Psychotherapie mit Migrantinnen und Migranten aus ... · •Transkulturelle Psychiatrie bedeutet...

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Psychotherapie mit Migrantinnen und Migranten aus traditionellen Gesellschaften Prof . Dr. Dr. Jan Ilhan Kizilhan

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Psychotherapie mit Migrantinnen und Migranten aus traditionellen Gesellschaften

Prof . Dr. Dr. Jan Ilhan Kizilhan

„Heimwehkrankheit“ (Johannes Hofer 1688)

„Wenn nun solche, obgleich gut erzogene Kinder,

unter andere Nationen kommen, so können sie sich

an keine fremden Sitten und Lebensarten gewöhnen,

noch der mütterlichen Pflege vergessen: sie sind

furchtsam und ergötzen sich nur an dem süßen

Gedanken vom Vaterlande, bis sie mit Widerwillen

gegen das fremde Land erfüllt, oder unter mancherlei

Unbequemlichkeit leidend, Tag und Nacht an die

Rückkehr ins Vaterland denken und, daran gehindert,

erkranken.“

Migration

3

– 15.3 Mio. Menschen mit Migrationshintergrund in

Deutschland 2.7 Mio. türkischstämmig (größte

Migrantengruppe)

– Kultur- und migrationsbedingte Besonderheiten (z.B.

kollektive Gesellschaftsstruktur, Bedeutung der Religion,

usw.)

– Gesundheitliche Situation/Versorgung von Migranten

• Unterrepräsentation v.a. in psychiatrischen und

psychotherapeutischen Einrichtungen

• Fehlende spezifische Behandlungsangebote für Migranten

• Schwierigkeiten in Behandlung

Psychische Störungen und Kultur

Angabe von sprachlichen und kulturellen Verständigungsproblemen in % (Heinz et al. 2006)

0 10 20 30 40 50

Sprachprobleme

kulturgebundene Verständigungsprobleme

Kultur- und Sprachprobleme

Sprach- und Kulturmittlung

„Ich habe den Kopf gegessen“

„Mir kommen gerade die Geister“

„Mir brennt die Leber“

Interaktionsprozess zwischen MigrantInnen und dem medizinischem Personal

Qualifizierung von Sprach- und KulturmittlerInnen(Fachdolmetscher)

Kultur

Selbstsystem

KRANKHEITSEPISODE

Krankheits-

stimuli

Subjektive

Krankheitstheorie

(kognitiv)

Subjektive

Krankheitstheorie

(emotional)

Outcome

Bewältigung

Bewältigung

Kulturbezogene Fragen in der Psychiatrie:Subjektive Krankheitstheorie

Die Reaktion des Kranken auf sein Krankheitserleben

DIE REAKTION DER GESELLSCHAFTEN AUF PSYCHISCHE KRANKHEITEN

Dualistisches Menschenbild:

Seele und Körper sind etwas gänzlich Verschiedenes und Getrenntes.

Monistisches Menschenbild:

Seele und Körper sind zwei Aspekte ein- und derselben Entität (Individuum). Der Tod

des Körpers ist (vermutlich) auch

der Tod der Seele.

Anthropologische Aspekte

Anthropologische Aspekte

In allen patriarchalischen Gesellschaften und Kulturen, die die Existenz der Seele eher ablehnen bzw. nicht kennen, muss eine Kompensation geschaffen werden.

Dieses kann sich im einfachen Verhalten (Regression) im komplexen Verhalten (Verweigerung oder Ideologisierung) im körperlichen Ausdruck (Kranksein, Schmerzen haben)durchsetzen (Friedmann, 2004).

Die Kompensationsmöglichkeiten hängen von individuellen und kollektiven Bewältigungsstrategien und deren Normen und Werten ab (z.B. Machtposition).

Frauen, deren elementaren Rechte wie in einem Patriarchat negiert werden, sind auf Regression oder Körpersprache beschränkt.

Somatischen Symptome

• Depressive, Angst- und somatoforme Störungen sind die häufigstenpsychische Erkrankungen in der Primärversorgung (vgl. de Waal et al., 2004;

Sartorius et al., 1996), gefolgt von Abhängigkeitserkrankungen und imhöheren Lebensalter Demenzerkrankungen (Goldberg & Lebrubier, 1995;

Linden, 2002).

• In der Studie von Simon/vonKorff/Piccinelli/Fullerton/Ormel 1999konnte gezeigt werden, daß die Präsentation somatischerSymptome in erster Linie– von der Gestaltung der Arzt-Patienten-Beziehung,

– vom Gesundheitswesen bzw. der Diskrepanz zwischen dem vertrautenGesundheitswesen im Heimatland

– und dem des neuen Wohnlandes abhängig sind.

– Die Präsentation somatischer Symptome war um so häufiger, je seltener undunpersönlicher der Kontakt mit der Klinik war und um so seltener, je persönlicher unddauerhafter die Arzt-Patienten-Beziehung sich gestaltete (Kizilhan, Haag, 2013).

Kulturspezifische Syndrome

Beispiel: Burnout versus burning liver

11

MORBUS

BOSBORUS

GANZKKÖRPERSCHMERZ

NOSTALGIESYNDROM

Chronischer

Immigrationskreuzschmerz

„MAMMA MIA

SYNDROM

WANDERSCHMERZ

TÜRKENSYNDROM

FIBROMYALGIESOMATIERUNGSSTÖRUNG

MORBUS

BOSBORUS

Kultur und Medizin

„SCHWIEGERTOCHTER-SYNDROM“

Beispiel: somatischer Symptome

Bei Deutschen:

Herzbeschwerden

Bei Franzosen:

Beschwerden mit der Leber

Bei Engländern:

Verdauungsbeschwerden

Bei Amerikanern:

Virusmentalität

Latinos und mediterrane Kulturen:

„Nervos“

Kopfschmerzen

Chinesen und Asiat. Kulturen:

Schwäche

Müdigkeit

„Ying-Yang-Imbalance“

Mittelöstliche Kulturen

Herzbeschwerden

Türken

Bauchschmerzen

Kulturspezifische Syndrome häufiges Auftreten im * Nahen- und Mittleren Osten, Balkanländern, **Mittlerer Osten und Indien, ***

Psychosomatische Rehabilitation (Kizilhan & Bengel, 2011)

• Die Inanspruchnahme von Rehabilitationsmaßnahmen war bis in die 80er Jahre relativ gering (Hackhausen, 2002).

• Die Mehrheit der ersten Migrantengeneration war bei ihrer Einreise zwischen 20 und 30 Jahren alt und sie kamen erst nach einer positiven medizinischen Untersuchung nach Deutschland (Kizilhan, 2007)

• Anspruch auf eine Rehabilitationsmaßnahme zu Lasten der Rentenversicherung ist in der Regel erst nach einer längeren Arbeitstätigkeit in Deutschland und entsprechenden Beitragszahlungen möglich (Schmeling-Kludas, 2003).

• Bei einer Rehabilitationsmaßnahme von nicht EU Staatsbürgern können bis zur Rehabilitationsmaßnahme bezahlte Rentenbeiträge im Falle einer Rückkehr ins Herkunftsland nichtig werden (Mika, 2006).

Stationären Rehabilitationsbehandlung von türkeistämmigen Patienten (Kizilhan, Haag, Bengel, 2011 )

Dauer der Krankheit(in Jahren)

ambulante Psychotherapie

%

Antidepressiva

%

Schmerzmittel

%

Frauen (n=1227) 8,2 (4,2) 14,2 97 94,6

Männer (n=862) 7,1 (3,2) 21,4 98 73

Ehe%

Kinder%

Arbeitsplatz%

Frauen (n=1227) 64,3 48,3 60,9

Männer (n=862) 32,7 31,4 71,4

Psychosoziale Belastungen

Soziodemographische Daten und Entlassungsdiagnosen nach ICD-10 (n= 2089)

Alter (Jahre)

Diagnosen Migration(in Jahren)

Bildung(in Schul-jahren)

Arbeits-losigkeit

M (SD) Depressive

Erkrankungen

ICD-10: F32,

F33, F34

Somatoforme

Störungen

ICD-10: F45

Angster-

krankungen

ICD-10:

F40, F41,

F43

Ess-

störungen

ICD-10:

F50

Persön-

lichkeits-

störungen

ICD-10:

F60

M (SD) M (SD) %

Frauen

(n=1227)

45.2

(7.48)

719

(58,6%)

251

(20,4%)

198 (16,2%) 22

(1,8%)

37 (3,0%) 28,6 (8,3) 4.16

(2.39)

31,1

Männer

(n=862)

47,9

(7,56)

472

(54,5%)

122

(14,2 %)

189 (21,9

%)

3 (0,4%) 76 (9,0 %) 26,4 (6,7) 5,29

(0,99)

21,6

Patienten mit und ohne Rentenwunsch hinsichtlich Symptombelastung (SCL-90-R) bei EntlassungSCL-90-R Rentenwunsch

(n=459) ohne Rentenwunsch (n=1630)

Mittelwertvergleich (t-test)

Outcom-

variable

Ment (Sent) Ment. (Sent.) Differenz T P

SOMAı 1,59 1,25 1,10 1,25 0,48 8,75 <0,001*

ZWANı 1,82 1,02 1,25 1,37 0,57 11,55 <0,001*

UNSIı 1,52 1,10 1,08 1,25 0,84 7,87 <0,001*

DEPRı 1,24 1,37 1,92 1,25 0,67 5,64 <0,001*

ANGSı 1,62 1,33 1,15 1,02 0,46 11,12 <0,001*

AGGRı 1,37 1,17 1,79 1,01 0,42 8,17 <0,001*

PHOBı 1,14 0,90 0,94 1,06 0,52 5,50 <0,001*

PARAı 1,44 1,17 1,17 1,39 0,04 0,74 <0,001*

PSYCı 1,40 1,00 0,98 1,12 0,41 7,95 <0,001*

GSIı 2,11 0,85 1,64 0,46 0,46 10,82 <0,001*

Sozialmedizinische Beurteilung

Patient-Therapeut-Beziehung

Kontakt Freundlich, zugewandt, wartend auf Anweisungen und Vorgaben des Behandlers.

Hierarchie Konzentriert auf Hierarchie und Status (Behandler hat eine hohe hierarchische Position).

Respekt Erwarten Intimität bei ausreichender Distanz und Einhaltung von kulturellen Regeln (z.B. bei Begrüßungvon gleichgeschlechtlichen Personen die Hand reichen oder aufstehen, wenn sie in den Raum tretenetc.)

Harmonie In der Beziehung auf Harmonie bedacht. Konflikte und Auseinandersetzungen, Argumentationenwerden eher vermieden. Möchte nicht bloßgestellt werden. Widerspricht möglicherweise nicht demBehandler um seine Autorität nicht Frage zu stellen.

Scham statt Schuld

Vor allem islamisch-familienorientierte Gesellschaften verfügen eher über eine Scham- als über einerSchuldkultur. Daher stehen körperliche Beschwerden, die weniger Schamgefühle erzeugen, imVordergrund als psychische Konflikte.

Kollektives Denken

Psychische Konflikte können als eine Schwäche gesehen werden, die wiederum zu einer Ablehnungdurch das Kollektiv führen können. (Die Person ist schwach und für das Kollektiv nicht zu gebrauchen).Körperliche Beschwerden sind aber etwas „sichtbares“ und werden als Krankheit akzeptiert.

Erst der Körper dann die Seele

In den ersten Behandlungsstunden geht es vornehmlich um körperliche Beschwerden, die auch alsindirekte Hinweise auf psychische Konflikte verstanden werden können. Bei ausreichendem Vertrauenund Beziehungsgestaltung werden dann mögliche psychische Konflikte und Belastungen thematisiert.

Ratschläge und klare direktiven

Erwartet von dem Behandler Informationen über seine Krankheit, Ratschläge auch in Form vonBeratung und klare direktiven was er in der Behandlung zu machen hat (Medikation, Massagen,körperliche Untersuchung).

Die imaginäre Familie in der Einzeltherapie

Beschwerden, mögliche Konflikte und Belastungen in der Einzelbehandlung werden immer in Relationzu der familiären Situation gestellt (Mein Rückenschmerzen führt dazu, dass ich nicht arbeiten kann unddamit nicht in der Lage bin meine Familie zu versorgen; Meine Kinder verlieren den Respekt vor mir,wenn sie erfahren, dass ich noch eine Depression habe etc.)

Passives Krankheits-verhalten

Nicht der Einzelne mit seinen persönlichen Merkmalen und eigenen Anteilen, sondern außerhalb desIndividuums liegende Faktoren – wie familiäre, berufliche oder soziale Bedingungen – werden in hohemMaße verantwortlich gemacht (Seit meiner Tochter eine Beziehung zu einem Mann hat ohne verheiratetzu sein, sind meine Schmerzen unerträglich geworden. Wenn Sie heiraten, dann muss ich mich in derGemeinde nicht so schämen und die Schmerzen könnte ich besser aushalten).

Kultursensitive Psychotherapie: Diagnostik

• Wissensdefizite bezüglich der Anatomie und Funktionsweise des eigenen Körpers

• traditionelle Vorstellungen von psychischen Beschwerden (Magie, Fluch, Bestrafung, etc.).

– Das Schmerzerleben wird z.B. nicht auf einen Körperbereich beschränkt, sondern als ganzheitlich körperbezogen gesehen.

• Berücksichtigung der individuellen und kollektiven Biographie (z.B. Ausgrenzungen auf Grund ethnischer und/oder religiöser Zugehörigkeit im Herkunftsland, Migrationsgeschichte, Kultur- und Generationskonflikte, etc.)

• Psychometrische Testung

Behandlung: Erklärungsmodell

• Für Patienten aus traditionellen Kulturen ist diese gemeinsame Entwicklung eines Erklärungsmodells ungewohnt, sie erwarten vielmehr, dass der Therapeut nach der ersten Untersuchungsstunde ein komplettes Erklärungsmodell liefert

• Früher wurde das Erklärungsmodell mit magischen, religiösen und medizinischen Aspekten von den traditionellen Heilern für die Patienten entwickelt.

Behandlung: Erstuntersuchung

Beim Erstkontakt auf körperliche Beschwerden fixiert

Mögliche psychische Konflikte und Belastungen können zunächst abgelehnt werden.

Geringe Deutschkenntnisse können die Anamnese erschweren.

Das Gefühl, in seinen Beschwerden nicht ausreichend ernst genommen zu werden, kann die Fixierung auf die körperlichen Beschwerden eher verstärken.

Behandlungsstrategie

• Eine Komorbidität mit anderen psychischen Beschwerden

• Psychoeduaktive Maßnahmen

• Einbeziehung von Familienmitgliedern in die Behandlung kann sowohl fürdie Diagnostik als auch für die Behandlung wichtig sein.

• Es besteht eine hohe Erwartung an die medikamentöse Behandlung, dieschnell und effektiv die Schmerzen beenden soll.

• Es besteht eine geringe Motivation an Bewegungssportarten. Da aus ihrerSicht der kranke Körper ruhen muss.

• Entspannungsverfahren wie z.B. PMR und andere hypnotische Verfahrenwerden angenommen, ob diese Verfahren im Alltag, auch nachBeendigung der Behandlung, eingesetzt werden, ist schwierig zu sagen.

Transkulturelle Psychiatrie

• Transkulturelle Psychiatrie bedeutet nicht, möglichst viel Wissen verfügbar zu haben über „fremde Kulturen“ oder „Religionen“.

Sonst besteht die Gefahr des „Kulturalisierens“ (Friedmann, 2004)

• Verhalten kann nicht nur aufgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Kultur erklärt werden.

• Es geht darum, gemeinsam mit dem Patienten dessen Problematik zu verstehen.

Sprachen, Religionen und Kulturen

Notwendigkeit

• Implementierung von transkulturellen Aspekten in medizinischen und psychosozialen Studienbereichen, Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen, interne Fortbildungen und Einstellung von Fachpersonal in den verschiedenen Institutionen in Deutschland.

• Effektive und qualitative Behandlung und Beratung führen zu einer deutlichen Reduzierung der Gesundheitskosten

Konzept der Michael-Balint-Klinik

Interaktionelle Gruppentherapie

Psychoedukative Gruppen:Depression

AngstSchmerz

Soziale Kompetenz

Gestaltungskurs

Koch –und Teegruppe

Übergewichtigen Gruppe

PMR

(Progressive

Muskelrelaxation

nach Jakobson)

Sozialmedizinische

Begutachtung

Posttraumatische

Belastungsstörung

Spezifisches Konzept

in Entwicklung

Ärztliche

Betreuung

Einzeltherapie

Häufig wahrgenommen Angebote

Gesundheitsvorträge

Sozialdienst

Gestaltungstherapie

PhysiotherapeutischeMaßnahmen

Einbeziehung derFamilienmitglieder

in die Therapie

Ernährungsberatung

Sportliche Angebote

Freizeitangebot

Vielen Dank !