Soziale Arbeit im Wandel - Der WILA Arbeitsmarkt ...

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1 hrsg. vom Wissenschaftladen Bonn e.V., Buschstr. 85, 53113 Bonn [email protected], Tel. 0228/20161-15 Tipps, Berichte und zahlreiche Stellenangebote für Geistes- und Sozialwissenschaftler/innen – jede Woche aktuell. Informationen zum Abonnement unter www.wila-arbeitsmarkt.de arbeitsmarkt BILDUNG | KULTUR | SOZIALWESEN S tetig zunehmende Belastungen, Arbeitsverdichtungen, prekäre Beschäftigungsverhältnisse, Stel- lenstreichungen sowie Leistungsvergü- tungen zu Dumpinglöhnen gehören zu den Folgen einer immer stärker auf Wett- bewerb ausgerichteten Arbeitswelt. Von diesen grundlegenden Veränderungen im Berufsleben ist auch die Soziale Arbeit nicht ausgenommen. In diesem Arbeits- feld gehen Personaleinsparungen und Kürzungen jedoch immer auch direkt zu Lasten der Adressaten dieser Profession, den rat- und hilfesuchenden Menschen. „Die Beziehung zu und die gemein- same Arbeit mit Menschen steht im Mittelpunkt dieser Profession!“– so wird es zumindest im Studium der Sozialar- beit vermittelt. Experten sollen sie sein, wenn es um die Folgen von Politik und wirtschaftlicher Entwicklung oder um persönliche Krisen geht. Das erklärte Ziel professionellen sozialen Handelns ist die Vermeidung, Aufdeckung und Bewälti- gung sozialer Probleme. Soziale Arbeit will einzelne Menschen und Gruppen (insbesondere benachteiligte Men- schen) dabei unterstützen, ihr Leben im Sinne des Grundgesetzes und der Men- schenrechtskonvention selbstbestimmt zu gestalten. Aus diesem Anspruch heraus ergeben sich Tätigkeiten wie: • Beratung und Information • Befähigung/Training und Organisation von Lernprozessen (in Bildung, Ausbil- dung und Erziehung) • Behandlung (z.B. Sozialtherapie) • Vermittlung und Koordination • Betreuung/Langzeitbegleitung • Gutachterliche Stellungnahme • Interessenvertretung und politische Einflussnahme • Leitung und Führung Das grundsätzliche Motiv Sozialer Arbeit war und ist in erster Linie sachzielorien- tiert – und nicht wirtschaftlicher Art! So arbeiten Soziale Dienste und soziale Ein- richtungen als Teil der öffentlichen Wohl- fahrtspflege grundsätzlich nach dem Kostendeckungsprinzip und ohne Ge- winnerzielungsabsicht. Anders ausge- drückt: Soziale Arbeit ist nicht auf das betriebswirtschaftliche Ziel „Gewinn“ ausgerichtet, sondern überwiegend an moralisch-weltanschaulichen Zielen ori- entiert, wodurch die Soziale Arbeit in der Regel im Bereich der Non-Profit-Organi- sationen (NPOs) angesiedelt ist. Die Realität praktischer Sozialarbeit sieht jedoch anders aus: Die stetig an- wachsende Ökonomisierung entzieht dieser Profession ihre (Arbeits-)Grundla- ge! Die gravierendsten Konsequenzen für die alltägliche Handlungspraxis sind: • Zunehmendes Verwaltungshandeln (Sozialmanagement) • Kontinuierliche Zeit- und Ressourcen- verknappung • Dominanz von wirtschaftlichem Den- ken (Ökonomisierung) und Wirkungs- orientierung • Zunahme prekärer Arbeitsverhältnisse sowie schleichender Stellenabbau (Leiharbeitsverhältnisse, geringfügige Beschäftigungen in Mini- und Midi- Jobs, Honorarverträge) • Burnout als Folge von Arbeitsverdich- tung und Effizienzdruck Durch vermehrten Einfluss von Ökono- misierung und Verwaltungsarbeiten wird es für die professionell Tätigen zuneh- mend schwieriger, ihrem eigentlichen Wettbewerbsdenken und Leistungsdruck bestimmen den deutschen Arbeitsalltag. Auch in der Sozialen Arbeit nimmt dieses Denken immer mehr Raum ein. Droht dieser Profes- sion der Ausverkauf? | Isabel Borg Soziale Arbeit im Wandel TRENDS © Rainer Sturm/pixelio.de

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Stetig zunehmende Belastungen, Arbeitsverdichtungen, prekäre Beschäftigungsverhältnisse, Stel-

lenstreichungen sowie Leistungsvergü-tungen zu Dumpinglöhnen gehören zu den Folgen einer immer stärker auf Wett-bewerb ausgerichteten Arbeitswelt. Von diesen grundlegenden Veränderungen im Berufsleben ist auch die Soziale Arbeit nicht ausgenommen. In diesem Arbeits-feld gehen Personaleinsparungen und Kürzungen jedoch immer auch direkt zu Lasten der Adressaten dieser Profession, den rat- und hilfesuchenden Menschen.

„Die Beziehung zu und die gemein-same Arbeit mit Menschen steht im Mittelpunkt dieser Profession!“– so wird

es zumindest im Studium der Sozialar-beit vermittelt. Experten sollen sie sein, wenn es um die Folgen von Politik und wirtschaftlicher Entwicklung oder um persönliche Krisen geht. Das erklärte Ziel professionellen sozialen Handelns ist die Vermeidung, Aufdeckung und Bewälti-gung sozialer Probleme. Soziale Arbeit will einzelne Menschen und Gruppen (insbesondere benachteiligte Men-schen) dabei unterstützen, ihr Leben im Sinne des Grundgesetzes und der Men-schenrechtskonvention selbstbestimmt zu gestalten.Aus diesem Anspruch heraus ergeben sich Tätigkeiten wie: • Beratung und Information

• Befähigung/Training und Organisation von Lernprozessen (in Bildung, Ausbil-dung und Erziehung)

• Behandlung (z.B. Sozialtherapie)• Vermittlung und Koordination• Betreuung/Langzeitbegleitung• Gutachterliche Stellungnahme• Interessenvertretung und politische

Einflussnahme• Leitung und Führung

Das grundsätzliche Motiv Sozialer Arbeit war und ist in erster Linie sachzielorien-tiert – und nicht wirtschaftlicher Art! So arbeiten Soziale Dienste und soziale Ein-richtungen als Teil der öffentlichen Wohl-fahrtspflege grundsätzlich nach dem Kostendeckungsprinzip und ohne Ge-winnerzielungsabsicht. Anders ausge-drückt: Soziale Arbeit ist nicht auf das betriebswirtschaftliche Ziel „Gewinn“ ausgerichtet, sondern überwiegend an moralisch-weltanschaulichen Zielen ori-entiert, wodurch die Soziale Arbeit in der Regel im Bereich der Non-Profit-Organi-sationen (NPOs) angesiedelt ist.

Die Realität praktischer Sozialarbeit sieht jedoch anders aus: Die stetig an-wachsende Ökonomisierung entzieht dieser Profession ihre (Arbeits-)Grundla-ge! Die gravierendsten Konsequenzen für die alltägliche Handlungspraxis sind:• Zunehmendes Verwaltungshandeln

(Sozialmanagement) • Kontinuierliche Zeit- und Ressourcen-

verknappung• Dominanz von wirtschaftlichem Den-

ken (Ökonomisierung) und Wirkungs-orientierung

• Zunahme prekärer Arbeitsverhältnisse sowie schleichender Stellenabbau

(Leiharbeitsverhältnisse, geringfügige Beschäftigungen in Mini- und Midi-Jobs, Honorarverträge)

• Burnout als Folge von Arbeitsverdich-tung und Effizienzdruck

Durch vermehrten Einfluss von Ökono-misierung und Verwaltungsarbeiten wird es für die professionell Tätigen zuneh-mend schwieriger, ihrem eigentlichen

Wettbewerbsdenken und Leistungsdruck bestimmen den deutschen Arbeitsalltag. Auch in der Sozialen Arbeit nimmt dieses Denken immer mehr Raum ein. Droht dieser Profes-sion der Ausverkauf? | Isabel Borg

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Auftrag – der sozialen Fürsorge – nachzu-kommen. Die geduldige Ermittlung des individuellen Unterstützungsbedarfs und entsprechend angepasste Hilfe, kontinu-ierliche Begleitung, Förderung von Auto-nomie und positiver gesellschaftlicher Integration des Einzelnen kommen zu kurz. Die Folgen von Ökonomisierung und Einsparungen sind wiederum verant-wortlich für eine Vielzahl sozialer Proble-me und erschweren die Ausübung der Profession. So wird es für den Sozialpä-dagogen zunehmend schwieriger, sei-nem Auftrag als „Anwalt für den Klienten“ im Sinne einer Interessenvertretung für Menschen in Not gerecht zu werden.

Wettbewerbsverhalten

Wenn betriebswirtschaftliche Prinzipien wie Wirtschaftlichkeit und Effizienz im Kontext von Leistungsvereinbarungen Einzug in die Soziale Arbeit halten, stehen die in diesem Beruf Tätigen zunehmend in der Pflicht, ihre Legitimation durch Wir-kungskontrolle und Qualitätsdokumenta-tionen nachzuweisen. Die wachsende Ökonomisierung der Hilfeprozesse äußert sich insbesondere in einer verstärkten wettbewerblichen Organisation dersel-ben. Die Leistungen Sozialer Arbeit wer-den vielfach öffentlich ausgeschrieben, und die „Unternehmen“ müssen sich dar-aufhin bewerben. Wie in der freien Wirt-schaft bekommt auch hier der günstigere Anbieter den Auftrag. Aus diesem Grund stehen die gemeinnützigen Träger (Wohl-fahrtsverbände) vor Ort mittlerweile in Konkurrenz zueinander und stehen zu-sätzlich im Wettbewerb mit einer wach-senden Zahl an privatgewerblichen Anbie-tern sozialer Dienstleistungen. Um ihr wirtschaftliches Überleben zu sichern, stehen die Träger und Einrichtungen sozi-aler Dienstleistungen zunehmend unter dem Druck, Aufwand und Kosten einzu-sparen. Diese Sparmaßnahmen gehen in der Regel auch zu Lasten der Beschäftig-ten. Häufige Folgen sind Arbeitsverträge in Form von Befristungen, prekäre Be-schäftigungsverhältnisse (Leiharbeitsver-

ERFAHRUNGEN I

Ursula S. ist seit 14 Jahren in der statio-nären Altenhilfe tätig. Ihre Erfahrungen in ihrem Arbeitsfeld fasst sie unter dem Begriff „Arbeitsverdichtung“ zusam-men. „Alles wird schnelllebiger, und die Anforderungen durch Kontrollinstan-zen wie Heim- und Fachaufsichten werden umfangreicher.“ Insbesondere der Wandel zu mehr administrativen Aufgaben geht zu Lasten der direkten Arbeit mit den Klienten.

„Diese Arbeitsverdichtung ist nur bis zu einem gewissen Zeitpunkt und Aus-maß für den Sozialarbeiter zu bewälti-gen.“ Ursula S. weiß, wovon sie spricht. Nach 14 Berufsjahren konnte sie nicht mehr. Ihre hohen Ideale scheiterten an der Realität. Sie brauchte eine Auszeit und eine Reha-Maßnahme. Nach sechs Monaten Pause versucht sie heute mehr auf ihre individuellen Grenzen und Ressourcen zu achten.

Der Wandel, den sie in ihrem Be-rufsfeld beobachtet, ist für sie grund-sätzlich vertretbar, solange die direkte Arbeit mit den Klienten durch andere Mitarbeiter aufgefangen wird. Als wesentlichste Veränderung in ihrem Arbeitsalltag nennt sie die immer um-fangreicher werdende Dokumentation von Arbeitsvorgängen. „Heute muss al-les aufgeschrieben werden. Was nicht schriftlich erfasst wurde, gilt im Falle einer Überprüfung als nicht erbrach-te Leistung.“ Auch Überprüfungen finden heute häufiger statt. Sie sind auch Resultat von Zertifizierungen, die zum Standard bei den Einrichtungen geworden sind. So eine Zertifizierung ist sehr arbeitsintensiv und muss in regelmäßigen Abständen, zum Bei-spiel im Zweijahres-Turnus, aktualisiert

werden. Auch durch die Aufnahme von Kurzzeitpflegegästen (KZP-Gäste) ist die Arbeitsbelastung im Heimbe-reich enorm angestiegen. Dabei ist der Anteil an Verwaltungsarbeiten für jeden Heimbewohner gleichermaßen umfangreich, die Verweildauer im Heim spielt dabei keine Rolle. Ursula S. bedauert dies sehr. „Durch die zuneh-mende Bürokratisierung bleibt kaum mehr Zeit für Projekte, die Abwechs-lung in den Alltag der Heimbewoh-ner bringen könnten.“ Da heute die meisten neuen Bewohner direkt nach einem Akutereignis aus dem Kran-kenhaus ins Seniorenheim einziehen, muss beim Einzug eines Bewohners heute mehr geklärt werden als früher. Dadurch ist der administrative Anteil der Arbeit enorm angestiegen. Es gilt, schnellstmöglich eine Vielzahl von Fra-gen zu klären wie beispielsweise die Pflegestufe, die Art der benötigten Be-treuung und Fragen der Finanzierung. Die Bewohnerinnen und Bewohner, die von zu Hause in das Heim ein-ziehen, gehören inzwischen zu den Ausnahmefällen. Die Einrichtung eines Sozialdienstes in einem Seniorenheim gehört nicht zu den Standards. Das Seniorenheim stellt diesbezüglich eine Ausnahme dar. Trotz zunehmender Arbeitsverdichtung werden auch hier selbstverständlich keine Stellenaufsto-ckungen finanziert.

Rückblickend auf ihre Anfangszeit im Seniorenheim zieht Ursula S. fol-gendes Fazit: „Die personelle Ausstat-tung und das eigentliche Aufgabenfeld haben sich nicht verändert, die Arbeit ist jedoch aufwändiger und insgesamt schnelllebiger geworden.“

© Rudolpho Duba/pixelio.de

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zwischen mit zu den festen Bestandteilen eines Alltages in der Sozialen Arbeit. Ein weiterer Arbeitszeiträuber sind zusätzli-che zeitaufwändige Dokumentations- und Controlling-Tätigkeiten. Durch den Wandel der Prioritäten hin zum wirt-schaftlichen Denken mit hohem Verwal-tungsaufwand wird die Versorgung von Klienten nicht mehr alleiniger Zweck der Profession, sondern wird ein Teil davon. Insbesondere bei den privaten Anbietern sozialer Dienstleistungen steht dieses neue Denken elementar im Vordergrund, schon um das wirtschaftliche Überleben des Anbieters zu sichern. Je mehr Ar-beitszeit für bürokratisches Handeln ver-

wendet werden muss, umso weniger Ressourcen bleiben für die bedürftigen Menschen. Die Folge ist eine permanen-te qualitative Verflachung von Arbeitsin-halten.

� INTERVIEW

Krisen im Wandel

arbeitsmarkt: Frau Liebig, haben Sie im Laufe Ihrer Berufstätigkeit Verände-rungen bezüglich Ihres Tätigkeitsberei-ches der Sozialen Arbeit erfahren? Sonja Liebig: Es gibt verschiedene The-men, die in den letzten Jahren gehäuft in der Beratung vorkommen: Probleme am Arbeitsplatz (erhöhte Arbeitsbelastung, Burnout, Mobbing, Stresssymptome), fi-nanzielle Belastungen und Verschuldun-gen. Außerdem leiden immer mehr junge Erwachsene unter psychischen Erkran-kungen.

Wir arbeiten eng mit einer Einrichtung zusammen, die Jugendliche auf das Be-rufsleben vorbereitet. Die Kolleginnen und Kollegen dieser Einrichtung schil-dern, dass sich die Probleme der jungen Menschen oft von Lerndefiziten hin zu massiven psychischen Problemen ge-wandelt hätten. Darum würde für diese Zielgruppe ein ganz anderer Betreuungs-bedarf anfallen. Des Weiteren kommen verstärkt Menschen mit Traumatisierun-gen zu uns sowie Menschen, die seit langer Zeit psychisch krank sind, alle Ein-richtungen kennen und dennoch immer wieder deutlich machen, dass sie mit ih-rem Leben alleine nicht zurechtkommen. Aufgrund veränderter Familienkonstellati-onen hat auch der Anteil von Alleinerzie-henden in den letzten Jahren erheblich zugenommen. Außerdem melden sich immer mehr Menschen per E-Mail oder außerhalb des Einzugsbereiches, da sie von der Einrichtung übers Internet erfah-ren haben. Diese müssen wir an andere Stellen verweisen. Zusammenfassend kann ich sagen, dass ein erhöhter Be-ratungsbedarf besteht, gleichzeitig aber die den Beraterinnen und Beratern zur

hältnisse, geringfügige Beschäftigungen in Mini- und Midi-Jobs, Honorarverträge) und untertarifliche Bezahlungen. Es braucht nicht viel Phantasie, um sich die langfristigen Konsequenzen für eine Pro-fession auszumalen, in der der Mensch im Zentrum stehen sollte.

Arbeitsverdichtungen

Ein besonders gravierendes Problem stellt die zunehmende „Arbeitsverdich-tung“ dar. Arbeitsverdichtung bedeutet die „Steigerung von Arbeitsextensität und Arbeitsintensität im Rahmen der Ausdeh-nung des Tätigkeitsfeldes“. Sie gehört in-

ERFAHRUNGEN II

Seit knapp 25 Jahren ist Frank K. in der Migrations- und Flüchtlingsberatung tätig. Gesetzesänderungen begleiten ihn, seit er zurückdenken kann. Recht-liche Neuerungen und Sonderregelun-gen für Einzelfälle verkomplizieren und erschweren seinen Arbeitsalltag. Ohne regelmäßige Schulungen und Lektüre läuft da gar nichts. Leider fehlt dazu oft die Zeit, denn sie ist knapp. Trotzdem ist es für seine Arbeit fundamental wichtig, seinen Wissensstand in dieser Materie immer up-to-date zu halten, schon weil es oft um existenzielle Fra-gen wie Bleiberechtsregelungen oder Familiennachzugsbestimmungen geht. Seine Beobachtungen bezüglich der Veränderungen seines Arbeitsfeldes fasst Frank K. zusammen: „Der Arbeits-druck ist insbesondere in den letzten Jahren enorm gestiegen. Die Anzahl der Klienten, die ich zu betreuen habe, hat rapide zugenommen. Neueinstei-ger haben es enorm schwer, dauerhaft in diesem Bereich unterzukommen. Arbeitsverträge werden fast nur noch auf der Basis von einjährigen Befristun-gen ausgestellt und selten verlängert. Außerdem nimmt die Projektarbeit

immer mehr zu.“ Projektarbeit beinhal-tet befristete Beschäftigungsverhält-nisse über einen Zeitraum von einem Jahr bis maximal drei Jahre, die über Drittmittel wie beispielsweise EU-Gel-der finanziert werden. Über Sinn und Nutzen dieser Projekte mag Frank K. heute nicht mehr streiten. „Eine konti-nuierliche Arbeit, die den Aufbau von Perspektiven für die Klienten beinhal-tet, ist heute kaum noch möglich, da ich ständig gefordert bin, mich in die veränderten Rahmenbedingungen einzulesen. So verbrauche ich einen Großteil meiner Zeit mit der Lektüre von neuen Gesetzestexten.“ Seine Zu-kunftsprognose für die Soziale Arbeit: „Einerseits besteht steigender Bedarf an professioneller Sozialer Arbeit, da zunehmend mehr Menschen mit ih-rem beschleunigten und ökonomisier-ten Leben Probleme haben. Anderer-seits gibt es zunehmend weniger staatliche und kirchliche Mittel für die Finanzierung von Stellen in der Sozia-len Arbeit.“

Er ist deshalb ratlos und sieht keine Alternative zum täglichen Kampf für das Wohl der Klienten.

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Verfügung stehende Arbeitsstundenzahl unverändert geblieben ist.

Welche allgemeinen Veränderungen in der Berufspraxis der Sozialen Arbeit sind Ihnen in der letzten Zeit aufgefallen?In Gremien, in denen sich Kollegen zum Austausch und zu fachlichen Diskussio-nen treffen, wird immer wieder deutlich, dass die Arbeitsbelastung in den unter-schiedlichen Einrichtungen sehr hoch ist, es fehlt häufig an finanziellen Mitteln, Personal und Wohnungen. Besonders die Kolleginnen der Frauenhäuser berichten, dass sich ihre Arbeit sehr verändert hat, da sie die Frauen nicht in Wohnungen ver-mitteln können. Damit wird die Verweil-dauer im Frauenhaus sehr viel länger. Gleichzeitig gibt es viele Frauen mit Migra-tionshintergrund, die wesentlich mehr Unterstützung benötigen. Leider haben wir selten Zeit, an Sitzungen fachlicher Gremien teilzunehmen. Der Krisendienst ist Mitglied in der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention (DGS), wir konnten jedoch schon seit einiger Zeit nicht mehr an Mitgliederversammlungen und Tagun-gen teilnehmen, da sie meist in anderen Städten stattfinden und es aus Kapazitäts-

gründen nicht möglich ist, dorthin zu fah-ren. In der letzten Ausgabe der Zeitschrift „Suizidprophylaxe“ (Jg.40, 2013, Heft1), die u.a. von der DGS herausgegeben wird, wurde diese Tendenz beschrieben. An der letzten Herbstversammlung nah-men nur 25 von 293 Vereinsmitgliedern teil. Über die Gründe des Fernbleibens kann ich natürlich nur spekulieren, aber ich glaube schon, dass auch andere Kolle-gen unter Umständen ähnliche Gründe wie wir haben, wenn sie zu einer so wich-tigen Versammlung nicht erscheinen.

Auch in den regionalen Gremien der Psychosozialen Arbeitsgemeinschaft (PSAG) ist es häufig sehr mühsam, Personen zu finden, die einen Vorsitz übernehmen, da alle über eine hohe Arbeitsbelastung klagen. Für die Aus-einandersetzung mit berufspolitischen Themen bleibt also häufig keine Zeit. In Bereichen, die nachweislich einen erhöhten Bedarf haben, werden sogar noch Stellen gestrichen. Die Arbeit wird oft auch zeitaufwendiger, da für die ein-zelnen Klientinnen und Klienten mehr Anträge und Berichte (beispielsweise in den sozialpsychiatrischen Diensten) angefertigt werden müssen. Dies be-

deutet auch, dass in vielen Einrichtungen längere Wartezeiten für den einzelnen Hilfesuchenden anfallen. Wie beurteilen Sie diese Veränderun-gen?Unsere Gesellschaft wandelt sich spür-bar. Sehr bedauerlich ist, dass die Politik auf diese Veränderungen nicht eingeht. Wie sonst lässt sich der Stellenabbau im sozialen Bereich erklären? Dass soziale Arbeit nicht die einer „Feuerwehr“ ist, die immer dann eingreift, wenn es brennt (was wir oft genug natürlich tun), son-dern dass diese Arbeit kontinuierlich, meist über einen langen Zeitraum erfol-gen muss und damit natürlich Personal, Stunden und viel Energie braucht, ist im-mer wieder zu erklären, aber für viele Verantwortliche aus der Politik anschei-nend nicht nachvollziehbar. Ohne Konti-nuität in der Sozialen Arbeit, die genug Zeit und finanzielle Mittel benötigt, wer-den wir immer wieder nur kurzfristig Lö-cher stopfen, aber keine grundsätzlichen Veränderungen bewegen können. So manche Kollegin fühlt sich im Hinblick auf die Anforderungen und den stetig wachsenden Druck ausgebrannt.

Sehr zu begrüßen ist, dass inzwischen wesentlich mehr Menschen soziale An-gebote nutzen. Die „Schamgrenze“, sich einzugestehen, dass man in bestimmten Lebensbereichen Unterstützung braucht, scheint in den letzten Jahren gesunken zu sein. Es gibt auch vielfältigere Ange-bote, die Menschen in unterschiedlichen Lebenssituationen in Anspruch nehmen können. So hat eine alleinerziehende Mutter in der heutigen Zeit wesentlich mehr Möglichkeiten als noch vor 20 Jahren. Es wäre schön, wenn wir diesem erhöhten Bedarf dann aber auch verstärkt Rechnung tragen könnten.

Der Bedarf an sozialer Betreuung steigt, während die Zahl der Arbeitskräfte sinkt – Kürzun-gen und Befristungen sind die Regel

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Wie sieht Ihre Prognose für die Zukunft der Sozialen Arbeit aus?Viele Veränderungen in der Sozialen Arbeit werden nur durch politische Veränderun-gen möglich sein. Solange wir ein Sozial-staat sein wollen, werden wir immer wie-der (finanzielle) Mittel und Wege finden müssen, Menschen in ihren unterschiedli-chen Lebensrealitäten und -problemati-ken zu begleiten. Es gibt immer wieder Maßnahmen und Projekte, die mit neuer Herangehensweise versuchen, Angebote zu schaffen. Schwierig dabei ist, dass die-se Maßnahmen und Projekte meist nur befristet finanziert werden. Außerdem fließt viel Kraft und Energie in deren Bean-tragung und Erfüllung von Formalitäten.

Sehen Sie Herausforderungen, denen sich dieser Beruf Ihrer Meinung nach zukünftig zu stellen hat?Wer in diesem Beruf arbeiten und glück-lich sein möchte, müsste meiner Ansicht nach schon immer eine sehr große Profes-sionalität, Kreativität und Frustrationstole-ranz mitbringen – und hat dafür verglichen mit anderen Professionen vergleichsweise wenig Gehalt bekommen. Wir müssen in der Lage sein, aus „wenig viel zu machen“ und trotzdem auch Missstände klar erken-nen und Politikern gegenüber benennen können. Wir müssen uns trotz zeitlicher Knappheit weiter in Gremien zusammen-schließen, um auch politische Forderun-gen gemeinsam formulieren zu können. Auch die nachkommende Generation der Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen kommt nicht drum herum, sich mit berufs-politischen Themen zu befassen. Ich habe sehr häufig den Eindruck, auch durch Ge-spräche mit den FH-Praktikanten, die ich

seit 13 Jahren im Krisendienst betreue, dass politische Themen während des Stu-diums der Sozialen Arbeit keine sehr gro-ße Rolle mehr spielen. Wir werden uns stetig weiterbilden müssen, um auf die vielfältigen und sehr unterschiedlichen Problemstellungen im sozialen Bereich reagieren zu können.

Trotz der vielen schwierigen und manchmal frustrierenden Aspekte ist die-se Art der Arbeit nach wie vor mein Traum-beruf, den ich mit Leidenschaft ausübe. Dass ich dies sagen kann und dass ich die Arbeit mit Menschen in meist sehr exis-tentiellen Krisen gerne auch die nächsten Jahre weiter ausüben möchte, liegt nicht zuletzt an einem sehr gut zusammenar-beitenden Team und einer tollen Chefin, die uns fordert, fördert und uns sehr gut unterstützt. Auch eine regelmäßige Super-vision und viele Reflexionsmöglichkeiten tragen dazu bei, die Gedanken an die Arbeit nicht mit nach Hause zu nehmen. Der Krisendienst ist sehr gut vernetzt mit anderen sozialen Einrichtungen. Das erleichtert die Arbeit sehr. Der Austausch und die Zusammenarbeit mit den Kolle-gen trägt dazu bei, dass man sich nicht als Einzelkämpferin fühlt. Wenn Klienten signalisieren, dass sie durch die Beratung neue Einsichten und Stabilität gewonnen haben, dass sie Hoffnungslosigkeit gegen neue Perspektiven eintauschen konnten, dann weiß ich, dass ich diesen Beruf noch sehr lange sehr gerne machen werde.

Lösung aus der Misere

Auf Seiten der Sozialarbeiter macht sich teilweise Ratlosigkeit breit. Hinzu kommt, dass die Angst um den Erhalt der eigenen Arbeitsstelle den Arbeitsalltag immer stär-ker mitbestimmt. Berufspolitisches Enga-gement wie beispielsweise Zusammen-schlüsse in Arbeitskreisen, Gewerkschaf-

ten und Berufsverbänden sowie regiona-len Fachgruppen oder themen- und trä-gerübergreifenden Aktivitäten könnten Abhilfe schaffen. Gewerkschaftliche Zu-sammenschlüsse könnten eine entlas-tende Funktion haben, die Solidarität zwischen den Sozialarbeitern stärken und somit eine Alternative zur beruflichen Isolation sein. Als Diskussions-Plattform für aktuelle und brisante Themen könn-ten solche Zusammenschlüsse die pro-fessionellen Helfer dazu ermutigen, Missstände in die Öffentlichkeit zu brin-gen. Nach einem langen Arbeitstag feh-len jedoch oft Zeit und Energie für ein zusätzliches Engagement, selbst wenn es im eigenen Interesse ist.

Wohin sich diese Profession entwi-ckeln wird, lässt sich momentan schwer einschätzen. Werden zukünftig von chronischem Burn-Out betroffene Sozial-arbeiter mit ihren Klienten um die Reha-Maßnahme-Plätze konkurrieren müssen?

Es bleibt festzuhalten, dass diese Arbeit Professionalität, eine angemesse-ne finanzielle Ausstattung und viel Zeit braucht. So bringt es Corinna K. auf den Punkt: „Nach über zwanzig Jahren Be-rufstätigkeit: habe ich gelernt, zusätzliche Tätigkeiten und Aufgaben zu reduzieren. Es geht nicht alles in begrenzter Zeit!“

LINKS UND LITERATUR

www.dbsh.deDeutscher Berufsverband für Soziale Arbeit e.V.www.ifsw.orgInternational Federation of Social Wor-kerswww.socialnet.de

Friedrich Maus, Wilfried Nodes, Dieter Röh: Schlüsselkompetenzen der Sozi-alen Arbeit (WochenSchauVerlag) 2008Mechthild Seithe, Schwarzbuch Sozia-le Arbeit, VS Verlag für Sozialwissen-schaften, Wiesbaden, 2010

INTERVIEWPARTNERIN

Sonja Liebig ist Diplom-Sozialpädago-gin (FH) und seit 13 Jahren im Krisen-dienst Würzburg, einer Beratungsstel-le für Menschen in akuten und/oder suizidalen Krisen, beschäftigt.