politikorange Politiktage

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politik orange Für Phil ist die Sache klar: „Die Politik- tage sind eine reine Alibiveranstaltung“. Ministerin Bergmann sieht das anders: „8.000 junge Menschen beschäftigen sich aktiv mit Politik.“ Die Politiker kamen als Repräsen- tanten. Staatsmännisch gaben sie Auto- gramme, denierten „Demokratie“ und lächelten freundlich in die Kamera, umringt von jungen Leuten. Wenige Monate vor der Wahl sind solche Bilder Gold wert. Die Veranstaltung sollte der Höhepunkt und Abschluss der Bundesinitiative Beteiligungsbewegung „ich mache politik“ werden. „Doch dafür muss die Jugend erst einmal beteiligt werden!“ sagte Phil. Die Initiative ging vom Ministerium aus, das Konzept lieferte eine kom- merzielle Agentur. Wie zu einem Pop- konzert strömten die Massen in die Technische Universität. Ihre Motive waren verschieden: „Eine günstige Reise nach Berlin“, meinte einer. „Ein verlängertes Wochenende mit der Freundin“ oder „der Aufruf des Sozialkundelehrers“ sagten andere. Nur wenige Interessierte kamen, um sich zu vernetzen. Ein Gemeinschaftsgefühl entstand aber nicht. Die Atmosphäre war zu hektisch für intensive Gespräche und regen Austausch. Die Konzepte zur Beteiligung von Jugendlichen blieben unklar. „Teilneh- men bedeutet nicht gleich beteiligen!“, betonte Wolfgang Peschel vom Deut- schen Bundesjugendring. Selbst die Podiumsdiskussionen endeten, trotz hochkarätiger Moderatoren, oft in Monologen. Die Kritik geht weiter: „Viele Work- shops werden von Amateuren geleitet“, beschwerte sich Dennis aus Berlin Also verzog sich mancher Teilnehmer lieber zum Einkaufen in die Stadt. Doch eben nur mancher: „So macht Politik Spaß“, sagte Elli. Kurz zuvor hatte sie sich über die „hohlen Aussagen“ eines Politikers aufgeregt. Doch sie konnte ihm direkt ihre Meinung sagen - und er hörte zu. „Ich musste mir zum ersten Mal rich- tig Gedanken zu einem politischen Thema machen“, meinte die Schülerin. Ministerin Bergmann wird es freuen. „Jugendliche wollen mitmachen“, sagte sie, „und dazu sind die Politiktage da“. Man müsse weg von den traditionellen, oft langweiligen Strukturen der Beteili- gung, so die Jugendministerin. „Politik darf auch Spaß machen“. Etwa auf dem Markt der Möglichkeiten, dort konnten die Teil- nehmer jugendliche Projekte kennenler- nen. „Wer bisher nicht fragte, wo er aktiv werden kann - hier gab es Antworten“ zeigte sich Elli überzeugt. „Ich habe mit den Infoscouts gesprochen“, sagte sie, „Jugendorganisationen haben alles mit vorbereitet“. Junge Menschen wie Mirko. Er hat einen Workshop „Schreiben gegen Rechts“ geleitet. „Die Teilnehmer waren wirklich interessiert „, resümierte er. „Da diskutieren Leute, die sich sonst nie unterhalten würden: Die Münchnerin und der Berliner streiten hier über türkische Kopftücher.“ Workshops zu Osteuropa, „footbag- freestyle“ oder Radio machen konnten die Gäste der Politiktage besuchen. Insgesamt mehr als 100 Workshops zeigten, wo Engagement möglich ist, welche Themen für Jugendliche inter- essant sein können. Denn jeder konnte Workshops anbieten. So luden Künstler, Jugendvereine oder Journalisten dazu ein, ihre Welt kennenzulernen, dann darüber zu diskutieren und auch zu streiten. Für die Veranstalter ist klar: „Damit sich endlich viele engagieren, müssen wir Politik mit Party verbinden. Da spricht doch nichts dagegen.“ Genauso sieht es auch Elli. Nach vielen spannenden Gesprächen und Diskussionen stand sie, mit Unmengen von Infomaterial beladen, auf der Abschlussparty - und zwar begeistert: „Für mich waren die Politiktage richtig cool.“ Elli nutzte die Politiktage, um Kontakte zu knüpfen. Für Phil eine Alibiveranstaltung. Trotz- dem: Bundesjugendministerin Christine Bergmann schrieb es groß auf den orangen Bären, der ihr überreicht wurde: „Politik braucht Euch“. SINA KAUFMANN, CLAUDIA KURKIN, KARL MUSIOL, RAPHAEL NEUNER „Politik braucht euch!“ Fast 8000 Teilnehmer kamen zu den Politiktagen nach Berlin. Die einen fanden Spaß an Diskussionen und am Engagement. Andere gingen lieber shoppen. »Ich dachte, es bricht alles zusammen« Wenn plötzlich mehr Teilnehmer kommen als erwartet. 2 »Lebende Wegweiser in orangenen Leibchen« 124 Infoscouts versuchten alle Fragen zu beantworten. 3 »Orangen aller Länder vereinigt euch« Die Politiktage aus der Sicht einer saftigen Südfrucht. 12 Zeitung zu den Politiktagen | 14. bis 16. März 2002, Berlin Bundesverband Jugendpresse e.V. | Deutsche Jugendpresse e.V. saftig „Hast du den da grad gesehen? Den mit dem Block in der Hand, mit der Kamera? Der ist mir auf den Fuß getreten!“ „Nee, den hab ich nicht gesehen.“ Vielleicht sind wir auch dir auf die Füße getreten, gefolgt von einem kurzen, noch zugerufenen „Sorry!“ und das war’s. Schon waren wir wieder verschwunden. Wahrgenommen als zuckender Schatten mit Stift und Block in der Hand – schönes altes Klischee des rasenden Reporters. Mehr hat man wohl nicht bemerkt. Doch, vielleicht noch das Blitzlicht. Fragen stellen, ein biss‘l nerven und vielleicht zum Nachdenken anregen, für uns Spaß. Vielleicht auch mehr, Leidenschaft? Auf den Politiktagen rannten wir von Workshop zu Workshop und zurück zur Podiumsdiskussion. 24 Stunden für eine Zeitung. Und dies, wie wir hoffen, zu eurer Zufriedenheit. Wir, 20 junge Medienmacher aus ganz Deutschland, versuchten auf den Politiktagen aufzugreifen, was euch bewegt. Wo ist der Raum? Wie schmeckt denn bloß das Essen? Und wo ist eigentlich die Bergmann? Die Antworten findet ihr hoffentlich spätestens jetzt: „politikorange“ Wir wünschen euch viel Spaß beim Lesen und natürlich beim Erinnern an die Politiktage! themen »Ist Deutschlands Bildung am Boden?« Nach PISA muss an unseren Schu- len etwas passieren. 4 »Über das Wahlrecht neu diskutieren« Christine Bergmann will Einfluss von Jugendlichen stärken. 7 »Piraten im Hörsaal der Universität« Gewerkschaftsjugend macht auf sich aufmerksam. 11

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politikorange zu den Politiktagen vom 14.-16. März 2002 in Berlin

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politik orange

Für Phil ist die Sache klar: „Die Politik-tage sind eine reine Alibiveranstaltung“. Ministerin Bergmann sieht das anders: „8.000 junge Menschen beschäftigen sich aktiv mit Politik.“

Die Politiker kamen als Repräsen-tanten. Staatsmännisch gaben sie Auto-gramme, defi nierten „Demokratie“ und lächelten freundlich in die Kamera, umringt von jungen Leuten. Wenige Monate vor der Wahl sind solche Bilder Gold wert. Die Veranstaltung sollte der Höhepunkt und Abschluss der Bundesinitiative Beteiligungsbewegung „ich mache politik“ werden. „Doch dafür muss die Jugend erst einmal beteiligt werden!“ sagte Phil.

Die Initiative ging vom Ministerium aus, das Konzept lieferte eine kom-merzielle Agentur. Wie zu einem Pop-konzert strömten die Massen in die Technische Universität. Ihre Motive waren verschieden: „Eine günstige Reise nach Berlin“, meinte einer. „Ein verlängertes Wochenende mit der Freundin“ oder „der Aufruf des Sozialkundelehrers“ sagten andere. Nur

wenige Interessierte kamen, um sich zu vernetzen. Ein Gemeinschaftsgefühl entstand aber nicht. Die Atmosphäre war zu hektisch für intensive Gespräche und regen Austausch.

Die Konzepte zur Beteiligung von Jugendlichen blieben unklar. „Teilneh-men bedeutet nicht gleich beteiligen!“, betonte Wolfgang Peschel vom Deut-schen Bundesjugendring. Selbst die Podiumsdiskussionen endeten, trotz hochkarätiger Moderatoren, oft in Monologen.

Die Kritik geht weiter: „Viele Work-shops werden von Amateuren geleitet“, beschwerte sich Dennis aus Berlin Also verzog sich mancher Teilnehmer lieber zum Einkaufen in die Stadt. Doch eben nur mancher: „So macht Politik Spaß“, sagte Elli. Kurz zuvor hatte sie sich über die „hohlen Aussagen“ eines Politikers aufgeregt.

Doch sie konnte ihm direkt ihre Meinung sagen - und er hörte zu. „Ich musste mir zum ersten Mal rich-tig Gedanken zu einem politischen Thema machen“, meinte die Schülerin.

Ministerin Bergmann wird es freuen. „Jugendliche wollen mitmachen“, sagte sie, „und dazu sind die Politiktage da“. Man müsse weg von den traditionellen, oft langweiligen Strukturen der Beteili-gung, so die Jugendministerin. „Politik darf auch Spaß machen“.

Etwa auf dem Markt der Möglichkeiten, dort konnten die Teil-nehmer jugendliche Projekte kennenler-nen. „Wer bisher nicht fragte, wo er aktiv werden kann - hier gab es Antworten“ zeigte sich Elli überzeugt. „Ich habe mit den Infoscouts gesprochen“, sagte sie, „Jugendorganisationen haben alles mit vorbereitet“.

Junge Menschen wie Mirko. Er hat einen Workshop „Schreiben gegen Rechts“ geleitet. „Die Teilnehmer waren wirklich interessiert „, resümierte er. „Da diskutieren Leute, die sich sonst nie unterhalten würden: Die Münchnerin und der Berliner streiten hier über türkische Kopftücher.“

Workshops zu Osteuropa, „footbag-freestyle“ oder Radio machen konnten die Gäste der Politiktage besuchen.

Insgesamt mehr als 100 Workshops zeigten, wo Engagement möglich ist, welche Themen für Jugendliche inter-essant sein können. Denn jeder konnte Workshops anbieten. So luden Künstler, Jugendvereine oder Journalisten dazu ein, ihre Welt kennenzulernen, dann darüber zu diskutieren und auch zu streiten.

Für die Veranstalter ist klar: „Damit sich endlich viele engagieren, müssen wir Politik mit Party verbinden. Da spricht doch nichts dagegen.“ Genauso sieht es auch Elli. Nach vielen spannenden Gesprächen und Diskussionen stand sie, mit Unmengen von Infomaterial beladen, auf der Abschlussparty - und zwar begeistert: „Für mich waren die Politiktage richtig cool.“ Elli nutzte die Politiktage, um Kontakte zu knüpfen. Für Phil eine Alibiveranstaltung. Trotz-dem: Bundesjugendministerin Christine Bergmann schrieb es groß auf den orangen Bären, der ihr überreicht wurde: „Politik braucht Euch“. SINA KAUFMANN, CLAUDIA KURKIN, KARL MUSIOL, RAPHAEL NEUNER

„Politik braucht euch!“Fast 8000 Teilnehmer kamen zu den Politiktagen nach Berlin. Die einen fanden Spaß an Diskussionen und am Engagement. Andere gingen lieber shoppen.

»Ich dachte, es bricht alles zusammen«Wenn plötzlich mehr Teilnehmer kommen als erwartet. 2

»Lebende Wegweiser in orangenen Leibchen«124 Infoscouts versuchten alle Fragen zu beantworten. 3

»Orangen aller Ländervereinigt euch«Die Politiktage aus der Sicht einer saftigen Südfrucht. 12

Zeitung zu den Politiktagen | 14. bis 16. März 2002, BerlinBundesverband Jugendpresse e.V. | Deutsche Jugendpresse e.V.

saftig„Hast du den da grad gesehen? Den mit dem Block in der Hand, mit der Kamera? Der ist mir auf den Fuß getreten!“ „Nee, den hab ich nicht gesehen.“

Vielleicht sind wir auch dir auf die Füße getreten, gefolgt von einem kurzen, noch zugerufenen „Sorry!“ und das war’s. Schon waren wir wieder verschwunden. Wahrgenommen als zuckender Schatten mit Stift und Block in der Hand – schönes altes Klischee des rasenden Reporters. Mehr hat man wohl nicht bemerkt. Doch, vielleicht noch das Blitzlicht.

Fragen stellen, ein biss‘l nerven und vielleicht zum Nachdenken anregen, für uns Spaß. Vielleicht auch mehr, Leidenschaft? Auf den Politiktagen rannten wir von Workshop zu Workshop und zurück zur Podiumsdiskussion. 24 Stunden für eine Zeitung. Und dies, wie wir hoffen, zu eurer Zufriedenheit. Wir, 20 junge Medienmacher aus ganz Deutschland, versuchten auf den Politiktagen aufzugreifen, was euch bewegt. Wo ist der Raum? Wie schmeckt denn bloß das Essen? Und wo ist eigentlich die Bergmann? Die Antworten findet ihr hoffentlich spätestens jetzt:

„politikorange“

Wir wünschen euch viel Spaß beim Lesen und natürlich beim Erinnern an die Politiktage!

themen

»Ist DeutschlandsBildung am Boden?«Nach PISA muss an unseren Schu-len etwas passieren. 4

»Über das Wahlrechtneu diskutieren«Christine Bergmann will Einfluss von Jugendlichen stärken. 7

»Piraten im Hörsaalder Universität«Gewerkschaftsjugend macht auf sich aufmerksam. 11

Wer Wind sät, wird Sturm ernten. Zu Wochenbeginn lagen bereits 7000 Anmeldungen für die Politiktage vor. Trotzdem entschieden sich die Organisatoren dazu, am Montag nochmals 400 Programmhefte an örtliche Schulen zu verschicken. Am Freitagmorgen dann das: 3000 Berliner Schüler drängen sich vor den Türen der Technischen Universität. Ein einziges Drücken, Schieben und Warten. „Ich dachte jetzt bricht alles zusammen“, so Rudolf Hetzel, Leiter des Organisationsteams der politikagentur. Warum dann die zusätzlichen Einladungen? „Massen-ansatz ist Medienansatz, denn nur so kann man sich Gehör verschaffen.“ Er wollte zeigen, dass Jugend mehr als nur Love-Parade ist. „Und ich bin nach wie vor der Ansicht, dass der Ansatz richtig ist“, erklärt Hetzel. Doch mit dieser Resonanz hat er nicht gerechnet. Hinzu kommt, dass ein Drittel der angekündigten Referenten und Diskussionsteilnehmer kurzfri-stig absagte. Wer sich außerdem auf die Hausmeister verließ, der war verlassen. Die von der Universität übernommene Technik bei zwei Podi-umsdiskussionen fi el prompt aus, die

Öffnungszeiten der Gebäude und Räume wurden bürokratisch genau eingehalten, so dass die Teilnehmer vor versperrten Sälen warten mus-sten.

Bereits am Abend zuvor hatte die Großveranstaltung gezeigt, welche Risiken die enorme Teilnehmerzahl in sich birgt: „Sorry, wir sind leider voll, aber ihr könnt es ja mal dort probieren...“ Eine Floskel, die sich viele Politiktage-Besucher am Don-nerstagabend öfters anhören mussten. Überbelegung! Scheinbar sichere Unterbringungsmöglichkeiten ent-schwanden in unerreichbare Ferne. Ratlose Jugendliche saßen auf ihren Koffern und starrten müde vor sich hin. „Na prima, habe ich mir gedacht“, beschreibt Martin Kilgus die Situation, „aber das bin ich von anderen Events dieser Art schon gewohnt.“ Alleinge-lassen hat er sich aber nicht gefühlt - zu keiner Zeit. „Ich habe ja mitbe-kommen, dass sich die Organisatoren sofort um eine andere Bleibe bemüht haben.“ Und schließlich hat es auch geklappt.

Fast 8000 Menschen nahmen schließlich an den Veranstaltungen teil. Logistik en masse war dafür

nötig. Alle wollten betreut, verpfl egt und einige auch noch untergebracht werden. Dafür 40 Organisatoren von der politikagentur. „Für die meisten Teammitglieder ist dies die erste Ver-anstaltung in dieser Größenordnung“, erklärt Joana Hientz. Die 27-Jährige ist Sprecherin für die drei Veranstalter: politikagentur, Deutsches Jugendin-stitut und Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Es sei klar, dass vieles anders eintrete, als man es vorher planen könne - schließlich handelt es sich um Men-schen und kein Stückgut. „Manche Gruppen sind in anderen Zusammen-setzungen oder mit mehr Teilnehmern gekommen“, erklärt Joana Hientz. Da müsse man fl exibel sein und schnell umdisponieren. Auch wenn dadurch kurzfristige Probleme entstanden seien, habe das Organisationsteam letztlich alle Teilnehmer rechtzeitig in verschiedenen Häusern unterbringen können.

Ähnlich verhielt es sich mit den Termin- und Raumplänen an der Technischen Universität. Kleine Kara-wanen zogen über die Gänge, versuch-ten einen Raum für ihren Workshop zu fi nden. Referent Mirko Kraft: „Da

der vorgesehene Saal bereits voll war, mussten wir uns halt etwas Neues suchen.“ Auch das Vorführmaterial war nicht das, was er eigentlich für seine Zwecke vorzufi nden erhoffte. Ein Schicksal, das mehrere Workshops samt Zuhörer teilten. Dennoch: „Es wäre ein Wunder, wenn bei einer Gesamtzahl von 125 Workshops alles reibungslos und ohne Fehler verlaufen würde“, merkt Joana Hientz an. Kurzfristige Absagen, Zeiten und Räume veränderten sich und schließlich könne keiner gezwungen werden, in den Workshop zu gehen, für den er sich angemeldet habe. So komme es, dass trotz ausgeglichener Anmeldungen einige Veranstaltungen leer, andere überlaufen seien. Spontane Meinungswechsel und Gruppendyna-mik kann man eben nicht einplanen.

Die Politiktage haben das Organi-sationsteam vor unvorhersehbare und unvermeidliche Probleme gestellt. Dennoch glaubt Joana Hientz, dass das Event ein Erfolg war: „Dafür spricht schon die gute Atmosphäre bei den Teilnehmern.“ Wie gut der Kongress wirklich war, soll eine Auswertung des Deutschen Jugendin-stituts ermitteln.

„Ein Wunder, wenn alles glatt läuft“Vorhersehbare und unvermeidliche Probleme einer Großveranstaltung: Absagen, Chaos, Müll und die Technik streikt auch. Von Peter Lausmann

politik orange02 konzentrat

„Von den Politiktagen habe ich durch die Schule erfahren und gleich meine Freundin Nathalie mitgebracht. Sie ist nämlich genauso politikin-teressiert wie ich. Am mei-sten freuen wir uns auf den ‚Ich will Spaß‘-Workshop mit Claudia Roth von den Grünen und die chinesische Botschaft, die wir uns auf jeden Fall noch anschauen möchten. Dennoch sind es etwas zu viele Teilnehmer, man verliert sehr leicht den Überblick. Ansonsten erhoffe ich mir einen tieferen Einblick in die Politik und möchte auch gern prominente Politiker hautnah erleben könnnen. In der kurzen Zeit haben wir schon viele nette Leute kennengelernt und das besondere Flair der Bundeshauptstadt genossen. So eine Veranstaltung müsste es öfter geben! Aber wenn ich ‚orange‘ höre, denke ich selbstverständlich an Obst.“ clk

„Orange? Ab zumIch-will-Spaß-Workshop“

MIRIAM, 16, ODENTHAL

fruchtfleisch

„Was wir hier machen? Ist doch klar! Wir wollen für ein bisschen Unruhe und positiven Sinn sorgen. Aller-dings interessiert uns auch das Diskussionsangebot und vor allem, dass wir unsere Meinung mal den Politikern, so zu sagen, direkt ins Gesicht sagen können. Deshalb wollen wir auch die Podiumsdiskussion mit Angela Marquardt, MdB PDS, besuchen und uns dort auch aktiv einbringen und für posi-tiven Sinn sorgen. Im Sinne der Veranstaltung werden wir uns dann für Politik begeistern und mitwirken. Wie bis jetzt alles bei uns gelaufen ist? Naja, bis jetzt hat alles geklappt. Bis darauf, dass unsere Gruppe weg ist und wir nicht wissen wo wir schlafen sollen, aber sonst - läuft es bestens! Orange? Die Farbe meiner Partei, die ich irgend-wann mal gründen werde.“ bp

„Orange? Farbe der Partei, die ich mal gründe“

WILLEML, 16, HAMBURG

„Meine Freundin, die Scout ist, und ich haben in der Schule von den Politiktagen gehört. Die Informationen klangen auf Anhieb sehr interessant und da haben wir uns gleich angemeldet. Her-gekommen bin ich vor allem wegen meines Interesses an Politik und auch ein wenig wegen Berlin. Meine Freundin wollte lieber etwas von der Organisation mitbekommen. Denn in der Bundeshauptstadt war ich bisher noch nie. Ich lasse mich einfach überraschen! Bisher gab es (noch) keine Probleme. Super ist, dass hier Jugendliche aus ganz Deutschland zusammen kommen und unser Interesse an Politik gefördert wird. Ich bin gespannt, wie die Podiums-diskussion ‚Mitmachen, Einmischen, Mitentscheiden‘ wird. Bisher hat es sich wirklich gelohnt. Und wenn ich ‚orange‘ höre, denke ich mittlerweile an die Politiktage.“ clk/bp

„Orange? Da denk‘ich an die Politiktage“

ANNE, 17, ASCHAFFENBURG

bundesverband jugendpresseWir machen Medien - wie diese Zeitung. Im Bundesverband Jugend-presse e.V. (BVJ) sind Jugendmedien in Deutschland organisiert. 5000 junge Menschen haben sich über unsere Landesverbände zusammen-geschlossen. Sie alle schreiben für Schülerzeitungen und Studentenmaga-zine. Sie fotografieren gerne oder layouten. Unsere Mitglieder machen Internet-Magazine oder drehen Video-filme. Wir helfen ihnen dabei und geben ihnen ein Forum.Unsere Mitglieder sind Schüler und Studenten, Volontäre und Auszubil-dende. Viele von ihnen engagieren sich bei uns – machen Layout, sind Chefredakteure und schreiben Artikel. Sie organisieren Events, arbeiten an PR-Konzepten oder fotografieren. Sie nutzen die einmalige Chance, schon jetzt viele Bereiche der Medien kennen zu lernen.Für sie und durch ihre Hilfe bieten wir ein breites Angebot an: Seminare und Workshops, Publikationen, Ausbildungsberatung, unser Bundes-bildungszentrum sowie unser Interne-tangebot – damit wollen wir junge Menschen für die Medien begeistern und mit ihnen gemeinsam Medien machen. Seit 15 Jahren leisten wir diese erfolgreiche Arbeit. Das Besondere daran: Bei uns bestimmen Jugendliche selbst über den Verein. Wir sind als gemeinnütziger Verein und freier Träger der Jugendhilfe anerkannt. Dies ist ein Qualitätsmerkmal und eine Verpflichtung für uns. Unsere Arbeit wird vom Bundesministerium für Fami-lie, Senioren, Frauen und Jugend unterstützt.

deutschejugendpresseDie Deutsche Jugendpresse e.V. ist eine Selbstorganisation junger MedienmacherInnen in Deutschland.In erster Linie entscheiden Schüler-zeitungsredakteure selbst, was im Verband geschieht. Mitglied werden können junge MedienmacherInnen von nicht-kommerziellen Medien in unseren Stadt- und Landesarbeits-gemeinschaften. Die Jugendpresse-verbände sind einerseits eine Art Gewerkschaft, andererseits sind es Zusammenschlüsse, die uns allen die „alltägliche“ Arbeit erleichtern. Ein fester Bestandteil unserer Arbeit ist der Kampf gegen Zensur und Vertriebs-verbote von Schülerzeitungen. Zen-sierten Zeitungen stehen wir mit Rat und Tat zur Seite. Infos findet Ihr unter www.deutsche-jugendpresse.de.

03sonnengereiftZeitung zu den Politiktagen | 14. bis 16. März 2002, BerlinBundesverband Jugendpresse e.V. | Deutsche Jugendpresse e.V.

„Ich bin mit neun ande-ren Schülern und zwei Lehrern hier zu den Politiktagen nach Berlin gefahren. Bisher ist alles ganz gut gelaufen. Ich schätze, dass es die Politiktage gibt, damit Schüler wie wir etwas lernen, zum Beispiel in Bezug auf die bevorste-hende Wahl. Wir sollen Informationen sammeln und mehr über Politiker erfahren und das, was sie machen. Aber ganz sicher bin ich mir nicht. Gelohnt hat sich die Fahrt bisher auf jeden Fall, auch wenn wir noch nicht genau wissen, was wir uns anschauen wollen. Wir machen das eher spontan. Was ich mit ‚orange‘ verbinde? Ganz klar, das ist doch eine Warn-farbe! Orange fällt einfach sofort ins Auge, so dass man sie nicht übersehen kann! Deswegen hängen auch überall die orangen Ich-mache-Politik-Banner und -Fahnen.“ kr

„Signalfarbe! Orangefällt sofort ins Auge“

HANNAH, 17, BAD SEGEBERG

„Wir haben einen Flyer bekommen, sofort an Schulausfall gedacht und 28 Leute gesammelt. Lehrer haben wir nicht mitgenommen. Was uns hier erwartet, weiß ich noch gar nicht, da ich das Programmheft erst jetzt bekommen habe. Das zeigt doch, wie schlecht die Organisa-tion bisher war: Wir konnten nicht in der Mensa essen, mussten fast zwei Stunden durch Berlin laufen und haben nun auch eine ziemlich mittelmäßige Unterkunft. Besser: Eine Fläche zum Schlafen! Überhaupt haben wir keine Ahnung, was passieren wird und wo wir teilnehmen können. Dazu müsste man zunächst das Programm lesen. Die Politiktage sollen wohl unser Interesse wecken. Oder die Herren Politiker wollen mal wieder Volksnähe demonstrieren, die es gar nicht gibt. Jugendliche sind nun einmal auch Wähler!“ kr

„Die Herren Politikerzeigen nur Volksnähe“

TORSTEN, 21, SUHL

„Ich mache auf den Poli-tiktagen eine Umfrage für die Landeszentrale für politische Bildung, obwohl ich selbst ehrlich gesagt politisch nicht so bewandert bin. Ich muss mit einem Fragebogen herumlaufen und Leute interviewen. Ich erwarte, dass die Tage gut und interessant werden - aber auch sehr stressig, weil hier so viele Jugendliche auf einem Haufen sitzen. Dafür, dass die Teilnehmerzahl so groß, ist die Orga-nisation wirklich gut. Es ist richtig, dass viele Spitzen-politiker die Veranstaltung besuchen. Das bringt den Jugendlichen Politik näher. Leider werde ich wegen meiner Arbeit nicht an Workshops oder Foren teilneh-men können. Aber bestimmt werde ich viele interes-sante Leute kennen lernen. Orange sind für mich die Info-Leute, die hier überall mit ihren knalligen T-Shirts herum laufen.“ kr

„Politiktage - ‘ne ganzeMenge Jugendliche“

SUSAN, 20, HILDEN

fruchtfleisch

„Spaß muss sein - Lachen ist gesund!“ Das ist Daniel Smarslys Lebensmotto. Der 18-jährige Schüler steht am Check-In-Schalter - als „Infoscout“. Seine Aufgabe: kommunizieren, zu Engagement animie-ren und vor allem: Fragen beantworten. „Kannst du mir vielleicht sagen, wie ich in den Raum MA 551 komme?“, fragt eine etwas aufgeregte Teilnehmerin. Während einige etwas ratlos dastehen und vielleicht auf Freunde warten oder sich für keinen Workshop entscheiden können, drängeln andere am Infoschalter. Es stellt sich keiner an. Alle haben es eilig, und jedes Anliegen ist wichtig. „Es fehlen orangene Bänder!“, schreit der Scout Jan-Kristian Kesten in die Runde. „Es gibt keine mehr, defi nitiv“, heißt es aus der hinteren Ecke. „Das kann doch nicht wahr sein“, ärgert sich Daniel, und ehe er den Satz aussprechen kann, kommt ein ganz anderes Problem auf. Ein Teilnehmer hat sich per Internet für den Workshop „Jugend und Ostarbeit“ angemeldet - kann den Raum aber nicht fi nden. Der Teilnehmer schaut auf seine Uhr, wird mit der Zeit immer ungeduldiger. Währenddessen schnappt sich Daniel Smarsly sein Handy und nervt jemand anderen. „Ich habe hier einen Teilnehmer, der seinen Workshop sucht. Ja, mit einem PDS-Abgeordneten. Wo schicke ich den hin?“ Keiner weiß es. Daniel ist ratlos. „Ich bin immer etwas traurig, wenn ich den Leuten nicht helfen kann.“ Auch Kollegin Anne wusste lange nicht, wo die Räume sind und musste bei jeder Frage das Programmheft zücken. „Aber so ist eben die Organisation,“ meinen die zwei. Außer ihnen gibt es noch 122 weitere Infoscouts - angereist aus ganz Deutschland. Sie sind tätig in Jugendinitiativen, Jugendparlamen-ten, Schülervertretungen. Angeheuert für den Job hat sie die „Servicestelle Jugendbeteiligung“ aus Berlin. Warum die? Die verantwortliche Politikagentur wollte das so.

Es stinkt nach Zigarettenqualm. Die gesamte Eingangshalle der TU ist mittler-weile in eine Rauchwolke gehüllt. Auf dem Boden liegen überall Papierschnipsel, die Mülleimer quillen über. Und auch der Cola-Automat muss dringend wieder nachgefüllt werden. Kein Wunder - bei 7000 Teilnehmern. Trotz Stress bleibt der 18-Jährige gelassen, erzählt von seinen Erlebnissen. „Vorhin kam einfach jemand auf mich zu und erzählte von seinen

Eindrücken der Veranstaltung und wie unspektakulär eine Diskussion verlief. So ein Gespräch schafft Atmosphäre. Das fi nde ich schön.“ Ein anderes Beispiel: „Gestern kam jemand an, der nur die Trommlergruppe sehen wollte und von der Veranstaltung an sich nichts wusste. Mit ihm habe ich erst einmal gequatscht, ihm erzählt, worum es geht. Und heute ist er wieder gekommen“, sagt Daniel grinsend. Und nimmt noch einen Schluck von seiner Cola. Plötzlich wieder Hektik. „Der Workshop gegen Rechts mit Sebastian Edati (Bundes-tagsabgeordneter der SPD) findet jetzt in Raum 104 statt,“ dröhnt es aus dem Megaphon durch die ganze Eingangshalle der TU, „ich wiederhole: Raum 106.“ Bei den Interessierten herrscht nun völlige Verzweifl ung. „Wo denn nun?“ brüllt ein

kräftiger Herr in Lederhose. „T‘schuldigung, 104, Raum 104“ wiederholt Daniel. Dar-aufhin marschiert eine Meute junger politi-kinteressierter Menschen geradeaus. Ein paar Jugendliche drehen sich immer noch mit suchendem Blick im Kreis.

Wenige Stunden später hat sich das Chaos gelegt. In der Zwischenzeit ist nicht viel Spektakuläres passiert. „Oh doch! Jemand hat mir mein Mittagessen gebracht“, greift Daniel ein. Die Rauchwolke ist immer noch da. Aber im Gegensatz zum Vormittag spürt man die frische Luft, wenn jemand die Eingangstür öffnet. Größtenteils haben die Leute sowohl ihre Workshops als auch ihre Diskussionsräume gefunden und machen ganz zufriedene Gesichter. Wie sagte noch Daniel? „Spaß muss sein - Lachen ist gesund.“

„Kann doch nicht wahr sein“Nur die Flügel fehlten: Überall waren sie, überall halfen sie: die orangenen Infoscout-Engel. Über 120 Ehrenamtliche brachten Ordnung ins Chaos. Von Claudia Kurkin

Pisa-Studie: Deutschland hinkt hinterher. Es muss etwas geschehen.

politik orange04 vitamin c

„In unserer Stadt gibt es ein Kinder- und Jugend-parlament. In dem wirke ich auch mit, sitze also nicht nur zu Hause rum und motze. Da haben wir die Einladung gese-hen und beschlossen, nach Berlin zu fahren. Ich hoffe zu lernen, wie man sich als Jugendli-cher in der Politik ver-halten soll. Außerdem möchte ich einige der Berliner Sehenswürdigkeiten besichtigen und gemütlich irgendwo sitzen. Bei uns gab es sehr viele Organisationsprobleme: Die Zeit war zu knapp kalkuliert, wir mussten die Fahrt selbst zahlen und hier angekommen war unsere Anmeldung ver-schlampt. Aber es hat sich gelohnt. Man will durch die Politiktage vermutlich feststellen, wie viele Jugendliche sich für Politik interessieren. Bei ‚orange‘ denke ich spontan an eine Orangenfrucht - die sieht so aus wie meine Figur!“ kr

„Orangefrucht - die siehtaus wie meine Figur“

HEIKO, 17, HUNGEN

„Elf Freunde aus dem Jugendforum an unserer Schule sind mit nach Berlin gekommen. Wir erwarten jetzt vor allem Veränderung. Ich möchte als Jugendlicher zur Kenntnis genommen werden. Dabei werden sich auf den Politiktagen sicher Spaß und Ernst mischen. Dass es die überhaupt gibt, liegt mit-unter vielleicht an den Wahlen im September. Leider ist unsere Unterkunft eine Stunde von der TU entfernt, und Straßenverbindungen wären nicht schlecht zu wissen. Die Organisation lässt zu wünschen übrig. Dafür ist aber die Atmosphäre umwerfend. Allein dafür hat sich das Unternehmen wirklich gelohnt. Morgen stehen die Amerikanische Botschaft und einige Workshops auf unserem Terminplan. Wir hatten Glück mit der Bot-schaft. Das politische Sight-Seeing scheint sehr beliebt zu sein.“ kr

„Die Atmosphäre genial,die Orga ungenügend“

TIM, 21, HERBRONN

Hält man sich eine Zeit lang auf den Politiktagen auf, fallen einem irgend-wann vier hübsche quir-lige Mädchen auf. Die vier Kielerinnen sind mit ihrer Schulklasse nach Berlin gekommen, um mehr über Politik zu erfahren. „Ich finde die Politiktage sehr gut“, meinte Magdalena Milota, „weil hier Jugendliche mehr über Politik erfahren und sich aktiv beteiligen können. Meine Freundinnen und ich besu-chen zwei Workshops auf den Politiktagen: Live-Radio-Studio und Politikmachen-(k)ein Kinderspiel. Wir hoffen dadurch nette Leute kennenzulernen und mehr über die vorgestellten Themen zu erfahren.“ Allerdings fand Magdalena die Organisation der Ver-anstaltungen nicht gut. „Wir waren bei einer Diskus-sion, bei der die zwei wichtigsten Gesprächspartner nicht erschienen sind.“ cs

„Hier beteiligen sichJugendliche an Politik“

MAGDALENA, 15, KIEL

fruchtfleisch

Sind deutsche Schüler dümmer als andere? Damit begann die Podiums-diskussion zur Pisa-Studie. Hierzu meinten 100 der Zuschauer ja und 250 nein. Wenn es denn wirklich so sein sollte woran liegt das?Hierzu sagte Phil Rusche, Vorstands-mitglied der BundesSchüle-rInnen-Vertretung (BSV), das liege vor allem an dem „apathischen“ Unterricht in Deutschland. Das heißt der Schüler muss sich 45 Minuten lang eine „Rede“ des Lehrers anhören. „Es fi ndet kein richtiger Lernprozess statt, Unter-richt wird nur konsumiert“, so Rusche. Dabei ist doch laut Klaus Haupt (FDP) „Bildung der einzige Rohstoff, den Deutschland hat“. Da liegt es auf der Hand, dass man was am Schulsystem in Deutsch-land verändern muss, nicht nur wegen Pisa. Zumal meinte ein Zuschauer aus Stuttgart, welcher an der Pisa-Studie teilgenommen hatte,

dass er diese Studie über-haupt nicht ernst genommen hat und seiner Mei-nung nach nur 50 % seiner Leistung gegeben hat. „Schließlich war es keine Klassenarbeit und es gab auch keine Noten“, meinte er. Dies symbolisiert vor allem auch die Lernhaltung in Deutschland. „Doch warum soll man sich bei all den Kürzungen überhaupt motivieren“, kam dann als Einwurf eines Lehrers. Letztendlich kenn-zeichnen Kürzungen für Lehrer und Schüler nur, dass man nicht ernst genommen wird und die direkt Betrof-fenen oft nicht mit einbezogen werden. Schließlich entscheiden Politiker über Größenordnung und Vergabe der Mittel für die Bildung.Die Probleme der Schule und der Leistungen der Schüler liegen aber nicht nur an den Geldern, es gibt, laut Phil Rusche, auch Probleme im Aufbau des deutschen Bildungssystems, das

noch aus Kaisers Zeiten stammt und seiner Meinung somit nach völlig veraltet ist. Ein Lösungsvorschlag, z.B. wäre, die Schüler nicht schon nach der vierten Klasse auf die jeweili-gen Oberschulen zu schicken. „Auch in den Kindertagestätten und den Grundschulen muss mehr für die Kinder getan werden“, meint Haupt, denn „die Kindertagestätte ist nur eine soziale Aufbewahrung“, das müssen wir vor allem auch ändern, weil schon in diesen frühen Jahren muss etwas für die Motivation der Kinder getan werden. Nur so kann auch der soziale Bildungsabfall in Deutschland beseitigt werden. Letztendlich wurde gesagt, dass anscheinend die Deutschen nicht wirklich so dumm sind, das eigent-liche Problem ist, dass die Meinung über Bildung bei den Schülern verklärt zu seien scheint.

Bildung als RohstoffSetzen! Sechs! - Sind deutsche Schüler dumm, oder einfach nur faul? Alarm nach Veröffentlichung der internationalen PISA-Studie. Von Alfhild Böhringer

„Zweifl e nie daran, dass eine kleine Gruppe engagierter Bürger die Welt verändern kann“ Dieses Zitat könnte schon ein Fazit sein. Das der Podi-ums-diskussion zum Thema „forever y-oung“, zum Beispiel. Denn die Disku-tanten auf dem Podium - Axel Horn, Bassist und Manager der Gruppe Such a Surge, Anna Weber vom Bundesvor-stand der Bundesschülerinnenbewe-gung, Jörg Tauss und Carsten Schnei-der von der SPD - waren sich schließ-lich einig: kleine Bürgerinitiativen können besser Politik machen als die Berufspolitiker im Bundestag.Denn die, so Axel Horn, hätten schon längst den Bezug zum Volk verloren. „Straßenpolitik bewirkt einfach mehr, der Rapper Sammy Deluxe beeinfl usst die normalen Leute wesentlich mehr als große Politiker. Ich sehe Politik immer mehr als Aufgabe der Musiker, die sind näher am Volk.“Richtig volksnah war man selbstver-ständlich auch auf dem Podium - vermeintlich. Denn eigentlich sollte eine Diskussion über das politische Mitspracherecht Jugendlicher in Gang kommen. Aber „Fritz“-Moderator Ken Jebsen schlug einen Weg ein, dem die anderen gerne folgten: Statt sich auf die Leitung der Podiumsdiskussion zu beschränken, nutzte er die Vorstellung zur reinen Selbstdarstellung. Aller-dings wurde dem anfangs charmanten

und großspurig-witzigen Radio-Profi während der Diskussion der Wind recht schnell aus den Segeln genom-men. Besonders als er der Meinung war, dass zwischen der Regierung von Schröder und Stoiber sowieso kein Unterschied bestehe und man Stoiber „mal einfach machen lassen“ sollte.Und während Jebsen sich weiter über das faule deutsche Volk ausließ, das alle vier Jahre mal sein Stimmchen abgibt und seinen Anteil an der Politik damit für erledigt hält, ganz nach der Devise: „Mach ich nichts, mach ich nichts falsch“, beschäftigte Horn eher der „deutsche Polizeistaat“: „Ich werde jedesmal auf einem Flughafen gefilzt und muss mich bis auf die Unterwä-sche ausziehen, nur weil ich anders aussehe. Es herrschen veraltete Kli-schees von Gut und Böse, die endlich mal gekippt werden müssen. Beson-ders in Bayern ist das schlimm.“ An diesem Punkt kam endlich auch das Publikum zu Wort: Zwei Ham-bur-ger Punks erkämpften sich ein Mikro und unterstützten den Musi-ker: „In Deutschland herrscht eine Hetzjagd gegen Minderheiten. Kann es denn sein, dass gleich ein BGS-Mannschaftswagen anrückt, wenn wir in einem Buswartehäuschen sitzen?“Eine plausible Antwort darauf hatte auch Carsten Schneider nicht. Der an diesem Tag vor allem durch seine

Schweigsamkeit auffallende 26-Jährige hält sich für „immer noch nah an den Interessen der Jugendlichen“, für die er sich als Bundestagsabgeord-neter auch besonders einsetze. Auch wenn man von seinem hohen persönli-chen Einsatz in der Diskiussion nicht viel gemerkt hat, scheint sie ihm Spaß gemacht zu haben: „Das war die beste und lustigste Podiumsdiskussion, auf der ich jemals war. Wir brauchten nicht viel zu erzählen, weil so viele Zuschauer mitreden wollten.“ Irgendwie sahen die das allerdings erheblich anders: eine couragierte Dame bremste den Diskussionskampf auf dem Podium mit dem Hinweis, dass auch Publikum zu Wort kommen wolle. Und siehe da: in der letzten halben Stunde entwickelte sich doch noch eine „richtige“ Diskussion.Erwartungsgemäß waren die Reaktio-nen der Zuhörer sehr verschieden. „Der Moderator war einfach nur schei-ße. Außerdem gab es im Publi-kum viel zu wenig Mikros und das eigentliche Thema der Diskussion wurde total verfehlt“, bilanzierte die 17-jährige Maria Rau aus Ludwigslust. Ihrer Freundin Magdalena Kindler gefi el die Diskussion dagegen recht gut: „Ich fi nde es gut, dass nicht so rigoros am Themenplan festgehalten wurde. Da-durch kamen viel mehr Einwände aus dem Publikum, weil das die Leute wirklich interessiert hat.“

Volksnah und abgehobenWenn Selbstdarsteller loslegen, ist die Mitsprache Jugendlicher nicht mehr gefragt...Theorie und Praxis einer Podiumsdiskussion. Von Cornelia Schöttner

05vitamin cZeitung zu den Politiktagen | 14. bis 16. März 2002, BerlinBundesverband Jugendpresse e.V. | Deutsche Jugendpresse e.V.

An einem Tisch stehend und Kaffee trinkend ließ Tino Schroedel etwas abseits vom Trubel die Politiktage auf sich wirken. Eigentlich hat er mit der Veranstaltung gar nichts zu tun - der 22-Jährige war zufällig an diesem Tag mit einem Freund in der Tech-nischen Universität. „Eigent-lich bin ich gar nicht wegen der Politiktage gekommen. Ich studiere hier an der Uni und war überrascht so viele politisch interessierte Leute zu treffen.“ Tino hält die Politiktage für sehr wichtig, weil die Jugendlichen über Politik aufgeklärt werden und erfahren, wie sie sich selbst beteiligen können. „Die Politiktage lohnen sich auf alle Fälle, außerdem finde ich die Organisation gut. Überall Info-Scouts, die den Leuten weiter helfen. Echt klasse. Es überrascht mich auch, dass gerade soviele ziem-lich junge Leute hier sind.“ cs

„Bin überrascht, so vielejunge Leute zu treffen“

TINO, 22, HAGEN

fruchtfleisch

„Wir sind mit acht Leuten hier, alle aus dem Leistungskurs an meiner Schule. Ich habe die Politiktage im Internet entdeckt und in der Klasse vorgeschlagen, hier her zu kommen“, sagt Fabian Peters. Der 19-jährige Berliner nahm an dem Workshop „Entwick-lungspolitisches Planspiel-How to develop a country“ teil, der für acht Stunden angesetzt war. Er erhoffte sich von den Politiktagen mehr über politische Bildung zu erfah-ren, etwas zu lernen und verschiedenste Eindrücke mit nach Hause zu nehmen. „Man lernt hier so vielschichtige Ansich-ten kennen, weil die Menschen hier alle so verschieden sind.“ Mittlerweile hat Fabian auch schon genug Info-Mate-rial gesammelt, um seine Schularbeit machen zu können. Nur eins hat den Berliner gestört: „Das Essen im Unigelände ist zu teuer.“ cs

„Viele verschiedene Ansichten vorgestellt“

FABIAN, 19, BERLIN

Sandra Gern besuchte mit ihrem Politische Weltkunde-Kurs die Politiktage. Obwohl sie erst eine halbe Stunde auf dem Gelände war, wusste die 18-Jährige schon genau, was sie von der Veranstaltung erwartete. „Ich will hier auf nette Leute treffen und mich mit anderen politisch inter-essierten Menschen unterhal-ten. Ich hoffe auch, dass die Politiktage bei mehr jungen Leuten politisches Interesse wecken werden.“ Die ruhige Steglitzerin kann nichts negatives über die Organisation der Tage sagen. Im Gegenteil: sie hat ein dickes Lob für die Orgaleute: „Besonders bei so vielen Menschen finde ich es bewundernswert, dass hier nichts weiter passiert ist, alles recht glatt gelaufen ist“, meint Sandra. Auch mit der Arbeit der Infoscouts ist die Steglitzerin zufrieden: „Super, dass die überall rumlaufen und helfen.“ cs

„Hoffe, dass die PolitiktageInteresse wecken“

SANDRA, 18, STEGLITZ

„Scheinbar stehe ich mit meinen Problemen nicht allein da, oder?“, sagt der 17-jährige Sascha und blickt sich Zustimmung suchend nach seinen Freunden um. Er hat gerade eine Podiumsdiskussion erlebt, von der er sich ein wenig Orientierung für die Zeit nach dem Schulabschluss erhofft hatte. Ob er die im Hörsaal gefunden hat, kann er selbst nicht genau sagen. „Was soll bloß aus mir werden“ war der verheißungsvolle Titel, aber genauso nebulös wie die Zukunft der Jugendlichen schien auch der Diskussionsverlauf zu sein.

Doch zurück zum Anfang der Diskussion: Arbeitslosenquote, Pisa-Studie und Einsparungen an Schulen und Universitäten - nie waren die Zukunftsängste bei den deutschen Schülern und Studenten größer. Quasi zur Bestätigung der Schäden durch Etatkürzen fällt zunächst der Eröffnungsfi lm auf-grund des streikenden Beamers fl ach. Die Zuhörer nehmen es gelas-sen - ist eben eine gewohnte Situa-tion aus dem Schulalltag - und schon ist die erste Viertelstunde passé, ohne dass nennenswerte Lösungen gefunden werden.

Schließlich eröffnet PDS-Partei-vorsitzende Gabi Zimmer die Dis-kussion, indem sie die zwei Kern-probleme auf den Punkt bringt: Zum einen die reduzierte Zahl der Ausbildungsstellen und zum anderen die Qual der Wahl bei so vielen Berufsfeldern. Und warum ist das so? Der unterstützende Informationsfl uss und die Qualifi kationsmöglichkeiten sind zu gering, findet Schülerin Josie Perkuhn aus Kiel. Edith Nie-huis, Staatssekretärin im Familien-ministerium, hingegen sieht es von der anderen Seite: „Heute

haben Jugendliche viel mehr Möglichkeiten; die Berufswege sind nicht mehr durch die Familientra-dition vorbestimmt.“ Der Staat könne jedoch nur Rahmenbedin-gungen schaffen, damit die Schüler und Studenten die vorhandenen Möglichkeiten auf dem Arbeits-markt ausschöpfen könnten - der Erfolg sei nach wie vor von der Initiative der Bewerber abhängig.

Auch im Plenum ist man sich uneinig. Während ein Schüler die fi nanziellen Probleme, Stundenaus-fall und Lehrermangel an seiner Schule beschreibt, gibt ein anderer zu bedenken, dass man nicht alles so pessimistisch sehen sollte und mit Einsatz viel erreichen könne - noch sei die Situation in Deutsch-land besser, als in vielen anderen Ländern.

Schließlich stehen sich zwei Gruppen gegenüber: Die Indivi-dualisten und diejenigen, die mehr Kontrolle und Unterstützung vom Staat fordern. Klar, dass Gabi Zimmer eine „starke Bindung zwi-schen Bildung und Geldbeutel“ anprangert und Staat und Gesell-schaft stärker einbinden will. Erstaunlicherweise wandelt sich Moderator Rüdiger Hoffmann nun zum Sprecher der Individualisten. Der Vater dreier Kinder tritt in einen beratenden Dialog mit dem Plenum und entwickelt dabei pädagogische Fähigkeiten: „Vertraut auf eure Fähigkeiten. Mit anderen geht ihr immer Risiken ein.“ Die Diskussi-onspartner sind zeitweise abgemel-det.

Letztendlich landet die Runde bei den bereits weithin bekannten Fragen: „Haben wir zu viele Aka-demiker?“ und „Wie kann die Aus-bildungsmisere behoben werden?“ Claudia Meyer vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) will dafür das Rentenalter senken und fordert verstärkte Reglementie-rung und „mehr Knete für Bil-dung“. Woher das Geld kommen soll, verrät sie nicht, was sympto-matisch für die Diskussion ist: Viele Probleme - wenig vorzeigbare Lösungsansätze. Kein Wunder, dass der 17-jährige Sascha immer noch unschlüssig ist.

Viel Lärm um nichtsZukunft Deutschland? Die Probleme sind altbekannt. Hier wurde nach Lösungen gesucht. Von Peter Lausmann

Im Eimer: Was soll aus mir bloß werden?

Berichterstatter sollen neutral sein, einfach nur zuhören und das Wichtigste notieren. Bei der Podiumsdiskussion zum Thema „Stolz darauf, deutsch zu sein?“ war das etwas schwierig. Denn als ich vor dem Raum 1028 ankam, stellte mich ein kleiner Papierzettel vor die Frage: „Bist du stolz, ein Deutscher zu sein?“. Entscheidung statt Neutralität. Für „Ja“ ging es nach rechts und für „Nein“ nach links. Uff, was jetzt? Verrat am Vater-land, wenn ich mich nicht für rechts entscheide? Was ist mit Goethe, Nietzsche, Brecht? Aber bin ich darauf stolz, oder freue ich mich nur, dass ich aus dem „Land der Dichter und Denker“ stamme? „Worauf soll ich denn als Deutscher bitte stolz sein?“, fragte sich der 25-jährige Ralf Bussian. „Die Situation der Randgruppen gefällt mir nicht, es wird überall eingespart“, meint der Erzieher. Er wünscht sich einfach mehr Flexibilität von den Politikern. Den Unmut der deutschen Jugend machen auch die „Jungdemokraten“ deutlich. Noch bevor die Politprominenz das Podium betritt, entrollen sie die Plakate. „Wir üben herbe Kritik an der bestehenden Vorstellung von Demokratie. Wir fordern ein Mitspracherecht für alle und keine Bestimmung von dominanten Dingen, wie Wirtschaft und Familie, durch Institutionen.“ Währenddessen hat sich die Besetzung des Podiums eingefunden. Marianne Birthler (Bun-desbeauftragte für Stasi-Unterlagen), Lea Rosh (Kommunikation&Medien), Steffi Dittrich (Bundes-leiterin Katholische Junge Gemeinde) und der CDU-Politiker Christoph Stölzl. Lea Rosh, die mit Filmen und Berichten Aufklärungsarbeit über die deutsche Geschichte leistet, bezieht sofort Stel-lung: „Ich wüsste nicht, worauf ich hier stolz sein sollte, ich sehe keinen Anlass“, sagt sie. Chri-stoph Stölzl verbindet mit dem, was er in diesem Land geschaffen hat, ein Gefühl der Freude. So gab zunächst ein jeder, der da vorne saß, sein persönliches Statement ab. „Stolz ist so ein bescheuerter Begriff.“, wirft Lea Rosh ein und erntet dafür viel Applaus bei den Zuhörern. Zum Gegenspieler wird hier Stölzl, der davon spricht „sich nicht weg zu werfen und doch für das, was man selbst geschaffen hat, ein Gefühl der Freude zu entwickeln“. Das Publikum applaudiert verhalten. Letztendlich dürfen auch die Zuschauer zu Wort kommen. Man spricht von einer „plumpen Frage“ und von Oberflächlichkeit. Eine Zuhörerin bringt es auf den Punkt: „Es ist total egal, wo man geboren ist“, sagt sie. Die Stimmung heizt sich zusehends auf. Viele äußern ihre Meinung. Ein ungarisch-deutscher Teilnehmer nennt rechte Jugendliche „arme Schweine, die in der Politik keinen Durchblick haben“. Das Publi-kum tobt, es wird mit den Füßen getrampelt. Die Diskussion mit Jugendlichen aus allen Teilen des Landes ist auf dem Höhepunkt. Oftmals wird über die Bedeutung des Wortes „Stolz“ gespro-chen. „Manche Formulierungen sind für immer mißbraucht“, sagt Lea Rosh und trifft genau den Kern. Man muss wohl noch viel in diesem Land tun, damit sich Freude über das Land in den Herzen der Deutschen breit macht.Übrigens: Mit rund 210 Zuhörern benutzte die große Mehrheit den linken Weg und bekannte sich damit nicht zum Stolz. ANNE HÜTTER

Stolz darauf, ein Deutscher zu sein?

Als Initiatorin der Bundesinitiative Beteili-gungsbewegung „Ich mache Politik“ war Bundesjugendministerin Christine Berg-mann so etwas wie die Chefin der Poli-tiktage. Sie eröffnete die Veranstaltung, nahm außerdem an einer Podiumsdiskus-sion teil. Und am Freitag überreichten ihr die Infoscouts einen großen orangenen Berliner Bären mit Meinungen zur Frage, was „Politik braucht ...“. Sie schrieb „euch“ drauf. Was Frau Bergmann sonst zu „Ich mache Politik“ und den Politiktagen zu sagen hatte, erzählte sie unserer Mitarbei-terin Alfhild Böhringer.

Wie entstand die Bundesinitiative Beteili- gungsbewegung?

Das Ministerium hat überlegt wie wir gegen das Vorurteil, dass Jugendliche sich nicht für Politik interessieren, ankämpfen können. Wir haben viele Schulen angemailt und haben festgestellt: Da kamen unglaublich viele Beiträge. Also haben wir uns überlegt: Machen wir doch mal so eine richtige Beteiligungsbe-wegung. Im Vorfeld ist auch schon viel auf kommunaler Ebene passiert.

Die Politiktage sind jetzt der Höhepunkt. Und da will ich natürlich auch hören, welche Erfahrungen gemacht wurden, welche Kritik die Jugendlichen haben, welche Unterstützungen sie brauchen. Das kann alles hier diskutiert werden. Und ich fi nde das unwahrscheinlich toll, wie groß auch der Spaß am Diskutieren ist und dass auch die Notwendigkeit gesehen wird, sich aktiv an Diskussionen zu beteiligen. Es lohnt sich mehr auf Jugendliche zuzugehen. Die haben Ideen, die nicht immer bequem sind. Es wäre auch schlimm, wenn das so wäre.

Sie haben auf den überreichten Bären „euch“ geschrieben. Wieso?

Das kam spontan. Politik braucht junge Leute. Demokratie kann nur funktionieren, wenn sich viele beteiligen. Ich selbst habe in einer Diktatur gelebt und darunter gelitten, dass man sich nicht beteiligen konnte, wenn man nicht parteikonform war. Da hat man nur gemeckert, das fand ich sehr unbefriedigend. Es muss Möglichkeiten geben, mitzumachen. Da gibt es zwar nicht immer nur Erfolg, auch Ärger. Aber immerhin gibt es die Möglichkeit - nutzt sie.

Sind Sie denn zufrieden mit den bisherigen Ergebnissen der Politiktage?

Das hier ist eine sehr positive Erfahrung, die deutlich macht, dass Jugendliche kommen, wenn sie das Gefühl haben, gehört zu werden. Es sind viel mehr Jugendliche gekommen, als wir erwartet haben. Wir dachten: Naja,

5000 wäre sicher schon sehr viel. Bei 7000 haben wir dann Schluss gemacht mit den Anmeldungen, weil wir nicht mehr wussten, wie wir die Jugendlichen sonst unterbringen können.

Hier sind Jugendliche, die viele Fragen haben, miteinander, aber auch mit den Politi-kern reden wollen. Mehr kann man eigentlich gar nicht erwarten.

Bringt das denn was, wenn die Jugendlichen nicht zur Wahl gehen können?

Ich glaub‘, das hängt nicht alles nur am Stimmrecht. Das gibt es ja auch teilweise, und das wird auch ein Thema sein, über das man

weiterreden muss. Ich bin durchaus dafür, dass Jugendliche mitabstimmen dürfen, was ihre eigenen Belange betrifft. Es geht darum, die Diskussion darüber wieder anzufachen. Es gibt ja immer Leute, die denken: Es ist doch alles prima bei uns geregelt. Und wenn man dann die Jugendlichen fragt, hört man das genaue Gegenteil. Es wurden schon eine ganze Menge Wünsche an mich herangetragen, viele Fragen: Wie kann eine Beteiligung auf Bundesebene aussehen? Können sie mir nicht helfen? In unserem Kinder- und Jugendparla-ment wurden die Mittel gestrichen.

Meinen Sie, die Jugendlichen fühlen sich

ernst genommen?Ja, ich hoffe schon. Wir tun es ja auch.

Was passiert nach den Politiktagen?Wir haben mit diesen Politiktagen ja nicht

überall neue Projekte initialisiert. Wir wollten auch mal deutlich machen, welche Projekte denn schon laufen. Was gibt es für Beteiligung, wo sind da Mängel? Mich interessiert dann am Ende: Wie ist die Veranstaltung angekom-men? Hat sie was gebracht? Wir werden das natürlich auswerten und sehen, was noch an Vorschlägen kommt, wie man die umsetzen kann, wie man die weitergeben kann. Wir werden aus den Politiktagen aber jetzt kein „Dauerding“ machen.

07ausgepresstZeitung zu den Politiktagen | 14. bis 16. März 2002, BerlinBundesverband Jugendpresse e.V. | Deutsche Jugendpresse e.V.

Demokratie? Nur mit Beteiligung!politikorange im Gespräch mit Jugendministerin Christine Bergmann. Von Alfhild Böhringer

politikorange: Du hast gerade eine Podi-umsdiskussion über „Pisa und die Folgen“ hinter Dir. Zufrieden?

Phil: Ich fand sie ganz nett. Es wurden aber zu viele Themen angesprochen, so dass sie doch wenig produktiv war.

politikorange: Enttäuscht?Phil: Ach nein, das ist normal. Bei solchen

Veranstaltungen geht es ohnehin nur um die Profi lierung der eigenen Person.

politikorange: Du hast auf dem Podium direkt neben dem Berliner Schulsenator Böger gesessen. Ihr habt zwischendurch immer wieder getuschelt. Was gab´s denn?

Phil: Och, verschiedenes. (lacht) Wir haben auch über die Fragen und Reaktionen des Publikums gesprochen.

politikorange: Wie habt Ihr die empfunden?Phil: Cool, das Publikum war lebendig.

politikorange: Und wie siehst Du die Politik-tage?

Phil: Die sind eine riesige Alibiveranstaltung. Da steht irgendwo im Arbeitsprogramm von Frau Bergmann, dass ein Jugendprojekt auf die Beine gestellt werden muss. Man gaukelt den Jugendlichen Partizipation vor, anstatt ihnen wirklich Entscheidungsgewalt zu geben.Was hier an Geldern reingepumpt wurde, hätte man auch sinnvoller in kleinere Jugendprojekte stecken können.

politikorange: Für Dich sind die Politiktage also Geldverschwendung...

Phil: Auf jeden Fall. Wenn man ein Projekt für Jugendliche macht, sollte es auch von Jugendlichen

organisiert sein - mit staatlicher Förderung.

politikorange: Was hältst Du von der PISA-Studie? Ist sie Fluch oder Segen?

Phil: Ein Segen. Ich fi nde es wichtig, dass man über Bildung spricht - und unser katastrophales Ergebnis bietet reichlich Anlass dazu.

politikorange: Was erwartest Du als Ergebnis der Politiktage? Was soll danach passieren?

Phil: Ich hoffe natürlich, dass diese Veran-staltung viele motivierte Jugendliche hervor-bringt. Aber das ist eher unwahrscheinlich. Wir kämpfen in der BSV jedenfalls weiter dafür, dass die Schüler nicht unterfinanziert und unbeachtet bleiben.

Phil Rusche (20), Vorstandsmitglied der BundesschülerInnenvertretung, zu den vier großen „P´s“: Produktivität, Profilierung, Pisa und Politiktage. Von Kristian Kaltschew

„Reine Alibiveranstaltung“

08 obststand

„Das Geld wurde falsch aus-gegeben.“ So lautet auf jeden Fall das Fazit von Bastian. Er ist zwar im Rahmen einer schulischen Veranstal-tung, aber dennoch freiwillig zu den Politiktagen gekom-men. Der Berliner erhoffte sich, Informationen von Poli-tikerfahrenen zu bekommen sowie interessante Kontakte zu aktiven Jugendlichen zu knüpfen, was sich teilweise auch für ihn erfüllte erfüllte. Trotzdem hatte die Veranstal-tung seiner Meinung nach keinen Sinn, da überwiegend Leute vor Ort in der Berliner Technischen Universität waren, die sich sowieso schon für Politik interessieren. „Gut, im Gegensatz zur Party am Donnerstag Abend, fand ich den nahen Kontakt zu den Politikern. Schlussendlich wird aber niemand wirklich davon profitieren“, meint der 17-jährige Schüler aus Berlin. kc

„Das ganze Geld wurdefalsch ausgegeben“

BASTIAN, 17, BERLIN

fruchtfleisch

Eigentlich hatte Manuel aus Berlin gar kein Interesse, zu den Politiktagen zu fahren. Dem Schulzwang ist es zu verdanken, dass er überhaupt an der TU weilte. Doch schließlich entdeckte Manuel doch noch etwas, wofür selbst er sich begeistern konnte. „Es wurde doch tatsächlich ein Workshop zum Thema Hackysack, eines meiner Hobbies, angeboten“, lacht Manuel. Mit der Organisation der Politiktage ist der 20-Jährige im Großen und Ganzen zufrieden, wobei er auch hier voll des Lobes für die Hackysack-Organisatoren ist, im übrigen die einzige Veranstaltung, an der er teilge-nommen hat. „Die Hackysack-Jungs haben das echt klasse gemacht, war eine tolle Idee mal etwas völlig anderes anzubieten. Der Sinn der Politiktage, so vermutet er, sei es, den Leuten die Politik näher zu bringen.“ kc

„Politik machen? Hackysack-Workshop“

MANUEL, 20, BERLIN

„Es waren viel zu viele Leute da.“ Das meint zumindest der 20-jährige Christian aus Regensburg. Er kam freiwillig mit seiner Schule, um einen besseren politischen Einblick zu bekommen und viele Informationen, jede Menge Interessantes für politisches Engagement mit nach Hause zu nehmen. „Ich erhoffte mir aber eigentlich noch intensivere Diskussionen in kleineren Gruppen. Die Politiker hatten mit ihrem Ziel Jugendliche zu informieren und für mehr Politikbewusstsein unter der Jugend zu werben, eine gute Absicht, die aber wenig Nutzen zeigte. Man hatte überhaupt keinen Überblick über das Programm“, schimpft der Zwnzigjährige. „Es lief alles nach dem Motto Quantität statt Qualität.“ Trotzdem bereut er die Fahrt nicht, da sie den Bayern erstmals in die Hauptstadt führte. kc

„Alles nach dem MottoQuantität vor Qualität“

CHRISTIAN, 20, REGENSBURG

Für die Rechte zukünftiger Generationen setzt sich Fabian Johr aus Oberursel im Taunus ein. Nach Berlin ist er als Vertreter der „Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen“ gekommen. Die Politiktage schätzt er als Projekt des ständigen Gebens und Nehmens zwischen Politikern, Jugendinitiativen und uns Jugendlichen ein. Dabei kann ein Austausch an Informatio-nen und Wünschen stattfinden, der bisher in Deutschland zu kurz gekommen ist, so Fabian. Er erhofft sich hier ein Forum, in dem er sowohl neue Impulse für die eigene Arbeit erhalten kann, als auch anderen Ideen und Anregungen zu geben. Besonders gefällt ihm, dass Spitzenpolitiker die Veranstaltung ernst nehmen und ein offenes Ohr für die Anliegen der Jugendlichen haben. Deshalb gefi el ihm besonders, dass sich Prof. Dr. Rita Süssmuth nach der Podiumsdiskussion am Donnerstag noch Zeit nahm, auf individuelle Fragen der Zuhörer einzugehen und gern Rede und Antwort stand.

Schon jetzt ist Fabian sich sicher, dass die Politiktage in Berlin ein voller Erfolg sein werden. Dies liegt laut Fabian vor allem an zwei Dingen: Zum einen am reibungslosen Ablauf der Veranstaltung. Zum anderen daran, dass die Initiative „ich-mache-Politik“ einen funktionierender Dialog zwischen Politikern und Jugendlichen werden kann. Dadurch werde das Interesse an der Politik weiter gesteigert und die zukünftigen Politiker zum Mitmachen animiert, so Fabian. Er wünscht sich, dass die Politiktage nicht das Ende der Beteiligungsbewegung sind, sondern Jugendliche an vielen Folgeprojekten teilnehmen oder selbst derartige Projekte initiieren.

Fabian nimmt an Workshops wie „Our Common Future“ teil und hat bei der Podiums-diskussion „Couragiert und engagiert oder zuschauen?“ mit diskutiert.

Menschen brauchen RechteFabian Johr auf der Suche nach Vernetzung, Austausch und Impulsen. Von Martin Kilgus

Bunte Infos allerorten: Markt der Möglichkeiten.

Gähnende Leere herrscht im Lichthof. Sollten sich hier nicht einige tausend Jugendliche auf dem „Markt der Mög-lichkeiten“ über politische Partizipati-on infor-mieren? Die meisten der Aus-steller sind sich einig: „Eigentlich haben wir mehr Besucher erwartet. Aber die Teilnehmer beteiligen sich doch noch an den Work-shops...“ Viele sind enttäuscht über den zugeteilten Standort und die mangehafte Organisa-tion.

Bei den meisten Besuchern macht sich nach dem Bummel durch den Lichthof Unmut breit: „Mit Politik hat das ja alles nicht viel zu tun!“, meinen zwei Mädels, die extra für die Politiktage aus München angereist sind, nachdem sie den Hip Hop und den Sprayer-Stand im Lichthof inspiziert haben.

Auf der Suche nach einem der anderen Aussteller, die laut des Programmhef-tes auf dem „Markt der Möglichkei-ten“ vertreten sein sollen, fi nde ich tatsächlich einen Scout, der mir den Weg weisen kann. Hinter dem Licht-hof seien im Erdgeschoss noch ein paar Stände, sagt er.

Fünf Minuten später - endlich habe ich die anderen Stände gefunden. Genau so habe ich mir den „Markt der Mög-lichkeiten“ vorgestellt. Dicht an dicht drängen sich die Stände. Außerdem informieren sich hier tatsächlich Teil-nehmer. Die Mitarbeiterinnen des studentischen Projektes „Politikfabrik“ sind überrascht über das Inter-esse der Teilnehmer. „Dass so viele Leute zu unserem Stand kommen, obwohl wir so abseits stehen, hätten wir nicht gedacht!“ Und schon drückt sie dem nächsten Ber-liner eine Einladung zur Netzwerkparty in die Hand. Mit unge-wöhnlichen Aktionen wie der Wahl von Mrs. und Mr. Jungwähler wollen die Studenten junge Menschen zum Wählen motivieren.

Auch Parteien nutzen die Möglichkeit, auf den Politikta-gen mit ihren Nach-wuchsverbänden an die zukünftigen Wähler heranzutreten. Während der Stand der Jungen Union etwas verloren am Rande steht, glänzen Jusos und Julis durch ihre Stände, die jungen Grünen glänzen durch Abwesenheit.

Auf dem „Markt der Möglichkeiten“ konnte man ein breites Spektrum jugendlicher Kultur kennenlernen. Wer als Aussteller das Glück hatte, seinen Stand nicht im Lichthof aufschlagen zu müssen, konnte sich über reges Inte-resse der Jugendlichen freuen. Es bleiben die Fragen, wie viele Jugendli-che tatsächlich die Möglichkeit genutzt haben, sich über politische Beteili-gungsmöglichkeiten zu informieren und wie viele der massenhaft verteilten Infobroschüren ungelesen im Alt-papier verschwunden sind.

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Dass Politik nicht nur aus dem besteht, was wir täglich im Fernsehen und in Hochglanz-Magazinen dargeboten bekommen, zeigt deutlich die Bandbreite der Stände auf dem Markt der Möglichkeiten.Am Stand des Online-Magazins narra.de kann man seine Meinung über die Politiktage, aktuelles Geschehen und die Welt im Allgemeinen vor laufender Kamera zum Besten geben - und sich später im Netz bewundern. Hier fi ndet Politik und Mitbestimmung in Form von journa-listischen Kommentaren statt, getreu nach dem narra-Motto „Konsum ist scheiße, Aktivismus rockt!“. Immer auf der Suche nach anderen Medienmachern und potenti-ellen Usern sagt Henry (24): „Politik ist für uns der wich-tigste Bestandteil. In der Rubrik Brennpunkt sind bereits über 200 Artikel zu fi nden. Das Internet bietet ganz neue

Möglichkeiten; es ist eine große Chance und macht total viel Spaß.“Ganz anders dagegen der Stand des Kinder- und Jugend-parlaments Castrop-Rauxel: Geschickt platziert und mit Keksen und Gummibärchen lockend setzen sich 12 Schüler und Schülerinnen für die Rechte von Kindern und Jugendlichen ihrer Stadt ein. Mit Aufklebern, Fotos von Prominenten und einer langen Liste, die vergangene Erfolge des „Kijupa“ aufzählt, wollen sie andere motivie-ren und zeigen, dass Politik schon in der Schule anfängt. „Wer mitmachen will, darf es auch!“ lautet die optimisti-sche Arbeitsthese - die jedoch verschweigt, dass vieles schon daran scheitert, dass eben keiner mitmachen will. Und ganz eigenverantwortlich wird auch dieses schöne Projekt leider nicht getragen. Eine Frau schaltet sich

ein und übernimmt das Gespräch: „Castrop-Rauxel ist sehr stolz auf das Kijupa. Das kann man daran sehen, dass die stellvertretende Bürgermeisterin mitgekommen ist, nämlich ich!“Mehrere Flugblätter und Aufkleber, Gummibärchen und Stellwände, orange Info-Scouts und mitteilsame Aussteller später dann der wohl interessanteste Stand der Galerie, und gleichzeitig der seltsamste: Auf großen Wänden hängen Dutzende von fotografi erten Graffi tis und bedruckten T-Shirts. Auf gemütlichen Sofas gammeln einige Aussteller. Was hat nun ein Graffi ti mit Politik zu tun? Hans Gruidel, Verantwortlicher der Kunstwerkstatt Fleischerei, erklärt: „Man darf den Politikbegriff nicht so stark eingrenzen. Es geht nicht nur um Parteipolitik im konventionellen Sinne. Die Jugendlichen, denen wir

ein Forum bieten, können oft mit dieser Art von Politik nichts anfangen oder haben keinen Zugang dazu. Sie stel-len eine politische Subkultur dar, die versucht, ihre Mei-nungen gestalterisch, zum Beispiel in Form von Graffi tis, auszudrücken. Durch unseren Stand und andere Aktionen helfen wir ihnen, sich zu artikulieren und ihre Arbeiten der Öffentlichkeit zu präsentieren.“Mit dieser breiten und positiven Auslegung politischer Mit-bestimmung verlässt man den Markt der Möglichkeiten - aber nicht ohne vorher zahlreiches Info-Material in Form von Keksen und Kulis eingesammelt zu haben. Denn an die unzähligen Politik-Möglichkeiten muss man sich schließlich auch irgendwie erinnern.

Politik, Internet, Gummibärchen und GraffitiEIn Bummel über den Markt der Möglichkeiten. Von Katharina Rosenbohm

Von Daniel

Protzmann

09saftladenZeitung zu den Politiktagen | 14. bis 16. März 2002, BerlinBundesverband Jugendpresse e.V. | Deutsche Jugendpresse e.V.

„Ich hatte mir ein stärkeres Gemein-schaftsgefühl erhofft“, fällt Fridolin spontan ein als er nach seinen Eindrücken der dreitägigen Berliner Poli-tiktage befragt wird. Der Teenager ist mit seinen Freunden zu den Politik-tagen gekommen. Durch Infobriefe in der Schule waren sie auf das Event aufmerksam geworden. Angereist war er mit der Erwartung, in der Hauptstadt eine große Gemeinschaft Jugendlicher anzutreffen, die gemeinsame Interessen haben und sich nicht in kleinen Gruppen abgrenzen. „Leider hat sich diese Hoffnung nicht erfüllt“, bedauert Fridolin. Die Veranstaltung fand er vor allem was die Unterkünfte betraf schlecht organisiert. Nach dem Besuch einiger Podiumsdiskussion bezeichnete er die Veranstaltung sinnlos, urteilte der 17-jährige Stuttgarter Fridolin harsch. kc

„Wünschte mir einestärkere Gemeinschaft“

FRIDOLIN, 17, STUTTGART

„Bei dieser Veranstaltung steht die Propaganda ganz klar vor dem Sinn die Jugendlichen in die Politik einzubinden. Immerhin sind wir im Wahljahr. Wenn Politiker mit Jugendlichen so kurz vor dem Wahlkampf dis-kutieren wollen, kann das nur Propaganda sein. Am meisten würde mich dieses Wochen-ende die Diskussion mit dem Bundesminister für Arbeit- und Sozialordnung Walter Riester interessieren. Das Thema betrifft mich sogar, denn bald gehe ich selbst in Rente. Aber insgesamt stehe ich dieser Veranstaltung eher positiv gegenüber. Es kamen sowohl Leute mit Hakenkreuz auf der Jackenrückseite als auch welche mit durchgestrichenem Hakenkreuz. Und alle waren friedlich! Weiterhin ist es fraglich, ob Politiker ihre Ver-sprechen auch einhalten, wenn sie mit der jungen Zielgruppe diskutieren.“ clk

„Orange? Ich hab‘sda eher mit grün“

PETER, 58, BERLIN

Der Mann, der die „Rie-ster-Rente“ erfunden hat, mit bürgerlichem Namen Walter Riester kam durch eine persönliche Einla-dung auf die Politiktage nach Berlin. In seiner Funktion als „Bundes-minister für Arbeit und Sozialordnung“ nahm er an der Podiumsdis-kussion „Perspektive: Arbeitslosigkeit?“ teil. Von dieser Veranstaltung hatte er sich viele spannende Fragen erhofft, er wollte lernen, wie die Jugend Politik sieht, was Jugendliche über soziale Fragen denken. Diese Hoffnung hat sich erfüllt. Es sei sehr positiv, dass bei der Diskussion schon früh das Publikum mit einbezogen wurde, meint Walter Riester. Darin sieht er auch den Sinn der Politiktage: in den Dialog zu kommen. Jugend und Politiker sollten sich über ver-schiedene Sichtweisen der Politik austauschen, auch wenn sie nicht immer einer Meinung sein könnten.

„Riester will Jugendmit einbeziehen“

WALTER, 59, KAUFBEUREN

fruchtfleisch

„Ich hätte nicht gedacht, dass Politik so viel Spaß machen kann!“, resümiert Denise Lenski (19 Jahre), bereits am zweiten Tag ihrer Teilnahme am Work-shop „POL&IS - interaktives Rollenspiel“. In den Ohren der Jugendoffi ziere der Bundeswehr wird diese Bekundung wie eine Lobeshymne klingen. Der für die Dauer von zwei Tagen angelegte Workshop unter Leitung der Jugendoffiziere der Bundes-wehr in Berlinversetzt die Teil-nehmer in verantwortungsvolle Positionen als Regierungschefs und Minister einer bestimmten Region. Mit den knappen und sehr unterschiedlichen Res-sourcen zu haushalten und die Geschicke ihrer Region zu führen, sei die eigentliche Herausforderung des Rollen-spiels, erklärt Hauptmann Chri-stopher Nolde. Damit einherge-hend werden den Jugendlichen Kommunikationsfähigkeiten und soziale Kompetenzen abverlangt, die bei diesem speziellen Work-

shop im Rahmen der „Politik-tage“ besonders gefragt sind. „Für uns“, so Nolde, „ist die unterschiedliche Zusammenset-zung der Akteure besonders spannend. Hier liegt der Reiz in der unterschiedlichen Vorbil-dung der Workshop-Teilnehmer, da abweichend von den sonst einwöchigen Rollenspielen dies-mal keine homogene Gruppe in Form einer Schulkasse teil-nimmt, sondern Jugendliche aus dem gesamten Bundesge-biet.“ Zunächst müssen sich die Jugendlichen in insgesamt 11 Teams zusammenfinden, um eine Region vertreten zu können. Knapp 30 Teilnehmer brüten über selbst ausgearbei-teten Regierungsbeschlüssen, Staatsverträgen und sogenannten „Produktionsformularen“ zur Berechnung der Wirtschaftslei-stung und Haushaltslage ihrer Region. Richtig heiß geht es dann in der „internationalen Wirtschaftskonferenz“ sowie auf dem UN-Gipfel unter Vor-

sitz des Generalsekretärs her: Hier wird koordiniert, gewählt, beschlossen und gehandelt. „Die thematischen Inhalte der jeweili-gen Konferenzen werden keines-falls vorgegeben, sondern ent-wickeln sich selbständig aus den Ideen der Teilnehmer und dem Spielverlauf.“, betont Nolde. „So versammelten sich beispiels-weise die Vertreter der Regionen „GUS-Staaten“ und „Osteur-opa“ im Vorfeld der UN-Kon-ferenz, um über einen etwaigen Zusammenschluss der beiden Regionen zu beraten.“

Der Politiklehrer der Imma-nuel-Kant-Gesamtschule in Fal-kensee, Harald Petzold, begleitet insgesamt 25 Schüler, die sich im Rahmen des Unterrichts Politi-sche Bildung vorbereitend mit der FDGO beschäftigt haben. Erst über den Kontakt zu den Jugendoffi zieren in Berlin hatte Petzold von den Politiktagen erfahren; die Planung zur Teil-nahme seiner Schützlinge war dementsprechend kurzfristig.

Anders hingegen gestaltete sich die Informationsbeschaffung bei den vier Teilnehmern des Company Consulting Teams, einer studentischen Unterneh-mensberatung unter Leitung von René Rohrbeck. Als Stu-denten der TU Berlin waren sie rechtzeitig über die Gastgeber-Rolle ihrer Universität und damit über die Programmplanung der Politiktage informiert.

Auch die restlichen, aus dem gesamten Bundesgebiet stam-menden Teilnehmer, die sich aus der Fülle der angebotenen Workshops spontan für das „POL&IS-Rollenspiel“ entschie-den haben, beweisen durch ihr Engagment, dass sie diesen Workshop nicht als ein Projekt der Nachwuchsgewinnung für die Bundeswehr sehen, sondern vielmehr als interessanten Teil der Öffentlichkeitsarbeit ver-stehen. Denise Lenski stand am Ende mit ihrem Fazit nicht allein da. Politik kann auch Spaß machen.

Einmal Regierungschef sein...!Politik und internationale Sicherheit im Rollenspiel. Von Andreas M. Otto

Politik kann auch anstrengend sein. Denise Lenski (19) brütet als Wirtschaftsministerin über Produktionsformularen.

„Wir Jugendlichen sind ein Teil der Bevölkerung, der von politischen Entscheidungen dieses Landes genauso betrof-fen ist wie alle anderen Grup-pen der Gesellschaft. Deshalb sollte jeder, der wählen möchte, auch das Recht dazu haben- unabhängig von einem gesetzlich geregelten Mindestalter“, so der 21jährige Martin Wilke. Der Berliner unterstützt eine in dieser Woche bundesweit gestartete und von mehreren Jugendorganisationen getragene Initiative mit dem Motto „Ich will wählen“. Ziel der Kampagne ist es, auch Jugendlichen unter 18 das Wahlrecht einzuräumen. Bis

September werden jetzt fl eissig Unterschriften gesammelt, die dann beim Petitionsausschuss des Bundestages eingereicht werden sollen.

Dieser Vorschlag, der in strik-tester Konsequenz Kinder und Jugendliche demnächst direkt „aus der Windel an die Wahl-urne“ befördern könnte, stieß in dieser extremen Form eher auf Widerspruch bei den Teilneh-mern des Workshops „Wahlrecht ab 16“. Ein Mindestalter müsse es schon geben, wobei jedoch einiges dafür spricht, dieses auf 16 Jahren herabzusetzen so der Grundkonsens. Immerhin gibt es in sechs Bundesländern seit

einigen Jahren erste Erfahrun-gen. mit dem Urnengang dieser Altersgruppe, die hier zumin-dest auf kommunaler Ebene ihre Stimme abgeben und somit für ihre Interessen eintreten können. Vor allem bei Themen wie Schulwesen, Bildungspolitik und der Schaffung von Freizeit-angeboten für den Nachwuchs sollten schon die Jüngeren mit-entscheiden dürfen, so Stefan Schmidt (18) aus Berlin, der darin zudem eine Erweiterung der Legitimationsbasis jener Politiker sieht, die sich mit jugendspezifischen Themen auseinandersetzen.Von der Her-absetzung des Mindestalters auf

16 hat beispielsweise der heute 18-jährige Nico Venjacob schon profitiert, der in Nordrhein-Westfalen von seinem Recht Gebrauch gemacht und sich im Jahr 2000 an Kommunalwahlen beteiligt hat. Seiner Meinung nach sollten sich Jugendliche jedoch noch viel stärker einmi-schen, besonders bei Themen wie Zukunftschancen auf dem Arbeitsmarkt und Bildungs-wesen. Melanie Fiebiger (16) ebenfalls aus NRW, macht auf den Aspekt aufmerksam, dass für die bewusste Ausübung des Wahlrechtes auch eine gewisse politische Kompetenz nötig ist, die ihrer Ansicht nach durch frühzeitige und umfassende Informations- und Aufklärungsarbeit an den Schu-len geleistet werden sollte. Kom-petenz und politische Reife sind die Schlagworte - für alle Alters-gruppen.

Urne frei für Teenies?Unter dem Motto „Ich will wählen“ hat der Berliner Martin Wilke jetzt eine bundesweite Initiative gegründet. Von Katja Ciesluk

politik orange10 saftladen

„Der Mensch kann nicht nicht kom-munizieren“ - doch wie sehen die Mittel der Kommunikation und die politischen Handlungsmöglichkeiten für Jugendliche aus? Der Workshop „Politik ist doch nur Theater!? - dann machen wir es eben“ unter der Leitung von Annette Hartmann widmete sich diesem Thema.

Das Theater als Medium der politi-schen und sozialen Meinungsäusserung stand bei dem zweistündigen Projekt im Mittelpunkt. Während der obligatori-schen Vorstellungsrunde hatte jeder der knapp 20 Jugendlichen die Möglichkeit, seine persönliche Defi nition von Poli-tik sowie Veränderungswünsche zu artikulieren. Hierbei war ganz klar eine grundlegende Tendenz erkennbar, die

sich in folgendem Satz zusammenfas-sen lässt: „Politik ist ein Machtspiel, worauf wir keinen Einfluss haben - Verarschung, oder?“ Ganz falsch ist diese These nicht, denn Enttäuschung und Misstrauen gegenüber opportu-nistischen Politikern ist nach dem unveränderten Verhaltenswechsel und Ideenverrat der an die Macht kommen-den Personen durchaus vertretbar.

Aber ist man wirklich so hilflos? Genau hier setzte der Workshop an. In kleinen Gruppenarbeit wurden politische Aspekte theatralisch - in Form von Standbildern - umgesetzt und anschließend dargestellt. Der Themenkomplex reichte von Ausgren-zung über Tierversuche bis hin zu ungerechter Machtverteilung bei der

Globalisierung. Der Kreativität der Darsteller waren dabei keine Grenzen gesetzt, was zu überaus interessanten Ergebnissen bei der Vorstellung führte. Anschließend hatte das Auditorium die Möglichkeit, die jeweils vorgeführten Standbilder nach seinen Wünschen zu modifi zieren. Da kam es schon mal vor, dass der großindustrielle Nordstaatler dem notleidenden Plantagenarbeiter die helfende Hand reichte. Heutzutage leider nur Wunschdenken, aber den-noch irgendwie harmonisch, friedlich, schön.

Danach beschäftigten sich die Teilnehmer mit dem sogenannten Straßentheater. Was sich dahinter verbirgt, wird deutlich, erinnert man sich an gern geführte Fernsehexperi-

mente: eine Darstellerin mimt eine hilfesuchende Frau auf der Parkbank, der doch nicht geholfen wird von vorbei eilenden Passanten. Mehr Zivil-courage ist gefordert. Leichter gesagt als getan. Wo liegen die Grenzen der Handlungsbereitschaft?

Neben diesem Aspekt wurde vielen Workshopteilnehmern klar, welche Macht tatsächlich im Theater liegt. Es beeinflusst nicht immer direkt, regt aber dennoch zum Nachdenken an und ist somit um einiges effektiver als der pure „Informationsverzehr“ à la Springer-Presse und Co.

Nebenbei entpuppte sich die Ver-anstaltung auch als Ideenschmiede für einige Teilnehmer: so kann es bei-spielsweise in naher Zukunft durchaus

passieren, dass man auf einer belebten Berliner Fußgängerzone Zeuge eines Straßentheaters zur Demonstration politischer Unzufriedenheit wird - wer weiss?

Bei der Umsetzung des Projektes wurde auf technische Hilfsmittel, die an der hiesigen Universität nicht ganz zu funktionieren scheinen, verzichtet. Der Workshop an sich zeichnete sich durch interessante Inhalte, aber auch Diskussionsfreudigkeit der Teilnehmer aus und entwickelte sich letztendlich zu einem lehrreichen Exkurs in eine andere Ebene der Politik, eine, die uns direkt betrifft. Auch wenn es nicht möglich ist, große Veränderungen von einem zum nächsten Tag vorzu-nehmen, so bleibt uns dennoch die Möglichkeit - wie es doch so oft ist - im Kleinen anzufangen. Es gilt, etwas zu verändern.

Wir spielen Politik; wir formen Sie - So einfach ist das.

In den Wurzeln liegt die KraftWorkshop: „Politik ist doch nur Theater!? - dann machen wir es eben“. Von Zubin Farahani

„Wie kommt man mit 25 Jahren in den Bundestag?“ Diese Frage ist fast obligatorisch. Vorn auf dem Lehrerpult hockt Sabine Jünger, erzählt gerade von ihrem Leben und Wirken als „Politiker“ und schmunzelt, als einer der fünfzehn Zuhörer ihre Beweggründe hören will. „Verlogene Lehrer hatte ich. Richtig verlogen. Erst in der SED gewesen und dann in der SPD. Da hab ich überlegt und festgestellt: Wenn Du in der Politik mitmischst, kannst Du deine Lehrer ärgern.“

Dass sie sich die PDS aussuchte, sei eher Zufall gewesen. Die CDU war für sie nicht akzeptabel, Liberale und Grüne gab‘s noch nicht. Und die SPD? Zu verlogen! Und als der junge Querkopf bei einem Parteitag Anfang der 90er gefragt wurde, wer denn jetzt die Landtagsliste verjüngt, meldete sich die ehemalige Schülerratssprecherin und „Antifa“-Aktivisten: „Ja, dann mach ich‘s halt.“ Und prompt: Listenplatz 4, Landtag und vier Jahre später: Bundestag.

„Zugegeben, nach einem halben Jahr Landtag wollte ich schon alles hinschmeißen. In den Parlamenten läuft alles so schrecklich langsam und Freunde hatte ich bald auch keine mehr - soviel

habe ich gearbeitet.“ Zwar hat die 28-jährige Mama ihr Privatleben inzwi-schen besser in den Griff bekommen - „ich nehm‘ mir auf jeden Fall einen Tag in der Woche frei“ - dennoch reicht es ihr nach 8 Parlamentsjahren. Wenn im September die Legislaturperiode ausläuft, hört sie auf und fängt wieder das Studieren an. „Aber ich komme als Alterspräsidentin wieder“, scherzt sie. Zwischenzeitlich möchte sie auf kom-munaler Ebene weitermachen. „Ehren-amtlich, da kann man am meisten errei-chen.“

Und was denkt sie über die rot-rote Politik in ihrem Bundesland Mecklenburg-Vorpommern? Die Politik, die sie bis vor dreieinhalb Jahren noch mit gestaltet hatte - in einem Land, dessen Arbeitslosigkeit permanent steigt, während die Soziale-tats stetig gekürzt werden? „Ich hatte gegen die SPD-PDS-Koalition gestimmt und könnte mich jetzt zurücklehnen. Aber es stimmt: Wir haben schlechte Arbeit gemacht. Meiner Fraktion in Mecklenburg-Vorpommern gebe ich die Schulnote mangelhaft.“ Jünger hat sich in den vergangenen Jahren oft selbst in Mecklenburg aufgehalten und zwei- bis dreimal im Monat Sozialkunde-Unterricht

gegeben. Als Abgeordnete darf sie das. „Am besten war meine ehemalige Schule. Der Direktor ist jetzt total nett zu mir.“ Die junge Abgeordnete blickt in die Runde und ergänzt in energischen Ton: „Erschreckende Antworten gibt es dort jedoch auf die Frage nach dem Ausländeranteil im Landkreis. Da kommen ernsthaft Zahlen wie 60 oder 70 Prozent. Soviel Ignoranz macht mich fertig! In dem Landkreis gibt es genau zwei Ausländer mit Arbeitserlaubnis.“ Und diese Antworten hätten in den letzten Jahren zugenommen.

Die Handvoll junger Leute hört gespannt zu. Begeisterungsstürme lösen ihre offenen Worte zwar nicht aus, aber wie steht‘s mit der Moral? Die erste Reihe stellt noch eine kritische Schlußfrage: „Wieviel Einfl uss hat ein Abgeordneter? Zum Beispiel bei der Truppenentsendung nach Afghanistan und der Vertrauens-frage.“ Sabine Jünger fängt sachte an („Bei Wirtschaftsfragen hab‘ ich keine Ahnung, da halt ich mich an die Fraktion“) und läßt dann ihren Idealismus aufblitzen: „Bei manchen Sachen, etwa wenn es um Krieg und Frieden geht, dann muß man sich aus dem Fraktionszwang lösen dürfen und eine eigene Meinung haben.“ Ehrlich.

Note fünf für LandtagsarbeitDie Bundestagsabgeordnete Sabine Jünger diskutierte über ihr Leben, ihre Erfolge und ihre Niederlagen. Von Max Hägler

Wer was werden will, muss sich präsentieren können. Deshalb hat das Wehner-Werk bei den Politik-tagen den Workshop „Karacho - Reden wie Wehner“ angeboten.

Herbert Wehner war ein gebürtiger Dresdner. Er hat sich als bedeutender SPD-Politiker durch den Witz und die Schlagfertigkeit seiner Reden einen Namen als Rhe-toriker gemacht. Bei Parlaments-debatten war er ein gefürchteter, scharfzüngiger Redner.

Der Workshop „Karacho - Reden wie Wehner“ soll den Teilnehmern die Chance geben, selbst Rede-erfahrung zu sammeln und den rhetorischen Fähigkeiten Wehners nachzueifern. Geleitet wurde der

Workshop von den Referenten Sebastian Frevel und Achim Neu-heusser, beide 24, im Auftrag des Wehnerwerks. Zur Rhetorik sind die beiden aus eigenem Interesse gekommen. „Man kommt heute einfach nicht mehr umhin, Reden zu halten“, so Sebastian. Die Rhe-torikausbildung hilft nicht nur, wenn es um öffentliche Reden vor großem Publikum geht. Auch bei Referaten in der Schule und Uni oder bei Diskussionen im kleinen Kreis hilft es, seine Gedanken klar formulieren und ausdrücken zu können. Ein weiterer positiver Effekt der Redeerfahrung ist, dass man zum Beispiel Vorstellungsgespräche ruhiger und

sicherer angehen kann und dadurch seine Chancen erhöht.

Die Relevanz der Rhetorik hat auch Daniel Günther aus Berlin erkannt. Er nimmt am Rhetorik-Workshop teil, weil er von den Podiumsdiskussionen am Don-nerstag enttäuscht war: „Die Dis-kussion hätte viel besser laufen können, wenn sich alle Redner an die Grundregeln gehalten hätten, die wir heute gelernt haben.“ Dazu gehört zum Beispiel, dass langsam und deutlich gesprochen wird. Wichtig bei einer öffentlichen Rede ist auch, dass die Struktur des gesamten Redebeitrags vorab kurz dargelegt wird. Dadurch wird es dem Zuhörer erleichtert, dem Vor-

trag zu folgen, und das Gesagte bleibt besser haften. Außerdem ist es wichtig, sich kurz zu fassen und die Dinge auf den Punkt zu bringen. Wer seinen Vortrag voll-ends perfektionieren möchte, achtet darauf, Gestik und Mimik gezielt und sparsam einzusetzen.

Erreichen lässt sich das Ziel, ein guter Redner zu werden, nur durch eines: „Üben, üben und nochmals üben“, erklärt Achim, der Referent.

Deshalb war der Workshop zwei-geteilt: In der ersten Hälfte führte Sebastian in die Grundlagen der Begrüßungsrede ein. Sein Kollege Achim erklärte danach dem mit 16 Zuhörern besetzten Workshop, wie

man eine Argumentationsrede ent-wirft und strukturiert. Anschließend war genügend Zeit für alle Teilneh-mer, selbst eine Rede zu schreiben und vorzutragen. Achim und Seba-stian analysierten alle Reden und gaben jedem einzelnen Teilnehmer wertvolle Tips. Dadurch erhielten die angehenden Rhetoriker Orien-tierung und erfuhren, an welchen Stellen sie noch an ihrer Vortrags-technik feilen können.

Nils Dehner aus Berlin hat der Workshop gefallen: „Anfangs konnte ich mir unter dem Titel nichts vorstellen. Aber im Endef-fekt hat uns der Workshop allen etwas gebracht - nicht nur für die Schule!“

Die hohe Kunst des ZwischenrufsMal so richtig reden können. Noch heute ist der langjährige Bundestags-Fraktionsvorsitzender SPD eine rhetorische Legende.Von Martin Kilgus

11orangenhautZeitung zu den Politiktagen | 14. bis 16. März 2002, BerlinBundesverband Jugendpresse e.V. | Deutsche Jugendpresse e.V.

„Ich bin mit meiner Gruppe der Jungen Gemeinde aus Leipzig hier. Wir haben eine Einladung für die Politiktage vom AEJ, einem christlichen Verein, bekommen. Wir nutzen gleich die Gelegenheit um uns in Berlin berühmte Bauwerke und Museen anzu-sehen. Leider war die Sight-seeing-Tour schon ausge- bucht, schon Wochen vor den Politiktagen war alles dicht, haben uns die Organisatoren gesagt. Die Politiktage sind für junge Leute aber sehr wichtig. Jugendliche müssen für Politik sensibilisiert und interessiert werden.“ Ute Ulbricht wollte alles ganz spontan machen. Sie hatte sich im Voraus nicht für irgendwelche Workshops angemeldet. Erst auf der Veranstaltung suchte sie, die auf den Politiktagen wahr-scheinlich zu den Ältesten zählt, verzweifelt nach freien Plätzen in Workshops oder Foren, die sie interessierten. cs

„Jugendliche muss manpolitisch sensibilisieren“

UTE, 49, LEIPZIG

fruchtfleisch

Der 17-jährige Markus Karl ist, wie so viele, mit seiner Schulklasse zu den Politikta-gen gekommen. Das scheint aber auch der einzige Grund zu sein, warum‘s Markus für drei Tage in die TU getrieben hat. „Ich bin eigentlich poli-tisch nicht besonders inter-essiert und engagiere mich auch nicht irgendwo. Trotz-dem halte ich die Politiktage für eine gute Sache. Sind hier interessante Veranstaltungen, können sie politisches Interesse bei den Menschen wecken.“ Markus hält die Orga-nisation der Veranstaltung für ziemlich chaotisch: „Alles geht hier drunter und drüber, da ist es gut, dass hier so viele Info-Scouts aktiv sind, die im Notfall helfen können.“ Alles in Allem lässt Markus die Veranstaltungen einfach auf sich zu kommen und schaut, was sie ihm für die Zukunft so bringen. cs

„Politiktage: klasse für politisch Uninteressierte“

MARKUS, 17, BERLIN

Vernetzung mit anderen Pro-jekten und Jugendlichen aus dem gesamten Bundesgebiet, die Bekanntmachung ihres Vereines und der Austausch mit Gleichgesinnten hatte Geraldine de Bastian von den Politiktagen erwartet. Die Organisation der Veranstal-tung bewertet sie kurzerhand als katastrophal. „Mit unse-rem Stand sind wir sehr zufrieden und haben daraus eine Narra-Message-Lounge gemacht, inklusive Klein-Kino und Video-Box. Beim Workshop hingegen hat nichts geklappt: Fehlende Technik, keine Vorankündigung im Programmheft und die Doppelbelegung unseres Raumes haben die wochenlange ehrenamtliche Arbeit für den Work-shop zunichte gemacht. Den Sinn der Veranstaltung bringt die Berlinerin auf den Punkt: „Jugendlichen wird das Gefühl gegeben, dass die Politik Interesse an ihnen habe.“ amo

„Eine ganze Mengewurde zunichte gemacht“

GERALDINE, 23, BERLIN

Podiumsdiskussion in Raum 104. Das Thema: „Mitmachen, Einmischen, Mitentscheiden“. Das Publikum zeigt sich mehr oder weniger interessiert, einige packen mitgebrachte Stullen aus. Vereinzelter Szenenapplaus

Auch Buh-Rufe. Plötzlich wird die Tür aufgerissen: Tumult. Schokomünzen fl iegen - eine Meute vermeintlicher Piraten entert die Diskussion. Rote Flaggen werden geschwenkt. Auditorium und Podium formieren sich zu einem einzigen Fragezeichen. Der Anführer bekommt zwar kein Mikro, ist aber trotzdem zu hören. Die Forderungen der Freibeuter: „Jetzt wird umverteilt, her mit dem schönen Leben.“ Der Beifallssturm bricht los. „Wir wollen Arbeits- und Ausbildungsplätze für alle“. Das Auditorium tobt, die Moderatorin

verzieht genervt das Gesicht, die Bundesministerin lächelt politisch korrekt. Nach fünf Minuten ist der Spuk vorbei und die Neugier beim Publikum geweckt.

„Wir sind auch zufrieden mit der Reaktion der Politiker, die sich unsere Forderungen angehört haben und sich nicht beleidigt fühlten“, freut sich der Thüringer Metaller Thomas Steinhäuser. Die Freibeuter sind ein Zusammen-schluss junger Gewerkschaften wie „Ver.di“, „IG Metall“ und „NGG“ und somit unabhängig von einer Partei. „Wir fordern die CDU genauso wie die FDP und die SPD auf, unsere Angebote zur Kenntnis zu nehmen“, sagt der 38-Jährige. An erster Stelle steht dabei die Schaffung von Arbeits- und Ausbildungsplätzen für Jugendliche. „Leben ist dann möglich, wenn man

eine Perspektive hat“, sagt Thomas Kalkbrenner vom Vorstand der IG Metall Jugend. Dann erst, so ergab eine repräsentative Umfrage im Auftrag der IG Metall, sind die Jugendlichen bereit, sich an Politik aktiv zu beteiligen. Die Freibeuter treten auch für „eine offene Gesellschaft und gegen Rassismus, Ausgrenzung und Gewalt“ ein. Aussagen wie: „Die durchrasste und durchmischte Gesellschaft ist eine Gefahr für Deutschland“(Edmund Stoiber, CSU), werden streng verurteilt. Unter dem Motto „Jetzt wird umverteilt - Her mit dem schönen Leben!“ wollen die Piraten endlich etwas bewegen. Dabei arbeiten sie auch an Projekten in Kuba oder Brasilien. Sie unterstützen dort ähnliche Organisationen.

Bei den Politiktagen ist die Reso-

nanz auf die Piraten überwältigend. Thomas Steinhäuser und seine 20 Mitstreiter freuen sich: „Es kommen immer wieder junge Leute an unseren Tisch, die mehr über unsere Aktionen erfahren wollen.“ Und was können die Freibeuter berichten? Am 14. September blasen sie zum Angriff auf die Medienhauptstadt Köln. Gemein-sam mit den Globalisierungsgeg-nern von „Attac“ organisieren sie ein Aktionsfestival. Dort gibt es dann auch die T-Shirts und die Flaggen der Meeresräuber zu kaufen. „Wir sind erst seit Februar als Freibeuter unterwegs. Deshalb müssen die T-Shirts noch gedruckt werden“, sagt Thomas Steinhäuser. Alle Interessierten sind recht herz-lich eingeladen, noch mehr über die jungen Gewerkschaften zu erfah-ren. Homepage: www.hmdsl.de.

Piraten im HörsaalEigentlich wären sie besser als Robin Hood verkleidet. Schließlich wollen sie eine gerechtere Verteilung. Von Anne Hütter

Klarmachen zum Entern: Die Piraten der IG-Metall-Jugend.

ritas courageRita Süssmuth hat eine Tochter und ein Enkelkind. Um ihre Familie hat sie fast mehr Angst als um ihr eigenes Leben. „Ich bekomme sogar manch-mal Morddrohungen.“ Deshalb kann sie sehr gut nachvollziehen, wie sich die achtköpfige türkische Familie aus Basdorf bei Berlin fühlen muss, die seit einiger Zeit von rechtsradikalen Jugendlichen bedroht wird. Doch Resignation hält Süssmuth für die falsche Antwort, auch in der Politik. „Oft gehe ich abends ins Bett und denke: ,Jetzt reicht‘s!‘ Aber dann wache ich morgens auf und sage mir: ,Wollen doch mal sehen, wer der Stärkere ist.“ Die CDU-Politikerin nutzte deshalb die Möglichkeit, sich bei einer Podiumsdiskussion auf den Politik-tagen mit Jugendlichen über das Thema „Cou-ragiert oder engagiert oder zuschauen?“ zu diskutieren und ihre Meinungen zu erfahren. Sie selbst hat vor kurzem Courage bewiesen, als sie für das Zuwanderungsgesetz im Bundestag und damit gegen die überwiegende Mehrheit der CDU gestimmt hat - parteilicher Ungehorsam. Eine Haltung, die bei vielen Zuhörern der Podi-umsdiskussion Anklang fand, wie viele Wortmel-dungen zeigten. „Was mich besonders beeindruckt hat, waren die Hinweise, dass wir nicht immer nur von ‚den Ausländern‘ sprechen dürfen. Wir reden doch von Menschen,“ resümiert die ehema-lige Bundestagspräsidentin. Schließlich richte sich die Menschenwürde nicht nach der Nationalität, sondern nach dem Menschen.Daraus folgt ihre Definition von wahrer Integra-tion: „Um Gleichwertigkeit zu erfahren, müssen wir miteinander in Kontakt kommen. Dann ist es leichter, Vorurteile abzubauen und wirklich etwas in den Köpfen zu verändern.“ Dafür seien „hautnahe“ Projekte ideal - nur Reden helfe nicht immer. Ganz konkret nennt Süssmuth Initia-tiven wie internationale Koch- und Handwerks-gruppen, die Idee, mehr Lehrkräfte aus anderen Ländern einzustellen und Schüler nicht mehr nach Nationalitäten zu trennen - derartige Projekte ließen die Menschen zusammenkommen und sich austauschen. „Was wissen wir denn wirklich über den Islam oder andere Religionen?“ fragt Süssmuth. Und wünscht sich Neugier: Wer sich für andere Kultu-ren interessiere, tue schließlich nicht nur etwas für Toleranz und Akzeptanz, sondern erfahre auch eine Bereicherung für sich selbst.Integration heißt also, Vorurteile und Klischees auf beiden Seiten abzubauen. Apropos Klischees: Entgegen allgemeiner Vorstellungen sind nur 10 bis 20% der Türken in Deutschland nicht interes-siert, sich wirklich zu integrieren, weiß Süssmuth. „Leider redet über die anderen kaum jemand,“ bedauert sie.Ein weiteres Klischee betrifft sie persönlich. Während der Veranstaltung wurde es einmal mehr deutlich: Fragen wie „Warum lügen Sie immer und halten keine Wahlversprechen ein?“ machten der Politikerin klar, was für ein negatives Bild viele Jugendliche von der Politik haben. „Kritik an reellen Problemen ist durchaus angebracht, aber man darf nicht einfach nur Pauschalurteile fällen,“ kommentierte die CDU-Politikerin die all-gemeine Ablehnung. Die Jugendpolitiktage seien da ein guter Ansatz. Süssmuth: „Man sollte viel mehr auf diese Weise miteinander reden.“

ISABELLE RUF

12orangenhautZeitung zu den Politiktagen | 14. bis 16. März 2002, BerlinBundesverband Jugendpresse e.V. | Deutsche Jugendpresse e.V.

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Karl Musiol und Raphael Neuner (Chefredak-teure und V.i.S.d.P.), Jochen Markett (CvD), Sina Kaufmann (Inhaltliche Koordination), Maximi-lian Kall und Christina Stefanescu (Layout), Guido Müller (Bilder). Die Teamer: Katja Cies-luk, Boris Kirchner, Claudia Kurkin, Andreas M. Otto, Betty Peucker, Daniel Protzmann. Die besten Redakteure überhaupt: Alfhild Böhringer, Mandus Craiss, Zubin Farahani, Lars Förster, Max Hägeler, Anne Hütter, Kristian Kaltschew, Martin Kilgus, Peter Lausmann, Lars Radau, Katharina Rosenbohm, Isabelle Ruf, Rebecca Scherrer, Cornelia Schöttner, Christina Stefanescu, Dave Tjiok, , Nele Topuzoglu, Nikolaus Thomale, Marlene Wolf.

Sie ist gerade 14 Jahre alt und bringt

doch schon mit ihrem Stift die

Sachen auf den Punkt. Für uns hat

Jessica Wohlge-muth diese Karika-

tur gezeichnet.

Schweiß klebt auf meiner Haut. Ekliger Schweiß, während gierige Finger auf mir herumfahren. Ich fühle mich einfach nur schrecklich. Überall herrscht grölender Lärm und eine unerträgliche Hitze. Zuerst diese erdrückende Enge, und dann das ganze Gedränge! Seit mich diese schmierigen Finger aus der Tüte gegriffen haben, wurde es nur schlim-mer. Lunchpakete nennen sie das...

Jetzt liege ich auf diesem kalten Steinsims. Wenigstens habe ich jetzt mal meine Ruhe. Moment, da grabscht schon wieder jemand nach mir. Au! Jetzt tritt man mich mit Füßen. So was! Diese Menschen nennen diese Quälerei „Footbag“. Dabei bin ich doch eine Orange und kein seelenloses Stück Plastikleder mit Styroporfüllung! Endlich: Die haben gemerkt, mit wem sie es zu tun haben und mich wieder auf den Sims gelegt.

Ahh, da kommt schon wieder diese Schweißhand und reißt mich fort. Sie zerrt mich hinaus in die Kälte. Brrrr! Und dann diese stinkenden Autos. Und währenddessen dreht der Kerl mich in seiner Hand, dass mir ganz schwindlig wird. Jetzt sind wir wieder im Warmen

- oh, ein wundervoller Stand, in meiner Hautfarbe, in orange. Aber was für ein unverschämter Kerl: Er fragt, ob ich eine Mandarine oder Orange sei. Ein Glück für ihn, daß ich nicht sprechen kann! Menschen sind seltsam! Dieses Ding namens „Info-Stand“ scheint nur der Verwirrung anderer Orangenträger zu dienen.

Ah, ich sehe, es scheint um Politik zu gehen. Und überall die orange Farbe. Das bedeutet, dass wir dabei eine große Rolle spielen. Wow! Vielleicht ist das ja ein Fest zu unseren Ehren. Es muss so sein, denn überall sind orangene Banner. Wir Orangen sind alle gleich, wir brauchen keine Politik oder Parteie, wie die Menschen. Vielleicht hat man uns wegen unserer natürlichen Gleichheit als Symbol auserkoren. Kämpfe und Kriege gibt es unter uns nicht. #

Wir würden uns auch nie wegen einer so lächerlichen Sache wie den Geschlechtern zerstreiten - bei den Men-schen gibt es kurioserweise Männchen und Weibchen. Wir Orangen hingegen sind geschlechtslos und reifen an Bäumen heran. Wir sind den Menschen einfach überlegen!

Nun wandere ich wieder weiter nach oben, ich lande auf einem Tisch, mit orangenem Tuch überzogen. NEEIN..., was muß ich sehen, ein abscheuliches Verbrechen - das Blut meiner Artgenos-sen wird für die Menschen als Getränk vorbereitet.

ORANGENSAFT - wie ekelerre-gend! Dieser Wahnsinn kann nur durch religiösen Fanatismus erklärt werden. Diese Menschen glauben wohl, dass sie unsere Weisheit erlangen, indem sie unseren Saft trinken. Heller Wahnsinn! Oh nein, ein Kind hat mich gepackt, jetzt werde ich wieder durch die Luft und in Richtung eines Kessels gewor-fen... Autsch..., ist das heiss! Ich sinke auf den Grund eines Stahlbehältnisses. Oh Gott, was ist das? Opfer, überall! Martialisch! Sie entreissen sie ihrer Geburtshülse, rösten sie unerbittlich und zermahlen sie. Das grausige Ver-brechen krönen die Menschen, in dem sie die Überreste schänden und sie mit heißem Wasser aufbrühen und die heiße Flüssigkeit - die Menschen nennen es Kaffee - anschließend trinken.

Jetzt hebt mich wieder eine Men-schenhand aus diesem Massengrab

und steckt mich in ein durchsichtiges Trinkgefäß. Unter mir ist mehr von diesem Kaffeepulver. Die Men-schen sind verrückt nach diesem verabscheuungswürdigen Getränk, sogar noch mehr als nach unserem Blut, weil es sie angeblich belebt, während sie ihre komische Politik-Orgie abhalten.

Die Aufschrift auf dem Trinkgefäß ist zwar für mich nur in Spiegelschrift zu lesen, aber ich erkenne in orangenen Buchstaben die Aufschrift „Politik braucht Taten“. Jetzt werde ich handeln, ich beschütze diese armen pulverisierten Kaffeebohnenüberreste, indem ich mich in diesem Becher festsetze.

Das ist nicht so schwer: Durch das ganze Betatschen von Menschenhand ist mein Inneres total aufgeweicht, meine harte Schale aber, deren Farbe ich mit Stolz mein eigen nenne, gibt nicht nach!

Die Menschen werden an das arme Kaffeepulver nur über meine Leiche kommen. Entweder sie fressen mich auch oder rauben mir meinen Saft - aber ich werde nicht freiwillig weichen. Das bin ich meiner Schalenfarbe schuldig. Orangene Politik braucht Taten!

Orangen aller Länder vereinigt euchAuf einer Reise über das Gelände der Politiktage kann eine saftige Südfrucht ganz schön ins Staunen kommen. Die Menschen sind schon seltsame Lebewesen. Von Dave Tjiok

gruß vomnikolausMensch Du!Das gibt‘s ja nicht! Du auch hier?! So engagiert! Was, schon drei mal hast du dich am Servicepoint angestellt? Und die endlose Schlange hält dich nicht davon ab, es noch mal zu tun? Du willst hier wirklich hin, nicht wahr? Da nimmt man auch ein bisschen Hungern und langes Anstehen gerne in Kauf. Das Essen ist auch nicht so berauschend. Stört dich nicht, ver-stehe. Du bist wirklich nicht politikverdrossen. Warum wärst du auch sonst hier? Du willst dich bei den vielen Workshops informieren und Politik ganz nah erle-ben, klar! Hast auch noch deine Klas-senkameraden mitgebracht, um sie zur Politik zu bringen. Weißt du eigent-lich, dass du der Stolz von unserer werten Bundesjugendministerin Chri-stine Bergmann bist? Und auch der Bundestagspräsident Wolfgang Thierse ist wegen dir gekommen, um dein großartiges Engagement zu loben. Moment! Was war das? Habe ich dich da gerade gähnen sehn? Du bist doch nicht etwa gelangweilt? Nein... du malst doch nicht etwa kleine Männchen und Blümchen auf deine Zettel? Die sind dazu da, dass du dich in die Diskussion einmischen kannst. Und deine Klasse? Was macht die da? Die sind doch nicht schon um 15 Uhr alle auf dem Weg in die Jugendher-berge? Nein! Ihr seid doch nicht eine der Klassen, die von ihren Sozialkundelehrern hierhin geschleift wurden. Ihr seid doch nicht hier, weil es Schulfrei gibt? Ihr doch nicht. Du doch nicht. Mensch Du! NIKOLAUS THOMALE

unser trendMode hier, Mode da. Natürlich auch auf den Politiktagen, bei diesem Multikulti-Nationenaustausch. 20iger, 30iger und natürlich auch die 80iger. Alles vertreten: Unsere Eltern und sogar die Großeltern wären stolz auf uns. Heute ist alles modern. Extrava-gant, langweilig, wer will noch mal, wer hat noch nicht? Freie Auswahl für jeden. Sich anpassen? Warum und für wen eigentlich? Für uns ganz sicher nicht. Na gut, vielleicht ist unsere Generation auch einfach nur unkrea-tiv. Denn sind wir mal ehrlich, welchen „Trend“ haben wir kreiert? Man könnte glatt sagen: Keinen! Doch zeugt es nicht von enormen Einfalls-reichtum, dass wir auf die „ollen“ Kamellen unserer Eltern zurückgreifen und daraus noch wirklich etwas Brauchbares machen? Egal, wenn andere meckern. Das ist unser Trend. Und das ist schön. Finde ich.

BETTY PEUCKER