TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt BM Politische Systeme...

39
TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt BM ‚Politische Systeme‘ Massenmedien und Politik

Transcript of TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt BM Politische Systeme...

Page 1: TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt BM Politische Systeme Massenmedien und Politik.

TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

BM ‚Politische Systeme‘

Massenmedien und Politik

Page 2: TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt BM Politische Systeme Massenmedien und Politik.

TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

Gliederung der Vorlesung

I. Was ist Politik?II. Was ist ein ‚politisches System‘?III. Warum und wie vergleicht man politische Systeme?IV. Wie läßt sich politische Macht ausüben und

bändigen? V. Welche Arten politischer Systeme gibt es?

VI. Wie wandeln sich politische Systeme? VII. Welche Strukturen und Funktionen besitzen die

zentralen Elemente moderner politischer Systeme?

Page 3: TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt BM Politische Systeme Massenmedien und Politik.

TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

zentrale Elemente moderner politischer Systeme

politische Kultur politische

Sozialisation politische Eliten Interessengruppen Parteien Wahlsysteme,

Wahlkämpfe, Wahlverhalten

Parlament Regierung und

Verwaltung Massenmedien Föderalismus

Page 4: TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt BM Politische Systeme Massenmedien und Politik.

TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

Ford

erun

gen

Massenmedien

Gesellschaft

Verwaltung

Unt

erst

ützu

n

g

zentrales politisches

Entscheidungs-system

Auswirk

unge

n

Rückkoppelung

Legitimitä

t

Entscheidungen /

Regeln

Das politische System

Page 5: TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt BM Politische Systeme Massenmedien und Politik.

TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

(politische) Funktionen von Massenmedien

Information über Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur

Hilfestellung für persönliche Meinungs- und Urteilsbildung

Kontrolle politischer Akteure

Unterhaltung (‚Infotainment‘)

Mit all dem wirken die Massenmedien ein auf die ...- politische Soziokultur- politische Deutungskultur

... und entfalten DEUTUNGSMACHT

Medien sind nicht einfach Beobachter, sondern Mitakteure des politischen Prozesses!

Page 6: TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt BM Politische Systeme Massenmedien und Politik.

TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

Macht hat drei ‚Gesichter‘ :

etwas durchsetzenDurchsetzungsmacht

eine Entscheidung verhindernVerhinderungsmacht

jene Begriffe prägen, anhand welcher erörtert wird, was durchgesetzt oder verhindert werden sollkommunikative Macht

= wichtigste Macht von Massen-

medien und von Journalisten

Page 7: TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt BM Politische Systeme Massenmedien und Politik.

TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

politisch folgenreichste Medien

für jedermann:HörfunknachrichtenFernsehnachrichtenLokalzeitung / sonstige

Tageszeitungzusätzlich für politisch Aktive

und für politische Meinungsführer:politische Qualitätspresse (FAZ, SZ, FR, WELT, ZEIT ...)politische Wochenmagazine (SPIEGEL, FOCUS, STERN)politische Fernsehmagazine

Weiterwirkung des Informations-

verhaltens und der Informations-

quellen von Meinungsführern im

zweistufigen politischen

Kommunikationsprozeß

Page 8: TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt BM Politische Systeme Massenmedien und Politik.

TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

sind Mitkonstrukteure von Wirklichkeit formen öffentliche Meinung – und zwar

weitgehend ‚hinter dem Rücken‘ der Öffentlichkeit Mediennutzung, Medienkompetenz

ändern ‚normale‘ politische Prozesse allein schondurch ihre Existenz

durch ‚Medialisierung‘ (auch: ‚Mediatisierung‘) derPolitik entsteht Pseudo-Politik graduelle Abkoppelung des wechselbezüglichen

Medien- und Politiksystem von realen Problemlagen

Worin besteht die politische Macht von Massenmedien?

Page 9: TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt BM Politische Systeme Massenmedien und Politik.

TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

verschärft durch ‚anwaltschaftlichen Journalismus‘: Macht ohne Mandat

massenmediale Mitkonstruktion von Wirklichkeit

Massenmedien sind nicht einfach ‚Spiegel von Wirklichkeit‘, sondern ... Konstrukteure von (überaus selbstbezüglicher [ Details])

Medienwirklichkeit= für fast jedermann wichtigste Informationsquelle über die Operationswirklichkeit außerhalb der eigenen Lebenswelt

Mitkonstrukteure jener Perzeptions- und Redewirklichkeit, von der ausgehend Menschen ihre Operationswirklichkeit (um-) prägen

Wirkungsweise des Thomas-Theorems Problem: Operationswirklichkeit und Medienwirklichkeit weichen

aufgrund der Funktionslogik der Konstruktion von Medienwirklichkeit deutlich voneinander ab!

Systematische und politisch überaus folgenreiche Verzerrung der Medienwirklichkeit im Vergleich mit der Operationswirklichkeit

Page 10: TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt BM Politische Systeme Massenmedien und Politik.

TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

Selbstbezüglichkeit von Massenmedien Politiker richten sich genau darauf ein:

‚aufschaukelnde‘ Rückkopplung

nur wenige Medien unterhalten ausgedehnte Korrespondentennetze, was sie überwiegend abhängig macht von einer recht kleinen Gruppe von Nachrichtenagenturen und Bilder- bzw. Filmdiensten

Journalisten sind oft nicht weniger unsicher als ihr Publikum in ihren Prioritätensetzungen und Bewertungen, was dazu führt, daß sie sich überaus stark orientieren ... an der ‚herrschenden Meinung‘ unter Journalisten an (nationalen) Leitmedien (etwa: SPIEGEL, BILD).

Wirtschaftlicher Wettbewerb der Medien führt dazu, daß sich immer wieder die meisten Redaktionen und Journalisten denselben Themen widmen, um nicht der Konkurrenz ein wirkungsvolles Thema zu überlassen (‚Rudeljournalismus‘)

Gefahr: Entkoppelung von Medienwirklichkeitund Operationswirklichkeit

Bevölkerung sieht die (politische) Welt durch die

(politische) Brille der Meinungsführer unter den Journalisten

Page 11: TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt BM Politische Systeme Massenmedien und Politik.

TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

Entkoppelung von Realentwicklung einerseits und Nachrichtengebung sowie öffentlicher Meinung andererseits: Arbeitsmarkt

MedienTenor 100 / 2000, S. 6

Page 12: TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt BM Politische Systeme Massenmedien und Politik.

TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

typische Verzerrungsquellen der Medienwirklichkeit

Thema verschwindet – Problem bleibt

Problem gelöst – niemand erfährt‘s

Thema wird aufgedrängt –

zu Lasten eines anderen ThemasThema wird entwunden -

wem zum Vorteil?

ungleiche Ausgangslage im

Kampf um die diskursive

Hegemonie bei den

Meinungsführern

Durchsetzung ‚

politisch korrekter‘

Äußerungen; Folge: Risse

zwischen öffentlicher

und privater Kommunikation

Nötig:‚Dekodierungskompetenz‘(durch Medienpädagogik)

Nachrichtenwerte (Def.) Vorrang des Außer-gewöhnlichen Negativismus Neophilie

Eigendynamik von Themenkarrieren Linksverschiebung des politischen

Einstellungsspektrums vonJournalisten im Vergleich mit demBevölkerungsdurchschnitt

Agenda setting und Agenda cutting(verschärft durch anwaltschaftlichen Journalismus)

medienspezifischeDarstellungszwänge

ins Negative und sich rasch

Wandelnde

verzerrtes Bild der

Operationswirklichkeit

Details: Selbststudium!

Page 13: TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt BM Politische Systeme Massenmedien und Politik.

TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

Nachrichtenfaktoren ... sind Merkmale von Ereignissen, die deren

Nachrichtenwert bestimmen Der Nachrichtenwert eines Ereignisses ist um so höher,

je mehr der folgenden Merkmale das Ereignis aufweist: Status: Macht oder Rang eines Akteurs, der in das Ereignis involviert ist Relevanz: besonders große Tragweite, gerade auch für Rezipienten;

etwa: regionaler Bezug, Bedeutung für eigene Lebenslage ... ‚Abnormalität‘: skandalträchtig, besonders neu, besonders gut ... Dynamik: überraschender, offener oder zur Erscheinungsperiodik der

Medien passender Ereignisablauf Konsonanz: Affinität des berichteten Ereignisses zu wichtigen Themen

nicht alle dieser Merkmale machen ein Ereignis auch

‚an sich‘ wichtig und wegen seiner Wichtigkeit

berichtenswert!

Page 14: TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt BM Politische Systeme Massenmedien und Politik.

TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

Die ‚Linksverschiebung‘ der Journalistenschaft

Verteilung der politischen Selbsteinstufungvon Journalisten auf dem links-rechts-Spektrum

Internationale Journalistenumfrage

%

%

%

%%

%

%,

,

,

, ,

,

,+ +

+

+ +

+

+

"

"

"

"

"

"

"! !

!

!

!

!

!

1 2 3 4 5 6 70

10

20

30

40Percent

BRD

Italien

Schweden

GB

USA

!

"

+

,

%

Links Rechts

SELF.PRS

Verteilung der

politischen

Selbsteinstufung der

deutschen Bevölkerung

auf dem links-rechts-

Spektrum

‚Linksdrall‘ der Massenmedien

anwaltschaftliche Beeinflussung der Bevölkerung bei aktuellen Themen

internationaleJournalistenumfrage

Page 15: TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt BM Politische Systeme Massenmedien und Politik.

TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

Vorrang des Außergewöhnlichen

„Hund beißt Mann“ ist KEINE Meldung!

„Mann beißt Hund“ IST eine Meldung!

alte Journalistenregel:

Perzeptionswirklichkeit des naiven Mediennutzers:

‚Die Welt ist voll von hundebeißenden Männern!‘ Dringendes politisches Problem:

‚Schützt die Hunde endlich vor den Männern!‘

Page 16: TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt BM Politische Systeme Massenmedien und Politik.

TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

Nah- und Fernbild I: innerhalb und außerhalb der Lebenswelt

zur persönlichen wirtschaftlichen Lage

zur allgemeinen wirtschaftlichen Lage

allgemeine wirt

schaftliche Lage =

Summe der persönlichen

wirtschaftli

chen Lagen !!

Wie erklärt sich der Widerspruch?

Lebenswelt = Information aus eigener ErfahrungOperationswirklichkeit außerhalb der eigenen Lebenswelt = Information aus MassenmedienMassenmedien: geprägt durch ‚Negativismus‘

Page 17: TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt BM Politische Systeme Massenmedien und Politik.

TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

Nah- und Fernbild II: innerhalb und außerhalb der Lebenswelt

zur persönlichen wirtschaftlichen Lage

zur allgemeinen wirtschaftlichen Lage

allgemeine wirtschaftlic

he Lage =

Summe der persönlichen

wirtschaftlic

hen Lagen !!

Wie erklärt sich der Widerspruch?

Lebenswelt = Information aus eigener ErfahrungOperationswirklichkeit außerhalb der eigenen Lebenswelt = Information aus MassenmedienMassenmedien: geprägt durch ‚Negativismus‘

Page 18: TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt BM Politische Systeme Massenmedien und Politik.

TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

politische Korrektheit – Grundgedanken und Motive Grundgedanken:

Man schreibt durch (informelle) Hinweise und Sanktionen vor, wie jemand etwas bezeichnen oder von etwas sprechen soll, wenn er sich nicht als Außenseiter, Ignorant oder Schlechtmensch zu erkennen geben und anschließend ausgrenzen lassen will.

Motive: Kommunikationshygiene: ‚Verwendet keine schlechten Worte,

Begriffe, Argumente!‘ Volkspädagogik: ‚Was man nicht auf eine bestimmte Weise

ansprechen darf, wird man auch nicht auf eine bestimmte Weise ansehen und verstehen!‘

Machtsicherung: ‚Wer die Begriffe besetzt hält, besitzt die kommunikative und diskursive Hegemonie!‘

Page 19: TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt BM Politische Systeme Massenmedien und Politik.

TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

politische Korrektheit – Probleme

Freiheitsbeschränkung durch freiwillige oder nahegelegte Selbstzensur

Heuchelei im öffentlichen Diskurs: ‚Redekitsch‘

Trennung zwischen privatem und öffentlichem Diskurs – fatal für eine offene Gesellschaft und ihre diskursbegründete Demokratie!

Page 20: TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt BM Politische Systeme Massenmedien und Politik.

TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

medienspezifische Darstellungszwänge

Platzmangel in Printmedien, Zeitmangel in Fernsehen und Hörfunk Komplexes wird fragmentarisch dargestellt und bleibt darum

in seiner Gesamtstruktur unverstanden Trivialisierung des verläßlich Mitgeteilten und Verstandenen

unterschiedliche Darstellungschancen selbst gleichermaßen des Berichtenswerten gute Chancen: Skandalisierbares, Dramatisierbares,

Personalisierbares, Visualisierbares schlechte Chancen: Strukturelles, langfristig Wirkendes,

nur anhand systematisch-abstrakter Begriffe angemessen Beschreibbares; darunter auch: Sachpolitik

Sonderproblem dessen im Fernsehen: Bild/Ton-Schere adressatenorientierte Darstellungsgrenzen bei nötiger

Zielgruppenbindung

reale Wichtigkeit

der Kenntnisnahme

meist genau anders herum!

Massenmedien ‚desinformieren‘ auch

ohne Absicht und aus guten Gründen!

Page 21: TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt BM Politische Systeme Massenmedien und Politik.

TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

Effekte der Formung öffentlicher Meinung durch Massenmedien

Prägung der Wahrnehmung dessen,was ein Problem ist (‚Themenkarriere‘)was wie zu bewerten wärewas andere denken (‚sozialoptische Täuschungen‘)

wirklichkeitskonstruktiver Anschlußmechanismus: Schweigespirale / Redespirale

Negativismus bei der Wahrnehmung von Wirklichkeit außerhalb der eigenen Lebenswelt (= negativeres Fernbild, positiveres Nahbild)

d.h.: von jenem Teil Operationswirklichkeit, für dessen Ausgestaltung die Verantwortung nicht bei einem selbst, sondern bei ‚den Politikern‘ liegt!

Folgen: Politik- und

Politikerverdrossenheit, abnehmendes

Systemvertrauen, Entlegitimierung

Page 22: TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt BM Politische Systeme Massenmedien und Politik.

TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

Berichterstattung und Bevölkerungsmeinung: Arbeitslosigkeit

MedienTenor 107 / 2001, S. 60

Page 23: TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt BM Politische Systeme Massenmedien und Politik.

TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

Prägung politischer Bewertungen durch Massenmedien: George Bush

Page 24: TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt BM Politische Systeme Massenmedien und Politik.

TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

Prägung politischer Bewertungen durch Massenmedien: Gerhard Schröder

MedienTenor 100 / 2000, S. 7

Page 25: TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt BM Politische Systeme Massenmedien und Politik.

TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

Beispiel einer sozialoptischen Täuschung

Abschlußmechanismu

s: Schweigespirale

Page 26: TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt BM Politische Systeme Massenmedien und Politik.

TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

Die Schweigespirale Menschen wollen sich nicht gerne isolieren. Sie haben gutes Gespür für Mehrheitsmeinungen in der sie

umgebenden Redewirklichkeit (‚Meinungsklima‘, ‚Meinungsdruck‘). Redewirklichkeit speist sich stark aus Medienwirklichkeit. Letztere

kann falsche Eindrücke von Minderheits- und Mehrheitsmeinung vermitteln (‚sozialoptische Täuschung‘).

Wer seine Meinung in der Minderheit empfindet, wird sich mit deren Äußerung eher zurückhalten, um sich nicht (weiter) zu isolieren.

Wer sich auf unabsehbare Zeit isoliert fühlt, wird er seine Minderheits-meinung oft in Richtung auf die Mehrheitsmeinung ‚korrigieren‘.

Zunächst nur vermeintliche Minderheitsmeinungen werden so zu realen Minderheitsmeinungen.

Über diese realen Meinungsveränderungen können die Massenmedien objektiv informieren, was den Meinungswandel verstärkt und besiegelt.

Zusammenwirken von individuellen

psychischen Prozessen und massen-

medialer Wirklichkeitskonstruktion

Page 27: TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt BM Politische Systeme Massenmedien und Politik.

TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

Mediennutzung der Bürger

hochgradig selektiv: meist nur eine einzige Zeitung

(in der Regel: die Lokalzeitung) hauptsächliche allgemeine politische Information aus

Hörfunk- und Fernsehnachrichten

überwiegend so, daß vor allem der eigenen Meinung Entsprechendes zur Kenntnis und ernstgenommen wird

akzeptiert und behalten werden eher Bilder als Argumente und Fakten (‚Traue nur der Statistik, die du selbst gefälscht hast!‘)

reale Pluralität der Medien kommt

beim Großteil der Bürger nicht an

Darstellungsdifferenziertheit der

Qualitätsmedien kommt beim Großteil der

Bürger nicht an

Page 28: TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt BM Politische Systeme Massenmedien und Politik.

TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

Medienkompetenz der Bürger In der Regel kaum Wissen über ...

die Konstruktionseigentümlichkeiten von Medienwirklichkeit Rollenverständnis und Rollenverhalten von Journalisten Besitzverhältnisse von Medienunternehmen und deren potentielle

politische Folgen Prägung politischer Prozesse durch Politiker/Journalisten-Symbiosen

typische Folgen: geringe ‚Dekodierungskompetenz‘ und geringe ‚Resistenz‘

gegenüber Medienwirklichkeit statt differenzierter Kritikfähigkeit viel eher:

Generalverdacht gegenüber Meldungen und Fakten, die nicht ins politische Bild Passendes berichten (‚lügt wie gedruckt‘, ‚traue nur der Statistik, die du selbst gefälscht hast!‘)

oft naiver Glaube an die Richtigkeit von Meldungen, welche die eigene Ansicht bekräftigen; dabei ‚Bildgläubigkeit‘ (‚mit eigenen Augen gesehen!‘)

Page 29: TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt BM Politische Systeme Massenmedien und Politik.

TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

politische Veränderungswirkungen von Massenmedien I

Allein schon das Aufkommen und die Existenz freier und kritischer Massenmedien wirkt(e) verändernd auf Politik:

der öffentlichen Erörterung entzogenes Regierungshandeln ist seither nicht mehr möglich bzw. gilt nicht mehr als rechtens (‚legitim‘)

Einbeziehung eines (großen) Teils der Regierten in den politischen Diskurs die Regierenden haben auch kein Monopol mehr auf die Ausgestaltung

politischer Kommunikation, sondern konkurrieren mit Journalisten um Darstellungs- und Deutungsmuster

Ende ‚obrigkeitlichen‘ Politikerverhaltens dergestalt entsteht unabweisbare öffentliche Verantwortlichkeit der

Regierenden in Verbindung mit dem Wiederwahlmechanismus: wirksame demokratische

Kontrolle in deren Folge wird es rational, Handlungen zu unterlassen, die man vor

Journalisten oder Öffentlichkeit nicht überzeugend rechtfertigen kann. Überdies werden Versuche rational, Journalisten und Massenmedien für die

eigenen politischen Zwecke zu funktionalisieren.

... nur bei Fehlen von

Zensur!

Page 30: TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt BM Politische Systeme Massenmedien und Politik.

TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

politische Veränderungswirkungen von Massenmedien II

erhöhte Notwendigkeiten politischer Kompromißbildung, da die Medien politischem Pluralismus und seinen Vetogruppen eine massenwirksame Plattform schaffen gute Folge: besonders breite und belastungsfähige Basis für

Politik, die aus solcher Kompromißbildung hervorgeht (‚Legitimation durch Kommunikation‘)

schlechte Folge: Politikstillstand (‚Politiker-Mikado‘), wo solcher öffentlich vermittelbarer Kompromiß nicht erreichbar scheint

besondere Wichtigkeit von Wahlkämpfen als Verdichtung aktiver politischer Kommunikation seitens von Politikern gute Folge: Im Zusammenhang mit Wahlkämpfen steigt das

Politiker- und Systemvertrauen meist an, weil die politische Kommunikation sich aus rein journalistischer Prägung löst.

schlechte Folge: Vor Wahlen unterbleibt viel sinnvolle Politik, sofern sie als ‚den Medien und dem Wähler nicht vermittelbar‘ gilt.

... nur bei Fehlen von

Zensur!

Page 31: TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt BM Politische Systeme Massenmedien und Politik.

TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

politische Veränderungswirkungen von Massenmedien III

Folge massenmedialer Berichterstattung ist in einzelnen Fällen, doch immer wieder:

Stimulation von Nachahmungstaten

Gründe: Nachahmung Wunsch, nun um so leichter die bereits erregte

öffentliche Aufmerksamkeit zu erlangen

Fazit: Massenmedien sind nicht einfach nur Beobachter

und Berichterstatter, sondern auch Kristallisationspunkte

weitergehenden Handelns!

journalistische Verantwortung

Page 32: TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt BM Politische Systeme Massenmedien und Politik.

TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

Der ‚Wiederwahlmechanismus‘

Er verdankt sein Amt freien Wahlen.

Er möchte so gerne wiedergewählt werden.

Er ist aber abhängig von der freien Entscheidung der Wähler.

Er kann wiedergewählt werden.

Also fühlt er starken Anreiz sein Amt so führen,

daß ihn die Wähler wirklich wiederwählen

wollen.

... hat ein Amt auf Zeit.

Und darum kann er während seiner Amtszeit nicht allzu lange oder allzu weit von dem abweichen, was die Wähler zu akzeptieren bereit sind!

Page 33: TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt BM Politische Systeme Massenmedien und Politik.

TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

‚Verantwortlichkeit‘

ist die Grundlage von politischer Kontrolle besteht aus folgenden Wirkungszusammenhängen:

A muß B auf seine Fragen antworten; er ist ihm ‚verantwortlich‘.

B ist völlig frei, mit A‘s Antworten und damit, was er dabei hört, zufrieden zu sein – oder mit den Antworten bzw. mit dem unzufrieden zu sein, was er von A hört .

B kann als Reaktion auf A‘s Antworten Dinge tun, die A wünscht oder fürchtet.

Also wird A solche Reaktionen antizipieren und – wenn er schon B‘s Fragen nicht ausweichen kann – solche Dinge möglichst unterlassen, über die zu berichten sich für A nachteilig auswirken kann (‚Antizipationsschleife‘, ‚Vorauswirkung der Kontrolle‘)

Grundsatz: ‚Verantwortlichkeit darf nicht versickern!‘

Page 34: TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt BM Politische Systeme Massenmedien und Politik.

TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

Pseudo-Politik

geplantes Kommunikationsmanagement und bewußte, nicht selten überlegt gestylte Kommunikationsdramaturgie (‚spin doctoring‘) von vorbereitenden Hintergrundgesprächen über ein

vereinbartes Timing von Artikeln und Interviews bis hin zur ‚Lichtregie‘ auf Parteitagen

Schaffung von Pseudoereignissen von ‚Sommerreisen‘ über als wichtig avisierte

Pressekonferenzen bis hin zu Gipfeltreffen als Medienspektakeln

Inszenierung symbolischer Politik Ersetzung (nicht nur Begleitung) instrumentell wirksamen

Handelns durch kommunikativ beeindruckendes HandelnSo entsteht: ‚Mediokratie‘

idealerweise bewerkstelligt ...- auf demoskopischer Grundlage- durch ‚bestellte‘ journalistische Begleitung

Folge: Zeit und Kraft werden vom Umgang

mit Realproblemen abgezogen!

Page 35: TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt BM Politische Systeme Massenmedien und Politik.

TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

Medialisierung / Mediatisierung

= politische Klasse paßt sich den neuen Rahmenbedingungen an, welche das Mediensystems setzt, zumal in demokratischen Systemen. Das heißt:

Differenzierung nach Arbeits-, Durchsetzungs- und Darstellungskommunikation

Selektion von Personen und Positionen nach Gesichtspunkten massenmedialer Vermittelbarkeit (‚Ersetzung von Demokratie durch Demoskopie‘)

Politiker/Journalisten-Symbiosen Erscheinungsform abhängig vom (zu erwartenden)

Rangplatz in der Kommunikationshierarchie

Page 36: TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt BM Politische Systeme Massenmedien und Politik.

TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

Warum wird die politische Macht der Massenmedien oft übersehen?

Die machtpolitische Rolle der Massenmedien ist selbst überaus selten Gegenstand massenmedialer Berichterstattung. Folge: Sie fällt nicht auf.

Wird diese Rolle von Politikern thematisiert, wird dies als ‚billige Medienschelte‘ hingestellt und übel genommen, mitunter auch durch besonders kritische Berichterstattung über solche ‚Diffamierer‘ bestraft. Folge: Politiker kuschen lieber vor wichtigen Journalisten und Medien

Journalisten gelten sich selbst und anderen in erster Linie als Beobachter und Berichterstatter, nicht aber als Akteure, und dieses Selbst- und Fremdbild wird auch nachdrücklich verteidigt. Folge: Die Rolle von Journalisten als (Mit-) Akteuren wird leicht übersehen.

Es bedarf analytischer Distanz, geeigneter analytischer Kategorien und entsprechender Forschungsergebnisse, um die Machtrolle von Medien und Journalisten angemessen erkennen und beschreiben zu können. Folge: Wer – wie die meisten – solche Kategorien oder Befunde weder kennt

noch zu nutzen weiß, bleibt selbst blind und dem (Vor-) Urteil anderer gegenüber hilflos.

Page 37: TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt BM Politische Systeme Massenmedien und Politik.

TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

Medienmacht als Faktum Medienmacht ist – wie wirtschaftliche Macht – zwar große, doch

keine demokratisch legitimierte Macht. ‚Macht ohne entziehbares Mandat – ganz im Unterschied zur

politischen Macht! Im freiheitlichen Staat ...

verbieten sich ... Zensur zensurähnliche Journalistenkontrolle

gibt es keine massenwirksam kontrollierende Gegengewalt, weil die zu kontrollierenden Journalisten doch selbst den Zugang zur ihnen Macht spendenden Öffentlichkeit kontrollieren

funktionales Äquivalent zur fehlenden ‚Kontrolle der Kontrolleure‘: ‚Geschäfte auf Gegenseitigkeit‘ zwischen Politik und Journalismus:

gute Behandlung gegen gute Information wirtschaftliche und administrative Einflußnahme von (gewählten!)

Politikern auf Medienunternehmen

Page 38: TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt BM Politische Systeme Massenmedien und Politik.

TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

Medienmacht als Problem Medienmacht verzerrt den politischen Willensbildungsprozeß...

durch die Eigentümlichkeiten der Konstruktion von Medienwirklichkeit durch eher anwaltschaftlichen als moderierenden Journalismus durch die Anpassung der politischen Klasse an diesen (neuen)

Machtfaktor Dennoch gibt es keine ...

mit Pluralismus und Freiheit vereinbaren institutionellen Mechanismen zur Korrektur jener Verzerrungen

sinnvolle Alternative zu jener Rolle, die Massenmedien derzeit spielen.

einzige ‚Aushilfen‘: politische Bildung der Bürgerschaft mit Medienkompetenz als Ziel Pflege eines journalistischen Professionsethos, welches die

behandelten Probleme ernstnimmt und gering hält

Page 39: TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt BM Politische Systeme Massenmedien und Politik.

TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

Damit sollte klar sein,

auf welche Weise und warum sich Medienwirklichkeit von politischer Operationswirklichkeit unterscheidet

über welche Mechanismen Medienwirklichkeit und öffentliche Meinung zusammenhängen

Wie Politiker – mit welchen Folgen – auf die Medialisierung ihre Handlungsfeldes reagieren

eine wie große wirklichkeitskonstruktive und machtpolitische Rolle Massenmedien als politische (Mit-)Akteure spielen

was angesichts dessen sinnvollerweise zu tun ist