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LEADERSHIP IN TURBULENTEN ZEITEN RESILIENZ UND ENTSCHEIDUNGSHEURISTIKEN BEI DISRUPTIVEN VERÄNDERUNGEN von Univ.-Prof. Dr. Wolfgang H. Güttel und Judith Wiesinger, MA Institute of Human Resource & Change Management, Johannes Kepler Universität Linz

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LEADERSHIP IN TURBULENTEN ZEITEN

RESILIENZ UND ENTSCHEIDUNGSHEURISTIKEN BEI DISRUPTIVEN

VERÄNDERUNGEN

von Univ.-Prof. Dr. Wolfgang H. Güttel und Judith Wiesinger, MA

Institute of Human Resource & Change Management, Johannes Kepler Universität Linz

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2 Leadership in turbulenten Zeiten

Angaben zu den Autoren

Univ.-Prof. Dr. Wolfgang H. Güttel ist Universitätsprofessor am Institute of Human Resource &

Change Management an der Johannes Kepler Universität (JKU) Linz und war Dean sowie Co-

Geschäftsführer der LIMAK Austrian Business School. Zuvor war er an den Universitäten Kassel,

Hamburg, Liverpool und Padua sowie an der WU Wien tätig. Vor seiner akademischen Karriere

arbeitete er als Managementberater bei Daimler-Benz AG, bei Diebold Management Consulting

sowie als selbständiger Berater und Trainer. Seine Forschung ist den Themen Leadership & Change

Management gewidmet.

Judith Wiesinger, MA war wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institute of Human Resource &

Change Management an der Johannes Kepler Universität (JKU) Linz. Sie studierte Geschichte,

Politikwissenschaft und Migrationsforschung an den Universitäten Salzburg, Wien und Uppsala. Vor

ihrer akademischen Karriere arbeitete sie als wissenschaftliche Projektmitarbeiterin unter anderem

bei INSET – Research and Advisory und dem Verein für Zivilcourage und Antirassismusarbeit

(ZARA). Zudem ist sie als Management-Beraterin tätig. Aktuell arbeitet sie bei der Stadt Wien im

Social Reporting.

IMPRESSUM

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Leadership in turbulenten Zeiten 3

LEADERSHIP IN TURBULENTEN ZEITEN

RESILIENZ UND ENTSCHEIDUNGSHEURISTIKEN BEI DISRUPTIVEN

VERÄNDERUNGEN1

Was passiert wenn plötzlich Märkte kollabieren (Finanzkrise 2007), Kriege Absatzmärkte vernichten

(Russland-Ukraine-Krise) oder technologische Revolutionen etablierte Kernkompetenzen entwerten

(Übergang zum Smartphone)? Überraschend entstehende Brüche im Wettbewerbsumfeld stellen

Führungskräfte vor große Herausforderungen. Wie verhalten sich Führungskräfte, wenn disruptive

Schocks entstehen? Auf welche Kompetenzen greifen sie zurück, um Krisen zu erkennen und zu

bewältigen? Die Studie zeigt auf Basis empirischer Daten, welche resilienzfördernden

Entscheidungsheuristiken, die Teil der individuellen Veränderungskompetenzen (Dynamic

Managerial Capabilities) sind, Führungskräfte zur Prävention bzw. Bewältigung von Krisen, die

durch disruptive Schocks entstehen, anwenden. Die Studie führt zudem aus, durch welche

Maßnahmen Unternehmen Führungskräfte bei der Krisenbewältigung unterstützen können und

welche Rolle die Region spielen kann, um disruptive Schocks rechtzeitig zu erkennen oder

zumindest deren Wirkung etwas abzufedern.

EXECUTIVE SUMMARY: ERKENNTNISSE AUS DER STUDIE

Komplexität entsteht, wenn Entscheidungsheuristiken für den Umgang mit einer Situation

fehlen. Disruptive Schocks führen zu Komplexität, Ambiguität und Unsicherheit, da nicht

mehr auf bewährte routinisierte Entscheidungsheuristiken zurückgegriffen werden kann.

Der Umgang mit disruptiven Veränderungen stellt deshalb große Anforderungen an das

Entscheidungsverhalten von Führungskräften dar, wenn sie ihre Teams und Organisationen

durch unsichere Zeiten führen müssen.

Unternehmen und Führungskräfte verfügen über Veränderungskompetenzen – Dynamic

Capabilities auf organisationaler und Dynamic Managerial Capabilities auf individueller

Ebene – die helfen, das erwartbare Ausmaß an Veränderung zu steuern.

Dynamic (Managerial) Capabilities dienen zur Umfeldbeobachtung, zur

Entscheidungsfindung in Bezug auf Wandel und zur Steuerung von

Veränderungsprozessen. Nicht-erwartbare – disruptive – Schocks überfordern die

bestehenden Fähigkeiten, weshalb es zum Musterbruch und zu Lernprozessen kommen

kann.

Kriseninduzierte Lernprozesse fördern Neubildung und Weiterentwicklung von individuellen

und organisationalen Kompetenzen zur Bewältigung auch disruptiver Schocks.

Individuelle Entscheidungsheuristiken im Umgang mit disruptiven Krisen können punktuell

auch durch den organisationalen Entscheidungskontext – den Formalstrukturen (z.B.

Checklisten) bzw. der Organisationskultur (z.B. Erfahrungskontext von Kollegen bzw. des

Teams) – unterstützt werden.

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4 Leadership in turbulenten Zeiten

Zentral sind auf individueller Ebene strategisch-konzeptionelle Kompetenzen, die den

Prozess der Entscheidungsfindung leiten. Strategische Wachsamkeit, die Reduktion der

Komplexität um ein stimmiges Bild der Situation zu bekommen und ein Denken in

Entwicklungsszenarien führen die Entscheidungsfindung.

Strategisch-konzeptionelle Kompetenzen dienen aber auch dazu, die Entscheidung im

Team bzw. in der Organisation zu verankern. Kommunikation, die Fähigkeit zur

Kodifikation sowie die kulturelle Einbettung durch symbolisches Management geben dem

Team bzw. den Mitarbeitern Orientierung und Leitlinien in stürmischen Zeiten.

Unternehmen können durch sorgsame Personalauswahl und -entwicklung krisenfeste

Führungskräfte binden, durch War-Rooms oder Risk-Boards die Wahrnehmung auch

sensibler Signale institutionalisieren und in Strategieprozessen ein Denken in Szenarien

fördern.

Konsistenz in der Organisationskultur, in den Strukturen und in der Kommunikation ist ein

besonders hilfreiches Fundament auf dem Führungskräfte in Krisenzeiten ihre

Entscheidungen treffen können.

Allerdings führt die immer und notwendigerweise auch entstehende Inkonsistenz auf

organisationaler Ebene durch disruptive Schocks zur Möglichkeit proaktiven Handelns von

Führungskräften, um unternehmerische Impulse zu setzen, die sonst keine Chance zur

Realisierung hätten, da bestehende Regime – Regeln, Normen und Personen –

tiefgreifende Veränderungen tendenziell unterdrücken.

Die Entwicklung von Führungskräften, Teams und Organisationen – formal und informal –

kann die Krisenfestigkeit, d.h. die Resilienz, fördern.

Resilienzfördernde Entscheidungsheuristiken erhöhen präventiv die Sensibilität gegenüber

Umweltentwicklungen, die potenziell einen disruptiven Charakter einnehmen können.

Kurativ stellen sie ein breites Repertoire an Handlungsoptionen zur Verfügung, um schnell

passende Maßnahmen zur Krisenbewältigung zu finden. Schließlich fördern sie das Lernen

aus Krisen, um auf Ebene der Führungskraft, des Teams und der Organisation

Erfahrungswissen im Umgang mit disruptiven Schocks systematisch zu reflektieren und in

die Entscheidungspraxis einzubetten.

Die Region kann Think Tanks etablieren um schwache Krisensignale frühzeitig zu erkennen,

durch die Qualifizierung von Führungskräften deren Resilienzfähigkeiten fördern, mittels

Cluster- und Netzwerkbildung einen schnellen Informationstransfer gewährleisten und

durch Ansiedelungspolitik eine moderate Diversifizierung der Unternehmen (z.B. Branchen,

Technologien, Unternehmensgröße) zu schaffen, um die Krisenfestigkeit im regionalen

Raum fördern.

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VERÄNDERUNGSKOMPETENZEN (DYNAMIC CAPABILITIES) UND

DISRUPTIVE SCHOCKS

Disruptive Schocks erzeugen eine Dynamik, die zu Mehrdeutigkeiten, Komplexität und Unsicherheit

in Entscheidungsprozessen führt. Entscheidungen sind unter diesen Bedingungen schwierig zu

treffen, da weder ein klares Bild über die Situation noch eine einigermaßen eindeutige Perspektive

über die Konsequenzen der Entscheidung möglich sind. Diese Bedingungen sind derzeit typisch für

eine Vielzahl von Märkten, da sich das globale wirtschaftliche Gefüge markant verändert. Deshalb

setzt sich die von uns entwickelte New Austrian School of Management mit dem Management in

hoch-dynamischen und disruptiven Wettbewerbssituationen auseinander2.

Organisationen entwickeln durch die Notwendigkeit sich kontinuierlich an neue Gegebenheiten im

Umfeld anzupassen Veränderungskompetenzen: Dynamic Capabilities3. Diese organisationalen

Metafähigkeiten steuern die Weiterentwicklung der Ressourcen- und Kompetenzbasis von

Unternehmen mit dem Ziel, die Wettbewerbsfähigkeit aufrechtzuhalten. Die Steuerung von

Innovationsprozessen, das Optimieren von Geschäftsprozessen oder die Replikation des

bestehenden Geschäftsmodells in neue Märkte können als klassische Beispiele für die Anwendung

von Dynamic Capabilities betrachtet werden. Im Gegensatz zu Ad-how-Wandel ermöglicht ein

Dynamic Capabilities-gesteuerter Veränderungsprozess die Nutzung von Erfahrungswissen aus

vorangegangenen Wandelaktivitäten4. In einer Mikrofundierung bestehen Dynamic Capabilities

aus den Fähigkeiten des Sensing, des Seizing und des Reconfiguring5. Sensing umfasst jene

Fähigkeiten einer Organisation systematisch das Umfeld zu beobachten und zu analysieren, um

Chancen und Gefahren für das Unternehmen zu identifizieren. Mit Seizing wird dann die Fähigkeit

der Organisation umschrieben, auf Basis der Umfeldbeobachtungen relevante Entscheidungen zu

treffen, ob und in welcher Weise Veränderungen in die Wege geleitet werden sollen. Die

Entscheidungsmuster im Top-Management spielen eine entscheidende Rolle und können als

strategischer Aspekt von Dynamic Capabilities6 aufgefasst werden: wie viel Veränderung wird

zugelassen. Die operativen Aspekte der Dynamic Capabilities bilden die konkreten Fähigkeiten von

Unternehmen Wandelprozesse zu steuern um die Ressourcen- und Kompetenzbasis zu verändern

(Reconfiguring). Dazu werden spezifische Veränderungsarchitekturen eingesetzt, um

Innovationsprozesse zu steuern (z.B. Stage-Gate-Models), Geschäftsprozesse zu optimieren (z.B.

Business Process Reengineering-Methods) oder Geschäftsmodelle in neue Märkte zu übertragen

(z.B. Replication Strategies).

Reichen die bestehenden Veränderungskompetenzen aus, dann folgt das Unternehmen den

etablierten Entwicklungspfaden7. Veränderungskompetenzen sind aber genauso pfadabhängig wie

das Geschäftsmodell, die operativen Prozesse oder die Kognitionen bzw. Entscheidungsheuristiken

der Führungskräfte und Mitarbeiter. Sie lassen nur ein bestimmtes Ausmaß an Veränderung zu und

schützen dadurch fortwährend die Organisation vor zu viel Wandel bzw. vor dem Zerfall. Nur

dadurch können Kernkompetenzen dauerhaft für Wettbewerbsvorteile sorgen8.

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Abbildung 1: Mustererhaltung und Musterbruch

Ändert sich jedoch das Wettbewerbsumfeld disruptiv, könnte es sein, dass die bisherigen Muster

der Umfeldbeobachtung, der Entscheidungsfindung über Veränderungsinitiativen bzw. die

adäquate Reaktion darauf nicht mehr ausreichen (Abbildung 1). Bestehende Muster auf

organisationaler, Gruppen- und individueller Ebene müssen gebrochen werden. Unternehmen

erkennen dann, dass die bisherige Form der Umfeldbeobachtung nicht ausreichend war, um

disruptive Veränderungen ausreichend schnell und passend zu erkennen. Sie können aber auch

erkennen, dass zwar an einigen Stellen im Unternehmen die Alarmsignale rechtzeitig ertönt sind

(z.B. Informationen aus dem Vertrieb, aus dem Netzwerk oder durch die Analyse der Kennzahlen),

doch das Top-Management Team nicht schnell genug Entscheidungen zum Umgang mit dem

heranziehenden Bedrohungsszenario getroffen hat. Schließlich ist es aber auch möglich, dass

schlicht die Fähigkeiten in der Organisation gefehlt haben, um jene Veränderungsarchitektur zu

schaffen, mit der das Unternehmen auf die disruptive Krise passend reagieren hätte können. Hierzu

könnten entweder den Führungskräften die Entscheidungsheuristiken im Umgang mit disruptiven

Schocks fehlen oder es mangelt an Wissen über schnellen und effektiven Personalabbau bzw. an

anderen Maßnahmen, um rasch kostensenkende oder flexibilitätsfördernde Aktivitäten in die Wege

zu leiten. In jeder Hinsicht nehmen daher Führungskräfte auf allen Ebenen des Unternehmens eine

Schlüsselrolle bei der Brandbekämpfung in Krisenzeiten ein.

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VERÄNDERUNGSKOMPETENZEN VON FÜHRUNGSKRÄFTEN BEI

DISRUPTIVEN SCHOCKS

Führungskräfte entwickeln über Erfahrungslernen Entscheidungsheuristiken (Daumenregeln), um im

Wettbewerbsumfeld passende Entscheidungen treffen zu können9. Entscheidungsheuristiken

ermöglichen die Ausführung operativer Routinen, sie sind Grundlage für den Führungsalltag und

sie dienen auch dazu Veränderungen zu meistern. Viele implizite Anleitungsregeln als

Daumenregeln ermöglichen die Ausführung operativer Routinen (z.B. „Setze dein Beratungsteam

für ein Projekt so zusammen, dass du Branchenexperten und Methodenexperten im Team hast“).

Im Führungsalltag ermöglichen Daumenregeln die Prioritätensetzung: z.B. zwischen wichtigen und

dringenden Themen zu unterscheiden10. Führungskraft können ihre Aufmerksamkeit auf wichtige

Themen lenken und weniger wichtige Themen an das Team delegieren oder überhaupt aufgeben

(z.B. „Differenziere entlang einer Matrix zwischen wichtigen und dringenden Themen. Widme dich

vor allem den wichtigen Themen: erledige wichtige und dringende Themen sofort und plane Zeit

ein, um wichtige aber noch nicht dringende Themen zu bearbeiten, damit sie nicht dringend

werden. Delegiere weniger wichtige Themen an Teammitglieder“). Bei Veränderungen kann eine

Daumenregel etwa lauten, dass vor jeder Intervention eine Analyse durchzuführen ist (z.B. „Bevor

du eingreifst, versuche ein angemessenes Verständnis für die Situation zu gewinnen, die du als

verändernswert betrachtest“).

Disruptive Schocks führen dazu, dass vertraute Entscheidungsheuristiken ihre Gültigkeit verlieren.

Was früher passend und die Grundlage von Wettbewerbsvorteilen war, wird durch disruptive

Veränderungen entwertet (z.B. Kodaks Versäumnis im Übergang zur digitalen Fototechnologie).

Plötzlich entstehende Brüche im Wettbewerbsumfeld stellen Führungskräfte vor besondere

Herausforderungen, da schnelle und umfangreiche Reaktionen auf disruptive Schocks durch

Trägheitsmomente auf organisationaler, gruppenspezifischer und individueller Ebene erschwert

werden. Die effiziente Nutzung bestehender Kernkompetenzen, eine etablierte Unternehmenskultur,

monetäre Anreizsysteme, lernresistente Gruppennormen oder etablierte Entscheidungsheuristiken

der Führungskräfte stehen einer adäquaten Reaktion auf unvorhergesehene Entwicklungen

entgegen bzw. vielfach sind diese Mechanismen auch die Ursache, dass herannahende Krisen

nicht rechtzeitig erkannt werden11.

Dennoch müssen in Krisensituationen rasch Entscheidungen getroffen werden, um das Überleben

des Unternehmens sicherzustellen. Leadership ist notwendig. Ein Segelboot wäre im Sturm ohne

Fahrt manövrierunfähig und den Wettergewalten schutzlos ausgeliefert. Die Segel müssen im

Sturm, vielleicht verkleinert (gerefft) aber doch, gesetzt sein, um handlungsfähig zu bleiben. Die

Kunst bei schwierigen Verhältnissen Kurs halten zu können kennzeichnet sturmerprobte

Führungskräfte am Segelboot und im Unternehmen. Hier unterscheiden sich krisenerprobte

Führungskräfte von jenen ohne Krisenerfahrung (Schönwettersegler).

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8 Leadership in turbulenten Zeiten

Abbildung 2: Dynamic Managerial Capabilies

Jene Entscheidungsheuristiken, die mit der Gestaltung von Veränderungsprozessen verbunden sind,

bilden die Grundlage der individuellen Veränderungskompetenzen von Führungskräften (Dynamic

Managerial Capabilities; Abbildung 2). Konkret werden unter Dynamic Managerial Capabilities

jene Kompetenzen von Führungskräften verstanden, durch Kreation, Erweiterung und Modifikation

der organisationalen Kompetenzen (z.B. Kernkompetenzen) und des Geschäftsmodells dafür zu

sorgen, dass Unternehmen in dynamischen Märkten wettbewerbsfähig bleiben12. Insbesondere die

Fähigkeiten der Umfeldbeobachtung (Sensing), der Entscheidungsfindung (Seizing) und der

Rekonfiguration operativer Routinen mit den zugrundeliegenden Strukturen, Prozessen und

unternehmenskulturellen Werten und Normen (Reconfiguration) kennzeichnen im Kern Dynamic

Managerial Capabilities13. Allerdings zeigen nur wenige Studien14 bislang, wie Führungskräfte mit

dramatischen Schocks im externen Umfeld verfahren und über welche Fähigkeiten sie verfügen, um

deren Herannahmen frühzeitig zu erkennen oder deren Wirkung effektiver abzufedern. Dazu zählen

auf individueller Ebene besonders die Fähigkeiten von Improvisation und Bricolage, d.h. mit

vorhandenen Mitteln inkrementell Lösungen für Situationen mit großer Unsicherheit zu finden. Auf

Teamebene wird intensive Kommunikation im Team als vorteilhaft betont, um sich in komplexen

Situationen kollektiv zu koordinieren. Schließlich hilft ein formaler Rahmen (z.B. Stukturen, Rollen),

um schnell Orientierung zu finden, selbst wenn Unsicherheit und Ambigutität hoch sind. Von

Resilienz wird dann gesprochen, wenn Führungskräfte über ausgeprägte individuelle

Veränderungskompetenzen verfügen, die auf Entscheidungsheuristiken basieren, um auch

substanzielle Krisen zu meistern bzw. herannahende Krisen frühzeitig zu erkennen15.

Disruptive Schocks können jedoch selbst etablierte Führungskräfte mit elaborierten

Veränderungskompetenzen an die Grenzen ihrer Handlungsfähigkeit bringen, denn es ist in

solchen Situationen schwierig zu entscheiden, wann bestehende Entscheidungs- und

Wahrnehmungsmuster weiterverwendet werden können oder ob ein Bruch mit dem Bestehenden

notwendig ist16. Die Fähigkeit zu erkennen, wann eine Veränderung der eigenen

Entscheidungsheuristiken im Umgang mit Veränderungen notwendig ist, kommt jenem

Münchhausen Problem nahe, in dem Baron Münchhausen behauptet, sich selbst samt Pferd am

Zopf haltend aus dem Schlamm gezogen zu haben; eine Lügengeschichte. Allerdings wird es bei

disruptiven Schocks für Führungskräfte zu einem veritablen Problem zu erkennen, dass die eigenen

Entscheidungsheuristiken nicht mehr ausreichen, um sich selbst aus einer Krisensituation zu

Basierend auf Entscheidungs-

heuristiken „Daumenregeln“

Dynamic Managerial Capabilities: Individuelle Veränderungskompetenzen

von Führungskräften

Entscheidung

Wahrnehmung

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befreien17. Verstärkt wird die Problematik dann, wenn genau jene Entscheidungsheuristiken, die zur

Krisenbewältigung verwendet werden, Ursache für die aktuellen Probleme sind. Beispielsweise,

wenn die zu geringe Beschäftigung mit Technologieentwicklung zur Krise führt, da Konkurrenten

neue Technologien einsetzen. Das Top-Management des Unternehmens reagiert aber mit

Kostensenkungsprogrammen auf die Krise. Die Reduktion der zuvor schon mageren F&E-Ausgaben

ist die Folge. Im Endeffekt wird die Abwärtsspirale dadurch noch beschleunigt.

Resiliente Führungskräfte, die über die Fähigkeiten verfügen auch disruptive Schocks zu meistern,

finden Wege, um durch aufmerksame Beobachtung des Unternehmensumfeldes nicht in den

(Krisen-) Sumpf zu geraten und eignen sich Kompetenzen an, um in einen (Krisen-) Sumpf nicht so

weit einzusinken, dass eine Befreiung aus eigener Kraft nicht mehr möglich wird. Mit der

nachfolgenden empirischen Studie legen wir individuelle Veränderungskompetenzen mit den

eingebetteten Entscheidungsheuristiken offen, die Führungskräfte zur Prävention und Bewältigung

jener Krisen verwendeten, die aus disruptiven Schocks resultierten.

STUDIENDESIGN

Das Ziel der empirischen Studie lag in der Entschlüsselung der den individuellen

Veränderungskompetenzen zugrunde liegenden Entscheidungsheuristiken, die Führungskräfte im

Umgang mit disruptiven Schocks nutzten. Wir führten insgesamt 40 Interviews mit Führungskräften

aller Ebenen und Experten in Organisationen durch, die unterschiedlichen Branchen angehörten.

Die Interviewpartner kamen aus Unternehmen unterschiedlichster Größe (von internationalen

Großkonzernen bis zu mittelständischen Unternehmen) und aus verschiedenen Branchen – von

Banken und Versicherungen über Industrie, Bildung, Technologie, Bau, Energiewirtschaft,

Kunststoffindustrie bis zu Flugzeugbau. Wir verfolgten eine Critical Incident18-basierte

Forschungsstrategie und betrachteten Krisen als relevante Ereignisse, da die Mehrzahl der von uns

befragten Interviewpartner mittlerweile mehrere Krisen, die aus disruptiven Veränderungen

resultierten, bewältigen mussten. Wir waren hierbei besonders an jenen disruptiven Schocks

interessiert, die massive Auswirkungen auf das Unternehmen hatten und bei einer

fehlgeschlagenen Krisenbewältigungsstrategie zur Insolvenz hätten führen können bzw. in einigen

Fällen auch tatsächlich geführt haben.

Für den Einstieg in die Interviews wählten wir die globale Finanzkrise 2007/2008 als beispielhaften

disruptiven Schock, überließen es dann aber den Führungskräften weitere ähnlich disruptiv

verlaufende Krisen im Detail zu beschreiben. Wir rekonstruierten bei allen Ereignissen mit Hilfe der

qualitativen Inhaltsanalyse19 den Prozessverlauf der disruptiven Veränderung von vielleicht

vorhandenen Früherkennungsaktivitäten bis zu angewandten Krisenbewältigungsmaßnahmen.

Durch die Prozessperspektive konnten wir bei den Führungskräften Modifikationen ihrer

Entscheidungsheuristiken beobachten, die durch Erfahrungslernen aus der Bewältigung der Krisen

resultierten.

Die Darstellung der empirischen Erkenntnisse folgt einem generalisierenden Zugang. Die

Krisenbewältigungsaktivitäten werden von der Ebene der individuellen Führungsrolle ausgehend

über die Teamebene bis zur Organisationsebene dargestellt. Aus den Einzelaussagen zu den

Maßnahmen zur Krisenprävention bzw. -bewältigung sowie aus den Krisenverläufen leiteten wir

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Entscheidungsheuristiken ab, die wir zu allgemeinen abstrakten Kategorien verdichteten. In den

einzelnen Kategorien beschreiben wir besonders jene Entscheidungsheuristiken, die wir in der

Analyse der positiven Maßnahmen zur Prävention oder Bewältigung der Krisen identifizierten.

Selbstverständlich wurden uns auch immer wieder Fehlschläge geschildert. In den meisten Fällen

erfolgte aber schon eine Ableitung von Lernerfahrungen, die zu Modifikationen der

Entscheidungsheuristiken führte. Führungskräfte meinten zu wissen, was sie in ähnlichen

Situationen nicht mehr bzw. verstärkt tun sollten.

BRANDBEKÄMPFUNG: FÜHRUNGSKRÄFTE UND IHRE INDIVIDUELLEN

KRISENKOMPETENZEN

(...) du schneidest ins Fleisch und das tun normalerweise die anderen Firmen auch. (...) Aber in der Krise schneidest du am Knochen runter. Und das haben viele Leute nicht gemacht, die

glauben sie sparen. Sie sind aber noch nicht am Knochen. Und das tut dann richtig weh und trotzdem stirbst du nicht. (Sanierungsmanager)

Wenn durch disruptive Schocks Krisen entstehen sind Führungskräfte gefordert auf Basis ihrer

Daumenregeln Entscheidungen zu treffen; manchmal sehr harte Entscheidungen, um überhaupt

das Überleben des Unternehmens sicherzustellen. Über den Einzelfall hinausgehend lassen sich

vier Formen von Entscheidungsheuristiken, die primär das individuelle Führungsverhalten betreffen,

als Veränderungskompetenzen von Führungskräften generalisieren: strategische Wachsamkeit,

Reflexion von Entwicklungsszenarien, symbolische Entscheidungen und Proaktivität. Sie

konstituieren im Kern Dynamic Managerial Capabilities und ermöglichen derart Resilienz auch bei

disruptiven Veränderungen.

Strategische Wachsamkeit

Wir müssen nach vorne schauen. Wir haben da Nachholbedarf. Das ist auch eine gewisse Herausforderung (...). Das hat eine gewisse Zeit in Anspruch genommen. Weil die natürlich am

Anfang skeptisch waren. (...) Jetzt sollen wir auf einmal Dinge machen, die wir in der Vergangenheit nicht hatten. Das war durchaus ein Überzeugungsprozess (...). Weil hätten wir quasi eine Strategie entwickeln lassen wie früher, dann hätten wir keine wirkliche Veränderung. Jetzt müssen wir ganz bewusst über den Tellerrand hinausdenken, Jahre, Jahrzehnte. (Vorstand)

Krisenerfahrene Führungskräfte folgten der Daumenregel, dass strategische Wachsamkeit ein

funktionaler Mechanismus ist, um frühzeitig herannahende disruptive Schocks zu entdecken. Dann

bleibt entweder mehr Zeit zur Vorbereitung auf die Krise oder eine solche kann überhaupt

vermieden werden. Wichtig war ihnen vor allem jene Indikatoren im Blick zu behalten, die ganz

wesentlich über die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens entschieden. Sie stellten zudem

regelmäßig ihre eigenen Beobachtungskategorien in Frage, um aufmerksam zu entscheiden, was

sie im Umfeld prioritär beobachten müssen: Welche Entwicklungen hätten substanziellen Einfluss

auf das Geschäftsmodell und die Wettbewerbssituation oder anhand welcher Indikatoren bzw.

Entwicklungen, selbst wenn die Signale recht schwach ausgeprägt sind, würde erkennbar werden,

dass eine Krise mit einem potenziell disruptiven Charakter heraufdämmert?

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Reflexion von Entwicklungsszenarien

An dem Tag, wo (Beschreibung der Krisensymptome; die Autoren) bei uns eingeschlagen haben und permanent Mitarbeiter angerufen haben, was sie nun tun sollen, habe ich mich am

Nachmittag hingesetzt und mich völlig abschirmen lassen. Für den Vorstand habe ich dann in aller Ruhe einen Bericht geschrieben, für den er mir heute (7 Jahre später; die Autoren) noch dankbar ist. Ich habe die Probleme und die aktuellen Entwicklungen beschrieben. Im Nachhinein war das für mich die beste Möglichlichkeit, um zu überlegen, wo wir wie stark betroffen sind und wie wir mit den ganzen Problemen umgehen. Dann war auch mir klar was ich tun kann. (Spartenleiterin)

Mehrdeutige Informationen und ein dynamischer Prozessverlauf führten dazu, dass Führungskräfte

eine weitere Entscheidungsheuristik nutzten, um sich mittels Denken in Entwicklungsszenaren ein

Bild über die Situation zu machen und Lösungsoptionen durchzudenken. Vor den Krisenzeiten

wurden Szenariotechniken eher als leere Routine im Strategieentwicklungsprozess betrachtet.

Krisenerprobte Führungskräfte sahen jedoch darin eine ausgezeichnete Methodik, um zu überlegen

wie sich disruptive Veränderungen entfalten können und welche reaktiven aber auch proaktiven

Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen um die Krise zu meistern. Die Reflexion der

Entwicklungsszenarien erfolgte einerseits alleine, um in Ruhe aus einer Helikopterperspektive auf

die eigene Situation, das Team und das Unternehmen im Kontext der Umfeldentwicklungen blicken

zu können. Andererseits wurde in den Interviews betont, dass auch gemeinsame Teammeetings

dazu genutzt wurden um mittels Szenariotechniken das Verständnis der Situation zu verbreitern und

unterschiedliche Sichtweisen und Lösungsideen zu entwickeln.

Symbolische Entscheidungen

Wenn du in der schlimmsten Krise noch versuchst durch Entscheidungen ein Momentum aufrechtzuerhalten, zu dokumentieren oder eine Minimalstruktur zu sichern, die auch noch seriös

ist, dann hat das auch allen Anderen gegenüber sehr viel mehr Vertrauensstatus. (Vorstand)

Zwei weitere Daumenregeln waren mit symbolischen Entscheidungen verbunden. Erstens betonten

Führungskräfte in den Interviews die Notwendigkeit durch laufende inkrementelle Entscheidungen

auch am Höhepunkt der Krise für Momentum zu sorgen. Informationen waren rar. Dennoch wäre

Nichtentscheiden die schlechtere Option gewesen, denn ein kollektiver Stillstand hätte zur

Erlahmung der Organisation geführt. Krisenerprobten Führungskräften fiel es hier leichter einen

Schwung zu erzeugen, da sie immer auf ihren reichhaltigen Erfahrungshintergrund mit Krisen

verweisen konnten. Dadurch wurde ihnen ein besonderes Standing und eine große Vorbildwirkung

zugeschrieben.

Zweitens waren sich deshalb krisenerprobte Führungskräfte sehr bewusst, dass sie durch ihre

Entscheidungen sichtbare Symbole in Richtung Mitarbeiter schaffen und dadurch Orientierung,

Handlungsfähigkeit und Zuversicht signalisieren. Sie gingen davon aus, dass Mitarbeiter sehr

genau beobachten, was sie tun und worauf sie besondere Aufmerksamkeit – als kritische Ressource

von Führungskräften – legen. Beispielsweise dienten Mitarbeiterversammlungen, bei denen in

großer Transparenz die Situation des Unternehmens erläutert wurde, ebenso zur Signalsetzung wie

Interviews in Tageszeitungen, die primär an die eigenen Mitarbeiter als Zielgruppe gerichtet waren.

Gleichermaßen waren symbolische Gesten wie etwa soziale Aktivitäten an der Basis oder

Teamevents dazu angetan, den Zusammenhalt in der Krise zu fördern sowie Zuversicht

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12 Leadership in turbulenten Zeiten

auszustrahlen. Die befragten Führungskräfte hegten die Befürchtung, dass ein Verlust an Zuversicht

durch die Mitarbeiter eine erfolgreiche Krisenbewältigung viel schwieriger gemacht hätte.

Proaktivität

Also 2008 war dann die Insolvenz (der Muttergesellschaft; die Autoren). Da war’s dann quasi finanziell nicht mehr haltbar. (...) 2007 (am Beginn der Krise; die Autoren) haben wir mit dem

internen Projekt begonnen (ein neues Gschäftsmodell zu verfolgen, das zuvor von der Muttergesellschaft immer untersagt wurde) und 2008 haben wir dann erstmals (...) diesen Drittkunden bedient. (Geschäftsführer Tochterunternehmen)

Erfahrene Führungskräfte orientierten ihr Handeln an der Entscheidungsheuristik, dass in Krisen

immer auch (unternehmerische) Chancen für Neuerungen bestehen, die sonst keine Möglichkeit

zur Umsetzung hätten. Beispielsweise ließen sich neue Markterschließungen ebenso wie

Rationalisierungsaktivitäten oder neue Allianzen dann besser durchsetzen, wenn Eigentümer,

Mutterunternehmen oder Vorstandskollegen mit ihren Krisenbewältigungsstrategien intensiv

beschäftigt waren. Die Ideen für die Neuerungen resultierten aus der bewussten Reflexion der

Krisensituationen ebenso wie aus dem gedanklichen Durchspielen von Lösungsstrategien. Um eine

Krise als Chance authentisch wahrnehmen zu können brauchte es gute Nerven und eine

Risikobereitschaft, die vor allem bei jenen Führungskräften beobachtbar war, die schon über

Krisenerfahrungen verfügten. Sie wussten was auf sie zukommt und konnten trotzt

Krisenbewältigung noch proaktiv Prioritäten setzen, um Neuerungen den Durchbruch zu

ermöglichen.

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Leadership in turbulenten Zeiten 13

KOLLEKTIVES FEUERLÖSCHEN: KRISENBEWÄLTIGUNG IN TEAMS

In Bezug auf die Interaktion der Führungskraft mit seinem Team können weitere vier Formen von

Entscheidungsheuristiken zum Umgang mit disruptiven Veränderungen abgeleitet werden:

gemeinsamer Bezugsrahmen, leistungsfähige Teams, Prioritätensetzung und delegative Entlastung

sowie strategische Krisenkommunikation.

Gemeinsamer Bezugsrahmen

Dort hatten wir eine Management-Academy aufgebaut, weil ich gesagt habe, dass wir das brauchen, um der Gruppe eine neue Richtung zu geben. Du brauchst ungefähr 10%. (...) Wenn

du die drehst, diese 10%, dann hast den Impact auf die andern. Das heißt wir haben im ersten Jahr rund 800 Führungskräfte geschult. Die haben in (Ort der Business School; die Autoren) 5 Tage Training bekommen und (...) auch faktisch mitgeteilt bekommen, was unsere neuen Ziele sind, um sie auf einem gleichen Dampfer zu haben. Und (...) deswegen haben wir auch mit den Vorständen gearbeitet; also Managementtrainings mit allen Vorstanden. 90 Vorstände, Geschäftsführer in der Gruppe, die waren genauso im Bildungsprogramm dabei. Der Inhalt war immer etwas nebensächlich. Wichtig ist, dass die zusammenkommen, gelernt haben, da gibt es Ressourcen, da gibt es Leute, die so denken wie ich und die die gleichen Probleme haben. Das Netzwerk haben wir generiert. Das war der strategische Schritt, um alle zu unterstützen. (Personalvorstand)

Krisenerprobte Führungskräfte folgten der Daumenregel, dass nur ein gemeinsames

Grundverständnis im Team eine effektive Krisenbewältigung ermöglicht. Nur wenn das Team ein

stimmiges Bild, d.h. einen gemeinsamen Bezugsrahmen, über die Situation und die Anforderungen

zur Überwindung der Krise teilte, konnten zeitgleich arbeitsteilige Maßnahmen zur

Krisenbewältigung ergriffen werden.

Waren die Bezugsrahmen im Team über Ursachen, Szenarien und Lösungsoptionen zu

verschieden, dann war es schwierig arbeitsteilig vorzugehen, denn entweder stieg der

Koordinationsaufwand enorm und wertvolle Aufmerksamkeitsressourcen wurden zu Abstimmung

gebunden oder es wurden Maßnahmen ergriffen, die sich widersprachen und bei den Mitarbeitern

für Verwirrung und noch mehr Verunsicherung sorgten. Waren hingegen die Bezugsrahmen zu

ähnlich, d.h. war die Gleichförmigkeit der Teammitglieder zu groß, bestand die Gefahr

entscheidende Entwicklungen im Umfeld zu übersehen. In beiden Fällen war die Effektivität der

Krisenprävention bzw. Krisenbekämpfung eingeschränkt. Daher schlussfolgerten krisenerprobte

Führungskräfte, dass auf eine moderate Diversität innerhalb des Bezugsrahmens der

Teammitglieder geachtet werden muss. Ein konstruktiver Umgang mit unterschiedlichen

Sichtweisen und Kritik diente sowohl der Prävention als auch der Bewältigung der Krise. Die

Mehrdeutigkeit des Umfeldes konnte vielfältiger beobachtet werden und das Team war in der Lage

die Beobachtungen konstruktiv zu verarbeiten.

Leistungsfähige Teams

Dort, wo die Teams schon vorher gut funktioniert haben, dort sind sie zusammengewachsen. Absolut. Bei vielen Abteilbungen bei uns hat aber schon vor der Krise wenig funktioniert. Als dann

die Wirtschaftskrise losgegangen ist, sind die Konflikte voll ausgebrochen; da war kein Rückhalt mehr. (Führungskraft)

Führungskräfte mit Krisenerfahrung gingen in ihrer Entscheidungsheuristik davon aus, dass

kohäsive Teams in Krisenzeiten leistungsfähiger sind. Sie hoben die Notwendigkeit hervor präventiv

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14 Leadership in turbulenten Zeiten

in die Kohäsion des Teams zu investieren, um im Ernstfall ein eingespieltes Team nutzen zu

können. Waren die Teams (auch im Top-Management) nicht ausreichend geformt, kam es

während der Krisenbewältigung zu massiven Konflikten. Kohäsive Teams hingegen wuchsen durch

den Druck von außen noch weiter zusammen und agierten effektiver im Bestreben die Krise zu

meistern. Ein passendes Zielsystem und akzeptierte Spielregeln (soziale Normen) mit einer klaren

Rollenverteilung und damit einhergehende Zuständigkeiten innerhalb des Teams erleichterten die

Durchführung der gemeinsamen Aufgaben zur Krisenbewältigung.

Prioritätensetzung und delegative Entlastung

Die (Krise; die Autoren) ist schneller geworden, die ist intensiver geworden, und die ist natürlich auch pointierter worden, weil du gerade in der Krise ganz wenig Zeit hast und viel mehr Themen

lösen musst. (...) In einem normalen Arbeitsalltag bekommst du vielleicht 10 Megathemen. Wenn eine Krise ist, hast du neben den 10 Megathemen noch 40 Nebenthemen zusätzlich. Die musst du aber trotzdem lösen. Sonst kannst du den nächsten Tag nicht überleben. (...) Der Tag wird immer länger und länger (...). Das konzentriert sich dann auf das Kernteam und andere brechen weg. Dementsprechend musst du dir genau überlegen, wie du die Themen verteilst und was du an dich ziehst. (Vorstand)

In Krisenzeiten folgten die von uns interviewten Führungskräfte vielfach der Daumenregel der

klaren Prioritätensetzung. Interviewpartner betonten, dass ein effektives Selbstmanagement

notwendig war, um selbst am Höhepunkt einer Krise Handlungsfähig zu bleiben und entlang klarer

Prioritäten die Aufmerksamkeit des gesamten Teams auf zentrale Themen zu fokussieren. In

angespannten Situationen war eine Tendenz zur Zentralisierung von Entscheidungen beobachtbar.

Dadurch konnte rasch auf schnell wechselnde Umfeldbedingungen reagiert werden.

Führungskräfte investierten große Aufmerksamkeit in die Überlegung, welche Aufgaben oder

Entscheidungen sie selbst zu treffen hatten und welche an Teammitglieder delegiert werden

konnten. Die überlebenskritischen Themen blieben im Aufmerksamkeitsfokus der Führungskräfte

und wurden oft rasch und autoritär entschieden. Weniger wichtige Themen wurden beispielsweise

in Form grober strategischer Leitlinien an Teammitglieder delegiert.

Strategische Krisenkommunikation

Da hat sich der gesamte Vorstand bei regelmäßigen Betriebsversammlungen hingestellt und in aller Offenheit über die Lage berichtet. (...) Das war immer (während der Krise; die Autoren)

extem bummvoll und hat auch gezeigt, dass die Leute interessiert sind. Man hat auch kommuniziert: „Wo stehen wir? Wie entwickelt sich der Umsatz? Wie ist die Geschäftslage? Wie stehen wir mit den Initiativen?“ Und ich glaube, dass war auch gut, um die Transparenz zu erhalten und ein Bewusstsein zu erzeugen, dass wir da was tun müssen. Dass wir alle anpacken müssen, den Weg zu gehen. (Abteilungsleiter)

Als Entscheidungsheuristik verfolgten krisenerprobte Führungskräfte das Bestreben nach möglichst

offener, intensiver und klarer Kommunikation. Sie versuchten große Transparenz über die aktuelle

Situation herzustellen sowie Ziele und Maßnahmen der Krisenbewältigung eindeutig zu

formulieren. Ein effektives Kommunikationssystem (z.B. Meetingsstruktur) ermöglichte der

Führungskraft, in krisenhaften Zeiten einen engen Draht zum Team und zu den Mitarbeitern

aufzubauen, ohne die Kommunikation nach oben oder zur Seite zu vernachlässigen. Auf dieser

Basis konnten Botschaften routinisiert gesendet werden, sei es bei großen

Mitarbeiterversammlungen, in Jour-fixe Meetings oder täglich während kurzer Stehungen. Schnelle

Ad-hoc Meetings ergänzten die routinisierten Kommunikationsformen. Informationen über aktuelle

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Entwicklungen oder die Begründung schmerzhafter Entscheidungen erfüllten ein wichtiges Bedürfnis

der Mitarbeiter nach Eingebundenheit und trocknet zum Teil den Gerüchtesumpf aus.

Gleichermaßen konnten Meetings dazu verwendet werden, um ein Gefühl für Wahrnehmungen,

Bedenken oder Ideen zur Krisenbewältigung der Mitarbeiter zu bekommen. Die dadurch

gewonnenen Einsichten konnten wiederum in die weitere inkrementelle Entscheidungsfindung

einfließen.

LÖSCHFAHRZEUGE, EINSATZPLÄNE UND BRANDBEKÄMPFUNGS-

IDENTITÄT: ORGANISATIONALE KRISENKOMPETENZEN

In Bezug auf die Entscheidungsfindung der Führungskraft im organisationalen Kontext können

weitere vier Formen von Entscheidungsheuristiken abgleitet werden, die Führungskräfte dabei

unterstützten disruptive Veränderungen zu meistern: funktionale Entscheidungskorridore und

Kodifikation, Institutionalisierung, Diversifizierung sowie Allianz- und Netzwerkbildung.

Funktionale Entscheidungskorridore und Kodifikation

Ich wollte eine Kultur aufbauen und denen Autonomie zurückgeben, dass sie lernen autonom zu handeln, weil damit wirst du in den Krisen flexibler. Das hat sich auch dann bewahrheitet.

Innerhalb von einem halben Jahr haben wir so eine Kultur aufgebaut gehabt. Und wie dann die Probleme gekommen sind, haben die (Mitarbeiter; die Autoren) in ihrem Rahmen relativ autonom entscheiden können. (Vorstand)

Krisenerprobte Führungskräfte kreierten mittels einfacher formalisierter Regeln (vergleichbar mit

dem Konzept der Simple Rules20) Entscheidungskorridore für nachfolgende Hierarchieebenen.

Formalisierte Regeln gewannen in der Krise an Bedeutung, denn alle Entscheidungen, die

kodifiziert in Strukturen, Prozessen oder auch in Jour-fixe-Protokollen eingebettet waren wurden

personenunabhängig handlungswirksam und gaben der Führungskraft Zeit, um sich auf die

nächsten Themen in der Krisenbewältigung zu konzentrieren. Weil der Zeitfaktor eine große Rolle

spielte, kam dem Spannungsverhältnis von Zentralisierung der Entscheidungen und Delegation von

Aufgaben an Bedeutung zu, wobei in der Tendenz wichtige Entscheidungen zentralisiert

entschieden wurden. Nachgelagerten Einheiten wurde aber innerhalb des strategisch geformten

Korridors mehr Freiraum für eigenständige Adaptionen zugewiesen.

Entscheidungen und Entscheidungshintergründe zu kodifizieren war eine weitere Daumenregel, die

krisenerprobte Führungskräfte nutzen. Die Schriftlichkeit diente der eigenen Absicherung als

Führungskraft, denn viele Entscheidungen wurden auch auf höherer Ebene unter Zeitstress und

Unklarheit getroffen. Dahinter steckt das Kalkül, dass die Dokumentation von Entscheidungen mit

ihren Hintergründen etwa bei fehlgeschlagener Krisenbewältigung vor Gericht hilfreich sein kann,

denn vielfach spielten Haftungsfragen während der Krise eine große belastende Rolle für

Führungskräfte. Außerdem wurde durch Kodifizierung versucht die Organisation etwas gegen

Wissensverlust abzusichern, da während der Krisenzeiten auch Schlüsselmitarbeiter von Board

gehen mussten.

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Institutionalisierung

Dass (während der Krise; die Autoren) immer wieder Fälle gekommen sind, wo wir bestimmte Supergaus gehabt haben. Da haben wir Krisenteams aufgebaut. Das heißt, es ist eine

Teamstruktur aufgebaut worden, die für keinen bestimmten Anlass gedacht war. Wenn dann etwas (eine Krise; die Autoren) gekommen ist, dann ist aber dieses Team, eigentlich so eine Art Krisenfeuerwehr, eingesetzt worden. (Personalvorstand)

Top-Manager mit Krisenerfahrung folgten der Entscheidungsheuristik, dass Rollen und Abteilungen

zu institutionalisieren sind, um entweder in der Krisenprävention einen sensiblen Blick für

Umfeldentwicklungen zu gewinnen oder zur Krisenbewältigung schnelle und breit gültige

Entscheidungen zu treffen. Unternehmensinterne Think Tanks (oft auch als War Rooms bezeichnet)

bzw. einzelne Mitarbeiter mit vergleichbaren Aufgaben dienten der Früherkennung von möglichen

disruptiven Schocks sowie der breiteren Analyse im Krisenfall. Sie ergänzten die individuelle

Auseinandersetzung der Führungskräfte mit dem Unternehmensumfeld und mit möglichen

Entwicklungsszenarien. Von mehreren Interviewpartnern wurde zudem betont, dass sich

Entscheidungsgremien veränderten. Sie verbreiterten inhaltlich ihren Zuständigkeitsbereich und

inkludierten zudem interne und fallweise auch externe Experten, um aus einem breiteren

Erfahrungsschatz bei der Analyse und Lösungsfindung zu schöpfen. Besondere Gremien wie Risk

Boards, in denen Personen aus unterschiedlichen Funktionalbereichen vertreten waren, konnten

während der Krisenbewältigung schnelle und kollektive Entscheidungen treffen.

Diversifikation und kultureller Wandel

Ich habe ganz bewusst Personen rekrutiert, die schon aus Krisenunternehmen gekommen sind. Also ich habe nicht nach Schönwettermanagern Ausschau gehalten, sondern ganz bewusst Leute

rekrutiert, die auch Fehlschläge gehabt haben, die in Projekten, zum Beispiel auch unser CEO in (Land; die Autoren) hat in (Land; die Autoren) einen Flop hingelegt; im IT Bereich. Aber ich habe gewusst, aus dem hat er gelernt. Und du bist dann gut. Denn nur aus den Krisen kannst du lernen. Wenn du immer nur im Schönwetterbereich segelst, hast du nie Herausforderungen. Und im Sturm selbst lernst du auch nicht segeln. Das heißt, du brauchst den Erfahrungswert. (...) Da denkst du einfach anders. Also, beim Staffing ganz bewusst darauf zu achten, dass du Leute, d.h. eine kritische Masse, hast, die solche Erfahrungen schon gemacht haben. (Personalvorstand)

Zumindest moderat zu diversifizieren lautete eine weitere Daumenregel vor allem von Top-

Managern. Krisen machten auch die strake Abhängigkeit von wenigen Märkten, Kunden oder

Technologien sichtbar. Aus dieser Erkenntnis leiteten krisenerprobte Top-Manager die

Notwendigkeit ab, Unternehmen breiter aufzustellen und eine resilientere Balance zwischen dem

Kerngeschäft und zum Teil innovativeren Geschäftsfeldern herzustellen. Die Verletzlichkeit des

Unternehmens durch disruptive Veränderungen sollte verringert werden.

Mit der Diversifikation ging meistens ein unternehmenskultureller Wandel einher. Denn neue

Kunden, Märkte oder Technologien brauchten vielfach ein anderes Grundverständnis sowie andere

soziale Normen und Werte – d.h. ein anderes Anspruchsniveau21 – um erfolgreich in einem neuen

Geschäftsfeld agieren zu können. War ein radikaler Wandel der Unternehmenskultur aus Sicht der

Eigentümer oder des Top-Managements in der Krise notwendig, dann wurde auf die Daumenregel

zurückgegriffen, die besagte, dass dazu ein substanzieller Austausch von Führungskräften

notwendig ist. Einige Unternehmen erzeugten deshalb den auch für die Mitarbeiter gut sichtbaren

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Leadership in turbulenten Zeiten 17

Bruch mit der Vergangenheit durch den großflächigen Austausch von Führungskräften der ersten

bzw. zweiten Ebene.

Allianz- und Netzwerkbildung

Wir haben während der schlimmsten Krisenzeiten auch mit Beratern ein Konzept nach dem anderen für den Vorstand entwickelt, wie weit wir runter gehen können mit den Personalkosten.

Wie weit kommen wir dem dem Abbau der Lehrarbeiter, wie weit kommen wir mit Kurzarbeit etc. Ab wann geht es sich ohne drastische Einschnitte in die Stammmannschaft auch nicht mehr aus. Ich glaube, wir haben durch die Konzepte sehr viel beigetragen, dass wir so unbeschadet durch die Krise gekommen sind. (Personalvorstand Holding)

Als letzte generalisierbare Entscheidungsheuristik identifizierten wir bei krisenerprobten

Führungskräften die Nutzung von Allianzen und Netzwerken zur Krisenprävention und

-bewältigung. Allianzen oder Netzwerke ermöglichten eine breite Beobachtung des Umfeldes und

dienten deshalb gut zur Früherkennung von entscheidenden Trends und Entwicklungen. Externe

Netzwerke (z.B. Berater) lieferten Impulse zur Krisenbewältigung, wenn deren Expertise im Umgang

mit Krisen der im Unternehmen vorhandenen, überlegen war. Externen gelang es leichter, Defizite

zu erkennen und sie konnten in Krisenzeiten schnell neues Wissen zur Verfügung stellen um die

Entscheidungsheuristiken der Führungskräfte zum Umgang mit Krisen weiterzuentwickeln. Ebenso

wurden unternehmensinterne Netzwerke zur Krisenbewältigung herangezogen. Beispielsweise

lieferten Personalabteilungen Konzepte zur Schaffung von Flexibilitätspotenzialen beim

Personaleinsatz (z.B. Arbeitszeitregelungen, Kurzarbeit, Umgang mit Leiharbeitern), zum

Personalabbau oder zur Weiterqualifizierung von Führungskräften und Mitarbeitern.

Anstatt selbst am Zopf zu ziehen, wie dies im Münchhausen Paradoxon der Fall ist, kam ein

Rettungstrupp mit Wissen aus der Bewältigung anderer Krisensituationen, um – im Idealfall – den

Führungskräften wertvolle Erfahrungen zur Verfügung zu stellen, wie die Krise bewältigt werden

kann, bzw. wie die Organisation insgesamt neu ausgerichtet werden könnte, um gegenüber neuen

Krisen resistenter zu werden.

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18 Leadership in turbulenten Zeiten

SCHLUSSFOLGERUNGEN

Disruptive Veränderungen stellen große Anforderungen an das Entscheidungsverhalten von

Führungskräften. Resilienzfördernde Veränderungskompetenzen von Führungskräften (Dynamic

Managerial Capabilities) basieren auf Entscheidungsheuristiken (Daumenregeln), um disruptive

Veränderungen frühzeitig zu erkennen bzw. passende Maßnahmen zur Krisenbewältigung

einzuleiten und umzusetzen (Abbildung 3). Im Mittelpunkt steht ein Entscheidungsverhalten, das

vielfach von Bricolage22 gekennzeichnet ist, d.h. ein inkrementelles Entscheiden, wo bestehendes

Erfahrungswissen mit kleinräumiger Improvisation kombiniert wird, um Wege aus der Krise zu

finden.

Abbildung 3: Generalisierte Entscheidungsheuristiken

Resiliente Führungskräfte müssen über die Kompetenz verfügen, sich auch in mehrdeutigen,

unsicheren und komplexen Situationen, wie dies bei disruptiven Veränderungen typisch ist, ein

passendes Bild von den Kernherausforderungen zu machen und Szenarien durchzuspielen.

Konzeptionelle Kompetenzen23 der Führungskräfte sind gefragt. Unternehmen können

Führungskräfte über Supporteinheiten (Rollen oder Abteilungen) zur strategischen Analyse und

Entscheidungsunterstützung oder durch szenarienorientierte Strategieentwicklungsprozesse

unterstützen. Die passenden – krisenerprobten – Führungskräfte zu haben und sie im Umgang mit

disruptiven Veränderungen in Führungskräftetrainings weiterzubilden, dienen als zusätzliche

Maßnahmen, mit denen Unternehmen Resilienz fördern können (Abbildung 4).

Generalisierte Entscheidungsheuristik Komponente der Dynamic Managerial Capability Organisationale Unterstützung

Beobachte aufmerksam das Umfeld und hinterfrage

regelmäßig deine Beobachtungskriterien!

Strategische Wachsamkeit Strategieentwicklungsprozesse

Führungskräfteentwicklung

Denke in unterschiedlichen Entwicklungsszenarien! Reflexion von Entwicklungsszenarien Strategieentwicklungsprozess

Führungskräfteentwicklung

Treffe deine Entscheidungen gut sichtbar und setze

symbolische Gesten in Richtung Mitarbeiter!

Symbolische Entscheidungen Führungskräfteentwicklung

Etabliertes Kommunikationssystem

Nutze die Mehrdeutigkeit zu deinen Gunsten um

Neuerungen durchzusetzen!

Proaktivität Führungskräfteentwicklung

Flexibilitätsoffene Unternehmenskultur

Schaffe ein gemeinsames Verständnis über die

Situation und mögliche Lösungsalternativen!

Gemeinsamer Bezugsrahmen Teamentwicklung

Stabile Organisationseinheiten

Forme ein funktionales & kohäsives Team, wo Ziele,

Spielregeln und Rollen klar sind!

Leistungsfähige Teams Teamentwicklung (Ziele, Zuständigkeiten etc.)

Führungskräftetrainings

Konzentriere dich auf die wichtigen Themenfelder und

delegiere weniger entscheidende an Mitarbeiter!

Prioritätensetzung & delegative Entlastung Führungskräfteentwicklung

Teamentwicklung (u.a. Verantwortungsbereiche)

Forme eine passende Plattform für schnelle und

regelmäßige Kommunikation!

Strategische Krisenkommunikation Organisationsweites Kommunikationssystem

Führungskräfteentwicklung

Formuliere einfache kodifizierte Entscheidungsregeln

als Strategische Leitplanken für Mitarbeiter!

Funktionale Entscheidungskorridore & Kodifikation Klare Entscheidungskompetenzen

Eindeutige Organisationsstrukturen & -prozesse

Schaffe Rollen und Abteilungen für effektive

Krisenprävention und schnelle Entscheidungen!

Institutionalisierung Klare Entscheidungsgremien & -wege

Funktionaler Formalisierungsgrad

Verbreitere deine Geschäftsfelder und forciere

kulturellen Wandel wenn notwendig!

Diversifikation & kultureller Wandel Modularisierung der Strukturen

Moderat-diverse Unternehmenskultur

Greife auf Allianzen und Netzwerke zurück um

Frühinformationen und Lösungsideen zu bekommen!

Allianz- & Netzwerkbildung Allianzen & Netzwerke

Diversifikation

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Leadership in turbulenten Zeiten 19

Abbildung 4: Entscheidungsheuristiken von Führungskräften

Auf der anderen Seite müssen Führungskräfte einen Plan entwickeln, wie sie in Richtung

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bzw. Organisation, Maßnahmen setzen können, um auf plötzlich

auftretende Herausforderungen angemessen zu reagieren. Konzeptionelle Kompetenzen sind hierzu

notwendig um passende Krisenbewältigungsmaßnahmen einzuleiten und den Mitarbeiterinnen und

Mitarbeitern Orientierung und Richtung in stürmischen Zeiten zu geben. Dazu brauchen sie aber

ausreichend Verantwortungsspielraum durch das Unternehmen, um ihre Kompetenzen wirksam

einsetzen zu können. Aus organisationaler Perspektive können eine konsistente

Kommunikationsstrategie, ein konsistenter formaler Regelrahmen mit simplen strategischen

Regelungen als grobe Leitlinien sowie eine konsistente Unternehmenskultur mit flexibilitätsoffenen

sozialen Normen – im Sinne einer strategisch passenden Balance zwischen Effizienz- und

Innovationsorientierung24 – den Führungskräften entscheidend helfen, um daraus passende

Entscheidungsheuristiken zur Krisenbewältigung abzuleiten, die die Resilienz im Unternehmen

gewährleisten. Die Auswahl krisenerprobter Führungskräfte bzw. die Weiterentwicklung von

konzeptionellen Kompetenzen der Führungskräfte im Umgang mit Krisen, bildet die Basis einer

resilienten Organisation (Abbildung 5).

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Abbildung 5: Organisationale Unterstützung für Führungskräfte in Krisen

Krisen bieten aber auch immer eine Chance wenn bestehende Wahrnehmungs- und

Entscheidungsmuster durch die Dynamik der Krisensituation so entwertet werden, dass sich eine

Neubildung fast zwangsläufig ergeben muss. Proaktive Führungskräfte sind dann versucht über die

bloße Krisenbewältigung hinauszugehen, d.h. auch Resilienz im herkömmlichen Sinne zu

überwinden. Sie sind vielmehr bestrebt die Gunst der Stunde zu nutzen, um Entscheidungen

durchzusetzen, die sonst keine Chance auf Verwirklichung hätten (z.B. Effizienzverbesserungen,

neue Allianzen, Markterschließungen). Die Entwicklung von Unternehmen erfolgt durch die

Überwindung von Krisen25. Die wahre Kunst von Führungskräften liegt daher darin, die „Chancen

der Krise“ zu erkennen und unternehmerisch für die Weiterentwicklung des Unternehmens zu

nutzen.

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Leadership in turbulenten Zeiten 21

KONKRETE HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN FÜR DEN STANDORT

OBERÖSTERREICH

Die Handlungsempfehlungen für den Standort Oberösterreich zum Umgang mit disruptiven

Veränderungen beziehen sich auf die Gestaltung von Rahmenbedingungen, um Unternehmen

gegenüber disruptiver Veränderungen abzusichern. Außerdem werden Qualifizierungsmaßnahmen

behandelt, um jene Kompetenzen von Führungskräften weiterentwickeln, die bei der Vermeidung

bzw. Bewältigung von Krisen hilfreich sind.

Stärkung der regionalen Systemelastizität

Im Unternehmensumfeld helfen jene Mechanismen, die Anzeichen für das Entstehen disruptiver

Schocks entweder frühzeitig aufzeigen oder die Schockwirkung im Verbund abfedern:

Clustermanagement, Allianzen, Forschungsintensität, Foresight-Management in Form von Think

Tanks und Arbeitsmarktflexibilität. Die gleichen Mechanismen lassen sich bei größeren

Unternehmen auch unternehmensintern anwenden, um die Sensibilität und Robustheit gegenüber

Krisen zu fördern.

Clusters: Mit der Gestaltung von Clustern – wie dies in Oberösterreich, führend in Europa, der

Fall ist – wird ein flexibles Innovation Eco System aus Unternehmen, Forschungseinrichtungen,

Ausbildungsinstitutionen und politischen Akteuren geschaffen, das in großer Arbeitsteiligkeit,

unterschiedlich positionierte Akteure zusammenbringt. Wird davon ausgegangen, dass auch

Kernkompetenzen eines Unternehmens einem Lebenszyklus unterworfen sind26, dann sind auch in

Zeiten ohne disruptive Veränderungen parallele Lernprozesse notwendig. In der Literatur wird von

Ambidexterity27 gesprochen, um die jeweils spezifische Koppelung von Exploration und Exploitation

zu beschreiben. Für die Entwicklung von Unternehmen ist es essentiell, dass sie sowohl im

gegenwärtigen Geschäft möglichst effizient sind und ihre bestehenden Kernkompetenzen nutzen als

auch, dass sie für die Zukunft Innovationen in die Wege leiten, um Kompetenzen aufzubauen, die

die Wettbewerbsfähigkeit langfristig gewährleisten. Unternehmen müssen daher Standardisierung

und Effizienzorientierung mit Flexibilität und Innovationsorientierung koppeln28. Die Koppelung von

Exploitation und Exploration kann entweder unternehmensintern29 oder innerhalb von

Clusterverbünden erfolgen. Clusterverbünde haben den Vorteil, dass sich in einem Cluster jeder

Partner auf seine spezifischen Kompetenzen konzentrieren kann. Unternehmensübergreifend

kommt dann dem Management der Schnittstellen zwischen den verschiedenen Akteuren große

Bedeutung zu, um Informationen und Erfahrungswissen über die Unternehmensgrenzen migrieren

zu lassen. Hier spielt erstens der Qualifizierung der Führungskräfte eine große Rolle. Denn diese

müssen in der Lage sein, den Gesamtkontext aus strategischer Perspektive zu verstehen und ihren

Beitrag zielgerichtet einzubringen, um die verschiedenen Clusterpartner zu integrieren. Zweitens

nimmt das Clustermanagement eine tragende Rolle ein. Denn die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter

in den Clustermanagement-Institutionen sind ideale Botenträger zwischen den verschiedenen

Beteiligten. Sie nehmen im Idealfall eine Verbindungs- und Übersetzungsfunktion ein, um von einer

Systemlogik in die nächste zu übersetzen.

Spezialisieren sich nun die verschiedenen Akteure auf ihre Kernaufgabe, dann könnten

beispielsweise innovationsorientierte Einheiten (z.B. Forschungsinstitute) die Rolle von

Frühwarneinrichtungen übernehmen und Technologie- und Marktbrüche frühzeitig erkennen, um

Gegenmaßnahmen schnell in die Wege zu leiten. Unternehmen könnten sich auf Effizienz und

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22 Leadership in turbulenten Zeiten

Standardisierung ihres bisherigen Angebots konzentrieren und nur im Bedarfsfall Änderungen

vornehmen. Den politischen Akteuren käme die Gestaltung der Rahmenbedingungen zu, um

explorativen und exploitativen Einheiten im Cluster ein möglichst ideales Operieren im Verbund

auch in Krisenzeiten zu ermöglichen. Die Vernetzung mit ähnlichen Clusterverbünden weit über die

Region hinausgehend gewährleistet zusätzliche Flexibilitätsoptionen.

Allianzen: Eine ähnliche Logik verfolgt auch die Schaffung von Allianzen, wo die Politik

Vernetzung fördert und durch die Ansiedelung attraktiver Unternehmen neue Allianzangebote

schaffen kann. Wenn sich unternehmensintern zeigt, dass Diversifizierung die Resistenz gegenüber

Krisen erhöht, dann gilt dies im gleichen Sinne auch für Regionen. Um die Abhängigkeit von

wenigen Kernbranchen und -technologien zu verhindern ist es sinnvoll, in der Region einen guten

Mix zwischen der Schaffung von wettbewerbsfähigen Clustern in wenigen Kompetenzbereichen zu

sichern und gleichzeitig in nachwachsende Technologiefelder bzw. Branchen zu investieren, um die

Zukunftsfähigkeit der Region insgesamt zu gewährleisten. Eine gezielte Ansiedelungspolitik sowohl

für etablierte Unternehmen, die bestehende Cluster weiter aufwerten können als auch die

Gewinnung von Unternehmen in neuen Schwerpunktbrachen, mit dem Ziel in neue Technologie-

oder Kompetenzfelder einzutreten, bietet sich hier an. Das zuvor erwähnte gezielte

Clustermanagement kann auch die Verbindungslinie zwischen den unterschiedlichen Unternehmen

legen.

Forschungsintensität: Die Förderung der Forschungsintensität trägt dazu bei, dass frühzeitig

relevante und interdisziplinäre Analysen für die Region zur Verfügung stehen. Unternehmen und vor

allem das politische System kann auf Basis dieser Erkenntnisse Zukunftszenarien ableiten und

Handlungsweisen zur Krisenbekämpfung entwickeln. Dadurch ist ein frühzeitiges Reagieren

möglich, um entweder proaktiv neue Kompetenzfelder aufzubauen und den Übergang von einem

Kompetenzfeld zum anderen zu orchestrieren oder reaktiv auf Bedrohungen adäquat zu reagieren,

da auf schon vorhandenes Wissen zurückgegriffen werden kann.

Foresight-Management mittels Think Tanks: Durch die Schaffung eines institutionalisierten

Foresight-Managements in Form von Think Tanks können Krisen früher erkannt werden als dies

dem einzelnen Unternehmen im Normalfall möglich wird. Foresight-Management kann die

institutionalisierte Nutzung des Wissens von Forschungseinrichtungen (z.B. Universitäten,

Fachhochschulen und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen) betreffen. In den

Forschungseinrichtungen wird dezental und in einem evolutionären Prozess laufend neues Wissen

in verschiedenen Forschungsfeldern generiert. Vielfach fehlt es aber an zentralen Institutionen, die

sich gezielt mit der Auswertung des dort generierten Wissens beschäftigen. Hier kommen Think-

tanks ins Spiel, wie dies etwa in Oberösterreich durch Academia Superior der Fall ist. Think-tanks

können sich der Sammlung und Auswertung der Erkenntnisse der Forschungseinrichtungen

widmen, diese aufbereiten und der Region mit ihren Unternehmen und Non-Profit-Organisationen

in Form von Diskussionsveranstaltungen, Netzwerktreffen, Ad-hoc-Aussendungen oder Berichten zu

Verfügung stellen.

Arbeitsmarktflexibilität: Die Flexibilität in der Region wird durch die Gestaltung von

Rahmenbedingungen aus dem wirtschaftspolitischen Umfeld erhöht. Hierzu ist es besonders

günstig, wenn schon vor einer Krise die Bereitschaft vorhanden ist, die Arbeitsmarktflexibilität

auszubauen und Konzepte für Arbeitsstiftungen zu entwickeln, in denen über

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Leadership in turbulenten Zeiten 23

Qualifizierungsmaßnahmen das Humankapital der Region weiter veredelt wird. Flexible

Arbeitsmärkte und das Angebot an Arbeitsstifungen senken den Kostendruck auf Unternehmen in

Krisenzeiten. Es kann rasch auf vorher vereinbarte Mechanismen zurückgegriffen werden, um

Unternehmen zu entlasten und Arbeitskräfte in der Krise weiter zu qualifizieren. Effizienz und

bessere Qualifizierung könnte dazu führen, dass über die Krise die Wettbewerbsfähigkeit kurz- und

langfristig erhöht wird. Kurzfristig hilft es Unternehmen, wenn sie ihre Kostenpositionen verbessern

können, indem sie Arbeitskräfte abbauen oder flexibler einsetzen können. Langfristig können

Arbeitsstiftungen mit einem Qualifizierungsaspekt Umschulungsmaßnahmen in die Wege leiten, um

der Region neu qualifizierte Arbeitskräfte zur Verfügung zu stellen, sobald die

Wirtschaftsentwicklung wieder an Fahrt gewinnt. Dadurch stehen schon neu qualifizierte

Arbeitskräfte zur Verfügung während andere Regionen erst beginnen auf die Veränderungen in der

Arbeitskräftenachfrage zu reagieren und Umschulungsmaßnahmen aufzubauen.

Stärkung der Führungskompetenzen

Auf der individuellen Ebene der Führungskräfte können die vorhandenen Potenziale durch

Kompetenzentwicklung weiter veredelt werden, um sowohl Resilienz als auch proaktives Handeln in

Krisenzeiten zu forcieren. Zudem wären Maßnahmen hilfreich, die das mögliche Potenzial an

Führungskräften, deren Kompetenzen erst entwickelt werden können, erhöhen. Dazu zählen vor

allem Maßnahmen, die die Mobilität von Potenzialträgern in die Region erhöhen bzw. auch des

kontinuierliche Wechselspiel von Personen aus der Region, die nach längeren internationalen

Funktionsperioden wieder zurückkehren und durch ihre internationale Ausrichtung wertvolle

Impulse für die Krisenvermeidung bzw. -bewältigung liefern können.

Führungskräftetrainings: Die Entwicklung der Führungskräfte in der Region kann intensiviert

werden, um Resilienz und Proaktivität für Krisenzeiten zu fördern. Führungskräftetrainings bilden die

Möglichkeit, das Fähigkeitenrepertoire von Führungskräften auszubauen und ihnen vor allem

Wissen im Umgang mit Krisen mitzugeben und das Selbstverständnis in Bezug auf

Rollenerwartungen zu klären. Im Prinzip gibt es zwei Pfade um die Qualifizierung von

Führungskräften voranzutreiben. Erstens kann die Führungskräftequalifizierung im Unternehmen

stattfinden. In diesem Fall ist eine Evaluierung des Status-quo im Unternehmen sinnvoll, um die

konkreten Bedarfe zur Krisenbewältigung zu erfassen und dies mit dem Entwicklungspfad des

Unternehmens30 spezifisch abzustimmen. Auf Basis der dort identifizierten Inhalte lassen sich die

Trainingsmaßnahmen genau auf die Bedürfnisse des Unternehmens und der Führungskräfte

zuschneiden und mit Maßnahmen der Organisationsentwicklung bzw. der Teamentwicklung in

Verbindung zu setzen31. Zweitens können Führungskräfte in MBA- bzw. sonstigen Lehrprogrammen

weiterqualifiziert werden. Hier steht neben der inhaltlichen Entwicklung auch das Erfahrungslernen

von anderen Führungskräften, die ihre individuelle Krisenerfahrungen einbringen, im Vordergrund.

Das Studienprogramm bzw. die Trainer setzen die Themen und bieten punktuellen Input.

Wesentliche Lernquellen für die teilnehmenden Führungskräfte ergeben sich aber aus den

Erfahrungsschätzen der anderen Teilnehmer. Im Kern geht es immer um die Frage der

Reflexionsfähigkeit der eigenen Situation im Marktumfeld und der Entwicklung von strategisch-

konzeptionellen Kompetenzen32. Dadurch steigt die Wahrscheinlichkeit, Krisen rechtzeitig zu

erkennen und adäquate Umgangsstrategien zu entwickeln. Dies beinhaltet die passende

Ausgestaltung der kollektiven Prioritätensetzung und die Fähigkeit, das eigene Team auf dem Weg

zur Krisenbewältigung gut mitzunehmen. Wissen über die Gestaltung des Kommunikations- und

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24 Leadership in turbulenten Zeiten

Entscheidungssystems und zum Umgang mit herausfordernden Führungssituationen33 bilden

zentrale Marksteine.

Mobilität: Schließlich sollte die Mobilität der Führungskräfte forciert werden, um kontinuierlich

Zufluss an Potenzialen und an Wissen aus anderen Regionen bzw. Ländern zu bekommen.

Dadurch steigen die Sensibilität und das Wissen über die Entwicklungen in anderen Regionen und

das Potenzial zur Krisenbewältigung. Die Förderung der Mobilität und die Forcierung des Regional

Branding, d.h. der Bewerbung der Offenheit der Region für den Zuzug und der Beschäftigung von

Führungskräften, die nicht aus dem regionalen Raum kommen, bringt Erfahrungsschätze, die dann

besonders wirksam werden können, wenn disruptive Krisen auftreten.

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Leadership in turbulenten Zeiten 25

1 Die Studie wurde in einer früheren Version als „Güttel, W.H. & Wiesinger, J. 2015. Leadership in turbulenten Zeiten: Resilienz und Entscheidungsheuristiken bei disruptiven Veränderungen. Austrian Management Review 5:33-45“ publiziert.

2 Güttel, W. 2011. New Austrian School of Management. Wissen, Lernen und Unternehmertum in dynamischen Märkten. Austrian Management Review 1: 17-29.

3 Eisenhardt, K. M. & Martin, J. A. 2000. Dynamic capabilities: what are they?. Strategic management journal 21: 1105-1121; Teece, D. J., Pisano, G. & Shuen, A. 1997. Dynamic capabilities and strategic management. Strategic management journal 18: 509-533; Vogel, R. & Güttel, W. H. 2013. The dynamic capability view in strategic management: a bibliometric review. International Journal of Management Reviews 15: 426-446.

4 Winter, S. G. 2003. Understanding dynamic capabilities. Strategic management journal 24: 991-995; Zollo, M. & Winter, S. G. 2002. Deliberate learning and the evolution of dynamic capabilities. Organization science 13: 339-351; Güttel, W. H., Konlechner, S. & Müller, B. 2012. Entscheidungsmuster und Veränderungsarchitekturen in Wandelprozessen: Eine Dynamic Capabilities-Perspektive. Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung 64: 630-654.

5 Teece, D. J. 2007. Explicating dynamic capabilities: the nature and microfoundations of (sustainable) enterprise performance. Strategic management journal 28: 1319-1350.

6 Güttel, W. H., Konlechner, S. & Müller, B. 2012. a.a.O.

7 Sydow, J., Schreyögg, G. & Koch, J. 2009. Organizational path dependence: Opening the black box. Academy of Management Review 34: 689-709.

8 Hamel, G. & Prahalad, C. K. 1990. Corporate imagination and expeditionary marketing. Harvard business review 69: 81-92.

9 Güttel, W. H. 2015. Was wir wollen sollen: Anspruchsniveaus, Entscheidungsheuristiken & Regelregime.

Austrian Management Review 5: 12-24; Gigerenzer, G. 2012. Bauchentscheidungen: Die Intelligenz des

Unbewussten und die Macht der Intuition. München; Eisenhardt, K. M., Furr, N. R. & Bingham, C. B. 2010.

Microfoundations of Performance: Balancing Efficiency and Flexibility in Dynamic Environments.

Organization Science 21: 1263-1273; Sull, D. & Eisenhardt, K.M. 2015. Simple Rules: How to Thrive in a

Complex World. London. 10 Covey, S. R., Merrill, R. A. & Merrill, R. R. 1995. First things first. New York.

11 Harreld, J. B., O’Reilly, C. A. III & Tushman, M. L. 2007. Dynamic capabilities at IBM: driving strategy into action. California Management Review 49: 21–43.

12 Helfat, C. E. & Peteraf, M. A. 2015. Managerial cognitive capabilities and the microfoundations of dynamic capabilities. Strategic Management Journal 36: 831–850.

13 Teece, D. J. 2007. Explicating dynamic capabilities: The nature and microfoundations of (sustainable) enterprise performance. Strategic Management Journal 28: 1319–1350; Helfat, C. E. & Peteraf, M. A. 2015. a. a. O. sowie in der Einbettung in eine größere Veränderungsarchitektur Güttel, W. H., Konlechner, S. W. & Müller, B. 2012. Entscheidungsmuster und Veränderungsarchitekturen in Wandelprozessen: Eine Dynamic Capabilities-Perspektive. Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung 64: 630-654.

14 Weick, K.E. 1993. The collapse of sensemaking in organizations: The Mann Gulch disaster. Administrative Science Quarterly 38: 628-652; Weick, K.E.& Sutcliffe, K.M. 2003. Das unerwartete managen. Wie Unternehmen aus Extremsituationen lernen. Stuttgart; Weick, K E., Sutcliffe, K.M. & Obstfeld, D. 2008. Organizing for high reliability: Processes of collective mindfulness. Crisis management 3: 81-123.

15 Duchek, S., Geithner, S. & Mistele, P. 2015. Verwandte Konzepte: Resilienz in High Reliability Theory und High Performance Teams, in: Bargstedt, U., Horn, G. & van Vegten, A. (Hrsg.): Resilienz in Organisationen

Page 26: LEADERSHIP IN TURBULENTEN ZEITEN · 2 Leadership in turbulenten Zeiten Angaben zu den Autoren Univ.-Prof. Dr. Wolfgang H. Güttel ist Universitätsprofessor am Institute of Human

26 Leadership in turbulenten Zeiten

stärken – Vorbeugung und Bewältigung von kritischen Situationen, 79-98; Lengnick-Hall, C. A., Beck, T. E. & Lengnick-Hall, M. L. 2011. Developing a capacity for organizational resilience through strategic human resource management. Human Resource Management Review 21: 243–255.

16 Exner, A., Exner, H. & Hochreiter, G. 2009. Selbststeuerung von Unternehmen: Ein Handbuch für Manager und Führungskräfte. Frankfurt/Main.

17 Schreyögg, G. & Kliesch-Eberl, M. 2007. How dynamic can organizational capabilities be? Towards a dual-process model of capability dynamization. Strategic Management Journal 28: 913-933.

18 Flanagan, J. C. 1954. The critical incident technique. Psychological bulletin 51: 327-358.

19 Langley, A. 1999. Strategies for theorizing from process data. Academy of Management Review 24: 691–710; Miles, M. & Huberman, M. 1994. Qualitative Data Analysis: An Expanded Sourcebook. Thousand Oaks (CA) etc.

20 Sull, D. &. Eisenhardt, K. M. 2015. a.a.O.

21 Güttel, W. H. 2015 a.a.O.

22 Weick, K. E. 1993. a.a.O.

23 Güttel, W. H. 2013. Konzeptionelle Kompetenz: Leadership aus der Perspektive der New Austrian School of Management. Austrian Management Review 3: 79-89.

24 In der Literatur wird diesbezüglich besonders auf das Konzept der Ambidextrie verwiesen; vgl. Güttel, W. H., Konlechner, S. W. & Trede, J. K. 2015. Standardized individuality versus individualized standardization: the role of the context in structurally ambidextrous organizations. Review of Managerial Science 9: 261-284; Güttel, W. H. & Konlechner, S. W. 2014. Ambidextrie als Ansatz zur Balancierung von Effizienz und Innovativität in Organisationen. Burr, W. (Hg.). Innovation: Theorien, Konzepte und Methoden der Innovationsforschung. Stuttgart, 373-403.

25 Glasl, F. & Lievegoed, B. C. 2016. Dynamische Unternehmensentwicklung. Bern; Greiner, L. E. 1972. Evolution and revolution as organizations grow. Harvard Business Review 50: 37-46.

26 Helfat, C. E. & Peteraf, M. A. 2003. The dynamic resource‐based view: Capability lifecycles. Strategic management journal 24: 997-1010.

27 O’Reilly, C. A. & Tushman, M. L. 2008. Ambidexterity as a dynamic capability: Resolving the innovator's

dilemma. Research in organizational behavior 28: 185-206; Güttel, W. H. & Konlechner, S. W. 2009. Continuously hanging by a thread: Managing contextually ambidextrous organizations. Schmalenbach Business Review 61: 150-171.

28 Güttel, W. H., Konlechner, S. W. & Trede, J. K. 2015 a.a.O. sowie Garaus, C., Güttel, W.H., Konlechner, S.W., Koprax, I, Lackner, H., Link, K. & Müller, B. 2015. Bridging knowledge in ambidextrous HRM systems: Empirical evidence from Hidden Champions. International Journal of Human Resource Management 27: 355-381.

29 z.B. zu den verschiedenen Formen der Koppelung Güttel, W. H. & Konlechner, S. W. 2014 a.a.O.

30 Exner, A., Exner, H. & Hochreiter, G. 2009. a.a.O.

31 vgl. Königswieser, U.& Exner, A. 2006. Systemische Intervention. Stuttgart; Dietrich, A., Frank, H., Güttel, W.H. & Hasenzagl, R. 2005. Das Feuer kleiner Gruppen: Analyse der Entwicklungslogik und -dynamik eines Beratungsprozesses. Gruppendynamik und Organisationsentwicklung 36: 271-284.

32 Güttel, W.H. 2015 a.a.O.

33 Güttel, W.H. & Pichler, O. 2012. Führen in schwierigen Situationen. Personal Manager, 5/12, 12-16.