archithese 4.11 - Architekturkritik / Critism – 40 Jahre archithese

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archithese Eine Chronik zum Jubiläum Der Gründungsmythos im Gespräch Architektur und Architekturkritik Architekturkritik und das Elend der Welt Architekt und Politiker Die Beziehung von Praxis und Kritik Kleine Rede an die Verächter des Feuilletons The Rebirth of the Youth Voice Patrik Schumacher The Autopoiesis of Architecture Kritik nach der Biegsamkeit Jürgen Mayer H. Metropol Parasol, Sevilla Peter Zumthor Serpentine Gallery Pavillon 2011, London Interview Jacques Herzog 4.2011 Internationale Zeitschrift und Schriftenreihe für Architektur International thematic review for architecture Architekturkritik – Criticism 40 Jahre archithese

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Transcript of archithese 4.11 - Architekturkritik / Critism – 40 Jahre archithese

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ARIGON Generalunternehmung AG - Leutschenbachstrasse 55 - CH-8050 Zürich - Telefon +41 (0) 44 308 25 75 - www.arigon.ch - Mitglied des VSGU

Bauen mit BegeisterungDie ARIGON Generalunternehmung steht im Dienst

von Bauherren mit hohen Ansprüchen. Ob Neubau, Umbau

oder Renovation: Jedes Projekt wird qualitätsbewusst,

kostenoptimal und termingerecht realisiert. Von der Studie bis

zur erfolgreichen Realisation – jeder Bau ist eine Referenz.

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u. l.: Neubau «Toro 3» und «Toro 4», 8050 Zürich

architheseEine Chronik zum Jubiläum

Der Gründungsmythos im Gespräch

Architektur und Architekturkritik

Architekturkritik und das Elend der Welt

Architekt und Politiker

Die Beziehung von Praxis und Kritik

Kleine Rede an die Verächter des Feuilletons

The Rebirth of the Youth Voice

Patrik Schumacher The Autopoiesis of Architecture

Kritik nach der Biegsamkeit

Jürgen Mayer H. Metropol Parasol, Sevilla

Peter Zumthor Serpentine Gallery Pavillon 2011, London

Interview Jacques Herzog

4.2011

Internationale Zeitschrift und Schriftenreihe für Architektur

International thematic review for architecture

Architekturkritik – Criticism40 Jahre archithese

Leserdienst 105

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4 archithese 4.2011

E d i t o r i a l

Architekturkritik

Die archithese feiert ihr vierzigjähriges Jubiläum. Gegründet von Hans Reinhard

mit Stanislaus von Moos – und am Leben gehalten von einer Vielzahl von Redak-

toren, den Herausgebern von Verband und Verlag, den Autoren, den Anzeigen-

partnern und schliesslich insbesondere den Lesern und Leserinnen sowie Abon-

nentinnen und Abonnenten, welche die anhaltende Existenz und Präsenz von

archithese auf der nationalen und internationalen Bühne des Architekturdiskurses

mit ebensolcher Ausdauer begleiteten.

Vierzig Jahre des kritischen Verfolgens des Bau- und Architekturgeschehens

ohne Ausfälle und Unterbrechungen gibt – bei aller Kritik, die der eine oder an-

dere anbringen möchte – vielerlei Anlass zum Feiern. Doch wie bei Festen üblich,

bedeuten sie eine hohe Anspannung aufseiten der Gastgeber, welche um das Ge-

lingen des Jubiläums ringen und Sorge tragen, dass sich jeder Gast gut unterhält

und amüsiert.

So hätten wir uns für das Jubiläumsheft auf eine Abfolge von Lobeshymnen

einigen können, doch erschien es uns angemessener, unsere Aufgabe an sich und

damit verbunden Fragen der Kritik zu beleuchten. Seit einiger Zeit mehren sich die

Stimmen, welche eine anhaltende Kritiklosigkeit bemängeln, sich durch internet-

gleiche Beschreibungen langweilen und den anregenden Diskurs über das Einzel-

objekt hinaus vermissen. Es sind berechtigte Stimmen, die sich um die Qualität und

Entwicklung unserer gebauten Umwelt sorgen und ein unabhängiges Gegenge-

wicht zu den üblichen Mechanismen und Kräften erwarten; die gegenüber dem ge-

genwärtigen Augenblick weder die Spekulation über die Zukunft vergessen noch

den Wert der Vergangenheit negieren wollen. Diese Auseinandersetzung, der Blick

aus unterschiedlicher Richtung, die Weitung des Horizonts waren seit jeher der

Antrieb für die Arbeit der archithese, die ihrem Namen zum Trotz ungern Thesen

vertrat und vertritt. Aus der Vielschichtigkeit der Beiträge zu einem Thema eine

These zu bilden, bleibt damals wie heute den Leserinnen und Lesern überlassen.

Unter diesen Vorzeichen müssen die Idee und der Widerspruch gesehen werden,

die für das Jubiläum angemessene Höflichkeit mit dem sperrig-schmerzenden Be-

griff der Kritik zu verknüpfen. Daraus entstanden ist ein Heft, welches – verstärkt

durch den wiedergefundenen Gründergeist – die Bedeutung der Kritik anerkennt

und sich um deren Stellung verdient zu machen sucht. Der Wert der Kritik garan-

tiert die Berechtigung der archithese, und somit schien uns nichts näherliegend

als der archithese dieses Geschenk zu überreichen. Herzlichen Glückwunsch!

Redaktion

Der Schüler Blunts, Giedions und Pevsners; Architek-turkritiker, Förderer der Independent Group und von Archigram sowie Professor für Archi-tekturgeschichte: Reyner Banham (1922 – 1988) doku-mentierte 1972 Los Angeles für die BBC (Foto: Filmstill aus: Reyner Banham loves Los Angeles)

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26 archithese 4.2011

Der Serpentine pavillon 2011 in lonDon

von peter Zumthor

Meine Heimat London, oder: «Wer Erde

riechen will, sollte sich in den Park legen.»

Das «ich» taucht in der archithese nicht auf. Das

persönliche soll durch untersuchung, auseinander-

setzung und abwägung verallgemeinert wie objek-

tiviert und damit zu einer im besten Fall allgemein-

gültigen instanz werden. Der verlust des «ich» gilt

als notwendiger ausdruck der notwendigen Über-

windung allzu rascher urteile wie unabgewogener

meinungen.

Für das Jubiläum stelle ich mich gegen diese

ungeschriebene hausregel, denn die biografische

Befangenheit macht es mir unmöglich, das ich im

allgemeinen aufgehen zu lassen: peter Zumthors ar-

chitektur war meine erste leidenschaft. präziser: Die

Fotografie der architektur peter Zumthors war meine

erste leidenschaft. hélène Binets Bilder in der mono-

grafie Häuser, welche die im Bauprozess verloren ge-

gangenen träume des architekten wiedergewinnen

und weitergeben, formten für lange Zeit eine eigene,

meine individuelle traumvorstellung von architektur.

Bei der expo 2000 – damals war ich 19 – hatte

mein Studium noch nicht einmal begonnen. einen

tag weilte ich auf der Weltausstellung und davon

mehrere Stunden im «holzstapel». Das temporäre

Bauwerk erlaubte es. man musste sich keineswegs

für seine hingabe schämen, hatte mitunter einsam-

keit zwischen den Stapelreihen, konnte die musiker

an sich vorbeiziehen lassen, die Bewegungsmuster

und die partitur der Bespielung erkunden – mit ein

wenig Glück und Überwindung mit einem musiker

sprechen. ich erinnere mich nicht mehr an das Ge-

spräch, aber an die Kraft, ein solches zu suchen und

zu finden. – Das essen war ebenfalls ausgezeichnet,

und auch wenn der regen durch das Gebäude zog

und von den metallprofilen tropfte, war der Wille

zum verweilen, zum aufnehmen der atmosphäre,

zur erfahrung vorhanden.

Kann ein Gebäude jemanden ergreifen und um-

armen? ich bin Kontrabassist wie peter Zumthor.

Kontrabässe verleiten zum animismus; das hat

schon patrick Süskind eindrücklich beschrieben.

Der arco-Klang des Kontrabasses berührt, durch-

dringt, ist tief ergreifend. auch wenn peter Zumthor

a r c h i t e K t u r a K t u e l l

Am falschen Ort

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1 Der Pavillon am Tag (Fotos 1+3: Hufton & Crow)

2 Aussenansicht nach Osten (Fotos 2, 4+5: Walter Herfst)

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Ein kurzer Rückblick auf die Geschichte Anfang 1971 erschien das erste Heft der neu gegründeten

Zeitschrift archithese. Verschiedene Redaktionsteams haben das Blatt geprägt, die archithese hat

sich verändert und ist mit der Zeit gegangen, ohne ihren theoretischen Anspruch und ihre kritische

Ausrichtung zu verlieren. Ein Rückblick auf die vergangenen vier Dekaden.

40 Jahre archithese

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Text: Hubertus Adam

Im Jahr 1968 gründete Hans Reinhard, der spätere Zentralprä-

sident des FSAI (Verband freierwerbender Schweizer Archi-

tekten / Fédération suisse des architectes indépendants) das

im vierteljährlichen Turnus als geklammerte A4-Broschüre

erscheinende Verbandsblatt fsai. In der zweiten Nummer war

erstmals der Kunsthistoriker Stanislaus von Moos mit einem

Aufsatz vertreten – einem Beitrag über Moshe Safdies struk-

turalistisches, am Rande der Expo 67 in Montreal realisiertes

Wohnbauprojekt Habitat. Von Moos veröffentlichte damals

unter dem Titel Le Corbusier. Elemente einer Synthese die

erste umfassende Monografie über den drei Jahre zuvor ver-

storbenen Architekten. Reinhard intensivierte in den folgen-

den Heften von fsai die Zusammenarbeit mit von Moos, um

eine kritische Architekturberichterstattung zu forcieren. Da

Reinhard, wie er in fsai 1’1969 schrieb, ernsthafte Archi-

tekturkritik als Desiderat sah, beauftragte er von Moos mit

einer Serie von Beiträgen zur Schweizer Architektur; dieser

war in das Thema eingearbeitet, da er zusammen mit Jul

Bachmann die Veröffentlichung New Directions in Swiss

Architecture verfasst hatte, die noch im gleichen Jahr in

New York erschien. In Gesprächen zwischen Verbandspräsi-

dent und Redaktor entstand die Idee, eine wirkliche Architek-

turzeitschrift zu gründen.

1971–1976: Die ersten zwei Serien

Das letzte Heft von fsai erschien im vierten Quartal des Jah-

res 1970 und enthielt die Ankündigung, dass das Verbands-

organ ab 1971 «in neuer Aufmachung und im innern Aufbau

geändert» unter dem Titel archithese publiziert werde. Die

Redaktion der Hefte oblag von Moos und dem Westschwei-

zer Redaktor Jean-Claude Widmer. Die Verbandsnachrichten,

die einen Grossteil der fsai-Hefte in Anspruch genommen

hatten, traten zurück hinter einer Folge von Aufsätzen ver-

schiedener Autoren. Verantwortlich für die Herstellung der

kleinen schwarzen Hefte – Heft 3/4 des Jahres erschien als

Doppelnummer – war die Imprimerie Réunie in Lausanne, die

ihr Engagement indes auf den Druck beschränkte und nicht

vermochte, die Hefte in den Buchhandel zu bringen. Für den

Verband erwies sich das neue Organ dadurch als finanzielles

Desaster, sodass man sich auf die Suche nach einem Ver-

lag begab. Nicht zuletzt um neben den Abonnenten weitere

Käufer zu gewinnen, schärfte man das Profil, indem – anders

als in den Heften des Jahres 1971 – alle Aufsätze einer Num-

mer ein Thema behandelten. Im Vorwort zur ersten Ausgabe

schrieb Hans Reinhard zur Kursänderung: «Das Heft wird ge-

wissermassen noch mehr als bisher den Rahmen einer tradi-

tionellen Zeitschrift sprengen. Der Grundgedanke liegt darin,

archithese als eine thematisch sinnvoll geordnete Reihe von

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Text: Christian Gänshirt

Die Lincoln Road Mall ist eine Mall noch im ursprünglichen

Wortsinn: eine schattige Promenade, an der sich Läden, Cafés

und Restaurants angesiedelt haben, und die so zur Shopping-

mall geworden ist. «Fussgängerzone» wäre der ungelenke

deutsche Ausdruck dafür; unpassend insofern, als diese Mall

eher abends zum Ausgehen als tagsüber zum Einkaufen

genutzt wird. Ende der Fünfzigerjahre wurde sie von Morris

Lapidus, dem lange verkannten Vertreter einer hedonistischen

Moderne, charmant und liebevoll mit kleinen modernisti-

schen Architekturen, Brunnen und Schattendächern möbliert.

Ihr markanter Bodenbelag aus breiten weissen und schwar-

zen Bändern geht ebenfalls auf Lapidus zurück. Die Mall um-

fasst nicht die ganze Lincoln Road, sondern nur den Abschnitt

Das Parkhaus 1111 Lincoln Road in Miami Beach von Herzog & de Meuron Selten werden Parkhäuser

der Kategorie der Prestigebauten zugeordnet. Ebenso selten treten sie mit aufwendiger wie gelungener

Gestaltung ins Rampenlicht. All dies leistet das Parkhaus 1111 – und vertreibt doch nicht alles Unbehagen.

Architekturkritik und dAs elend der Welt

von der Kreuzung mit der achtspurigen, stark befahrenen

Alton Road bis zur Washington Avenue, von der man nur noch

zwei Blocks bis zum Strand geht.

Hier, an der Kreuzung mit der Alton Road, markiert das

Parkhaus städtebaulich präzise das eine Ende der Mall. Für

Autos ist es genauso direkt und selbstverständlich zugäng-

lich wie für die Fussgänger. Indes – grosse Lust, eine Ar-

chitekturkritik darüber zu schreiben, habe ich nicht, obwohl

es ja ein durchaus gelungenes Gebäude ist. – Was heisst

hier gelungen: Bauherr und Architekten haben offensichtlich

keine Mühen gescheut, ein grossartiges Projekt zu entwer-

fen und zu realisieren. Es ist an alles gedacht, und es ist

ungewöhnlich viel Geld ausgegeben worden. Das Resultat

sind ausserordentlich grosszügige Räume und intelligent

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Architekturkritik und dAs elend der Welt

1 1111 an der Kreu-zung Alton Road, Lincoln Road Fotos 1, 4: Iwan Baan)

kombinierte Nutzungen. Gehobener Einzelhandel im Erdge-

schoss, Wohnungen und ein Restaurant auf dem Dach, dazwi-

schen dreihundert Parkplätze auf sechs Etagen, die teilweise

zwei- oder dreifache Geschosshöhen haben. Die Enge, der

fehlende Ausblick, die schlechte Luft, die Beklemmung, die

Parkhäuser so oft zu unangenehmen Orten macht, an denen

man sich keine Minute länger als notwendig aufhält, ist hier

in befreiende Offenheit verwandelt. So offen, dass Leute mit

Höhenangst die oberen Etagen meiden. Und so grandios der

Ausblick, dass die oberste Parketage auch für Veranstaltun-

gen gebucht wird.

Zur-Sprache-Bringen

Trotzdem hält sich meine Arbeitslust in Grenzen. Am verlo-

ckenden Sommerwetter kann es nicht liegen. Das war schon

im vergangenen Herbst so, als ich den Schreibauftrag, wider-

strebend und mehr überredet als überzeugt, angenommen

habe. Überredet hat mich das Zugeständnis des Redakteurs,

meine Unlust im Text thematisieren zu können. Zu einem

Honorar allerdings, das weit davon entfernt ist, auskömmlich

zu sein – selbst wenn die Reisekosten übernommen würden.

Aber auch das habe ich schon öfter erlebt, und selten genug

hat es mich vom Schreiben abgehalten. Wenn ein Gebäude

mich begeistert, packt mich die Lust, herauszufinden warum.

Von da her verstehe ich mich streng genommen auch nicht

als Architekturkritiker. Es geht mir eher um das Verstehen

und Erklären als ums Kritisieren und Bewerten. Das Zur-Spra-

che-Bringen und das Fotografieren (dazu komme ich später)

sind für mich die besten Mittel dafür.

Aber hier wird meine Begeisterung gedämpft durch eine

diffuse Abneigung, die sich nicht auf den ersten Blick ent-

schlüsseln lässt. Dieser Text ist somit ein Versuch, zu verste-

hen, warum ein so herausragendes Projekt doch nicht meine

volle Zustimmung findet. Obwohl es viel, sehr viel von dem

realisiert, was ich mir unter guter Architektur vorstelle. So

kraftvoll es sich als Objekt präsentiert, so einfühlsam ist es

auf den Ort bezogen, an dem es steht. Dennoch bleibt meine

Sympathie begrenzt. Liegt es am prosaischen Thema der

Bauaufgabe? Das Auto, so notwendig es als Verkehrsmittel

sein mag, ist mir eher gleichgültig geblieben in seiner Rolle

als Luxusobjekt und Statussymbol, die dieses Parkhaus so ge-

konnt zelebriert. Trotzdem kann ich einem Projekt, das eine

auf den ersten Blick überzeugende Lösung für ein oft genug

lieblos behandeltes Thema vorschlägt, einiges abgewinnen.

Finde ich es vielleicht einfach überflüssig, über dieses Ge-

bäude zu schreiben? Das Parkhaus in Miami trägt die lau-

fende Projektnummer 279. Herausragende Projekte aus dem

Büro Herzog & de Meuron kennen wir doch schon zur Genüge;

ist das überhaupt noch eine Nachricht? Die communication

assistants des Büros sind anscheinend ganz ähnlicher Mei-

nung – meine Bitte um Information wird jedenfalls nicht er-

füllt. Das ist, wie sich bald zeigt, auch unnötig. Im Internet

und den einschlägigen Zeitschriften findet sich mehr als ge-

nug Material. Wer will, kann sich mit ein paar Mausklicks mü-

helos ganze Bilderserien und die wichtigsten Rezensionen

ansehen. Zum Gebäude existiert sogar eine eigene Webseite

– 1111lincolnroad.com.

Schwebende Exklusivität

Ja schön, aber warum dann noch mehr schreiben? Die Archi-

tekten brauchen diesen Text sicher am wenigsten. Sie sind

seit Langem etablierte Akteure des medialen Starsystems

und arbeiten mit Budgets und Bauherren, die normalen Ar-

chitekturbüros nicht zugänglich sind. Interessant sind die

von ihnen selbstverständlich mit Bravour bewältigten Bau-

aufgaben nur noch insofern, als sie die Architekturzeitschrif-

ten lesenden Architektinnen und Architekten von Erfolgen

träumen lassen, die sie selbst aller Wahrscheinlichkeit nach

nie erringen werden. Dass ein weltweit tätiges Grossbüro

mit mehreren Hundert Mitarbeitern immer noch gerne als

das Schweizer Architektenduo Jacques Herzog und Pierre

de Meuron vorgestellt wird, zählt zu den funktionalen

Voraussetzungen dieser medialen Traumproduktion.

Man kann nicht ernsthaft über ein Gebäude schreiben,

wenn man es nicht gesehen hat. Glücklicherweise fand sich

eine Universität in der Nähe, die an einem Vortrag interes-

siert war. Aber der junge Professor, der mich dann zum Park-

haus fährt, möchte mit seinem Wagen (ganz unamerikanisch:

ein Mini) nicht hineinfahren. Es sei zwar sehr schön, sagt er,

aber leider auch viermal so teuer wie die normalen Parkmög-

lichkeiten in South Beach. Wenn ich schon für karges Entgelt

schreibe, dann ungern, um die Aufmerksamkeit des geneig-

ten Publikums auf ein rein kommerzielles Projekt zu lenken.

Besonders wenn es sich um jene Form des Kommerziellen

handelt, die sich «exklusiv» gibt und mit Mitteln der sozialen

wie ästhetischen Distinktion arbeitet.

Wie vollkommen durchkommerzialisiert dieses Projekt

tatsächlich ist, zeigt sich beim Besuch seiner Webseite.

Kulturelle Bedeutung wird hier mit ingenieurmässiger Be-

rechnung und Effizienz generiert. Wer weiss, was zu tun

ist und die entsprechenden Mittel aufbringt, braucht kein

Risiko einzugehen. Trotz, oder vielleicht gerade wegen des

kommerziellen Kontextes sind Ressourcen anscheinend in

jedem gewünschten Umfang verfügbar. Aufschlussreich ist,

wer auf dieser Webseite zum Designteam gezählt wird. Ini-

tiiert wurde das Projekt von Robert Wennett, einem devel-

oper, der bereits in New York, Washington, D.C. und vielen

anderen amerikanischen Städten Erfolge gefeiert hat. Ihm

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Text: Aram Mooradian

Ours is a seemingly anxious generation. And it is hard not

to recognise the parallels with the world at large – the Arab

Spring, a loss of faith in global financial capitalism, looming

environmental disaster. The rug has been pulled from under

our feet before we’ve had a chance to stand – or, to use an

architectural metaphor, – the columns that supported previ-

ous generations have begun to wobble.

But through this anxiety, the past year has seen a flurry of

exciting independent student movements. As a generation

of 18 to 28 year olds begins to disassociate itself from the

systems that it has inherited, frustrated with the excessive

branding strategies of universities, the commodification of

degrees, burdened by a sense of being isolated from mean-

ingful debate, student magazines and publications have

begun to legitimise a discussion in architecture that seeks

to articulate and to crystallise the principles of the Facebook

Generation.

At the Architectural Association, in London, three such

publications have emerged in the past year – in a school

that hasn’t seen an independently run student publication

in close to a decade. Architecture for the End of the World,

an underground student blog, began the academic year with

controversial reviews of the units, turning criticism away

from the quality of students’ work onto the quality of their

tutors’ agendas. This was soon followed by the re-launch of

the Ghost Dance Times, the newspaper that recorded much

of the AA’s activity during its heyday in the 1970’s until it was

banned when it became too politically disruptive, and smell-

ing the potential to compete, Fulcrum was launched, the AA’s

first weekly free sheet, which seeks to elevate student ideas

within the context of more established writers and architects.

As they slowly accumulate, these fragmented observa-

tions of the present hint at the future. Though we may only

judge in retrospect which of those observations will turn out

to be valid, it is the ink of these documents that will permit

us to make those judgements.

The Rebirth of the Youth Voice in Architecture

2011 has been a remarkable year, punctuated by political upset

at various schools of architecture around the world. At the Rhode

Island School of Design, a revolt led by staff resulted in a “Vote

of No Confidence” in the school’s president, John Maeda, student

uprisings at the Architectural Association in London voiced

concerns over the expansion of the school and François Roche

pulled out of his exhibition and lecture at SCI-Arc protesting

against what he called a “Beaux Arts” style of education.

HOW TO START A REVOLUTION

ArchEndWorld’s Guide to this Year’s AA Diploma Units

ArchEndWorld, September 22nd, 2010

A knot develops in the stomach when looking at the selection

of units in this year’s Prospectus of the Architectural Asso-

ciation. In 1983, Alvin Boyarsky, famed Chairman of the AA’s

‘golden era’, described the school as a ‘compost’ for learn-

ing. A ‘compost’ it certainly is … And it was Alvin who filled

the unit system at the AA with volatile personalities who he

knew would despise each other. By creating an acidic mix

he anticipated the bubbling of class A mulch, prime fertiliser

into which students could dip their roots.

“When sifting through compost, there is the occasional

plastic shard of packaging, the occasional indigestible ele-

ment that stubbornly refuses to decay.” […] Likewise, where

you least expect it, you might find the acidic swill of an old

tomato – a prime ingredient of any fertile patch.

Education is Not a Commodity

ArchEndWorld, March 6th, 2011

Students from the University of East London and Westmin-

ster University marched on the British Parliament in protest

against the dramatic rise in fees. “Education is not a Com-

modity” read large banners. On Gower Street, the historic

line of houses in Bloomsbury that is home to the University

College London, the School of Oriental and African Studies

and various other schools, canvas banners reading “Solidar-

ity” were draped from windows and parapets.

happy birthday ma.

Fulcrum #20, J. Self

Writing and publishing may have changed over those five

decades, in both format and content – but it still costs money

to print real text. Even Fulcrum is only possible because the

AA (Brett) and Bedford Press (kindly) permit us to print.

As much as we might want to claim total independence from

all socio-political and economic hierarchies – the honest truth is

that print media will always be expensive and regulated. […]

By contrast, a blog costs nothing, and it requires no per-

mission. Neither does it require any assistance, collaboration

or – most importantly – anyone’s opinion or direction. The

blogger, the Facebooker, the Tweeter, is free to publish how-

ever much on whatever they choose. There is no need what-

soever to ask the old questions: who am I writing for, what

and why am I writing? Facebook Freedom is pushing print

media in strange directions. The attitude of publishers seems

to be that if you’re going to print at all it may as well be a

unique object in its own right, and not merely a transmitter

of information – publications are increasingly bespoke, error-

ridden and egomaniac.

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Text: Hannes Mayer

Diese Worte sprach Frank Lloyd Wright 1931 in Chicago; pu-

bliziert wurden sie erstmals 1955 in Future of Architecture.

Könnten diese Worte auch die Zukunft der Kritik und Theorie

darstellen?

Während des vierzigjährigen Bestehens der archithese

war die Architekturwelt grossen Veränderungen unterwor-

fen. Unter dem Diktum des Wachstums und des technischen

Fortschritts entwickelte das stets übergreifende und kaum

spezialisierte Berufsfeld der Architektur eine bislang unbe-

kannte professionelle Divergenz.

Büros, welche vor nicht allzu langer Zeit als Studios und

Ateliers der Avantgarde zuzurechen waren, haben mittler-

weile mehrere hundert Angestellte. Sie sichern Fortschritt

nicht mehr allein durch Ideen, sondern durch Innovation. Sie

haben die Strukturen von Kanzleien und Beratungsunterneh-

men übernommen, arbeiten in einem Netzwerk von weiteren

Beratern und Ingenieuren und haben ihre eigenen PR- und

Presseabteilungen.

Der Professionalismus der Praxis findet sein Gegenstück

in der akademischen Welt, deren wissenschaftliche Gründ-

lichkeit und zunehmende Spezialisierung die wachsende

«Für den Jungen Menschen in der Architektur sollte Radikal als schönes Wort gelten.

Radikal bedeutet an die Wurzel gehen […]. Jeder Architekt sollte von Natur aus Radikal sein,

denn es ist für ihn nicht genug dort zu beginnen wo andere aufhörten.»

KritiK nach der BiegsamKeit

Komplexität von Technologie widerspiegelt. Auch die Wis-

senschaft scheint dem Produktionsdruck unterworfen, und

die Fülle von Publikationen befördert ausserhalb des Spe-

zialistenkreises statt tief greifender Erkenntnisse vielmehr

Formen von Verschwörungstheorien.

Blogs, Tweets und digitale Plattformen bilden eine neue

Medienlandschaft, welche sich überwiegend an den Polen

von Nachrichtenagentur und persönlichem Kommentar aus-

bildet – üblicherweise jedoch zumeist spezifisch und von ge-

ringer Informations- und Interessensbandbreite, dafür jeder-

mann zugänglich, kostenlos und ohne Hemmung.

Zum weiteren Verständnis im Hinblick auf die Medien

lohnt es sich, auf eine erste Phase der Liberalisierung zu-

rückzublicken: der Privatisierung des Fernsehens. Ihr ge-

genüber steht der Sendeauftrag der öffentlich-rechtlichen

Sendeanstalten. Er fordert und fördert als Ausdruck einer

Gesellschaft Verantwortung, welche das individuelle Inter-

esse übersteigt. Nimmt man als Beispiel die BBC und deren

Sendeauftrag, so ergibt sich ein kaum ausgestrahltes, zumin-

dest jedoch festgeschriebenes Ideal eines Mediums, das trotz

dramatischem Grössenunterschied auch einer Zeitschrift

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1 Staatsanwalt Chalmers (Robert Vaughn) und Lieutnant Frank Bullitt (Steve McQueen) in Bullitt (Regie:Peter Yates, 1968)

Der Film ist nicht allein wegen seiner Verfolgungsjagd bedeutend, sondern auch wegen Bullitts Gewissensent- scheidung zwischen der von Chalmers in Aussicht gestellten Karriere und dem Willen, den Fall auf seine Weise zu lösen.

(Foto: Solar Pro-ductions/Mel Traxel)

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