hintergründe - WILA Arbeitsmarkt · 2014-07-04 · einsteiger mehr als willkommen sind, sich...

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arbeitsmarkt BILDUNG | KULTUR | SOZIALWESEN_50|2010 IV hintergründe A m 10. Dezember traf sich die hono- rige Gesellschaft der Nobelpreis- träger in Stockholm, um anlässlich des Todestages von Alfred Nobel vom König von Schweden die begehrten und international renommierten Auszeichnun- gen entgegenzunehmen. Überschattet wurde dieses Ereignis zweifellos von der verhinderten Teilnahme des inhaftierten chinesischen Menschenrechtsaktivisten Liu Xiaobo, dem der Friedensnobelpreis zuerkannt worden war. Relativ unspektakulär dagegen verlief die Verleihung der begehrten Auszeich- nung für den Bereich Wirtschaft. In dieser Sparte gibt es den Nobelpreis erst seit 1969. Und streng genommen ist er auch kein echter Nobelpreis, weil er nicht von Alfred Nobel selbst ins Leben gerufen wurde, sondern von der Schwedischen Notenbank. Die Preisträger waren bisher überwiegend Amerikaner und daran än- dert sich auch in diesem Jahr nicht viel. Das Preisgeld in Höhe von ca. einer Milli- on Euro erhalten in diesem Jahr die Ame- rikaner Peter Diamond (70) und Dale Mortensen (71) sowie der in London leh- rende Christopher Pissarides (62). Doch wofür gab es diese hohe Auszeichnung? Was genau haben die drei Herren für den Nobelpreis in Wirtschaft geleistet? Grundlagenforschung Das Preiskomitee teilte mit, die Forscher hätten das theoretische Fundament für so genannte „Suchmärkte“ formuliert und dabei die speziellen Eigenarten „un- vollkommener Märkte“ herausgearbeitet, bei denen Angebot und Nachfrage nicht automatisch über die Preisbildung zum Ausgleich kommen. Und als einer dieser unvollkommenen Märkte wurde insbe- sondere der Arbeitsmarkt betrachtet. In seiner Würdigung der drei Wissenschaft- ler hob das Komitee hervor, dass die Ar- beiten der Forscher dazu beitragen könn- ten, herauszufinden, wie z.B. Arbeitslosig- keit, offene Stellen und Löhne von Regu- lierungsinstrumenten der Arbeitsmarkt- und Wirtschaftpolitik beeinflusst werden. Das hört sich reichlich bekannt an. Und es ist tatsächlich so, dass hier nicht neue bahnbrechende Erkenntnisse ge- ehrt werden, sondern eher Lebenswerke. Rudolf Hickel, Professor für Wirtschafts- wissenschaft an der Universität Bremen, würdigt in der Frankfurter Rundschau vom 12. Okt. 2010 die Träger des Nobelpreises für Ökonomie auch eher verhalten. Da- mit werde die „hoch relevante Forschung über Märkte unter Berücksichtigung der zeit- und kostenaufwändigen Suche nach angemessenen Entscheidungen sowie speziell auf den Arbeitsmärkten zu Recht geehrt. Es handelt sich zwar um eine wenig spektakuläre, jedoch wichtige Forschung auch zur Reform der Arbeitsmärkte.“ Auch Hans-Werner- Sinn, IFO-Präsident in München, stellt fest, dass die seit den frühen Siebziger Jahren veröffentlichten Erkenntnisse der drei Ökonomen inzwischen traditionelle volkswirtschaftliche Lehrmeinung seien. Unvollkommene Märkte Und nach dieser traditioneller Wirt- schaftslehre finden sich auf einem voll- DER NOBELPREIS FÜR WIRTSCHAFT Ein unvollkommener Markt Nach gängigen Marktgesetzen dürfte es offene Stellen bei hoher Arbeitslosigkeit gar nicht geben. Warum das trotzdem möglich ist, erforschen drei Wissenschaftler seit vierzig Jahren. Dafür bekamen sie gerade den Nobelpreis für Wirtschaft. | Andreas Pallenberg Das Konzerthaus in Stockholm© de.academic.ru

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arbeitsmarkt BILDUNG | KULTUR | SOZIALWESEN_50|2010IV

hintergründe

Am 10. Dezember traf sich die hono-rige Gesellschaft der Nobelpreis-träger in Stockholm, um anlässlich

des Todestages von Alfred Nobel vom König von Schweden die begehrten und international renommierten Auszeichnun-gen entgegenzunehmen. Überschattet wurde dieses Ereignis zweifellos von der verhinderten Teilnahme des inhaftierten chinesischen Menschenrechtsaktivisten Liu Xiaobo, dem der Friedensnobelpreis zuerkannt worden war.

Relativ unspektakulär dagegen verlief die Verleihung der begehrten Auszeich-

nung für den Bereich Wirtschaft. In dieser Sparte gibt es den Nobelpreis erst seit 1969. Und streng genommen ist er auch kein echter Nobelpreis, weil er nicht von Alfred Nobel selbst ins Leben gerufen wurde, sondern von der Schwedischen Notenbank. Die Preisträger waren bisher überwiegend Amerikaner und daran än-dert sich auch in diesem Jahr nicht viel. Das Preisgeld in Höhe von ca. einer Milli-on Euro erhalten in diesem Jahr die Ame-rikaner Peter Diamond (70) und Dale Mortensen (71) sowie der in London leh-rende Christopher Pissarides (62). Doch

wofür gab es diese hohe Auszeichnung? Was genau haben die drei Herren für den Nobelpreis in Wirtschaft geleistet?

Grundlagenforschung

Das Preiskomitee teilte mit, die Forscher hätten das theoretische Fundament für so genannte „Suchmärkte“ formuliert und dabei die speziellen Eigenarten „un-vollkommener Märkte“ herausgearbeitet, bei denen Angebot und Nachfrage nicht automatisch über die Preisbildung zum Ausgleich kommen. Und als einer dieser unvollkommenen Märkte wurde insbe-sondere der Arbeitsmarkt betrachtet. In seiner Würdigung der drei Wissenschaft-ler hob das Komitee hervor, dass die Ar-beiten der Forscher dazu beitragen könn-ten, herauszufinden, wie z.B. Arbeitslosig-keit, offene Stellen und Löhne von Regu-lierungsinstrumenten der Arbeitsmarkt- und Wirtschaftpolitik beeinflusst werden.

Das hört sich reichlich bekannt an. Und es ist tatsächlich so, dass hier nicht neue bahnbrechende Erkenntnisse ge-ehrt werden, sondern eher Lebenswerke. Rudolf Hickel, Professor für Wirtschafts-wissenschaft an der Universität Bremen, würdigt in der Frankfurter Rundschau vom 12. Okt. 2010 die Träger des Nobelpreises für Ökonomie auch eher verhalten. Da-mit werde die „hoch relevante Forschung über Märkte unter Berücksichtigung der zeit- und kostenaufwändigen Suche nach angemessenen Entscheidungen sowie speziell auf den Arbeitsmärkten zu Recht geehrt. Es handelt sich zwar um eine wenig spektakuläre, jedoch wichtige Forschung auch zur Reform der Arbeitsmärkte.“ Auch Hans-Werner-Sinn, IFO-Präsident in München, stellt fest, dass die seit den frühen Siebziger Jahren veröffentlichten Erkenntnisse der drei Ökonomen inzwischen traditionelle volkswirtschaftliche Lehrmeinung seien.

Unvollkommene Märkte

Und nach dieser traditioneller Wirt-schaftslehre finden sich auf einem voll-

DER NOBELPREIS FÜR WIRTSCHAFT

Ein unvollkommener MarktNach gängigen Marktgesetzen dürfte es offene Stellen bei hoher Arbeitslosigkeit gar nicht geben. Warum das trotzdem möglich ist, erforschen drei Wissenschaftler seit vierzig Jahren. Dafür bekamen sie gerade den Nobelpreis für Wirtschaft. | Andreas Pallenberg

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Varbeitsmarkt BILDUNG | KULTUR | SOZIALWESEN_50|2010

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ten ihre Arbeitskraft oft auf hoffnungslos überfüllten Teilarbeitsmärkten an. Die pa-radoxe Situation, dass sogar in boomen-den Konjunkturphasen, in denen Quer-einsteiger mehr als willkommen sind, sich Arbeitgeber und Arbeitsuchende nicht wahrnehmen, lässt sich vermutlich auch über das Mortensen-Pissarides-Modell erklären, aber ändern wird sich wahr-scheinlich deshalb nichts. Interessant wäre es, die „Unvollkommenkeitsfakto-ren“ dieses komplizierten Teilarbeitsmark-tes einmal näher zu beleuchten (wie etwa im Expertisenwettbewerb „Arts and Figu-res – GeisteswissenschaftlerInnen im Be-ruf“, 2008), um aus solchen Erkenntnis-sen Reformen für die Arbeitsmarktpolitik zu entwerfen, die nicht mit Förderinstru-

menten nach Schema arbeitet und ar-beitslose Geisteswissenschaftler nicht zu-sammen mit anderen Leistungsbeziehern durch Standardbewerbungsseminare schleust. Da sind die Universitäten mit ihren Career-Services viel weiter. Sie ha-ben ihre Verantwortung erkannt, und bie-ten Veranstaltungen zum Arbeitsmarkt für Geisteswissenschaftler an, planen Work-shops zum Berufseinstieg und fördern Kontakte mit der Wirtschaft. Sie bahnen in alltäglicher Kleinarbeit den Weg, damit sich die Akteure dieses besonderen und nicht von selbst funktionierenden Arbeits-marktes finden. Aber dafür gibt es wahr-scheinlich keinen Nobelpreis.

kommenen Markt Angebot und Nachfra-ge ohne Einschränkungen. Über den Austausch von Gütern und Dienstleistun-gen bildet sich ein Preis als Indikator für die Knappheit eines Gutes. Nach diesem Mechanismus reguliert sich der Preis je-weils neu, wenn sich auf der einen oder anderen Seite der Wirtschaftsakteure et-was ändert.

Soweit die bestechende, weil einfa-che Theorie. In der Praxis sind solche vollkommenen Märkte höchstens an der Börse vorzufinden, ansonsten gibt es auf praktisch allen anderen Teil-Märkten sehr viele Unvollkommenheitsfaktoren, die das schöne Modell beeinträchtigen.

Die Tücke des Arbeitsmarktes

Überträgt man nun diese Verhältnisse auf den Arbeitsmarkt, stehen sich die beiden Pole Arbeitgeber und Arbeitnehmer ge-genüber. Beide haben etwas zu bieten. Die einen haben zu bezahlende Arbeit im Angebot, und die anderen bieten ihre Ar-beitskraft gegen Entgelt an. Über den Lohn als Preis für die Arbeit müsste sich dieser Markt theoretisch immer mehr oder weniger im Ausgleich befinden.

Aber dann kommt der Arbeitsmarkt mit seiner ganzen Tücke: Er zeigt sich – gerade aktuell – mit einer hohen Zahl offener Stellen bei gleichzeitig hoher Arbeitslosigkeit. Diese Situation dürfte es nach den klassischen Marktgesetzen gar nicht geben. Aber die Erklärung ist einfach und kompliziert zugleich: Die angebotene Arbeit kann oder will von den Arbeitslosen nicht geleistet werden. Und dafür gibt es viele Gründe. So werden vielleicht bei BMW in Bayern Hunderte vorn Arbeitern gesucht. Aber unter den zahlreichen Arbeitsuchenden sind nur ganz wenige für diesen Job qualifiziert. Und diese wollen vielleicht nicht nach Bayern, weil sie ein Haus in Mecklenburg-Vorpommern haben. Oder – und da be-teiligen sich die Nobelpreisträger wieder an der arbeitsmarktpolitischen Debatte – weil das Arbeitslosengeld vielleicht zu hoch ist. Dafür gab es den Nobelpreis.

Es kann aber auch so sein, dass Stellen nicht besetzt werden, weil Arbeitgeber nicht bereit sind, einen Mindestlohn zu zahlen und weil sie in anderen Ländern die Arbeit zu noch günstigeren Preisen haben können. Arbeitnehmer wollen und müssen ja Gott sei Dank „nicht um jeden Preis“ arbeiten.

Mis-Matching-Problem

Offensichtlich haben die beiden Pole des Arbeitsmarktes, nämlich Arbeitsuchende und Unternehmen noch einige Probleme mehr als angemessene Löhne und die Höhe von Lohnersatzleistungen. Beson-ders der akademische Arbeitsmarkt, und hier explizit der Arbeitsmarkt für

Geisteswissenschaftler/innen, hat seit Jahrzehnten ein Mis-Matching-Problem: Es gibt ein Angebot, und es gibt eine Nachfrage, aber die Akteure finden sich nicht oder nur sehr schwer. Teilweise wis-sen sie gar nicht voneinander. Arbeitgeber suchen zwar Talente, filtern das Angebot an gut ausgebildeten Absolventen aber immer noch nach traditionellen Vorga-ben, bei denen Geisteswissenschaftler trotz gesuchter Allround-Qualitäten häufig aussortiert werden. Gleichzeitig kennen arbeitsuchende Geisteswissenschaftler/innen kaum ihre Kompetenzen, die sie für viele Arbeitgeber interessant machen können. Auch sie suchen zu eng und bie-

Mis-Matching bei Akademikern – Arbeitgeber und Arbeitnehmer finden sich nicht