vgl. Lin-Huber (2006:237-241) und Vermeer (2007:142-145). 14 Die Darstellung beschränkt sich nebenbei bemerkt auf Ge-schäftsmänner und verzichtet auf Empfehlungen für weibli-che Geschäftsleute, obwohl am Ende des Kapitels insgesamt fünf Seiten der Rolle der Frau in Wirtschaft und Gesellschaft gewidmet werden. Vgl. Sieren (2007:111-116). 15 Lesenswerte Ausnahmen sind dazu – wie bereits erwähnt – etwa die beiden Ratgeber Chinesen verstehen lernen und

Poerner: China-Knigge für deutsche Geschäftsleute? Die Darstellung Chinas in interkultureller Ratgeberliteratur

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China.de. Vgl. Lin-Huber (2006:237-241) und Vermeer (2007:142-145).

Wiegner/Rathje: Interkulturelles Consulting zwischen Wunsch und Wirklichkeit - Eine Marktstudie

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Abstract

While it is very common to list intercultural consulting as a fourth service offering among other well-established intercul-tural services (training, coaching, mediation) and many pro-viders call themselves intercultural consultants, there is still confusion about whether this service actually exists and if yes, how it differentiates from other offerings in the intercultural field.

The paper summarizes the results of an empirical study about the market of intercultural consulting services to increase transparency with respect to intercultural consulting as a ser-vice label and a service offering. In addition, it describes common service portfolios and typical provider profiles in the area of intercultural consulting. The results reveal a huge gap between what is commonly called intercultural consulting and what is actually provided.

1. Ausgangssituation und Problemstellung

Seit den 1990er Jahren steigt als Folge zunehmender wirt-schaftlicher Globalisierung und den damit verbundenen Wel-len internationaler Fusionen und Akquisitionen (M&A) inner-halb des Managements von Unternehmen das Problembe-wusstsein im Hinblick auf das Konfliktpotential kultureller Un-terschiede und deren Relevanz für den Unternehmenserfolg (Stüdlein 1997, Apfelthaler 1999). Seitdem steigt ebenso die Nachfrage nach Beratungsleistungen im Bereich des Interkul-turellen Managements, im Folgenden als Interkulturelles Con-sulting oder Interkulturelle Beratung (abgekürzt als „IC“) be-zeichnet.

Interkulturelles Consulting wird dabei in Anlehnung an klassi-sche Definitionen von Unternehmensberatung (Steele 1975:3, Greiner / Metzger 1983:7, Hans / Köppen 2001, Glückler 2004:26) als Dienstleistung für Organisationen verstanden, die von unabhängigen und qualifizierten Personen angeboten wird, um die Kunden-Organisation dabei zu unterstützen, Management-Probleme, die sich aus interkultureller Interak-tion innerhalb der Organisation sowie zwischen Organisation und Umwelt ergeben, zu identifizieren, zu analysieren, zu ihrer Lösung Vorschläge zu entwickeln und ggf. bei ihrer Im-plementierung zu unterstützen.

Im Gegensatz zu anderen interkulturellen Service-Angeboten wie Training, Coaching und Mediation (vgl. Bolten 2001) zielt Interkulturelles Consulting dabei nicht auf die individuelle Kompetenzentwicklung von Einzelpersonen oder Gruppen ab, sondern stellt eine organisationsbezogene Dienstleistung

Interkulturelles Consulting zwischen Wunsch und Wirklichkeit – Eine Marktstudie

Susanne Wiegner

Friedrich-Schiller-Universität Jena, Fachbereich Interkulturelle Wirt-schaftskommunikation

Prof. Dr. Stefanie Rathje

Professorin für Unternehmensfüh-rung und Kommunikation, Hochschule für Technik und Wirt-schaft Berlin (HTW)

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dar, die eine Bewältigung organisatorischer Aufgaben zum Ziel hat (Heimannsberg 2000:71).

Auf Basis dieser Definition ergeben sich für das Interkulturelle Consulting breite Anwendungsfelder. In Anlehnung an Bolten (1999) und Rathje (2007) lassen sich fünf inhaltliche Kernbe-reiche des Interkulturellen Consulting voneinander abgren-zen, die jeweils unterschiedliche Funktionseinheiten einer Or-ganisation betreffen (siehe Abbildung 1).

Kernbereiche Anwendungsbeispiele Funktionen

Personal-management

Auswahl von zu entsendenden Mit-arbeitern, Konzeption interkultureller Personalentwicklung

HR

Externe Unternehmens-kommunikation

Anpassung von Marketing- bzw. Kommunikationskonzepten an kultu-relle Unterschiede, internationale Unternehmens-PR

Marketing, PR, Vertrieb

Interne Unternehmens-kommunikation

Gestaltung interkultureller Unterneh-menskultur, Gestaltung von Unter-nehmenswerten und –vision in inter-nationalen Unternehmen

Unternehmens-kommunikation, Strategie

Begleitung von Internationalisie-rungsprozessen

Vorbereitung von M&A, Integration kultureller Aspekte in den Due-Diligence-Prozess

Strategie, Business Deve-lopment

Organisations-entwicklung

Konzeptentwicklung zur Optimierung interkultureller Zusammenarbeit, zur Realisierung interkultureller Synergien

Je nach betrof-fenem Bereich (z.B. Produktion)

Abb. 1: Kernbereiche des Interkulturellen Consulting

Im Vergleich zu den anderen Bereichen interkultureller Servi-ces, v.a. im Gegensatz zu Interkulturellem Training oder Coaching, spielt Interkulturelles Consulting praktisch bislang jedoch eine eher untergeordnete Rolle. Als möglicher Grund wurde bislang die notwendige Verknüpfung der zwei Kompe-tenzbereiche Kulturwissenschaften und Betriebswirtschaft angeführt, die aufgrund herkömmlicher Ausbildungsstruktu-ren eher ungewöhnlich ist (Rathje 2007). So fehlt Anbietern interkultureller Trainings häufig das notwendige betriebswirt-schaftliche Wissen sowie die strategische Problemlösungs-kompetenz der Beratungen, klassischen Beratungsunterneh-men fehlt hingegen das notwendige kulturwissenschaftliche, bzw. interkulturelle Know-How, um ihr Angebot durch Inter-kulturelles Consulting zu erweitern. Es steht daher zu vermu-ten, dass das Markt-Potenzial eines professionellen Service-Angebots im Bereich des Interkulturellen Consulting bislang weitgehend ungenutzt bleibt.

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Auf der anderen Seite fällt bei einer oberflächlicher Betrach-tung von interkulturellen Service-Angeboten auf, dass z.B. zahlreiche Trainingsanbieter ihre Angebote mit der allgemei-nen Bezeichnung „interkulturelle Beratung“ oder „Consul-ting“ versehen, ohne dass sie tatsächlich organisationsbezo-gene Beratungsleistungen anbieten. Als Folge ergibt sich eine ausgeprägte Intransparenz des Marktes für interkulturelle Service-Angebote hinsichtlich Umfang und Inhalt bereits exis-tierender Dienstleistungen des Interkulturellen Consulting.

2. Zielsetzung

Wenn allgemein gilt, dass der Markt für Unternehmensbera-tung noch wenig empirisch erforscht ist (Glückler 2004:23), so trifft dies im Besonderen für den noch jungen Bereich des Interkulturellen Consulting zu (Rathje 2007). So liegen bislang keine empirischen Studien zu diesem Thema vor.

Die folgende Erhebung untersucht daher den Anbieter-Markt für interkulturelle Beratungsdienstleistungen, mit dem Ziel grundlegende Transparenz zu schaffen hinsichtlich folgender Bereiche:

• Interkulturelles Consulting als Angebotsbezeichnung

• Interkulturelles Consulting als tatsächliche Service-Leistung

• Angebots- und Leistungsspektrum des Interkulturellen Consulting

• Leistungstypologien von Interkulturellem Consulting

• Typische Anbieter von Interkulturellem Consulting.

Im Rahmen der Untersuchung sollen dabei auf Basis von Rathje 2007 folgende Hypothesen überprüft werden:

• H1: Interkulturelles Consulting ist als Service-Leistung im Vergleich zu anderen interkulturellen Services noch selten.

• H2: Interkulturelles Consulting wird häufig als Bezeich-nung für interkulturelle Service-Angebote verwendet, die den Kriterien für interkulturelle Beratungsleistungen nicht entsprechen.

• H3: Interkulturelles Consulting ist derzeit noch kein ei-genständiges Angebot, sondern wird entweder von An-bietern traditioneller interkultureller Service-Angebote oder von klassischen betriebswirtschaftlichen Beratungs-unternehmen als zusätzliche Leistung angeboten.

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3. Methode

Zur Überprüfung der Hypothesen wurde die Angebotsdarstel-lung interkultureller Dienstleistungsunternehmen inhaltsana-lytisch untersucht. Aufgrund der leichten Auffindbarkeit und der ausführlichen Angebotsdarstellungen auf den Websites der Anbieter wurde das Medium Internet als primäre Daten-quelle gewählt.

3.1 Eingrenzung des Untersuchungsgegenstands

Um den kommerziellen Markt für Interkulturelles Consulting möglichst treffsicher zu erfassen, wurde der Untersuchungs-gegenstand auf Anbieter beschränkt, die ihre Dienstleistun-gen im Rahmen eines kommerziellen Angebots anbieten. Ausgeschlossen wurden damit öffentliche oder gemeinnützi-ge Dienstleistungen (z.B. interkulturelle Einzelberatung von Migranten). Keine Unterscheidung wurde zwischen unter-schiedlichen Rechtsformen der Anbieter getroffen (z.B. GmbH, selbstständiger Einzelanbieter). Im Folgenden werden daher die Begriffe „Anbieter“ und „(Dienstleistungs-)Unter-nehmen“ synonym verwendet.

Um für die Stichprobe eine angemessene Repräsentativität in Bezug auf min. einen überschaubaren Markt zu erreichen, wurde der Untersuchungsgegenstand auf den deutschspra-chigen Raum eingegrenzt. Es wurden daher nur solche Anbie-ter aufgenommen, die durch ein deutschsprachiges Angebot auf ihrer Website dokumentieren, dass sich ihr Angebot ein-deutig an Kunden im deutschsprachigen Raum richtet. Das Herkunftsland des Unternehmens spielte dabei keine Rolle.

Aufgrund der Wahl des Internets als primäre Datenquelle wurde der Untersuchungsgegenstand darüber hinaus ent-sprechend auf diejenigen Anbieter eingegrenzt, die eine ei-gene Website betreiben. Damit wurde gleichzeitig erreicht, dass nur Anbieter mit einem gewissen Professionalisierungs-grad in die Stichprobe aufgenommen wurden.

3.2 Auswahl der Stichprobe

Die Auswahl der Unternehmen für die Stichprobe wurde im 1. Quartal 2008 vorgenommen. Vorausgehend wurde im 4. Quartal 2007 ein Pre-Test mit 20 Unternehmen durchgeführt, um ein robustes Kategoriensystem zu erstellen.

Die Auswahl der Unternehmen erfolgte einerseits über eine Schlagwortsuche. Dabei wurden Anbieter mit Hilfe der Such-worte „interkulturelle/s“, „intercultural“, „cross-cultural“, „kulturelle/s“, „internationale/s“ einzeln und in Kombination mit „Beratung“ und „Consulting“ über verschiedene Such-

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maschinen gesucht. Ergänzend wurden im Rahmen einer Netzwerksuche Webverzeichnisse von Unternehmen im Bera-tungs- oder interkulturellen Dienstleistungssektor sowie Link-sammlungen bereits ausgewählter Unternehmen auf Anbieter durchsucht.

Alle Websites von Anbietern, die nach diesem Verfahren er-mittelt werden konnten, wurden zunächst in die Stichprobe aufgenommen. Diese wurde dann um nicht-deutschsprachige und nicht-kommerzielle Angebote bereinigt. Als die Schlag-wort- und Netzwerksuche in einem Sättigungsprozess immer häufiger zu Unternehmen führte, die bereits in der Stichprobe enthalten waren und ein Auffinden weiterer Unternehmen über diese Auswahlmethode nicht mehr zu erwarten war, wurde die Stichprobenauswahl bei einer Gesamtzahl von 147 Anbietern bzw. Anbieter-Websites beendet.

3.3 Untersuchungseinheiten

Als Untersuchungseinheiten wurden alle Texte einschließlich der Texte in Grafiken analysiert. Hierzu gehörten u.a. die An-gebotsdarstellung (z.B. Slogan, Überschriften), genaue Leis-tungsbeschreibungen, Unternehmensdarstellung und Mitar-beiterprofile. Um zwischen einer Begriffsverwendung und tatsächlich angebotenen Dienstleistungen unterscheiden zu können, wurde in der Analyse besonders viel Sorgfalt auf die Differenzierung zwischen Angebotsbezeichnung und Leis-tungsbeschreibung verwendet. Unter „Angebotsbezeich-nung“ wird dabei die begriffliche, schlagwortartige Be-titelung der Dienstleistung (z.B. „Interkulturelles Coaching“) verstanden. Als „Leistungsbeschreibung“ gilt die ausführ-lichere, inhaltliche Darstellung der Dienstleistung (z.B. „Wir unterstützen Sie mit Einzelgesprächen, effektiver mit interkul-turellen Herausforderungen umzugehen.“).

3.4 Analytische Vorgehensweise

Die Inhaltsanalyse erfolgte in drei Schritten.

Gruppierung der Unternehmen

Je nach Verwendung des Begriffs „Interkulturelle Beratung“ oder „Interkulturelles Consulting“ als Angebotsbezeichnung wurden die Anbieter in drei Gruppen eingeteilt.

Gruppe A besteht aus Unternehmen, die ihr Angebot als „Interkulturelles Consulting“ bezeichnen. Es enthält dem-entsprechend diejenigen Anbieter, die zur Präsentation ihres Angebots explizit eines oder mehrere der Begriffspaare „Interkulturelle Beratung“, „Interkulturelles Consulting“ oder Begriffspaare aus einer einzelnen Beratungsleistung (siehe

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Abb.1) und dem Begriff „kultur“ (links- und rechtstrunkiert) verwenden. Unterschieden wurden dabei solche Anbieter, die „Interkulturelles Consulting“ als Schwerpunkt ihres Ange-botsspektrums ausweisen (Gruppe A1) und solche, die „Interkulturelles Consulting“ nur als Teilangebot bezeichnen (Gruppe A2).

Gruppe B besteht aus Unternehmen, deren Angebotsbe-zeichnung suggeriert, sie würden „Interkulturelles Consul-ting“ anbieten. Zugeordnet wurden hier Anbieter, die obige Begriffspaare nicht im direkten Zusammenhang verwenden, aber die einzelnen oder ähnliche Begriffe getrennt voneinan-der nutzen, so dass der Eindruck entsteht, sie würden inter-kulturelle Beratungsleistungen anbieten. Beispiel: „Beratungs- und Dienstleistungsunternehmen auf dem Gebiet der inter-kulturellen Kommunikation“, „Für das Management Ihres Unternehmens bieten wir interkulturelle Trainings, Coachings und Beratungen für USA, China und Deutschland“.

Gruppe C besteht aus Unternehmen, die zwar Dienstleistun-gen aus dem weiteren Umfeld interkultureller Beratung an-bieten, jedoch ihr Angebot nicht als solches bezeichnen.

Gruppe A Gruppe B Gruppe C

• Unternehmen der Stichprobe, die explizit angeben, Interkulturelles Consulting anzubieten

• Unternehmen der Stichprobe, deren Angebotsbeschreibung suggeriert, Interkulturelles Consulting anzubieten

• Unternehmen der Stichprobe, deren Angebotsbeschreibung keinen Hinweis auf Inter-kulturelles Consulting gibt

Gruppe A1 Gruppe A2

• IC als Schwerpunkt

• IC als Teil-angebot

Unternehmensstichprobe(Anbieter von Interkulturellen Service-

Dienstleistungen)

Abb. 2: Gruppen innerhalb der Stichprobe

Angebotsanalyse

Nach der Gruppierung der Unternehmen erfolgte eine detail-lierte sprachliche und inhaltliche Analyse der Leistungsbe-schreibungen der Anbieter. Dabei wurden für jedes Unter-nehmen der Gruppen A und B sofern vorhanden bis zu sechs Einzelleistungen erfasst: Maximal drei Leistungen aus dem Gesamtangebotsspektrum (= Hauptleistungen, d.h. Leistun-

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gen mit dem höchsten Gewicht) sowie maximal drei Leis-tungen aus dem Bereich Interkulturelles Consulting. In der Gruppe C wurden nur solche Unternehmen tiefergehender analysiert, bei denen Interkulturelles Consulting, obwohl das Angebot nicht als solches bezeichnet wurde, dennoch zum Leistungsspektrum gehörte. In diesem Fall wurden analog zu den Gruppen A und B maximal drei Hauptleistungen aus dem Gesamtangebotsspektrum sowie wie maximal drei Leistungen aus dem Bereich Interkulturelles Consulting erfasst. Die Be-schränkung auf maximal drei, bzw. sechs Leistungen führte dabei zu keiner Verzerrung der Angebotsanalyse, weil nur in seltenen Fällen mehr Einzelleistungen ausgewiesen wurden.

Die Zuordnung der Einzelleistungen zu bestimmten Ange-botskategorien erfolgte mit Hilfe einer im Rahmen eines Pre-Tests mit 20 Unternehmen entwickelten Kodierungsliste.

Als Teilleistungen des Interkulturellen Consulting wurden in Anlehnung an Rathje (2007) Interkulturelle Personalentwick-lung, Interkulturelle externe Unternehmenskommunikation, Interkulturelle interne Unternehmenskommunikation, Inter-kulturelle Internationalisierungsprozesse und Interkulturelle Organisationsentwicklung unterschieden, sowie die weitere Kategorie allgemeines interkulturelles Consulting, wenn keine besondere Spezifizierung ausgewiesen war.

Als weitere Dienstleistungen wurden Training (interkulturell und allgemein), Coaching (interkulturell und allgemein), Me-diation, Sprachservices, Markterschließung und allgemeine betriebswirtschaftliche Beratung unterschieden.

Die folgende Tabelle beschreibt die einzelnen Kategorien und allgemeine Zuordnungsvorschriften.

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Angebotskategorien Zuordnungsvorschriften

Inter-kulturelles Consulting

Interkulturelle Personal-entwicklung

• Angebot betrifft Organisationen (keine Einzelpersonen)

• Angebot bearbeitet eine bestehende interkulturelle Problematik

• Problematik betrifft Kulturen, bzw. Interkulturalität im weitesten Sinn (Nationalkulturen, aber auch Unternehmens-kulturen oder andere Subkulturen)

• Problem der Organisation wird konzeptuell / strategisch gelöst

Interkulturelle externe Unternehmenskommunikation

Interkulturelle interne Unternehmenskommunikation

Interkulturelle Internationalisierungsprozesse

Interkulturelle Organisationsentwicklung

Interkulturelles Consulting allgemein

Andere Dienst-leistungen

Training / Seminare In Seminar-/Unterrichtsform gehaltene Präsentationen zur Wissensvermittlung

• interkulturell z.B. Verhaltenstrainings in interkulturellen Situationen, Interkul-turelle Kompetenz Seminare, Informationsveranstaltungen zu Landeskulturen

• allgemein z.B. Training zum eigenen Führungsverhalten (allgemein)

Coaching Begleitung einer Person/Gruppe bei ihrer persönlichen Entwick-lung / Lösung personenbezogener Probleme

• interkulturell z.B. Outplacement-Coaching ins Ausland, Expatriat-Betreuung

• allgemein z.B. Karriere-Coaching, Teambuilding (allgemein)

Mediation Konfliktlösung zwischen Personen, personenbezogene Vermitt-lung bei (ggf.) interkulturellen Verständigungsproblemen, z.B. Konfliktmanagement, Mediation

Sprachservices Dienstleistungen, die sich auf Sprachvermittlung beziehen und kulturelle Aspekte nicht explizit beachten , z.B. Sprachkurse, Sprachtrainings, Sprachcoaching, Dolmetschertätigkeiten, Über-setzungen

Markterschließung Dienstleistungen, die den Markteintritt eines Unternehmens wirtschaftlich und organisatorisch unterstützen, z.B. Marktana-lysen, Kontaktvermittlungen, Rechtsberatung, Investitionsbera-tung und Outsourcing, Reiseservice, Logistik, Vertriebsstruktu-renaufbau

Betriebswirtschaftliche Beratung

Alle Teilbereiche klassischer Unternehmensberatung einschließ-lich der im Bereich Interkulturelles Consulting genannten Berei-che, die jedoch nur wirtschaftliche Aspekte betrachten

z.B. allgemeines Personalrecruiting, allgemeine Organisations-entwicklung

Abb. 3: Einteilung der Angebote und Leistungen (Kategoriensystem)

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Erfassung von Unternehmensgröße und Mitarbeiter-profilen

In einem dritten Schritt wurde eine Einschätzung der Unter-nehmensgröße der einzelnen Anbieter vorgenommen. Dabei wurde ausschließlich auf die im Rahmen der Website zur Ver-fügung gestellten Informationen zurückgegriffen.

4. Ergebnisse

4.1 Interkulturelles Consulting als Angebotsbezeich-nung

Aufgrund der verwendeten Suchkriterien geben fast alle Un-ternehmen der Stichprobe bei der Bezeichnung ihres Ange-bots Dienstleistungen im Bereich oder Umfeld interkultureller Service-Angebote an.

Die Einteilung der Unternehmen im Hinblick auf die genaue Bezeichnung ihres Angebots zeigt, dass ein Großteil der An-bieter (60%) in ihrer Angebotsdarstellung zumindest darauf hindeutet, Interkulturelles Consulting anzubieten (Gruppe A und B). Ein gutes Drittel bezeichnet seine Leistungen explizit mit interkultureller Beratung und 15% präsentieren sich schwerpunktmäßig als interkulturelle Berater. 40% der Un-ternehmen der Stichprobe geben keinen expliziten Hinweis auf ein Angebot im Bereich interkultureller Beratung.

n = 147

Gruppe CKeine Hinweise

auf IC

Gruppe B Suggestion von IC

Gruppe A1Explizite Angabe von IC als Schwerpunkt-Angebot

Gruppe A2Explizite Angabe von IC als Teilangebot

15%

23%

22%

40%

Abb. 4: Interkulturelles Consulting als Angebotsbezeichnung (Verteilung der Stichprobe)

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4.2 Interkulturelles Consulting als tatsächliche Service-Leistung

Von den 147 Unternehmen blieben nach genauerer inhalt-licher Analyse des tatsächlichen Leistungsspektrums nur 53 Unternehmen (36%), die Dienstleistungen erbringen, die sich als interkulturelle Beratungsleistung im Sinne der getroffenen Definition einstufen lassen. Interessant ist dabei, dass von den Unternehmen, die explizit behaupten oder nahelegen, inter-kulturelles Consulting anzubieten (Gruppen A und B), nur knapp die Hälfte wirklich interkulturelle Beratungsleistungen in ihrem Portfolio ausweisen. Demgegenüber finden sich in der Gruppe, die bei der Angebotsbezeichnung keinen Hin-weis auf interkulturelles Consulting gibt, in einzelnen Fällen trotzdem Leistungsangebote, die der interkulturellen Bera-tung zugerechnet werden.

Nur ein sehr geringer Teil (22%) aller Anbieter im Bereich interkultureller Dienstleitungen bezeichnet sein Angebot ex-plizit als Interkulturelles Consulting und bietet tatsächlich irgendeine Art von interkultureller Beratungsleistung an. Da-bei ist zu beachten, dass bei einem Drittel dieser Anbieter das Angebot nur einen minimalen Anteil einnimmt.

In der Gruppe der Anbieter, die ihr Angebot explizit und schwerpunktmäßig als Interkulturelles Consulting bezeichnen (Gruppe A1), findet sich kein Unternehmen, dass aufgrund seiner Leistungen wirklich hauptsächlich interkulturelle Bera-tung anbietet. Da dies auch in den anderen Gruppen nicht der Fall ist, kann geschlossen werden, dass der Typus eines Schwerpunkt-Anbieters von Interkulturellem Consulting prak-tisch nicht existiert.

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Gruppe B Suggestion von IC

Gruppe AExplizite Angabe

von IC als Angebot

100% = 147

40%

22%

38%22%

10%

4%

36% = 53

Unternehmen der Stichprobe

Unternehmen mit IC Service-Leistungen

Unternehmen, die ihr Angebot als IC bezeichnen und

tatsächlich interkulturelle

Beratungsleistungen anbieten.

Abb. 5: Anteil der Unternehmen mit tatsächlichen interkulturellen Bera-tungsleistungen

4.3 Angebots- und Leistungsspektrum des Interkultu-rellen Consulting

Eine genaue Analyse aller Einzelleistungen, die von den An-bietern der Gruppe A insgesamt oder in Teilen als Interkultu-relles Consulting bezeichnet werden, ergibt, dass darin nur zu einem geringen Anteil (10%) tatsächlich interkulturelle Bera-tungsleistungen, nämlich zu gleichen Teilen interkulturelle Personalentwicklung und allg. interkulturelle Beratung, einge-schlossen sind. Den größten Teil (35%) aller als Interkulturel-les Consulting bezeichneten Leistungen nimmt interkulturel-les Training ein. Der zweitwichtigste Bereich (18%) sind Sprachservices (Sprachkurse, Übersetzungen, etc.) gefolgt von interkulturellem Coaching (15%) sowie allgemeinen Coa-ching-Leistungen (12%). Eine untergeordnete Rolle spielen Angebote der allgemeinen Personalentwicklung (3%), der Markterschließung (3%), der Mediation (3%) und der allge-meinen externen Kommunikationsberatung (2%), die eben-falls unter dem Stichwort Interkulturelles Consulting angebo-ten werden.

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Interkulturelles Training

Sprachservices

Interkulturelles Coaching

Allg. Training/Coaching

Allg. InterkulturellesConsulting

InterkulturellePersonalentwicklung

Markterschließung

Allg. Mediation

Allg. Personalentwicklung

Allg. externe Unternehmenskommunikation

35%

18%

15%

12%

5%

5%

3%3%

3% 2%

Leistungsangebote Gruppe A

Abb. 6: Welche Leistungen erbringen Unternehmen, die sich als interkultu-relle Berater bezeichnen?

Untersucht man alle tatsächlichen Einzelleistungen von Inter-kulturellem Consulting (einschließlich nicht als interkulturelles Consulting bezeichneter Leistungen) in allen Unternehmens-gruppen auf ihre Häufigkeit, so ergibt sich ein klarer Schwer-punkt (36%) von Interkulturellem Consulting im Bereich der interkulturellen Personalentwicklung, also der Auswahl von Entsendungskandidaten oder der Konzeption von interkultu-rellen Personalentwicklungsmaßnahmen, ein Bereich der dem Bereich des interkulturellen Trainings inhaltlich sehr nahe steht. Als zweithäufigstes Angebot (21%) ergibt sich der Be-reich des allgemeinen, nicht näher spezifizierten interkulturel-len Consulting, bevor die weiteren Teile der Angebotspalette (interne Kommunikation, Organisationsentwicklung, externe Kommunikation, Internationalisierungsprozesse) zu an-nähernd gleichen Teilen folgen. Auffällig erscheint, dass die beiden Bereiche des Interkulturellen Consulting, die den stärksten Bezug zur klassischen Unternehmensberatung auf-weisen (interkulturelle externe Kommunikation und Interna-tionalisierungsprozesse mit ihren Bezügen zu klassischer Mar-ketingberatung, bzw. Strategie- / M&A-Beratung), den ge-ringsten Anteil einnehmen.

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Alle Einzelleistungen von Interkulturellem Consulting (alle Unternehmensgruppen)

Interkulturelle Personal-entwicklung36%

21%

13%

11%

10%

9%

Allgemeines Interkulturelles Consulting

Interkulturelle interne Unternehmenskommunikation

Interkulturelle Organisationsentwicklung

Interkulturelle externe Unternehmenskommunikation

Interkulturelle Internationalisierungsprozesse

Abb. 7: Gewichtung der einzelnen Angebotsteile von Interkulturellem Consulting

4.4 Leistungstypologien von Interkulturellem Consul-ting

Bei der Untersuchung typischer Angebotskombinationen aus dem Bereich Interkulturelles Consulting mit anderen Leis-tungen innerhalb des Leistungsspektrums eines Anbieters konnten drei Cluster deutlich von einander unterschieden werden. Es ergeben sich auf dieser Basis drei Typen von An-bietern interkultureller Beratungsangebote:

Die „Kompetenz-Vermittler“ sind Anbieter, die vor allem Ein-zelpersonen in der Entwicklung ihrer individuellen interkultu-rellen Kompetenz unterstützen. Sie bieten interkulturelles Consulting für Unternehmen vor allem als ergänzende Leis-tung zu interkulturellem Training und Coaching der Mitarbei-ter an.

Die „Sprachspezialisten“ sehen vor allem Sprachfähigkeiten als Schlüssel zur Lösung interkultureller Probleme an. Sie rei-chern ihr Standard-Angebot im Bereich Sprachtraining oder Übersetzungsdienstleistungen vor allem durch interkulturelle Beratungsangebote im Bereich Unternehmenskommunikation an (z.B. Konzeption von interkulturell passfähiger Werbung).

Die „Marktkenner“ bieten als Spezialisten für bestimmte Märkte schwerpunktmäßig betriebswirtschaftlich orientierte Beratung v.a. im Bereich des internationalen Markteintritts an. Sie kombinieren ihre Angebote mit einzelnen interkultu-rellen Beratungsleistungen, typischerweise z.B. im Bereich der Internationalisierungsprozesse der Marktkommunikation oder der Personalentwicklung.

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Diese auf Basis der vorgefundenen Angebotskombinationen qualitativ erstellte Typologie wird zusätzlich gestützt durch eine Analyse der häufigsten Schlagworte, die in den Ange-botstexten verwendet wurden. So dominiert insgesamt das Begriffspaar „Interkulturelle Kompetenz“, als ein Konzept, das vor allem im Bereich interkultureller Trainings und Coa-chings als Zielvorstellung verwendet wird. Das zweihäufigste Begriffspaar „Interkulturelle Kommunikation“ verweist auf den Bereich der Sprache als zentrales Kommunikationsmittel. Weitere häufig genannten Begriffe, wie „interkulturelles Team“, „interkulturelles Management“, „Interkulturelle Koo-peration“ sind Fachbegriffe, die v.a. in der klassischen Unter-nehmensberatung, z.B. im Bereich Personalentwicklung, ver-wendet werden.

„Kompetenzvermittler“

„Sprachspezialisten“ „Marktkenner“

• Anbieter von interkulturellen Trainings- und Coaching-Leistungen

• Anbieter von Sprachkursen oder Übersetzungs-dienstleistungen

• Anbieter von klassischer Unternehmensberatung im Bereich Internationalisierung und Markteintritt

Anbieter von Interkulturellem Consulting als Teil des

Angebots

Abb. 8: Anbieter-Typologie

4.5 Typische Anbieter von Interkulturellem Consulting

Betrachtet man alle Unternehmen, die Interkulturelles Consul-ting explizit oder implizit als Teil ihres Angebots darstellen (Gruppe A und B), sowie die Unternehmen, die interkulturelle Beratungsleistungen anbieten, obwohl sie diese nicht als sol-che benennen (Teil der Gruppe C), dann ergibt sich eine Gruppe von 93 Unternehmen. Diese wurde auf Basis der An-gaben auf den entsprechenden Websites hinsichtlich ihrer Unternehmensgröße untersucht. Dabei stellt sich heraus, dass die meisten Anbieter in diesem Bereich entweder selbststän-dige Einzelpersonen (31%) oder Kleinstunternehmen mit we-niger als 10 Mitarbeitern (39%) sind. Acht Unternehmen ge-hören zu einer Größe von 10-50 Mitarbeitern (9%) und nur zwei Unternehmen, darunter eine internationale Unterneh-mensberatung, besitzen mehr als 50 Mitarbeiter. 19% der untersuchten Unternehmen machten auf ihrer Website keine Angaben zur Unternehmensgröße. Da in Unternehmensdar-stellungen die Größe eines Unternehmens tendenziell als Kommunikationsvorteil gewertet wird, steht zu vermuten, dass es sich bei diesen Unternehmen ebenfalls eher um Kleinstunternehmen handelt. Schließt man diese Gruppe von der Betrachtung aus, so müssen fast 90% aller Anbieter von

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Interkulturellem Consulting zur Gruppe der Kleinstunterneh-men mit weniger als 10 Mitarbeitern gerechnet werden.

Unternehmensgruppen A und B,sowie IC-Anbieter aus Gruppe C

n = 93

Selbstständige Einzelperson31%

39%

9%

2%

19%

2-9 feste Mitarbeiter

10-50 feste Mitarbeiter

> 50 feste Mitarbeiter

Keine Angabe zur Unternehmensgröße

Abb. 9: Unternehmensgrößen von Anbietern von Interkulturellem Consul-ting

5. Zusammenfassung und Ausblick

Zusammenfassend lassen sich folgende Ergebnisse auf Basis der Untersuchung feststellen:

• Fast zwei Drittel der untersuchten Unternehmen stellen sich als Anbieter von Interkulturellem Consulting dar.

• Insgesamt bieten jedoch nur ein Drittel aller Unternehmen überhaupt eine Service-Leistung an, die zum Interkulturel-len Consulting gezählt werden kann.

• Mehr als die Hälfte der Unternehmen, die ihr Angebot als Interkulturelles Consulting bezeichnen, bieten tatsächlich keine oder kaum Leistungen in diesem Bereich an.

• Es gibt praktisch keine Unternehmen, die Interkulturelles Consulting als Schwerpunkt-Leistung anbieten.

• Hinter der Angebotsbezeichnung Interkulturelles Consul-ting verstecken sich überwiegend interkulturelle Trainingsleistungen.

• Interkulturelles Consulting als tatsächliche Leistung eines Anbieters bezieht sich vornehmlich auf den Bereich interkulturelle Personalentwicklung.

• Anbieter von interkulturellem Consulting lassen sich nach ihrem Gesamtangebotsspektrum drei verschiedenen Ty-

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pen („Kompetenzvermittler“, „Sprachspezialisten“ und „Marktkenner“) zuordnen.

• Fast alle Unternehmen, die sich als Anbieter von Interkul-turellem Consulting bezeichnen und/oder interkulturelles Consulting wirklich anbieten, sind Einzelunternehmer oder Kleinstunternehmen mit weniger als 10 Mitarbei-tern.

Anhand dieser Ergebnisse kann eine vorläufige Überprüfung der Ausgangshypothesen vorgenommen werden.

5.1 Verbreitung von Interkulturellen Beratungsleis-tungen

Die erste Hypothese lautete: Interkulturelles Consulting ist als Service-Leistung im Vergleich zu anderen interkulturellen Ser-vices noch selten.

Diese Aussage lässt sich aufgrund der Ergebnisse nachdrück-lich bestätigen. Obwohl immerhin noch ein Drittel der Unter-nehmen der Stichprobe eine Dienstleistung anbieten, die zum Interkulturellen Consulting gerechnet werden kann, handelt es sich dabei durchweg um ergänzende Angebote, die den eigentlichen Schwerpunkt-Dienstleistungen zur Seite gestellt werden. Kein Unternehmen ist auf interkulturelle Beratungs-angebote spezialisiert. Hier bestätigt sich die Vermutung, dass Interkulturelles Consulting noch ein junger Service-Bereich ist, der zwar angesichts intensivierter Internationalisierungspro-zesse auf eine wachsende Nachfrage trifft, sich aber noch keinen eigenständigen Markt geschaffen hat.

5.2 Bezeichnung Interkultureller Beratungsleistungen

Die zweite Hypothese lautete: Interkulturelles Consulting wird häufig als Bezeichnung für interkulturelle Service-Angebote verwendet, die den Kriterien für interkulturelle Beratungsleis-tungen nicht entsprechen.

Auch diese Aussage lässt sich mit Hilfe der Studie nachdrück-lich untermauern. Die Chance, dass ein Unternehmen, wel-ches sein Angebot als Interkulturelles Consulting bezeichnet, wirklich Dienstleistungen in diesem Bereich anbietet, steht nur bei etwa 50:50. Dies liegt zum einen daran, dass der Be-griff „Beratung“ oder „Consulting“ natürlich nicht geschützt ist und umgangssprachlich häufig in sehr offener Form für alle möglichen Service-Leistungen verwendet wird. Zum an-deren ist zu vermuten, dass in der „interkulturellen“ Szene, die mit ihren Angeboten im Bereich Training, Coaching und Mediation eher an der Kompetenzentwicklung von Einzelper-sonen ausgerichtet ist, die methodischen Besonderheiten der

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„klassischen“ Unternehmensberatung mit ihrem Schwer-punkt auf organisationsbezogener Problemlösung gar nicht bekannt sind. Ein weiterer Grund für die ungenaue Begriffs-verwendung ist sicherlich auch darin zu suchen, dass mit den Berufsfeldern „Consulting“ oder „Unternehmensberatung“ im Allgemeinen Assoziationen von Professionalität und Know-How verbunden sind. Es steht zu vermuten, dass gera-de Kleinstunternehmen auf diese Begriffe zurückgreifen, um ihr eigenes Angebot sprachlich aufzuwerten.

5.3 Anbieter von Interkulturellen Beratungsleistungen

Die dritte Hypothese lautete: Interkulturelles Consulting ist derzeit noch kein eigenständiges Angebot, sondern wird entweder von Anbietern traditioneller interkultureller Service-Angebote oder von klassischen betriebswirtschaftlichen Bera-tungsunternehmen als zusätzliche Leistung angeboten.

Auch diese Aussage lässt sich mit den gewonnenen Daten untermauern, sollte jedoch modifiziert werden. Die Ergebnis-se hinsichtlich unterschiedlicher Anbietertypologien zeigen, dass sich Interkulturelles Consulting als eigener Angebotsbe-reich wie erwartet als ergänzendes Angebot von interkulturel-len Service-Anbietern (Training/Coaching) einerseits und be-triebswirtschaftlichen Beratungen andererseits entwickelt. Dabei ist jedoch festzustellen, dass die Anbieter interkulturel-ler Services eindeutig dominieren und ihr Angebot durch Teil-leistungen des Interkulturellen Consulting ergänzen. Demge-genüber scheint den großen Unternehmensberatungen der Schritt zur Erweiterung des Angebots um interkulturelles Consulting noch zu groß oder nicht attraktiv genug zu sein. Lediglich ein größeres Beratungsunternehmen verweist auf seiner Website auf ein entsprechendes Angebot. Bei den meisten betriebswirtschaftlich ausgerichteten Beratungen, die ihr Angebot interkulturell ergänzen, handelt es sich dem-entsprechend um Kleinunternehmer, häufig Einzelpersonen, die sich in einem bestimmten internationalen Markt gut aus-kennen und hier Hilfestellung beim Markteintritt leisten.

Als neu erweist sich die Erkenntnis, dass es neben diesen bei-den noch einen dritten Typus, den der „Sprachspezialisten“ gibt, die ebenfalls auf dem Markt der Interkulturellen Bera-tung tätig werden. Dieser Typus ist zwar nicht ganz so stark vertreten wie die „Kompetenzvermittler“, nimmt jedoch eine weitaus wichtigere Rolle ein als die „Marktkenner“. So scheint sich der Schritt von der Sprachvermittlung oder Über-setzung hin zur interkulturellen Problemlösung in der Praxis als gangbar zu erweisen und unterstreicht einmal mehr die Relevanz von Sprachfähigkeiten für die Entwicklung Interkul-tureller Kompetenz.

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5.4 Methodische Kritik

Bei der Einschätzung der Güte der vorgestellten Studie spie-len drei Kriterien eine Rolle.

Hinsichtlich der Repräsentativität der Studie ist festzustellen, dass aufgrund der Fragmentierung und Heterogenität des Anbieterfeldes sowie des hohen Anteils von Klein- und Kleinstunternehmen, die in bekannten Branchen- und Unter-nehmensverzeichnissen nicht erfasst werden, der Umfang einer möglichen Grundgesamtheit von Unternehmen, die im deutschsprachigen Raum Interkulturelle Beratungsleistungen anbieten, kaum verlässlich abzuschätzen ist. Es ist daher schwer zu bewerten, welchem Grad an Repräsentativität die Stichprobe aus 147 Unternehmen entspricht. Da die Stich-probenauswahl durch heuristische Suchmechanismen bis zur Sättigung erfolgte, handelt es sich nicht um eine Zufallsstich-probe. Sie könnte daher durch unbekannte Störvariablen be-einflusst sein.

Die Validität der Studie wird insgesamt dadurch einge-schränkt, dass aus der Analyse von Texten, die auf den Web-sites der jeweiligen Anbieter veröffentlicht wurden, auf ein tatsächliches Angebot der Unternehmen rückgeschlossen wurde. Es ist möglich, dass diese Texte verkürzt, veraltet oder missverständlich formuliert sind oder das tatsächliche Ange-bot schlichtweg nicht korrekt beschreiben.

Zuordnungen mit Hilfe eines qualitativen Kategorienrasters unterliegen subjektiven Schwankungen der Kodierer und schränken damit die grundsätzliche Reliabilität der Untersu-chung ein. Dieser Problematik wurde durch ein mehrfaches Kodieren der Websites entgegengewirkt. Die Stabilität der Kategorien erwies sich jedoch immer dann als eingeschränkt, wenn die analysierten Angebotsdarstellungen sehr knapp ausfielen, so dass für eine sichere Zuordnung wichtige Infor-mationen fehlten.

Insgesamt können die Ergebnisse jedoch aufgrund der gro-ßen Stichprobe als verlässlich eingeschätzt werden. Idealer-weise sollten sie jedoch mit Hilfe qualitativer Interviews mit einzelnen Unternehmen hinsichtlich ihres Dienstleistungsan-gebots verifiziert werden.

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Literatur

Apfelthaler, G. (1999): Interkulturelles Management. Wien: Manz.

Bolten, J. (1999): Intercultural Business Communication. An interactive ap-proach. In: Kappel, B.E. / Knapp, K. (Hrsg.): Meeting the intercultural chal-lenge. Effective approaches in research, education, training and business. Sternenfels: Wissenschaft & Praxis.

Bolten, J. (2001): Interkulturelles Coaching, Mediation, Training und Con-sulting als Aufgaben des Personalmanagements internationaler Unterneh-men. In: Clermont, A. et al. (Hrsg.): Strategisches Personalmanagement in Globalen Unternehmen. München: Vahlen, S. 909-926.

Glückler, J. (2004): Reputationsnetze. Zur Internationalisierung von Unter-nehmensberatern. Bielefeld: transcript.

Greiner, L.E. / Metzger, R.O. (1983): Consulting to Management. Engle-wood Cliffs: Prentice Hall.

Hans, S. / Köppen, A. (2001): Problemlösung in der Beratung. In: Scheer, Köppen (Hg.): Consulting. Wissen für die Strategie-, Prozess- und IT-Beratung. Berlin: Springer.

Heimannsberg, B. (2000): Interkulturelle Beratung. Ein Leitfaden für Pro-zessbegleiter. In: Heimannsberg, B. / Schmidt-Lellek, C.J. (Hrsg.): Interkultu-relle Beratung und Mediation. Konzepte, Erfahrungen, Perspektiven. Köln: Ed. Humanist. Psychologie, S. 69-86.

Rathje, S. (2007): Interkulturelles Consulting. In: Straub, J. / Weidemann, A. / Weidemann, D. (Hrsg.): Handbuch interkulturelle Kommunikation und Kompetenz. Stuttgart: Verlag J.B. Metzler, S. 800-808

Steele, F. (1975): Consulting for Organizational Change. Amherst: Univer-sity of Massachusetts Press.

Stüdlein, Y. (1997): Management von Kulturunterschieden- Phasenkonzept für internationale strategische Allianzen. Wiesbaden: Deutscher Univer-sitätsverlag.

Rezensionen und Berichte aus Forschung und Praxis

interculture.tv (2009): „Miteinander“ - Educasts zu Schlüsselbegriffen interkulturellen Handelns

Vorgestellt von: Jürgen Bolten

Zybura, Marek (2007): Querdenker, Vermittler, Grenzüberschreiter. Beiträge zur deutschen und polnischen Literatur- und Kulturgeschichte

Rezensiert von: Kornelia Kończal

Rathje, Stefanie (2008): Kooperationskompetenz: Toolbox zur Verbesserung der Zusammenarbeitin internationalen Kooperationen

Rezensiert von: Matthias Mahn

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Bolten: „Miteinander“ – Educasts zu Schlüsselbegriffen interkulturellen Handelns

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Bericht aus Forschung und Praxis

Dem Thema „Interkulturalität“ ist der erste Film einer Reihe von jeweils etwa 8minütigen Videocasts zu Schlüsselbegriffen interkulturellen Handelns gewidmet1 , die in den kommenden Jahren in Zusammenarbeit zwischen dem Fachgebiet Interkul-turelle Wirtschaftskommunikation der Universität Jena und Interculture TV entwickelt und produziert werden sollen.

Die Idee, kurze Videocasts zu interkulturellen Themen zu ers-tellen und in internetgestützten Lernszenarien einzusetzen, resultiert aus der Erfahrung, dass Web 2.0-Medien wie inter-aktive Lernmodule oder gestreamte Videos von Vorlesungen und Fachvorträgen aus der Bedarfssicht interkulturellen Leh-rens und Lernens vielfach nicht flexibel genug sind: Die Con-tents sind relativ umfangreich, so dass neue fachliche Ent-wicklungen häufig erst nach einigen Jahren Laufzeit bei einer Neuproduktion eingeflochten werden können. Hinzu kommt, dass derartige Produktionen – ähnlich wie computerbasierte Lernmodule – in klar abgegrenzter Weise zielgruppenspezi-fisch konzipiert sind, was wiederum die Flexibilität ihres Ein-satzes einschränkt.

Educasts, wie sie im Kontext der Reihe „Miteinander. Schlüs-selbegriffe interkulturellen Handelns“ entstehen, umgehen diese Problematik: Durch die Fokussierung auf Mikrobereiche interkultureller Forschung und Praxis können neue fachliche Entwicklungen im Rahmen kurzfristiger Neuproduktionen schnell umgesetzt werden, und die Mischung unterschiedli-cher Textsorten (Spiel- / Dokumentarfilm, Interview, Work-shop, Vorlesung u.a.) bewirkt eine Öffnung der Zielgruppen-orientierung.

Im Resultat entstehen inhaltlich stark komprimierte und in diesem Sinne ‚schnelle’ Filme. Sie konstituieren ein Netzwerk interkultureller Schlüsselbegriffe, das vor allem von der Inter-dependenz seiner Bestandteile, von deren Verweisungszu-sammenhängen lebt. Für sich genommen kann jedes Video gleichzeitig als Nukleus offener Lernszenarien verwendet werden: Je nachdem, durch welche Vertiefungsmaterialien (Texte, Aufgaben, Projektarbeiten) der jeweilige Film ergänzt wird, lassen sich die Zielgruppenmerkmale verändern.

Unter Nutzung von Wissenmanagementsystemen und Web 2.0-Techniken ist es auf diese Weise möglich, mittelfristig – gleichsam um die Videocasts herum gruppiert und via ‚tag-ging’ ebenfalls vernetzt – einen Pool an interkulturellen Lernmaterialien aufzubauen, der für ein zielgruppenspezifisch breites Spektrum nutzbar ist. Die Materialien werden größ-tenteils nicht mehr zentral von einer steuernden Institution entwickelt, sondern von den Usern, die die Videocasts z.B. in

„Miteinander“ – Educasts zu Schlüsselbegriffen interkulturellen Handelns

Jürgen Bolten

Prof. Dr., Friedrich-Schiller-Universität Jena, Fachbereich Interkulturelle Wirtschaftskom-munikation

Bolten: „Miteinander“ – Educasts zu Schlüsselbegriffen interkulturellen Handelns

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ihren Trainings einsetzen und in diesem Zusammenhang selbst für ihre jeweiligen Zielgruppen ergänzende Übungen entwickeln.

Im Sinne eines ‚educational networking’ ist die Nutzung des auf diese Weise enstehenden Materialpools an die Bereit-schaft gekoppelt, selbst auch als Web 2.0-Akteur tätig zu sein und eigene Materialien beizusteuern.

Auf diese Weise wird in der Verwendung der Videocasts ein Prinzip weitergeführt, das bereits bei der Erstellung der Kern-filme eine wichtige Rolle spielt: nämlich die Gewährleistung der methodischen Interkulturalität. Bewusst werden die Drehbücher auf der Basis praktizierter ‚diversity’ erstellt: Be-teiligte verschiedenster kultureller Gruppen vollziehen bereits bei der inhaltlichen Konzeptualisierung der Filme kontinuier-lich ‚Aushandlungsprozesse’ hinsichtlich des ‚Was’ und des ‚Wie’ der Darstellung, um auf diese Weise eine einseitige Perspektive auf den eben sehr vielschichtigen, interkulturellen Gegenstandsbereich zu vermeiden. Genau dies ist auch der Vorteil, den eine Zusammenarbeit auf Web 2.0-Basis beim Aufbau eines Materialpools bietet: Interkulturalität wird nicht nur thematisiert, sondern auch praktiziert.

Als nächste Produktionen sind Videocasts zu den Themen „Kommunikation“ und „Kultur“ geplant. Eine Serie zur The-matisierung chinesisch-deutscher Selbst- und Fremdbilder startet 2010 in Zusammenarbeit zwischen der Universität Jena und der Beijing Foreign Studies University, wobei ein großer Teil der Projektarbeit internetgestützt in einem ‚Virtual Classroom’ der Plattform www.intercultural-campus.org stattfinden wird.

1 Das Video ist unter http://www.youtube.com/watch?v=Yg2KY7Nue8M abrufbar.

Kończal: Querdenker, Vermittler, Grenzüberschreiter

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Rezension

Im Fokus der neusten Auswahl der deutschsprachigen Auf-sätze zur deutschen, polnischen und deutsch-polnischen Lite-ratur- und Kulturgeschichte des Breslauer Germanisten Marek Zybura stehen Querdenker, Vermittler und Grenzüberschrei-ter – Personen, Phänomene und Prozesse des Kulturtransfers. Das Spektrum der 22 Texte reicht von Zyburas ersten Roman-tikforschungen bis zu kulturhistorischen Studien über polni-sche Deutschen- und Deutschlandbilder. Bis auf einen Beitrag handelt es sich um Nachdrucke von Essays, wissenschaftli-chen Aufsätzen und narrativ gestalteten Lexikon-Beiträgen aus dem Zeitraum von 1985 bis 2006, was die formale Hete-rogenität der gesammelten Texte erklärt.

Tatsächlich wirft Zybura eine Reihe von inspirierenden For-schungsfragen auf, die verschiedenartige Themen aus dem Spektrum der – vorwiegend deutsch-polnisch fokussierten – Kulturtransferforschung abdecken. Die akribisch rekonstruier-te, spannende Geschichte der deutschen Übersetzung des nobelpreisgekrönten Romans „Chłopi“ von Władysław Stanisław Reymont erinnert an die Rolle der Übersetzer im erfolgreichen Funktionieren des grenzüberschreitenden Lite-raturbetriebs. Am Beispiel der Biographien und Werke von Bogumil Goltz und August Scholtis wird das Leben und das literarische Schaffen der beiden, heute fast völlig vergessenen Autoren geschildert. Die Gestalt des – ebenfalls fast völlig in Vergessenheit geratenen – Historikers, Kulturkritikers und Übersetzers Otto Forst de Battaglia, der maßgeblich zur Popu-larisierung der polnischen Literatur im deutschsprachigen Raum in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts beitrug, könnte als die Figur des Grenzüberschreiters schlechthin gel-ten. Erwähnenswert ist auch eine Studie, in der Grenzüber-gänge zwischen verschiedenen Formen der literarischen Ar-beit dargestellt werden: Die dichte Beschreibung des Dresd-ner Hoftheaters und dessen Dramaturgen Ludwig Tieck ver-anschaulicht die schwierigen Anfänge diesen neuen Berufes in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.

Weitere Studien betreffen u.a. die Doppelexistenz von Justi-nus Kerner als Arzt und Dichter, der sich später dem Somna-bulismus und Okkultismus wendete, Imagologie und Stereo-typenforschung (in Aufsätzen über das negative polnische Deutschlandbild „Krzyżak/Kreuzritter”), literarische Rezepti-onsforschung (in Studien über die Rezeption der deutschspra-chigen Literatur in Polen und insbesondere die polnische Ril-ke-Rezeption) sowie Erinnerungskultur (am Beispiel der in Breslau aufgestellten Racławice-Panorama). Schon alleine die-se Auflistung macht deutlich, wie vielfältig das in Kulturtrans-ferforschung bemühte Methodenspektrum sein kann: von Prosopographie, über Rezeptionsgeschichte und -ästhetik, bis hin zu Erinnerungsforschung und Übersetzungstheorie.

Zu bemängeln ist allerdings, dass der Breslauer Germanist, den einzelnen Studien keinen theoretischen Aufsatz über Formen und Funktionen des Kulturtransfers oder einen sys-

Querdenker, Vermittler, Grenzüberschreiter

Kornelia Kończal

M.A., wissenschaftliche Mitarbei-terin am Zentrum für Historische Forschung Berlin der Polnischen Akademie der Wissenschaften

Kończal: Querdenker, Vermittler, Grenzüberschreiter

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tematisierenden Überblick über exemplarische Figuren und Institutionen der Kulturvermittlung vorangestellte.

Es ist nicht gerade selbstverständlich, dass sich ein polnischer Germanist nicht nur mit der deutschsprachigen Literatur, sondern auch mit der polnischen Literatur- und Kulturge-schichte kompetent beschäftigt. Zyburas Studien über Józef Mackiewicz, Marek Hłasko und Witold Gombrowicz bewei-sen, dass Grenzüberschreitungen auf dem Gebiet der Litera-turwissenschaft durchaus gelungen und erkenntnisfördernd sein können.

Das Selbstverständnis des Autors bezieht sich übrigens auch auf die Notwendigkeit, Grenzen zwischen der wissenschaftli-chen Tätigkeit und der ‚Öffentlichkeitsarbeit’ zu überschrei-ten:

„Wer, wenn nicht vor allem die akademischen Germanisten sollten im pol-nischen öffentlichen Raum den Dialog mit der deutschen Literatur und Kul-tur mitinitiieren, natürlich auch mit ihr streiten, wenn es nötig ist […], auf jeden Fall sich um ihre kritische Aneignung in Polen kümmern.“ (Zybura 2007:326f.)

Grenzüberschreitung wird somit in mehrfacher Hinsicht zum zentralen Thema des vorliegenden Bandes: Als wissenschaftli-che Beschäftigung des Autors mit verschiedenen Formen des deutsch-polnischen Kulturtransfers und als die von ihm prak-tizierten Interdisziplinarität und Vermittlungstätigkeit.

Marek Zybura (2007): Querdenker, Vermittler, Grenzüber-schreiter. Beiträge zur deutschen und polnischen Literatur- und Kulturgeschichte. Mit einem Vorwort von Jürgen Joa-chimsthaler. [Veröffentlichung des Willy-Brandt-Zentrums für Deutschland- und Europastudien der Universität Wrocław]. Dresden: Neisse Verlag. ISBN-10: 3934038875, ISBN-13: 978-3934038875

Mahn: Kooperationskompetenz oder wie können Unternehmen vernünftig und erfolgreich zu-sammenarbeiten? Ein Werkzeugkasten mit Lösungen von Stefanie Rathje

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Renzension

Niemand wird ernsthaft widersprechen, wenn dem unter-nehmerischen Einzelkämpfer in der globalisierten Wirtschafts-welt immer weniger Chancen eingeräumt werden, erfolgreich zu bestehen. Folgerichtig gehen immer mehr Firmen auf na-tionaler oder internationaler Ebene zusammen – sei es dauer-haft in Form von Fusionen oder Übernahmen oder temporär im Rahmen nationaler oder internationaler Kooperationen. Und hier fangen meist die Probleme an: Wirtschaftlich ein-leuchtende Kooperationskonzepte, attraktive Börsenver-sprechen oder brillante Strategien aus den Vorstandsetagen müssen von Menschen in den zum Teil düsteren Niederungen der täglichen Auseinandersetzung mit dem Kooperations-partner mit Leben erfüllt und erfolgreich umgesetzt werden.

Die Autorin Stefanie Rathje, Kommunikations- und Betriebs-wirtin, erfahrene Managementberaterin und seit 2008 Inha-berin des Lehrstuhls für Unternehmensführung und Kommu-nikation an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Ber-lin, hat in Zusammenarbeit mit der Bertelsmann Stiftung über drei Jahre mehr als 50 Experten aus 17 Unternehmen von Airbus bis SAP befragt und damit eine der ersten qualitativen Untersuchungen zum Thema Kooperationskompetenz vorge-legt. Die Erkenntnisse aus dieser Studie liegen nun als „Tool-box zur Verbesserung der Zusammenarbeit in internationalen Kooperationen“ vor. Der etwas sperrige Titel trifft die Sache jedoch gut, denn in der weißen Plastikbox findet sich kein umfangreiches Fachbuch oder ein aus dem Amerikanischen übersetzter Managementratgeber mit Unfehlbarkeitsan-spruch, wie sie so gerne an gestresste Businessclass-Passagiere in Flughafenbuchhandlungen verkauft werden. Vielmehr gibt es eine kurze zusammenfassende Schilderung der Studienergebnisse und den daraus resultierenden Schluss-folgerungen, ergänzt durch ausschließlich praktisch anzu-wendende Arbeitsinstrumente (Leitfaden für die Anwendung der elektronischen Fragebögen mit Auswertungsfunktion so-wie die Moderations- und Planungshilfen). Die Toolbox ist damit vor allem für operativ tätige Manager oder externe Be-rater von Interesse, die sich fernab von Strategiemeetings mit den praktischen und damit vor allem kommunikativen Aspek-ten einer Kooperation auseinandersetzen müssen. Die Tool-box ist also ausdrücklich kein Werk, das im Regal die theoreti-sche Auseinandersetzung des Eigentümers mit seinem Inhalt geduldig dokumentiert; seine Erkenntnisse und sein Nutzen erschließen sich am besten bei Anwendung in der praktischen Arbeit.

Im Handbuch werden die Ergebnisse der Interviews mit den existierenden Arbeiten zur Kooperationskompetenz in Bezie-

Kooperationskompetenz oder wie können Unter-nehmen vernünftig und erfolgreich zusammen-arbeiten? Ein Werkzeug-kasten mit Lösungen von Stefanie Rathje

Dr. Matthias Mahn, MScPM

hat auf verschiedenen Positionen im französisch-deutschen Pharmakonzern Sanofi-Aventis gearbeitet

Mahn: Kooperationskompetenz oder wie können Unternehmen vernünftig und erfolgreich zu-sammenarbeiten? Ein Werkzeugkasten mit Lösungen von Stefanie Rathje

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hung gesetzt und daraus 3 grundlegende Erfordernisse einer erfolgreichen Kooperation abgeleitet (Differenzbewältigung, Beziehungsmanagement, Prozessgestaltung). Im Anschluss wird der Leser mit klassischen Konfliktsymptomen konfron-tiert. Nachdem Konflikte von den Kooperationspartnern in ihrer jeweiligen Konstellation als hochspezifisch, in der Regel jedoch immer als dramatisch und unausweichlich erlebt wer-den, enthüllt die Einteilung der gängigen Anzeichen von Konflikten in drei Eskalationsstufen „Erkennen von Gegensät-zen, Parteinahme und am Ende unkooperatives Verhalten“ die zugrundeliegenden kommunikativen Mechanismen und Fehlfunktionen, die ohne Intervention in der Regel tatsächlich zum Scheitern einer Kooperation führen. Ein wesentliches Studienergebnis für die praktische Arbeit eines Koopera-tionsmanagers ist somit die strikte Trennung von Problem-ursachen und den offensichtlichen Konfliktsymptomen. Wer hat sich wirklich schon einmal in Ruhe darüber Gedanken gemacht, warum ein Kooperationspartner beispielsweise eine E-mail nicht innerhalb eines angemessenen Zeitraumes be-antwortet haben könnte? Nur wenige der möglichen Ursa-chen werden durch die in der Regel sehr rasch und mit mehr oder weniger Nachdruck erfolgende Nachfrage/Erinnerung („friendly reminder“) adäquat adressiert. Ganz im Gegenteil wirkt diese fast schon selbstverständliche Verhaltensweise in der Mehrzahl der Fälle alles andere als konstruktiv im Sinne einer Ursachenbehebung und damit potentiell Konflikt auslö-send. Somit gelingt der Autorin anhand eines alltäglichen und unspektakulären Beispiels eine eindrucksvolle Begründung für die Aufforderung, Ursache und Zeichen von Konflikten deut-lich voneinander zu trennen und diese vor Ergreifen irgend-welcher Maßnahmen zum Kooperationsmanagement einge-hend und in alle Richtungen zu analysieren.

Sämtliche Schlussfolgerungen in dem Handbuch werden durch Originalzitate aus den dieser Arbeit zugrundeliegenden Interviews mit den Experten illustriert – ein Verfahren, bei dem sich der Leser ob der geschilderten, oft sehr naheliegen-den aber am Ende fehlerhaften Verhaltensweisen, häufig er-tappt fühlen dürfte. Somit ist stets für die nötige Aufmerk-samkeit gesorgt und die Hoffnung erscheint nicht unbegrün-det, dass sich über eine gesteigerte Sensibilität für die allen Kooperationen zugrundeliegenden kommunikativen Phäno-mene tatsächlich eine Verbesserung im Management von Kooperationen erreichen lässt.

Die Toolbox macht es dem Leser bzw. Anwender leicht, denn sie belässt es nicht bei der sprachlich und graphisch gut auf-bereiteten Schilderung der kommunikativen Probleme bei Kooperationen sowie der Herleitung von Lösungsansätzen. Die beigefügte CD-ROM mit strukturierten Fragenbögen zur

Mahn: Kooperationskompetenz oder wie können Unternehmen vernünftig und erfolgreich zu-sammenarbeiten? Ein Werkzeugkasten mit Lösungen von Stefanie Rathje

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Kooperationskompetenz und der Interaktionsqualität sowie den nötigen Auswertungsalgorithmen sind wie auch alle an-deren Moderationsinstrumente im Rahmen von Gruppen- oder Einzelbesprechungen unmittelbar anwendbar. Auf der CD-ROM finden sich alle Materialen zudem in Englisch.

Mit dieser Toolbox steht gründlich recherchiertes, gut aufbe-reitetes und vielfältig anwendbares Material zur Verfügung, in dem sich erschöpfend Antworten auf alle praktischen Fra-gen zum fairen, effektiven und erfolgreichen Management von Unternehmenskooperationen finden.

Rathje, Stefanie (2008): Kooperationskompetenz: Toolbox zur Verbesserung der Zusammenarbeit in internationalen Koope-rationen. Gütersloh: Bertelsmann-Stiftung Verlag. ISBN 978-3-86793-007-9, Preis: 44, 00 Euro.