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Persönliche Öffentlichkeiten im Social Web Entstehen, Strukturprinzipien und Konsequenzen Jan-Hinrik Schmidt @janschmidt Wissenschaftlicher Referent für digitale interaktive Medien und politische Kommunikation Innsbruck 01.10.2011 #3lksoz

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Vortrag beim Dreiländerkongress der DGS, ÖGS & SGS "Neuer Strukturwandel der Öffentlichkeit", 29.9.-1.10.2011, Innsbruck

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Persönliche Öffentlichkeiten im Social Web

Entstehen, Strukturprinzipien und Konsequenzen

Jan-Hinrik Schmidt@janschmidt

Wissenschaftlicher Referent für digitale interaktive Medien und politische Kommunikation

Innsbruck 01.10.2011 #3lksoz

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Noch ein Strukturwandel von Öffentlichkeit?

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Worüber spreche ich?

Netzbasierte Praktiken & Persönliche Öffentlichkeiten

Folge 1: Konvergenz von Konversation und Publikation

Folge 2: De- und Re-Intermediation

Folge 3: Entgrenzung der Publika

Folge 4: Macht und Machtlosigkeit

Die obligatorische „Fazit“-Folie

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Netzbasierte Praktiken (1/3)

Das Internet – speziell das Social Web - senkt technische Hürden für onlinebasiertes…

Identitätsmanagement (Darstellung individueller Interessen, Erlebnisse, Meinungen, Kompetenzen, etc.)

Beziehungsmanagement (Pflege von bestehenden und Knüpfen von neuen Beziehungen)

Informationsmanagement (Selektion und Weiterverbreitung von relevanten Daten, Informationen, Wissen- und Kulturgütern)

Vgl. Schmidt 2009 4 von 18

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Netzbasierte Praktiken (2/3)

Das Social Web hilft dabei, Anforderungen unserer gegenwärtigen Gesellschaft zu erfüllen:

„vernetzte Individualität“ als Leitbild Informationsüberfluss als Kontext

Nutzung des Social Web ist somit Teil umfassender gesellschaftlicher Praktiken

Aktivität Beispiel Gesellschaftliche Praxis

Kernfrage

Identitäts-management

Blogeintrag über einen Konzertbesuch

Selbst-auseinandersetzung

Wer bin ich?

Beziehungs-management

Bestätigen einer Kontaktanfrage auf Facebook

Sozial-auseinandersetzung

Welche Position habe ich in meiner sozialen Umwelt?

Informations-management

Bewerten eines YouTube-Videos

Sach-auseinandersetzung

Wie orientiere ich mich in der Welt?

Vgl. Schmidt 2009; Paus-Hasebrink/Schmidt/Hasebrink 2009 5 von 18

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Netzbasierte Praktiken (3/3)

Verwendungsregeln: Geteilte Erwartungen und Routinen über das „angemessene“ Handeln in spezifischen Situationen (incl. AGBs);

Relationen: Technische und soziale Netzwerke, die mit Hilfe von Anwendungen artikuliert oder aufgebaut werden;

Code: Software mit ihrer spezifischen Architektur, Optionen und Restriktionen

Handeln

Code

Regeln Relationen

Netzbasiertes Identitäts-, Beziehungs-, Informationsmanagement wird von drei strukturellen Dimensionen gerahmt, die im Handeln wiederum (re-)produziert werden:

Analyserahmen offen für unterschiedliche Bereiche der cvK Im Folgenden steht spezifische Praxis-Konstellation im Vordergrund

Vgl. Schmidt 2009 6 von 18

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Persönliche Öffentlichkeiten (1/2)

Social Web lässt persönliche Öffentlichkeiten entstehen, in denen Nutzer

(a) Informationen nach Kriterien der persönlichen Relevanz auswählen,

[anstatt nach journalistischen Nachrichtenfaktoren]

(b) sich an (intendiertes) Publikum richten, das aus sozialen Kontakten besteht,

[anstatt des verstreuten, unbekannten, unverbundenen Publikums der Massenmedien]

(c) und sich im Kommunikationsmodus des „Konversation Betreibens“ befinden.

[anstatt im Modus des „Publizierens“]

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Trennung zwischen „Sender“- und „Empfänger“-Rollen der Massenkommunikation löst sich weiter auf; in persönlicher Öffentlichkeit ist man beides

Persönliche Öffentlichkeiten bestehen aus „Microcontent“, der aus anderen Angeboten gelöst („entbündelt“) und durch soziale Beziehungen gefiltert wird

„Re-Bündelung“ findet nicht in abgeschlossenen / linearen Produkten („Ausgabe“; „Sendung“) statt, sondern im konstanten Informationsfluss der „streams“ bzw. „feeds“

Persönliche Öffentlichkeiten (2/2)

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Folge 1: Konvergenz von Konversation & Publikation (1/2) Persönliche Öffentlichkeiten lassen

journalistische Öffentlichkeiten nicht verschwinden, aber deren Monopol auf das Auswählen, Aufbereiten und öffentliche zur-Verfügung-Stellen von Informationen erodieren

… nicht so sehr, weil Nutzer auch als Urheber von gesellschaftlich relevanten Informationen auftreten („user-generated content“; „citizen journalism“)

… sondern vor allem, weil sie als Filter bzw. Multiplikatoren innerhalb ihrer sozialen Netzwerke agieren und Informationen (auch aus etablierten Medien) miteinander teilen

+1, Fav-Stern, Retweet

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Trennung der Kommunikations-kanäle, die Theorien der Nachrichtendiffusion oder Two-/Multi-Step-Flows zugrundelag, weicht auf

In den vernetzten Öffentlich-keiten des Social Web kommt es zur Konvergenz von Konversation und Publikation Publizistische Angebote

machen ihre Inhalte für die neuen Plattformen zugänglich

Nutzer verlinken, retweeten, bookmarken, diggen, teilen und empfehlen journalistische Inhalte Anschlußkommuni-kation des Publikums

Folge 1: Konvergenz von Konversation & Publikation (2/2)

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Folge 2: Dis-/Reintermediation (1/3)

Neuberger/Nuernbergk/Rischke 2009 11 von 18

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Folge 2: Dis-/Reintermediation (2/3)

z.B. Unternehmen, Parteien, Verbände, Kirchen, Stiftungen

Neuberger/Nuernbergk/Rischke 2009 12 von 18

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z.B. Politische Akteure

Journalistische Vermittlung +

Reintermediationz.B. Unternehmen, Parteien, Verbände, Kirchen, Stiftungen,

Folge 2: Dis-/Reintermediation (3/3)

Neuberger/Nuernbergk/Rischke 2009 13 von 18

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Folge 3: Prekäre informationelle Selbstbestimmung (1/2)

„Informationelle Selbstbestimmung“ ist…

1. … normatives Konzept: Bestandteil der verfassungs-mäßigen Ordnung (und in Datenschutzregelungen etc. näher spezifiziert); liegt zudem als zumindest diffuse Erwartung bei vielen Nutzern vor;

2. … ausgeübte Praxis: Nutzer üben sie (mehr oder weniger kompetent, reflektiert, evtl. auch scheiternd) aus, wenn sie sich in den vernetzten persönlichen Öffentlichkeiten des Social Web bewegen;

3. … notwendige Kompetenz: das eigenständige Wahrnehmen des „Rechts auf Privatheit”, die informierte Einwilligung in Datenverarbeitung oder auch die informationelle Autonomie setzt Wissensformen und Fertigkeiten voraus.

Sollen

Tun

Können

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Merkmale der Kommunikationsarchitektur(1) erschweren inf. Selbstbestimmung

a) Intendiertes Publikum: Welches

Publikum habe ich ganz allgemein im Sinn, wenn ich einen bestimmten

Internetdienst nutze?b) Adressiertes Publikum: Welchem

Publikum mache ich in einer spezifischen Situation bestimmte

Äußerungen/Informationen tatsächlich zugänglich?

c) Empirisches Publikum: Welches Publikum nimmt

tatsächlich Kenntnis von einer Äußerung bzw. Information?

d) Potentielles Publikum: Wie ist die „technische Erreichbarkeit” – welches Publikum hat technisch

die Möglichkeit, irgendwann irgendwie Zugang zu haben?

(1) boyd 2008

Folge 3: Prekäre informationelle Selbstbestimmung (2/2)

Persistenz Kopierbarkeit Skalierbarkeit Durchsuchbarkeit

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Viele Plattformen und Dienste werden von Betreibern kontrolliert, die Aufmerksamkeit nach ökonomischen und/oder technischen Kriterien kanalisieren

Plattformen räumen Nutzern höchstens als „Kunden“, nicht aber als „Bürger“ Mitspracherechte bei der Verwendung der Werke und Daten ein

Formalisierte Verfahren der Nutzeranhörung existieren nur in Ansätzen

Auf Nutzerseite fehlt Bewusstsein, durch kollektives Handeln auch Mitbestimmung einzufordern

Folge 4: Imbalance von Macht und Partizipation (1/1)

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Fazit

Das Internet verändert das soziotechnische Umfeld, in dem Menschen Identitäts-, Beziehungs- und Informationsmanagement betreiben

Es lässt einen neuen Typ von Öffentlichkeit entstehen: Persönliche Öffentlichkeiten, die aus Informationen von persönlicher Relevanz bestehen, die an vergleichsweise kleine Publika gerichtet sind und mit Hilfe von artikulierten sozialen Beziehungen gefiltert und verbreitet werden

Dies wirkt sich auf Strukturen etablierter Öffentlichkeit aus, verändert aber auch den Kontext für informationelle Selbstbestimmung

Entscheidende Frage: Wer hat die Macht, diese neuen Kommunikationsräume zu gestalten?

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Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

Dr. Jan-Hinrik Schmidt

Hans-Bredow-InstitutWarburgstr. 8-10, 20354 Hamburg

[email protected]

www.schmidtmitdete.dewww.dasneuenetz.de

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Quellennachweise AbbildungenFolie 2: [Kaffeehaus] http://en.wikipedia.org/wiki/File:ParisCafeDiscussion.png [Zeitungen] CC-BY-NC-ND-2.0, Erik Hartberg, http://www.flickr.com/photos/captainsticky/344199724 [TV] CC-BY-SA-3.0, Takk, http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Televison_Hungarian_ORION_1957.jpg [Habermas] CC-BY-SA-3.0, Wolfram Huk,

http://commons.wikimedia.org/wiki/File:JuergenHabermas_crop2.jpg

Folie 4ff.: [Identität] © Hapf2, http://www.flickr.com/photos/44029537@N00/12760664 [Beziehung] CC BY-NC-SA-2.0, Myles!, http://flickr.com/photos/mylesdgrant/495698908 [Information] CC BY-NC-ND-2.0, Axel V, http://www.flickr.com/photos/axels_bilder/126700804

Folie 9 [Konversation]: CC-BY-NC-ND-2.0, Dominic Dada, http://www.flickr.com/photos/ogil/274628990/

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Literatur

– Benkler, Yochai (2006): The Wealth of Networks. How social production transforms markets and freedom. New Haven/London.

– boyd, danah (2008): Taken out of context. American teen sociality in networked publics. Ph.D. Dissertation an der University of California, Berkeley. Online verfügbar: http://www.danah.org/papers/TakenOutOfContext.pdf.

– Münker, Stefan (2009): Emergenz digitaler Öffentlichkeiten – Die Sozialen Medien im Web 2.0. Frankfurt a.M. – Neuberger, Christoph/Christian Nuernbergk/Melanie Rischke (Hg.) (2009): Journalismus im Internet.

Profession – Partizipation – Technisierung. Wiesbaden. – Paus-Hasebrink, Ingrid/Jan Schmidt/Uwe Hasebrink (2009): Zur Erforschung der Rolle des Social Web im

Alltag von Heranwachsenden. In: Jan Schmidt/Ingrid Paus-Hasebrink/Uwe Hasebrink (Hrsg.): Heranwachsen mit dem Social Web. Zur Rolle von Web 2.0-Angeboten im Alltag von Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Berlin. S. 13-40.

– Schmidt, Jan (2009): Das neue Netz. Merkmale, Praktiken und Konsequenzen des Web 2.0. Konstanz.– Schmidt, Jan/Ingrid Paus-Hasebrink/Uwe Hasebrink (Hrsg.) (2009): Heranwachsen mit dem Social Web.

Berlin.

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