Frank Tönjes. Das Recht an fremdem Boden file12 LokaLes Sonnabend, 1. Juni 2019 · Nr. 126...

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LOKALES Sonnabend, 1. Juni 2019 · Nr. 126 12 Sonnabend, 1. Juni 2019 · Nr. 126 13 LOKALES Das Recht an fremdem Boden VON ANNA PAARMANN Lüneburg. 70 Quadratmeter, ver- teilt auf drei Etagen, haben Die- ter und Birgit Haupt für sich. Eine Tages aus ihrem mit Efeu be- wachsenen, verwinkelten Reihen- haus im Bellmannskamp wegzu- ziehen, können sich die beiden nicht vorstellen. „Die Nachbar- schaſt funktioniert hier sehr gut“, sagt der 62-Jährige und schiebt gleich einen zweiten Grund hin- terher: „Die Lage ist absolut toll. Wenn wir draußen einen Rotwein trinken möchten, erreichen wir die Schröderstraße innerhalb von fünf Minuten zu Fuß.“ Darüber, dass die Häuserreihe aus roten Backsteinen, in der das Ehepaar lebt, in den 20er-Jahren gebaut wurde, der Standard des- halb nicht mehr der beste ist, sieht es freimütig hinweg. Was aber durchaus immer wieder The- ma ist: Bei dem Grund und Bo- den, auf dem sich das Zuhause der Lüneburger befindet, handelt es sich um ein Erbbaurechts- grundstück. Das bedeutet: Die 460 Quadratmeter gehören ihnen nicht. Eigentümer ist der Hospi- talfonds St. Benedikti, die ältes- te Stiſtung der Klosterkammer Niedersachsen. Dieter Haupts‘ Erbbaurechts- vertrag hat 100 Jahre auf der Uhr, er hat ihn von seiner Muer ge- erbt. Es handelt sich um ein fast schon historisches Dokument, ein Schriſtstück der ersten Stun- de. So wurde die gesetzliche Grundlage für das Recht, auf fremdem Boden zu bauen, im Jahr 1919 geschaffen – also ziem- lich genau heute vor 100 Jahren. Führt Dieter Haupt sich vor Au- gen, wie gering der Betrag war, den seine Muer damals an den Hospitalfonds entrichtet hat, ist ihm nicht gerade zum Lachen zu- mute. „Wir zahlen heute unge- fähr fünfmal so viel wie meine Muer“, sagt der Mann, dem im- mer klar war, dass auf seine Frau und ihn eines Tages eine „signifi- kante Kostensteigerung“ zu- kommt. Denn er hat sich gut in- formiert, bevor er in den Vertrag eingestiegen ist. Dazu gehört das Wissen darüber, dass der Erbbau- zins alle fünf Jahre angepasst wird. Inflationsbedingt. Birgit und Dieter Haupt sind froh darüber, dass sie die monat- liche Summe trotz der Erhöhun- gen immer ohne große Probleme auringen konnten. Denn sie wissen, dass dieses Privileg nicht jeder hat. „Wir stellen immer wie- der mit großer Dankbarkeit fest, dass wir uns das Wohnen leisten können. Das ist ein Geschenk.“ Auch bei Familie Haupt häe das alles anders aussehen kön- nen: Im vergangenen Jahr wäre der Pachtvertrag des Ehepaars ei- gentlich ausgelaufen – ein Da- tum, das viele Erbbaurechtsneh- mer verstreichen lassen. Dass es dazu nicht kam, lag daran, dass die Klosterkammer im Jahr 2013 das Gespräch gesucht und auf die Option der vorzeitigen Verlänge- rung aufmerksam gemacht hat. Lange überlegen mussten die Haupts nicht, sie wollten ihr Zu- hause nicht verlieren. Sie erneu- erten das Erbbaurecht also. Aller- dings zu einem doppelt so hohen Kurs. Seitdem fühlen sich der gebür- tige Lüneburger, der in einer Stra- ße in der unmielbaren Nachbar- schaſt aufgewachsen ist, und sei- ne Frau, die vor einigen Jahren ihr Haus in Hamburg für die Idyl- le in Lüneburg aufgegeben hat, si- cher. Über viele Jahre hinweg war die Gewissheit, dass der Vertrag „ ja irgendwann ausläuſt“, mit gro- ßen Existenzängsten verbunden. Schon allein wegen dieser Unsi- cherheit kann Dieter Haupt ei- nem Eigentumsgrundstück viel abgewinnen. „Wir waren wirklich froh und erleichtert, nachdem die vorzeitige Verlängerung stage- funden hat“, sagt er und spielt nicht nur auf sein Alter, sondern auch auf das seiner Frau an. „Wir brauchen uns um unsere Zukunſt keine Sorgen mehr zu machen.“ Die nächsten Jahrzehnte sind gesichert, Dieter und Birgit Haupt können in ihrem Haus alt werden. Die Kostensteigerungen stufen sie als zumindest abseh- bar ein. Wäre der Vertrag ausge- laufen, häe das ganz anders aus- sehen können. Denn dann wären Verhandlungen nicht mehr mög- lich gewesen, die Zinshöhe sicher eine andere. „Ein Erbbaurecht ist nur so lange unproblematisch wie es läuſt. Man muss genau wissen, was man tut.“ Trotz der Kritik, die durch- klingt, findet Dieter Haupt auch in der heutigen Zeit durchaus noch das soziale Ansinnen im Erbbaurecht wieder. „Für junge Familien, die bauen möchten, ist das aus meiner Sicht sehr inter- essant.“ Denn die Kosten seien kalkulierbar – anders als bei Hy- pothekenverträgen, die über zehn oder 15 Jahre finanziert werden müssen. Denn nach Ab- lauf könne das Zinsniveau am Markt ganz anders aussehen, das Zuhause vielleicht nicht mehr ge- halten werden. Gleichwohl betont der Ingeni- eur, der täglich mit seiner Frau zum Arbeiten nach Hamburg pendelt, dass ein Erbbaurechts- grundstück auf lange Sicht nicht günstiger sei als eines, das einem gehört. So zumindest in seinem Fall. „Es ist klar, dass man im Lau- fe der Zeit den Grundstückspreis irgendwann bezahlt hat. Bei ei- nem Zins von 5 Prozent ist die Summe nach 20 Jahren schon er- reicht.“ Birgit und Dieter Haupt leben im Bellmannskamp. Sie sind dankbar dafür, dass sie sich das Erbbaurecht auch heute noch leisten können Birgit Haupt häe sich früher nie vorstellen können, ihre Heimat Hamburg eines Tages hinter sich zu lassen. Inzwischen möchte sie ihr Zuhause in Lüneburg, das sie sich mit ihrem Mann Dieter aufgebaut hat, für nichts in der Welt mehr hergeben. Foto: t&w EXPERTEN-ABEND Fragen Sie die, die es wissen müssen Erbbaurecht, sozialverträgli- ches Wohnen, Nachverdich- tung oder auch zukünſtige Preisentwicklungen bei Im- mobilien: Über diese und viele weitere Themen und Anliegen können Sie am kommenden Montag, 3. Juni, ab 19.30 Uhr im Rahmen ei- nes Experten-Abends zur Bürgerrecherche „Wem ge- hört Lüneburg?“ in der Aula der Christianischule, Thorner Straße 14, mit den folgenden Gästen sprechen und Ihre Fragen loswerden: Ulf Reinhardt, Vorstand der Wohnungsgenossen- schaſt Lüneburg Rainer Leppel, stellvertre- tender Vorsitzender des Gutachterausschusses für Grundstückswerte Friederike Bock, Dezer- nentin für Liegenschaſten bei der Klosterkammer Hanno- ver Philipp Aderhold, Anwalt und Vorsitzender des Lüne- burger Mieterbundes Oberbürgermeister Ulrich Mädge, in Vertretung für Stadtbaurätin Heike Gun- dermann Die Veranstaltung wird mo- deriert von Astrid Csuraji. „Wir brauchen uns um unsere Zukunſt keine Sorgen mehr zu machen.“ Dieter Haupt Lüneburger 2500 Erbbaurechte hat die Klosterkammer Hannover in der Region Lüneburg. 100 Jahre haben die ältesten Erbbaurechte auf der Uhr, sie wurden in Lüneburg vergeben. 1500 Hektar umfasst die Fläche, auf der die Stiſtungen der Klosterkammer insgesamt 17 000 Erbbaurechte verge- ben haben. Die meisten befinden sich in Niedersachsen. „Im Moment lacht niemand“ VON ANNA PAARMANN Lüneburg. Das Thema Erbbau- recht ist in Lüneburg ein großes. Es sind vor allem die Stiſtungen der Stadt und der Klosterkam- mer, die ihre Grundstücke ver- pachten und dafür einen Zins kassieren. Wer in den Immobili- enangeboten ein Schnäppchen findet, stolpert meist über den Hinweis, dass sich dieses auf ei- nem Erbbaurechtsgrundstück befindet. Ein Haus zu besitzen, den Grund und Boden aber nicht – das scheint heutzutage nicht mehr gewünscht zu sein. Aber ist dem wirklich so? Antworten lie- fert Frank Tönjes, Sachverstän- diger für Immobilien, im LZ-In- terview. Sind Erbbaurechtsgrundstücke noch araktiv? Frank Tönjes: Früher wurde das Erbbaurecht auf 99 Jahre ge- schaffen, gestartet ist es im Jahr 1919. Wir haben jetzt also das Problem, dass die ersten Fälle kommen, bei denen der Vertrag ausläuſt und wo die Erbbaube- rechtigten es versäumt haben, ihren Vertrag vorzeitig zu verlän- gern. Das ist dann das, was auch in der Zeitung zu lesen ist und in der Öffentlichkeit äußerst nega- tiv wahrgenommen wird. Ge- schaffen wurde diese Möglich- keit ursprünglich mal für Leute, die nicht so viel Geld haen. Dass der Preis für Wohnbauland vor 100 Jahren so viel günstiger gewesen ist, glaube ich aber nicht. Das war früher auch ein Batzen Geld, den viele Leute nicht auringen konnten. Die Situation war nur etwas anders. Inwiefern? Die Grundstücke waren einfach größer, weil viele einen Stall brauchten, um ihre zwei Schwei- ne, Hühner und Kaninchen zur Selbstversorgung halten zu kön- nen. Auch der Garten musste groß sein, weil Lebensmiel selbst angebaut wurden. Heute ist der zurzeit niedrige Zinssatz auf dem Kapitalmarkt das Prob- lem. Wenn Sie eine gute Bonität haben, bekommen Sie Geld zu ei- nem Zinssatz von ein bis einein- halb Prozent. Wenn Sie aber zur Stadt gehen und nach einem neuen Erbbaurecht fragen, wer- den derzeit vier Prozent vom Bo- denrichtwert verlangt. Das rech- net sich im Moment also gar nicht. Wieso sollte ich jährlich vier Prozent des Bodenwertes bezahlen, wenn ich das Grund- stück für eineinhalb Prozent auf dem Kapitalmarkt frei finanzie- ren kann und es mir nach 20 bis 30 Jahren dann letztendlich auch gehört? Sie sagen „im Moment gar nicht“, damit lassen Sie durch- klingen, dass sich das jederzeit ändern kann. Wenn wir ein höheres Zinsni- veau haben, kann das wieder ganz anders aussehen. Wer heut- zutage ein Grundstück in Lüne- burg für ein Einfamilienhaus kauſt, bezahlt mit Sicherheit 150 000 bis 175 000 Euro, abhän- gig von der Lage und der Größe. Wenn Sie dann noch ein Haus mit 150 Quadratmetern Wohn- fläche bauen möchten, müssen sie mit Gesamtkosten von 450 000 bis 500 000 Euro rech- nen. Diese Summe müssen Sie fi- nanzieren, das funktioniert im Moment aufgrund des niedrigen Zinsniveaus ja auch noch ganz gut. Wir haen aber auch schon Zeiten, da lagen die Zinsen bei 7 Prozent. Zinsvereinbarungen laufen meist über zehn Jahre, da- nach sind bei einer Tilgungsrate von einem Prozent erst zehn Prozent des Kredits abbezahlt. Dass ich stets dazu rate, eine ver- nünſtige Tilgung von 3 oder 4 Prozent zu nehmen, hat einen Grund: Jemand, der diese nicht hat, ist schnell wirtschaſtlich am Ende, wenn die Zinsen steigen. Dann muss plötzlich ein Vierfa- ches bezahlt werden, was dann letztlich in einer Zwangsverstei- gerung der Immobilie enden kann. Würden Sie denn sagen, dass das Erbbaurecht heute noch die sozialen Kriterien erfüllt, wegen derer es mal eingeführt wurde? Nein, ein Neuabschluss eines Vertrages zu einem Erbbauzins von 5 Prozent des Bodenwertes bei dem derzeit niedrigen Zins auf dem Kapitalmarkt hat mit sozialen Aspekten nichts, aber auch gar nichts zu tun. Hierbei handelt es sich aber nur um eine Momentaufnahme, denn ein Erbbaurecht hat in der Regel eine Laufzeit von fast 100 Jah- ren und da können auch andere Zeiten kommen. Obendrauf kommen ja noch die regelmäßigen Anpassungen des Erbbauzinses. Vor zwei, drei Jahren gab es ja die Schlagzeilen, dass Erbbaube- rechtigte, die 1000 Quadratme- ter oben am Klinikum haen, bei Erneuerung ihres auslaufenden Vertrages plötzlich jährlich 7500 Euro Erbbauzins zahlen sollten. Dass sie vorher 25 Jahre lang 390 Euro oder sogar nur 270 Euro im Jahr gezahlt haben, das stand nicht in der Zeitung. Damit der Grundstückseigentümer auch an der wirtschaſtlichen Entwick- lung teilnimmt, ist der Erbbau- zins an den Verbraucherpreisin- dex gekoppelt. Wenn sich der also um zehn Prozentpunkte ge- ändert hat, bieten die normalen Verträge die Möglichkeit, den bis dahin gezahlten Erbbauzins wie- der anzupassen. Danach muss man wieder warten bis zehn Pro- zentpunkte erreicht sind. Wie hat sich der denn entwi- ckelt? Die Baulandpreise haen in den zurückliegenden 100 Jahren überwiegend deutlich höhere Preissteigerungsraten als der Verbraucherpreisindex. Deshalb stand der Erbbauberechtigte nach 20 bis 30 Jahren Vertrags- laufzeit ganz gut da – im Ver- gleich zum aktuellen Bodenwert und einer Verzinsung von 5 oder 6 Prozent auf dem Kapitalmarkt. Im Moment lacht niemand, das ist aber dem günstigen Zinsni- veau geschuldet. Deshalb macht Erbbaurecht unter sozialen und wirtschaſtlichen Gesichtspunk- ten betrachtet gerade keinen Sinn. Zahlt jemand, der auf einem Erbbaurechtsgrundstück wohnt, über die Jahre gesehen, den Kaufpreis nicht sowieso ab? Die Einführung des Erbbau- rechts sollte seinerzeit den Woh- nungsbau fördern, indem sozial schwächer gestellten Bevölke- rungsschichten die Möglichkeit zum Bauen gegeben wurde. Man hae gleichzeitig ein Instrument zur Bekämpfung von Bodenspe- kulationen geschaffen. Aber auch unter diesen Aspekten hat der Erbbauberechtigte das Grundstück im Laufe der Zeit be- zahlt, ohne dass es ihm letztend- lich gehörte. Die Zahlung wurde nur sozialverträglich gestaltet. Lässt sich das irgendwie an Zahlen messen? Der Gutachterausschuss hat im Teilmarkt der Ein- und Zweifa- milienhaus-Grundstücke für das Jahr 2018 einen Faktor von 0,82 ermielt. Das bedeutet: Bei ei- nem Verkauf der Immobilie im Erbbaurecht lag der Kaufpreis durchschnilich 18 Prozent un- ter dem Kaufpreis, den die Im- mobilie im Volleigentum erzielt häe. Bei Doppelhaushälſten und Rei- hen- häusern sind es knapp zehn Pro- zent weniger – im Vergleich. Bei einer Eigentumswohnung liegt der Faktor bei 0,96, das sind nur vier Prozent Abschlag, also so gut wie gar nichts. Das Entschei- dende ist aber: Wir reden hier über Verträge, die noch 37 und 47 Jahre Restlaufzeit haben. Da sind Verkauf und auch Finanzie- rung relativ unproblematisch. Wenn Sie aber jetzt einen haben, der nur noch 16 Jahre läuſt, wird beides ziemlich schwierig bezie- hungsweise ist eine Finanzie- rung kaum möglich. Einen allgemeinen Faktor gibt es also nicht? Den kann man nur nehmen, wenn man ein durchschnili- ches Einfamilienhaus in durch- schnilicher Lage und eine Rest- laufzeit von 47 Jahren hat. Ist die Laufzeit noch länger, also 60 oder 65 Jahre, wird der Abschlag in der Regel geringer. Bei kürze- ren Laufzeiten wird er wesent- lich größer. Dann stehen Sie vor der Frage: Was kaufe ich da jetzt eigentlich noch? Es braucht ei- nen neuen, angepassten Vertrag. Dieser bringt unter Umständen eine wesentliche Erhöhung des Erbbauzinses mit sich und meist steht auf dem Grundstück noch eine Gebäude, das schon in die Jahre gekommen ist. All dieses bedarf einer genauen Überle- gung und einer guten fachlichen Beratung, wenn man nicht in eine Zwickmühle geraten will. Also, Ihr Ratschlag? Es ist jedem zu empfehlen, recht- zeitig von der Option, den Ver- trag zu verlängern, Gebrauch zu machen. Nur so kann man es halbwegs sozialverträglich für sich lösen. Denn wenn der Ver- trag abgelaufen ist, wird es schwierig und man hat keinen Handlungsspielraum mehr. Bei Beendigung des Erbbaurechts durch Zeitablauf, ohne Verlänge- rung oder Neuvertrag, wird der Erbbaurechtsnehmer in der Re- gel vom Erbbaurechtsgeber ent- schädigt. Die Summe beläuſt sich in der Regel auf zwei Driel des gemeinen Wertes, also anteiliger Verkehrswert des Wohnhauses. Der Erbbaurechtsgeber erhält also ein Driel geschenkt und da der Erbbauberechtigte vertrag- lich verpflichtet ist, das Gebäu- de jederzeit in einem guten Zu- stand zu halten, ist ein Driel unter Umständen eine Menge Geld. Wann sollte man denn über eine Verlängerung nachden- ken? Schon bei einer Restlaufzeit von 35 Jahren sollte sich der Erbbau- berechtigte ernsthaſte Gedanken über die Zukunſt seiner Immobi- lie machen, dann hat er noch alle Optionen. Die Stadt und die Klosterkammer, die ja hier in der Region die großen Erbbaurechts- geber sind, haben in der Regel kein Interesse daran, die Erbbau- rechte zu entschädigen, um sie dann wieder neu zu vergeben. Das ist nicht unbedingt deren Geschäſtsmodell. Aber der Ver- trag sieht es nun mal so vor, wenn er abgelaufen ist. Ich hat- te erst neulich den ersten Fall, bei dem ich eine solche Entschä- digung ermieln musste. Erbbaurecht – ist das ein Konzept, das in der heutigen Zeit noch funktioniert? Immobilienexperte Frank Tönjes analysiert die Lage DATENSCHUTZ Umgang mit persönlichen Daten Wir behandeln die Daten nach den Regeln der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) mit großer Sorgfalt. Wenn Bürger der LZ ge- genüber persönliche Infos preisgeben, kön- nen sie sicher sein, dass diese dem Schutz des Redaktionsgeheimnisses unterliegen. Wir veröffentlichen keine Daten über einzelne Ei- gentümer. Unser Fokus liegt auf der Eigentü- merstruktur in Lüneburg und auf den Her- ausforderungen, die sich im Wohnungsmarkt zeigen. Wir werden auch keine Informationen veröffentlichen, die uns zugeschickt wurden, also Mietverträge, Nebenkostenabrechnun- gen oder andere private Dokumente, die Sie uns als Beleg für Ihren Eintrag zu einem Ei- gentümer anvertrauen. INTERVIEW Wichtig ist der Bodenwert Die Klosterkammer ist der größte Erbbaurechtsausgeber in Deutsch- land, ihr gehören auch die meisten dieser Flächen in der Region Lüne- burg. Auf die Fragen der LZ antwor- tet Pressesprecherin Kristina Wei- delhofer. Was für ein Flächenanteil von Lüneburg gehört der Klosterkammer? Der Anteil an Flächen bewegt sich im unteren einstelligen Bereich. Eine genauere Auswertung ist uns nicht möglich, da wir keinen Zugriff auf Katasterdaten von Fremdgrund- stücken haben. Nicht alle Flächen sind zu Erbbaurecht vergeben. So gibt es einzelne Flächen, die in der Vermietung oder Verpachtung sind. Der weitaus größte Teil und insbe- sondere die Baulandflächen im Stadtgebiet sind zu Erbbaurecht ver- geben. Ist die Nachfrage nach neuen Erbbaurechten noch groß? Die Nachfrage nach Grundstücken ist allgemein hoch. Erbbaurechte werden laufend neu vergeben. Jüngst wurde in Walsrode ein gan- zes Baugebiet zu Erbbaurecht an einzelne Bauwillige vergeben. Wie hoch ist der jährliche Erbbauzins? Der Erbbauzins ist abhängig vom Bodenwert zum Zeitpunkt der Be- stellung des Erbbaurechtes. Durch die langen Vertragslaufzeiten sind die zugrunde gelegten Bodenwerte sehr unterschiedlich und damit auch der jährlich zu zahlende Erbbauzins pro Quadratmeter. Die sehr alten Verträge haben Erbbauzinsen von zum Teil weniger als einem Euro pro Quadratmeter und Jahr. Neuere Ver- träge in Lüneburg können je nach Lage durchaus bis zu acht Euro be- inhalten. Werden Verträge in der Regel verlängert, wenn sie auslaufen? Die von der Klosterkammer verwal- teten Stiſtungen bieten an, Verträge vorzeitig zu verlängern. Dies ist ins- besondere notwendig, um die Be- leihbarkeit zu erhalten oder zu er- höhen. Verkauſt werden die Grund- stücke nicht. Die Klosterkammer hat als Stiſtungsverwaltung den Auf- trag, das Stiſtungsvermögen zu wah- ren und zu mehren. ap NACHGEFRAGT Frank Tönjes. ANLEITUNG Zusammen recherchieren: So geht‘s Wem gehört Lüneburg? Auf unserer Plaform www.wemgehoert- lueneburg.de können Sie der LZ-Redaktion mieilen, ob Sie selbst in Ihrer Immobilie wohnen, ob Sie diese vermieten oder ob Sie zur Miete leben. Dann wüssten wir gern, wem die Wohnung oder das Haus gehört. Damit wir Ihre Angaben auch überprüfen können, ist es wichtig, dass Sie einen Beleg hochladen. Das kann zum Beispiel ein Grund- bucheintrag sein, genauso aber auch eine Kopie oder ein Scan Ihres Mietvertrags. Wir hoffen auch, dass Sie uns Ihre Geschichte er- zählen, sowohl positive als auch negative Erlebnis- se mit uns teilen. Nur mit Ihrer Hilfe und den gewonnenen Daten sind wir in der Lage, ein neues Bild der Stadt zusam- menzusetzen und zu recherchieren, wo sich Missstände zeigen. Dies ist eine Kooperation der Landeszeitung mit dem gemeinnützigen Recherchezentrum Correctiv. Weitere Infor- mationen finden Sie im Internet auf der Seite www.correctiv.org. WEM GEHORT L u NEBURG? Grafik: LBS 2017, Quelle: Das Haus

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Das Recht an fremdem Boden Von AnnA PAArmAnn

Lüneburg. 70 Quadratmeter, ver-teilt auf drei Etagen, haben Die-ter und Birgit Haupt für sich. Eine Tages aus ihrem mit Efeu be-wachsenen, verwinkelten Reihen-haus im Bellmannskamp wegzu-ziehen, können sich die beiden nicht vorstellen. „Die Nachbar-schaft funktioniert hier sehr gut“, sagt der 62-Jährige und schiebt gleich einen zweiten Grund hin-terher: „Die Lage ist absolut toll. Wenn wir draußen einen Rotwein trinken möchten, erreichen wir die Schröderstraße innerhalb von fünf Minuten zu Fuß.“

Darüber, dass die Häuserreihe aus roten Backsteinen, in der das Ehepaar lebt, in den 20er-Jahren gebaut wurde, der Standard des-halb nicht mehr der beste ist, sieht es freimütig hinweg. Was aber durchaus immer wieder The-ma ist: Bei dem Grund und Bo-den, auf dem sich das Zuhause der Lüneburger befindet, handelt es sich um ein Erbbaurechts-grundstück. Das bedeutet: Die 460 Quadratmeter gehören ihnen nicht. Eigentümer ist der Hospi-talfonds St. Benedikti, die ältes-te Stiftung der Klosterkammer Niedersachsen.

Dieter Haupts‘ Erbbaurechts-vertrag hat 100 Jahre auf der Uhr, er hat ihn von seiner Mutter ge-

erbt. Es handelt sich um ein fast schon historisches Dokument, ein Schriftstück der ersten Stun-de. So wurde die gesetzliche Grundlage für das Recht, auf fremdem Boden zu bauen, im Jahr 1919 geschaffen – also ziem-lich genau heute vor 100 Jahren. Führt Dieter Haupt sich vor Au-gen, wie gering der Betrag war, den seine Mutter damals an den Hospitalfonds entrichtet hat, ist

ihm nicht gerade zum Lachen zu-mute. „Wir zahlen heute unge-fähr fünfmal so viel wie meine Mutter“, sagt der Mann, dem im-mer klar war, dass auf seine Frau und ihn eines Tages eine „signifi-kante Kostensteigerung“ zu-kommt. Denn er hat sich gut in-formiert, bevor er in den Vertrag eingestiegen ist. Dazu gehört das Wissen darüber, dass der Erbbau-zins alle fünf Jahre angepasst wird. Inflationsbedingt.

Birgit und Dieter Haupt sind froh darüber, dass sie die monat-liche Summe trotz der Erhöhun-gen immer ohne große Probleme aufbringen konnten. Denn sie wissen, dass dieses Privileg nicht jeder hat. „Wir stellen immer wie-der mit großer Dankbarkeit fest, dass wir uns das Wohnen leisten können. Das ist ein Geschenk.“

Auch bei Familie Haupt hätte das alles anders aussehen kön-nen: Im vergangenen Jahr wäre der Pachtvertrag des Ehepaars ei-gentlich ausgelaufen – ein Da-tum, das viele Erbbaurechtsneh-mer verstreichen lassen. Dass es

dazu nicht kam, lag daran, dass die Klosterkammer im Jahr 2013 das Gespräch gesucht und auf die Option der vorzeitigen Verlänge-rung aufmerksam gemacht hat. Lange überlegen mussten die Haupts nicht, sie wollten ihr Zu-hause nicht verlieren. Sie erneu-erten das Erbbaurecht also. Aller-dings zu einem doppelt so hohen Kurs.

Seitdem fühlen sich der gebür-tige Lüneburger, der in einer Stra-ße in der unmittelbaren Nachbar-schaft aufgewachsen ist, und sei-ne Frau, die vor einigen Jahren ihr Haus in Hamburg für die Idyl-le in Lüneburg aufgegeben hat, si-cher. Über viele Jahre hinweg war die Gewissheit, dass der Vertrag „ ja irgendwann ausläuft“, mit gro-ßen Existenzängsten verbunden. Schon allein wegen dieser Unsi-cherheit kann Dieter Haupt ei-nem Eigentumsgrundstück viel abgewinnen. „Wir waren wirklich froh und erleichtert, nachdem die vorzeitige Verlängerung stattge-funden hat“, sagt er und spielt nicht nur auf sein Alter, sondern auch auf das seiner Frau an. „Wir brauchen uns um unsere Zukunft keine Sorgen mehr zu machen.“

Die nächsten Jahrzehnte sind gesichert, Dieter und Birgit Haupt können in ihrem Haus alt werden. Die Kostensteigerungen stufen sie als zumindest abseh-

bar ein. Wäre der Vertrag ausge-laufen, hätte das ganz anders aus-sehen können. Denn dann wären Verhandlungen nicht mehr mög-lich gewesen, die Zinshöhe sicher eine andere. „Ein Erbbaurecht ist nur so lange unproblematisch wie es läuft. Man muss genau wissen, was man tut.“

Trotz der Kritik, die durch-klingt, findet Dieter Haupt auch in der heutigen Zeit durchaus noch das soziale Ansinnen im Erbbaurecht wieder. „Für junge Familien, die bauen möchten, ist das aus meiner Sicht sehr inter-essant.“ Denn die Kosten seien kalkulierbar – anders als bei Hy-pothekenverträgen, die über zehn oder 15 Jahre finanziert werden müssen. Denn nach Ab-lauf könne das Zinsniveau am Markt ganz anders aussehen, das Zuhause vielleicht nicht mehr ge-halten werden.

Gleichwohl betont der Ingeni-eur, der täglich mit seiner Frau zum Arbeiten nach Hamburg pendelt, dass ein Erbbaurechts-grundstück auf lange Sicht nicht günstiger sei als eines, das einem gehört. So zumindest in seinem Fall. „Es ist klar, dass man im Lau-fe der Zeit den Grundstückspreis irgendwann bezahlt hat. Bei ei-nem Zins von 5 Prozent ist die Summe nach 20 Jahren schon er-reicht.“

Birgit und Dieter Haupt leben im Bellmannskamp. Sie sind dankbar dafür,

dass sie sich das Erbbaurecht auch heute noch leisten können

Birgit Haupt hätte sich früher nie vorstellen können, ihre Heimat Hamburg eines Tages hinter sich zu lassen. Inzwischen möchte sie ihr Zuhause in Lüneburg, das sie sich mit ihrem Mann Dieter aufgebaut hat, für nichts in der Welt mehr hergeben. Foto: t&w

ExPErtEn-AbEnd

Fragen Sie die, die es wissen müssen

Erbbaurecht, sozialverträgli-ches Wohnen, Nachverdich-tung oder auch zukünftige Preisentwicklungen bei Im-mobilien: Über diese und viele weitere Themen und Anliegen können Sie am kommenden Montag, 3. Juni, ab 19.30 Uhr im Rahmen ei-nes Experten-Abends zur Bürgerrecherche „Wem ge-hört Lüneburg?“ in der Aula der Christianischule, Thorner Straße 14, mit den folgenden Gästen sprechen und Ihre Fragen loswerden:

▶ Ulf Reinhardt, Vorstand der Wohnungsgenossen-schaft Lüneburg

▶ Rainer Leppel, stellvertre-tender Vorsitzender des Gutachterausschusses für Grundstückswerte

▶ Friederike Bock, Dezer-nentin für Liegenschaften bei der Klosterkammer Hanno-ver

▶ Philipp Aderhold, Anwalt und Vorsitzender des Lüne-burger Mieterbundes

▶ Oberbürgermeister Ulrich Mädge, in Vertretung für Stadtbaurätin Heike Gun-dermann

Die Veranstaltung wird mo-deriert von Astrid Csuraji.

„Wir brauchen uns um unsere Zukunft keine

Sorgen mehr zu machen.“

Dieter HauptLüneburger

2500Erbbaurechte hat die

Klosterkammer Hannover in der Region Lüneburg.

100Jahre haben die ältesten

Erbbaurechte auf der Uhr, sie wurden in Lüneburg vergeben.

1500 Hektar umfasst die Fläche, auf der die Stiftungen der Klosterkammer insgesamt 17 000 Erbbaurechte verge-

ben haben. Die meisten befinden sich in Niedersachsen.

„Im Moment lacht niemand“Von AnnA PAArmAnn

Lüneburg. Das Thema Erbbau-recht ist in Lüneburg ein großes. Es sind vor allem die Stiftungen der Stadt und der Klosterkam-mer, die ihre Grundstücke ver-pachten und dafür einen Zins kassieren. Wer in den Immobili-enangeboten ein Schnäppchen findet, stolpert meist über den Hinweis, dass sich dieses auf ei-nem Erbbaurechtsgrundstück befindet. Ein Haus zu besitzen, den Grund und Boden aber nicht – das scheint heutzutage nicht mehr gewünscht zu sein. Aber ist dem wirklich so? Antworten lie-fert Frank Tönjes, Sachverstän-diger für Immobilien, im LZ-In-terview.

Sind Erbbaurechtsgrundstücke noch attraktiv?Frank Tönjes: Früher wurde das Erbbaurecht auf 99 Jahre ge-schaffen, gestartet ist es im Jahr 1919. Wir haben jetzt also das Problem, dass die ersten Fälle kommen, bei denen der Vertrag ausläuft und wo die Erbbaube-rechtigten es versäumt haben, ihren Vertrag vorzeitig zu verlän-gern. Das ist dann das, was auch in der Zeitung zu lesen ist und in der Öffentlichkeit äußerst nega-tiv wahrgenommen wird. Ge-schaffen wurde diese Möglich-keit ursprünglich mal für Leute, die nicht so viel Geld hatten. Dass der Preis für Wohnbauland vor 100 Jahren so viel günstiger gewesen ist, glaube ich aber nicht. Das war früher auch ein Batzen Geld, den viele Leute nicht aufbringen konnten. Die Situation war nur etwas anders.

Inwiefern?Die Grundstücke waren einfach größer, weil viele einen Stall brauchten, um ihre zwei Schwei-ne, Hühner und Kaninchen zur Selbstversorgung halten zu kön-nen. Auch der Garten musste groß sein, weil Lebensmittel selbst angebaut wurden. Heute ist der zurzeit niedrige Zinssatz auf dem Kapitalmarkt das Prob-lem. Wenn Sie eine gute Bonität haben, bekommen Sie Geld zu ei-nem Zinssatz von ein bis einein-halb Prozent. Wenn Sie aber zur Stadt gehen und nach einem neuen Erbbaurecht fragen, wer-den derzeit vier Prozent vom Bo-

denrichtwert verlangt. Das rech-net sich im Moment also gar nicht. Wieso sollte ich jährlich vier Prozent des Bodenwertes bezahlen, wenn ich das Grund-stück für eineinhalb Prozent auf dem Kapitalmarkt frei finanzie-ren kann und es mir nach 20 bis 30 Jahren dann letztendlich auch gehört?

Sie sagen „im Moment gar nicht“, damit lassen Sie durch-klingen, dass sich das jederzeit ändern kann. Wenn wir ein höheres Zinsni-veau haben, kann das wieder ganz anders aussehen. Wer heut-zutage ein Grundstück in Lüne-burg für ein Einfamilienhaus kauft, bezahlt mit Sicherheit 150 000 bis 175 000 Euro, abhän-gig von der Lage und der Größe. Wenn Sie dann noch ein Haus mit 150 Quadratmetern Wohn-fläche bauen möchten, müssen sie mit Gesamtkosten von 450 000 bis 500 000 Euro rech-nen. Diese Summe müssen Sie fi-nanzieren, das funktioniert im Moment aufgrund des niedrigen Zinsniveaus ja auch noch ganz gut. Wir hatten aber auch schon Zeiten, da lagen die Zinsen bei 7 Prozent. Zinsvereinbarungen laufen meist über zehn Jahre, da-nach sind bei einer Tilgungsrate von einem Prozent erst zehn Prozent des Kredits abbezahlt. Dass ich stets dazu rate, eine ver-nünftige Tilgung von 3 oder 4 Prozent zu nehmen, hat einen Grund: Jemand, der diese nicht hat, ist schnell wirtschaftlich am Ende, wenn die Zinsen steigen. Dann muss plötzlich ein Vierfa-ches bezahlt werden, was dann letztlich in einer Zwangsverstei-gerung der Immobilie enden kann.

Würden Sie denn sagen, dass das Erbbaurecht heute noch die sozialen Kriterien erfüllt, wegen derer es mal eingeführt wurde?Nein, ein Neuabschluss eines Vertrages zu einem Erbbauzins von 5 Prozent des Bodenwertes bei dem derzeit niedrigen Zins auf dem Kapitalmarkt hat mit sozialen Aspekten nichts, aber

auch gar nichts zu tun. Hierbei handelt es sich aber nur um eine Momentaufnahme, denn ein Erbbaurecht hat in der Regel eine Laufzeit von fast 100 Jah-ren und da können auch andere Zeiten kommen.

Obendrauf kommen ja noch die regelmäßigen Anpassungen des Erbbauzinses. Vor zwei, drei Jahren gab es ja die Schlagzeilen, dass Erbbaube-rechtigte, die 1000 Quadratme-ter oben am Klinikum hatten, bei Erneuerung ihres auslaufenden Vertrages plötzlich jährlich 7500 Euro Erbbauzins zahlen sollten. Dass sie vorher 25 Jahre lang 390 Euro oder sogar nur 270 Euro im Jahr gezahlt haben, das stand nicht in der Zeitung. Damit der Grundstückseigentümer auch an der wirtschaftlichen Entwick-lung teilnimmt, ist der Erbbau-zins an den Verbraucherpreisin-dex gekoppelt. Wenn sich der also um zehn Prozentpunkte ge-ändert hat, bieten die normalen Verträge die Möglichkeit, den bis dahin gezahlten Erbbauzins wie-der anzupassen. Danach muss man wieder warten bis zehn Pro-zentpunkte erreicht sind.

Wie hat sich der denn entwi-ckelt?Die Baulandpreise hatten in den zurückliegenden 100 Jahren überwiegend deutlich höhere Preissteigerungsraten als der Verbraucherpreisindex. Deshalb stand der Erbbauberechtigte nach 20 bis 30 Jahren Vertrags-laufzeit ganz gut da – im Ver-gleich zum aktuellen Bodenwert und einer Verzinsung von 5 oder 6 Prozent auf dem Kapitalmarkt. Im Moment lacht niemand, das ist aber dem günstigen Zinsni-veau geschuldet. Deshalb macht Erbbaurecht unter sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunk-ten betrachtet gerade keinen Sinn.

Zahlt jemand, der auf einem Erbbaurechtsgrundstück wohnt, über die Jahre gesehen, den Kaufpreis nicht sowieso ab?

Die Einführung des Erbbau-rechts sollte seinerzeit den Woh-nungsbau fördern, indem sozial schwächer gestellten Bevölke-rungsschichten die Möglichkeit zum Bauen gegeben wurde. Man hatte gleichzeitig ein Instrument zur Bekämpfung von Bodenspe-kulationen geschaffen. Aber auch unter diesen Aspekten hat der Erbbauberechtigte das Grundstück im Laufe der Zeit be-zahlt, ohne dass es ihm letztend-lich gehörte. Die Zahlung wurde nur sozialverträglich gestaltet.

Lässt sich das irgendwie an Zahlen messen?Der Gutachterausschuss hat im Teilmarkt der Ein- und Zweifa-milienhaus-Grundstücke für das Jahr 2018 einen Faktor von 0,82 ermittelt. Das bedeutet: Bei ei-nem Verkauf der Immobilie im Erbbaurecht lag der Kaufpreis durchschnittlich 18 Prozent un-ter dem Kaufpreis, den die Im-mobilie im Volleigentum erzielt hätte. Bei Doppelhaushälften

und Rei-hen-häusern sind es knapp zehn Pro-zent weniger – im Vergleich. Bei einer Eigentumswohnung liegt der Faktor bei 0,96, das sind nur vier Prozent Abschlag, also so gut wie gar nichts. Das Entschei-dende ist aber: Wir reden hier über Verträge, die noch 37 und 47 Jahre Restlaufzeit haben. Da sind Verkauf und auch Finanzie-rung relativ unproblematisch. Wenn Sie aber jetzt einen haben, der nur noch 16 Jahre läuft, wird beides ziemlich schwierig bezie-hungsweise ist eine Finanzie-rung kaum möglich.

Einen allgemeinen Faktor gibt es also nicht? Den kann man nur nehmen, wenn man ein durchschnittli-ches Einfamilienhaus in durch-schnittlicher Lage und eine Rest-laufzeit von 47 Jahren hat. Ist die

Laufzeit noch länger, also 60 oder 65 Jahre, wird der Abschlag in der Regel geringer. Bei kürze-ren Laufzeiten wird er wesent-lich größer. Dann stehen Sie vor der Frage: Was kaufe ich da jetzt eigentlich noch? Es braucht ei-nen neuen, angepassten Vertrag. Dieser bringt unter Umständen eine wesentliche Erhöhung des Erbbauzinses mit sich und meist steht auf dem Grundstück noch eine Gebäude, das schon in die Jahre gekommen ist. All dieses bedarf einer genauen Überle-gung und einer guten fachlichen Beratung, wenn man nicht in eine Zwickmühle geraten will.

Also, Ihr Ratschlag?Es ist jedem zu empfehlen, recht-zeitig von der Option, den Ver-trag zu verlängern, Gebrauch zu machen. Nur so kann man es halbwegs sozialverträglich für sich lösen. Denn wenn der Ver-trag abgelaufen ist, wird es schwierig und man hat keinen Handlungsspielraum mehr. Bei Beendigung des Erbbaurechts durch Zeitablauf, ohne Verlänge-rung oder Neuvertrag, wird der Erbbaurechtsnehmer in der Re-gel vom Erbbaurechtsgeber ent-schädigt. Die Summe beläuft sich in der Regel auf zwei Drittel des gemeinen Wertes, also anteiliger Verkehrswert des Wohnhauses. Der Erbbaurechtsgeber erhält also ein Drittel geschenkt und da der Erbbauberechtigte vertrag-lich verpflichtet ist, das Gebäu-de jederzeit in einem guten Zu-stand zu halten, ist ein Drittel unter Umständen eine Menge Geld.

Wann sollte man denn über eine Verlängerung nachden-ken? Schon bei einer Restlaufzeit von 35 Jahren sollte sich der Erbbau-berechtigte ernsthafte Gedanken über die Zukunft seiner Immobi-lie machen, dann hat er noch alle Optionen. Die Stadt und die Klosterkammer, die ja hier in der Region die großen Erbbaurechts-geber sind, haben in der Regel kein Interesse daran, die Erbbau-rechte zu entschädigen, um sie dann wieder neu zu vergeben. Das ist nicht unbedingt deren Geschäftsmodell. Aber der Ver-trag sieht es nun mal so vor, wenn er abgelaufen ist. Ich hat-te erst neulich den ersten Fall, bei dem ich eine solche Entschä-digung ermitteln musste.

Erbbaurecht – ist das ein Konzept, das in der heutigen Zeit noch funktioniert?

Immobilienexperte Frank Tönjes analysiert die Lage

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IntERvIEW

Wichtig ist der

BodenwertDie Klosterkammer ist der größte Erbbaurechtsausgeber in Deutsch-land, ihr gehören auch die meisten dieser Flächen in der Region Lüne-burg. Auf die Fragen der LZ antwor-tet Pressesprecherin Kristina Wei-delhofer.

Was für ein Flächenanteil von Lüneburg gehört der Klosterkammer?Der Anteil an Flächen bewegt sich im unteren einstelligen Bereich. Eine genauere Auswertung ist uns nicht möglich, da wir keinen Zugriff auf Katasterdaten von Fremdgrund-stücken haben. Nicht alle Flächen sind zu Erbbaurecht vergeben. So gibt es einzelne Flächen, die in der Vermietung oder Verpachtung sind. Der weitaus größte Teil und insbe-sondere die Baulandflächen im Stadtgebiet sind zu Erbbaurecht ver-geben.

Ist die Nachfrage nach neuen Erbbaurechten noch groß?Die Nachfrage nach Grundstücken ist allgemein hoch. Erbbaurechte werden laufend neu vergeben. Jüngst wurde in Walsrode ein gan-zes Baugebiet zu Erbbaurecht an einzelne Bauwillige vergeben.

Wie hoch ist der jährliche Erbbauzins?Der Erbbauzins ist abhängig vom Bodenwert zum Zeitpunkt der Be-stellung des Erbbaurechtes. Durch die langen Vertragslaufzeiten sind die zugrunde gelegten Bodenwerte sehr unterschiedlich und damit auch der jährlich zu zahlende Erbbauzins pro Quadratmeter. Die sehr alten Verträge haben Erbbauzinsen von zum Teil weniger als einem Euro pro Quadratmeter und Jahr. Neuere Ver-träge in Lüneburg können je nach Lage durchaus bis zu acht Euro be-inhalten.

Werden Verträge in der Regel verlängert, wenn sie auslaufen? Die von der Klosterkammer verwal-teten Stiftungen bieten an, Verträge vorzeitig zu verlängern. Dies ist ins-besondere notwendig, um die Be-leihbarkeit zu erhalten oder zu er-höhen. Verkauft werden die Grund-stücke nicht. Die Klosterkammer hat als Stiftungsverwaltung den Auf-trag, das Stiftungsvermögen zu wah-ren und zu mehren. ap

nAcHgEFRAgt

Frank Tönjes.

AnlEitung

Zusammen recherchieren: So geht‘sWem gehört Lüneburg? Auf unserer Plattform www.wemgehoert-lueneburg.de können Sie der LZ-Redaktion mitteilen, ob Sie selbst in Ihrer Immobilie wohnen, ob Sie diese vermieten oder ob Sie zur Miete leben. Dann wüssten wir gern, wem die Wohnung oder das Haus gehört. Damit wir Ihre Angaben auch überprüfen können, ist es wichtig, dass Sie einen Beleg hochladen. Das kann zum Beispiel ein Grund-bucheintrag sein, genauso aber auch eine Kopie oder ein Scan Ihres Mietvertrags. Wir hoffen auch, dass Sie uns Ihre Geschichte er-

zählen, sowohl positive als auch negative Erlebnis-se mit uns teilen. Nur mit Ihrer Hilfe und den gewonnenen Daten sind wir in der Lage, ein neues Bild der Stadt zusam-menzusetzen und zu recherchieren, wo sich Missstände zeigen. Dies ist eine Kooperation der Landeszeitung mit dem gemeinnützigen Recherchezentrum Correctiv. Weitere Infor-mationen finden Sie im Internet auf der Seite www.correctiv.org.

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