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18 ROBOTIK UND MATERIALFLUSS DVZ N0 46 · MITTWOCH, 14. NOVEMBER 2018 LEAN MANAGEMENT Von Tim-Oliver Frische DVZ: Sie bestreiten mit Partnern in diesem Jahr bereits zum elften Mal das Kooperationsforum „Schlanker Materialfluss“. Was macht das Thema dauerhaft so spannend? Frank Hoppe: Die Beseitigung offener und Minimierung ver- deckter Verschwendung stellt für viele Unternehmen weiterhin eine große Herausforderung dar. Offene Verschwendung entsteht durch Überproduktion, zu hohe Bestände, Fehler und Reparaturen sowie War- ten auf Mitarbeiter und Bauteile. Zur verdeckten Verschwendung gehören Aspekte wie Fläche, Wegezeiten von Mensch und Material sowie Trans- portvorgänge. Hier setzt der schlan- ke Materialfluss an: Er verbessert die Produktivität, indem er Verschwen- dungen stark reduziert beziehungs- weise eliminiert und gleichzeitig Arbeits- und Produktionsabläufe verbessert. Dadurch entstehen entscheidende Wettbewerbsvorteile, unter anderem im Bereich redu- zierter Herstellkosten. Dies steht in Einklang mit dem assoziierten Ansatz, die Mitarbeiterzufriedenheit etwa durch Mitsprachemöglichkei- ten und die Arbeitsplatzergonomie zu verbessern sowie letztlich einen höheren Kundennutzen sicherzu- stellen. Philipp Dickmann: Die Anforde- rungen der Unternehmen sind sehr unterschiedlich. Im deutschen Son- dermaschinenbau sind die Problem- stellungen beispielsweise gänzlich anders gelagert als bei Serienpro- duzenten im Automotive-Umfeld. Darüber hinaus ergeben sich speziell in Deutschland aufgrund der oft sehr komplexen Produkte und Herstell- netze ganz diversifizierte fachüber- greifende Anforderungen. Das heißt, dass 08/15-Lean-Um- setzungen zunächst einen guten ersten Schritt darstellen, jedoch oftmals nicht ausreichend sind? Dickmann: Um nachhaltig einen umfassenden positiven Wettbe- werbseffekt zu erreichen, reicht das nicht. Der Mehrwert besteht vielmehr darin, „High-End-Lösun- gen“ im Bereich „Lean“ fachüber- greifend und maßgeschneidert zu entwickeln und umzusetzen. Oft sind erst abgestimmte Maßnahmen- pakete in Logistik, Arbeitsplatzge- staltung, Technik, IT, Entwicklung, Lean- und Lieferantenmanagement nötig, um die Wettbewerbssituati- on wesentlich zu verbessern. Bei Projekten speziell im Bereich der Restrukturierung von Insolvenz- unternehmen ist immer wieder festzustellen, dass genau der fachübergreifende Lösungsansatz als Herangehensweise wichtig ist – auch wenn es ein komplexer Ansatz ist. Im Gegensatz zu Rück- fallquoten von etwa 30 bis 40 Prozent in den ersten drei bis vier Jahren bei klassischer Herangehensweise vermeidet man so einen Jo-Jo-Effekt, und das Unternehmen bleibt wirtschaftlich stabil. Wie hat sich bei Ihnen das Thema historisch etabliert? Hoppe: Als Treiber der Themen Lean Management und Lean Produc- tion kann sicher die Automobil- und Zulieferindustrie angesehen wer- den. Das Bundesland Bayern verfügt hier über einen überragenden Besetzungsfaktor entsprechender Unternehmen. Daher unterstützt das Cluster Automotive, welches von der Bayern Innovativ GmbH gemanagt wird, innovative Lösun- gen in diesem Umfeld – und zwar branchenübergreifend, nicht nur auf die Automobilindustrie bezogen. Wir greifen auf umfangreiche Erfah- rungen aus über zwei Jahrzehnten erfolgreicher Netzwerkarbeit zu- rück, um bayerische Unternehmen entlang der Wertschöpfungskette erfolgreich begleiten zu können. Denn Innovationsfähigkeit ist der Garant für eine nachhaltige Wett- bewerbsfähigkeit. Hier entwickeln wir kontinuierlich neue Methoden. Derzeit arbeiten wir zum Beispiel daran, wichtige Netzwerke, Institu- tionen und Unternehmen zu einem großen Thinktank, einem ThinkNet zu verknüpfen. Dickmann: Ich hatte durch Zufall das Glück, bereits 1989 bei einem der ersten international besetzten Lean- Projekte in Deutschland dabei zu sein. Später nutzte ich die Möglich- keit bei Nissan, die Methode aus der internen Perspektive kennenzuler- nen – für mich stellt das Toyota Pro- duktionssystem (TPS) die Basis von Lean dar. Andererseits ist die abge- stimmte Umsetzung mit Maßnahmen in Steuerungsanalytik, Projektma- nagement, Produktionsmanagement, Einkaufsmethodik und IT heute eine wichtige Betrachtungsebene. Anfangs wurden Ihre Ansätze dazu in der Fachwelt kritisch gesehen … Dickmann: … weil es nicht oppor- tun war, über mehrere Fachbereiche hinweg Themen abzudecken. Die Unternehmen, das heißt die Per- sonen, die in der Praxis Lösungen erfolgreich umsetzen müssen, sind jedoch zunehmend darauf angewie- sen, von interdisziplinären Ansätzen zu profitieren. Tatsächlich wurde ich lange in meiner Funktion als Fach- buchautor wegen der ERP-Themen und der Themen, die mittlerweile „Industrie 4.0“ genannt werden, von den Lean-Begeisterten eher als „Ab- trünniger“ angesehen – speziell die japanischen und US-amerikanischen Unternehmen sahen hier sogar einen Widerspruch. Seit etwa drei Jahren stelle ich fest, dass die Kombination aus modernem Produktionsmanage- ment-, Lean- und Industrie-4.0-An- sätzen eine Vorreiterrolle einnimmt. Welche Rolle spielt aus Ihrer Sicht der Mensch im Lean Management? Hoppe: In zahlreichen Referenten- beiträgen der vergangenen Jahre kam deutlich zum Ausdruck, dass der Mensch die wichtigste Unterneh- mensressource darstellt. Die optima- le Nutzung dieses großen Potenzials stellt eine elementare Größe dar. Die Aus- und Weiterbildung um das Lean Management herum – inklusive Schu- lung entsprechender Methoden und Ansatzpunkte – kann als wichtiger Stellhebel angesehen werden, um dieses Potenzial optimal zu nutzen. Auch lassen sich Hemmschwellen der Umsetzung im Unternehmen direkt abbauen. Hitoshi Takeda, einer der weltweit bekannten „Lean- Gurus“, hat zum Beispiel einmal gesagt, dass die Nachhaltigkeit eines Unternehmens davon abhängt, mit welchem Eifer die Mitarbeiter geschult werden. Dickmann: Im klassischen Sinne ist der Teamgedanke eines der zentralsten Themen des „Erfinders“ des Lean-Systems Taiichi Ohno, dem früheren Produktionsverant- wortlichen von Toyota. Dies wurde zunächst über viele Jahre von den Spin-Doctors der Methodenlehre, al- len voran US-amerikanische Berater und Hochschulen, eher nicht als das eigentliche Hauptthema bewertet. Tatsächlich hat der Nachfolger von Ohno mir gegenüber mehrfach bestätigt, dass Ohno in Sachen Bottom-up-Prozess, „auf Mitarbeiter offen zugehen“ beziehungsweise Teamfähigkeit sicherlich ein Mensch mit außergewöhnlichen Fähigkeiten war. Lean ist also ein sehr auf den Mitarbeiter bezogenes System. Mit der aktuellen Themenstellung von Industrie 4.0, die ich als ein eher paralleles Fachthema sehe, wird dies noch einmal wichtiger werden. Sehen Sie hier einen Trend neben Industrie 4.0? Dickmann: Die noch intensivere informationstechnische Vernetzung der Mitarbeiter ist sicher einer der Kerntrends hinter Industrie 4.0, also des operativen Werkers, aber auch der produktionsnahen indi- rekten Mitarbeiter mit datentechni- schen Mitteln. Ein weiterer Schwer- punkt ist die Verknüpfung mit noch schnelleren und stabileren Assis- tenzsystemen, die den Mitarbeiter eine noch höhere Effizienz errei- chen lassen. Risiken und Chancen der Industrie-4.0-Umsetzungen sind mittlerweile greiarer geworden. Hier haben wir als Gesellschaft jedoch noch grundsätzliche Themen zu diskutieren und festzulegen. Je nachdem, wie wir uns entscheiden, werden wir in den nächsten 20 Jahren Effizienzsprünge nutzen können oder eher nicht. Dabei sprechen wir sicherlich von einer volks- wirtschaftlichen Dimension, das heißt, inwieweit wir es schaffen, Industrien hier in Deutschland auszubauen oder zu verlieren. Das bedeutet andererseits nicht, dass man die Rechte des einzelnen Individuums, die wir uns in Europa hart erkämpft haben, leichtfertig vernachlässigen sollte oder müsste. Zudem müssen wir theoretische und ausschließlich aus Bürokratie geborene Rahmenbedingungen und lieb gewonnene Perspektiven infra- ge stellen, vor allem angesichts von Lösungen, die etwa in China heute schon prak- tisch, erfolgreich sowie wettbewerbsverändernd wirken. Innovationsfähigkeit ist der Garant für eine nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit. Frank Hoppe, Projektmanager Bayern Innovativ „Schulung ist ein wichtiger Stellhebel“ Die Vermeidung von Verschwendung im innerbetrieblichen Materialfluss ist für viele Unternehmen nach wie vor ein Thema. Für die Veranstaltung „Schlanker Materialfluss“ kooperiert Bayern Innovativ unter anderem mit der Lepros GmbH. Im Interview erläutern Philipp Dickmann (rechts) und Frank Hoppe, wie sich bessere Produktivität erreichen lässt und welche Rolle die Mitarbeiter dabei spielen. Homepageveröffentlichung unbefristet genehmigt für https://www.bayern-innovativ.de/ und http://www.lepros.de/

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18 ROBOTIK UND MATERIALFLUSSDVZ N0 46 · MITTWOCH, 14. NOVEMBER 2018

LEAN MANAGEMENT

Von Tim-Oliver Frische

DVZ: Sie bestreiten mit Partnern in diesem Jahr bereits zum elften Mal das Kooperationsforum „Schlanker Materialfluss“. Was macht das Thema dauerhaft so spannend?Frank Hoppe: Die Beseitigung offener und Minimierung ver-deckter Verschwendung stellt für viele Unternehmen weiterhin eine große Herausforderung dar. Offene Verschwendung entsteht durch Überproduktion, zu hohe Bestände, Fehler und Reparaturen sowie War-ten auf Mitarbeiter und Bauteile. Zur verdeckten Verschwendung gehören Aspekte wie Fläche, Wegezeiten von Mensch und Material sowie Trans-portvorgänge. Hier setzt der schlan-ke Materialfluss an: Er verbessert die Produktivität, indem er Verschwen-dungen stark reduziert beziehungs-weise eliminiert und gleichzeitig Arbeits- und Produktionsabläufe verbessert. Dadurch entstehen entscheidende Wettbewerbsvorteile, unter anderem im Bereich redu-zierter Herstellkosten. Dies steht in Einklang mit dem assoziierten Ansatz, die Mitarbeiterzufriedenheit etwa durch Mitsprachemöglichkei-ten und die Arbeitsplatzergonomie zu verbessern sowie letztlich einen höheren Kundennutzen sicherzu-stellen.

Philipp Dickmann: Die Anforde-rungen der Unternehmen sind sehr unterschiedlich. Im deutschen Son-dermaschinenbau sind die Problem-stellungen beispielsweise gänzlich anders gelagert als bei Serienpro-duzenten im Automotive-Umfeld. Darüber hinaus ergeben sich speziell in Deutschland aufgrund der oft sehr komplexen Produkte und Herstell-netze ganz diversifizierte fachüber-greifende Anforderungen.

Das heißt, dass 08/15-Lean-Um-setzungen zunächst einen guten ersten Schritt darstellen, jedoch oftmals nicht ausreichend sind?Dickmann: Um nachhaltig einen umfassenden positiven Wettbe-werbseffekt zu erreichen, reicht das nicht. Der Mehrwert besteht vielmehr darin, „High-End-Lösun-gen“ im Bereich „Lean“ fachüber-greifend und maßgeschneidert zu entwickeln und umzusetzen. Oft sind erst abgestimmte Maßnahmen-pakete in Logistik, Arbeitsplatzge-staltung, Technik, IT, Entwicklung, Lean- und Lieferantenmanagement nötig, um die Wettbewerbssituati-on wesentlich zu verbessern. Bei Projekten speziell im Bereich der Restrukturierung von Insolvenz-unternehmen ist immer wieder festzustellen, dass genau der fachübergreifende Lösungsansatz als Herangehensweise wichtig ist – auch wenn es ein komplexer

Ansatz ist. Im Gegensatz zu Rück-fallquoten von etwa 30 bis 40 Prozent in den ersten drei bis vier Jahren bei klassischer Herangehensweise vermeidet man so einen Jo-Jo-Effekt, und das Unternehmen bleibt wirtschaftlich stabil.

Wie hat sich bei Ihnen das Thema historisch etabliert?Hoppe: Als Treiber der Themen Lean Management und Lean Produc-tion kann sicher die Automobil- und Zulieferindustrie angesehen wer-den. Das Bundesland Bayern verfügt hier über einen überragenden Besetzungsfaktor entsprechender Unternehmen. Daher unterstützt das Cluster Automotive, welches von der Bayern Innovativ GmbH gemanagt wird, innovative Lösun-gen in diesem Umfeld – und zwar branchenübergreifend, nicht nur auf die Automobilindustrie bezogen. Wir greifen auf umfangreiche Erfah-rungen aus über zwei Jahrzehnten erfolgreicher Netzwerkarbeit zu-rück, um bayerische Unternehmen entlang der Wertschöpfungskette erfolgreich begleiten zu können. Denn Innovationsfähigkeit ist der Garant für eine nachhaltige Wett-bewerbsfähigkeit. Hier entwickeln wir kontinuierlich neue Methoden. Derzeit arbeiten wir zum Beispiel daran, wichtige Netzwerke, Institu-tionen und Unternehmen zu einem großen Thinktank, einem ThinkNet zu verknüpfen.

Dickmann: Ich hatte durch Zufall das Glück, bereits 1989 bei einem der ersten international besetzten Lean-Projekte in Deutschland dabei zu sein. Später nutzte ich die Möglich-keit bei Nissan, die Methode aus der internen Perspektive kennenzuler-nen – für mich stellt das Toyota Pro-duktionssystem (TPS) die Basis von Lean dar. Andererseits ist die abge-stimmte Umsetzung mit Maßnahmen in Steuerungsanalytik, Projektma-nagement, Produktionsmanagement, Einkaufsmethodik und IT heute eine wichtige Betrachtungsebene.

Anfangs wurden Ihre Ansätze dazu in der Fachwelt kritisch gesehen …Dickmann: … weil es nicht oppor-tun war, über mehrere Fachbereiche hinweg Themen abzudecken. Die Unternehmen, das heißt die Per-sonen, die in der Praxis Lösungen erfolgreich umsetzen müssen, sind jedoch zunehmend darauf angewie-sen, von interdisziplinären Ansätzen zu profitieren. Tatsächlich wurde ich lange in meiner Funktion als Fach-buchautor wegen der ERP-Themen und der Themen, die mittlerweile „Industrie 4.0“ genannt werden, von den Lean-Begeisterten eher als „Ab-trünniger“ angesehen – speziell die japanischen und US-amerikanischen Unternehmen sahen hier sogar einen Widerspruch. Seit etwa drei Jahren stelle ich fest, dass die Kombination aus modernem Produktionsmanage-ment-, Lean- und Industrie-4.0-An-sätzen eine Vorreiterrolle einnimmt.

Welche Rolle spielt aus Ihrer Sicht der Mensch im Lean Management?Hoppe: In zahlreichen Referenten-beiträgen der vergangenen Jahre kam deutlich zum Ausdruck, dass der Mensch die wichtigste Unterneh-mensressource darstellt. Die optima-le Nutzung dieses großen Potenzials stellt eine elementare Größe dar. Die Aus- und Weiterbildung um das Lean

Management herum – inklusive Schu-lung entsprechender Methoden und Ansatzpunkte – kann als wichtiger Stellhebel angesehen werden, um dieses Potenzial optimal zu nutzen. Auch lassen sich Hemmschwellen der Umsetzung im Unternehmen direkt abbauen. Hitoshi Takeda, einer der weltweit bekannten „Lean-Gurus“, hat zum Beispiel einmal gesagt, dass die Nachhaltigkeit eines Unternehmens davon abhängt, mit welchem Eifer die Mitarbeiter geschult werden.

Dickmann: Im klassischen Sinne ist der Teamgedanke eines der zentralsten Themen des „Erfinders“ des Lean-Systems Taiichi Ohno, dem früheren Produktionsverant-wortlichen von Toyota. Dies wurde zunächst über viele Jahre von den Spin-Doctors der Methodenlehre, al-len voran US-amerikanische Berater und Hochschulen, eher nicht als das eigentliche Hauptthema bewertet. Tatsächlich hat der Nachfolger von Ohno mir gegenüber mehrfach bestätigt, dass Ohno in Sachen Bottom-up-Prozess, „auf Mitarbeiter offen zugehen“ beziehungsweise Teamfähigkeit sicherlich ein Mensch mit außergewöhnlichen Fähigkeiten war. Lean ist also ein sehr auf den Mitarbeiter bezogenes System. Mit der aktuellen Themenstellung von Industrie 4.0, die ich als ein eher paralleles Fach thema sehe, wird dies noch einmal wichtiger werden.

Sehen Sie hier einen Trend neben Industrie 4.0?Dickmann: Die noch intensivere informationstechnische Vernetzung der Mitarbeiter ist sicher einer der Kerntrends hinter Industrie 4.0, also des operativen Werkers, aber auch der produktionsnahen indi-rekten Mitarbeiter mit datentechni-schen Mitteln. Ein weiterer Schwer-punkt ist die Verknüpfung mit noch schnelleren und stabileren Assis-tenzsystemen, die den Mitarbeiter eine noch höhere Effizienz errei-chen lassen. Risiken und Chancen der Industrie-4.0-Umsetzungen sind mittlerweile greifbarer geworden. Hier haben wir als Gesellschaft jedoch noch grundsätzliche Themen zu diskutieren und festzulegen. Je nachdem, wie wir uns entscheiden, werden wir in den nächsten 20 Jahren Effizienzsprünge nutzen können oder eher nicht. Dabei sprechen wir sicherlich von einer volks-wirtschaftlichen Dimension, das heißt, inwieweit wir es schaffen, Industrien hier in Deutschland auszubauen oder zu verlieren. Das bedeutet andererseits nicht, dass man die Rechte des einzelnen Individuums, die wir uns in Europa hart erkämpft haben, leichtfertig vernachlässigen sollte oder müsste. Zudem müssen wir theoretische und ausschließlich aus Bürokratie geborene Rahmenbedingungen und lieb gewonnene Perspektiven infra-ge stellen, vor allem angesichts von Lösungen, die etwa in China heute schon prak-tisch, erfolgreich sowie wettbewerbsverändernd wirken.

”Innovationsfähigkeit ist der Garant für eine nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit.Frank Hoppe, Projektmanager Bayern Innovativ

„Schulung ist ein wichtiger Stellhebel“ Die Vermeidung von Verschwendung im innerbetrieblichen Materialfluss ist für viele Unternehmen nach wie vor ein Thema. Für die Veranstaltung „Schlanker Materialfluss“ kooperiert Bayern Innovativ unter anderem mit der Lepros GmbH. Im Interview erläutern Philipp Dickmann (rechts) und Frank Hoppe, wie sich bessere Produktivität erreichen lässt und welche Rolle die Mitarbeiter dabei spielen.

Homepageveröffentlichung unbefristet genehmigt für https://www.bayern-innovativ.de/ und http://www.lepros.de/

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19AUTONOME SYSTEMEROBOTIK UND MATERIALFLUSS

DVZ N0 46 · MITTWOCH, 14. NOVEMBER 2018

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Von Ralf Johanning

Roboter wissen nicht, was sie tun. Es fehlt ihnen noch im-mer an moralischer Kompe-

tenz.“ Das sagt Matthias Scheutz, Professor für Cognitive Science and Computer Science an der Tufts University in Medford in Massachu-setts. Er referierte kürzlich auf einer Fachsequenz zum Thema Robotik und autonome Systeme. Moralische Kompetenz sei seiner Meinung nach für eine eindeutige Kommunikation zwischen Mensch und Maschine un-bedingt notwendig. Zumindest so-bald sich autonome Systeme in der Öffentlichkeit bewegen, wie es beim autonomen Fahrzeug oder in der Pflege der Fall wäre.

In der Intralogistik und der Pro-duktion haben Roboter hingegen seit Jahren Fuß gefasst und entwickeln sich hier immer weiter. Wie weit die Roboter mittlerweile in tägliche Ar-beitsprozesse eingespannt sind, zei-gen die Zahlen des World Robotics Reports der International Federation of Robotics (IFR). Demnach erreichte 2017 der weltweite Absatz von Indus-trierobotern einen neuen Rekord mit 381.000 ausgelieferten Einheiten. Das entspricht einem Plus von 30 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Autonome DrohnenWaren es zu Beginn Industrieroboter für die Autoproduktion, so hat sich das Tätigkeitsfeld autonomer Sys-teme und Roboter vervielfacht. Ein Beispiel dafür liefert Doks Innovati-on aus Kassel. Die junge Firma baut und liefert Systeme für eine automa-tisierte Stammdatenerfassung und Inventarisierung. Dazu gehören auch autonom fliegende Drohnen. Eine integrierte Kamera erfasst die Codes auf den Packstücken im Regal und liest diese aus. Bei einer Flugzeit von 30 Minuten schafft eine Drohne so ei-nen Gang mit sechs Ebenen zu inven-tarisieren. Geschäftsführer Benjamin Federmann ist davon überzeugt, dass autonome Systeme oder Robo-ter heute noch viel mehr Arbeiten

übernehmen könnten, wenn der Mensch es nur zulassen würde. „Wir schöpfen heute noch lange nicht das aus, was technisch schon möglich wäre“, sagte er. Es fehle noch immer die Akzeptanz und in vielen Berei-chen die Wirtschaftlichkeit.

Roboter für AudiEinen Weg in die Realität und damit auch in eine wirtschaftlich darstell-bare Welt haben hoch automatisierte Systeme gefunden, die das Fließband abschaffen sollen. Ein Beispiel dafür steht in Ingolstadt bei Audi. Hier hat der Industrielösungsanbieter Arcu-lus Stationen entwickelt, die auto-nom agieren. Jedes Produkt sucht sich die Station aus, die als Nächstes benötigt wird. Die Ware wird dabei von fahrerlosen Transportsystemen zum Mitarbeiter an der Station ge-

bracht. „Wir haben mittlerweile eine sehr große Produktvielfalt. Fast kein Auto ist mehr wie das andere“, sagt Lajos Orosz. Allein in Ingolstadt pro-duziert Audi den Q2, A3, A4 und den A5 in verschiedenen Ausführungen. Starre Produktionsstraßen sind bei Audi immer weniger effizient.

Der Hersteller setzt mehr auf Se-quenzierung. Das führe zu einer geringeren Fertigungszeit und redu-ziere darüber hinaus die Flächen in Sequenzierungszonen um 25 Pro-zent gegenüber dem herkömmli-chen Verfahren, berichtet Orosz.

In vielen Bereichen der Intralo-gistik kommen dabei immer mehr fahrerlose Transportsysteme zum Einsatz, die sich teilweise auch völ-lig autonom in den Hallen bewegen. Dabei sind sie in vielen Bereichen einsetzbar.

Das gilt nicht nur für Audi, auch Amazon bedient sich teilweise sol-cher Systeme. Der Grund dahinter ist schnell gefunden: Das Ware-zum-Mann-Prinzip entpuppt sich in diesen Bereichen als eine schnel-lere und effizientere Lösung, um Produkte an entsprechende Positi-onen zu befördern. Der Boom im E-Commerce fordert förmlich neue autonome Systeme, um für die Lo-gistikdienstleister flexibel und ska-lierbar reagieren zu können.

Eigenständiges LernenDie Roboter sind heute in der Lage, über 3-D-Kameras, Sensoren und Laserscanner ihre Umgebung de-tailliert wahrnehmen zu können. Gleichzeitig gelingt es ihnen mittler-weile, diese zu interpretieren und entsprechende Schlüsse daraus zu ziehen. Das führt dann zu selbststän-digen Handlungen. Der Einsatz von Kommissionierrobotern des Herstel-lers Magazino bei Fiege oder Meyer & Meyer zeigt, dass sie im täglichen Arbeitsprozess angekommen sind.

Diese Roboter können darüber hinaus Kartons eigenständig aus ei-nem Regal nehmen beziehungswei-se diese wieder zurückstellen. Ihre Aufträge erhalten sie über W-Lan. Diese Kommunikationstechnik dient zudem für die Verständigung der Roboter untereinander. So können sie sich nach Angaben von Magazino darüber vernetzen, Erfahrungen mit komplexen Situationen austauschen und voneinander lernen.

Die Roboter erobern damit in der Intralogistik weitere Bereiche. Müssen Roboter jedoch direkt mit Menschen interagieren, so stoßen sie weiterhin an ihre Grenzen. Nach Meinung von Scheutz bedarf es da-her weiterer Algorithmen, die ge-nau diese Lücken füllen. „Roboter müssen unsere Normen verstehen, um Schäden zu minimieren“, sagt Scheutz. Dieser Schritt jedoch fehlt noch weitgehend. (rok)

Roboter müssen Normen erst noch lernenAutonome Systeme sind auf dem Weg, die Intralogistik zu erobern. In vielen Bereichen haben sie schon Fuß gefasst. Doch in der Zusammenarbeit mit Menschen gibt es Grenzen.

Schlussfrage: Wie kam es eigent-lich zu Ihrer Kooperation?Hoppe: Vor zwölf Jahren beteiligten wir uns als Aussteller im Rahmen des Deutschen Materialfluss-Kon-gresses des Vereins Deutscher Inge-nieure (VDI) an der TU München. Speziell für die Thematik des Lean Managements haben wir noch Be-darf gesehen, Best Practice und die entsprechenden Lösungen und Her-ausforderungen für die betriebliche Umsetzung aufzuzeigen. Da Philipp Dickmann neben seiner praktischen Arbeit in der unternehmerischen Umsetzung ein Fachbuchautor in dieser Thematik ist, haben sich sein Know-how und sein Netzwerk sehr gut mit unseren Ansprüchen einer neutralen Plattform ergänzt. Des-halb haben wir uns für eine fachli-che Kooperation entschieden.

Dickmann: Ich hatte das Fachbuch „Schlanker Materialfluss“ im Verlag Springer mit dem VDI herausge-bracht und beim VDI-Kongress ausgestellt. Hier kamen wir mit Frank Hoppe und Marc Lügger von Bayern Innovativ ins Gespräch. Schnell war die Idee im Raum, aus dem Buch begleitend einen Kongress zu veranstalten. Ich halte die Idee der neutralen Informationsbereit-stellung mit Best-Practice-Lösungen für einen enormen Erfolgsfaktor für die Industrie. Cross-Selling-Ansätze, bei denen dem Kunden letztlich Vertriebsstorys als Fachvorträ-ge verkauft werden, überzeugen mich nicht. Ähnlich reagieren die Kongressteilnehmer: Ihr Feedback zeigte, dass sie nicht bereit sind, für einen Vertriebsvortrag Geld zu bezahlen. Zudem bekommt der Fachmann keinen Marktüberblick vermittelt, sondern hört immer die gleichen Vorträge von den gleichen Unternehmen mit der offensivsten Vertriebsstrategie. Organisationen wie Bayern Innovativ kommt hier eine wichtige Rolle zu. Die Rolle ist damit übrigens gut vergleichbar mit der Arbeit des legendären JIPM in Japan.

Inwiefern?Dickmann: Diese staatliche Stelle war nach dem Zweiten Weltkrieg für die Vernetzung von Methodenlehre der Unternehmen verantwortlich. Das JIPM wird heute als wesent-licher Mitverursacher des Wirt-schaftswunders in Japan gesehen und als Begründer des Siegeszugs des Toyota-Produktionssystems.

381.000Industrieroboter wurden 2017 ausgeliefert.

Quelle: International Federation of Robotics

Frank Hoppe

Frank Hoppe arbeitet seit 2006 bei der Bayern Innovativ GmbH als Projektmanager im Bereich Techno-logie. Er betreut dort im Speziellen die Branchen Automotive, Logistik, Papier und Bauwirtschaft. Weiterhin begleitet er klein- und mittelstän-dische Unternehmen in Bayern im Rahmen von Benchmarkprojekten zum Innovationsmanagement. Hoppe hat Geografie in Trier studiert. Danach war er bei der IVV GmbH & Co. KG in Aachen sowie der Fraunhofer SCS in Nürnberg tätig.

Philipp Dickmann

Philipp Dickmann ist seit Januar 2009 Geschäftsführer der Lepros GmbH und verantwortlich für die fachliche Leitung von Veranstaltun-gen und Projekten sowie Interims-management. Von 1998 bis 2008 war er Referent für Produktions-planung und -steuerung an der TU München am Institut für Werkzeug-maschinen und Betriebswirtschaft (IWB). Dickmann hat Produktions-technik studiert und wurde 1999 mit dem Logistik-Innovationspreis des Vereins Deutscher Ingenieure ausgezeichnet.

Tim-Oliver Frische ist leitender Redakteur bei der DVV Media Group

Ralf Johanning ist Journalist mit SItz in Barsbek

Automatische Systeme setzen sich vor allem im Lager immer mehr durch.

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