Krimi-Landschaften – Heimatbezug und...

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138 Nationalatlas Bundesrepublik Deutschland – Leben in Deutschland Krimi-Landschaften – Heimatbezug und Regionalmarketing Barbara Gängler und Hans Gängler Von Nord nach Süd, von West nach Ost gibt es inzwischen kaum noch eine Landschaft, in der nicht echte oder selbsternannte Detektive die Spur loka- ler Bösewichter aufnehmen. Dabei spielt das Lokalkolorit einer Stadt oder einer ganzen Region eine gewichtige Rolle. Was einstmals Phil Marlows ver- rauchtes Hinterhaus-Büro in Los Ange- les war, ist heute ein biederes Eifeldorf, der umgebaute Bauernhof im nieder- rheinischen Niemandsland oder ein Ge- höft im Allgäu. Landauf, landab thril- lert es durch die Republik, und der Markt gibt diesem Genre Recht: Der Regionalkrimi kommt an. Eigentlich ist das nicht weiter er- staunlich. Der Kriminalroman als Gen- reliteratur bedarf eines präzisen, milieu- getreuen Realismus, um funktionieren zu können. Klassischerweise ist dieser Realismus in den großen Städten ange- siedelt. Raymond Chandler erweiterte diesen Lokal- zum Regionalbezug ver- mutlich als erster, indem er seinem pri- vate eye Phil Marlowe ganz Südkalifor- nien als Schauplatz zuwies. In Deutsch- land hat der Lokalkrimi mittlerweile ebenfalls eine beachtliche Tradition – etwa mit Autoren wie Horst Bosetzky mit seinen in Berlin spielenden Krimis oder Felix Huby, dessen griesgrämiger Kommissar Bienzle in Stuttgart und Umgebung seit den 1970er Jahren er- mittelt und Württemberger Weinen nicht abgeneigt ist. Einen Boom erleben die lokal und re- gional verorteten Krimis seit Ende der 1980er Jahre ausgehend vom Westen des Landes, irgendwo zwischen Ruhrge- biet, Niederrhein und Eifel. Zwei kleine Verlage, der Dortmunder Grafit-Verlag und der Kölner Emons-Verlag, wagten den Sprung in die kriminelle Regional- Landschaft. Jacques Berndorfs Siggi Baumeister, Journalist und Aussteiger inmitten idyllischer Eifellandschaft, hilft schon seit dreizehn Bänden der ortsansässigen Polizei ermittlungstech- nisch auf die Sprünge. In Köln weben Frank Schätzing oder Christoph Gott- wald Krimistories um den Kölschen Klüngel. Auf diesem Urgestein der Kriminal- romane mit Heimattouch entwickelten sich blühende Landschaften – quer durch die Republik wird fleißig gemor- det und betrogen, bestochen und ge- raubt. Von den Inseln im hohen Norden über traute Mittelgebirgslandschaften bis ins Allgäu gibt es kaum einen Land- strich ohne. Mittlerweile ist die Zahl der Regionalkrimis nahezu unüber- schaubar. Einschlägige Listen führen – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – über 200 Autoren und Schauplätze an (vgl. HAMMELEHLE/LINDEMANN 2005). Die Zutaten sind dabei häufig ähn- lich: Ein mehr oder weniger selbstberu- fener Ermittler, der zwar im heimatli- chen Gefüge wurzelt, aber dennoch nie den Kopf, geschweige denn den Über- blick verliert über die bisweilen heftig verfilzten Strukturen aus Sportverein und Lokalpolitik, Händlergemeinschaft und Kulturverein. Dabei ist die lokal geprägte Spürnase stets ein Mensch aus Fleisch und Blut – mit Hund und Katze, Verwandten, Bekannten und Freunden, die das soziale Netz ausmachen, dessen er sich bei der Bewältigung seiner Auf- gabe bedient und auf das er sich jederzeit und hundertprozentig verlas- sen kann. Nicht zuletzt diese Zutaten sind es, die den Regionalkrimi für die Leser at- traktiv machen. Das Pendel schlägt in beruhigender Zuverlässigkeit zwischen bekannter, kleinteiliger Übersichtlich- keit und kurzweiliger Abgründigkeit. Der Wiedererkennungseffekt bindet den Leser an die Figuren – „das ist einer von uns!“. Häufig werden mit der Präzision eines Navigationssystems Straßen, Plät- ze und ganze Wegstrecken beschrieben – der Krimi wird zum Reiseführer! Ge- fördert wird diese Identifikation mit Ideen wie den Eifelführungen à la Bern- dorf und Projekten wie dem des Autors Oliver Buslau, der nach einem Publi- kumsaufruf einige „echte“ Personen in seinen Roman einflicht und damit dem Buch eine auch für ihn unvorhergesehe- ne Entwicklung verleiht. Die Experimentierfreude der meist kleinen Verlage, die Texte junger regio- naler Autoren auch mit wenig Erfah- rung veröffentlichen, verleiht diesem Genre eine Leichtigkeit, die sich auf den Leser überträgt. Der geht gerne mit, wenn auch mal ein Buch nicht wirklich gelungen ist. Immerhin hat man etwas über eine Landschaft, eine Stadt oder ein Stadtviertel erfahren, auch wenn der Fall konstruiert oder die Sprache noch holperig wirkt. Immer wieder sind aber eben doch recht anständige, unter- haltsame, manchmal sogar beachtens- werte Entdeckungen dabei. Die Regionalbindung krimineller Ge- schichten, die Profilierung einzelner Teams im Lokalkolorit einer Stadt oder Landschaft machen nicht beim Buch Halt. Auch im Fernsehen macht der gute alte Tatort mit seiner Abbildung des föderal gegliederten Polizeiapparats Quote, der einst in der DDR verankerte Polizeiruf 110 widmet sich seit der Wende den Verbrechen quer durch die Republik, und zahlreiche weitere Serien stricken an diesem Muster mit (Der Bulle von Tölz, SK Kölsch, SOKO Leip- zig etc.) ( Beitrag Bollhöfer/Hane- winkel, S. 154). Die Heimatverbundenheit der Kom- missare, Privatdetektive und sonstigen Ermittler gibt dabei möglicherweise eine Antwort auf die fehlende Verwur- zelung der gezwungenermaßen oft sehr mobilen Zuschauer- bzw. Leserschaft. Eine Identifikationsfigur – mit Häus- chen und Garten, Nachbarn und Kehr- woche, Plausch über den Zaun oder in der kleinen Kneipe am Ende der Straße – und zugleich mit genügend Abstand und Außenkontakten, um nicht in die komplizierten Fallstricke des Provinz- klüngels zu geraten. Der Regionalkrimi erfüllt – und das scheint das Erfolgsre- zept zu sein – alle Funktionen eines zeitgenössischen Heimatromans und bildet dabei diese Heimat in jeweils spezifischer, realistischer, idealisierter oder auch den Bedürfnissen des Romans angepasster Form ab.

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138Nationalatlas Bundesrepublik Deutschland – Leben in Deutschland

Krimi-Landschaften – Heimatbezug und RegionalmarketingBarbara Gängler und Hans Gängler

Von Nord nach Süd, von West nachOst gibt es inzwischen kaum noch eineLandschaft, in der nicht echte oderselbsternannte Detektive die Spur loka-ler Bösewichter aufnehmen. Dabeispielt das Lokalkolorit einer Stadt odereiner ganzen Region eine gewichtigeRolle. Was einstmals Phil Marlows ver-rauchtes Hinterhaus-Büro in Los Ange-les war, ist heute ein biederes Eifeldorf,der umgebaute Bauernhof im nieder-rheinischen Niemandsland oder ein Ge-höft im Allgäu. Landauf, landab thril-lert es durch die Republik, und derMarkt gibt diesem Genre Recht: DerRegionalkrimi kommt an.

Eigentlich ist das nicht weiter er-staunlich. Der Kriminalroman als Gen-reliteratur bedarf eines präzisen, milieu-getreuen Realismus, um funktionierenzu können. Klassischerweise ist dieserRealismus in den großen Städten ange-siedelt. Raymond Chandler erweitertediesen Lokal- zum Regionalbezug ver-mutlich als erster, indem er seinem pri-vate eye Phil Marlowe ganz Südkalifor-nien als Schauplatz zuwies. In Deutsch-land hat der Lokalkrimi mittlerweileebenfalls eine beachtliche Tradition –etwa mit Autoren wie Horst Bosetzky

mit seinen in Berlin spielenden Krimisoder Felix Huby, dessen griesgrämigerKommissar Bienzle in Stuttgart undUmgebung seit den 1970er Jahren er-mittelt und Württemberger Weinennicht abgeneigt ist.

Einen Boom erleben die lokal und re-gional verorteten Krimis seit Ende der1980er Jahre ausgehend vom Westendes Landes, irgendwo zwischen Ruhrge-biet, Niederrhein und Eifel. Zwei kleineVerlage, der Dortmunder Grafit-Verlagund der Kölner Emons-Verlag, wagtenden Sprung in die kriminelle Regional-Landschaft. Jacques Berndorfs SiggiBaumeister, Journalist und Aussteigerinmitten idyllischer Eifellandschaft,hilft schon seit dreizehn Bänden derortsansässigen Polizei ermittlungstech-nisch auf die Sprünge. In Köln webenFrank Schätzing oder Christoph Gott-wald Krimistories um den KölschenKlüngel.

Auf diesem Urgestein der Kriminal-romane mit Heimattouch entwickeltensich blühende Landschaften – querdurch die Republik wird fleißig gemor-det und betrogen, bestochen und ge-raubt. Von den Inseln im hohen Nordenüber traute Mittelgebirgslandschaften

bis ins Allgäu gibt es kaum einen Land-strich ohne. Mittlerweile ist die Zahlder Regionalkrimis nahezu unüber-schaubar. Einschlägige Listen führen –ohne Anspruch auf Vollständigkeit –über 200 Autoren und Schauplätze an(vgl. HAMMELEHLE/LINDEMANN 2005).

Die Zutaten sind dabei häufig ähn-lich: Ein mehr oder weniger selbstberu-fener Ermittler, der zwar im heimatli-chen Gefüge wurzelt, aber dennoch nieden Kopf, geschweige denn den Über-blick verliert über die bisweilen heftigverfilzten Strukturen aus Sportvereinund Lokalpolitik, Händlergemeinschaftund Kulturverein. Dabei ist die lokalgeprägte Spürnase stets ein Mensch ausFleisch und Blut – mit Hund und Katze,Verwandten, Bekannten und Freunden,die das soziale Netz ausmachen, dessener sich bei der Bewältigung seiner Auf-gabe bedient und auf das er sichjederzeit und hundertprozentig verlas-sen kann.

Nicht zuletzt diese Zutaten sind es,die den Regionalkrimi für die Leser at-traktiv machen. Das Pendel schlägt inberuhigender Zuverlässigkeit zwischenbekannter, kleinteiliger Übersichtlich-keit und kurzweiliger Abgründigkeit.

Der Wiedererkennungseffekt bindet denLeser an die Figuren – „das ist einer vonuns!“. Häufig werden mit der Präzisioneines Navigationssystems Straßen, Plät-ze und ganze Wegstrecken beschrieben– der Krimi wird zum Reiseführer! Ge-fördert wird diese Identifikation mitIdeen wie den Eifelführungen à la Bern-dorf und Projekten wie dem des AutorsOliver Buslau, der nach einem Publi-kumsaufruf einige „echte“ Personen inseinen Roman einflicht und damit demBuch eine auch für ihn unvorhergesehe-ne Entwicklung verleiht.

Die Experimentierfreude der meistkleinen Verlage, die Texte junger regio-naler Autoren auch mit wenig Erfah-rung veröffentlichen, verleiht diesemGenre eine Leichtigkeit, die sich aufden Leser überträgt. Der geht gerne mit,wenn auch mal ein Buch nicht wirklichgelungen ist. Immerhin hat man etwasüber eine Landschaft, eine Stadt oderein Stadtviertel erfahren, auch wennder Fall konstruiert oder die Sprachenoch holperig wirkt. Immer wieder sindaber eben doch recht anständige, unter-haltsame, manchmal sogar beachtens-werte Entdeckungen dabei.

Die Regionalbindung krimineller Ge-schichten, die Profilierung einzelnerTeams im Lokalkolorit einer Stadt oderLandschaft machen nicht beim BuchHalt. Auch im Fernsehen macht dergute alte Tatort mit seiner Abbildungdes föderal gegliederten PolizeiapparatsQuote, der einst in der DDR verankertePolizeiruf 110 widmet sich seit derWende den Verbrechen quer durch dieRepublik, und zahlreiche weitere Serienstricken an diesem Muster mit (DerBulle von Tölz, SK Kölsch, SOKO Leip-zig etc.) (�� Beitrag Bollhöfer/Hane-winkel, S. 154).

Die Heimatverbundenheit der Kom-missare, Privatdetektive und sonstigenErmittler gibt dabei möglicherweiseeine Antwort auf die fehlende Verwur-zelung der gezwungenermaßen oft sehrmobilen Zuschauer- bzw. Leserschaft.Eine Identifikationsfigur – mit Häus-chen und Garten, Nachbarn und Kehr-woche, Plausch über den Zaun oder inder kleinen Kneipe am Ende der Straße– und zugleich mit genügend Abstandund Außenkontakten, um nicht in diekomplizierten Fallstricke des Provinz-klüngels zu geraten. Der Regionalkrimierfüllt – und das scheint das Erfolgsre-zept zu sein – alle Funktionen eineszeitgenössischen Heimatromans undbildet dabei diese Heimat in jeweilsspezifischer, realistischer, idealisierteroder auch den Bedürfnissen des Romansangepasster Form ab.�

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139Grenzüberschreitende Kooperationsräume

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