archithese 6.08 - Ton und Raum / Sound and Space

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archithese Zum raumakustischen Entwurf von Hörräumen Sehen und Hören – Auge und Ohr Gramazio & Kohler: Vom Schaum zum Diffusor Sprechen über Raum und Akustik Zeitgenössische Bauten für Musik Boabaumann: Haus für Fritz Hauser Studien zur Klanglandschaft «Sense of Architecture», Venedig 2008 Yves Netzhammer und Bernd Schurer: Soundscapes Neuer Stadtklang Auditive Architekturen: Gestaltung von Klangumwelten Tony Fretton Fuglsang Kunstmuseum Haus für Anish Kapoor 6.2008 Internationale Zeitschrift und Schriftenreihe für Architektur International thematic review for architecture Ton und Raum Sound and Space

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architheseZum raumakustischen Entwurf von Hörräumen

Sehen und Hören – Auge und Ohr

Gramazio & Kohler: Vom Schaum zum Diffusor

Sprechen über Raum und Akustik

Zeitgenössische Bauten für Musik

Boabaumann: Haus für Fritz Hauser

Studien zur Klanglandschaft

«Sense of Architecture», Venedig 2008

Yves Netzhammer und Bernd Schurer: Soundscapes

Neuer Stadtklang

Auditive Architekturen: Gestaltung von Klangumwelten

Tony Fretton Fuglsang Kunstmuseum

Haus für Anish Kapoor

6.2008

Internationale Zeitschrift und Schriftenreihe für Architektur

International thematic review for architecture

Ton und RaumSound and Space

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E d i t o r i a l

Ton und Raum

Während der Tonträgermarkt seit Jahren stagniert, hat die Errichtung neuer Kon-

zert- oder Opernhäuser weltweit Konjunktur. Der Bogen spannt sich von kleinen

Projekten wie der Festhütte in Amriswil bis hin zu Prestigeprojekten wie der Phil-

harmonie in Paris von Jean Nouvel oder der Elbphilharmonie in Hamburg. Dabei

sind es zwei Grundtypen von Sälen, die variiert werden: Die streng orthogonale

«Schuhschachtel», die im Goldenen Saal des Wiener Musikvereins, im Concertge-

bouw Amsterdam und in der Boston Symphony Hall ihre klassische Ausprägung

gefunden hat, und das Konzept der «Weinbergterrassen» nach dem Vorbild von

Hans Scharouns Berliner Philharmonie; in seiner Nachfolge stehen die grösseren

Säle wie Frank O.Gehrys Walt Disney Concert Hall in Los Angeles oder auch die ge-

plante Elbphilharmonie in Hamburg. Der Bau der neuen Musikpaläste hat zunächst

damit zu tun, dass sie sich – nach den Museen – als neue Instrumente des City

Brandings eignen. Vielleicht deutet das Phänomen aber auch auf ein steigendes In-

teresse an Musik als Live-Event hin – das könnte auch die Tournee-Revitalisierung

zeitweilig aus dem aktuellen Musikleben verschwundener Bands erklären.

Obwohl akustische Phänomene – und dabei handelt es sich um Sprache genauso

wie um Geräusch, Lärm und Musik – unser Leben prägen und wir ihnen weniger

entgehen können als visuellen Eindrücken, ist der Sehsinn gegenüber dem Hörsinn

seit der Antike deutlich priorisiert. In der logozentrischen Tradition unserer Kultur

(und Religion) wird das Sehen mit der überlegenen Vernunft, das Hören hingegen

mit dem Gefühl verknüpft. Mit dem Thema Akustik werden Architekten primär

konfrontiert, wenn sie mit Bauten für die Musik befasst sind, und wenn ein Raum

darüber hinaus einmal akustischer Optimierung bedarf, erfolgt diese verschämt

mit handelsüblichen, möglichst unsichtbar installierten Elementen.

Ziel dieses Heftes ist es, ein breiteres und tieferes Verständnis für das Verhält-

nis von Raum und Akustik zu erreichen. Daher stehen auch nicht die Konzertsäle

im Mittelpunkt, sondern generellere Überlegungen. Anschliessend an eine Ein-

führung in die Akustik sowie einen historischen Überblick über das Verhältnis von

Hören und Sehen dokumentieren wir Ausschnitte aus einer Diskussion an der ETH

Zürich zwischen dem Akustiker Jürgen Strauss und Studierenden; sie zeigt para-

digmatisch die Schwierigkeiten, Phänomene des Hörens adäquat zu verbalisieren.

Nach den zeitgenössischen Musiksälen widmen wir uns schliesslich Klanginstal-

lationen und der akustischen Wahrnehmung der Stadt.

Redaktion

Casa delle Masche, Bionzo (Foto: Andreas Fahrni)

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Text: Kurt Heutschi und Hedi Heutschi

Im freien Aussenraum breitet sich Schall nur über den direk-

ten Pfad von der Quelle zum Empfänger aus. Das Ohr hört

ausschliesslich den Direktschall, das heisst keinen Nachhall.

Objekte im Ausbreitungsfeld des Schalls verändern seinen

Weg. Kehrt der Schall über viele Umwege und dadurch zeit-

verschoben zum Direktschall zurück zum Ohr, hört dieses

in der Folge ein Nachklingen des Signals. Um eine gute

Raumakustik zu erzielen, muss das Ohr mit einer möglichst

vollständigen räumlichen Abdeckung von Schallrückwürfen

versorgt werden, was in geschlossenen Räumen optimal er-

reicht werden kann. Diese Schallrückwürfe bestimmen den

akustischen Charakter und stellen eine Art Fingerabdruck

eines Raumes dar.

Form, Geschlossenheitsgrad und Proportion eines Rau-

mes entscheiden zusammen mit der Strukturierung und

Oberflächenbeschaffenheit der raumdefinierenden Elemente

über Art und Mass der Rückwürfe des Schalls und damit über

die Klangqualität und die Halligkeit des Raumes. Die Ab-

stimmung und Optimierung dieser einzelnen Faktoren ste-

Zum raumakustischen Entwurf von Hörräumen Im Zusammenspiel zwischen Schall und dem ihn umgebenden Raum

entsteht Akustik in Abhängigkeit von einer Vielzahl sich gegenseitig beeinflussender Variabeln. Für den raumakustischen

Entwurf eines Hörraumes gilt es, diese Faktoren zu bestimmen und in ein optimales Verhältnis zueinander zu setzen.

InteraktIon von Schall und raum

hen im Vordergrund des raumakustischen Entwurfs. In ihrer

Grunddisposition akustisch ungünstige Raumformen, die

beispielsweise den Schall fokussieren, können durch geeig-

nete Massnahmen in der Strukturierung und Oberflächenbe-

schaffenheit der raumdefinierenden Elemente raumakustisch

erheblich verbessert werden. Spezielle Dispositionen solcher

Raumformen können für besondere Anwendungen durchaus

von Vorteil sein (Abbildung 1).

Zusammenwirken von Schall mit Oberflächen

Die ungestörte Ausbreitung von Schallwellen im freien Raum

stellt einen vergleichsweise einfach beschreibbaren Vorgang

dar. An Mediumsübergängen, zum Beispiel auf Oberflächen

von Objekten und Raumbegrenzungen, wird die Ausbreitung

gestört. Ein Teil der Schallenergie wird reflektiert, ein Teil

wird absorbiert, das heisst an der Oberfläche in Wärme umge-

wandelt, und ein Teil wird als Vibrationsenergie vom Objekt

aufgenommen. Diese als Körperschall bezeichneten Vibrati-

onen können an einer anderen Stelle (z.B. auf der Rückseite

einer Wand) wieder als Quelle wirken und Schall abstrahlen.

1 Athanasius Kircher1 illustriert das spezifische Verhalten der Schallführung in einem ellipsoiden Raum. Die in einem der Brennpunkte (Punkt C und D) des Ellipsoids abge-schickten Schall-strahlen bündeln sich alle im anderen Brennpunkt. Der Empfänger des Sig-nals hört dieses klar und verstärkt

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R E F L E X I O N

Die Reflexion von Schallwellen an harten, glatten und grossen

Flächen ist mit der optischen Spiegelung vergleichbar. Die

spiegelnde Reflexion von impulshaltigen Signalen, bei wel-

chen in kurzer Zeit eine hohe Schallenergie auftritt, erzeugt

zeitlich konzentrierte, scharfe Rückwürfe, die gerichtet und

lokalisierbar sind (Abbildung 2).

Wenn die reflektierende Fläche nennenswert in der Tiefe

strukturiert ist, erfolgt der Rückwurf nicht mehr spiegelnd,

sondern diffus streuend. Die Reflexion wird zeitlich ge-

dehnt und verliert die klare Lokalisierbarkeit (Abbildung 3).

Diese Eigenschaft der diffusen Reflexion ist im Normalfall in

raumakustischen Anwendungen sehr erwünscht, da sie zu

einem zeitlich und räumlich homogeneren Schallfeld führt

(Abbildung 4). Neuartige Fabrikationstechniken2 werden in

Zukunft den Einsatz akustisch massgeschneiderter Wand-

strukturen erlauben.

A B S O R P T I O N

Nebst der Struktur spielt die Absorptionsfähigkeit von Ober-

flächen in der Raumakustik eine zentrale Rolle. Diese Ab-

sorption ist tonhöhenabhängig und von Material zu Material

sehr unterschiedlich ausgeprägt. Durch Verwendung von

Bauteilen mit geeigneten Absorptionskennwerten kann die

Halligkeit eines Raumes eingestellt werden.

F O K U S S I E R U N G E N

Konvex gekrümmte Oberflächen führen zu einer Aufweitung

der reflektierten Welle. Konkave Flächen dagegen erzeugen

2 Wellentheoretische Simulation der spiegelnden Reflexion an einer glatten Fläche als zeitli-che Entwicklung bei impulsförmiger Anregung. Die Farben codieren den Schalldruck, wobei intensiv rot hohem positivem Druck und intensiv blau hohem negativem Druck entspricht.

3 Wellentheoretische Simulation der diffusen Reflexion an einer strukturierten Fläche als zeitliche Entwicklung bei impulsförmiger Anregung

4 Die strukturierten Oberflächen des Kultur- und Kongresszentrums in Luzern erzeugen günstige diffuse Reflexionen

5 Reflexion im Kreis für unterschiedliche Quellenpositionen mit hyperbolischem (links), parabolischem (Mitte) und elliptischem (rechts) Verhalten

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Jean Nouvel, Paris: Philharmonie Paris, 2007–2012

2007 gewann Jean Nouvel gegen die Finalisten Francis Soler,

Christian de Portzamparc, MVRDV, Zaha Hadid und Coop

Himmelb(l)au den Wettbewerb für die Philharmonie in Paris.

Das Gebäude wird neben Portzamparcs Cité de la Musique

am Rande des Parc de la Villette errichtet. Nach aussen hin

prägt ein Arrangement aus Aluminiumplatten die Fassaden

des für Nouvel ungewöhnlich zerklüfteten Bauwerks. Der

grosse Saal im Inneren, ausgelegt für 2400 Personen, zeigt

sich hingegen organisch. Abehängte, fliessend geformte

Ränge umgeben allseitig Parkett und Bühne – der Abstand

zum Dirigenten soll nirgends mehr als 35 Meter betragen.

Die wolkenartigen Akustikelemente unterhalb der Decke, an

Seilen abgehängt, lassen sich je nach auftretender Formation

positionieren (Akustik: Marshall Day Acoustics / Yasuhisa

Toyota, Nagata Acoustics).

Zeitgenössische Bauten für Musik

1+ 2 Visualisierun-gen Ateliers Jean Nouvel

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Herzog & de Meuron:

Elbphilharmonie Hamburg, 2003–2012

Lediglich mit einem Rendering vermochte das von Herzog &

de Meuron entworfene und von einem privaten Projektent-

wickler im Juni 2003 veröffentlichte Projekt, den Kaispeicher A

in der Hafencity zur Elbphilharmonie zu transformieren, eine

solche Begeisterung bei den Bürgern und Kulturschaffen-

den auszulösen, dass aus der Vision Wirklichkeit wird. Der

entkernte Hafenspeicher von Werner Kallmorgen wird mit

einem segelartigen Aufsatz versehen, der schon im Vorfeld

zum neuen Wahrzeichen Hamburgs avanciert ist. Als Pub-

lic Private Partnership konzipiert, birgt die Elbphilharmonie

ein Hotel, Luxuswohnungen, ein Konferenzzentrum, Restau-

rants, ein öffentliches Foyer auf der früheren Dachebene und

schliesslich den grossen Konzertsaal. Auch von aussen durch

die Glashülle sichtbar, fasst er insgesamt 2150 Sitzplätze. Die

Architekten und der japanische Akustiker Yasuhisa Toyota

setzen mit geschwungenen Rängen, die sich um das zentrale

Podium in die Höhe staffeln, auf das Prinzip des Konzertsaals

mit weinbergartigen Terrassen, wie es mustergültig in der

Berliner Philharmonie ausgebildet ist. Als «Schuhschachtel»

geformt ist der benachbarte kleinere Saal mit 500 Sitzplät-

zen.

3+4 Visualisierun-gen Herzog & de Meuron

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1 Blick von der Bühne im Ober-geschoss auf die Galerie entlang der Südfront (Fotos: Andreas Fahrni) 2 Haus im Weinberg

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Text: Hubertus Adam

1987 reiste der Schlagzeuger Fritz Hauser zum ersten Mal ins

Piemont. Castel Burio, etwas südlich von Costigliole d’Asti

gelegen, war sein Ziel – ein altes, auf einem Hügel steil auf-

ragendes Schloss, das eine Gruppe von fünf jungen Architek-

ten und Kunsthistorikern aus Deutschland und der Schweiz

sieben Jahre zuvor erworben hatte. In den frühen Achtzi-

gerjahren galt Norditalien noch nicht als schickes Reiseziel,

die Zeit schien stehen geblieben, die Grundstücke waren

billig. Castel Burio hatte über Jahre leer gestanden, und die

neuen Schlossbesitzer waren mit Idealismus, viel Tatkraft

und wenig Geld daran gegangen, die alten Mauern bewohn-

bar zu machen und zu beleben. Vernetzt mit der Kunstszene,

begann man mit kulturellen Veranstaltungen: mit Ausstel-

lungen, Performances, Tanz und Musik. Über einen Freund

erfuhr der Berner Architekt Boa Baumann, einer der Schloss-

besitzer, von Fritz Hauser, besuchte ein Konzert von ihm in

Zürich und lud ihn nach Burio ein. Hausers Soloperformance

im Schloss sollte nachhaltige Folgen haben: Sie begründete

nicht nur die dauerhafte Freundschaft zwischen Hauser und

Baumann, sie führte indirekt auch dazu, dass das Piemont

für den Schlagzeuger zur Wahlheimat wurde. In die Gegend,

so erklärt Fritz Hauser im Gespräch, habe er sich sofort ver-

liebt, und heute bedeute die Reise dorthin etwas wie Heim-

kommen. Denn 1990 kaufte er sich ein halb verfallenes Haus

inmitten der Weinberge, unweit von Castel Burio.

Schlagzeuger werden im Allgemeinen dazu verdammt,

in dunklen Kellern oder Bunkern zu üben – eine Arbeits-

Boabaumann: Casa delle Masche, Bionzo 18 Jahre dauerte die Metamor-

phose eines Gebäudes in den Weinbergen nahe Asti. Entstanden ist

ein Wohn- und Studiohaus, das massgeschneidert auf die Bedürfnisse

des Schlagzeugers Fritz Hauser reagiert.

Ein Haus für fritz HausEr

situation, die Hauser seit jeher als unbefriedigend empfand.

Lichte, grosszügige Räume für das ungehinderte Musizie-

ren sind in der Schweiz entweder nicht zu finden oder uner-

schwinglich, und so war das Haus im Weinberg eine ideale

Wahl: unter dem Himmel Italiens, weit genug entfernt von

allen Nachbarn und doch nicht völlig von der Aussenwelt ab-

geschnitten. Die Frage des Raums interessiert Hauser schon

immer, wobei es ihm nicht allein um den Klang, sondern auch

um die Stimmung geht. Letztlich also: um Inspiration. Und

ohne Inspiration ist Improvisation nicht möglich.

Hausers finanzielle Situation erlaubte keine grossen

Sprünge, und so wurde die Arbeit an der Casa delle Masche

zur work in progress, zu einem Gemeinschaftsprojekt des Ar-

chitekten Boa Baumann und des Musikers Fritz Hauser. Man

lernte voneinander, sprach über Raum und Klang, und stellte

fest, wie beide unisono erklären, dass man letztlich etwas

Ähnliches in einer anderen Sprache praktiziere. Vom Kauf bis

zur Fertigstellung in diesem Frühjahr verstrichen 18 Jahre –

eine lange Zeit, und doch auch die Voraussetzung dafür, dass

das Wohn- und Studiohaus auf die Bedürfnisse von Fritz Hau-

ser massgeschneidert werden konnte.

Um weiteren Verfall zu verhindern, war eine Neueinde-

ckung des Satteldachs die zunächst vordringliche Aufgabe.

Das zweigeschossige Haus, Ende des 19. Jahrhunderts er-

richtet und Mitte des 20. Jahrhunderts erweitert, bestand aus

drei Teilen: dem Wohnteil, dem Stall mit einem Wohnraum im

Obergeschoss und der Scheune mit Durchfahrt im unteren

Geschoss. Die drei Teile bildeten zusammen ein Volumen,

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«Stille alS Switch»

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Soundscapes/Hörlandschaften in drei Zürcher Schulen Nur wenn Ruhe herrscht, sind die Tiere zu hören.

Dann schallen deren Stimmen durch drei Schulen an Zürichs Randbezirken. Yves Netzhammer und Bernd

Schurer haben eine interaktive Installation geschaffen, für welche Stille die Rezeptionsvoraussetzung ist.

«Stille alS Switch»

Text: Verena Doerfler

Wahre Stille

Stille ist ein rares Gut. Vielleicht liesse sich sogar behaup-

ten, echte Stille existiert überhaupt nicht? Der Komponist

Luigi Nono beispielsweise oder auch der Musiker John Cage

arbeiteten mit ihr. Noise pollution meint die Abwesenheit

von Stille – im eigentlichen Wortsinn: die Verschmutzung

durch Lärm. Immer und fast überall sind sie zu hören, die

Geräusche des Alltags: vorbeifahrende Autos, brummende

Rechner oder Beats aus den Ohrstöpseln des Strassenbahn-

Nebensitzers. Unruhe und ständige Bewegung sind Parame-

ter unserer Gegenwart.

Und was passiert, wenn wir einmal länger als zehn Minu-

ten reglos und ruhig auf ein und derselben Stelle stehen – in

dem Versuch, etwas zu hören, das erst zu hören ist, wenn

annähernde Stille herrscht? Die Installation Soundscapes/

Hörlandschaften des Künstlers Yves Netzhammer und des

Klangkünstlers Bernd Schurer führt es vor – verlässt dabei

jedoch den üblichen Rahmen künstlerischer Intervention (je-

nen von Kunsträumen also, die per se und schnell mit Stille

assoziiert werden) und sucht Orte auf, an denen es, der Natur

der Dinge gehorchend, gelegentlich doch ziemlich laut wer-

den kann: Sie geht an Schulen.

«Beseelte Architektur»

Im Jahr 2004/2005 schrieb die Fachstelle «Kunst und Bau /

öffentlicher Raum» des Hochbauamtes Zürich einen internati-

onalen Ideenwettbewerb aus. Gefragt war eine künstlerische

Bespielung dreier Zürcher Schulen: Schulhaus Luchswiesen

in Schwamendingen, die Schulanlage Falletsche in Leim-

bach sowie die Schul- und Kindergartenanlage Hirzenbach,

ebenfalls in Schwamendingen. Netzhammer und Schurer ge-

wannen den Wettbewerb. Seit einem Jahr nun sind die drei

Schulanlagen mit Tierpopulationen bevölkert – in Luchswie-

sen sind es die Tiere des Wassers, in Falletsche jene der Luft,

Hirzenbach beheimatet die Fauna der Erde. Greifbar und da-

mit leicht be-greifbar sind sie dennoch nicht, auch wenn das

Prinzip einfach ist. Der zeichnerischen Diktion Netzhammers

folgend (die seinem bisher bekanntem Werk meist zueigen

ist), sind die Tierwesen durch Wand- und Bodenbemalung,

verfremdet und ineinander verschlungen, nur in zarten An-

deutungen zu «sehen». Vor allem aber sind sie im Zusam-

menspiel mit der Klangkunst Schurers zu hören – in Analogie

zur realen, einer dem Menschen gegenüber scheuen Tierwelt,

aber eben erst dann, wenn Lärm und Bewegung gedrosselt

sind, wenn Ruhe und Stille herrschen. Je stiller es ist, desto

mehr machen sich Tierpopulationen aus weiter entfernten

Gegenden der Welt geräuschvoll bemerkbar. Klangkunst in

ihrer Negativ-Umkehrung, Nonos Idee in ihrer spielerischen

Anwendung.

«Stille als Switch» ist ein Ansatz der Künstler. Der theore-

tischen Rahmung durch die begleitende Publikation folgend

und mit Rückgriff auf Nonos und/oder Cages Umgang mit

Sound heisst das: «Stille als Voraussetzung, damit das Sub-

jekt etwas wahrnehmen kann, was ausserhalb seiner monadi-

schen Geschlossenheit ist.»1 Durch die Arbeit mit Klang und

der vorausgesetzten Stille erhalten die Installationen damit

einen ephemeren Charakter des Unfassbaren. Es hat etwas

Unheimliches und Beunruhigendes, still und reglos dazuste-

hen und plötzlich die uns so fremd gewordenen Klänge von

Tieren zu vernehmen. Mit einem Mal beginnt es zu «leben»

in der statischen, in Sichtbeton gegossenen Architektur der

Gebäude, hallt das Zwitschern eines Vogels nach oder ver-

nimmt man das leise Pfeifen von Wind. «Damit bekommt das

Ganze wieder einen Körper zurück», umschreibt Netzham-

mer eine mögliche Wirkung. In den Worten der Kunststiften-

den findet so im besten Fall eine «Beseelung der Architektur»

statt. «Als wir uns die Architektur der Anlagen das erste Mal

ansahen, dachten wir schon, dass wir hier ein wenig dyna-

misieren müssen», so Schurer. Er referiert damit auf eine für

1 Schul- und Kinder- gartenanlage Hirzenbach, Zürich-Schwamendingen, Installationsansicht (Fotos 1+2: François Caraco) 2 Schulanlage Falletsche, Zürich-Leimbach, Installa-tionsansicht