Material Mappe Angst Has e

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Der kleine Angsthase Materialsammlung Spielzeit 2012/13

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Der kleine Angsthase

Materialsammlung

Spielzeit 2012/13

Inhalt

Elizabeth Shaw

Werk und Bedeutung

Was tun, wenn Monster kommen

Die Bedeutung von Neugier und Angst für die kognitive Entwicklung

Theater für die Allerkleinsten

Angeborenes Wissen neu entdecken

Die Kategorie der Einfachheit und die Komplexität des Theaters

Frosch und Maus

Elizabeth Shaw

Elizabeth ShawFoto: Kunstarchiv Graetz und Shaw

Elizabeth Shaw wurde 1920 in Belfast (Irland) geboren. Damals gab es in ihrer Familie keinen Fernseher und kein Radio. Shaws Eltern waren begeisterte Büchersammler. So durften Elizabeth und ihre drei Geschwister die Bücher- und Zeitungssammlung des Vaters nach Herzenslust durchstöbern. „Den Geruch druckfrischer Zeitungen finde ich heute noch genauso anziehend wie manch anderer den Duft ofenfrischer Brötchen ...“ erzählt Elizabeth Shaw in ihrer Autobiographie.Von 1938 bis 1940 studierte sie in London Kunst. Ihre Vorliebe galt der Zeichnung und Illustration. Während des zweiten Weltkriegs wurde sie zum Kriegsdienst einberufen und leistete als Mechanikerin Wehrdienst. Nach dem Krieg zog sie zusammen mit ihrem Ehemann, dem Bildhauer René Graetz in dessen Geburtsort Berlin. Die beiden waren Antifaschisten und glaubten an die Idee des Sozialismus nach sowjetischem Vorbild. Wie etliche Künstler wollten sie in Deutschland der Nachkriegszeit helfen, ein neues Deutschland aufzubauen. Shaws Kunst wurde dabei aber nicht wesentlich von der sozialistischen Haltung beeinflusst.Elizabeth Shaw hatte bereits in England Zeichnungen und Karikaturen angefertigt. Auch in Berlin arbeitete sie etwa 10 Jahre als Karikaturistin für Magazine wie den Eulenspiegel, Frischer Wind, Das Magazin, für die Zeitung Neues Deutschland und den Aufbau-Verlag. Im Unterschied zu vielen Illustratoren, die erst dann anfangen für Kinder zu zeichnen, wenn sie selbst Eltern werden, begann Shaw erst für Kinder zu illustrieren als ihre beiden eigenen schon erwachsen waren. Erst als ihre Familie dringend Geld brauchte, schrieb und illustrierte sie Bilderbücher. Viele ihrer Bücher hat sie dabei selbst geschrieben. Die Geschichten, die sie vom Verlag zugeschickt bekam, fand sie nämlich zu schlecht. Sie traute sich zu, bessere zu schreiben. 1963 erschien ihr erstes Bilderbuch. Es hieß Der kleine Angsthase. Das Buch wurde sehr erfolgreich. Nach dem Erfolg dieses Buches erschienen viele weitere Bilderbücher. Der Illustrator Werner Klemke beschrieb Shaw als stillen, hintergründigen Menschen mit typisch britischem Humor.Elizabeth Shaw starb 1992 in Berlin.

Werk und Bedeutung

Illustration: Elizabeth Shaw „Die Schildkröte hat Geburtstag“© Kunstarchiv Graetz und Shaw

Elizabeth Shaw gehörte zu den beliebtesten Illustratorinnen der DDR (Deutsche Demokratische Republik). Neben eigenen Texten illustrierte sie Texte von Mark Twain, Bertold Brecht und Fabeln von Christian Fürchtegott Gellert und anderen. Noch heute werden ihre Bücher gedruckt und erfolgreich verkauft.Elizabeth Shaw hat einen unverwechselbaren Stil, den sie in mehr als 23 Kinderbüchern beibehielt.Zuerst zeichnete sie die Umrisse mit Feder und Tinte. Locker leichte Strichzeichnungen aus feinen, klaren Linien sind ihr Markenzeichen. Danach kolorierte sie ihre Zeichnungen mit hellen, freundlichen Wasserfarben. Die Bilder wurden auf den weißen Hintergrund des Buches gesetzt. Den Text stellte sie in wenigen Zeilen daneben. Zwischen den Zeilen tauchen immer wieder charmante Figuren und kleine freigestellte Szenen auf. In vielen ihrer Bücher lässt sich dieses Wechselspiel von einigen Zeilen Text und illustrierten Szenen finden.

Bei ihren eigenen Kinderbüchern dachte sie lange über ein Thema nach, bevor es zu einem Buch wurde. Sie stellte sich vor, welche Ängste aber auch Sehnsüchte sie selbst als Kind hatte. Wie zum Beispiel bei Gittis Tomatenpflanze. Das Großstadt-Mädchen Gitti sehnt sich nach einem eigenen Garten. Dann schenkt ihr die Großmutter eine Topfpflanze. Gitti sieht der Pflanze, die sich als Tomatenpflanze entpuppt, voller Neugier beim Wachsen zu. Anlass zu diesem Buch war Shaws eigene Sehnsucht nach einem Garten. Warum ihre Bücher bei Kindern so beliebt waren, hat sich Elizabeth Shaw selbst oft gefragt. Als sie einmal in einer Schule aus dem Buch Bettina bummelt lesen sollte, bemerkte sie, dass ihr das Buch nicht mehr gefiel. Sie fand es viel zu moralisch und beschloss, nie wieder vor einer Klasse zu lesen. Dennoch war es ihr wichtig, Kindern Werte wie Mut, Freundlichkeit und Rücksichtnahme zu vermitteln.

Illustration: Elizabeth Shaw „Der kleine Angsthase“, © Kunstarchiv Graetz und Shaw

In Shaws wohl beliebtestem Buch Der kleine Angsthase überwindet die Hauptfigur seine Ängste. Shaw fasste den Begriff „Angsthase“ wörtlich auf: Ein Hasenkind wird von seiner Großmutter vor allen möglichen Gefahren gewarnt und dadurch zum Angsthasen. Er fürchtet sich vor Hunden, vor Räubern und Gespenstern, vor der Dunkelheit und dem Wasser. Er hat sogar Angst vor den anderen Hasenkindern und natürlich vor dem bösen Fuchs! Die Geschichte ist so liebenswert, weil der Leser mit der sympathischen Hauptfigur gut mitfühlen kann: wer wurde noch nicht selbst einmal als „Angsthase“ bezeichnet? Elizabeth Shaws tierische Charaktere sind den Menschen sehr ähnlich. Sie tragen Kleidung und wohnen in Häusern. Auch ihre Gefühlsregungen sind sehr menschlich. Elizabeth Shaw gelingt es, in den einfach gezeichneten Figuren Gefühle wie Wut, Trauer und Freude glaubhaft darzustellen. Die Angst des Häschens steht ihm tatsächlich im Gesicht geschrieben: Seine Schnurrhaare sind gekräuselt. Sie scheinen vor Angst zu zittern. Auch seine ängstliche Großmutter hat solche Schnurrhaare. Nachdem der Angsthase am Ende der Geschichte seine Angst überwunden hat, sind seine Schnurrhaare genauso gerade, wie bei den anderen Hasenkindern. Bei diesem Buch erinnerte sich Elizabeth Shaw daran, wie sie selbst als Kind war und wovor sie Angst hatte. In Elizabeth Shaws Bildwelt gibt es gute und böse Protagonisten. Obwohl stets das Gute über das Böse siegt und alles gut ausgeht, sind ihre Geschichte glaubwürdig. Denn ihre Helden sind nicht perfekt. Sie haben Schwächen und Probleme, die sie aber in Notsituationen allein oder mit Hilfe anderer bewältigen können. Darum machen Elizabeth Shaws Geschichten Mut. Und sie machen Spaß! Ihre leicht lesbaren Texte und die lockeren Zeichnungen sind mit ihrem britischen Humor gewürzt und somit sehr unterhaltsam.

Illustration: Elizabeth Shaw „Wie Putzi einen Pokal gewann“© Kunstarchiv Graetz und Shaw

Auszeichnungen (Auswahl)

1956, 1958, 1966-1972 und 1977 Auszeichung für „das schönste Buch der DDR“1975 Kunstpreis der DDR1979 Hans Baltzer Preis1981 Käthe Kollwitz Preis der Akademie der Künste1981 Gutenberg Preis der Stadt Leipzig

http://www.rossipotti.de/inhalt/literaturlexikon/illustratoren/shaw_elizabeth.html

Was tun, wenn Monster kommen

Solltest du eines Nachts so dumm sein und durch den Wald laufen, und solltest du dann auch noch so dumm sein und Angst bekommen, dann mache nicht den Fehler und renn davon. Hier sind ein paar Tipps & Tricks, wie du lebend und sicher einen finsteren Wald durchqueren kannst, auch wenn deine Hosen voll sind und dein Herz lauter schlägt als eine Kirchenglocke um Mitternacht.

Wenn du das Gefühl hast, daß etwas über den Boden schleicht und ein Schmatzen und Ratzen zu hören ist, das sehr danach klingt, als würden messerscharfe Krallen ein- und ausgefahren werden, dann wird es aber langsam Zeit, daß du dir eine Handvoll Erde schnappst, viermal draufspuckst und die Erde gut durchknetest. Dabei sagst du laut: Hallo, Schlammfresser Feggel, wie geht es denn so? Ich habe nicht gelogen, ich habe nicht betrogen, und wenn ich Zuhause bin, wasche ich mir auch nicht die Hände.

Wenn du das Gefühl hast, daß der Wald mehr und mehr zusammenrückt, wenn es aus den Baumkronen flüstert und zischt und du spürst, daß da oben in den Ästen etwas ist, das gleich auf dich runterspringen und dir vielleicht die Nase oder das Ohr oder sogar das Gehirn wegschnappen wird, dann such dir den nächst besten Baum, leg die Arme um den Stamm und rufe laut: Hallo, Baumtroll Ogill, bald ist es Herbst und es wird kühler und darauf freue ich mich. Ach und habe ich schon gesagt, wie toll deine Frisur ist? Falls das nicht helfen sollte, schadet es nicht, wenn du eine Schachtel Streichhölzer in deiner Hosentasche hast.

Wenn du ein Trampeln und Scharren aus den Büschen hören solltest, wenn der Boden leicht bebt und du das Plappern von fünf Mäulern hörst, so ist auch das kein Grund zur Beunruhigung. Stell dich auf einen Stein, streck dein Kinn in die Luft und sage dieses kleine Gedicht auf:

Wenn das mal nicht wie der Lindwurm Raskoff klingt,der mir viele neue Gedichte bringt, der manchmal auch Lieder singtund dabei mit den Köpfen schwingt.

Es mag zwar nicht das beste Gedicht sein, aber das darf es auch nicht, sonst wird der Lindwurm neidisch auf dich und deine Dichtkunst und das willst du nicht wirklich.

Natürlich kann es auch passieren, daß du mitten im Wald stehst und vor Angst deine Zähne nicht zusammen beissen kannst, weil die Erde wankt und zittert, als würde jeden Moment ein Erdbeben ausbrechen. Keine Sorge, gegen jede Angst gibt es ein Rezept. Laß dich flach auf den Boden fallen, drück ein Ohr fest auf die Erde und flüstere: Hallo, Lappowick, kannst du mich hören, hallo? Ich bin hier oben und du bist da unten und so sollte es auch bleiben. Es kann auch nicht schaden, wenn du ein oder zwei Wörter Japanisch auf Lager hast.

Und dann gibt es die ganz besonderen Nächte, in denen der Wald still und ruhig ist, so daß du denkst, Na, heute ist aber wirklich nichts los. Was natürlich gelogen ist, denn in einem Wald ist immer was los. Wenn du lauschst, kannst du in der Stille ein leises Fiepen hören, und sobald du das gehört hast, wirst du eine Bewegung sehen, als würde ein Schatten einem anderen Schatten die Hand schütteln, und wenn du das gesehen hast, wirst du anfangen darüber nachzudenken, in welcher Richtung du davonrennen sollst. Renn nicht davon. Schrei nicht. Sei ganz still und kneif die Augen zu. Streck den Arm aus und warte. Du wirst ein sanftes Gewicht auf deiner Hand spüren. Es könnte eine Motte oder ein Nachtfalter sein. Aber höchstwahrscheinlich ist es ein Vampir, der sich von seiner Jagd für einen kurzen Moment auf deinem Arm ausruht. Du darfst ruhig Hallo sagen und dem Vampir viel leckeres Blut wünschen.

Zu guter letzt hast du den Wald durchquert, du hast alle Gefahren überstanden und denkst dir, Na, so schlimm war das nun auch nicht. Du überlegst dir, wie du deinen Freunden erzählen wirst, was für ein tapferes Kerlchen du gewesen bist. Übermütig willst du ein fröhliches Liedchen anstimmen,

als du den Schatten siehst. Und dann riechst du Schießpulver und Pfeifentabak und den Gestank von verwestem Fleisch. Was machst du jetzt? Am besten ist es, du hörst auf zu zittern. Noch besser ist es, du läßt deine Augen offen und blinzelst nicht mehr. Und wenn dann der Schatten aus den Bäumen hervortritt, hoffe ich, daß du ein Kartenspiel und eine Flasche Rum bei dir hast. Ich kann auch nur hoffen, daß du dich in Räuberskat gut auskennst, denn sonst sieht es gar nicht so gut aus für dich.

http://www.keine-angst-zarah.de/279.0.html

Die Bedeutung von Neugier und Angst für die kognitive Entwicklung1

Katja Mackowiak & Clemens TrudewindRuhr-Universität Bochum

„Sei nicht so neugierig!“ Wer hat nicht schon einmal diesen Satz einem Kind gegenüber gesagt oder gehört. Es ist noch gar nicht lange her, dass Neugier als unangenehme Eigenschaft eines Kindes von den Eltern nicht gern gesehen und entsprechend kommentiert wurde. Inzwischen hat sich diese Haltung gewandelt. Zunehmend mehr werden Forscherdrang und Wissbegier bei Kindern gefördert, und es besteht weitgehende Einigkeit darüber, dass das aktive Erkunden der Umwelt für die Entwicklung des Kindes sehr förderlich sein kann. Aber es gibt durchaus auch Situationen, in denen ein ungehemmtes Erkunden gefährlich ist, z.B. wenn ein Kind die Funktionsweise eines Haushaltsgerätes herauszufinden versucht oder etwas Interessantes auf der Straße entdeckt und vor Begeisterung nicht mehr auf den Verkehr achtet. Hier kann es durchaus nützlich sein, dass die kindliche Neugier gebremst wird durch ein anderes menschliches Empfinden: die Vorsicht oder auch Angst vor neuen Dingen und Sachverhalten. Wir möchten in diesem Artikel einige wichtige Entwicklungsschritte der kindlichen Neugier und Ängstlichkeit beschreiben und darstellen, in welcher Weise diese beiden zum Teil gegensätzlichen Verhaltenstendenzen zusammenwirken und die kindliche Entwicklung beeinflussen können.

1. Entwicklung von Neugier und ÄngstlichkeitDurch systematische Beobachtung und andere wissenschaftliche Methoden wurde ein Vielzahl von Ergebnissen gewonnen, die belegen, dass für den Erwerb von Kenntnissen, von geistigen Fähigkeiten und Fertigkeiten nicht nur die intellektuelle Ausstattung des Kindes sowie das Lernangebot der Umwelt, Schulangebote oder spezifische Förderprogramme verantwortlich sind, sondern dass zusätzlich auf Seiten des Kindes eine Bereitschaft bestehen muss, sich mit diesen Angeboten auseinanderzusetzen, Erfahrungen zu sammeln, sich Neues vertraut zu machen. Diese Bereitschaft ist angeboren. Im Laufe der Entwicklungsgeschichte von Lebewesen (Evolution) hat sich ein Verhaltenssystem herausgebildet, dass Mensch und Tier veranlasst, sich neuen, unbekannten und unvertrauten Reizen und Sachverhalten zuzuwenden, die Aufmerksamkeit auf sie zu richten, sie durch Inspektion2 und Manipulation3 zu erkunden. Schon 1943 hat Konrad Lorenz dieses Verhaltenssystem erforscht und als grundlegend für die Anpassung von Organismen an neue Umweltbedingungen und als Basis für vielfältige Lernvorgänge beschrieben.

In der Motivationspsychologie wird dieses Verhaltenssystem als Neugiermotiv bezeichnet. Forscher dieser Fachrichtung gehen davon aus, dass Menschen von Geburt an mit einem Neugiermotiv ausgestattet sind. Schon bei Neugeborenen lassen sich erste Hinweise darauf finden. So betasten sie schon wenige Stunden nach der Geburt in systematischer Weise ihren Körper, vor allem das Gesicht und die Mundregion (Kravitz, Goldberg & Neyhus, 1978). Die Berührungen des Mundes sind zielgerichtete und organisierte Verhaltensweisen, die von einer sog. Alertness-Reaktion (weites Öffnen der Augen und Hochziehen der Augenbrauen als Ausdruck einer gerichteten Aufmerksamkeitszuwendung) begleitet sind (Korner & Beason, 1972, siehe auch Butterworth & Hopkins, 1988). Neugeborene verfolgen auch sich langsam bewegende Gegenstände in ihrem Blickfeld mit den Augen, kurze Zeit später sogar mit entsprechenden Kopfbewegungen (Aslin, 1985). Zeigt man wenige Wochen alten Säuglingen mehrmals hintereinander dasselbe Bild von einem Gesicht, so schwindet ihr anfängliches Interesse allmählich, was zunächst als Ermüdung gedeutet werden könnte. Ersetzt man das bekannte Bild jedoch durch ein neues unbekanntes Muster, so wenden sie ihre Aufmerksamkeit dem neuen Bild wieder vermehrt zu, was für die Fähigkeit zur Unterscheidung von bekannten und unbekannten Reizen spricht (Salapatek, 1975; Banks & Salapatek, 1983). Mit ca. 4-5 Monaten lernen Säuglinge, Objekte zu ergreifen; sie halten sie vor die Augen und nehmen sie in den Mund (Appleton, Clifton & Goldberg, 1975; Bushnell, 1985; Rochat, 1989; White & Held, 1966). In den darauffolgenden Monaten richtet sich die kindliche

Aufmerksamkeit immer stärker auf die Umwelt. Mit etwa 1/2 Jahren beginnen Kleinkinder regelrecht, mit Gegenständen zu experimentieren, um ihre Beschaffenheit zu erkunden und herauszufinden, was sich mit ihnen alles machen lässt (Piaget, 1975). Bald beginnt eine Zeit, in der die Kinder Objekte systematisch untersuchen: Alle erreichbaren Schalter und Knöpfe werden ausprobiert, Schubladen werden ausgeräumt und Werkzeuge an ungeeigneten Gegenständen wie Möbeln etc. erprobt. Mit der Fähigkeit, Fragen zu stellen, erweitert sich das Repertoire des Kindes, Informationen zu erhalten, Funktionen zu durchschauen und Wissen zu erwerben, in beträchtlicher Weise. In der allgemeinen Entwicklungspsychologie wird seit den Untersuchungen von Jean Piaget in den 40er und 50er Jahren das Neugiermotiv als eine zentrale Erklärung für die geistige Entwicklung herangezogen (Piaget, 1972). Auch modernere Entwicklungstheorien wie z.B. die von Eleonore Gibson (1988) und Robbie Case (1984, 1985) betrachten die Neugier als wichtige Antriebskraft für die Eigentätigkeit des Kindes in der Auseinandersetzung mit der Umwelt. Obwohl das Neugiermotiv als ein angeborenes Verhaltenssystem, eine Bereitschaft zum Erkunden betrachtet wird, muss das Kind die notwendigen Verhaltensweisen (z.B. Inspizieren, Betasten, Manipulieren, Fragenstellen), mit denen es seine Umwelt erkundet, mit denen es Verständnis und Wissen aus seinen Explorationen gewinnt, im Laufe seiner Entwicklung erst erwerben. Entsprechend ändern sich auch die Dinge und Sachverhalte, die das Neugiermotiv anregen, die das kindliche Interesse, seine Aufmerksamkeit und Zuwendung herausfordern, in Abhängigkeit sowohl von seinen zunehmenden geistigen Fähigkeiten als auch von den Erfahrungen, die es mit diesen Sachverhalten macht. Darum lassen sich schon im Kleinkind- und Vorschulalter sehr große Unterschiede in der Zuwendung zu neuen Objekten und Ereignissen beobachten. Kinder unterscheiden sich beträchtlich im Ausmaß, mit dem sie sich unvertrauten Situationen zuwenden, der Art und Ausdauer, mit der sie Dinge explorieren, sowie in der Freude, die sie dabei zum Ausdruck bringen. Obwohl solche Unterschiede unmittelbar ins Auge fallen und obwohl die Bedeutung der Neugier als Motor der geistigen Entwicklung in der allgemeinenEntwicklungspsychologie inzwischen anerkannt ist, sind systematische Untersuchungen, die einen Zusammenhang zwischen der Struktur und der Stärke des Neugiermotivs und der Entwicklung intellektueller Fähigkeiten belegen, äußerst selten. Berg & Sternberg (1985), zwei amerikanische Forscher, haben in einem Übersichtsreferat die Befunde zum Zusammenhang zwischen Neugier und geistiger Entwicklung in der frühen Kindheit zusammengestellt. Sie kommen zu dem Schluss, dass Unterschiede im Interesse an Neuem und die Fähigkeit, mit Neuem kompetent umzugehen, mit individuellen Unterschieden in der Intelligenz im Alter von 3 bis 6 Jahren einhergehen. Sie unterscheiden in der frühkindlichen Auseinandersetzung mit neuen Sachverhalten zwei Aspekte, einen motivationalen und einen kognitiven. Die motivationale Komponente äußert sich in der Zuwendung zu neuen Reizen und Objekten, zu neuen Aufgaben oder unvertrauten Ereignissen, in der Ausdauer, mit der sie diese neuen Sachverhalte erkunden und der Freude, die sie dabei zeigen. Die kognitive Komponente zeigt sich in der Fähigkeit, in der Auseinandersetzung mit Neuem relevante Informationen zu gewinnen und Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden. Die Bedeutung eines starken Neugiermotivs für die intellektuelle Entwicklung in der frühen Kindheit besteht folglich darin, dass Kinder mit starker Neugier neue Reize oder Situationen stärker bevorzugen, sich ihnen häufiger, rascher und intensiver zuwenden und ausdauernder bei der Suche nach Informationen sind als weniger neugierige Kinder. Dadurch können sie mehr Strategien für die Gewinnung von Informationen entwickeln und diese bei der Konfrontation mit Neuem flexibel einsetzen. Die Beziehung zwischen der Stärke des Neugiermotivs und den geistigen Fähigkeiten eines Kindes sollte sich nach diesen Überlegungen vor allem in Problemsituationen zeigen, die für das Kind neu und komplex sind und eine Vielzahl unvertrauter Elemente enthalten. Aufgrund ihrer größeren Ausdauer und ihres größeren Repertoires an Strategien zur Gewinnung relevanter Informationen sollten hoch neugierige Kinder bessere Leistungen bei der Problemlösung zeigen. Einen wichtigen Aspekt, der den Umgang des Kindes mit neuen Objekten oder unbekannten Situationen betrifft, haben wir bisher ausgeklammert. Es hängt nämlich nicht nur von der Stärke des Neugiermotivs ab, ob sich ein Kind einem neuen Objekt forsch nähert, um es zu untersuchen.

Aus ethologischer Sicht4 ist argumentiert worden, dass ein Verhaltenssystem, welches auf Annäherung und Exploration neuer Reize und Situationen ausgerichtet ist, nur dann einen Anpassungsvorteil bringe, wenn dieses System durch ein gegengerichtetes (antagonistisches) System gehemmt werde, das die unkontrollierte Annäherung an unbekannte und risikoreiche Sachverhalte verzögere (Hinde, 1966). Als ein solches Verhaltenssystem hat W. James bereits 1890 die Neophobie, die Furcht vor Neuem, konzipiert. Die Angst vor unbekannten Objekten, fremden Menschen oder undurchschaubaren Situationen ist in der frühen und mittleren Kindheit weit verbreitet. Ob sie die positiven Effekte einer hohen Neugiermotivation auf die intellektuelle Entwicklung beeinträchtigt, ist in der Entwicklungspsychologie bisher unzureichend erforscht. Ebenso wenig ist darüber bekannt, ob eine ausgeprägte Ängstlichkeit die Entwicklung des Neugiermotivs selbst verkümmern lässt oder ob die Angst das Neugierverhalten nur inbestimmten Situationen hemmt. Montgomery (1955) hat in Übereinstimmung mit der ethologischen Sichtweise das beobachtbare explorative (erkundende) Verhalten eines Organismus als Resultat zweier entgegengerichteter Motivsysteme angesehen, nämlich zum einen der Tendenz, sich neuen und komplexen Sachverhalten zu nähern, um Informationen über sie zu sammeln, und zum anderen der Tendenz, solche Sachverhalte zu meiden, weil sie Furcht oder Angst auslösen. Halliday (1966) und Lester (1967) haben dagegen argumentiert, dass jedes explorative Verhalten durch Furcht motiviert sei. Ihrer Ansicht nach lösen neue und komplexe Sachverhalte zunächst immer Angst aus. Bei geringen bis mittleren Graden der Neuheit kann der Organismus durch Exploration Informationen über die Situation erhalten und dadurch die Angst reduzieren. Ist die Neuheit und die dadurch angeregte Angst jedoch zu groß, kann nur Flucht oder Vermeidung zu einer Entlastung führen. Leider gibt es nur wenige Untersuchungen, in denen die Beziehung zwischen Neugier und Angst bei Kindern erforscht wurde. In diesen Studien findet sich eher ein negativer Zusammenhang zwischen gezeigter Angst und Neugierverhalten (z.B. McReynolds, Acker & Pietila, 1961; Penney, 1965). Lugt-Tappeser & Schneider (1987) zeigten in einer Beobachtungsstudie Vorschulkindern ein neues Objekt. Dabei handelte es sich um eine bunte Kiste mit einem Hebel, durch den Ton- und Lichtsignale ausgelöst werden konnten. Es zeigte sich, dass bei den Kindern mit ausgeprägter Ängstlichkeit zwar die Annäherung an das Objekt verzögert war und das Ausmaß der Objektmanipulationen und objektbezogenen Fragen reduziert war, das Ausmaß der perzeptiven Exploration (Inspizieren aus der Entfernung) war dagegen nicht beeinträchtigt. Diese Studie belegt, dass der Einfluss der Ängstlichkeit auf verschiedene Formen des Explorationsveraltens (z.B. Manipulation versus Inspektion) sehr unterschiedlich sein kann. Inwieweit davon auch der Erwerb von Wissen und der Aufbau geistiger Strukturen in unterschiedlicher Weise betroffen ist, bedarf der weiteren Forschung. Im folgenden möchten wir die Ergebnisse einer Reihe von Untersuchungen vorstellen, die wir in der Bochumer Arbeitsgruppe im Rahmen des motivations- und entwicklungspsychologischen Forschungsprogramms zum Zusammenhang von Neugier, Ängstlichkeit und der Entwicklung kognitiver Kompetenzen durchgeführt haben.

2. Erfassung von Neugier und Ängstlichkeit im VorschulalterUm allgemeine Aussagen über den Zusammenhang zwischen Neugier und Ängstlichkeit einerseits und kognitiver Entwicklung andererseits machen zu können, ist es notwendig, individuelle Unterschiede in der Stärke und Struktur der beiden Motive zu erfassen. Voraussetzung dafür sind kontrollierte Situationen, in denen die Anregungsbedingungen für die beiden Motive für alle Kinder vergleichbar sind, so dass aus unterschiedlichem Verhalten auf Unterschiede in der Motivausprägung geschlossen werden kann. Außerdem sollte ein repräsentativer Ausschnitt typischer neugier- oder angstanregender Alltagssituationen für die Beobachtung ausgewählt werden (vgl. Trudewind & Schneider, 1994). Um dies zu gewährleisten, haben wir verschiedeneVerfahren zur Messung von Neugier und Angst entwickelt. a) Elternfragebogen zur Erfassung von Neugier und Angst (ELFRANA3592; Trudewind, Matip & Berg, 1992) Das erste Verfahren ist ein Elternfragebogen zur Erfassung von Neugier und Angst in

typischen Alltagssituationen. In diesem Fragebogen werden verschiedene neugierige und ängstliche Verhaltensweisen in Alltagssituationen beschrieben, die bei Vorschulkindern häufig zu beobachten sind. Die Eltern werden gebeten, auf einer vierstufigen Antwortskala einzuschätzen, wie typisch diese Verhaltensweisen für ihr Kind sind (von „überhaupt nicht typisch für mein Kind“ bis „sehr typisch für mein Kind“). Mittels statistischer Verfahren (Faktorenanalysen) konnten insgesamt sechs Skalen ermittelt werden, die verschiedene Neugier- und Angstaspekte beschreiben: Die erste Skala kann als „epistemische Neugier“ interpretiert werden. Die hier zusammengefassten Verhaltensweisen sind auf das Erlangen von Einsichten und Wissen sowie auf das Verstehen von Sachverhalten gerichtet. Das hervorstechendste Verhalten ist das Fragen (z.B. „Mein Kind will ständig etwas darüber erfahren, wie Dinge funktionieren.“). Die Aussagen der zweiten Skala spezifizieren Verhaltensweisen, die auf die Informationseinholung über Zuschauen, Manipulieren und Ausprobieren durch Versuch und Irrtum gerichtet sind (z.B. „Mein Kind besteht sehr darauf, an Baustellen stehenzubleiben, um alles zu beobachten.“). Wir haben diese Skala „perzeptive und manipulative Neugier“ genannt. Die dritte Skala erfasst die Tendenz, nach interessanten und außergewöhnlichen Ereignissen oder nach versteckten Objekten zu suchen und Geheimnisse herauszufinden. Diese Skala bezeichnen wir als „Suche nach interessanten Ereignissen“ (z.B. „Wenn ich ohne mein Kind eingekauft habe, möchte es sofort selber nachsehen, was in den Einkaufstaschen steckt.“). Während die ersten zwei Skalen Aspekte der spezifischen Neugier repräsentieren, nehmen wir an, dass die dritte Skala mit der diversiven Neugier (Berlyne, 1960) sowie dem „sensation seeking“ (Zuckerman, Kolin, Price & Zoob, 1964) in Beziehung steht. Da die drei Neugierskalen miteinander korrelieren5, lässt sich aus ihnen auch ein Summenwert zur Erfassung der Gesamtneugier berechnen. Die Ängstlichkeit der Kinder lässt sich ebenfalls in drei unterschiedliche Bereiche unterteilen, die jedoch aufgrund ihrer statistischen Beziehung auch zu einem Gesamt-Angstkennwert addiert werden können. Die erste Skala beinhaltet überwiegend Verhaltensweisen, die Ängstlichkeit und Zurückhaltung in sozialen Situationen ausdrücken, weshalb wir sie als „Soziale Ängstlichkeit und Scheu“ interpretiert haben (z.B. „Bei der Begrüßung eines Erwachsenen bringt mein Kind manchmal keinen Ton heraus.“). In der zweiten Skala finden sich Aussagen, die Besorgnis um das eigene Wohlergehen widerspiegeln. Aus diesem Grund erhielt die Skala die Bezeichnung „Angst vor körperlicher Beeinträchtigung“ (z.B. „Mein Kind steigt auf Klettergerüsten selten hoch hinauf.“). Die dritte Skala schließlich beinhaltet Ängste, die sich auf der Vorstellungsebene abspielen oder Befürchtungen bzgl. bestimmter aktueller oder zukünftiger Ereignisse ausdrücken. Sie wird als „Kognitive Ängste, Sorgen und Befürchtungen“ interpretiert (z.B. „Mein Kind fürchtet sich vor Gespenstern, Geistern oder Märchengestalten).

b) Testbatterie zur Erfassung des Neugiermotivs (Schneider, Trudewind, Mackowiak & Hungerige, 1993) In Anlehnung an Henderson & Moore (1979) haben wir eine Testbatterie mit insgesamt 4 Untertests entwickelt (1. Präferenz für unbekannte Objekte; 2. Schubladenbox; 3. Banta-Box; 4. Präferenz für komplexe Lichtmuster), mit deren Hilfe wir in standardisierter Form das Explorationsverhalten von Kindern im Umgang mit diversen Spielzeugen beobachten können. Als Maße werden u.a. erfasst: die Zeit, die ein Kind braucht, bis es mit der Exploration eines Spielzeuges beginnt (Latenzzeit), die Häufigkeit der Manipulationen an den Objekten oder die Ausdauer des Erkundens in allen vier Untertests der Testbatterie.

c) Puppenspielverfahren (Lange, Massie & Neuhaus, 1990)Von der Annahme ausgehend, dass ein Puppenspiel eine Situation darstellt, in der Neues und Überraschendes erwartet wird und somit das Neugiermotiv schon zu Beginn der Vorführung angeregt ist, haben wir ein Puppenspiel und ein darauf abgestimmtes Beobachtungsverfahren entwickelt, mit dem die Neugierreaktionen der Kinder beim Zuschauen erfasst werden können. In einer Spielgeschichte werden den Kindern in 22 Episoden unterschiedliche überraschende und neugieranregende Ereignisse dargeboten (z.B. Geräusche unbekannter Herkunft, sprechende Haushaltsgegenstände). Jeweils zwei Kinder schauen sich die Vorführung gemeinsam an und

werden von zwei Videokameras gefilmt. Anschließend werden die kindlichen Reaktionen(z.B. Blick- und Körperwendungen, mimischer und gestischer Ausdruck von Überraschung oder Gespanntheit; Fragen, Hinweise und Vorschläge, Äußern von Vermutungen) ausgewertet und ein Gesamtwert für die Stärke der gezeigten Neugier berechnet.

d) Marburger Angstzeichenliste (Lugt-Tappeser & Schneider, 1986; Lugt-Tappeser, Trudewind & Schneider, 1992) Zur Erfassung der kindlichen dispositionellen Angst benutzen wir ein standardisiertes Verhaltensbeobachtungsverfahren (Lugt-Tappeser & Schneider, 1986). Dieses inzwischen mehrfach überarbeitete Verfahren (Johann, Ribbert, Schoel & Schneider, 1989; Lugt-Tappeser, Trudewind & Schneider, 1992; Mackowiak, 1998) enthält 24 Verhaltenskategorien aus den Bereichen Motorik, Mimik, Gestik/Körperhaltung, Automanipulationen und Sozialverhalten. An mindestens drei Tagen werden die Kinder während des morgendlichen Freispiels im Kindergarten beobachtet, und ihr Verhalten wird auf einem Beobachtungsbogen registriert. Anschließend wird ein Summenwert über alle beobachteten Verhaltenskategorien gebildet, der die Stärke der Ängstlichkeit abbildet.

3. Zusammenhänge zwischen Neugier, Ängstlichkeit und kognitiven KompetenzenZur Klärung des Zusammenhangs zwischen den beiden Motivsystemen Neugier und Ängstlichkeit einerseits und kognitiven Leistungen andererseits haben wir eine Reihe von Studien durchgeführt, von denen wir zwei exemplarisch vorstellen möchten. Die 1. Untersuchung: Neugier, Angst, Verstehen und Behalten Gibas und Scheps (1995) haben insgesamt 134 Kinder im Alter von 4;0 bis 6;8 Jahren mit dem oben beschriebenen Puppenspiel untersucht. Von besonderem Interesse waren dabei zwei Aspekte: Zum einen die informationssuchenden Verhaltensweisen der Kinder während der Betrachtung des Puppenspiels (z.B. die aktive Beteiligung am Puppenspiel, die Aufmerksamkeitszentrierung auf das Geschehen; der Ausdruck von Erstaunen und Überraschung); zum anderen die Behaltensleistung, die Tiefe der Informationsverarbeitung und das Verständnis der Geschichte. Um letzteres zu erfassen, wurden den Kindern im Anschluss an die Vorführung Fragen gestellt. Diese bezogen sich a) auf das Erinnern einzelner Aspekte des Geschehens (Faktenwissen) undb) auf Behaltensleistungen, die eine Verarbeitung des Gesehenen und ein Verständnis für die Zusammenhänge der Geschichte voraussetzen. Mittels statistischer Analysen6 konnten folgende Zusammenhänge gefunden werden: 1. Kinder, die nach dem Elternfragebogen als hoch neugierig eingestuft wurden, zeigen insgesamt mehr informationssuchendes Verhalten als wenig neugierige Kinder. 2. Eine ausgeprägte Ängstlichkeit hemmt den Einfluss der Neugier und führt dazu, dass die Informationssuche eingeschränkt wird (vgl. Abb. 1). Diese Hemmung des offenen Neugierverhaltens gilt besonders für die jüngeren Kinder (4;0 bis 5;4 Jahre) unserer Stichprobe.

Abb. 1: Mittelwerte in den Neugierreaktionen im Puppenspiel in Abhängigkeit von derepistemischen Neugier und der sozialen Angst und Scheu (n=118).

3. Wird lediglich Faktenwissen abgefragt, so haben weder Neugier noch Angst einenstatistisch nachweisbaren Einfluss auf die Behaltensleistung.

4. Wird dagegen nach dem Verständnis für Zusammenhänge, also nach der Verarbeitung eingehender Information, gefragt, so zeigt sich für die jüngeren Kinder

(4;0 bis 5;4 Jahre) der untersuchten Gruppe ein bedeutsamer Einfluss der Neugier und Angst auf

die Gedächtnisleistung (vgl. Abb. 2): Hoch ängstliche jüngere Kinder haben mehr vom Spielgeschehen verstanden als wenig ängstliche Kinder, und zwar unabhängig davon, ob sie neugierig sind oder nicht. Bei den wenig ängstlichen jüngeren Kindern dagegen zeigt sich ein positiver Einfluss der Neugier auf den Umfang der aufgenommenen, verarbeiteten und behaltenen Information (siehe Trudewind, Gibas & Scheps, 1996).

Abb. 2: Mittelwerte in den Verstehensleistungen in Abhängigkeit vom Alter, der epistemischen Neugier und der sozialen Angst und Scheu (n=123). Diese z.T. überraschenden Ergebnisse - denn die Annahme, dass sich hohe Angst ungünstig auf bestimmte kognitive Leistungen auswirkt, ist in vielen Studien bestätigt worden (vgl. z.B. Markgraf-Stiksrud, 1989; Seipp, 1990; Schellhas, 1993; Mackowiak, 1998) – haben wir folgendermaßen interpretiert: Bei den jüngeren Kindern scheint das angeregte Angstmotiv die Informationsaufnahme und ihre tiefere Verarbeitung zu begünstigen, obwohl es das offene, beobachtbare informationseinholende Verhalten eher hemmt (vgl. Abb. 1). Möglicherweise wirkt sich beim Betrachten eines neugieranregenden Puppenspiels die durch die Angst bedingte Verhaltenshemmung für die jüngeren Kinder günstig auf die Informationsaufnahme und -verarbeitung aus. Die Sinnesorgane für die Informationsaufnahme aus der Ferne durch Beobachten und Hinhören könnten sensibilisiert sein, die Aufmerksamkeit ist auf das angstauslösende Geschehen fokussiert, während gleichzeitig die motorischen Aktivitäten des Erkundens gehemmt werden. Das eher passiv und unbeteiligt wirkende Zuschauen und Zuhören ermöglicht diesen Kindern vielleicht deshalb eine tiefere Verarbeitung, weil es nicht durch aktives Explorieren gestört wird. Bzgl. der Wiedergabe bloßen Faktenwissens zeigen sich keine bedeutsamen Effekte der Neugier und Angst. Der Unterschied in den Beziehungen zur Angst und Neugier, den wir zwischen diesen beiden Gedächtnisleistungen gefunden haben, unterstützt die von uns aus anderen eigenen Untersuchungsergebnissen abgeleitete Hypothese, dass das Neugiermotiv vor allem diejenigen Fähigkeiten fördert, die sich aktuell in einer kritischen Entwicklungsphase befinden. Dies gilt offenbar für die jüngeren Kinder der dargestellten Studie und ihre Fähigkeit, Zusammenhänge in der Handlung zu erkennen und zu verstehen. Die Neugierigen unter ihnen, die sich in verstärktem Maße mit den neuen Sachverhalten in ihrer Umwelt auseinandersetzen, dabei lernen, ihre Aufmerksamkeit willkürlich zu steuern und Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden, haben hier vermutlich einen Vorteil. Die weniger neugierigen Kinder

erwerben diese Fähigkeiten auch, aber möglicherweise erst später und mit mehr Hilfe durchErwachsene. Berg und Sternberg (1985) gehen – wie eingangs dargestellt – davon aus, dass einestark ausgeprägte Neugier die Entwicklung der geistigen Fähigkeiten insgesamt fördert. Nach unseren Ergebnissen könnte die Hauptfunktion einer starken Neugier vor allem darin bestehen, die Entwicklung neuer Kompetenzen anzustoßen und in der Frühphase zu beschleunigen (vgl. Trudewind, 2000). Über den Einfluss der Ängstlichkeit auf die geistige Entwicklung und Erfahrungsbildung machen Berg und Sternberg jedoch keine Aussagen.

Die 2. Untersuchung: Neugier, Angst und ProblemlösenSchubert und Ballin (1995) sind in unserem Bochumer Forschungsprojekt der Frage nachgegangen, welchen Einfluss Neugier und Angst auf das Lösen eines Problems haben, wenn die Problemlösung – anders als beim Puppenspiel – die aktive Manipulation von unvertrauten und komplexen Materialien verlangt (vgl. Trudewind, Schubert & Ballin, 1996). An der Untersuchung nahmen 112 Kinder im Alter von 3;6 bis 6;11 Jahren teil. Die Stärke der Neugier wurde mittels eines Untertests („Banta-Box“) der oben beschriebenen Testbatterie zur Erfassung des Neugiermotivs (Schneider et al., 1993) erhoben, die Stärke der Ängstlichkeit mittels des Elternfragebogens ELFRANA 3592 (vgl. Trudewind & Schneider, 1994). Zur Erfassung der Problemlösefähigkeit wurden die Kinder aufgefordert, eine oberhalb ihrer Reichweite an einem Galgen aufgehängte Schachtel mit den zur Verfügung stehenden Hilfsmitteln (Teile einer Holzkiste, Stäbe etc.) herunter zu holen. Um dieses Problem zu lösen, sind verschiedene Teilschritte erforderlich. So müssen die Kinder z.B. erkennen, dass sie aus einigen farblich markierten Teilen eine Kiste bauen können und dass sie verschiedene Holzstäbe ineinander stecken müssen, um so das Objekt zu erreichen. Zur Erfassung der kindlichen Leistung wurde unter anderem die Anzahl der selbständig gelösten Teilprobleme erhoben (bei der Lösungssuche wurden die Kinder – wenn notwendig – nach festgelegten Kriterien unterstützt). Statistische Analysen7 erbrachten einen deutlichen Effekt der Neugier und der Angst auf die Problemlöseleistung. In Abbildung 3 ist die Leistung bei der Lösung dieses Problems in Abhängigkeit von der Stärke des Neugiermotivs und des Angstmotivs dargestellt. 1. Im Mittel lösen die hoch neugierigen Kinder mehr Teilprobleme als die weniger neugierigenKinder, und die weniger ängstlichen lösen mehr Teilprobleme als die hoch ängstlichen.2. Die Abbildung zeigt aber auch, dass die beiden Motivtendenzen miteinander in Wechselwirkung stehen: Hoch ängstliche Kinder zeigen ebenfalls gute Leistungen im Problemlösen, wenn sie gleichzeitig hoch neugierig sind. Die Neugier hilft ihnen, die Scheu vor der Auseinandersetzung mit den unbekannten Objekten zu überwinden und ihre Fähigkeiten bei der Lösung des Problems erfolgreich einzusetzen. Den hoch ängstlichen Kindern, die gleichzeitig wenig neugierig sind, gelingt dies nicht. Ein starkes Neugiermotiv hat in dieser Altersphase also auch die Funktion, derängstlichen Hemmung entgegen zu wirken, sich mit neuen und unbekannten Dingenauseinander zu setzen.

Abb. 3: Anzahl selbständig gelöster Teilprobleme in Abhängigkeit von der Stärke des Neugier- und Angstmotivs. Wir schlussfolgern aus diesen und anderen Ergebnissen, dass ein hohes Neugiermotiv auf lange Sicht kognitive Prozesse der Informationsgewinnung und –strukturierung fördert und auf diese Weise die Problemlösekompetenzen verbessert. Einen erstenHinweis zur Bestätigung dieser Annahme finden wir in einem weiteren Ergebnis der Untersuchung von Schubert und Ballin. Sie führten als weitere Bedingung ein Geräusch(Froschquaken) ein, das manchmal aus der Schachtel mit dem Objekt zu hören war und das als zusätzlicher Anreiz die Neugier erhöhen sollte. In dieser Versuchsanordnung

zeigten auch die wenig neugierigen Kinder ein erhöhtes Aktivitätsniveau. Allerdings waren die gezeigten Verhaltensweisen wenig zielführend, was für einen Mangel an effizienten Problemlösestrategien niedrig neugieriger Kinder spricht. Diese Studie bestätigt den positiven Zusammenhang zwischen Neugier und Problemlösekompetenzen. Eine ausgeprägte Ängstlichkeit wirkt dagegen nur in jenen Fällen leistungsmindernd, in denen gleichzeitig die Neugier gering ist.Anders als Bergs und Sternbergs (1985) Annahme, dass Effekte der Neugier sich summieren und mit zunehmendem Alter die Problemlösefähigkeiten immer stärker beeinflussen, haben wir in unseren Untersuchungen das Gegenteil gefunden. Unterschiede in der Problemlöseleistung zwischen hoch und niedrig neugierigen Kindern werden mit zunehmendem Alter geringer. Auch dieses Ergebnis nehmen wir als Indiz für unsere oben dargestellte Hypothese, dass die Neugier insbesondere zu Beginn eines neuen Entwicklungsschrittes förderlich für den schnelleren Erwerb von Fähigkeiten und Fertigkeiten wirkt. Wenig neugierige Kinder erwerben diese Fähigkeiten ebenfalls, aber wir vermuten, dass sie dafür mehr Zeit benötigen. Möglicherweise sind siestärker auf die Unterstützung von erfahrenen Problemlösern angewiesen, die sie anleitenund motivieren. Eine ausgeprägte Ängstlichkeit kann in diesem Zusammenhang insofern wirksam werden, als bestimmte Informationskanäle (z.B. aktive Auseinandersetzung mit neuen Objekte durch Manipulieren und Fragen) nicht oder weniger effizient genutzt und damit die Möglichkeiten der Informationsgewinnung eingeschränkt werden. Langfristig könnte dies zu einem generell veränderten Umgang ängstlicher Kinder mit Problemen und Aufgaben sowie zu einem eingeschränkten Repertoire an Problemlösestrategien führen (vgl. auch Mackowiak, 1998).Aus den dargestellten Befunden ergibt sich die Frage, welchen Einfluss Eltern, Erzieherinnenoder Lehrer auf die (früh-)kindliche Entwicklung von Neugier und Ängstlichkeit nehmen können, um bei den Kindern günstige motivationale Voraussetzungen für den eigenständigen Erwerb kognitiver Kompetenzen zu erzielen. Leider sind wir von einem umfassenden Verständnis der Bedeutung von Neugier und Angst für die frühkindliche Erfahrungsbildung sowie von einer theoriegeleiteten Anwendung dieser Kenntnisse auf die Gestaltung (vor-)schulischer Lernbedingungen noch weit entfernt. Die Ergebnisse unserer Untersuchungen sind lediglich ein erster Schritt in diese Richtung. Trotzdem möchten wir – auch gestützt auf die Ergebnisse anderer Forscher - zum Abschluss einigeAnregungen für die Förderung der kindlichen Neugier geben.

4. Förderung von Neugier und kognitiven KompetenzenSchon Piaget hat in seinen Arbeiten betont, wie wichtig die aktive Auseinandersetzung des Kindes mit seiner Umwelt ist. Nicht die passive Informationsaufnahme, sondern vielmehr das aktive Erkunden von Sachverhalten und Ereignissen trägt maßgeblich zur Erfahrungsbildung und Entwicklung geistiger Strukturen bei. Kinder fördern diesen Entwicklungsprozess selbsttätig – Piaget spricht von einem intrinsischen, d.h. aus sich selbst heraus motivierten Prozess der Auseinandersetzung mit der Umwelt. Das Kind bedarf dazu keiner zusätzlichen "Belohnung". Notwendige Voraussetzung dafür ist allerdings eine ansprechende und anregende Umwelt, die zum Erkunden einlädt und die Aufmerksamkeit fesselt. Burton White und Richard Held, zwei amerikanische Entwicklungspsychologen, haben 1966 in einer Untersuchung mit Babies ausWaisenhäusern zeigen können, dass die Babies, denen ein einfaches Bild oder später ein Mobile über die Krippe gehängt wurde, 6 bis 8 Wochen früher Greifen lernten als die Babies, deren unmittelbare Umwelt – wie es dort üblich war – nicht durch solche interessanten Reize bereichert wurde. Sie fanden aber auch, dass bei vielen und wechselnden Reizen die Kinder unruhig wurden, häufiger weinten und die Fähigkeit zum Greifen nicht so schnell entwickelten wie die Kinder, die nur mit einem zu bewältigenden Ausmaß an neuen Reizen stimuliert wurden. In der Gestaltung der unmittelbaren täglichen Umwelt des Kindes bieten sich Eltern und Pädagogen zahlreiche Möglichkeiten, auf die Entwicklung der Neugier Einfluss zu nehmen, wenn der Grundsatzbeachtet wird, dass ein Mehr an Stimulation nicht immer die günstigste Entwicklungsbedingungdarstellt.a) Gestaltung der häuslichen Umwelt unter Berücksichtigung der kindlichen Interessen

Stehen dem Kind Spiele und Materialien zur Verfügung, die seine Neugier wecken, seinem Entwicklungsstand angemessen sind, d.h. eine bewältigbare Herausforderung darstellen, und die den individuellen kindlichen Interessen und Bedürfnissen entgegenkommen? Bei der Auswahl derartiger Materialien geht es nicht darum, möglichst viel und möglichst teuer pädagogisch wertvolle Spiele zu erwerben; vielmehr eignen sich auch ganz einfache Materialien (z.B. aus Haushalt und Natur) ebenso gut wie aufwendige Computerspiele, sofern sie für das Kind einen Anreiz zur vielfältigen und kreativen Auseinandersetzung darstellen. Eltern können hier gemeinsam mit ihren Kindern neue und interessante Spiel- und Explorationsmöglichkeiten entdecken.b) Anregung möglichst unterschiedlicher ExplorationsmodalitätenBei der Auswahl von Spielmaterialien kann als weiteres Kriterium neben den spezifischen Anreizqualitäten darauf geachtet werden, welche Explorationsarten angeregt werden. Erfolgt die Informationsaufnahme überwiegend visuell (z.B. bei Büchern), oder werden auch andere Sinneskanäle (Hören, Riechen, Tasten, Schmecken) angesprochen? Jede dieser Explorationsmodalitäten bietet Möglichkeiten der Informationseinholung. Gerade ängstliche Kinder, die nach den Ergebnissen unserer Untersuchungen (vgl. auch Mackowiak, 1998) ein eingeschränktes Verhaltensrepertoire bei der Informationsgewinnung zeigen, könnten in einer spielerischen und angstfreien Atmosphäre neue Strategien des Erkundens von Objekten und Sachverhalten erproben. c) Unterstützung bei der Aufmerksamkeitsregulation Belsky, Goode & Most (1980) haben Mütter von Kindern im Alter zwischen 9 und 18 Monaten bei ihrer täglichen Hausarbeit beobachtet und sorgfältig registriert, auf welche Weise sie dabei ihre Kinder anregten, sich selbst zu beschäftigen. Die Häufigkeit bestimmter Verhaltensweisen haben sie mit dem Entwicklungsstand des Neugier- und Spielverhaltens in Zusammenhang gebracht. Es zeigte sich, dass die Kinder den höchsten Entwicklungsstand im Explorieren und Spielen erreicht hatten, deren Mütter die Aufmerksamkeit des Kindes während ihrer Arbeit immer wieder auf Objekte lenkten, z. B. indem sie darauf zeigten, den Namen des Objektes nannten, das Objekt in die Reichweite des Kindes rückten oder auch vorführten, was man mit dem Objekt machen kann. Aus anderen Untersuchungen wissen wir, dass solche spielerischen Interaktionen aber nur dann die Neugier des Kindes anregen und auf Dauer die Entwicklung eines starken Neugiermotivs fördern, wenn die Mütter sorgfältig darauf achteten, dass sie mit ihren Aktionen nicht eine gerade vom Kind begonnene Handlung störten (Landry & Chapieski, 1989; Belsky, 1980; Endsley, Hutcherson, Garner & Martin, 1979; Parinello & Ruff, 1989). d) Anbieten von Problemen und Aufgaben, die unterschiedliche Lösungsstrategien erfordern Eigentlich werden wir ebenso wie unsere Kinder täglich mit diversen Problemen und Aufgaben konfrontiert, sei es, dass wir eine Reihe von Erledigungen in einer bestimmten Zeit bewältigen, die Bedienungsanleitung eines Haushaltsgerätes nachvollziehen, eine Geburtstagsparty planen müssen oder in unserem Beruf eine bestimmte Aufgabe übertragen bekommen. Bei der Lösung dieser Probleme könnensehr unterschiedliche Strategien von Nutzen sein. So hilft manchmal nur ein Ausprobierennach Versuch und Irrtum, um neue Informationen zu erhalten, die uns zur Lösung führen; bei anderen Problemen ist es dagegen sinnvoll, die Handlungsschritte vorab zu planen sowie Vor- und Nachteile verschiedener Handlungsalternativen abzuschätzen. Bei einigen Problemen ist die Nutzung bestimmter Hilfsmittel (z.B. Werkzeuge, andere Personen) bei der Lösungssuche unbedingt erforderlich. Kinder müssen im Laufe ihrer Entwicklung diese Problemlösestrategien erwerben und in vielen verschiedenen Situationen herausfinden, welche Strategien wann besonders geeignet sind. Erwachsene können dabei auf zweierlei Weise unterstützen:zum einen dadurch, dass sie Gelegenheiten schaffen, in denen diese Problemlösestrategien erforderlich sind; zum anderen dadurch, dass sie bei der Lösungssuche an den Stellen helfen, an denen das Kind nicht weiterkommt. Dies erfordert eine sensible Anpassung an die jeweiligen kindlichen Kompetenzen und Bedürfnisse. Wood, Bruner und Ross (1976) haben diesen Prozess der optimalen Unterstützung des Kindes bei der Bewältigung eines Problems mit dem Begriff „scaffolding“ umschrieben. Sie unterschieden verschiedene Aspekte, die hierbei von Nutzen sein

können:1. Der Erwachsene kann mit seinem Verhalten das Interesse des Kindes wecken und durch Hinweise die Anforderungen der Aufgabe verdeutlichen.2. Ist die Aufgabe für das Kind zunächst verwirrend und unübersichtlich, kann der Erwachsene sie vereinfachen, in Teilprobleme zerlegen, strukturieren und mögliche Handlungsalternativen reduzieren.3. Während des Problemlöseprozesses kann es erforderlich sein, die Aufmerksamkeit des Kindes bei der Aufgabe zu halten. Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch eine motivierende Funktion: wenn das Kind aufgeben möchte oder keine Lust mehr hat, kann der Erwachsene es zu neuen Schritten ermuntern und von ineffektiven Strategien abbringen.4. Im Laufe der Lösungssuche ist auch immer wieder ein Vergleich zwischen dem Ist-Zustand (Problem) und dem Soll-Zustand (Ziel) erforderlich, bei dem der Erwachsene unterstützen kann. Die Unterscheidung zwischen wesentlichen und unwesentlichen Aufgabenaspekten spielt hier eine entscheidende Rolle. 5. Immer dann, wenn das Kind bei seinen Lösungsbemühungen nicht weiterkommt, besteht die Gefahr, dass es aufgibt. Hier kann die Aufgabe des Lehrenden darin liegen, dem Kind die Angst vor Fehlern und Versagen zu nehmen und das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten zu stärken. 6. Kommt das Kind dem Ziel trotz ausdauernder Versuche nicht näher, kann der Erwachsene, die angefangenen Schritte des Kindes aufgreifen und richtig weiterführen und so als Vorbild ein ideales Vorgehen demonstrieren. Wichtig ist bei all diesen Bemühungen, dem Kind so wenig Hilfe wie möglich und so viel wie nötig zu geben. Die schönste Lösung ist immer noch die, die man mit einiger Anstrengung möglichst selbständig erreicht hat.

1 Der Begriff „kognitive Entwicklung“ ist im psychologischen Kontext weit verbreitet und wird synonym zu den Begriffen „geistige Entwicklung“, „intellektuelle Entwicklung“ oder „Intelligenzentwicklung“ verwendet.2 mit den Augen erforschen3 mit den Händen erforschen4 ethologisch: aus der Sicht der Verhaltensforschung5 Eine Korrelation beschreibt einen statistischen Zusammenhang zwischen zwei oder mehreren Aspekten.6 Es wurden univariate vierfaktorielle Varianzanalysen mit den vier unabhängigen Faktoren Alter, Geschlecht, Stärke der Neugier- und Angstdisposition und den jeweils abhängigen Maßen für informationssuchendes Verhalten und Behaltensleistungen gerechnet.7 Es wurden univariate mehrfaktorielle Varianzanalysen mit den unabhängigen Faktoren Alter, Geschlecht, Stärke der Neugier und Angst sowie der Problemlöseleistung als abhängiger Variable gerechnet.

Kontaktadressen:Dr. Katja MackowiakRuhr-Universität BochumFakultät für PsychologieD-44780 Bochume-mail: [email protected]. Clemens TrudewindRuhr-Universität BochumFakultät für PsychologieD-44780 Bochume-mail: [email protected]

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Theater für die Allerkleinsten

Angeborenes Wissen neu entdeckenIch muss sagen, dass mir nie zuvor der Begriff der Kultur so einsichtig wurde wie bei dem Theater für die Allerkleinsten. Im Theater ereignen sich gleichzeitig viele wertvolle Erlebnisse: die Gemeinschaft (des Publikums und der Akteure), das Ritual mit seinen Strukturen und Regeln, das Unmittelbare, die Anteilnahme, die Poesie und Magie und nicht zuletzt die Überlieferung von emotionalem sowie geistigem Wissen und sein Ausdruck auf einer künstlerischen, ästhetischen Ebene. Theater ist ein besonderer Raum der Kommunikation über eine gemeinsame Kultur. Dafür sollte es keine Altersbegrenzung geben. Alle Komponenten, die das Theater grundsätzlich ausmachen, laden hier zu einer verschärften Betrachtung ein. Denn das Publikum ist sehr sensibel. Es registriert alles und gibt auch sofort Rückmeldung. Schon die zeitliche Begrenzung von einer guten halben Stunde fordert mich als Schauspielerin auf, mit allen Mitteln sehr bewusst umzugehen und das Theatrale von Handlungen genau zu untersuchen. Für die Kinder ist alles wichtig: die Architektur und Atmosphäre des Aufführungsortes scheinen ihnen Teil der ganzen Inszenierung zu sein. Alles, was sie vorher am Tag erlebt haben, gehört zu dieser Tagesinszenierung. Die Gruppenkonstellation des Publikums, die Begleitpersonen und ihre Stimmung beeinflussen sie. Eine verbindliche Begrüßung vor dem Stück, die das Gastgeberverhältnis markiert und den auch oft unsicheren Eltern ein paar Hinweise gibt, kann im Vorfeld eine gute Einstimmung sein.

Melanie Florschütz/ Michael Döhnert (DE):„Hase Hase Mond Hase Nacht“

Wenn kleine Kinder zum ersten Mal in ein Theater kommen, ist ihre ganze Neugier, ihre Offenheit, aber auch ihre Empfindlichkeit, ihre Vorsicht und Verletzlichkeit zu spüren. Das ist sehr berührend. Die Kinder sind in dem Alter in einem guten Sinne noch nicht diszipliniertund tun ihre ganzen Empfindungen sehr direkt kund. Wenn sie zuschauen, scheint von ihnen oft ein vollkommen bewertungsfreier Blick auszugehen. Sie sind ganz damit beschäftigt, das Geschehen wahrzunehmen. Mir ist der Akt und die Bedeutung des Zuschauens durch sie wieder sehr bewusst geworden. Die Unmittelbarkeit ihrer Reaktionen erzählt von einer großen Freiheit der Emotionen.Blitzschnell können diese wechseln. Das erfordert von den Spielern eine beharrliche Akzeptanz. Es muss erlaubt sein, dass es im Spiel nicht immer gelingt, die volle Aufmerksamkeit/Zustimmung des Publikums zu erhalten. Das ist eine gute Spielhaltung, niemanden irgendwohin zwingen zu wollen, sondern das Theaterstück als Angebot zu gestalten. Das Theater ist ein Raum, in dem sich unsere und ihre Fantasie treffen können. Dafür kann es verschiedene parallele Ebenen in einem Stück geben. Sich mit der Welt der Zweijährigen zu beschäftigen und ihren Humor zu begreifen, ist genauso wichtig wie dem eigenen erwachsenen Humor und Anspruch innerhalb des Stückes Futter zu geben. Schließlich kann ich niemanden begeistern, wenn ich es nicht selber bin. Das ist sicherlich nicht nur für die Stückentwicklung wichtig, sondern auch während der Aufführungen laufend weiter zu befragen. Die Beschäftigung mit ganz kleinen Kindern stellt eine wunderbare Frage in den Mittelpunkt. Neben dem „Was will ich erzählen?“ stellt sich die Frage nach dem „Wie?“ ganz neu. Das Publikum der ganz kleinen Kinder bringt, was das betrifft, wirklich noch keine Bildung mit und ist für alles offen. Sie besitzen eine Gabe der Aufmerksamkeit gegenüber Vorgängen, die fern von unserem später erlernten,

zielorientierten, linearen Denken liegt. Sie scheinen ohne Schwierigkeiten Zusammenhänge assoziativ begreifen zu können und verfügen über eine intuitive, emotionale Logik. Ich empfinde das als einen großen Schatz, der uns in unserer Sozialisation abhanden kommt. Das ist eine schöne Herausforderung, sich als Künstlerin Erzählstrukturen, Dramaturgie und den Einsatz aller Mittel – Bilder, Musik, Bewegung und Wort – auf ihre ebenbürtige Aussagekraft hin anzuschauen. Das assoziative Erzählen gibt viel Raum für die eigene Fantasie; das gefällt mir besonders gut im Hinblick auf den Kommunikationscharakter des Theaters. Ich bin immer wieder verblüfft, wie viele unterschiedliche Kommentare von den Kindern zum Gesehenen während der Vorstellungen kommen. Das größte Problem im Theater für ganz Kleine ist für mich tatsächlich der Erwachsene. Mir ist vorher nie so eklatant aufgefallen, dass Eltern oft mit einem unglaublichen Erwartungsdruck ins Theater kommen. In der Gruppe scheinen die Kinder eigenständiger ihre Erfahrungen machen zu können, sie sind dort nicht unter so großer Einzelkontrolle. Es fällt vielen Erwachsenen/ Eltern sehr schwer, ihren Kindern nicht ständig die Welt zu erklären. Ich spüre oft viel Angst bei den Erwachsenen. Ich wünschte, die Erwachsenen könnten sich von der Art und Weise ihrer Kinder, die Welt zu entdecken, anstecken lassen. Wenn die Kinder mit den Erwachsenen nach der Vorstellung zu uns auf die Bühne kommen, wollen die Eltern ihren Kindern oft nachträglich alles erklären, aber der ganze Zauber und die soeben erlebte Magie sind gar nicht mehr richtig nachzuvollziehen. An den Kindern sehe ich, dass sie den Zauber in sich aufgenommen haben.

Melanie Florschütz

Über die Autorin: Melanie Florschütz ist freischaffende Figuren- und Schauspielerin,Autorin und Regisseurin. Sie beschäftigt sich seit 2004 mit der Entwicklung von Theaterstücken für ganz kleine Kinder. Mit "Hase Hase Mond Hase Nacht" und "Rawums(:)" sind Melanie Florschütz und der Musiker Michael Döhnert bundesweit auf Tour.

Der Text ist Bestandteil der Dokumentation zum Symposium „first steps – Theater für die Allerkleinsten“, herausgegeben vom Kinderund Jugendtheaterzentrum in der Bundesrepublik Deutschland und vom HELIOS Theater.

www.theatervonanfangan.de

www.helios-theater.de

Wolfgang Schneider

Die Kategorie der Einfachheit und die Komplexität des TheatersKunstpädagogische Anforderungen, neurobiologische Begründungen und kulturpolitische Überlegungen für eine darstellende Kunst von frühester Kindheit an

Wenn es um das Theater für die Allerkleinsten geht, darf Hanne Trolle aus Dänemark nicht unerwähnt bleiben. Auch in Deutschland schätzt man ihre künstlerische Arbeit. In Grenaa wartete ihr Teatret Mänegogl mit einer Produktion für anderthalb- bis vierjährige Kinder auf. „Elverklokken“

heißt „Elfenglocken“, klingt in Dänisch aber viel schöner. Es geht also um Elfen und Glocken. Um einen Zauberwald und eine Zauberhöhle. Um ein Kind und um Tiere. Es gibt Fingerfiguren und Handpuppen, Puppen auf Stöcken und aus Fäden, es wird vor, hinter und auf der Bühne gespielt. Und das hat mich überrascht. Ich dachte immer, so einfach wie möglich, wenn’s um die Allerkleinsten geht. Nichts da! Alles ist so bunt, dass man gar keine Farben mehr wahrnehmen kann, alles ist so komplex, dass ich selbst Probleme habe, dem Figurenarsenal zu folgen. Und brauchen überhaupt anderthalbjährige Kinder Theater? „Sie brauchen’s nicht“, sagt Hanne Trolle, „aber schön ist’s für sie doch!“ Psychomotorische Entwicklungen werden bei Agnès Desfosses Kleinkindertheater aus Frankreich ebenso berücksichtigt, wie die Kürze der Aufmerksamkeit bei Kindern unter drei oder über vier Jahren, ihre Mobilität spielt eine Rolle und die Wichtigkeit aller Formen ihrerWahrnehmung. Ihr Stück „Sous la table“ ist deshalb ein Stück zum Klettern, Knabbern, Berühren, zum Zuhören, Schauen und Tanzen. Um die Gefühle der Kinder zu zähmen, damit sie nicht zu wild sind, sehen

Compagnie ACTA (FR) : „Sous la table“ die jüngsten Zuschauer den Schauspielern beim Umziehen und Schminken zu. Für die Schauspieler ist ein solches Theater oft die Feuertaufe. Es ist nicht einfach für eine lyrische Sängerin zu akzeptieren, dass einige Babys unter dem Charme ihres Gesangs einschlafen; es ist nicht leicht für einen Tänzer zu beobachten, dass einige der Jüngsten im Publikum ihn während der Choreographie imitieren, und es ist für alle nicht leicht, während des Spiels berührt zu werden. Roberto Frabetti aus Italien schreibt und spielt phantasievolle Geschichten für ein- bis dreijährige Kinder, „Dinosaurier“ heißt eine davon, und sie beginnt mit einem Schrank. Auf Matten sitzen die Kleinkinder und ihre Erzieherinnen, Frabetti begrüßt sie individuell und formiert auf diese Art und Weise ein kleines Zuschauerrund. Dann erzählt er von einer Reise zu einem großen Baum im Wald und seinen kleinen Vögeln und anderen Tieren. Eine einfache Geschichte, eine Geschichte über Großes und Kleines und über Veränderungen. Im Schrank befinden sich die Geheimnisse des imaginierten Waldes, die der Erzähler nach und nach lüftet. Immer wieder klappt Frabetti ein Schrankelement um und gewährt Einblick in sein Figurenarsenal. Als sich schließlich alles offenbart, dreht er den Schrank um, und siehe da, da steht es, groß und mächtig, das Tier aus der Urzeit. Nach 35 Minuten packt Frabetti wieder alles zusammen und verabschiedet sich. Während des Spiels entfernt er sich nie von den Kindern. Er ist oft zwischen ihnen; denn sie sind das Theater. Der Schlüssel zum Erfolg ist, Aufmerksamkeit zu erreichen. Das Theater gibt etwas, das Publikum nimmt es sich. Das fordert vom Erzähler eine ungeheure Präsenz. Frabetti reagiert auf die kleinsten Regungen der Kleinen. Unter ihnen die ganz

Aktiven, die Faulen, die Schüchternen oder die leicht Abzulenkenden. Da kommt es auf die Stimmlage ebenso an wie auf den freundlichen, aber bestimmten Blick. Ich hätte nie geglaubt, dass ein solches Theater funktioniert, wenn ich es nicht mit eigenen Augen gesehen hätte.Und ich weiß auch nicht, ob die Jüngsten etwas mit Theater anfangen können. Aber wie mit ihnen umgegangen wird, was ihnen gezeigt wird und mit welcher Intensität ihnen ein Mensch seine Aufmerksamkeit schenkt, das kann nicht ohne gute Wirkung bleiben.

Einfach ist nicht leichtMit der Einfachheit als Kategorie scheint es sich einfach zu verhalten. Schon ein erstes Nachdenken darüber, was z.B. Theater für Kinder von dem für Erwachsene unterscheidet, führt immer wieder einmal zu der Feststellung, dass Kindertheater, um von seinen Adressaten angenommen zu werden, im Verhältnis zum übrigen Theater eine Grenze der Einfachheit wahren muss, d.h., dass es in Sprache, Darstellungsweise und Sujet einen bestimmten Grad der Komplexität nicht überschreiten darf. Damit wird ein Teilbereich des Theaters, Kindertheater, insgesamt als einfach eingestuft, und zwar aufgrund eines relativ niedrigen Grades der Anforderung an das Dekodierungsvermögen seiner Zuschauer. In der Korrelation vom kindlichen Zuschauer und kunstantizipierender Begrenztheit ist Einfachheit ein negatives Merkmal. Es besagt, dass Kindertheater im Gesamtsystem des Theaters einen unteren Rang innehat, da der kleine Zuschauer eben nur durch ein „einfaches“ Theater erreichbar sei. Angenommen wird dabei, dass Zugänglichkeit für Kinder, die für Kindertheater unerlässlich ist, notwendig auf künstlerisch unkomplizierte Weise zustande komme. Es ist aber zu prüfen, ob Stücke, die kindlichem Interesse und Verständnis entgegenkommen, weniger differenzierte, gewissermaßen unentwickelte theatralische Muster erfordern, oder ob die Rücksicht auf das kindliche Fassungsvermögen nicht gerade komplizierte Gestaltungen notwendig macht. Blickt man auf die Fülle der Probleme, die der Bezug zum kindlichen Zuschauer aufwirft und auf die vielfältigen Wege, die zu ihrer Lösung eingeschlagen werden, blickt man darüber hinaus auf die verschiedenen Ebenen und Funktionen des Kindertheaters im gesellschaftlichen Bezugsfeld, so erscheint es fragwürdig, Kindertheater global als einfach einzustufen. Als Abgrenzungs- und Unterscheidungsmerkmal vom anderen Theater dürfte Einfachheit, sofern sie eine reduzierte Stufe bezeichnet, daher ungeeignet sein.Demgegenüber lässt sich nicht übersehen, dass das „Einfache“ innerhalb des Kindertheaters eine bedeutende Rolle spielt. Das zeigt sich bereits auf praktischem Gebiet, im Bereich der Kindertheaterkritik. Das pragmatische Interesse, das eine weitverbreitete Kindertheaterkritik am Begriff des Einfachen hat, erwächst aus ihrer Vermittlungs- und Beratungsaufgabe. Indem sie den erwachsenen Vermittlern von Kindertheater – Eltern und berufsmäßigen Erziehern – hilft, Auswahlentscheidungen zu treffen und das Angebot sichtet, nimmt sie zugleich mit Qualitätseinteilungen auch Einstufungen nach Schwierigkeitsgraden vor und kommt damit dem Bedürfnis nach expertengeleiteter Orientierung entgegen, das Erwachsene auf der Suche nach „einfachen“, „nicht zu einfachen“ etc. Stücken für Kinder haben. In diesem praktisch-publizistischen Gebrauch wird „einfach“ allgemeinsprachlich verwendet, nämlich synonym mit „leicht“. Die Ineinssetzung von Einfachheit mit Leichtverständlichkeit wirft aber unter dem Aspekt der Rezeption erste Probleme auf. Die Rede von einer einfachen = leicht rezipierbaren Aufführung hat ja nur Sinn in Bezug auf eine zugrunde liegende Rezeptionsnorm. Die Setzung dieser wie auch immer gearteten – „durchschnittlichen“? Idealen? kindlichen? – Rezeptionsfähigkeit impliziert zugleich einen objektiven Sinn, der vom Zuschauer realisiert oder nicht realisiert wird. Unbeachtet bleibt dabei, dass die Realisation von Theaterbedeutung in der Entstehung eines neuen, des Theaters im Kopf der Zuschauer, besteht. Dieser kann gegenüber dem Theaterwerk von größerer oder auch geringerer Komplexität sein. Ungeübte Zuschauer können sich z.B. der mühevollen Bedeutungsbildung bei komplexen Inszenierungen dadurch entziehen, dass sie sie in schnellem Zugriff vereinfacht verstehen und genießen; andererseits ist bekannt, dass Kinder z.B. sogenannte triviale Kinderbücher als Partituren auch für sehr komplexe eigene Realisationen benutzen.

Simplifikation als KunstDer Vorläufigkeitscharakter, den das theatrale Einfache in Verbindung mit Kindertheater annimmt, stellt eine Verengung dar. Das lehrt ein Blick auf die Geschichte. Insbesondere die Theorie der Dichtkunst des 18. Jahrhunderts hat im Zusammenhang mit dem Beginn bürgerlicher Kultur und Lebensform, der auch das Kindertheater seine Entstehung verdankt, dem Einfachen unter dem Namen der Einfalt, Simplizität und Naivität eine Fülle von Bedeutungen gegeben, die dazu anregen können, den für das Kindertheater so zentralen Begriffskomplex merkmalsreicher, differenzierter und theoretisch klarer zu fassen. 1) Einfachheit galt lange als Schreibideal der frühen Aufklärung, eine Reaktion auf die höfisch-barocke Norm des Sprachschmucks. Das Deutsche, Klare, Verständliche wurde aufgewertet. 2) Bei seinen theoretischen Bemühungen um die Einheit der dramatischen Form kommt Lessing auf den Begriff der Simplizität; er spricht sie den antiken Dramatikern zu, die es verstanden haben, „die Handlung selbst so zu simplifizieren, alles Überflüssige so sorgfältig von ihr abzusondern, dass sie, auf ihre wesentlichen Bestandteile gebracht, nichts als ein Ideal von dieser Handlung ward“. Simplifikation ist demnach das dichterische Verfahren, einen Gegenstand auf seine wesentlichen Elemente hin zu konzentrieren. 3) Auf der rousseauistischen Entdeckung der Ursprünglichkeit primitiver Völker fußt Herders Einschätzung der Volkspoesie als Dichtung ersten Ranges; der nicht durch Kunstkonvention gebrochene, naive „Volkston“ oder „Kinderton“ ist etablierter Kunst übergeordnet. Dem Einfachen wird immer auch Kunstcharakter zugesprochen. Aus den skizzierten Bedeutungsvarianten ergibt sich, dass Einfachheit in unterschiedlichen poetologischen Zusammenhängen sowohl auf die Komplexität sprachlicher und künstlerischer Formen als auch auf die Komplexität derdarzustellenden Welt bezogen werden kann. Sie ist mit dem Begriff der Verständlichkeit nicht notwendig verbunden, sondern ihm bisweilen sogar entgegengesetzt, dann z. B., wenn sie als Ausdruck der Unmittelbarkeit, Spontanität und „Kindlichkeit“ die Formen geordneter Mitteilung verlässt. Die angeführten Verständnisweisen des Einfachen wären auch in einer Theorie des Kindertheaters zu beschreiben. Wenn vom kindlichen Bedürfnis nach einer nicht verwickelten Handlungsführung, die sich auf einzelne, wesentliche Momente konzentriert, die Rede ist, so wird damit das Einfache als organisierendes Prinzip des dramatischen Gegenstandes angesprochen. Wie wäre also vorzugehen, um die Kategorie der Einfachheit für die Komplexität des Theaters nutzbar zu machen? Ausgangspunkt ist die Grundüberzeugung, dass Kinder und Erwachsene in einer gemeinsamen Welt leben. Daraus abzuleiten wäre eine Prämisse, dass Theater ein Ort der Verständigung zwischen Kindern und Erwachsenen sein kann, dass Kindertheater eine Einführung in die Komplexität des Theaters sein sollte und dass somit auch die Zuschauer – ganz gleich ob alt oder jung – an die Komplexität der Wirklichkeit herangeführt werden müssen. Eine zweite Prämisse ist die, dass Kinder ein Informationsbedürfnis haben und dass dieses sich nicht nur auf die sie umgebenden, sondern auch auf die ihnen unzugänglichen Verhältnisse richtet. Einzugehen wäre dabei auf die Situation heutiger Kinder unter einem Medienangebot, mithin auf die Verwertung ihres Informationsbedürfnisses durch die – im Gegensatz zum Kindertheater – alle Kinder erreichende industrielle Unterhaltung. Die sich an Kinder wendende Massenware auf diesem Gebiet beantwortet das Bedürfnis nach Erklärung der Realität mit der Belieferung durch Traumfabrikate. Für Kindertheater entsteht daraus die Frage, ob die so Belieferten bereits und überhaupt in der Lage sind, im Theater etwas anderes zu suchen, oder ob sie, durch CD, Kassette, Fernsehen und Comic mit einem fertigen Weltbild ausgestattet, vom Theater nur noch dessen Bestätigung erwarten; mithin steht der Spielraum in Frage, der ihrem Informationsbedürfnis verbleibt. Die Erklärung der Welt durch Kindertheater antwortet unter solchen Umständen kaum auf offene Nachfrage; sie beantwortet Fragen, die möglicherweise gar nicht zur Entstehung kommen konnten und sie wirft Fragen auf, für die Kinder keine Bedenkzeit mehr haben. Solche Zweifel müssen das Nachdenken über Kindertheater heute begleiten. Eine dritte und letzte Prämisse ist der Bildungsanspruch unserer Gesellschaft. Wenn also Theater für Kinder ein Dialog der Generationen sein kann und dem Bedürfnis nach Weltaneignung gerecht werden will, dann bedarf es aber auch einer kulturpädagogischen Konzeption, die einerseits die Kinder als Zielgruppe in ihrem jeweiligen

Entwicklungsstand wahrnimmt und ihnen andererseits Angebote macht, die sie in Inhalt und Ästhetik als Partner in der kulturellen Kommunikation ernst nimmt. Die Rolle der kulturellen Bildung wäre in diesem Zusammenhang neu zu definieren, sie kann im Kontext eines Theaters für die Allerkleinsten sinnvoll und insbesondere in einem künstlerisch gestalteten Programm für die ersten Lebensjahre von großer Bedeutung sein – von einer Bedeutung, die in der Politik leider noch keinen angemessenen Stellenwert erfährt.

Kulturelle Bildung ist eine gesellschaftspolitische HerausforderungAls Teil aller gesellschaftlichen und individuellen Bildungsprozesse reflektiert die kulturelle Bildung die sich wandelnden Ansprüche an die allgemeine Bildung. Sie ist eine Antwort auf die Trends, die die Zukunft unserer Gesellschaft prägen: die mit der Europäisierung und Globalisierung noch wachsende Pluralisierung von Lebensumständen und Lebensstilen, den Wandel zur Wissensgesellschaft und die Mediatisierung aller Lebensumstände. Kulturelle Bildung ist unverzichtbar, weil sie den permanenten Wandel der Gesellschaft erfahrbar, verstehbar und aushaltbar macht: Sie definiert Bildung als Prozess und permanente Veränderung. Kulturelle Bildung ist notwendig, weil sich Leben und Lernen in unserer Théâtre de la Guimbarde (BE): „Terres“

Gesellschaft gewandelt haben. Familie und Schule können die gesellschaftlich notwendigen Sozialisationsaufgaben schon länger nicht mehr allein bewältigen. Sie sind vielmehr Teil eines großen Lern- und Sozialisationszusammenhangs. Die Bildungsprozesse selbst sind also andere geworden. Neben den formalen Lernangeboten gewinnen nicht-formale und informelle Lernprozesse immer mehr an Bedeutung. Kulturelle Bildung kann zu mehr Chancengleichheit beitragen, weil sie bei den Subjekten der neuen Bildungsprozesse ansetzt und ihr Potential und ihre Kreativität erschließt. Sie muss Teil aller Bildungsprozesse werden und wird sie dabei verändern – in der vorschulischen Erziehung in Horten und Kindergärten ebenso wie in allen Schultypen, in der beruflichen Bildung, in Hochschulen und Universitäten sowie in der Erwachsenen- und Weiterbildung. Gerade im Kontext der vorschulischen Erziehungs- und Bildungsinstitutionen können die kreativen Fähigkeiten der Kinder – auch im kompensatorischen Sinne – gefördert und ausgebildet werden. Die Basis für kulturelle Bildung ist nicht Wissensvermittlung, sondern Entfaltung von sinnlichen Erfahrungen und das Erlebnis, allein und mit anderen zusammen etwas zu gestalten. Die Begegnung mit anderen Sichtweisen und Ausdrucksformen kann gerade bei Kindern im Vorschulalter unmittelbar erfolgen. Individuelle Begabung, kultureller Hintergrund, soziale Herkunft sind noch keine fest gefügten Distinktionsmerkmale. Kultureller Bildung in Kinderkrippen, Kindergärten und Grundschulen kommt damit eine wichtige Aufgabe der Förderung, aber auch der Integration zu. Kulturvermittlung kann Kinder und Jugendliche befähigen, sich mit Kunst, Kultur und Alltag phantasievoll auseinander zu setzen, kann gestalterisch-ästhetisches Handeln fördern und Wahrnehmungsfähigkeit entwickeln, Urteilsvermögen stärken, zur Mitgestaltung der Gesellschaft ermutigen. Keiner wird mir also widersprechen wollen, wenn ich behaupte: „Kinder brauchen Kunst!“ Und auch wenn ich daraus eine Fragestellung formuliere: „Brauchen Kinder Kunst?“, wird niemand dies verneinen. Natürlich brauchen Kinder zunächst Essen und Trinken, ein Dach über dem Kopf, gesundheitliche Versorgung und soziale Fürsorge. Das ist essentiell – und doch selbst in unserer Welt leider immer noch keine Selbstverständlichkeit. Selbstverständlich ist keineswegs aber auch die Erkenntnis, dass Kunst und Kultur entscheidenden Anteil an der Veränderung der Gesellschaft haben. Denn Kunst und Kultur stehen schon immer im Wechselverhältnis mit den ökonomischen und technologischen Entwicklungen. Die Kommission für Zukunftsfragen der Freistaaten Bayern und Sachsen schreibt hierzu: „Für den Übergang zur

unternehmerischen Wissensgesellschaft ist schließlich die Pflege von Kunst und Kultur von herausragender Bedeutung. Kunst und Kultur erschließen Kreativität in einer Bevölkerung. Sie sind keineswegs nur dekorative Elemente. Daher sind Aufwendungen für sie auch kein bloßer Konsum, sondern unverzichtbare Investitionen in die Entwicklung einer Gesellschaft.“ Damit Kunst und Kultur den Stellenwert einnehmen können, den z. B. die Autoren der Kommission für Zukunftsfragen ihnen beimessen, ist die öffentliche Förderung von Kultureinrichtungen erforderlich. Es ist längst erkannt, dass in der Zeit der Globalisierung der Weltmärkte Informationen, Rohstoffe, Transport- und Arbeitskosten zwar immer noch entscheidende industrielle Ressourcen sind, bezüglich der Innovation und Qualität von neuen Produkten, die für den wirtschaftlichen Erfolg von Industrien ganz entscheidend sein können, jedoch im 21. Jahrhundert produktorientierte Kreativität und soziale Kompetenz des Unternehmens als gleichfalls wesentliche Ressourcen immer mehr in den Vordergrund treten.

Nichts ist im Verstand was nicht vorher in den Sinnen warWie wichtig es ist, Menschen vom ersten Lebensjahr an zu begleiten und ihnen zu helfen, sich in die vorgefundene Welt einzubinden, belegen die Erkenntnisse der Hirnforschung. Es gilt heute als gesichert, dass sich die Entwicklung des menschlichen Gehirns bis zum Ende der Pubertät vollzieht. Das Neugeborene kommt zwar mit einem Gehirn zur Welt, in dem bereits alle Nervenzellen angelegt sind. Diese sind jedoch noch weitestgehend unverbunden, die neuronalen Netzwerke, die für das Funktionieren des Gehirns ausgebildet werden müssen, sind nur rudimentär angelegt und viele Zentren, insbesondere der Großhirnrinde, sind noch nicht funktionsfähig. Mit Ausnahme der Strukturen im Gehirn, die für die Aufrechterhaltung der vitalen Funktionen zuständig sind, machen die meisten Hirnregionen noch einen stürmischen Entwicklungsprozess durch, der während der ersten Lebensjahre und dann noch einmal kurz vor der Pubertät seinen Höhepunkt erreicht. Ein dramatisches Beispiel für die eminente Rolle, welche die Interaktion

Théâtre de la Guimbarde (BE): „Terres“ zwischen Gehirn und Umwelt für die Ausbildung von Hirnfunktionen spielt, ist die Ausbildung basaler kognitiver Leistungen. Wenn die Sehzentren im Gehirn daran gehindert werden, visuelle Informationen über die Augen aufzunehmen – etwa weil die Linsen beider Augen getrübt sind – können sich die erforderlichen Verbindungsarchitekturen nicht ausbilden. Bereits angelegte Verbindungen werden vernichtet, weil ihre Funktion nicht bestätigt werden kann, und die Folge ist, dass das Kind blind bleibt, auch wenn die optischen Medien der Augen durch einen späteren operativen Eingriff korrigiert werden. Das Auge liefert dann zwar wieder normale Signale aus der Umwelt an das Gehirn, die Sehzentren sind aber nicht in der Lage, diese Signale sinnvoll zu verarbeiten. Schon wenige Monate visueller Deprivation genügen, um irreversible Schäden zu setzen. Ähnliches gilt für die Ausbildung jener Zentren, die für das Sprachverständnis und die Sprachproduktion zuständig sind. Auch hier müssen die entsprechenden neuronalen Strukturen während kritischer Entwicklungsphasen ausgebildet werden. Dies betrifft auch die Ausbildung sozialer Fertigkeiten, die Sensibilisierung für künstlerische Kommunikationsformen, die Ausbildung ästhetischer Kriterien und vieles mehr. Betrachtet man unser gegenwärtiges Erziehungssystem, so fällt auf, dass dieses sehr einseitig gewisse Kompetenzen betont und andere vernachlässigt. Von den vielen Ausdrucks- und Kommunikationsmöglichkeiten, derer sich Menschen bedienen, trainieren wir vorwiegend den Umgang mit der Muttersprache. „Vieles von dem, was menschliche Wesen einander mitzuteilen haben und mitteilen müssen, um soziale stabile Strukturen aufzubauen, lässt sich jedoch nicht in

rationale Sprachen allein fassen“, behauptet der Direktor des Max-Planck-Instituts in Frankfurt am Main, Wolf Singer. Dies gelte insbesondere „für Gestimmtheiten, unbewusste Handlungsmotive und widersprüchliche Stimmungslagen.“ Daraus leitet er die Notwendigkeit ab, auch die nicht-sprachlichen Kommunikationsfähigkeiten optimal zu entwickeln, und auch diese bedürfen der Einübung und Verfeinerung. Hier greifen die gegenwärtigen Erziehungs- und Schulstrukturen aber mit Sicherheit zu kurz. Gerade die Fähigkeit, die Inhalte zu verstehen und transportieren zu können, die in nicht-sprachlicher Form kodiert werden müssen, ist jedoch wichtig für die Erlangung sozialer Kompetenzen und die Einbindung in die Kulturwelt. Wie alt ist eigentlich die Forderung nach ganzheitlichem Lernen? Auf jeden Fall ist sie nicht neu. Schon recht früh erkannten Pädagogen, Philosophen und Psychologen, dass ganzheitliches Lernen und vielfältige Sinneserfahrungen für die kindliche Entwicklung bedeutsam sind: Als einer der ersten Pädagogen wies Johann Amos Comenius (1592–1670) darauf hin, dass Wissen auf Sinneswahrnehmung basiert. Der Philosoph John Locke (1632–1704) verkündete: „Nichts ist im Verstand, was nicht vorher in den Sinnen war“. Er ging jedoch noch von einer Zweiteilung des Menschen in sinnliche und geistige Kräfte aus. In seinem berühmten Erziehungsroman „Emile“ widmete der Philosoph Jean-Jacques Rousseau (1712 – 1778) ein Kapitel der „Übung der Organe und Sinne“. Und den heute viel zitierten Spruch „Lernen mit Kopf, Herz und Hand“ verdanken wir dem Pädagogen Johann Heinrich Pestalozzi (1746 – 1827). Diese frühen Theorieansätze verstanden unter Sinnesschulung ein hartes Training, in dem einzelne Sinnesorgane geschärft werden sollten. Noch fehlte die Erkenntnis, dass der gezielte Einsatz aller Sinne unsere Denk- und Lernleistung zu verbessern vermag. Als erste ging die italienische Ärztin Maria Montessori (1870–1952) davon aus, dass das Kind in seiner Entwicklung einem biologischen Bauplan folgt, den es pädagogisch zu fördern gilt. Nach dem Motto „Hilf mir, es allein zu tun“ entwickelte sie sinnesaktivierende Lernmittel, die heute allen Pädagogen als Montessori-Material bekannt sind. Dieser kleine historische Exkurs soll zeigen, dass ganzheitliches Lernen keine Erfindung der modernen Pädagogik ist. „Lernen mit allen Sinnen“ ist eine wieder entdeckte Forderung. Heute können wir sie allerdings mit Erkenntnissen aus der Hirn-, Intelligenz- und Lernforschung untermauern. Die damalige Vermutung, dass Kopf, Herz und Hand eine Lerneinheit bilden könnten, ist heute eine wissenschaftlich fundierte Gewissheit. Aber nicht nur die neuen Erkenntnisse aus der Hirn- und Lernforschung, sondern auch die zunehmenden Verhaltensauffälligkeiten (Bewegungs-, Wahrnehmungs- und Konzentrationsstörungen) erfordern ein Umdenken beim Lernen. Und zwar ein Umdenken, das das Kind in seiner Ganzheit respektiert. Schließlich kommt es als Kleinkind voller Neugier in den Kindergarten und in die Schule. Es hängt weder seine Gefühle mit dem Anorak an den Garderobehaken, noch wartet es mit leerem Kopf darauf, mit Wissen gefüllt zu werden. Kinder brauchen mehr denn je die Herausforderungen an eigenes Denken, Fühlen, Erleben und Handeln. Denn die künstlichen Bilder aus den Medien verdrängen zunehmend die konkrete, „echte“ Begegnung von Kind und Welt. Kinder brauchen vielfältige, persönliche Erfahrungen, denn das Greifen, das allem Begreifen vorausgeht, kann weder durch die Medien noch durch den Computer ersetzt werden. Kinder brauchen Lernprozesse, bei denen Erfahren, Entdecken und Erforschen am Anfang stehen. Sie brauchen Lernprozesse, die Bewegung, Sinneswahrnehmung und Erkenntnis effektiv verknüpfen. „Das Kind hat 100 Sprachen“, sagt der italienische Philosoph Loris Malaguzzi, „aber wir haben ihm 99 gestohlen“. Theater kann diese – meiner Meinung nach – zurückgeben, durch Hören, Sehen, Singen, Verstehen, Fühlen, Sprechen, Spielen und vieles mehr. Theater für die Allerkleinsten trennt nicht Kopf und Bauch, es kann eine emotionale Erfahrung sein, eine intelligente Imagination, eine kulturelle Investition.

Über den Autor: Prof. Dr. Wolfgang Schneider ist Direktor des Instituts für Kulturpolitikund Dekan des Fachbereichs Kulturwissenschaften und Ästhetische Kommunikation der Universität Hildesheim, Vorsitzender der ASSITEJ Deutschland und Präsident der Internationalen Vereinigung des Theaters für Kinder und Jugendliche.

Der Text ist Bestandteil der Dokumentation zum Symposium „first steps – Theater für die Allerkleinsten“, herausgegeben vom Kinderund Jugendtheaterzentrum in der Bundesrepublik Deutschland und vom HELIOS Theater.

Frosch und Maus

von: Gerhard Schöne, Album: Gerhard Schöne singt Kinderlieder aus aller Welt, 1986

Der Frosch nahm sein Pferd und er schwang sich drauf (hopp, hopp, hopp, hopp).Der Frosch nahm sein Pferd und er schwang sich drauf,seine Reitstiefel reichten zum Hals hinauf (hopp, hopp, hopp, hopp).

Er preschte bis zu Fräulein Mausens Tür (aha, aha).Einen Strauß Petersilie reichte er ihr (aha, aha).Er sprach: 'Wolln wir heiraten, liebste Maus (hmm, hmm, hmm, hmm)?Komm mit mir in den Tümpel, denn da ist mein Haus (hmm, hmm, hmm, hmm).\''Für dich, Frosch, verlasse ich gern mein Loch (aha, aha)!Meine Tante, die Ratte, nur frage ich noch (aha, aha).Erst spät in der Nacht kam die Tante heim (ähä, ähä).Und sie sprach: \'Riecht es hier nicht nach Tümpelschleim (ähä, ähä)?'Ein ganz feiner Gentleman war heut hier (hmm, hmm, hmm, hmm)!Wir wolln heiraten, Tante, erlaube es mir (hmm, hmm, hmm, hmm)!Da lachte die Tante so laut wie nie (ha, ha, ha, ha)!Denn ein Frosch ist für Mäuse `ne gute Partie (ha,ha,ha,ha)!Zur Stadt lief die Tante wie`n Wirbelwind (ffffft, ffffft).Denn ein Schleier muß her für das Mäusekind (ffffft, ffffft).Die Ratte hat sich schon das Maul geleckt (rnnarnnam, rnnamnam).Denn im Froschtümpel wurde der Tisch gedeckt (rnnarnnam, rnnarnnam).Es gab dicke Bohnen auf Kellerdreck (ihii, ihii)!Und schwarzäugige Bienen auf Schneckenspeck (ihii, ihii)!Die Gäste, die loben das Hochzeitsmahl sehr (rnmmm, mmmm)!Die Assel trank sieben Glas Tümpelsaft leer (rnmmm, mrnmm)!Die Hummel hat ihr neues Pelzchen gezeigt (sss, sss),und die Grille hat wieder zum Tanz aufgegeigt (sss, sss).Die Wanze hat gierig geschleckt und geschmatzt (mnamnam, mnamnam).Nach dem dreizehnten Teller, da ist sie zerplatzt (pff, pff, pff, pff).Die Gäste bekamen vom Knall einen Schreck (huhuuu, huhuuu)!Und sie liefen - husch, husch - vom Froschtümpel weg (huhuuu, huhuuu)!Die Ratte sah zu, daß sie sich verkroch (fffft, fffft).Und die Braut fiel kopfüber ins Mauseloch (fffft, fffft).Der Frosch hat betrübt allen nachgeschaut (ohhh, ohhh).Und er dacht`: Jetzt such ich mir wieder `ne Braut (ohhh, ohhh)!

Der Frosch nahm sein Pferd...

Melodie: Trad. England

zusammengestellt von Eva Bormann, Junges Theater Marburg, November 2012