der Funke - Ausgabe Nr. 13

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2 DER FUNKE schweiz 08 Das Sparpaket, jetzt auch behindertentauglich! 10 Ungebremster Höhenflug der Volksverhetzer 14 Chancegleichheit an der Schule arbeiterInnenbewegung 05 Europa: die Bewegung beginnt! international 03 Der Diktator ist gestürzt - was nun? 09 WEF 2011 - Neue Realitäten, alte Ängste 12 Winterchaos und Börsenwahn bei der DB Impressum: Kontakt: Der Funke Schweiz, Postfach 1696, 8401 Winterthur, [email protected]; Druck: Eigenverlag; Auflage: 200 Stück; Abonnement: [email protected]; Redaktion: Olivia Eschmann, Matthias Gränicher, Anna Meister; Layout: Matthias Gränicher; Die Zeitschrift behandelt Fragen der Theo- rie und Praxis der schweizerischen und internationalen ArbeiterInnenbewegung. inhalt Ein neues Jahr hat begonnen. Wie jedes Jahr treffen sich die Mächtigen dieser Welt in Davos zum World Economic Fo- rum (WEF). Es ist nicht schwierig zu er- raten, welche Hauptthemen die Global Players in diesen turbulenten Zeiten hinter scharf bewachten Toren beraten. Es gilt, die Profite nach dem Krisen- einbruch wiederherzustellen und zu schauen, wie dabei soziale Unruhen und Proteste am effizientesten niedergehal- ten oder im Keim erstickt werden kön- nen. Der Rückgriff auf Repression oder andere Massnahmen zur Spaltung der aufkommenden Bewegungen ist unver- meidbar. Der Kapitalismus tritt immer häufiger in seiner ganzen morschen Fragilität in Erscheinung. Wie in einem alters- schwachen Körper beginnen die ersten Organe zu versagen und müssen durch sehr kurzfristig wirksame Massnahmen unterstützt werden. So wird beispiels- weise der Kapitalfluss in den einzelnen Ländern durch Tiefzinspolitik künstlich angekurbelt und pumpt so massenhaft billiges Geld in den Umlauf. Zwar un- terstützt dieser Herzschrittmacher den Kapitalkreislauf, doch genau wie bei der Behandlung eines alterskranken Herzens können solche Massnahmen den Tod lediglich hinausschieben. Fol- ge davon sind nicht Investitionen in die eigene Wirtschaft.- Wer investiert schon in, vom Alter geschwächtes Gewebe, wenn sich junge wachstumsfähige Or- gane in Asien anbieten?- Vielmehr wird wieder munter weiter spekuliert und dadurch Blasen konstruiert. Gleichzei- tig blutet der geschwächte Körper aus, da sich jede Nation, bzw. jedes Organ durch protektionistische Massnahmen vor Importen schützt und sich stattdes- sen Exportschlachten liefert. Dies hat unter anderem zur aktuellen Währungs- krise geführt. Zusätzlich nehmen die einzelnen Regierungen ihre hohe Ver- schuldung, dies als Folgeerscheinung der geplatzten Kreditblase, zum Anlass um sich wiedereinmal am Sozialstaat zu vergreifen, so unter dem Motto: Anstatt den hungernden Magen zu stillen, wird ihm eine permanente Diät verschrieben. Obwohl die Krise nicht selbst verschul- det ist, darf das gemeine Volk dafür be- zahlen. Doch wie jeder weiss, ein hun- gernder Magen rebelliert! Der anhaltende Verzweiflungskampf der arbeitenden Bevölkerung Europas um ihre Rechte hinterlässt bleibende Spuren in ihren Köpfen. Die Utopie der freien Marktwirtschaft als Überbrin- ger von Wohlstand und Freiheit und dem bürgerlichen Staat als sein regu- lierender und sozialer Faktor bekommt allmählich Risse. In der anhaltenden Kri- se wird viel eher deutlich, dass der ver- meintliche Wohlfahrtsstaat und seine parlamentarischen VertreterInnen, ob sozialdemokratisch oder liberal-bürger- lich, nicht viel mehr als Handlanger der wirtschaftlichen Interessen multinatio- naler Konzerne sind. Doch gerade diese Bewusstseinsveränderung versucht die Herrscherklasse verständlicherweise mit aller Kraft zu verhindern. So versucht sie Unterschicht durch geschürten Angst- macherei und Rassismus zu Spalten. Und doch ist dies kein Grund zur Resi- gnation. Der Widerstand schläft nicht, die Menschen erwachen langsam aus ihrer Erstarrung. Und gerade ein Land wie Tunesien, als Hochburg der Reak- tion und politischen Stabilität, hat uns eindrücklich demonstriert, dass es sich überall zu kämpfen lohnt! Die Tune- sische Revolution hat ihren nationalen Charakter bereits verloren, und ist nun Auslöser einer ganzen Reihe von revo- lutionären Bewegungen im arabischen Raum. Allen voran die Ägypter. Am 1. Februar durften wir ihre eindrückliche Machtdemonstration mit über 2 Mio. Menschen auf den Strassen Kairos erle- ben und es scheint nur noch eine Frage der Zeit bis zum Sturz Mubaraks zu sein. Zur gleichen Zeit herrscht in Algerien ein Generalstreik und in Jemen und Jordanien fanden bereits Grossdemon- strationen gegen die Regierungen statt. Doch das alles ist wohl erst der Anfang. Noch richten sich die Proteste in erster Linie gegen die, die Regierung verkör- pernden, die Präsidenten, doch wie das Beispiel Tunesien zeigt, reicht ihre Ab- setzung den revolutionären Massen kei- neswegs. Für ein wirkliche Veränderung muss sich der Widerstand gegen die ge- samte Clique der korrupten politischen und wirtschaftliche Eliten richten und dies passiert in Tunesien bereits. Wir ste- hen also vor gewaltigen Veränderungen im arabischen Raum und diese werden nicht die einzigen bleiben. Für die internationale Solidarität, für ei- nen organisierten Widerstand, für den Sozialismus! Die Redaktion Editorial

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der Funke, Zeitung der marxistischen Strömung in JUSO und Gewerkschaft - Ausgabe Nummer 13, 1. Februar 2011

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2 Der Funke

schweiz08 Das Sparpaket, jetzt auch behindertentauglich!

10 ungebremster Höhenflug der Volksverhetzer

14 Chancegleichheit an der Schule

arbeiterInnenbewegung05 europa: die Bewegung beginnt!

international03 Der Diktator ist gestürzt - was nun?

09 WeF 2011 - neue realitäten, alte Ängste

12 Winterchaos und Börsenwahn bei der DB

Impressum: kontakt: Der Funke Schweiz, Postfach 1696, 8401 Winterthur, [email protected]; Druck: eigenverlag; Auflage: 200 Stück; Abonnement: [email protected]; redaktion: Olivia eschmann, Matthias Gränicher, Anna Meister; Layout: Matthias Gränicher; Die Zeitschrift behandelt Fragen der Theo-rie und Praxis der schweizerischen und internationalen ArbeiterInnenbewegung.

inhalt

ein neues Jahr hat begonnen. Wie jedes Jahr treffen sich die Mächtigen dieser Welt in Davos zum World economic Fo-rum (WeF). es ist nicht schwierig zu er-raten, welche Hauptthemen die Global Players in diesen turbulenten Zeiten hinter scharf bewachten Toren beraten. es gilt, die Profite nach dem krisen-einbruch wiederherzustellen und zu schauen, wie dabei soziale unruhen und Proteste am effizientesten niedergehal-ten oder im keim erstickt werden kön-nen. Der rückgriff auf repression oder andere Massnahmen zur Spaltung der aufkommenden Bewegungen ist unver-meidbar.

Der kapitalismus tritt immer häufiger in seiner ganzen morschen Fragilität in erscheinung. Wie in einem alters-schwachen körper beginnen die ersten Organe zu versagen und müssen durch sehr kurzfristig wirksame Massnahmen unterstützt werden. So wird beispiels-weise der kapitalfluss in den einzelnen Ländern durch Tiefzinspolitik künstlich angekurbelt und pumpt so massenhaft billiges Geld in den umlauf. Zwar un-terstützt dieser Herzschrittmacher den kapitalkreislauf, doch genau wie bei der Behandlung eines alterskranken Herzens können solche Massnahmen den Tod lediglich hinausschieben. Fol-ge davon sind nicht Investitionen in die eigene Wirtschaft.- Wer investiert schon in, vom Alter geschwächtes Gewebe, wenn sich junge wachstumsfähige Or-gane in Asien anbieten?- Vielmehr wird wieder munter weiter spekuliert und dadurch Blasen konstruiert. Gleichzei-tig blutet der geschwächte körper aus, da sich jede nation, bzw. jedes Organ durch protektionistische Massnahmen vor Importen schützt und sich stattdes-sen exportschlachten liefert. Dies hat unter anderem zur aktuellen Währungs-krise geführt. Zusätzlich nehmen die einzelnen regierungen ihre hohe Ver-schuldung, dies als Folgeerscheinung der geplatzten kreditblase, zum Anlass um sich wiedereinmal am Sozialstaat zu vergreifen, so unter dem Motto: Anstatt den hungernden Magen zu stillen, wird ihm eine permanente Diät verschrieben. Obwohl die krise nicht selbst verschul-det ist, darf das gemeine Volk dafür be-zahlen. Doch wie jeder weiss, ein hun-gernder Magen rebelliert!

Der anhaltende Verzweiflungskampf der arbeitenden Bevölkerung europas

um ihre rechte hinterlässt bleibende Spuren in ihren köpfen. Die utopie der freien Marktwirtschaft als Überbrin-ger von Wohlstand und Freiheit und dem bürgerlichen Staat als sein regu-lierender und sozialer Faktor bekommt allmählich risse. In der anhaltenden kri-se wird viel eher deutlich, dass der ver-meintliche Wohlfahrtsstaat und seine parlamentarischen VertreterInnen, ob sozialdemokratisch oder liberal-bürger-lich, nicht viel mehr als Handlanger der wirtschaftlichen Interessen multinatio-naler konzerne sind. Doch gerade diese Bewusstseinsveränderung versucht die Herrscherklasse verständlicherweise mit aller kraft zu verhindern. So versucht sie unterschicht durch geschürten Angst-macherei und rassismus zu Spalten.

und doch ist dies kein Grund zur resi-gnation. Der Widerstand schläft nicht, die Menschen erwachen langsam aus ihrer erstarrung. und gerade ein Land wie Tunesien, als Hochburg der reak-tion und politischen Stabilität, hat uns eindrücklich demonstriert, dass es sich überall zu kämpfen lohnt! Die Tune-sische revolution hat ihren nationalen Charakter bereits verloren, und ist nun Auslöser einer ganzen reihe von revo-lutionären Bewegungen im arabischen raum. Allen voran die Ägypter. Am 1. Februar durften wir ihre eindrückliche Machtdemonstration mit über 2 Mio. Menschen auf den Strassen kairos erle-ben und es scheint nur noch eine Frage der Zeit bis zum Sturz Mubaraks zu sein. Zur gleichen Zeit herrscht in Algerien ein Generalstreik und in Jemen und Jordanien fanden bereits Grossdemon-strationen gegen die regierungen statt. Doch das alles ist wohl erst der Anfang. noch richten sich die Proteste in erster Linie gegen die, die regierung verkör-pernden, die Präsidenten, doch wie das Beispiel Tunesien zeigt, reicht ihre Ab-setzung den revolutionären Massen kei-neswegs. Für ein wirkliche Veränderung muss sich der Widerstand gegen die ge-samte Clique der korrupten politischen und wirtschaftliche eliten richten und dies passiert in Tunesien bereits. Wir ste-hen also vor gewaltigen Veränderungen im arabischen raum und diese werden nicht die einzigen bleiben.

Für die internationale Solidarität, für ei-nen organisierten Widerstand, für den Sozialismus! Die redaktion

editorial

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Die ereignisse kamen für die Meisten sehr überraschend, da Tunesien als eine Oase der Stabilität und eines relativen reich-tums angesehen wurde. Die Investoren nannten es einen Vorzeigestaat und die Touristen liessen sich in Scharen an den mediterranen Stränden bräunen. Selbst als der Aufstand schon im Gange war, schrieb die Wirtschaftszeitung ‚The econo-mist’: „es ist sehr unwahrscheinlich, dass die unruhen in Tunesien den 74 jährigen Präsidenten stürzen oder überhaupt sein autoritäres Herrschaftssystem bedrohen werden.“

Dass diese oberflächliche Betrachtung falsch ist, hat uns die neuste Geschich-te deutlich vor Augen geführt. Obwohl es so aussieht, als sei die revolution aus heiterem Himmel gekommen, hat sich die Situation über Jahrzehnte hinweg un-ter der Oberfläche angebahnt. Die sich verschlechternde wirtschaftliche Situa-tion, welche vor allem die Schwächsten getroffen hat, führte zu einer grossen Arbeitslosigkeit und Armut in der Arbei-terklasse. Hinzu kommt das autoritäre regime, welches das Land durch Privati-sierungen ausländischen Investoren zum Frass vorgeworfen und sich mit offen sichtbaren mafiösen Strukturen schamlos selbst bereichert hat. Die korruption und die Armut zusammen führten schliesslich zum kritischen Punkt, an dem schon die kleinste ungerechtigkeit eine explosion auslösen konnte. In diesem Fall war es ein verzweifelter Gemüsehändler, der keinen Ausweg aus seinem unglück mehr sah, sich am 17. Dezember 2010 auf offener Strasse selbst anzündete und damit das Fass zum überlaufen brachte. Die Mas-senbewegung, die daraus erfolgte war Ausdruck der jahrzehntelangen Demüti-gung und Ausbeutung der tunesischen Arbeiterklasse. Die Angst vor der repres-sion, welche das Land jahrelang paraly-siert hatte, hat in offenen Hass und em-pörung gegen den Staat, die Dekadenz der Mächtigen und die brutale Herrschaft der Polizei und Militär umgeschlagen. Das

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Der Diktator ist gestürzt - was nun?Die beeindruckende revolutionäre Bewegung der ArbeiterInnen und Jugend Tunesiens hat die Welt inspiriert. Der Massenaufstand führte zum Sturz des verhassten Diktators Zine al-Abidine Ben Ali, der während 23 Jahren wie ein könig regierte. er verliess das Land am 14. Januar 2011.

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verängstigte regime versuchte sich mit einer kombination aus unterdrückung und Zugeständnissen zu retten. Die erste reaktion war wie immer der einsatz von roher Gewalt. Die Polizei tötete mit ihrem äusserst brutalen Vorgehen mindestens 60 Menschen.

Die regierung erkannte aber bald, dass diese Strategie keine Wirkung zeigte, sondern im Gegenteil die Wut und empö-rung des Volkes zusätzlich noch steiger-te. Wenn die Massen ihre Furcht vor dem regime erst einmal abgelegt haben, kann dieses durch schiere Polizeigewalt nicht mehr gerettet werden. Ben Ali entschied sich deshalb dafür, dem Volk Zugeständ-nisse einzuräumen, in der Hoffnung, der Bewegung dadurch den Wind aus den Se-geln zu nehmen. Am 12. Januar versprach er, alle Demonstranten, die verhaftet wurden, frei zu lassen und eine untersu-chungskommission ins Leben zu rufen, um die korruption zu bekämpfen. Zu-sätzlich beteuerte er, das Problem an den Wurzeln anzupacken und 300’000 neue Jobs zu schaffen. Weiter gab er an, die steigenden Lebensmittelpreise bekämp-fen zu wollen, die Freiheit der Presse und des Internets zu gewährleisten und einen Demokratisierungsprozess einzuleiten. In einem letzten verzweifelten Versuch sich

zu retten, befahl er der Polizei nicht mehr auf Demonstranten zu schiessen. Diese Barmherzigkeit wird aber von der Tatsa-che überschattet, dass die Situation be-reits an einem Punkt angekommen war, wo jedes weitere Massaker unweigerlich zu einer Meuterei in der Armee geführt hätte. es gibt viele Berichte von Verbrü-derungen zwischen der Armee und den Demonstranten, wo die Armee die Arbei-terInnen und Jungen gegen die Brutalität der Polizei verteidigt hat. Trotz aller re-pression und Zugeständnisse war die Wut der Bevölkerung zu stark, um sich damit zu begnügen. Mit dem Slogan „Ben Ali muss weg!“, machte sie ihren Standpunkt klar. Am 14. Januar verliess der Präsident das Land.

Die regierung der nationalen einheit

nun versuchte der Ministerpräsident sein Glück, die Lage zu entschärfen. er krönte sich selbst zum Präsidenten einer Übergangsregierung, forderte die Ge-werkschaftsbürokratie und die Führer der reformistischen Parteien zur nationalen einheit und regierungsbeteilung auf und wiederholte das Versprechen der Demo-kratisierung und neuwahlen. Jene refor-mistischen Führer der ArbeiterInnenbe-

Massive Proteste vor dem Innenministerium in Tunis.

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wegung fürchten sich nicht weniger vor der revolution als das regime und ver-brüdern sich deshalb mit der Bourgeoisie. Gleichzeitig wurde der notstand ausge-rufen, was der Polizei erlaubt, auf Men-schenansammlungen zu schiessen, wovon diese auch weiterhin Gebrauch macht. Fa-schistische Truppen stiften Chaos, indem sie Demonstranten angreifen und Arbei-terInnen zu Hause bedrohen. Die Geisseln der konterrevolution verstärkten jedoch nur das entschlossene Vorgehen der Mas-sen. Diese neusten entwicklungen sollten aber nicht über die Tatsache hinwegtäu-schen, dass die wichtigsten Ministerien, wie Innen-, Aussen- und Finanzministeri-um immer noch in denselben Händen wie vor den Aufständen sind.

Heuchelei der Imperialisten

Alle diese Geschehnisse lassen in Washing-ton, Paris und London die Alarmglocken läuten. Die Imperialisten wurden ge-schockt durch die ereignisse, die sie nicht erwartet haben und die sie nicht kontrol-lieren können. Der nordafrikanische raum hat eine zentrale Bedeutung für westliche Investoren. Tunesien wurde als stabiles Investitions- und Ferienparadies angese-hen. Ben Ali’s regime wurde als exempel präsentiert. So sagte zum Beispiel der geschäftsführende Direktor des IWF, Do-minique Strauss-kahn in Tunis: Tunesien und das Ben Ali-regime sind „das beste Modell für viele aufstrebende Länder“. Gleichzeitig jubelte nicolas Sarkozy bei einem Besuch im April 2008 in Tunesien: „Ihr Land hat großen Anteil daran, univer-selle Menschenrechte und fundamentale Freiheiten voranzubringen ...“Jetzt nachdem klar ist, dass dieses regime gefallen ist, spricht derselbe französische Präsident davon, Seite an Seite mit der tunesischen Bevölkerung gestanden zu haben. Dieser Heuchler fordert das tu-nesische Volk jetzt plötzlich zu ruhe und friedlichem Dialog auf. Die scheinheilige unterstützung der revolution hat zum einzigen Ziel, die Machtverhältnisse im Land so gut wie möglich zu erhalten und zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Mit wem soll dieser Dialog denn stattfinden? Mit denselben Leuten, die sie seit Jahr-zehnten ausgeraubt und unterdrückt ha-ben und deren Hände mit dem Blut des Volkes befleckt sind! Wer ist der Mann, der diesen freundlichen rat gibt? es ist jener Mann, der das regime bis zu dem Zeit-punkt unterstützte, an dem es von den

Massen gestürzt wurde. Den ganzen Auf-stand des tunesischen Volkes hindurch hüllte sich Sarkozy in Schweigen, wäh-rend seine regierung aber versuchte,die Diktatur zu retten.

Der Aufstand breitet sich aus

Der Ausbruch des Volkszorns in Tunesien und dessen nachbarland Algerien ist ein Alptraum für die autoritären Führungen nordafrikas und der arabischen Welt all-gemein. Die korrupten und reaktionären regime in nordafrika und dem mittleren Osten kommen vor Angst fast um. Sie befürchten, die ArbeiterInnen und Bäue-rInnen aus anderen Ländern, wo die glei-chen Probleme herrschen, werden dem Beispiel der tunesischen Massen folgen. Auf diese Weise breitete sich die revolte innerhalb weniger Tage auf das nachbar-land Algerien aus, wo die Proteste gegen Preissteigerungen für Zucker, Milch und Mehl mindestens fünf Todesopfer for-derten. Der Funke der revolte sprang auch auf andere arabische Länder über. Die Wirt-schaftskrise bedeutet in den Ländern nordafrikas und des nahen Ostens für breite Teile der Bevölkerung nicht bloß Verschlechterungen des Lebensstan-dards, sondern schlicht die Bedrohung der physischen existenz. ein Land nach dem anderen wird politische unruhen erleben, da sind wir uns ausnahmsweise mit den bürgerlichen Medien einig. Der Imperialismus fürchtet den Verlust seines einflusses in diesen Ländern, allen voran in Ägypten oder Saudi Arabien. Anders als in Tunesien stehen dort auf der anderen Seite aber auch islamistische Organisati-onen bereit, den unmut der Bevölkerung für ihre Zwecke auszunutzen.

Ansätze für eine ArbeiterInnenbewegung gibt es in der region zu Genüge: Allen vo-ran die kämpferischen TextilarbeiterInnen Ägyptens, die durch radikale Besetzungs-streiks im Jahre 2007 den eliten das Fürch-ten lehrten. Die Bewegung braucht eine internationalistische Perspektive. Die internationale ArbeiterInnenbewegung sollte sich darum aktiv mit der Bewegung in Tunesien solidarisieren.

notwendigkeit einer revolutio-nären Perspektive Der Aufstand in Tunesien wurde nicht von

der schwachen und demoralisierten Op-position organisiert. er stellte eine spon-tane erhebung der Massen dar, die genau deswegen nicht aufzuhalten war, weil es keine „verantwortungsvolle“ reformi-stische Organisation gab, die ihn in sichere Bahnen geleitet hätte. Die Schwächlich-keit oder gar Abwesenheit der reformi-stischen Organisationen ist kein Zeichen der Stärke des autokratischen regimes, sondern eines der Schwäche.

Wie wir schon im Bezug auf den Iran deut-lich gemacht haben, ist der spontane Charakter der Bewegung gleichzeitig ihre Stärke, wie auch ihre Schwäche. Die tu-nesischen Massen waren stark genug, ein korruptes und morsches regime zu stür-zen. Die Frage ist aber: Was passiert jetzt?Der obere Beamtenapparat, die Armee-führung – alle machen weiter wie bisher. nur die köpfe an der Spitze sind weg, die Arbeitslosigkeit – bleibt. Die gesell-schaftliche ungerechtigkeit – bleibt. Die Herrschaft des internationalen kapitals – bleibt.

rund um die Frage nach dem Schicksal des weitverzweigten Wirtschaftsimperi-ums des alten Diktatorenclans wird sich das wahre Gesicht der neuen regierung zeigen. Die Forderung der Bevölkerung wird lauten, dass dem Volk zurückgege-ben wird, was dem Volk gestohlen wurde. Die Beschäftigten jener Betriebe werden die ersten sein, die das private eigentum ihrer unternehmen in Frage stellen wer-den. Die Idee eines Generalstreiks zum endgültigen Sturz des regimes wird in Gewerkschaftskreisen bereits diskutiert. Das ist der einzige Weg vorwärts. Die Selbstverteidigungskomitees könnten der Ausgangspunkt sein. Diese komitees tragen den keim einer neuen staatlichen Ordnung in sich, in der die Massen das Sagen haben. In den Betrieben, Stadtvier-teln, bis hin zum kleinsten Dorf, müssen komitees der ArbeiterInnen, Arbeitslosen und der armen Bauernschaft gegründet werden, um der Bewegung zu einem wirklichen erfolg zu verhelfen. Solche ko-mitees könnten den embryo von Arbeite-rInnen- und Volksräten darstellen, sollten daher überregional vernetzt werden und eine kampagne für eine revolutionäre, verfassungsgebende Versammlung star-ten.

Florian eschmannJuso Sektion Winterthur

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europa: die Bewegung beginnt!es gilt ernst. Die Devise „eure krise zahlen wir nicht“ wird sich international mal in diesem Land, mal im nächsten als gewaltsame konfrontation der klassen konkretisieren. Was zu Beginn nur ein Slogan war, wird nun Tropfen um Tropfen mit klasseninhalt gefüllt.

Generalstreiks, Massenproteste, StudentInnenbewegungen, ...

arbeiterInnenbewegung

Die europäische Wirtschaft steckt in ei-ner tiefen krise, damit verbunden sinkt das Vertrauen in die europäischen regie-rungen in der Bevölkerung massiv. Mit jeder Sparmassnahme, mit jeder regie-rungskrise, mit jedem Polit-Skandal steigt der Druck auf die Herrschenden an. Über weite Teile europas erlebten wir im letz-ten Jahr massive Protest- und Streikbe-wegungen. In Frankreich zogen sich die kampfmassnahmen der ArbeiterInnen und der Jugend über Monate hinweg und kündeten unmissverständlich das Wie-dererwachen der französischen Arbeite-rInnen an. In Griechenland fanden acht eintägige Generalstreiks statt, ende Sep-tember ein ebensolchiger in Spanien und im november in Portugal, an welchem sich laut Gewerkschaften gegen 85% der Lohnabhängigen beteiligten. Hinzu ka-men Massendemonstrationen: In Italien eine durch die roten Gewerkschaften or-ganisierte ArbeiterInnendemo, in Dublin gingen gute 100‘000 gegen die vom IWF und der eu aufgezwungenen Sparmass-nahmen auf die Strasse, in Grossbritan-nien brachten die StudentInnen ihre Wut über die „Sanierung“ des Staatshaushaltes auf ihrem Buckel lautstark und kraftvoll zum Ausdruck, usw. Die angestaute Wut beginnt sich in Massenmobilisierungen zu entladen.

Diese Auflistung von ereignissen in un-terschiedlichen Ländern, welche sich alle innert kürzester Zeit abspielten, weisen erstaunliche Ähnlichkeiten in verschie-denster Hinsicht auf. es sind alles Ab-wehrkämpfe gegen Sparmassnahmen der jeweiligen regierungen. Ob sozial-demokratisch, liberal oder konservativ, sie alle versuchen die immensen Staats-schulden auf die Lohnabhängigen abzu-wälzen. In Portugal sollen unter vielem anderem die Löhne der öffentlichen Angestellten um bis zu 10% fallen. Die irische regierung will sparen, wo sie nur

Französische Schüler gegen die rentenreform.

kann. In Grossbritannien sollen, ganz zu schweigen von der Verdreifachung der Studiengebühren, in den nächsten 4 Jahren fast eine halbe Million Stellen im öffentlichen Dienst wegfallen. Dies nur als ein paar Beispiele. Überall sind die Jungen, die rentnerInnen, die Armen und Arbeitslosen die Opfer der Sparwut. Obwohl in der Schweiz die Bürgerlichen nicht eine Schocktaktik anwenden und riesige Sparpakte auf einen Schlag be-schliessen, kennen wir das nur zu gut. Trotz der Tatsache, dass der Schweizer Staat selbst in der krise Schulden ab-bauen konnte, erleben wir tröpfchen-weise eine Aushöhlung des Sozialstaats und des Bildungswesens. So wurde al-leine im letzten Jahr versucht die Pen-sionen zu kürzen, die Arbeitslosenlei-stungen wurden, insbesondere für die Jungen, massiv verschlechtert und nun steht der abscheuliche Angriff auf die unterstützung der Invaliden bevor. re-gional wurden bereits Bildungsbudgets zusammengestrichen, die Sozialhilfe ge-kürzt und nun stehen auch noch Studi-engebührenerhöhungen vor der Tür. Die

Stunde der weitgehenden Zerschlagung des Sozialstaats, der errungenschaften der ArbeiterInnenbewegung, scheint europaweit gekommen zu sein.

Staatsschulden und kredit

Grund für die Sparmassnahmen sind für die meisten europäischen Länder in er-ster Linie die enormen Staatsschulden. Beispielsweise steht in Griechenland nach Schätzungen der OeCD ende 2010 die Staatsverschuldung bei 130,3%, in Portugal bei 83.1% des BIP. Lag die mitt-lere Staatsverschuldung in der eurozone 2008 noch bei 69.4% des eurozone-BIP, so liegt sie 2010 bei 84.7%.

Wie jeder weiss, heisst Schulden zu ha-ben, dass zuvor ein kredit aufgenom-men wurde. In der Zeit vor dem Platzen der Finanzblase war das Aufnehmen von krediten für Private wie auch für Staaten kein Problem, im Gegenteil, galt es als Allerheil-, als Wundermit-tel. Der kredit, welcher den kapitali-stischen Markt über seine natürlichen

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Grenzen hinaus ausdehnt, sollte zum eigentlich Herzstück des „Booms“ der 00er Jahre werden. Von 1995 bis 2008 stieg der kumulierte Schuldenstand (öffentlich und privat) in 10 fortge-schrittenen kapitalistischen Ländern von 200% des BIP auf 300%. So waren auch in dieser Periode die kreditbedin-gungen noch ganz gut, ja sogar zu gut, um sich nicht auch zu verschulden.

Dies sollte sich mit dem Finanzcrash und der Wirtschaftskrise drastisch ändern. Insbesondere aufgrund der düsteren wirtschaftlichen Aussichten wurde immer stärker in Frage gestellt, ob einzelne eurostaaten wie Griechen-land, Irland und andere ihre Schulden überhaupt zurückzahlen können. es kam verstärkt zu spekulativen Angrif-fen auf, einst als sichere Anlagen ge-handelte, Staatsanleihen. Als Folge da-von stiegen die Zinsen für diese rasant an, was konkret heisst, dass der kredit für Staaten wie Portugal, Spanien und auch Belgien massiv teurer wurde und damit Schulden zu machen noch teurer

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arbeiterInnenbewegung

Massendemo der CGTP in Lissabon.

geworden ist. Das massive Anwachsen der Staatsschulden in den westlichen Industrienationen ist in erster Linie den riesigen rettungspaketen für die am Abgrund stehenden Banken zu ver-danken. So wird das europäische und damit auch das globale Finanzsystem mit Garantien und Direktzahlungen von über 4.1 Billionen Dollar am Leben gehalten. Z.B. in Grossbritannien flos-

sen Zahlungen im umfang von 94.4% des BIP in die Taschen der Banken. Die dafür nötigen Schulden machen die Staaten vor allem wiederum bei den Banken, welche sich nun an den erhöhten Zinsen für Staatsanleihen weiter bereichern. ein gutes Geschäft! Für das daraus entstandene Budgetde-fizit sollen nun die britischen Lohnab-hängigen und Jugendlichen den kopf hinhalten. So findet eine drastische umverteilung des reichtums von un-ten nach Oben statt und dies durch die Staaten als Übermittler.

Limiten des kredits; Limiten der Sparmassnahmen

Grob betrachtet gibt es nur zwei Mög-lichkeiten wie die Bourgeoisie im rah-men des kapitalismus auf die soge-nannte Schuldenkrise reagieren kann; ungezügelter Sozialabbau oder wei-tere Anhäufungen von Schulden auf den wild gewordenen Staatsobliga-tionen- und Finanzmärkten. Generell wählen die europäischen Staaten die

erste Variante, die uSA die zweite. Die kreditbedingungen, sowohl für Private wie auch für die Staaten werden jedoch im euroraum immer prekärer. ein wei-teres Funktionieren auf Pump ist nicht haltbar für kapitalistische Staaten. Frü-her oder später würde dies aufgrund der hohen Zinszahlungen einfach zum Staatsbankrott, zur Intervention des IWF und zu noch einschneidenderen

Sparmassnahmen führen, wie es das Schicksal Griechenlands und Irlands brutal demonstriert.

Die kreditklemme hat indes nicht nur Auswirkungen auf die Staatsbudgets, sondern auch auf die Produktion. kre-dit hat im kapitalismus nicht bloss die oben beschriebene Funktion der künstlichen Markterweiterung, dessen konsequenz eine Überproduktionskri-se ist, wie wir sie heute erleben und bereits in anderen Artikeln ausführlich beschrieben haben. er verflüssigt im Allgemeinen die Produktion und die Zirkulation der Waren. Produktionsmit-tel (Maschinen, rohstoffe, etc.) werden grösstenteils nicht durch eigenkapital von unternehmen finanziert, sondern durch kredite. es wird oft gesagt, dass krisen eine „reinigende“ Wirkung für die Wirtschaft haben und die Spreu vom Weizen trennen. Doch die aktu-elle kreditkrise gefährdet die gesamte Wirtschaft und schliesslich geht es um die reale existenz von Millionen von Menschen.

Sparmassnahmen helfen vielleicht den Staatshaushalt wieder soweit in Ord-nung zu bringen, dass Staatskonkurse abgewendet, neue Staatsanleihen aus-geschüttet und die Finanzmärkte be-ruhigt werden können. Die wirtschaft-lichen konsequenzen des „Sparwahns“ dürften jedoch enorm sein. Der Zusam-menbruch der Inlandsnachfrage, in vie-len Ländern eine letzte verbleibende konjunkturstütze, machte bereits aus der 30er Jahre-krise eine Depression. Wenn heute die britische regierung die Mehrwertsteuer auf 20% erhöht, um das Budget aufzupeppen, kann man mit einem nachfragerückgang von über 3 Milliarden Franken rechnen. Ganz zu schweigen von den 500‘000 direkt im Staat gestrichenen Stellen und den weiteren 500‘000, welche laut den Schätzungen der britischen re-gierung, in der Privatwirtschaft durch das Sparpaket verloren gehen werden, welche wohl kaum ersetzt werden kön-nen. In Portugal wird die Mehrwert-steuer ebenfalls auf 23% erhöht, was in einem Land mit einem Mindestlohn von knapp 500 euro besonders Lohn-abhängige mit tiefen einkommen noch weiter in die Misere drücken wird. Die gemeinsame Währung, der euro, er-laubt es den regierungen nicht, die Wäh-

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rung abzuwerten um somit die exporte anzukurbeln, was für einige Staaten eine Lösung des rückgangs der Inlandnach-frage sein könnte. Da der grösste Teil des Handels innerhalb des euroraums statt-findet, half die entwertung des euros im letzten Jahr nur wenig. Vom tiefen eu-rokurs kann praktisch nur Deutschland, dank seiner auf export getrimmten und sehr produktiven Wirtschaft profitieren, der europäische Markt ist der deutschen exportmaschine aufgrund des euros so-wieso schutzlos ausgeliefert. Der einzige Ausweg für die kapitalistenInnen ist die Löhne zu drücken und so die Preise ihrer Produkte auf dem Weltmarkt zu senken, wie es zum Beispiel die Fiat-ArbeiterInnen in den Werken von Pomigliano und Mira-fiori schmerzlich erleben müssen.

Widerstand

Doch die europäer nehmen die Ver-schlechterung ihrer Lebensbedingungen nicht einfach hin. Wir erlebten in der zweiten Hälfte 2010 den Beginn einer Periode qualitativer Sprünge im klassen-kampfniveau. Die ArbeiterInnen und ihre Bewegung beginnen aus dem Schockzu-stand zu erwachen.

eine durch Schock gelähmte Person, die ihre Bewegungsfähigkeit wieder neu er-lernen muss, macht ihre ersten Schritte noch mit einer gewissen unsicherheit und Plumpheit. Fehler sind dabei unver-meidlich, doch mit der Zeit werden ihre Bewegungen immer präziser und ge-wählter, immer bestimmter und sicherer, bis sie dann auf einmal wieder Luftsprün-ge machen kann. Die ersten Schritte sind dabei die schwierigsten, aber auch die wichtigsten. erlernt man diese wieder, so wird es mit der Zeit immer einfacher, komplexere Bewegungen zu vollführen und schliesslich zu seiner vollen Bewe-gungsfähigkeit zurück zu gelangen.

Mit der ArbeiterInnenbewegung verhält es sich heute ganz ähnlich. Sie ist durch Jahrzehnte der sozialpartnerschaftlichen Politik der Führung eingerostet. Wir ha-ben oben dargestellt wie ausweglos die Situation für die kapitalistInnen ist. Der einzige Ausweg ist die volle Abwälzung der krise auf die ArbeiterInnenklasse und auf andere Mitglieder der untersten sozialen Schichten. Die ArbeiterInnen und Jugendlichen zeigen in ganz eu-ropa auf eindrückliche Art und Weise, dass sie dem eine klare Absage erteilen

wollen. Doch dafür müssen sie nicht nur wieder Gehen lernen und an, von den Gewerkschaftsspitzen ausgerufenen, De-monstrationen aufmarschieren, sondern sich auch längerfristig organisieren. er-eignisse wie in Frankreich sind wichtige erfahrungen im Prozess des Wiederer-langens der Bewegungsfähigkeit. Immer mehr ArbeiterInnen werden durch die harte Schule der ereignisse und erfah-rungen zur erkenntnis gelangen, dass sie nicht nur ihre Füsse, sondern auch ihren kopf und ihre Hände brauchen müssen. Doch dies wird kein geradliniger Prozess sein. Phasen der resignation werden sich mit Zeiten des harten kampfes abwech-seln. Wir stehen erst Anfang der sich verschärfenden klassenauseinanderset-zungen. Der klassenkampf steht zwin-gend wieder auf der Tagesordnung und er wird das kapitalistische System wieder in seinen Grundfesten erschüttern. Dann wird sich zeigen, wer letztendlich für die krise zahlt.

Magnus Meisterunia regio-Vorstand Genf

Demonstration gegen das massive Sparpaket in Irland.

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Parallel zur Zusatzfinanzierung, welche eine vorübergehende erhöhung der Mehrwertsteuer vorsieht um das Schul-denloch der IV zu stopfen, kommt jetzt die 6. IV- revision. Diese ist als Frontal-angriff auf die wehrlosesten Teile der ArbeiterInnenklasse zu werten, auf die-jenigen, welchen durch unfälle, Behin-derungen oder psychische Probleme die Möglichkeit zu arbeiten verwehrt bleibt.16‘000 rentnerInnen sollen dabei ihre Lebensgrundlage verlieren. Vor allem Menschen mit Schmerzsymptomen, psychischen Problemen und neu auch SchleudertraumapatientInnen soll die rente entzogen oder verweigert wer-den. Dies widerspiegelt einen generel-len Missbrauchsverdacht gegenüber Menschen mit schwer nachweisbaren Leiden. Dies ist für die Betroffenen, wel-che zum Teil über Jahre hinweg für eine rente gekämpft haben ,eine gewaltige Belastung sowohl psychisch als auch finanziell und gesellschaftlich, da sie in solchen Situationen auf sehr brutale Art und Weise zu spüren bekommen, wie wenig sie als Menschen dem bürger-lichen Staat wert sind, sobald sie nicht mehr erwerbsfähig sind.

Die Illusion der Wiedereinglie-derung

Die Idee hinter der revision ist diese Menschen wieder ganz oder teilweise in den Arbeitsmarkt einzugliedern. Was sich auf dem Papier gut anhört ist in der realität viel komplexer. Die IV geht bei ihren entscheidungen von einem mo-dellhaften ausgeglichenen Arbeitsmarkt aus, in welchem Arbeitsstellen genau nach der Vorstellung der IV und Mög-lichkeiten der rentnerInnen zur Verfü-gung stehen. Das dies nicht der Fall ist, ist offensichtlich. Gleichzeitig sollte auch klar sein, dass nach einigen Jahren der Arbeitsunfähigkeit die Wiedereingliede-

rung in den meisten Fällen illusorisch ist. Dazu kommt noch, dass mit den neuen regelungen vielen die rente unrecht-mässig entzogen wird, weil ihre Behin-derung nicht mehr als solche akzeptiert wird. Die Behindertenorganisationen fordern die Schaffung von Anreizen für unternehmen, damit diese Behinderte einstellen, oder sogar von Quotenrege-lungen, anstatt des grösstenteils sinn-losen und sehr teuren Wiedereingliede-rungsapparates der IV. Diese Forderung kann man unterstützen, sie birgt jedoch die Gefahr einer „Behindertisierung“ von Menschen durch die unternehmen um Quoten zu erfüllen und Vorteile zu er-schleichen.

Sogar bestehende renten werden gekürzt

Auch diejenigen, welche auch weiter-hin eine rente erhalten, wurden bei den kürzungen nicht vergessen. So soll beispielsweise bei einer 50%igen Invali-dität künftig nur noch 37.5% der rente ausgerichtet werden. Die kinderrenten sollen um beinahe die Hälfte gesenkt werden. und erst ab 80% erwerbsun-fähigkeit soll Anspruch auf eine ganze rente bestehen. Solche Schweinereien sind grundsätzlich abzulehnen.

Weniger neue renten dank abhängigen Ärzten

Zusätzlich soll auch die Zahl der neuen renten abnehmen. Dies führt vor allem zu einem grossen Druck auf die zustän-digen Ärzte. Die IV Überprüfungsstellen sind private „unabhängige“ kliniken und Institute, deren umsatz zum Teil bis zu 90% aus Aufträgen der IV bestehen. Diese Verknüpfung führt dazu, dass die Ärzte im Sinne der IV entscheidungen fällen müssen oder aber Gefahr laufen, die Aufträge der IV zu verlieren.

Die versprochene unabhängigkeit ver-kehrt sich in ihr Gegenteil und entpuppt sich als ausgesprochene Abhängigkeit. es ist klar, dass eine staatliche Überprü-fungsstelle, unter kontrolle der Behin-dertenverbände als einzige diese Auf-gabe fair ausführen könnte. Denn wer hat mehr Interesse daran, Missbrauch zu verhindern als die Betroffenen selbst während gleichzeitig das Verständnis für die Situation dieser Menschen gewähr-leistet wäre.

Wir als MarxistInnen wehren uns vehe-ment gegen jegliche Angriffe auf die errungenschaften der ArbeiterInnen. ein Angriff auf die IV ist ein abscheuliches Manöver, weil es auf eine schwache Min-derheit abzielt. Wir müssen uns gemein-sam zur Wehr setzen und solidarisch für die rechte der Behinderten kämpfen. nicht nur weil jede einzelne ein potenti-eller IV- Bezüger ist, sondern weil wir nur gemeinsam solche Angriffe abwehren können. Die europaweite Dreistigkeit der Bürgerlichen führt uns wieder ein-mal vor Augen, warum ein internationa-ler, solidarischer kampf der einzige Weg ist, unsere errungenschaften zu vertei-digen und unseren Lebensstandard zu verbessern.

Florian eschmannJuso Sektion Winterthur

Das Sparpaket, jetzt auch behindertentauglich!Im Zusammenhang mit der europaweiten Attacke auf soziale errungenschaften der ArbeiterInnenklasse, die im Spar-wahn den Schwächsten unserer Gesellschaft die Lebensgrundlage zu entziehen versucht, kommt jetzt auch die Invali-den Versicherung (IV) unter den Hammer der bürgerlichen Scharfrichter.

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Demo in Bern gegen 6. IV- revision

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Demo in Bern gegen 6. IV- revision

WeF 2011 - neue realitäten, alte Ängsteende dieses Monats werden sich wie jedes Jahr die Mächtigsten der Mächtigen in Davos treffen, um ihre Anliegen zu diskutieren. Die ungefähr 2500 kapitalistInnen werden geschützt und abgeschottet von der restlichen Bevölkerung ihre Angelegenheiten untereinander klären. Doch was wird hinter diesen Mauern des Palastes diskutiert?

„The World economic Forum is an in-dependent international organization committed to improving the state of the world by engaging business, po-litical, academic and other leaders of society to shape global, regional and industry agendas.“

Dies zumindest ist das erste, was man auf der Webseite des WeFs lesen kann. Zu Deutsch heißt das ungefähr: „Das WeF ist eine unabhängige internatio-nale Organisation mit dem Ziel, die Si-tuation der Welt zu verbessern, indem Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und andere Führer der Gesellschaft glo-bale, regionale und industrielle Pro-gramme ausarbeiten.“ Seit der Grün-dung des WeFs 1971 wird das Wef Jahr für Jahr durch die klasse der Bourgeoi-sie und ihre Lakaien dominiert. Wes-sen Situation wollen diese Leute denn nun verbessern? es wird wohl kaum diskutiert, wie man hungerleidenden Menschen in Afrika oder von Seuchen heimgesuchten Leuten in Haiti helfen könnte. Vielmehr geht es darum, dass sich die besitzende klasse ihre Profi-te sichern und in letzter konsequenz das wirtschaftliche System am Leben erhalten kann. Folglich ist es für die-se Menschen auch logisch, kürzungen bei den sozialen errungenschaften der letzten Jahrzehnte zu machen.

Das vergangene Jahr war in allen west-lichen Ländern geprägt von scharfen Angriffen auf den Lebensstandard der ArbeiterInnenklasse, um die krise auf deren Schultern abzuladen. Doch die arbeitende Bevölkerung ist am erwa-chen. riesige Streiks und Demons-trationen erschütterten europa. Die Bourgeoisie ist nun gezwungen, ei-nerseits einen Weg zu finden um die politische Situation unter kontrolle zu halten, anderseits um die Staats-

schulden abzubauen und den gerin-gen Zwischenaufschwung der Welt-wirtschaft zu erhalten.

neue realitäten, alte Ängste

Das diesjährige WeF steht unter dem Motto „Shared norms for the new re-ality“, was soviel heißt wie „Gemein-same richtlinien für die neue realität.“ Die neue realität zeichnet sich gemäß WeF- TeilnehmerInnen durch drei Hauptaspekte aus: eine immer kom-plexer werdende globale Vernetzung, den Fakt, dass die westliche Wirtschaft noch immer stockt, während die asi-atische Wirtschaft weiterhin wächst und die so genannten „risiken“, na-mentlich die politische Instabilität auf dem ganzen Planeten.

um dieser Situation zu begegnen braucht es „shared norms“, die im kreise des WeF als gemeinsame Ver-haltensrichtlinien verstanden werden. Man will diskutieren, wie man dieser neuen realität einheitlich begegnen soll. Wirtschaftlich will man gemein-sam den Westen ins Trockene ziehen. unter den europäischen Wirtschafts-führerInnen wird es nicht zuletzt da-rum gehen, wie man sich gegenüber den asiatischen Märkten behaupten kann. konflikte innerhalb der herr-schenden klasse, besonders in einer krisenzeit, werden nicht zu verhin-dern sein, was auch ein Gesprächsthe-ma am diesjährigen WeF sein wird.

es wird von einer politischen Insta-bilität geschrieben, welcher es ge-meinsam entgegenzutreten gilt. Da-bei handelt es sich insbesondere um eine Zusammenarbeit zwischen den bürgerlichen Staaten und den Wirt-schaftsführern, welche ihre gemein-samen Interessen gegen die mehr und

mehr unzufriedene Bevölkerung ver-teidigen müssen. Die Bevölkerungen verschiedener europäischer Staaten wehren sich auf der Strasse gegen Sparpakete und kürzungen. Die regie-rungen gehen in der regel vehement und gewaltsam dagegen vor. Ganz be-stimmt wird auch das Vorgehen gegen politische Demonstrationen disku-tiert werden, ebenso wie der Fall, dass eine regierung oder letztendlich das System das Vertrauen der Menschen verliert. Dies gilt aber nicht nur für die von Streiks und Demonstrationen erschütterten Staaten in europa, denn auch die imperialistischen Interessen der Wirtschaftsmächte sind in Ge-fahr, wenn revolutionen in einzelnen Staaten beginnen. Insbesondere das jüngste Beispiel in Tunesien zeigt, wie sich innerhalb von wenigen Wochen oder Tagen die Situation dramatisch verändern kann. Die globale Sicher-heit muss gegen solche „politische Zwischenfälle“ behauptet werden, sodass die herrschende klasse weiter ihre Profite schreiben kann.

„Wir erleben eine sehr komplexe und vernetzte Welt, in der bestehende Werte zu bröckeln beginnen und das Vertrauen in Wirtschaft und Politik stetig schwindet. Wir steuern auf eine Zeit politischer Instabilität zu“, wie es auf der Webseite des WeF zu lesen ist. Doch noch immer können oder wollen diese Menschen nicht einsehen, dass sie selbst die ursache für den wach-senden unmut der Bevölkerung sind. Lassen wir sie es wissen!

Patrick WaltherJuso Sektion Zürich unterland

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ungebremster Höhenflug der VolksverhetzerDie SVP gewinnt seit Jahren mit ausländerfeindlichen Parolen Abstimmungen und Wahlen. Dieser nationalistischen Hetze scheint niemand etwas entgegensetzen zu können. Was sind die Gründe hinter diesem anhaltenden Sieges-zug?

„Ivan S., Vergewaltiger. Bald Schwei-zer?“ Mit dieser Frage warb die Schwei-zerische Volkspartei (SVP) auf ihren Plakaten im Abstimmungskampf um die umstrittene Initiative zur Aus-schaffung krimineller AusländerInnen. knapp 53% der Schweizer Stimmbür-gerInnen stimmten für die Initiative, die zur Folge hat, dass Menschen, wel-che in diesem Land leben, arbeiten und wohnen vor dem Gesetz schlech-ter behandelt werden als ihre Schwei-zer kollegInnen.

Die Hetze gegen AusländerInnen hat anscheinend einen neuen Höhepunkt erreicht. Diesen eindruck bekommt man spätestens seit in der Schweiz per Volksabstimmung ein Minarett-Bau-verbot in der Bundesverfassung fest-geschrieben wurde (ein Werk über die unveräusserlichen Bürgerrechte und -pflichten, welche das Fundament des Schweizer Staates darstellen sollte).

rechtspopulistische Ideen und Par-teien wie die SVP haben anscheinend Hochkonjunktur und das nicht erst seit der Weltwirtschaftskrise. Auch bildet die Schweiz mit dieser entwicklung keineswegs eine Ausnahme, haben doch Parteien wie die VPÖ (Volkspar-tei) in Österreich, die PVV (mit Geert Wilders) in der niederlande oder die Tea-Party-Bewegung in den uSA in den letzten Jahren einen extremen Zulauf erreicht, dies nur um einige Beispiele zu nennen. Die Frage stellt sich nun, was ist die ursache dieser doch beun-ruhigenden entwicklung?

Das allmähliche Verebben des nach-kriegsbooms und das einsetzen ei-

ner langfristigen wirtschaftlichen Stagnation in den 90er Jahren führte unaufhaltsam zu Angriffen auf die erkämpften Sozialwerke und rech-te der ArbeiterInnenklasse. Vor allem die gesellschaftlich Schwächsten, wie rentnerInnen, Behinderte und Migran-tInnen hatten unter den kürzungen zu leiden. Politisch wurde dies durch rechtspopulistische Propaganda ge-rechtfertigt: Warum auch sollte der hart arbeitende Bürger die Sozialschmarot-zer und kriminellen AusländerInnen mittels Steuergeldern finanzieren? Dies wurde durch den tendenziell sin-kenden Lebensstandard der unteren Mittelschicht noch verstärkt. Gezielt wurden die Ängste und Frustration dieser Menschen kanalisiert und ge-gen die Schwächsten der Gesellschaft gerichtet.

es ist also durchaus kein Zufall, dass seit Jahren immer mehr reaktionäre Strömungen und Parteien Anklang in der Bevölkerung finden. Durch die krise wurde dieses Phänomen sogar noch beschleunigt. So führten die teils begründeten teils geschürten existenzängste zumindest teilweise zu konservativem (protektionistischem) und nationalistischem Gedankengut. Beispielsweise ist die rechtsbürger-liche SVP mittlerweile mit rund 29% die wählerstärkste Partei in diesem Land. Dies obwohl sie die härteste Ver-fechterin der Interessen der obersten Zehntausend ist. Sie predigt schran-kenlose wirtschaftliche Ausbeutung durch die unternehmerklasse, Steuer-senkungen für reiche, die Abschaffung des sozialen Sicherungssystems und die reduzierung des Staates auf seine

Infrastruktur, Militär und Polizei. Ob-wohl die vom Grosskapital finanzierte Partei also offensichtlich die Interes-sen der reichen und Mächtigen ver-tritt, schafft es die SVP sich als Vertre-ter des „kleinen Mannes“ aufzuspielen und so grosse Teile des Mittelstandes als Wählerschaft zu gewinnen. Viele Linke verzweifeln geradezu ab diesem Widerspruch und hegen bisweilen Aus-wanderungsabsichten.

erfolgsfaktoren der rechten Bewegung

neben dem ultraliberalen Wirt-schaftsprogramm, mit welchem sie der traditionellen Wirtschaftspartei der Schweiz, der Freisinnig-demokra-tischen Partei (FDP), schon lange den rang abgelaufen hat, führen vor allem andere Faktoren zum erfolg der SVP und anderen rechtspopulistischen Par-teien.

Zentral sind die Beschwörung eines Heimatgefühls und die Schaffung ei-ner künstlichen nationalen einheit. ureidgenössische Mythen wie die der neutralität und der Schweiz als Hort der wahren Demokratie werden he-raufbeschworen. Sinnbilder dieser gekünstelten Schweizer Identität sind beispielsweise der plakative Gebrauch von Schwingerfesten, kuhglocken und vor allem der Schweizer Fahne.

In einer komplexen, globalisierten Welt und angesichts wirtschaftlicher Zukunftsängste wirkt diese Illusion ei-ner „heilen Welt“ auf die Gemüter ins-besondere der Landbevölkerung und

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des kleinbürgertums.

Die wohl wichtigste komponente des erfolges von rechtkonservativen Par-teien ist die rassistische Hetze gegen AusländerInnen und die Fremdenfeind-lichkeit. Sündenböcke für alles was schief läuft auf dieser Welt, sind Men-schen ohne entsprechenden Pass. nach dem Motto „Sie nehmen uns die Arbeit weg, drücken unsere Löhne, vergewal-tigen unsere Frauen und verprügeln unsere kinder“.

So wird der Bevölkerung des jeweiligen Landes vorgegaukelt, die sozialen, wirt-schaftlichen und politischen Probleme seien die Schuld von MigrantInnen. Ideologisch wird dies nach wie vor mit der pseudowissenschaftlichen Herab-setzung von anderen nationalitäten, religionen und kulturen gerechtfertigt. Die Weltwoche, das inoffizielle SVP-Parteiblatt, z.B. titelte unlängst: „Xeno-phobie (Fremdenangst) ist vernünftig und hält gesund“. Darauf folgt ein Arti-kel, welcher seitenlang die alles andere als neue These durchleuchtet, dass wir „Fremde“ meiden, weil diese unser Im-munsystem mit fremden krankheitser-regern infizieren könnten.

ein weiterer erfolgsfaktor von SVP und konsorten ist die gespielte Wut gegen das establishment. Je nach Lust und Laune sind das die „Classe Politique“, Hochschulprofessoren oder Staatsan-gestellte. Während der Wirtschaftskrise kamen aus populistischen Gründen so-gar kurze Zeit die Banker in das Visier der SVP. Dabei gibt es in der Schweiz keine Partei, welche mehr im Filz von undurchsichtigen Wirtschaftsver-bänden, Verwaltungsräten und Offi-ziersklubs fest hängt und somit mehr zum establishment gehört.Gepaart mit einem straff organisierten Parteiapparat und schier unermess-lichen Geldquellen ergibt das eine er-folgreiche kombination.

nationalismus hat System

Die These, dass die herrschenden Ideen die Ideen der herrschenden klasse sind, gehört zu der Grundeinsicht des wis-senschaftlichen Sozialismus. Die Herr-schaft des Bürgertums ist ein Faktum in den kapitalistischen nationen und somit auch die Dominanz der nationa-

listischen kultur. es reicht nicht, den nationalismus nur aus moralischen Gründen zu verurteilen. um ihn zu ver-stehen, muss man auch die Systematik und die Gesetzmässigkeiten dahinter betrachten.

Die wichtigste Funktion des rassismus ist die Spaltung der arbeitenden klas-se untereinander. Solange die Illusion aufrecht erhalten werden kann, dass der wahre Feind mein ausländischer Arbeits- oder Schulkollege ist, komme ich nicht auf die Idee, meine Wut und Frustration gegen den Chef zu richten, der mich ausbeutet.

Die Ausbeutung der arbeitenden Be-völkerung durch das Privateigentum an den Produktionsmitteln (rohstoffe, Werkzeuge, Maschinen) stellt einen hemmenden Faktor für den weiteren menschlichen Fortschritt dar. Doch gibt es noch einen weiteren gern verges-senen hemmenden Faktor im kapita-lismus, der nationalstaat. Zwar verliert der nationalstaat in wirtschaftlichen Boomzeiten zunehmend an Bedeutung, was zu einem relativen „ökonomischen Internationalismus“, also zu einer Öff-nung der nationalen Grenzen führt, doch bleibt er durch die immer noch bestehenden Interessengegensätze der einzelnen Länder bestehen. Ausserdem haben die im kapitalismus notwen-digen zyklischen krisen den gegentei-ligen effekt. Die Staaten versuchen ihre Banken zu retten und die heimischen unternehmen mit konjunkturpaketen vor dem Bankrott zu bewahren. Folglich wachsen die Feindseligkeiten unter den einzelnen Ländern wieder. Protektio-nistischen Massnahmen (Schaffung von Wettbewerbsvorteilen für die heimische Wirtschaft) werden ergriffen, es kommt zum Handelskrieg. Die nationale Frage steht wieder auf der Tagesordnung. Die nationalen MachthaberInnen brauchen den nationalismus um ihre untergebe-nen für ihre Interessen zu mobilisieren und um zu verhindern, dass sich das Volk gegen sie richtet, schlimmstenfalls sogar international für ihre Interessen kämpft. Das zeigt sich beispielsweise in der Polemik um das Lohndumping. Die Bürgerlichen beschuldigen niedrig-qualifizierte MigrantInnen die Löhne zu drücken. Sind es nicht vielmehr die un-ternehmerInnen, welche die notsituati-

on von nichtschweizerInnen ausnützen und im Beispiel der Schwarzarbeit ille-galerweise sogar von deren rechtlosig-keit profitieren, um die Lohnkosten zu senken?

klasse gegen klasse

es bringt lediglich wenig, über den mo-mentanen erfolg von nationalistischen Bewegungen und deren erfolge zu jam-mern und sich dagegen zu empören. Im internationalen rahmen betrachtet kann man auch keineswegs von einem tendenziellen rechtsrutsch sprechen, dass wäre eine völlig einseitige Sicht der Dinge. Vielmehr findet eine, durch die krise verstärkte, radikalisierung der Mittel- und unterschicht statt. Die Ge-sellschaft polarisiert sich zunehmend.

nichtsdestotrotz müssen wir die aktu-ellen rechtspopulistischen Tendenzen ernst nehmen. ein grosser Teil des er-folges von Parteien wie der SVP ist der Schwäche und dem Versagen der Linken anzulasten. es stellt sich vielmehr die Frage, was dagegen unternommen wer-den kann. Der ideologischen Dominanz der nationalistInnen müssen wir unsere eigenen Ideen und Visionen entgegen-setzen. Dem konstruierten Gefühl von Heimat müssen wir selber kollektive erfahrungen und ein Gefühl von Gebor-genheit, Sicherheit und Solidarität in unseren Parteistrukturen und unseren Organisationen entgegenhalten.

In den Teppichetagen der Multinatio-nalen konzerne sitzen kapitalistInnen aus aller Herren Länder in vollkom-mener einstimmigkeit nebeneinander. In praktisch jedem Betrieb arbeiten Lohnabhängige der verschiedensten nationalitäten miteinander. es ist ei-gentlich offensichtlich, dass in allen wichtigen und tiefgründigen gesell-schaftspolitischen Fragen die Seiten anhand von klassenpositionen bezo-gen werden. Auf die Spaltung der Ar-beiterInnenklasse antworten wir darum mit der klassensolidarität und dem In-ternationalismus.

Daniel FlückigerGewerkschaftssekretär unia Winterthur

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Das jüngste Winterchaos bei der Deut-schen Bahn und anderen deutschen ei-senbahnen hat in manchen köpfen ein erstaunliches „umdenken“ ausgelöst. So diagnostiziert Verkehrsminister ramsauer (CSu) „jahrelange Sparpoli-tik und renditedruck”. kaufmännische Ziele hätten die Interessen der Fahrgä-ste in den Hintergrund gedrängt.

Auch mehrere Landesregierungen se-hen die massiven einsparungen bei Mensch und Material in einen Zusam-menhang mit dem geplanten Börsen-gang der Deutschen Bahn (DB). DB-Chef Grube gibt sich nachdenklich. Privatisierungskritik gehört jetzt in weiten kreisen fast schon zum guten Ton. In der Tat hat das Winterchaos viel mit den umstrukturierungen und Spar-massnahmen der Bahn zu tun, die seit 1994 von dem Ziel der Börsenfähigkeit diktiert wurden. So wurde das Schie-nennetz immer mehr zurück gebaut und es verschwanden immer mehr Bahnhöfe und Überholungsgleise, um die kosten von Instandhaltung und In-standsetzung zu reduzieren. Alte Tech-nik, die über Jahrzehnte funktionierte, wurde gegen hoch entwickelte Technik ersetzt, die aber nur bei normalen Wit-terungsverhältnissen funktioniert.

Aber auch der Fahrzeugbestand ist ein grosses Problem, nicht nur wegen der Instandhaltungs- und Instandsetzungs-kosten, die immer mehr zurückge-fahren werden. So werden Instandhal-tungsintervalle immer mehr gestreckt und die regelmässige Zuführung in die Werkstätten erfolgt in immer grös-serem Abstand. kleinere Schäden sind keine Gründe mehr, um die Fahrzeuge

den Werkstätten zuzuführen. Aber auch die hohen Anschaffungskosten wegen des überalterten Fahrzeugbe-stands werden immer mehr zur ko-stenfalle und der Druck der DB AG auf die Wirtschaft zur Senkung der kosten für neufahrzeuge steigt. Das ergebnis sieht man im tatsächlichen Leben. So überhitzen die Fahrzeuge im Sommer und vereisen im Winter, Hauptsache, sie werden immer leichter und billiger.

kostensenkungen um jeden Preis

Die Auswahl der Manager der Deut-schen Bahn AG erfolgte zunehmend auf der Basis der Hörigkeit und nicht un-bedingt nach dem können. So gehört es zum Tagesgeschäft, Manager von einem unternehmensbereich der DB AG in einen anderen unternehmens-bereich der DB AG zu versetzen. Auch holt man sich immer wieder Manager, die die eisenbahn nicht kennen und nicht verstehen. Hier geht es nur da-rum, in kurzer Zeit grosse Gewinne zu erwirtschaften, um die kapitalmarktfä-higkeit zu erreichen. So vermeldete die deutsche Bahn 2009 einen Gewinn von 1.68 Mrd. euro.

Das einsparen von energiekosten hat einen wichtigen Stellenwert. So wer-den die klimaanlagen so eingestellt, dass sie nur bei normalen Wetterbedin-gungen gut funktionieren. Technische einrichtungen wie Weichenheizungen wurden aus kostengründen jahrelang ausgebaut. Wo sie noch vorhanden sind, können sie vielfach bei Frost nicht mehr richtig arbeiten. Schade, dass sich das Wetter nicht an die Be-

triebswirtschaft anpasst! Der Perso-nalbestand geht immer mehr zurück. Man möchte immer mehr Betriebsteile bzw. unternehmensbereiche ausglie-dern. So versucht man seit Jahren mit immer mehr Druck, die Produktivität zu steigern und gleichzeitig die ein-kommen zu reduzieren. So behauptet man, dass man sich an die Industrie und den Mittelstand anpassen müsse, um “wettbewerbsfähig” zu werden. Da werden unternehmensbereiche perso-nell so zurück gefahren, dass diese ihre Aufträge nicht erfüllen können. Diese schreiben wiederum die Arbeiten aus und Billigfirmen bekommen den Zu-schlag, diese wiederum beschäftigen dann wieder irgendwelche Subunter-nehmen. Das ergebnis kennen wir ja. Denn es zeigt sich, dass die Übertra-gung von Aufgaben an Sub- und Sub-Sub-unternehmen dem Chaos natür-lich nicht gerecht wird. Fremdfirmen, die in milden Wintern mit pauschalen Aufträgen zum Schneeräumen gut ver-dient haben, sind total überfordert, so-bald viel Schnee fällt.

Hinzu kommt eine mangelhafte ein-weisung, wobei etwa Fremdfirmen mit dem „räumen von Weichen“ beauf-tragt werden und dann nur die Schwel-len und nicht die Weichenteile freige-räumt werden. Oder noch schlimmer: Wie kurz vor Weihnachten in köln kann es hier zu tödlichen unfällen kommen. Überall sahen wir zugeeiste Bahnsteige, Schienenwege, Weichen und Wege. reisende und Pendler kommen nicht mehr rechtzeitig zu ihren Arbeitsstel-len, Züge können nicht oder nur mit grossen Verspätungen gefahren wer-den. Durch die strikte Aufteilung in Ge-

Winterchaos und BörsenwahnDie deutsche Bahn (DB) ist mittlerweile eines der grössten Transportunternehmen der Welt. Die Liberalisierungen des Schienenverkehrs in der europäischen union erlaubten der DB immer grössere Anteile des europäischen Schienenver-kehrs zu dominieren. Gleichzeitig stehen die Pläne zur Privatisierung seit langem fest. es gilt die DB dafür fit zu machen. Diesen Winter zeigten sich wieder einmal deutlich die Folgen dieser Politik.

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schäftsbereiche gibt es kein übergrei-fendes Handeln mehr, weil jede Firma innerhalb des konzerns Deutsche Bahn nur an sich denkt. So können etwa ran-gierer oder Instandhaltungspersonal nicht kurzfristig zum Weichenreinigen bei DB netz eingesetzt werden.

ein weiteres Problem ist die verstär-kte Zentralisierung. ein Fahrdienst-leiter (Fdl), der eine ganze Strecke steuert, hat keinen Blickkontakt über die Schneeentwicklung im Weichen-bereich. entscheidungen werden am grünen Tisch fernab getroffen. es gibt keine reserven bei Loks und Wagen, keine entlastungszüge. Hinzu kommen technische Probleme etwa mit Achsen. neue Lokbaureihen fallen wegen „Flug-schnee“ aus.

eiertanz um die Privatisie-rung

Angesichts dieser Probleme fordern nun viele Landesregierungen, SPD und die Spitze unserer eisenbahn- und Ver-kehrsgewerkschaft eVG den Verzicht auf die Abführung von 500 Millionen euro rendite der Deutschen Bahn AG an den eigentümer Bund zugunsten einer Verbesserung der Infrastruktur. Das ist gut gemeint und klingt gut. es greift aber zu kurz. Denn solange es

beim Auftrag des eigentümers an die DB-Manager bleibt, den konzern für den Börsengang umzubauen, werden auch Milliardenspritzen das Übel nicht beheben. Grube und Co., die kürzlich für knapp drei Milliarden euro den bri-tischen Bus- und Bahnkonzern Arriva aufgekauft haben, träumen weiter vom Börsengang, von halsbrecherischer expansion zum weltbeherrschenden „Global Player“. Bei ihnen ist das Geld in den falschen Händen.

Das System Schiene wird durch die Jagd nach Wettbewerbsfähigkeit und den kostendruck zu Lasten von Be-schäftigten, kunden und Sicherheit auf Dauer zu Grund gerichtet. es eignet sich nicht als Versuchskaninchen für Liberalisierung, Zerschlagung und Pri-vatisierung. Ohne eine Aufhebung des Bundestagsbeschlusses von 2008 über den Börsengang und ohne eine Behe-bung des von privatisierungswütigen Managern seit 1994 angerichteten massiven Flurschadens sind weitere Chaostage in heissen Sommern und kalten Wintern vorprogrammiert.

Lassen wir uns nicht von den Worten mancher Politiker einlullen und wie-gen wir uns nicht in der trügerischen Hoffnung, dass der Börsengang der Bahn über viele Jahre nicht mehr auf

der Tagesordnung steht. Denn schon melden sich wieder Privatisierungs-lobbyisten zu Wort. So verlangt die Frankfurter Allgemeine (FAZ), hinter der einflussreiche Herrschaften aus der deutschen Wirtschaft stecken, in ihrer Ausgabe vom 12. Januar 2011 einen neuen Privatisierungsvorstoss: „Bei der, von der Wirtschaftskrise gut erholten Bahn könnte angesichts des Finanz-bedarfs die Idee des Teilverkaufs eine zweite Chance bekommen. Wenn es taut, sollten die zurückgestellten Priva-tisierungsdebatten mit neuem Leben erfüllt werden.“

Jetzt ist die eVG am Zuge. Sie hat die Chance und die Pflicht, den jahrelan-gen eiertanz um eine klare Haltung zur Privatisierung zu überwinden, die Dinge beim namen zu nennen und sich uneingeschränkt gegen jede Form der Privatisierung und Zerschlagung der Deutschen Bahn zu positionieren.

www.bahnvonunten.de

Selbst nur ein bisschen Schnee ist zu viel für die DB. Der Zugverkehr stand praktisch still.

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Ganz zentral ist die Frage, was für eine Bildung das unmittelbare umfeld, die Familie, genossen hat. eltern, die selber eine hohe Ausbildung oder ein Studium absolviert haben, richten für ihre kin-der ein umfeld ein, welches man als „bil-dungsnah“ bezeichnet. Das kind hat die Möglichkeit viele erfahrungen zu machen, welche die schulischen kompetenzen för-dern. Zum Beispiel hat es schon viel kon-takt mit Schrift, da die eltern viele Bücher besitzen und den umgang mit solchen pflegen. Sie wissen, dass es wichtig für das kind ist, kindergerechte Bücher zu kaufen. ein kind aus einem bildungsfernen Haus-halt lernt ganz andere kompetenzen im Vorschulalter. Zum Beispiel im Bereich der Motorik, also der Bewegungserfahrungen. eine türkische Mutter, die mit ihrem kind türkisch spricht, kauft dem kind kaum ein deutsches Bilderbuch. Vor allem kinder mit Migrationshintergrund erleben in der Bildung eine starke Benachteiligung, da sie oft mit geringen Sprachkenntnissen im Deutsch in das Schulsystem eintreten. Zu-dem ist das Bildungsniveau vieler eltern, die aus einem anderen Land stammen verglichen mit erwachsenen, die aus der Schweiz stammen, tiefer.

Quartierschulen

Verstärkt wird die Benachteiligung durch die Quartierschulen. In den Städten erle-ben wir eine starke Trennung der Häuser und Wohnungen der unterschiedlichen sozialen klassen. es bilden sich Wohn-quartiere oder Stadtteile der reichen und Superreichen heraus, die ihre kinder in die nahegelegene Quartierschule schicken. Dort treffen sich kinder aus der gleichen Schicht, mit einem eher bildungsnahen umfeld. Von diesen kindern wird nur schon durch die eltern erwartet, dass sie

später studieren und einen Beruf erlernen, welcher hohes Ansehen hat und viel Geld einbringt.

In einem anderen Wohnquartier, mit vie-len billigen Blockwohnungen, wohnen überwiegend Familien mit Migrationshin-tergrund und Menschen, die nicht genug finanzielle Mittel haben, um sich ein Haus zu leisten. Sie schicken ihre kinder eben-falls in die Quartierschule, in welcher diese auf gleichgestellte kinder treffen. es findet kaum ein Austausch zwischen diesen bei-den Quartierschulen statt, was zu einer radikalisierung der Chancenungleichheit führt und immer mehr richtung Zweiklas-sensystem geht. Auf dem Land ist diese radikalisierung der Quartierschulen sehr viel weniger zu beobachten, da meist nur eine Schule für das ganze Dorf existiert.

Individuelle Faktoren

Die Bildungsbenachteiligung erstreckt sich aber nicht nur über den klassen- oder So-zialstand, sondern hat auch mit individu-

ellen Faktoren des kindes zu tun, wie zum Beispiel dem Geschlecht. Wir be-haupten zwar, dass Männer und Frauen in der Schweiz gleich behandelt werden und gleich-gestellt sind, doch dies entspricht kei-neswegs den Tat-sachen. Durch das immer noch herr-schende rollenbild der typischen Frau, bzw. des typischen Mannes, projizie-

ren wir erwartungen an die Mädchen, bzw. knaben. Diese erwartungshaltungen beeinflussen die Chancen der kinder massgeblich. Im Allgemeinen wird von Mädchen erwartet, dass diese Aufgaben seriös, sorgfältig und genau erledigen und somit bessere Leistungen erzielen. Das führt dazu, dass Mädchen für die gleiche Leistung schlechtere noten bekommen als die knaben. Andersherum ist die er-wartungshaltung an Mädchen, dass diese zum Beispiel mathematische Aufgaben schlechter verstehen. Diese erwartung, man könnte auch sagen diese Prophezei-ung, führt zu einer Selbsterfüllung. Die selbst erfüllende Prophezeiung (self-full-filling-Prophecy nach robert k. Merton: Damit ist gemeint, dass eine erwartung deswegen eintritt, weil man sie erwartet hat) erkennt man auch in der erwartungs-haltung an ein kind aus einer bestimmten Schicht. Von einem kind aus einer unteren Schicht wird weniger erwartet. Somit zeigt sich, dass die erwartungshaltung in der Bildung einen grossen einfluss hat.

„Ich bin kosovare und schlecht in der Schule“ Seit der einführung der Volksschule versuchen die Menschen ein Bildungssystem zu schaffen, in welchem alle kinder die gleichen Chancen auf die gleiche Bildung haben. Die Schule soll die kinder bilden und erziehen, sodass diese ein funktionierender Teil der Gesellschaft werden. Mit dem Schulobligatorium, welches seit 1873 in der ganzen Schweiz gilt, wurde jedem kind die Chance auf Bildung ermöglicht. Man kann aber keinesfalls von einer Chancengleichheit innerhalb des Schulsystems sprechen. Wir erleben im Gegenteil eine ganz klare, systematische Bildungsbenachteili-gung. Spätestens seit der PISA-Studie (Studie der OeCD, welche die internationalen Schulleistungen untersucht) ist klar, welche kinder benachteiligt sind: kinder mit Migrationshintergrund oder kinder aus einem bildungsfernen Fami-lienhaushalt.

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Bildungsbenachteiligung an uni-versitäten und Hochschulen

Zentral für den Schulerfolg ist auch das Geld. Die Studiengebühren, kosten für Bü-cher, eine Wohnung in der nähe der uni-versität, bez. einer Hochschule oder die kosten für die Öffentlichen Verkehrsmittel, sowie das Geld für den Lebensunterhalt sind entscheidend. Wer zwar Potential für ein Studium hat, sich aber das eben ge-nannte nicht leisten kann, wird kaum ein Studium beginnen können. es ist zwar möglich, ein Stipendium zu erhalten und sich so das Studium einigermassen finan-zieren zu können, doch diese Chance ist gering. Wo ist hier also die Fairness?

Gerade die Frage nach den Studienge-bühren ist im Moment sehr aktuell. Der Staat versucht im Bildungswesen zu spa-ren, was sich negativ auf die Chancen-gleichheit auswirkt. Werden die Studien-gebühren noch mehr erhöht, können sich immer weniger junge erwachsene das Stu-dium leisten.

Tatsache ist, dass es uns nicht überrascht, wer Chancen im Bildungssystem hat und wer nicht. Wir sehen die Schule als einen Teil des wirtschaftlichen Systems, welches unsere Gesellschaft und unser Zusam-menleben und Wirken in ihr bestimmt. Die Schule kann mit einem Spiegel verg-lichen werden, welcher diese Verhältnisse

reproduziert. Deshalb ist auch klar, dass kinder von Lohnabhängigen selbst wie-der Teil dieser klasse, kinder von Intellek-tuellen selbst wieder studieren und die kinder der Besitzenden grosse erben und viel Vermögen antreffen werden. Dass die so genannte soziale Durchlässigkeit, bzw. Chancengleichheit nicht existiert, wurde oben konkret erläutert. Die Schule kann nicht isoliert von der Gesellschaft be-trachtet werden und somit wird die Frage der Chancengleichheit zu einer Frage der Gleichheit in unserer Gesellschaft.

rahel GerberJuso Sektion Thurgau

reaktionen zum Artikel „Ich bin Marxistin“ Wir als Funke bedanken uns herzlich für all die positiven reaktionen auf den veröffentlichten Artikel im Tagesanzeiger. es ist sehr motivierend zu sehen, dass gerade in solch turbulenten Zeiten eine marxistische Perspektive wieder An-klang findet. Wir möchten deshalb eine kleine Auswahl der reaktionen hier abdrucken

Welch eine Freude für mich deinen wun-derbaren Text lesen zu können! er bestä-tigt mir: Der Marxismus ist nicht tot, wie das bürgerliche Schreiberlinge wahrha-ben wollen, er lebt, und junge kämpfe-rInnen wie du eine bist, werden ihn auch in Zukunft lebendig halten. Ich bin über 90 Jahre alt, was mich jedoch nicht daran hinderte, für eure wichtige Initiative 1:12 unterschriften zu sammeln und euch- trotz meiner bescheidenen rente- auch finanziell zu unterstützen. es würde mich freuen, wenn du meinen Politbericht „Be-gegnung mit dem Teufel“ kritisch lesen und mir danach- falls das möglich zu ma-chen wäre- schreiben würdest, was du von diesem Text hälst. Dein urteil ist mir wich-tig. (Zur Zeit liegt der Bericht im Chronos Verlag, Zürich.)

Von Walter kern

Wow: Dein Artikel hat mich überrascht, gefreut und zum ehrlichen Staunen ge-bracht! Mit dem Inhalt deiner Ausfüh-rungen über die Gedankenwelt von Marx, engels und Hegel hast du geschafft, was ich seit Jahren in endlosen und deprimie-renden Diskussionen vergeblich versuche; nämlich die komplizierten Zusammenhän-ge aus marxscher Philosophie, Geschichte

und neuzeit in eine allgemeinverständ-liche Sprache zu packen. klasse! respekt für deinen Mut!Man(n) wird dir wohl so einiges vorwer-fen: jugendliches rebellentum, Schwarz-Weiss- Denken, unerfahrenheit und na-türlich wird, trotz deiner klaren Worte in diesem Punkt, die DDr und der Stalinismus ordentlich mit Marxismus und Sozialismus vermischt.Lass dich davon nicht aus dem konzept bringen! es braucht mehr kämp-ferinnen wie dich!

von Matthias

Ich habe deinen Bericht gelesen und war beeindruckt von deiner Weltansicht. es ist schön zu wissen, dass es noch Leute gibt, die das Wesen des Sozialismus rich-tig interpretiert haben und für den Huma-nismus einstehen. Ich stamme aus einer jugosalvischen Partisanen Familie, worauf ich sehr stolz bin. Mein Grossvater Zvonko Invankovic Vonta, war einer der ersten Wi-derstandskämpfer seiner Zeit und kämpfte mit meiner Grossmutter im 2. Weltkrieg gegen Fremdherrschaft und den Faschis-mus, für einen Vielvölkerstaat Jugoslavien. Als sich kroatien aus dem Staatenbund Jugoslavien verabschiedete, setzte er sich für die Minderheiten und Aussenseiter im

Lande ein und machte sich viele Feinde, im damaligen Chaos.Als ich deinen Text gelesen habe, fand ich vieles darin, was mir mein Grossvater auf den Weg gegeben hat. er sagte immer: „Marin, toleriere nie ungerechtigkeit, egal wie unbedeutend sie auch für andere sein mag. Setze dich immer für die ein, die sich nicht wehren können.“In diesem Sinne, wünsche ich dir alles gute auf deinem Weg.

von Marin

Gerade habe ich deinen Artikel gelesen und bin begeistert! Toll geschrieben, herr-lich provokativ und endlich mal wieder jemand aus unserer Generation, der sich getraut etwas Sinnvolles zu sagen! Ich ma-che die Matura auf dem erwachsenenbil-dungs-weg und bin deshalb gerade erst so richtig mit Sozialismus, Marxismus etc. in kontakt gekommen. In 3 Jahren will ich ein Studium in Inter-nationalen Beziehungen in Genf begin-nen. Hoffentlich treffe ich dort auch auf so wortgewandte und intelligente Mitstu-dentinnen wie dich!

von Angelina