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  • MOLIREDer Geizige

    (mit ergnzenden Szenen ausDer Brger als Edelmann)

    Textfassung der Theatergruppe desDr.-Johanna-Decker-Gymnasiums

    Schuljahr 2003/2004

    Harpagon Marion RoierFrdric Elli EichenseerClante Biggi Bauerlise Franziska SchmidMariane Regina EndresValre Julia FrankFrosine Conny DoblerAnselmo Sandra IrmerJacques Cornelia Fehlner

    La Flche Julia HeubergerKommissar Uli GehringSimon Anja SommerClaude Ellen HeubergerLa Merluche Susanne HerdegenFechtlehrer Franziska v. SchielPhilosoph Steffi KirnerMusiklehrer Ellen HeubergerTanzlehrer Susanne Herdegen

    I. Akt, 1. Szenelise, Valre

    LISE Ja, Valre, was wir uns versprochen haben, will ich halten, aber ich habe Angst, dass ich Sie mehrliebe, als mir erlaubt ist.

    VALRE Erlaubt von wem, lise, und Angst vor was?

    LISE Ach, vor dem Zorn des Vaters, vor dem Gerede der Leute, vor dem Urteil der Welt, am meisten aber,Valre, frchte ich ihr unbestndiges Herz. Ich frchte mich vor der eisigen Klte, mit der Ihr Mnner immerwieder die heie Liebe von uns Frauen bestraft.

    VALRE lise! Wie knnte ich vergessen, was ich Ihrer Liebe schuldig bin.

    LISE Ach, wie gern glaubt eine Frau dem Mann, den sie liebt, und ich hre nicht auf, Ihnen zu glauben,Valre, denn ich sehe uns immer wieder, wie wir uns das erste Mal sahen. Ich sehe mich in der Gefahr, in derich war, und sehe Sie, wie Sie das Leben wagten, um mich zu retten. Das werde ich Ihnen niemals vergessen,und dafr schulde ich Ihnen lebenslangen Dank, denn das alles rechtfertigt mir selbst gegenber alles, womitich einverstanden war. Aber rechtfertigt das alles all das in den Augen der anderen?

    VALRE Alles, lise! Alles was wir getan haben, braucht keine Rechtfertigung, verglichen mit dem, wofrIhr Vater sich nie rechtfertigt; denn seine grenzenlose Habgier und sein sagenhafter Geiz, lise, spotten jederBeschreibung ganz zu schweigen von der fast ebenso grenzenlosen Verschwendungssucht Ihres lterenBruders Frdric. Aber wenn ich am Ende meine Eltern wieder finde, wird sich alles zum Guten wenden.

    LISE Aber bis dahin, Valre, mssen Sie alles tun, damit mein Herr Vater nichts von allem erfhrt.

    VALRE Aber lise, sehen Sie denn nicht, wie viel Mhe ich mir geben und wie viel Geschick und Geduldich aufbringen musste, um diese Anstellung zu bekommen, und hinter welcher Maske ich mich seitherverstecken und wie viel Rollen ich seither spielen muss, um ihn bei Laune zu halten! Aber das Verrcktedabei ist, dass ich dabei die komischsten Entdeckungen ber die Leute mache: Willst du sie um den Fingerwickeln, brauchst du nur zu allem ja zu sagen, was sie so an Weisheiten und Dummheiten von sich geben,

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    dann kannst du ihnen die grten Bren aufbinden und ihnen das Blaue vom Himmel herunterspinnen, sieglauben dir jedes Wort, solange du alles bewunderst, was sie sagen und tun. Die Moral kommt dabei etwas zukurz, aber schlielich wei heute jeder, dass ein Mann Haare lassen muss, wenn er es zu was bringen will.

    LISE In diesem Sinne, Valre, mssen Sie dringend mit meinem jngeren Bruder Clante reden, denn ichhabe Angst, die Magd knnte uns verraten.

    VALRE Ausgeschlossen, lise, dazu haben Vater und Sohn zu verschiedene Interessen, als dass man indiesem Sinne mit ihm sprechen knnte. Reden Sie lieber mit ihm. Da kommt er, ich gehe.

    LISE Ach, ich wei nicht, ob das richtig ist, wenn ich ihm verrate, dass ich liebe.

    1. AKT - 2. SZENEClante, lise

    CLANTE lise! Gut, dass du da bist. Ich muss dich sprechen. Ich muss dir was sagen.

    LISE Was ist, Clante, bist du krank?

    CLANTE Nein! ICH LIEBE!LISE Du liebst?

    CLANTE Ja! Ich liebe! Und deshalb verschone mich mit deiner Predigt: ich wei, dass ich meinem VaterGehorsam schulde, ich wei, dass ich ohne seine Genehmigung nicht heiraten darf, ich wei, beim Himmel,dass er Herr ber Leben und Liebe fr mich ist, ich wei auch, dass seine Altersweisheit leuchtet, whrendmeine Jugenddummheit blinde Leidenschaft entfacht, und ich wei, dass er deshalb viel wenigerTuschungen ausgesetzt ist als ich und dass er deshalb viel besser wei als ich, was gut und richtig fr michist, so dass durch den Schutz seiner Vollkommenheit meine Unvollkommenheit sich nicht in abgrndigeTiefen zu strzen vermag. Ich habe dir das eben alles nur gesagt, damit dir klar ist, dass mir klar ist, dass dumir alles eben sagen wolltest und ich diese ewig gleiche Predigt nicht mehr ertragen kann. Also lass mich inRuhe damit, denn meine Liebe hrt auf nichts.

    LISE Was hast du dich, Clante, du hast dich verlobt?

    CLANTE Nein! Aber ich bin dazu fest entschlossen, und ich sage dir klipp und klar: versuche nicht, michmit deiner Moral und deiner Sittsamkeit davon abzuhalten.

    LISE Gut, Bruderherz, dann komm du mir aber auch nicht mehr mit Keuschheit und Anstand. Doch eh wirvon mir reden, sag du zuerst, wen du liebst.

    CLANTE Ein Mdchen. Es wohnt um die Ecke. Es heit Mariane und pflegt seine kranke Mutter mittausendfacher Anmut, nie versagender Gte und anbetungswrdiger Aufopferung.

    LISE Wie schn, ich sehe sie vor mir.

    CLANTE Ja! Sie leben in echter Armut. Ach, Schwester, wie herrlich knnte es sein, einem so armen undschnen Mdchen ganz unauffllig zu helfen. Kannst du dir vorstellen, wie sehr ich darunter leide, dass derGeiz unseres Vaters mich daran hindert, die Lust an solchen Freuden auszukosten?

    ELISE Ja, Bruder, ich verstehe sehr gut, wie gro dein Kummer ist; denn armen Menschen zu helfen, istsicher etwas sehr Schnes.

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    CLANTE Ja, und stattdessen muss ich berall Schulden machen, um nach meinem Geschmack leben zuknnen whrend unser Bruder Frdric sein Erbteil von unserer seligen Mutter in Saus und Braus verprasst!- lise, du musst herausbekommen, wie unser Vater ber meine Liebe denkt. Ist er dagegen, dann nehme ichMariane, verschwinde und versuche irgendwo in der Welt mein Glck. Du kannst mitkommen, wenn duwillst. Das Geld dafr treibe ich auf. Ich hre die Stimme unseres Vaters. Lass uns gehen.

    1. AKT - 3. SZENEHarpagon, La Flche

    HARPAGON Raus mit dir! Keine Widerrede! Raus aus meinem Haus! Raus, auf der Stelle! Du Schnffler!Du Spitzel! Du Dieb!

    LA FLCHE Etwas Knausrigeres als diesen knickrigen Alten hat es noch nicht gegeben.

    HARPAGON Was knurrst du da?

    LA FLCHE Warum schmeit ihr mich raus?HARPAGON Raus! Sonst schlag ich dich tot!

    LA FLCHE Was habe ich denn getan?

    HARPAGON Raus! - Das hast du getan.

    LA FLCHE Ihr Sohn Clente, mein Herr, hat mir befohlen, hier auf ihn zu warten.

    HARPAGON So? Mein Sohn Clante, dein Herr? - Dann warte drauen, du Lump, du der du meineGeschfte bespitzelst, der du mit deinen gierigen Blikken alles verschlingst, mit deinen groen Ohren allesbelauschst, der du mit deiner spitzen Nase berall herumschnffelst, ob es fr deine langen Finger nichts zustehlen gibt.

    LA FLCHE euch? Bestehlen? Der alles einschliet und Tag und Nacht davor Wache steht?

    HARPAGON Ich kann davorstehen, so oft ich will, und alles einschlielich Tag und Nacht. Ich bin vonDieben umgeben, die mich belauern auf Schritt und Tritt. (beiseite) Wei er was von meinem Geld? Kennt erdas Versteck? (laut) du bist auch so einer von denen, die hier drin herumlungern und drauen berallherumlgen, ich htte mein Geld vergraben.

    LA FLCHE Sie haben Ihr Geld vergraben?

    HARPAGON Nein! Aber verbreitest du nicht das Gercht, ich htte es vergraben?

    LA FLCHE Vergraben oder nicht vergraben - das ist hier nicht die Frage. Die Antwort ist, wir haben jasowieso nichts davon.

    HARPAGON Jetzt aber raus hier!

    LA FLCHE Ich geh ja schon raus hier.

    HARPAGON Halt! Was hast du gestohlen? Zeig mir deine Hnde!

    LA FLCHE Hier.

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    HARPAGON Die anderen.

    LA FLCHE Die anderen?

    HARPAGON Ja.

    LA FLCHE Hier.

    HARPAGON Was hast du da drin? (zeigt auf La Flches Hose)

    LA FLCHE Sehen Sie doch nach. (beiseite) Die Pest auf den Geiz und die Geizigen.

    HARPAGON Den Geizigen? Wen meinst du damit?

    LA FLCHE Den Blutsauger und den Halsabschneider.

    HARPAGON Noch ein Wort und ich schneide dir den Hals ab.

    LA FLCHE Dieser Schuh ist noch nicht durchsucht.

    HARPAGON Scher dich zum Teufel.

    LA FLCHE Gott befohlen.

    I. Akt, 4. SzeneHarpagon, Clante, lise

    HARPAGON Dieser lahme Hund, dieser hinkende Diener, dieser verkommene Krppel macht mich krank.Es ist, wei Gott, keine kleine Strafe, so groe Summen Geld im Haus zu haben, und ich werde froh sein,wenn erst alles wieder sicher angelegt ist. Man darf keinen Pfennig mehr im Haus behalten, sag ich immer,als man unbedingt zum Leben braucht. Allein schon ein sicheres Versteck zu suchen bringt einen nchtelangum den Schlaf. Zum Teufel mit allen Tresoren, Schliefchern und Geldschrnken, an die sich die Diebezuerst ranmachen. Aber vielleicht war es doch falsch, die Hunderttausend, die ich gestern zurckbekam, imGarten zu vergraben. Einhunderttausend - verflucht noch eins - hab ich mich verraten, hab ich zu lautgesprochen, haben die was gehrt? Was ist?

    CLANTE Nichts, mein Vater.

    HARPAGON Seid ihr schon lnger hier?

    LISE Seit eben.

    HARPAGON Habt ihr was gehrt?

    LISE Was?

    HARPAGON Was, was ich soeben gesagt habe.

    CLANTE Nein.

    HARPAGON Doch.

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    LISE Nein.

    HARPAGON Ich sehe es euch an, dass ihr was gehrt habt. Gerade dachte ich laut darber nach, wie schweres heute ist, Geld aufzutreiben, und welches Glck es wre, Hunderttausend in bar zu haben, aber bildet euchnur nicht ein, ich htte Hunderttausend im Garten vergraben. Gb Gott, ich htte Hunderttausend.

    CLANTE Ja, gb's Gott.

    HARPAGON Das wre ein Geschenk des Himmels.

    LISE Wei Gott, das wr's.

    HARPAGON Dann wr's egal, wie schlecht die Zeiten sind.

    CLANTE Mein Gott, zum Teufel, Herr Vater, jeder wei doch, dass Ihr, wei Gott, genug Geld habt.

    HARPAGON Wer das wei, der lgt, wei Gott.

    LISE O Gott, regen Sie sich nicht so auf, Herr Vater.

    HARPAGON Meine eigenen Kinder verraten mich, mein Gott, und werden zu meinen Feinden.

    CLANTE Werden wir zu Ihren Feinden, weil wir sagen, Sie htten Geld?

    HARPAGON Ja, das werdet ihr dadurch, denn durch solches Geschwtz und eure Ausgaben glaubt jeder, ichschwimm im Geld, und eines Tages schneidet man mir deshalb die Kehle durch.

    CLANTE Was gebe ich denn schon aus?

    HARPAGON Was du ausgibst? Es gibt nichts, wofr du nichts ausgibst, du Nichtsnutz, du gibst noch mehraus als deine Schwester, wenn sie viel ausgibt, denn du gibst viel zu viel aus, und dieses viel zu viel stiehlstdu mir viel zu oft, oder woher sonst hast du das viele Geld?

    CLANTE Ich spiele.

    HARPAGON Und was machst du mit dem Gewinn? Du legst ihn hoffentlich an, zu einem guten Zins, damitwas draus wird. Stell dir mal vor, du gewinnst Hunderttausend, gehen ab dreieinhalb Prozent fr denCroupier, macht dreitausendfnfhundert Mark, abzglich Spielsteuer, dazu der Rabatt mit achteinhalb, machtSechstausenddreihundertfnfzig, das Ganze mal elfeinhalb, weil die Feiertage wegfallen, dann bleiben diralles in allem - na - Achtundsechzigtausenddreihundertundneunzig Komma vier, vier, vier.

    CLANTE Ja, Einunddreiigtausendsechshundert Komma sechsundfnfzig weniger als vorher.

    HARPAGON Na, rechnen kannst du ja wenigstens. Was macht ihr fr Faxen?

    LISE Wir mssen mit Ihnen reden, Herr Vater.

    HARPAGON Und ich muss mit euch reden, Frulein Tochter.

    CLANTE Wir mchten mit Ihnen ber das Heiraten reden, Herr Vater.

    HARPAGON Ich mchte auch ber das Heiraten reden, Herr Sohn.

    LISE Ach, Vater.

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    HARPAGON Warum der Schrei? Macht dir das Wort Angst, Tochter, oder die Sache selbst?

    CLANTE Weder noch. Herr Vater, Angst macht uns, was Sie darunter verstehen. Angst macht uns, dassunsere ehrlichen Gefhle und Ihre geschftlichen Interessen nicht bereinstimmen.

    HARPAGON Aber meine Kinder, euer Vater kennt euch doch und wei sehr gut, was richtig fr euch ist,und ihr werdet bestimmt keinen Grund zum Klagen haben, wenn ihr hrt, was ich insgeheim, ohne euch zufragen, beschlossen habe. Mein Sohn, kennst du ein Mdchen, das jung ist, hier um die Ecke wohnt undMariane heit?

    CLANTE Ich kenne es, Herr Vater.

    HARPAGON Und wie, mein Sohn, gefllt dir es?

    CLANTE Es gefllt mir sehr!

    HARPAGON Und wie sieht es aus, mein Sohn?

    CLANTE Es ist sehr schn, Herr Vater.

    HARPAGON Und ist es sittsam, ehrlich und tugendhaft und eine gute Hausfrau und sauber und fleiig?

    CLANTE Ja, ganz bestimmt, Herr Vater, ja, das ist es.

    HARPAGON Ja, mein Sohn, es hat nur einen kleinen Haken, es hat ganz und gar kein Geld.

    CLANTE Aber Geld, Herr Vater, spielt hier ganz und gar keine Rolle, denn es, das Mdchen, istunbezahlbar.

    HARPAGON Nur immer langsam, Herr Sohn, nur kein Leichtsinn.

    CLANTE Ja, natrlich, Herr Vater, dieser Makel lsst sich leicht beheben.

    HARPAGON Sehr schn, mein Sohn, wenn du meiner Meinung bist, denn ich werde es, dieses Mdchen,das mein Herz gewonnen hat mit ihrem seinem Liebreiz, sobald sie es nur zu etwas Vermgen gebracht hat,heiraten.

    CLANTE Was?

    HARPAGON Wieso was?

    CLANTE du? Es?

    HARPAGON Ich! Sie!

    CLANTE Sie? Dich?

    HARPAGON Ja! Es! Mich!

    CLANTE Ich muss raus. Es wird mir schlecht.

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    HARPAGON Was ist dir, mein Sohn, geh in die Kche und trink ein Glas Wasser. Fr diesen Zgling,diesen verzogenen, fr den hab ich eine erfahrene Witwe bestimmt, und dich, meine Tochter, habe ich demHerrn Anselmo, einem reichen Auslnder aus Neapel versprochen.

    LISE Mich, einem Fremden aus Neapel?

    HARPAGON Ja, dem Herrn Anselmo, einem reichen und reifen Auslnder, so um die Fnfzig.

    LISE Mit Verlaub, lieber Herr Vater, ich will keinen Auslnder, auch keinen reichen um die Fnfzig.

    HARPAGON Mit Verlaub, meine liebe Tochter, und ich will, dass du ihn willst.

    LISE Nichts gegen Ihren Willen, Herr Vater, aber ich will ihn nicht gegen meinen Willen.

    HARPAGON Mit deinem Willen oder gegen deinen Willen, du willst, was ich will, und ich will, dass du ihnnoch heute Abend heiratest.

    LISE Nein.

    HARPAGON Doch.

    LISE Nein.

    HARPAGON Doch, sag ich.

    LISE Dazu lasse ich mich nicht zwingen.

    HARPAGON Dazu werde ich dich zwingen.

    LISE Bevor ich ihn heirate, bringe ich mich um.

    HARPAGON Bevor du dich umbringst, heiratest du ihn.

    LISE Nein.

    HARPAGON Da kommt Valre: Soll er entscheiden, ob du ihn heiratest oder nicht!

    LISE Einverstanden!

    HARPAGON Abgemacht!

    1. AKT, 5. SZENEValre, Harpagon,.lise

    HARPAGON Komm mal her, Valre, und entscheide, wer recht hat. Ich oder meine Tochter.

    VALRE Sie.

    HARPAGON Woher weit du, worum es geht?

    VALRE Wozu? Sie haben immer Recht. Sie sind die Gerechtigkeit selber.

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    HARPAGON Ja. Ich will ihr einen reichen und reifen Mann geben, und sie will ihn nicht haben. HerrAnselmo ist ein Edelmann, ledig, ohne Kinder und hat sich verpflichtet, sie ganz und gar ohne Mitgift zunehmen. Entscheide!

    VALRE Sie ganz und gar ohne Mitgift zu nehmen, dagegen lsst sich nichts sagen. Sagen lsst sich aberetwas dagegen, sie ganz und gar ohne Mitgift zu geben, weil dadurch der Eindruck entstehen knnte, sie seiganz und gar nicht der Mitgift wert und deshalb selber ganz und gar wertlos.

    HARPAGON Ohne Mitgift.

    VALRE Ja, wie eben gesagt, lsst sich gegen "ohne Mitgift" nichts sagen, sagen lsst sich gegen "ohneMitgift" eben nur, dass die "Ohne-Mitgift-Vter" mglicherweise das mgliche Glck ihrer Tchter vergiftenund somit das "ohne Mitgift" zum mglichen Gift fr die ganze Ehe werden kann. Das Ausschlaggebende ansich ist, ob Mitgift Gift oder nicht Gift ist.

    HARPAGON Ohne Mitgift. Das sind ganz und gar keine Ausgaben fr mich.

    VALRE Ganz und gar keine Ausgaben fr Sie, das allein ist natrlich ganz und gar ausschlaggebend, aberdies ist auch nicht allein ausschlaggebend, weil die ausschlaggebenden Gefhle einer Tochter nichtunausschlaggebend sind, wenn sie nicht auch bercksichtigt werden, da sie sonst in der Ehe zuausschlaggebenden Zwischenfllen fhren knnten, die das Ganze auf einen Schlag zerschlagen, so dass vonder Ehe ganz und gar nichts brig bleibt.

    HARPAGON Horch, drauen bellt mein Hund. Stiehlt dort etwa einer mein ganzes Geld? Ihr bleibt hier, ichbin gleich wieder da. (ab)

    LISE Was soll denn das, Valre, sind Sie verrckt geworden? Das ganze Reden ist doch fr die Katz beimeinem Herrn Vater.

    VALRE Zum Kuckuck, Elise, das ist ja mein Trick, damit wir Zeit gewinnen.

    LISE Aber ich werde heute Abend verkauft, Sie Unschuldslamm.

    VALRE Das werde ich zu verhindern wissen. (Harpagon kommt zurck)

    HARPAGON Blinder Alarm. Es war nur ein Maulwurf.

    VALRE (leise) Als Letztes bleibt uns immer noch die Flucht ... (laut) Ja, eine Tochter muss ihrem Vateraufs Wort gehorchen und zu allem Ja und Amen sagen, wie sich das fr eine Jungfrau gehrt.

    HARPAGON Das sind goldene Worte.

    VALRE Verzeihen Sie, Herr Chef, wenn ich mit Ihrer Tochter Tacheles rede.

    HARPAGON Tu dir keinen Zwang an, lieber Freund, ich gebe dir unumschrnkt Gewalt ber sie, und du, dumachst, was er sagt.

    VALRE Haben Sie gehrt, lise, Sie sollen alles machen, was ich sage. Ich gehe jetzt zu ihr, Herr Chef,und sage ihr, was sie zu machen hat.

    HARPAGON Geh nur, geh, und mach, was du denkst, ich vertraue dir ganz und gar.

    VALRE Man darf die Zgel nicht zu locker lassen.

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    HARPAGON Ja, sie soll lernen zu parieren.

    VALRE Wer sein Kind liebt, der zchtigt es.

    HARPAGON Ja, sie soll die Rute spren.

    VALRE Was Lieschen nicht lernt, lernt lise nimmermehr.

    HARPAGON Ja, nichts auf der Welt ist so wertvoll wie Geld. Wenn ihr mich braucht, ich bin im Garten.

    VALRE Ja, nichts auf der Welt ist so wertvoll wie Geld, lise, Ihr Vater kennt das Leben. "Ohne Mitgift" -das ist besser als alle Schnheit, Ehre, Jugend, Glck, Verstand und Tugend.

    HARPAGON Braver Bursche! Sagt, was ich denke, es ist unbezahlbar, einen solchen verdienstvollen Dienerim Dienst zu haben.

    II. AKT - 1. SZENEClante, La Flche

    CLANTE Na, du Gauner, du wolltest doch hier auf mich warten ...

    LA FLCHE Hab ich auch, Junior, aber der Chef, dieser knausrigre Knicker, hat mich rausgeschmissen.

    CLANTE In Ordnung, und was ist mit den Hunderttausend? Mein Herr Vater ist mein Nebenbuhler, ichbrauche das Geld sofort.

    LA FLCHE Der Chef buhlt?

    CLANTE Ja, um mein Mdchen, und er will es heiraten.

    LA FLCHE Was, der Alte buhlt um euer Mdchen und will es heiraten? Pfui Teufel!

    CLANTE Ja, pfui Teufel, ich muss die Heirat unbedingt verhindern, und wenn ich das nicht schaffe,brauche ich das Geld, um zu fliehen. Also, wie steht's mit den Hunderttausend?

    LA FLCHE Eins zu hunderttausend.

    CLANTE Ja, und was heit das?

    LA FLCHE Das heit, dass es dabei einhunderttausend Schwierigkeiten gibt, bis man einmal zu Geldkommt.

    CLANTE Diese Schwierigkeiten interessieren mich nicht. Wozu bezahle ich einen Makler?

    LA FLCHE Der Makler Simon hat sich fr Sie, Junior, die Hacken abgelaufen, blo um einen Glubiger anLand zu ziehen.

    CLANTE Sehr gut, her mit dem Scheck.

    LA FLCHE Moment, selbiger Herr Makler Simon hat nach Diktat jenes soeben erwhnten Glubigers denim weiteren Wortlaut zu verlesenden Vertragstext folgenden Inhalts aufgesetzt: Erstens, der Geldgebermchte vorerst ungenannt bleiben. Zweitens, der Geldgeber verlangt zuverlssige Auskunft ber des

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    Schuldners Vermgen - und detaillierten Einblick in des Schuldners Familienverhltnisse, um - drittens - desSchuldners Kreditwrdigkeit peinlichst zu prfen und des Schuldners Kreditrahmen umfnglich abstecken zuknnen. Viertens, sofern der Schuldner ber geeignete Sicherheiten verfgt, wie liegende und stehende Werte,also Liegenschaften, wie z.B. Vorwerke, Ausgedinge, Baumschulen, Kaffeeplantagen, und also Anlagen, wiez.B. Lebensversicherungen, Kriegsanleihen, Erbvertrge, Leibrenten, Schuldverschreibungen und Wechselaller Art, so hat er diese dem ungenannten Glubiger gegenber uneingeschrnkt offen darlegen zu lassen.

    CLANTE Sehr gut, kein Problem, die Hinterlassenschaften meiner frh verstorbenen Mutter sollten wohlausreichen.

    LA FLCHE Das werden sie, Junior. Also weiter im Text: Vorausgesetzt, der ungenannte Glubiger findetdie genannten Sicherheiten des genannten Schuldners hinreichend belegt, erklrt er sich bereit, die Summevon Hunderttausend zum nchsten Ersten zu veranlassen.

    CLANTE Donnerwetter, das ist noch ganz die alte Schule.

    LA FLCHE Ganz die alte, Junior, verzinst mit fnf Prozent ab Flligkeit per anno.

    CLANTE Das nennt man einen serisen Geschftsmann.

    LA FLCHE Bis ins Mark, Junior. Da aber sechstens der ungenannte Glubiger die in Rede stehendeSumme gar nicht besitzt, sondern sich selbst alleinschuldnerisch ber Risiko belastet gegenber einem nie miteigenem Namen zeichnenden oder gar unter diesem Namen in Erscheinung treten wollende Gesamtglubiger,erwchst ihm selbst eine zinsliche Belastung in Hhe von zwanzig Prozent, die er, um genanntem Schuldnerber Gebhr gefllig zu sein, aus eigener Tasche vorschiet, um sie anschlieend dem genannten Schuldnergebhrend in Rechnung zu stellen.

    CLANTE Heiliger Judas, das sind ja fnfundzwanzig Prozent!

    LA FLCHE Stimmt, Junior, hier steht's!

    CLANTE Der zieht einem das Fell ber die Ohren, aber was soll ich machen?

    LA FLCHE Genau, Junior, so ist es. Siebtens: Von den Einhunderttausend zahlt der unter fnf genannteGlubiger drei Viertel, also fnfundsiebzigtausend, in bar und ein Viertel, also fnfundzwanzigtausend, inSachwerten gem nachfolgend im Einzelnen aufgelisteter Liste, deren Stckpreise vom ungenanntenGlubiger kulant festgesetzt wurden und die durch den unter zweitens genannten Schuldner zu bernehmensind.CLANTE Das ist der Gipfel, aber lies vor.

    LA FLCHE Ja, der Gipfel, Junior. Ich lese: Ein Bett mit vier Fen, Eiche, geflammt und gedrechselt, dazusechs Sthle aus dem gleichen Holz, genauso gedrechselt, ferner eine Steppdecke, sehr gut erhalten, wattiert,auf hellblauen Taft gesteppt, ferner ein Betthimmel aus rosa Tll, gefltelt, und die dazu passendeBettumrandung in der gleichen Art ...

    CLANTE Was soll denn das heien?

    LA FLCHE Warten Sie ab, Junior. Ferner einen Ausziehtisch fr zwlf bis vierzehn Personen ausNussbaum, poliert, nebst den dazugehrigen Sthlen und Fubnkehen, ferner ein ausgehhlter Elefantenfu,zum Eintopfen fr Gummibume oder Zimmerlinden geeignet, ferner drei groe, ganz mit Silberngelnbeschlagene Vorderlader nebst den dazugehrigen eisernen Sttzgabeln ...

    CLANTE Was soll ich denn mit dem Zeug?

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    LA FLCHE Nur Geduld, Junior. Ferner ein transportabler Ofen aus roten gebrannten Ziegelsteinen, mitzwei Retorten und drei Rcklaufgerten zum Schnapsbrennen, ferner eine Stehlampe, vierarmig, mitgusseisernem Stnder ...

    CLANTE Was zum Teufel soll das Ganze?

    LA FLCHE Nicht aufregen, Junior. Ferner ein kombiniertes Dame- und Mhlespiel mit vielen schwarzenund weien Steinen, ferner ein dreieinhalb Meter langer Alligator, mit Holzwolle ausgestopft, eine Seltenheit,die man gut als Schmuck an die Decke hngen kann. Alle vorgenannten Gegenstnde haben gut und gerneeinen Wert von ber Dreiigtausend, werden aber von dem ungenannten Glubigerentgegenkommenderweise fr Fnfundzwanzigtausend in Rechnung gestellt.

    CLANTE Kann dieser habgierige Mensch nicht zufrieden sein mit den Fnfundzwanzig. Muss er mir nochden alten Ramsch andrehen, den er, wer wei wo, zusammengeschachert hat und den ich nicht mal fr Fnfloskriege. Aber der unsgliche Geiz meines Herrn Vater lsst mir keine andere Wahl. Es ist kein Wunder,wenn es Shne gibt, die auf den Knien den Tod solcher Vter herbeibeten.

    LA FLCHE Tod den Vtern, Junior. Auch ich habe meinen umgebracht, zwar auch nur durch Gebete, undwie Sie sehen, seither geht's mir viel besser, aber zugegeben, der hemmungslose Geiz Ihres Herrn Vater treibtmich sogar kopfber in die Kleptomanie, denn so einem den Beutel zu schneiden, das ist, zum Teufel,gottgefllig.

    CLANTE Na dann her mit dem Vertrag, Beutelschneider, ich will ihn noch mal durchsehen.

    II. AKT -2. SZENEMakler Simon, Harpagon, Clante, La Flche

    SIMON Ja, mein Herr, es handelt sich in der Tat um einen jungen Mann, der einer Affaire wegen gezwungenist, umgehend Geld aufzunehmen. Das Prekre seiner Lage wird ihm keinen anderen Ausweg lassen, als sichden von uns erhobenen und vertraglich festgesetzten Forderungen zu beugen.

    HARPAGON Und sie garantieren mir, Herr Makler Simon, dass ich ganz und gar kein Risiko eingehe.

    SIMON Zu meiner groen Freude, mein Herr, lsst sich das durchaus garantieren. Mir sind zwar wederName noch Familie des jungen Mannes nher bekannt - der pure Zufall lie seinen Diener an meine Adressegeraten - dieser jedoch hat mir zweifelsohne versichert, dass es sich um einen Spross aus reichem Hausehandelt, dessen Mutter verstorben ist und dessen Vaters Tod er nach Ablauf von neun Monaten garantiert,falls er mit der Tilgung seiner Schulden in Verzug gert.

    HARPAGON Korrekt. Vertrge mssen erfllt werden.

    LA FLCHE Junior, da kommt unser Herr Makler mit Ihrem Herrn Vater.

    CLANTE Mit meinem Herrn Vater, du hast mich verraten.

    SIMON (zu La Flche) Was willst du denn hier? Wer hat dir denn die Adresse dieses Herrn hier gegeben. (zuHarpagon) Ich, mein Herr, habe sie ihm nicht gegeben, weder Ihren Namen noch Ihre Wohnung. Aber da dieHerrschaften einen absolut soliden und verschwiegenen Eindruck machen, wrde ich anheim stellen, sichber die betreffende Angelegenheit gleich hier an Ort und Stelle zu verstndigen.

    HARPAGON Wie.

    SIMON Ja, mein Herr, dieser Herr ist der Herr wegen der Hunderttausend.

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    HARPAGON Was, du Spatzenhirn, auf einen so faulen Handel gehst du ein?

    CLANTE Wie, lieber Herr Vater, dieses saubere Geschft stammt von Ihnen?

    HARPAGON du willst dich durch einen so unverschmten Kredit ruinieren?

    CLANTE Sie wollen sich durch einen so verdammenswerten Wucher bereichern?

    HARPAGON du wagst es noch, mir unter die Augen zu treten?

    CLANTE Sie wagen es noch, sich ffentlich zu zeigen?

    HARPAGON Schmst du dich nicht, sag mal, dich in so schamlose Ausgaben zu strzen, dich zu einersolchen Verschwendung hinreien zu lassen und in derart unverantwortlicher Weise das Vermgen zuverschleudern, das dir deine krzlich verstorbene Mutter hinterlassen hat.

    CLANTE Werden Sie nicht schamrot, Ihre Ehre als Geschftsmann durch derlei Praktiken zu beflecken,Ihren Ruf und Ihr Ansehen Ihrer unersttlichen Geldgier zu opfern, und was die Zinsen angeht, bersteigt dasdie Verruchtheit noch der infamsten Wucherer.

    HARPAGON Aus den Augen, du Versager, geh mir aus den Augen!

    CLANTE Wer muss hier wem aus den Augen gehen? Der, der sich das Geld beschafft, das er bentigt, oderder, der das Geld zusammenrafft, das er nicht bentigt?

    HARPAGON Geh! Eh ich mich vergesse! (beiseite) Aus solchen Zwischenfllen wie diesem kann man nurlernen, das heit, ich muss immer ein Auge auf meinen Herrn Sohn werfen.

    II. AKT - 3. SZENEFrosine, Harpagon, La Flche

    FROSINE Hallo, Herr Harpagon!

    HARPAGON Guten Tag, Jungfer Frosine. (beiseite) Mein Hund bellt, ich muss sofort nach meinem Geldsehen. (laut) Ich gehe und komme gleich wieder.

    LA FLCHE Dieser alte Knicker muss irgendwo ein Lager fr den Krempel haben, denn alles, was auf derListe steht, ist nicht im Haus.

    FROSINE Na, mein steiler Elch, sieht man dich auch mal wieder?

    LA FLCHE Na, fette Maus, was treibst du denn hier?

    FROSINE Na kuppeln, was denn sonst, du msstest doch am besten wissen, dass man heutzutage am bestenvon dem lebt, was man am besten kann.

    LA FLCHE Was? Willst du etwa diesen grausigen alten Knauser verkuppeln?

    FROSINE Ja, ich brauche dringend Geld. Ich habe da so ein zartes Reh, das will ich hier unterbringen.

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    LA FLCHE Geld von dem, diesem verfluchten alten Geldsack? Da kannst du vor Hunger in der Eckeverrecken, der rckt keinen Pfennig raus. Wer von dem was haben will, muss ihm einen Dolch in den Bauchstoen, muss ihm die Eingeweide aus dem Leib reien und muss ihm das Gehirn aus dem Kopf drcken. Aberda kommt er, und ich gehe.

    FROSINE (beiseite) Keine Angst, ich wei schon, wie man so einen alten Affen laust.

    II. AKT - 4. SZENEHarpagon, Frosine

    HARPAGON Es ist alles, wie es sein soll. (laut) Nun, Jungfer, was gibt's?

    FROSINE Olala, sie strotzen ja vor Gesundheit.

    HARPAGON Ich?

    FROSINE Ich habe Sie noch nie so frisch und munter gesehen.

    HARPAGON Im Ernst?

    FROSINE Die jungen Dachse von heute sehen mit Fnfundzwanzig lter aus als Sie.

    HARPAGON Ich bin volle Fnfzig.

    FROSINE Na und, was ist das schon, fnfzig Lenze, das beste Alter, die Blte des Lebens.

    HARPAGON Das ist wahr, aber zehn Jahre weniger wrden auch nicht schaden.

    FROSINE Ach was, wie Sie gebaut sind, machen Sie es glatt bis Hundert.

    HARPAGON Glaubst du wirklich?

    FROSINE Ja doch, alles deutet darauf hin. Sehen Sie mal das Zeichen da zwischen Ihren Augen da, dasbedeutet langes Leben.

    HARPAGON Hast du Ahnung von so was?

    FROSINE Ja doch, aber natrlich, sicher, zeigen Sie mir mal ihre Hand. Um Gottes willen, dieseLebenslinie!

    HARPAGON Um Himmels willen, was ist damit?

    FROSINE Sehen Sie denn nicht, die hrt ja gar nicht mehr auf, die ist ja hundert, nein hundertzwanzig Jahrelang. Und auch dann wird man Sie noch totschlagen mssen. Ja, ist das denn die Mglichkeit, Sie werden IhreKinder, Enkel und Urenkel begraben.

    HARPAGON Sehr schn, aber so alt will ich gar nicht werden. Wie geht es unserem Geschft?

    FROSINE Was ich anfasse, das wird was. Wenn Sie wollen, verheirate ich selbst den Papst mit einer Trkin,doch in Ihrem Fall lag der Fall nicht ganz so einfach. Aber bei meinem Talent, und da ich die Leutchen gutkenne, hat Marianes Mutter gleich mit Freuden zugestimmt, und als ich ihr sagte, wie sehr Sie sich freuenwrden, wenn heute Abend beim Abschluss des Ehevertrages zwischen Ihrem Frulein Tochter lise und

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    dem Herrn Anselmo das Frulein Mariane dabei sein knnte, hat die Mutter sie mir fr diese Gelegenheitsofort anvertraut.

    HARPAGON Moment mal, Jungfer, bevor wir das Mdchen zum Essen einladen - hast du seine Muttergefragt, was es als Mitgift einbringt? Schlielich verheirate ich mich nicht, wenn es nichts bringt.

    FROSINE Es bringt Hunderttausend.

    HARPAGON Ganz und gar Hunderttausend?

    FROSINE Einhunderttausend. Wenn Sie wollen, stelle ich Ihnen das mal zusammen. Ich fange an: erstens istes in Bezug auf Essen vollkommen anspruchslos, da es Graupen und Salat bekommt und keine Delikatessenwie die anderen Weiber, was schon eine ganze Menge ausmacht, mindestens Vierzehntausend im Jahr.Zweitens braucht es fast nichts zum Anziehen, denn teure Kleider, wertvollen Schmuck und echte Mbel, dieden anderen Weibern ber alles gehen, mag es nicht, was im Jahr fast Zweiunddreiigtausend ausmacht.Drittens hat es keinerlei Hobbys, da es nicht raucht und nicht trinkt und nicht spielt wie die anderen Weiber,die in meinem Viertel wohnen und die allein im letzten Jahr Zweitausend in die Luft gepafft und sichViertausend durch die Gurgel gejagt und das Neunfache von beidem, also Vierundfnfzigtausend, beim Skatin den Sand gesetzt haben. Nehmen wir nun Punkt eins mit Vierzehntausend, Punkt zwei mitZweiunddreiigtausend und Punkt drei, wie eben gesagt, mit Vierundfnfzigtausend, dann sind das sage undschreibe genau Ihre Einhunderttausend Mark im Jahr.

    HARPAGON Aber diese Art zu rechnen ist doch ganz und gar nur Theorie.

    FROSINE Na erlauben Sie mal, Sparsamkeit, Bedrfnislosigkeit und Enthaltsamkeit sind doch nicht nurTheorie.

    HARPAGON Theorie daran ist, dass ich in der Praxis nichts davon habe, weil ich mir die Ausgaben, die esnicht ausgibt, nicht als Mitgift anrechnen lasse, denn Mitgift ist nichts Theoretisches, nichts Abstraktes,Mitgift ist etwas ganz und gar Reales, etwas, was man praktisch auf Heller und Pfennig mit eigenen Hndengreifen kann. - Aber da ist noch etwas, was ich in den Griff kriegen muss: Es ist jung! Und es heit, wie manhrt, jung und jung gesellt sich gern, und das knnte meine Person in gewisse ganz und gar ausschlaggebendeVerlegenheit bringen.

    FROSINE Auch in diesem Punkt knnen Sie ganz und gar beruhigt sein, denn verlegen wird es nur imVerkehr mit Personen seines Alters, wogegen ihm der Verkehr mit Personen Ihres Alters ganz und garentgegenkommt, da ihm diese Art Verkehr ganz und gar vertraut ist, weil es mit seinem Vater, den es sehrliebte und der eine Person Ihres Alters war, tagtglichen Verkehr pflegte, solange das mglich war, bis einesTages irgendetwas unterging, und seither ist er verschollen, wie man sagt.

    HARPAGON Das beruhigt mich, Jungfer, denn wenn ein Mdchen seinen Vater ehrt, dann ehrt es auchseinen Mann.

    FROSINE Und so muss es auch sein. Aber das ist noch nicht alles. In seinem Zimmer hat es nicht etwaBilder von jungen, schnen goldgelockten Helden, sondern von alten, barhuptigen Gelehrten.

    HARPAGON Es denkt und fhlt wie ich und du, und wenn ich ein Mdchen wre, dchte und fhlte ich auchwie du und es, und ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr mir gnzlich die Worte fehlen, dir zu sagen, wiedankbar ich dir bin.

    FROSINE O bitte, wenn Sie sich bedanken wollen, ich htte da eine kleine Bitte. (Harpagons Gesicht wirdernst) Ich habe da einen Prozess, aber kein Geld, ihn zu gewinnen, und Sie knnten mir dabei ein wenig unterdie Arme greifen ... Sie knnen sich gar nicht vorstellen, wie sehr es darauf brennt, Sie zu sehen (sein Gesichtwird heiter), wie sehr es Feuer und Flamme war, als ich ihm von Ihrer Herzenswrme sprach.

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    HARPAGON O Jungfer, nehmt dafr meinen wrmsten Dank.

    FROSINE Dieser Prozess ist fr mich von grter Wichtigkeit (Harpagons Gesicht wird ernst), wenn ich ihnverliere, bin ich verloren, aber mit Ihrer Hilfe ... Sie htten es nur sehen sollen, wie es zitterte, wie sehr eserbebte, als ich ihm Ihre fast unmenschlich zu nennende Grozgigkeit und Nchstenliebe pries.

    HARPAGON O Jungfer, dafr schulde ich Ihnen meinen allerergebensten Dank.

    FROSINE Mein Herr, bitte ziehen Sie mich allerergebenst aus der ausweglosen Klemme, in der ich stecke.

    HARPAGON Tausend Dank, lebe wohl, ich muss weg, mein Hund bellt.

    FROSINE Herr Harpagon, ich bin in Not, ich bin am Ende, ich komme ins Gefngnis, ich verhungere, ichsterbe.

    HARPAGON Jungfer, geh in die Kche und lass dir ein Stck Brot geben. (ab)

    FROSINE du erbrmliches, drres, widerwrtiges Sparschwein. Dir altem Sack kann man die Trnendrsenzerquetschen, da kommt nicht ein Groschen Mitleid raus, aber deswegen lasse ich das Geschft noch langenicht fahren, schlielich gibt es noch die andere Seite, die lsst sich bestimmt leichter zur Kasse bitten.

    III. AKT - 1. SZENEHarpagon, La Merluche, Brindavoine, Clante, Jacques, Valre, Claude

    HARPAGON Hopphopp, alle mal herkommen, ich teile jetzt die Arbeit ein, damit klar ist, was nachher jederzu tun hat. Du, dicke Claude, stehst schon Gewehr bei Fu mit deinem Schrubber, deine Arbeit ist dasSchrubben, also schrubbe mit Gefhl, sonst schrubbst du mir zu viel weg, und nachher ist nichts mehr zuschrubben da, und du fliegst raus, und ihr beiden Pfeifen geht in die Kche, wascht die Glser, lasst siehalbvoll mit Wasser, giet vorsichtig Wein dazu, und dann wartet ihr mit dem Servieren, bis man euch vier-bis fnfmal dazu aufgefordert hat, und bekleckert nicht wieder eure Livrees.

    LA MERLUCHE Was soll ich machen, Chef, auf meiner Hose vorn ist schon wieder ein Fleck.

    HARPAGON Halt die Hand drber, wenn du servierst.

    BRINDAVOINE Und was soll ich machen, Chef, in meiner Hose hinten ist immer noch ein Loch.

    HARPAGON Sieh zu, dass keiner hinter dir steht, und du, meine Tochter, steh nicht rum, wasch dich undmach dich fertig, gleich kommt meine Braut, mit der fhrst du auf den Markt. Habt ihr das alles verstanden?

    ALLE Ja, Herr Chef!

    HARPAGON Und nun zu dir, mein missratener Sohn, deine unverzeihliche Niedertracht von vorhin soll dirverziehen sein, aber lass dir ja nicht einfallen, vor deiner zuknftigen Stiefmutter den Beleidigten zu spielen,sonst zieh ich dir die Ohren lang, also, Junge, bereite ihr einen solchen Empfang, dass du mir keine Schandemachst.

    CLANTE Als dein Sohn finde ich es eine Schande, dass ich durch dich ihr Stiefsohn werde, aber als ihrStiefsohn finde ich es keine Schande, wenn meine liebe Stiefmutter durch mich einen Sohn empfngt.

    HARPAGON Gut, mein Sohn, und nun zu dir, Jacques, du kommst als Letzter dran.

  • DJD-Theatergruppe 2003/04 Molire: Geiz, Liebe und Verschwendung Seite 16 von 46

    JACQUES Mit wem von mir beiden wollen Sie sprechen, mit dem Kutscher oder mit dem Koch?

    HARPAGON Mit beiden.

    JACQUES Mit wem zuerst?

    HARPAGON Mit dem Koch.

    JACQUES Moment. (setzt die Kochmtze auf) Was wollen Sie essen, Herr?

    HARPAGON Jetzt nichts, aber leider mssen wir heute Abend ein Essen geben, kannst du dafr das Ntigeherrichten?

    JACQUES Natrlich, wenn Sie mir das ntige Geld geben.

    HARPAGON Geld! Zum Teufel, immer nur Geld! Immer hr ich nur Geld! Habt ihr denn nichts anderes imKopf als immer nur Geld? Geld, Geld und immer wieder nur Geld: jeder Satz fngt mit Geld an, hrt mit Geldauf und handelt von Geld. Geld, Geld, Geld, komm mal her, Valre, und hilf mir mal.

    VALERE So eine erbrmliche, bodenlos dmliche Antwort kann nur so ein dmlicher, bodenlos erbrmlicherKutscher geben, denn mit Geld kann jeder kochen, auch wenn er nicht kochen kann, aber mit ohne Geldkochen, da fngt die Kochkunst an.

    JACQUES Nehmen Sie Ihren Mund nicht so voll. Sie Maultasche, kommen Sie lieber mit in die Kche undzeigen Sie uns, wie man das macht.

    HARPAGON Halt den Mund, er hat recht, wie viel brauchst du?

    JACQUES Wie viele Personen, schtzen Sie, werden kommen?

    HARPAGON Kommen werden zehn, aber rechnen tun wir mit acht, denn was fr acht reicht, reicht auch frzehn.

    VALRE Ist das klar, Kutscher?

    JACQUES Also, dann rechne ich acht Vorspeisen, acht Suppen, acht Hauptgerichte.

    HARPAGON Das ist viel zu viel, Koch, Schluss damit, damit kannst du eine ganze Stadt ernhren.

    VALRE Willst du die Gste zu Tode fttern, sollen sie sich berfressen, Kutscher?

    HARPAGON Ganz recht, Valre, hast du gehrt, Koch?

    VALRE Merk dir, Kutscher, ein reichgedeckter Tisch ist geradezu lebensgefhrlich, und wer es mit derGesundheit seiner Mitmenschen ernst meint, der kocht magere, knappe und leichte Schonkost, denn wie einaltes Sprichwort schon sagt: man muss essen, um zu leben und nicht leben, um zu essen.

    HARPAGON Ein schner Spruch: Man muss leben, um zu essen und nicht essen, um zu leben. Nein, so rumnicht, andersrum, Valre. Valre, schreibe es richtigrum auf ein groes Plakat, mit groen Buchstaben, undhnge es ber den groen Tisch im Speisezimmer.

    VALRE Schon in Arbeit, Herr Chef, und fr das Essen heute Abend lassen Sie mich die Sorge tragen, eswird alles so sein, wie alles sein soll.

  • DJD-Theatergruppe 2003/04 Molire: Geiz, Liebe und Verschwendung Seite 17 von 46

    HARPAGON Ja, so sei es! Und du, Jacques, da du als Koch nichts taugst, mach dich als Kutscher ntzlich,hol die Kutsche raus und spann die Pferde ein, und dann ab auf den Markt.

    JACQUES Herr, Ihre Pferde, die unglcklichen, diese verhungerten Geschpfe, sind nur noch traurige,klapprige Klepper, die sich nicht mehr auf ihren vieren halten knnen, und es zerreit mir das Herz, und ichteile jeden Bissen mit ihnen, denn ich liebe sie mehr als mich selbst. Siehe an deines Nchsten Pferd, und ichwill dir sagen deines Nchsten Wert.

    VALRE So eine hirnverbrannte, schwindschtige, trnentriefende Salbaderei kann doch nur von einemengstirnigen, beschrnkten, tierliebenden Koch kommen, der ein gesundes junges Ross vor der Kutsche miteinem kranken alten Gaul in der Pfanne verwechselt. Herr Chef, ich spann die beiden munteren Pferde selberan, dieser verkalkte Koch kann solange Dumchen drehn.

    JACQUES Mutter Maria, ich danke dir, dass nicht ich, sondern ein anderer schuldig werden wird an demTod dieser unschuldigen Pferde.

    HARPAGON Ruhe!

    JACQUES O Herr, ich verabscheue diese verleumderischen, speichelleckenden Schmeichler undDenunzianten. Ich berste vor rger, wenn ich so hre, was so alles ber Sie geredet wird, denn trotz allem,nach meinen Pferden sind Sie der einzige Mensch, den ich liebe.

    HARPAGON So, man redet ber mich, was denn? Raus mit der Sprache.

    JACQUES Wenn ich Ihnen das sage, Herr, trifft mich wahrscheinlich der Schlag.

    HARPAGON Der Schlag trifft dich ganz sicher, wenn du es nicht sagst.

    JACQUES Nun gut, Gott, komme was da wolle, aber vergeben Sie mir schon vorher, was ich jetzt zu sagenhabe: berall reit man ble Witze ber Sie, berall erzhlt man die belsten Geschichten ber Ihren blenGeiz, wie man hrt, sagen die einen, sie htten doppelt so viele Fastentage im Kalender stehen wie dieanderen, damit Sie am Essen sparen knnten, dann hrt man wieder, wie die anderen sagen, Sie entlieen zuden Feiertagen die Leute, damit Sie um das Schenken herumkmen, dann hrt man, wie dieser sagt, dass Sieeinen Prozess gegen die Katze Ihres Nachbarn fhrten, weil sie Ihnen den Rest einer Hhnerleberweggefressen htte, und wieder von anderen hrt man, dass jener gesagt haben soll, er htte Sie nachMitternacht erwischt, wie Sie Ihren fressenden Pferden aus ihren umgehngten Futterscken den kargen Hafergestohlen htten, und gesehen, wie ihr damaliger Kutscher, der vor meiner Zeit hier Kutscher war, als er dassah, aus Mitleid mit den armen Tieren in einen so grenzenlosen Zorn geraten sei, dass er den erstbestenKnppel ergriffen habe und damit so frchterlich auf Sie eingeschlagen htte, dass die ausgehungertenVierbeiner vor lauter Menschenmitleid dagestanden und gezittert htten und unfhig gewesen wren, ihrenoch von Ihnen brig gelassenen sprlichen Haferreste aufzufressen, kurzum, und da Sie es nun einmal genauwissen wollen, berall, wo man geht und steht, spricht man von Ihnen, Herr, allberall in Stadt und Land, aufStraen und Pltzen, in Schulen, Theatern und Kneipen, drinnen wie drauen nur vom Knicker, vomSparschwein, vom Wucherer, vom Leuteschinder, vom Filz, mit einem Wort, vom Geizigen.

    HARPAGON (fllt ber Jacques her) du Dummkopf, Verleumder, du Spitzel und Lump, du!

    JACQUES Ich habe Ihnen gleich gesagt, was man davon hat, wenn man Ihnen die Wahrheit sagt.

    HARPAGON Ich gehe, und sage du in Zukunft immer nur noch, was ich hren will.

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    III. AKT - 2. SZENEValre. Jacques

    VALRE Ja, ja, die Ehrlichkeit, bester Jacques, zahlt sich nicht aus.

    JACQUES du hergelaufener, heimatloser, herumstreunender, fremdlndischer, bel riechender, unglubiger,gottloser Niemand, kommst hierher, machst dich hier breit, spielst dich hier auf, mischst dich hier ein unddrngst mich von meinem Arbeitsplatz an der Seite meines Herrn mit List und Trug und Tcke.

    VALRE Aber reden Sie sich doch nicht so in Rage, bester Jacques. Sie wissen doch: wes Dienst ich tu, desBrot ich brech, des Lied ich sing, des Sprach ich sprech. (geht ab)

    JACQUES Ja, nieder mit der Aufrichtigkeit, ich schwr ihr ab und sage von jetzt an kein wahres Wort mehr,so wahr mir Gott helfe. Nichts gegen meinen Herrn, aber an diesem gromuligen Maulhelden werde ichmich rchen.

    III. AKT - 3. SZENEFrosine, Jacques, Mariane

    FROSINE Na, du heier Hecht, ist dein Herr zu Hause?

    JACQUES Ja.

    FROSINE Dann husch und sag, dass wir da sind.

    MARIANE Ach Frosine, mir ist schlecht, und ich frchte mich so sehr, ihn zu sehen.

    FROSINE Aber Herzchen, wieso denn?

    MARIANE Das fragen Sie noch? Wissen Sie denn nicht, welche Qualen man durchlebt, wenn man wie einLamm als Opfer auf den Opferstein gelegt wird?

    FROSINE Ich wei, dass Harpagon nicht gerade der ist, unter dem man sich gerne opfert, und mir scheint, duopferst dich lieber dem schmucken Halbwaisen, von dem du mir heute Mittag mit zitternder Lippe erzhlthast.

    MARIANE Ja, Frosine, so ist es.

    FROSINE Und wie heit er, was kann er, was hat er, was ist er?

    MARIANE Das wei ich nicht. Aber er ist die Liebe in Person und deshalb nicht wenig daran schuld, dassmir schon bei der Vorstellung, dem anderen vorgestellt zu werden, schwarz vor Augen wird, ich Schluckaufbekomme und mir das Herz bricht.

    FROSINE Mein Gott, Herzchen, diese bartlosen Milchgesichter sind ja ganz lecker, aber arm wie dieKirchenmuse, drum merk dir eins: es kann nie schaden, sich einen zu nehmen, der alt und reich ist, auchwenn er vorn und hinten nicht mehr hochkommt, auf dir einschlft und vergisst, was er wollte. Lass dir Zeit,behalte die Nerven, schluck es runter, das hat alles mal ein Ende, denn, glaub mir, Herzchen, sechs, achtWochen rund um die Uhr, und du hast ihn unter der Erde und bist eine reiche Dame, und dann bekommst duwen und was und so viel du willst, bekommst einen strammen Jungen, der dich liebt und der dich verwhnt,und der dich alles vergessen lsst, was je war und alles wieder gutmacht, wovon dir je schlecht gewesen ist.

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    MARIANE Gute Frosine, ist es nicht furchtbar auf Erden, dass das Glck des einen der Tod des anderen seinmuss. Doch wer wei, ob der bse Tod uns auch wirklich zu unserem Glck verhilft?

    FROSINE Keine Bange, Herzchen, wir heiraten ihn ja nur unter der Bedingung, und das muss unbedingt soin den Vertrag hinein, Tod binnen drei Monaten, ohne Wenn und Aber, komme, was da wolle, aber da kommter selbst.

    MARJANE O Gott, bei meinem verschollenen Vater, dieser Mann, der da kommt, ist ja noch steifer als derMann, der immer in meinen Trumen kommt.

    III. AKT - 4. SZENEHarpagon, Frosine, Mariane

    HARPAGON Zrnt nicht, meine Schne, dass ich mich Ihnen mit einer Brille nhere, ich wei durchaus,dass Ihre Reize einem so unbersehbar in die Augen stechen, dass man, um von Ihnen hingerissen zu sein,keinerlei Brille bedarf, aber man guckt ja auch durch Glser, wenn man in die Sterne guckt, und hiermitbehaupte und versichere ich, dass Sie ein Stern sind, und zwar der schnste, strahlendste und leuchtendsteStern an Gottes weitem Firmament ... Frosine, was ist mit dem Frulein, es regt sich nicht, es sagt nichts, esscheint nicht entzckt von mir.

    FROSINE Weil es ganz und gar berwltigt ist. Es schmt sich zu zeigen, was es fr Sie fhlt und ber Siedenkt.

    HARPAGON So wird's wohl sein. Meine anbetungswrdigste Schne, hier kommt meine Tochter, um Ihnenschnen guten Tag zu sagen.

    III. AKT - 5. SZENEMariane, lise, Harpagon, Frosine

    MARIANE Verzeihen Sie, Madame, ich komme sehr spt der Verpflichtung zu solchem Besuche nach.

    LISE Sie, Madame, haben getan, was ich htte lngst tun mssen, es wre meine Pflicht gewesen, Ihnenzuvorzukommen.

    HARPAGON Da staunen Sie, gell, wie gro sie ist, Unkraut gedeiht eben heutzutage.

    MARIANE (leise zu Frosine) Diesem alten Greis wollen Sie meine Unschuld geben?

    HARPAGON Was meint unser Schnes?

    FROSINE Es ist vllig weg und restlos hin.

    HARPAGON Das ist zu viel der Ehre, holdseliger Anblick, du!

    MARIANE (leise) Dieses bleiche Gespenst.

    HARPAGON Ich bin Ihnen fr Ihre Gefhle zu tiefstem Dank verpflichtet.

    MARIANE (leise) Mir wird schlecht, ich halt es nicht mehr aus.

  • DJD-Theatergruppe 2003/04 Molire: Geiz, Liebe und Verschwendung Seite 20 von 46

    III. AKT - 6. SZENEHarpagon, Mariane, Frosine, Clante, Elise

    HARPAGON Da kommt mein Herr Sohn, um Ihnen auch guten Tag zu sagen.

    MARIANE (leise zu Frosine) Frosine, das ist der schne junge Mann, der mir heute Mittag die Handgehalten, tief in die Augen geblickt und mich gefragt hat, ob ich seine Frau werden mchte.

    FROSINE (zu Mariane) Das kann ja heiter werden.

    HARPAGON Wie ich bemerke, bemerken Sie, dass ich bemerkenswert groe Kinder habe, aber dazu darfich bemerken, dass ich beide noch heute Abend verheiraten werde.

    CLANTE (zu Mariane) Meine Dame, Sie mssen mir glauben, dass ich mit dieser Art vonZusammentreffen nicht gerechnet habe.

    MARIANE Mein Herr, auch ich habe mit dieser Art von Zusammentreffen nicht gerechnet.

    CLANTE Meine Dame, mein Vater htte keine bessere Wahl treffen knnen, als Sie zu seiner Erwhlten zumachen ... Doch was mich betrifft, so bin ich tief betroffen, weil diese Wahl Sie zu meiner Stiefmutter macht,und in Ihnen, meine Dame, meine Stiefmutter zu sehen, ist, wie Sie verstehen werden, fr mich nichteinzusehen, denn wenn Sie, meine Dame, der Umstand, meine Stiefmutter zu werden, ebenso sehr trifft wiemich der Zustand, Ihr Stiefsohn zu werden, werde ich, was uns betrifft, meinen vortrefflichen Vater mitunnatrlicher Entschiedenheit vor die Wahl stellen: Whl dir eine andere, oder ich bin nicht mehr dein Sohn.

    HARPAGON Das ist eine ganz und gar widernatrliche, abgrundtief amoralische Drohung, die mich alsnatrlich und gesund empfindenden Vater unmglich treffen kann.

    MARIANE Was mich betrifft, mein Herr, trifft mich dieses Stiefmutter-Stiefsohn-Verhltnis noch tiefer alsSie, denn eine hhere Gewalt lsst mir, dieses, unser zuknftiges Verhltnis betreffend, keine andere Wahl,als mich so zu verhalten, wie mich Armut, Krankheit und Not zwingen, mich zu verhalten, denn wenn ichwhlen knnte, wrde ich weder Sie zu meinem Sohn noch mich zu Ihrer Mutter machen.

    HARPAGON Vortrefflich, da hast du die Rechnung. Als Sohn will sie dich nicht nehmen, als Mutter will siesich dir nicht geben. Herr Sohn, schlage auf der Stelle einen ganz und gar anderen Ton gegen sie an, sofern duwnschst, dass sich ihre Meinung, dich betreffend, ndert. Aber verzeihen Sie, meine Schne, dass ich Ihnennicht zum Empfang eine kleine Erfrischung angeboten habe, aber leider ...

    CLANTE Ach, lieber Vater, bemhen Sie sich nicht, ich habe mir erlaubt, auf Ihre Rechnung einen kleinenImbiss zu bestellen. Hier eine Platte mit Vorspeisen, hier eine mit kaltem Braten und Aufschnitt und hier einemit Kuchen, Trtchen und Gebck, und gegen den Durst Wein, Champagner, Sekt und Bier.

    HARPAGON Was soll das, Valre?

    VALRE Ihr Herr Sohn hat den Verstand verloren.

    CLANTE O mein Gott, Herr Vater, glauben Sie, es reicht nicht? Da, etwas zum Naschen, genieren Sie sichnicht.

    MARIANE Das ist aber nicht ntig.

    CLANTE (er zerlegt eine Taube) Und hier etwas vom weichen Schenkelchen, nehmen Sie.

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    MARIANE Das muss aber nicht sein.

    CLANTE Oder hier, vom zarten Brstchen, probieren Sie.

    MARIANE Aber bitte, das muss aber wirklich nicht sein.

    CLANTE Und hier das liebe Herzchen, essen Sie's auf.

    HARPAGON Schluss jetzt, es reicht, bist du verrckt geworden, willst du mich arm machen?

    CLANTE Sehen Sie nur, liebste Mariane, diesen strahlenden Diamenten, welcher meinem Herrn Vater denDaumen schmckt.

    MARIANE Wirklich, er funkelt ganz herrlich.

    CLANTE (zieht den Ring vom Daumen des Vaters und gibt ihn Mariane) Hier, Sie mssen ihn aus derNhe betrachten.

    MARIANE Er hat einen wunderbaren Schliff, und erst dieses Feuer.

    CLANTE (stellt sich vor Mariane, die den Ring zurckgeben will) Aber nicht doch, entzckende Mariane,er sieht wie fr Sie gemacht aus, in Ihren kleinen weien Hnden (er schiebt ihn ihr auf den Finger), aufIhrem zarten langen Finger, und mein Vater erlaubt sich durch mich, ihnen diesen Ring zum Geschenk zumachen.

    HARPAGON Ich?

    CLANTE Ja, Herr Vater, Sie legen doch Wert darauf, dass Mariane den Ring aus Liebe zu Ihnen behlt.

    HARPAGON Wie bitte?

    MARIANE Nein, nein, ich mchte nicht ...

    CLANTE Doch, doch, Sie mssen, sonst ist er beleidigt, ich kenne ihn.

    HARPAGON du wirst mich noch kennen lernen.

    MARIANE Nein, wirklich, ich will ihn nicht haben.

    CLANTE Ja, richtig, er will ihn wirklich nicht wiederhaben.

    HARPAGON Ich jage ihn aus meinem Haus.

    CLANTE Da sehen Sie, seine gerechte Emprung ber Ihre ungerechtfertigte Weigerung.

    HARPAGON Ich bring ihn um.

    CLANTE Da, wie er sich aufbumt und sich alles in ihm verzweifelt wehrt gegen die unaussprechliche undunbeschreibbare Abnormitt, dass er etwas geben will und ein anderer es nicht haben will.

    HARPAGON Ich enterbe ihn.

  • DJD-Theatergruppe 2003/04 Molire: Geiz, Liebe und Verschwendung Seite 22 von 46

    CLANTE Mein armer Herr Vater, meine Schuld ist es nicht, dass Mariane den Ring nicht will, Sie sehen ja,ich habe alles versucht, mehr ist nicht drin.

    HARPAGON du rudiger Hund.

    CLANTE Hren Sie, Mariane, wie er mich beschimpft, daran sind nur Sie schuld, und da sehen Sie, er wirduns noch krank. Da, er wird abwechselnd blau, wei, rot, haben Sie doch Erbarmen und behalten Sie denRing.

    FROSINE Nun Herzchen, so nimm doch endlich den Ring, wenn alle es so wollen.

    MARIANE (zu Harpagon) Da ich es mir mit keinem verderben mchte, nehme ich den Ring, um ihn beipassender Gelegenheit wieder zurckzugeben.

    III. AKT - 7. SZENELa Merluche, Harpagon, Valre, Clante, Mariane, Frosine, lise

    LA MERLUCHE Herr, drauen steht ein Mann und mchte euch sprechen.

    HARPAGON Jetzt nicht, morgen, jag ihn weg.

    LA MERLUCHE Er sagt, er bringt Geld.

    HARPAGON Entschuldigt mich, meine Herrschaften, ich bin auf der Stelle zurck. (zu Valre) Pass auf allesauf, Valre, rette, was du kannst, damit man so viel wie mglich dem Kaufmann zurckgeben kann.

    VALRE Ganz und gar, Herr Chef, und so viel wie mglich.

    CLANTE In der Zeit, in der Sie weg sind, Herr Vater, werde ich mir erlauben, Sie bei dieser Dame zuvertreten.

    HARPAGON Soviel steht jetzt schon fest, dieser Sohn ruiniert mich und berlebt mich und bringt michschon in Krze unter die Erde.

    IV. AKT - 1. SZENEClante, lise, Mariane, Frosine

    CLANTE Kommen Sie, meine Damen, hier knnen wir endlich offen und ehrlich miteinander reden.

    LISE Madame, mein Bruder hat mir gestanden, wie leidenschaftlich er Sie liebt und wie er hofft, dass Sieihn genauso lieben mgen, und auch ich wnsche nichts sehnlicher als das, was mein Bruder sich wnscht,weshalb ich alles mir Mgliche tun werde, um diese bar jeder Vernunft zu nennende Beziehung, die meinVater zu Ihnen herzustellen wnscht, mglichst zu vereiteln.

    MARIANE Madame, auch ich gestehe Ihnen, dass ich Ihren Bruder mehr als leidenschaftlich liebe und dassjene verwerfliche Beziehung, die Sie so treffend zu bezeichnen wussten, so dass ich, die Betroffene, sie nichttreffender htte bezeichnen knnen, mir schon in der Vorstellung so zuwider ist, dass ich mich lieber aus derWelt schaffen wrde, als diese Unmglichkeit Wirklichkeit werden zu lassen, aber leider kann ich, da meinlieber Vater verschollen, meine arme Mutter krank und ich daher mittellos und unvermgend, wie ich bin,

  • DJD-Theatergruppe 2003/04 Molire: Geiz, Liebe und Verschwendung Seite 23 von 46

    nichts gegen mein Schicksal tun, weil mir mein Schicksal nichts in die Hnde gegeben hat, um meinSchicksal zu ndern.

    CLANTE Ja, aber was machen wir denn da?

    FROSINE Ja, Kinder, was machen wir denn da?

    CLANTE berleg doch mal, wir brauchen eine Idee.

    MARIANE Denk doch mal nach, wir brauchen einen Einfall.

    LISE Da muss doch was zu machen sein, schlielich bist du an allem schuld.

    FROSINE Aber, aber, Schtzchen, wir wollen doch hier keine Schuld verteilen, aber zur Sache. Deine altekranke Mutter ist nicht das Problem, mit der kann man ins Geschft kommen und ihr statt des reichen, altenVaters einen jungen armen Sohn andrehen. Das Problem ist euer Vater ...

    CLANTE Genau.

    MARIANE Richtig.

    LISE So ist es.

    FROSINE Dieser alte Knabe hat sich mittlerweile so versteift auf unser Herzchen, dass man ihn nicht davonabbringen kann. Es gibt nur eine Lsung: man msste das Kunststck fertig bringen, ihn dahin zu bringen,dass er Herzchen aus seinem Herzen verstt, weil er eine andere ins Herz geschlossen hat.

    CLANTE Ein toller Einfall.

    MARIANE Ein bestechender Plan.

    LISE Eine brillante Idee.

    FROSINE Aber um das Ganze auf die Beine zu stellen, braucht's nicht nur Kpfchen, sondern auch dasntige Kleingeld, denn billig sind meine Einflle nun mal nicht zu haben.

    CLANTE Beim Erbteil meiner Mutter, daran soll es nicht scheitern.

    FROSINE Ja, wenn Geld in der Kasse ist, dann lasst uns mal vorsichtig zu Werke gehen. Stellt euch mal vor,wenn es eine Frau gbe, mit meiner Statur, mit meinen Formen und Kurven und mit meiner Erfahrung, unddiese Frau kme so daher, elegant, alles vom Feinsten, in einem raffinierten Kleid, dazu ein toller Hut undvon oben bis unten behangen mit kostbarem Schmuck, und jetzt stellt euch weiter vor, diese teureErscheinung htte auch noch mein, mir von der Natur verliehenes schauspielerisches Talent und wrde euremVater tuschend echt vormachen, dass sie eine reiche Gutsbesitzerin ist, mit vielen Scheunen, ckern, Wiesenund Weiden und mit einem ellenlangen Titel im Wappen, und diese Person machte, nun stellt euch vor, euremVater weis, sie sei bis ber beide Ohren hemmungslos in ihn verliebt ...

    MARIANE So weit muss man gehen.

    FROSINE ... knnte ohne ihn nicht leben ...

    LISE So weit kann man gehen.

  • DJD-Theatergruppe 2003/04 Molire: Geiz, Liebe und Verschwendung Seite 24 von 46

    FROSINE ... und dass sie alles, ihr gesamtes Hab und Gut, ihr smtliches Bargeld, gerollt und gebndelt, ihmzu Fen legt, wenn er dafr bereit ist, einen Ehevertrag um den Preis mit ihr abzuschlieen, dass ICH seineFrau werde. Und wenn er dann auf Herzchen verzichtet und es dann DEINE Frau ist, und wenn er dannmerkt, dass ich das bin, die jetzt dann SEINE Frau ist, dann ist es zu spt. Doch, wie gesagt, das alles kostetso ber den Daumen so an die Hunderttausend.

    CLEANTE Teuer, findet ihr nicht auch?

    MARIANE Ich kann dazu nur ja, aber gut sagen.

    LISE Gut, Ja sage ich auch.

    FROSINE Ja gut, Kinderchen, dann machen wir es so.

    IV. AKT - 2. SZENEHarpagon, Elise, Clante, Mariane, Frosine

    HARPAGON Was sehe ich, mein Herr Sohn ksst seiner zuknftigen Stiefmutter die Hand, und diezuknftige Stiefmutter zieht die Hand nicht weg. Ob das so harmlos ist, wie es aussieht?

    LISE Da kommt unser Vater.

    HARPAGON Die Pferde sind angeschirrt, die Kutsche steht bereit, es geht los, meine Damen.

    CLANTE Da Sie hier bleiben, Herr Vater, werde ich mit den Damen zu Markte fahren und versuchen, sieso gut wie mglich zu unterhalten.

    HARPAGON Nichts da, hier geblieben, die finden den Weg auch ohne dich, denn dich brauch ich hier.

    IV. AKT - 3. SZENEHarpagon, Clante

    HARPAGON Na, sei mal ehrlich, mein Sohn, wie gefllt dir deine Stiefmutter, abgesehen von der Tatsache,dass sie deine Stiefmutter wird?

    CLANTE Wie sie mir gefllt?

    HARPAGON Ja, so ganz insgesamt im Ganzen.

    CLANTE Mein Typ ist sie weder im Ganzen noch teilweise. Sie sieht nicht besonders hbsch aus, siemacht weder einen sehr ordentlichen noch sehr sparsamen Eindruck, hat kein feines Benehmen, und mitihrem Verstand scheint es auch nicht weit her zu sein. Stiefmutter hin, Stiefmutter her, ob Sie die nehmenoder eine andere, von der Sorte gibt es Hunderte, und alle sind gleich.

    HARPAGON Eben noch hast du aber noch ...

    CLANTE Ach was, ich hab ihr als ihr zuknftiger Stiefsohn doch nur die ntigen Komplimente gemacht.

    HARPAGON Also, du empfindest ganz und gar keinerlei Zuneigung zu ihr?

  • DJD-Theatergruppe 2003/04 Molire: Geiz, Liebe und Verschwendung Seite 25 von 46

    CLANTE Ich? berhaupt ganz und gar keine.

    HARPAGON Das ist wirklich zu schade, damit fllt mein ganzer schner Plan ins Wasser. Als ich euchvorhin beide so zusammen beieinander sah und ich so bei mir an mein eigenes Alter dachte, und dass ich auchnicht mehr so ganz der Allerjngste bin und man mir vielleicht deswegen irgendwann irgendwelche,vielleicht sogar irgendwie berechtigte Vorwrfe machen knnte, dass ein so alter Mann wie ich sich an soeinem jungen, reinen, unschuldigen Ding vergreift, da dachte ich, so, um all dem aus dem Wege zu gehen:warum gibst du eigentlich nicht dieses junge, reine, unschuldige Ding, warum gibst du dieses Ding, damit esin der Familie bleibt, warum gibst du es nicht einfach deinem Sohn?

    CLANTE Mir? Es?

    HARPAGON Ja, dir sie.

    CLANTE Es mir zur Frau?

    HARPAGON Sie dir zur Frau. Aber bei dieser abgrundtiefen Abneigung ...

    CLANTE Ja, aber wie schon gesagt, mein Ideal ist sie einerseits nicht, aber andererseits soll man ja seinemVater ...

    HARPAGON Bitte, nimm auf mich keine falsche Rcksicht ...

    CLANTE Ihnen zuliebe, Herr Vater, wrde ich aber gerne ein Opfer bringen ...

    HARPAGON Nein, nein, seinen Gefhlen soll man keinen Zwang antun, und eine Ehe ohne Liebe ...

    CLANTE Die Liebe kann sich doch hinterher einstellen ...

    HARPAGON Nein, nein, so was geht nicht gut, so was darf man nicht riskieren, ja, httest du nur denFunken einer Zuneigung versprt, ich htte Himmel und Hlle in Bewegung gesetzt, dass du sie an meinerStelle heiratest. Aber da die Dinge nun einmal so stehen, wie sie stehen, muss ich sie selbst heiraten.

    CLANTE Aber die Dinge stehen gar nicht so, wie Sie denken, dass sie stehen, sie stehen nmlich so, dassich das junge Ding, das kann ich Ihnen sagen, liebe seit dem ersten Blick, und das ist die Wahrheit.

    HARPAGON Und, hast du ihr schon gesagt, dass du sie liebst und dass du sie heiraten willst?

    CLANTE Ja.

    HARPAGON Und sie, hat sie dir auch gesagt, dass sie dich liebt und sie dich heiraten will?

    CLANTE Ja.

    HARPAGON Na gut, mein Sohn, dann hr mir mal einen Moment gut zu: vergiss diese Heirat und schlag dirdie Kleine aus dem Kopf, denn die gehrt mir, und die heirate ich, und du, mein Herr Sohn, heiratest eineganz andere, und zwar eine, die nicht du, sondern eine, die ich dir aussuche.

    CLANTE Na gut, nachdem Sie so offen zu mir waren, Herr Vater, hren Sie mir mal bitte einen Momentgut zu. Ich werde meine Mariane nie aufhren zu lieben, und ich werde nicht zurckschrecken, sie vor Ihnenzu bewahren, auch wenn es mein Leben kostet.

    HARPAGON du wagst es, mir ins Gehege zu kommen, Grnschnabel?

  • DJD-Theatergruppe 2003/04 Molire: Geiz, Liebe und Verschwendung Seite 26 von 46

    CLANTE Sie sind in meinem Gehege, nicht ich in Ihrem.

    HARPAGON Ich bin dein Vater, du hast mir zu gehorchen.

    CLANTE Ich bin Ihr Sohn, Sie mssen mich respektieren.

    HARPAGON Respektieren! Ich werde dir deinen Hintern respektieren!

    CLANTE Wer schlgt hat Unrecht.

    HARPAGON du verzichtest auf Mariane.

    CLANTE Nie!

    HARPAGON Einen Knppel her, einen Knppel!

    IV. AKT - 4. SZENEJacques, Harpagon, Clante

    JACQUES Aber um Gottes willen, bei unserem Herrn und Heiland, der alle un sere Menschensnden aufsich genommen hat, das darf doch nicht sein, dass Vater und Sohn sich so in den Haaren liegen.

    HARPAGON Komm her, Koch, und spiel den Schiedsrichter und bring ihm bei, dass ich recht habe und erUnrecht.

    JACQUES Gut, ich will alles versuchen, was in meinen bescheidenen Krften steht, aber bitte, erst gehen Sieauseinander.

    HARPAGON Ich liebe und will heiraten, er liebt und will auch heiraten, das Problem ist, es ist dasselbeMdchen. Was sagst du dazu, Kutscher?

    JACQUES Das geht nicht.

    HARPAGON Ist das nicht wie Sodom und Gomorrha, Koch, dass der Sohn buhlt um des Vaters Weib, undmsste er nicht schon aus Anstand davon Abstand nehmen?

    JACQUES Ja, Herr, recht haben Sie, Abstand aus Anstand, lassen Sie mich mit ihm reden, aber Sie bleibenhier, Herr. (zu Clante) Und jetzt sprechen Sie, junger Herr.

    CLANTE Ich liebe und will heiraten, er liebt und will auch heiraten, das Problem ist das gleiche Mdchen.Was sagst du dazu, Kutscher?

    JACQUES Das geht nicht.

    CLANTE Sei mal ehrlich, ist das nicht wie Sodom und Gomorrha, Koch, dass der Vater buhlt um desSohnes Weib, und msste er nicht Abstand davon nehmen, schon aus Anstand?

    JACQUES Ja, junger Herr, Sie haben recht, Abstand aus Anstand. Aber wenn sie mir erlauben, Ihr HerrVater steht in der Sache wortwrtlich auf dem gleichen Standpunkt wie Sie, und seine Ansicht und IhreAnsicht ber die Sache unterscheiden sich genauso wenig voneinander.

  • DJD-Theatergruppe 2003/04 Molire: Geiz, Liebe und Verschwendung Seite 27 von 46

    CLANTE Ja, wenn das so ist, Koch, dass mein Herr Vater die Sache genauso sieht wie ich, dann knnenwir aus meiner Sicht die Sache als erledigt ansehen, und ich lasse meinem Herrn Vater durch dich, Kutscher,mitteilen, dass ich ihm verzeihe.

    HARPAGON Na, Koch, habe ich nun recht oder nicht?

    JACQUES (zu Harpagon) Mein Herr, alles ist wieder in Butter. Ihr Herr Sohn lsst Ihnen durch michmitteilen, dass er Ihnen verzeiht und die Sache als erledigt ansieht, nachdem ich ihm gesagt hatte, dass Sie dieSache genauso sehen wie er.

    HARPAGON Ja, wenn das so ist, Kutscher, dass mein Herr Sohn die Sache genauso sieht wie ich, dannknnen wir aus meiner Sicht die Sache auch als erledigt ansehen, und ich lasse meinem Herrn Sohn durchdich, Koch, mitteilen, dass ich ihm gleichfalls verzeihe.

    JACQUES Meine Herren, ich teile Ihnen durch mich mit, dass ich in Ihrer Sache Frieden stiften konnte, dennSie sind vllig einer Meinung.

    IV. AKT - 5. SZENEClante, Harpagon

    CLANTE Herr Vater, ich bitte um Verzeihung.

    HARPAGON Das macht doch nichts, Herr Sohn.

    CLANTE Ich bedaure das Ganze zutiefst und aus vollem Herzen.

    HARPAGON Und ich freue mich ganz und gar aus tiefstem Herzen, dass du vernnftig bist.

    CLANTE Wie grosinnig von Ihnen; alles so schnell zu verzeihen.

    HARPAGON Wie hochanstndig von dir, dich auf deine Pflicht zu besinnen.

    CLANTE Ich verspreche Ihnen, Herr Vater, dass mir Ihre Gte unvergesslich bleiben wird.

    HARPAGON Und ich, ich verspreche dir, dass es nichts gibt, was du nicht von mir haben kannst.

    CLANTE Danke, lieber Herr Vater, ich brauche nichts mehr, Sie haben mir meine Mariane gegeben, waswill ich mehr?

    HARPAGON Wie?

    CLANTE Ja, lieber Herr Vater, Sie haben mir Mariane zur Frau gegeben und damit meinen grtenWunsch erfllt und mich glcklich gemacht.

    HARPAGON Wer redet davon, dir Mariane zur Frau zu geben?

    CLANTE Sie, lieber Herr Vater.

    HARPAGON Ich?

    CLANTE Ja, Sie.

  • DJD-Theatergruppe 2003/04 Molire: Geiz, Liebe und Verschwendung Seite 28 von 46

    HARPAGON Was, du hast doch versprochen, auf sie zu verzichten.

    CLANTE Ich auf sie verzichten?

    HARPAGON Ja.

    CLANTE Mit keiner Silbe.

    HARPAGON du hrst also nicht auf, Anspruch auf sie zu erheben?

    CLANTE Im Gegenteil, ich will sie mehr denn je haben.

    HARPAGON Was, du Wechselbalg, mehr denn je?

    CLANTE Ich verzichte nie und nimmer.

    HARPAGON Ich verbiete dir ein fr allemal, sie zu nehmen.

    CLANTE Und ich nehme sie, auch wenn Sie es ein fr allemal verbieten.

    HARPAGON Ich verstoe dich.

    CLANTE Bitte sehr.

    HARPAGON Ich erkenne dich nicht mehr als Sohn an.

    CLANTE Meinetwegen.

    HARPAGON Ich enterbe dich.

    CLANTE Tun Sie sich keinen Zwang an.

    HARPAGON Ich verfluche dich.

    CLANTE Ihre Gaben in allen Ehren.

    IV. AKT - 6. SZENELa Flche, Clante

    LA FLCHE (kommt mit einer Kassette) Gut, dass Sie hier sind, kommen Sie mit, schnell.

    CLANTE Was ist denn?

    LA FLCHE Ich habe es geschafft, wir mssen weg.

    CLANTE Wieso?

    LA FLCHE Ich habe alles, was wir brauchen.

    CLANTE Was?

    LA FLCHE Darauf habe ich den ganzen Tag gelauert.

  • DJD-Theatergruppe 2003/04 Molire: Geiz, Liebe und Verschwendung Seite 29 von 46

    CLANTE Was hast du denn da?

    LA FLCHE Den Schatz eures Vaters, Junior, endlich haben wir ihn erwischt.

    CLANTE Wie hast du denn das gemacht?

    LA FLCHE Das erzhle ich Ihnen spter, erst mal weg hier, ich hre ihn schreien.

    IV. AKT - 7. SZENEHarpagon

    HARPAGON Diebe, Diebe, haltet den Dieb! Ruber! Mrder! Raubmrder! Gerechter Himmel!Gerechtigkeit! Ich bin hin, ich bin verloren, ich bin ermordet! Man hat mir durch die Kehle geschnitten, manhat mir mein Geld geraubt! Wer, wer war's, wo ist er? Wo steckt er, wo hat er sich versteckt, wo finde ichihn? Wo suchen, wo nicht suchen? Ist er hier, ist er da, wer da, halt, du da! Gib mir mein Geld, Hund! (packtsich selbst amArm) Ach, ich selbst, mein Verstand, ganz verwirrt. Ich bin wo, ich bin wer, ich bin was? Ach,mein armes Geld, mein armes Geld, mein teurer Freund! Beraubt hat man mich deiner, verloren habe ichmeine Sttze, meinen Trost, meine Freude. Alles ist aus fr mich, was soll ich noch auf der Welt? Ohne dichkann ich unmglich leben. Es ist aus, ich kann nicht mehr, ich sterbe, ich bin tot, ich bin unter der Erde. Istdenn hier niemand, der mich auferwecken will, indem er mir mein teures Geld zurckgibt oder mir sagt, weres stahl? Wie, was sagt ihr, da ist niemand? Wer es auch war, der mir diesen Schlag versetzt hat, der hat denZeitpunkt hchst genau gewhlt, gerade als ich mit meinem Sohn sprach, dem Verrter, dem Verfluchten. Ichhole die Polizei! Sie soll in meinem Haus alles foltern und vernehmen. Alles! Diener, Dienerinnen, Sohn,Tochter und mich auch. Oh, die vielen Leute, die da sind, ich kann ansehen, wen ich will, jeder erregtVerdacht in mir, jeder sieht ganz nach meinem Dieb aus. He, was redet ihr da? Sie wissen was? Was ist denndas da oben? Ist das dort etwa mein Dieb? Alles Diebe! Ich flehe euch an, wo ist mein Geld, sagt es mir! Jetztlachen sie, sie lachen mich aus, ihr steckt doch alle unter einer Decke. Nur ich nicht! Polizei! Polizei her!Kommissare! Richter! Schffen! Daumenschrauben! Ketten! Galgen! Henker! Ich will, dass alle Welt hngt!Und finde ich mein Geld nicht wieder, hnge ich mich selbst dazu!

    V. AKT - 1. SZENEKommissar, Harpagon

    KOMMISSAR (und ein Schreiber) Lassen Sie mich nur machen, ich kenne mein Geschft. Dies ist nicht dererste Diebstahl, den ich erfolgreich aufklre. Wenn ich pro Kopf und Dieb nur eine Mark genommen htte,wre ich heute ein reicher Mann.

    HARPAGON Alle Beamten und Angestellten mssen in meinem Fall auf den Tter angesetzt werden, undwenn sie nicht binnen krzester Frist mir mein Geld herbeischaffen, dann mache ich der gesamten Justiz denProzess.

    KOMMISSAR Ich werde alle erforderlichen Schritte einleiten. Was und wie viel also waren in der Kassette?

    HARPAGON Einhunderttausend.

    KOMMISSAR Einhunderttausend?

    HARPAGON Genau Einhunderttausend.

  • DJD-Theatergruppe 2003/04 Molire: Geiz, Liebe und Verschwendung Seite 30 von 46

    KOMMISSAR Das ist ein hbsches Smmchen, und wen haben Sie in Verdacht?

    HARPAGON Jeden. Ich verlange, dass die ganze Stadt und ihre Vororte durchsucht werden.

    KOMMISSAR Nur keine Panik. Zuerst muss man in aller Ruhe versuchen, alle Beweise in eine Hand zubekommen, hat man die erst mal, kann man sich energisch an die Wiederbeschaffung des Geldesheranmachen.

    V. AKT -2. SZENEJacques, Harpagon, Kommissar

    JACQUES (im Hintergrund) So! Der Kopf ist weg vom Hals! Lasst ihn erst mal ausbluten, ich komme gleichwieder. Und bevor ihr ihn in kochendes Wasser schmeit und ihn verkehrtrum aufhngt, vergesst nicht, ihmdie Fe abzuschneiden.

    HARPAGON Wem? Meinem Dieb?

    JACQUES Nein! Dem Hahn, der heute vor Hunger von der Henne gefallen ist. Nimmt dieser Herr an IhremEssen teil?

    HARPAGON Davon ist jetzt nicht die Rede, der Herr Kommissar will dir ein paar Fragen stellen.

    KOMMISSAR Nur keine Angst, ich beie nicht. Sie mssen nur die Wahrheit sagen. Ich frage Sie jetzt reinroutinemig auf den Kopf zu: Haben sie Herrn Harpagon in der letzten Zeit Geld gestohlen?

    JACQUES Nein.

    HARPAGON Doch! Warum wirst du rot im Gesicht, du Dieb! Ich werde dich zum Reden bringen, ich lassdich foltern. Kommissar, tun Sie Ihre Pflicht.

    KOMMISSAR Wie knnen Sie diesen Mann nur so ungeschickt anfassen, haben Sie denn keinerlei Augenim Kopf? Sie entnehmen doch seiner Physiognomie, dass dieser Mensch zur Kategorie der offenen undeinfachen Subjekte gehrt. Zur Erlangung von Ausknften bei dieser Spezies fhrt jede Anwendung vonDruck, Drohung und Gewalt zu Misserfolgen. Stattdessen haben Sie mit der freundlichen, sanften Methodeauf Anhieb Erfolg, und jetzt passen Sie mal auf, ich werde Ihnen jetzt mal zeigen, wie man das macht: LieberFreund, man hat Ihrem Herrn bel mitgespielt, man hat ihm sehr viel Geld gestohlen.

    JACQUES Man hat ihm Geld gestohlen?

    KOMMISSAR Sehr, sehr viel Geld. Und wenn Sie es haben oder wissen, wer es war, sagen Sie es uns ohneUmschweife, denn das ist immer das Beste.

    JACQUES (beiseite) Jetzt kann ich mich endlich an meinem Herrn Vorgesetzten, diesem Herrn Valre,rchen.

    HARPAGON Sprich laut und deutlich, falls du ein reines Gewissen hast.

    KOMMISSAR Stren Sie den guten Mann nicht, Sie sehen doch, wie er berlegt.

    JACQUES Ich wei, wer es war, es war mein Chef, Ihr Herr Haushofmeister.

    HARPAGON Valre?

  • DJD-Theatergruppe 2003/04 Molire: Geiz, Liebe und Verschwendung Seite 31 von 46

    JACQUES Ja der.

    HARPAGON Der, dem ich ganz und gar vertraut habe?

    JACQUES Genau der, der hat Sie bestohlen.

    KOMMISSAR Na bitte, man muss nur die Augen aufmachen und Menschenkenntnis besitzen. Ich hab dochgleich gewusst, dass das unser Mann ist.

    HARPAGON Hast du gesehen, wo er das Geld gestohlen hat?

    V. AKT - 3. SZENEJacques, Harpagon, Kommissar, Valre

    JACQUES Natrlich, da hinten.

    HARPAGON Im Garten?

    JACQUES Natrlich, wo sonst, ich hab ihn im Garten gesehen.

    HARPAGON Und wo ist das Geld?

    JACQUES Das Geld hatte er da drin.

    HARPAGON In der Kassette?

    JACQUES Natrlich, worin sonst, ich habe ihn mit der Kassette im Garten gesehen.

    HARPAGON Und wie sieht die Kassette aus?

    JACQUES Eher gro.

    HARPAGON Meine war eher klein.

    JACQUES Ich meine den Inhalt und nicht die Form. Ich habe Ihren Herrn Haushofmeister, den Valre, miteiner kleinen Kassette im Garten gesehen.

    KOMMISSAR Lieber Freund, nun sagen Sie uns mal gerade heraus ...

    HARPAGON Welche Farbe hat die Kassette?

    JACQUES Welche Farbe, es ist schwer zu beschreiben, war sie nicht gelb mit blau?

    HARPAGON Nein, grau.

    JACQUES Ja, graublau, natrlich, wie sonst. Ich habe Ihren Haushofmeister, den Herrn Valre, mit einerkleinen grauen Kassette voll Geld in Ihrem Garten gesehen.

    HARPAGON Voll Geld? Das ist der Beweis. Kein Zweifel, nehmen Sie seine Aussage zu Protokoll,Kommissar. Valre, ein Dieb, Himmel, wem kam man noch trauen.

  • DJD-Theatergruppe 2003/04 Molire: Geiz, Liebe und Verschwendung Seite 32 von 46

    JACQUES Da kommt der Herr Haushofmeister. Sagen Sie ihm um Himmels willen nicht, dass Sie alles vonmir wissen.

    HARPAGON Komm mal her, Valre, und gesteh auf der Stelle das schwrzeste Verbrechen derWeltgeschichte.

    VALRE Was wnschen Sie, Herr Chef? Und von welchem Verbrechen redei Sie?

    HARPAGON Verstell dich nicht, du, der du mein Vertrauen missbraucht, der du meine Gte mit Fengetreten, du, der du meine Liebe durch den Dreck gezerrt hast, du weit genau, was ich meine.

    VALRE Da nun alles raus ist, Herr, will ich Sie nicht lnger belgen und gebe alles zu.

    JACQUES Da habe ich etwas erraten, ohne es zu wissen.

    VALRE Ich wollte schon lngst alles gestehen, aber es gab nie den richtigen Moment, nun ist er da. Nungibt es ihn, und ich bitte Sie, Herr, versuchen Sie, ohne in Zorn zu geraten, meinen Grnden zu folgen undnicht gleich auf mich loszugehen, denn dann werden Sie sehen, mein Verbrechen ist ganz und gar dasGegenteil eines Verbrechens.

    HARPAGON Was, ein Verbrechen wie dein Verbrechen kein Verbrechen? Bei so viel Hinterlist undChuzpe?

    VALRE Chuzpe? Dieses Schimpfwort habe ich nicht verdient. Bei meiner Ehre, ich habe sie nichtangefasst.

    HARPAGON Sie nicht angefasst, du Heuchler, sie, die mein Herzblut ist, mein Ein und Alles.

    VALRE Ihr Blut wird durch mich nicht befleckt. Ich stamme aus einer Familie mit Stammbaum, und alles,was ich verbrochen habe, wird von meiner Familie in Ordnung gebracht, und Ihre Ehre wird durch unsvollkommen wiederhergestellt.

    HARPAGON Mit oder ohne Ehre, das ist mir so egal wie der Teufel mit oder ohne Schwanz. Ich will siewiederhaben, hier geht's einzig und allein, ganz und gar nur noch um all mein Geld.

    VALRE All Ihr Geld will und brauche ich nicht, wenn Sie mir nur meinen, Ihren Schatz lassen, den ich soliebe.

    HARPAGON deinen Schatz? Meinen Schatz hast du nicht zu lieben. Was mein ist, wird nur von mir geliebt,das darf kein anderer lieben, das liebe nur ich. Wo kommen wir denn hin, wenn alle durcheinanderlieben,dann lieben pltzlich alle alles, und alles gehrt pltzlich allen.

    VALRE Die Liebe gehrt nicht allen! Die Liebe ist eine Himmelsmacht, und ich und mein Schatz, wirhaben uns geschworen, wir gehren nur uns, Und nichts auf der Welt kann uns trennen.

    HARPAGON Bei meinem Schatz? Dieser Schwur ist nicht nur abgrundtief komisch, sondern auchhimmelhoch tragisch, und ich kriege gleich Trnen und Bauchschmerzen vor Lachen. Aber wie, bei meinenHunderttausend, hast du denn rausgekriegt, wo ich sie vergraben hatte?

    VALRE Sie hatten sie vergraben, aber das ist doch ganz und gar unmglich, ich war doch tagtglich mitIhrer Tochter immer zusammen.

    HARPAGON (beiseite) Ich sehe, die Angst vor der Strafe lsst ihn irre reden. (zu Valre) Was sprichst dudenn da pltzlich von meiner Tochter?

  • DJD-Theatergruppe 2003/04 Molire: Geiz, Liebe und Verschwendung Seite 33 von 46

    VALRE Herr Chef, Ihre Tochter und ich haben heute Mittag einen Ehevertrag unterzeichnet.

    HARPAGON Was!? Meine Tochter lise hat dir einen Ehevertrag unterschrieben?

    VALRE Ja, und ich ihr.

    HARPAGON O Himmel, noch ein Schicksalsschlag.

    JACQUES (zum Kommissar) Schreiben Sie, Herr Kommissar, das muss alles festgehalten werden.

    HARPAGON Unheil wird aus Unheil geboren und gebiert neues Unheil. Tun Sie Ihre Pflicht, HerrKommissar, machen Sie ihm den Prozess als Dieb und Verfhrer.

    VALRE Diese Beschuldigung werde ich abschtteln, wenn Sie erst wissen, wer und was ich bin und woherich komme.

    V. AKT - 4. SZENEHarpagnon, lise, Valre, Jacques, Frosine

    HARPAGON (zu Elise) du verworfenes gemeines Luder, meine Tochter ist eine Hure. Mit einemhergelaufenen gemeinen Dieb lsst sie sich ein und gibt ihm ihr Wort ohne meine Erlaubnis. Aber ihr habtmich unterschtzt. Ich lass dich hinter den Mauern eines Klosters lebendig begraben, (zu Valre) und dubekommst eine Schlinge um den Hals und wirst an der hchsten Turmspitze aufgehngt, damit die Weltendlich von dem hinterhltigsten Dieb und niedertrchtigsten Verfhrer erlst ist.

    VALRE Ihre grundlose Rache wird mich niemals richten, denn bevor man mich verurteilt, wird man michanhren mssen.

    HARPAGON Mit baumelnden Beinen, mit gebrochenem Genick und heraushngender Zunge wird dichkeiner mehr hren knnen.

    LISE (fllt aufdie Knie) Lieber Herr Vater, ich flehe Sie an, bei allem, was mir heilig ist, seien Sie nicht sograusam zu ihm und lassen Sie sich von ihrem malosen Hass nicht so blenden, dass Sie ihn, den Sie sohassen, gar nicht mehr sehen. Denn htte er mich damals nicht gesehen, als ich in Lebensgefahr, schon nichtsmehr sehend, auf den Wellen trieb, und wre er nicht, um mich zu retten, ohne sich umzusehen, ins Wassergesprungen, und htte er nicht mit seinen starken Armen die Wellen geteilt, so wie ich es, die sich jetztkraftlos unter Wasser sah, noch nie gesehen habe, und wre er dann nicht, indem er beide Augen schloss,untergetaucht und htte blind, wie er jetzt war, mich nicht wieder nach oben gestoen, so dass ich michpltzlich wieder oben sah wie zuvor, auf der unbersehbaren blindwtenden See, und wre er dann nichtwieder aufgetaucht, um mich in seine starken Arme zu nehmen, und wre er dann mit mir nicht an Landgeschwommen, whrend meine Augen in seine Augen und seine Augen in meine Augen sahen, ich wre jetztlngst tot, und Sie htten Ihre Tochter nie mehr wieder gesehen, mein Herr Vater.

    HARPAGON All das ist ganz und gar unwichtig, und es wre fr mich viel besser gewesen, er htte dichsehenden Auges ertrinken lassen, als mir das anzutun, was er mir angetan hat.

    LISE Ich beschwre Ihre vterliche Liebe, Herr Vater.

    HARPAGON Ich will nichts mehr hren, das gerechte Schicksal nehme seinen gerechten Lauf.

    JACQUES (beiseite) Und die gerechte Sache hat doch gesiegt.

  • DJD-Theatergruppe 2003/04 Molire: Geiz, Liebe und Verschwendung Seite 34 von 46

    FROSINE (beiseite) Mit diesem Wirrwar kann selbst ich nichts anfangen.

    V. AKT - 5. SZENEAnselmo, Harpagon, Valre, Mariane, Elise, Frosine, Jacques, Kommissar

    ANSELMO Aber, aber, Signor Harpagon, was muss ich sehn, eine schne Frau auf Knien, was ist passiert?

    HARPAGON Signor Anselmo, ich bin am Boden zerstrt. Sie kommen und wollen mit mir den Ehevertragabschlieen und meine Tochter heiraten, und mich bringt man unterdessen um meinen Besitz und meine Ehre.Hier steht der Verrter, ein Verbrecher, der sich in meine Dienste schlich, um mir meine Tochter zu verfhrenund mein Geld zu stehlen.

    VALRE Ich habe weder verfhrt noch gestohlen, ich will heiraten.

    HARPAGON Sie haben einander die Ehe versprochen. Diese Beleidigung richtet sich auch gegen Sie, SignorAnselmo, bringen Sie die beiden vor Gericht, damit ihnen diese Frechheit ausgetrieben wird.

    ANSELMO O Mama mia, ich zwinge nie eine schne Frau gegen ihren Willen. Niemals! Ich bin keinBarbar. Ich bin ein Ehrenmann. Meine Ehre ist mein Leben, Signor Harpagon.

    HARPAGON Hier, Signor Anselmo, steht Kommissar aus Germania, molto corretto, alles schwarz auf weinotiert, welch ruchloser Gauner dieser Mann hier ist, der bis dato mein Diener war.

    VALRE Nun halten Sie mal den Mund, Sie Herr, Sie. Ich stamme aus Neapel, und ganz Neapel kannbezeugen, wer ich bin und was ich war.

    ANSELMO Attenzione, Attenzione, mein Herr! Was Sie sagen ist riskant, ich bin ein Neapolitaner, seien Sievorsichtig!

    VALRE Ich habe keine Angst. Wenn Sie aus Neapel sind, mssen Sie wissen, wer Don Tomaso d'Alburzziist.

    ANSELMO Don Tomaso d'Alburzzi? Dio mio, kein Mensch kennt Tomaso d'Alburzzi besser als ich.

    HARPAGON Zum Kuckuck, was geht uns dieser Tomaso an?

    VALRE Er hat mir mein Leben gegeben.

    ANSELMO Was, Tomaso d'Alburzzi hat Ihnen Ihr Leben gegeben?

    VALRE So ist es, Signor Tomaso d'Alburzzi war mein Vater, Signore.

    ANSELMO Finito! Finito! Sie sind ein Betrger.

    VALRE Hten Sie Ihre Zunge, einem d'Alburzzi geht nichts ber seine Ehre.

    ANSELMO Eine unglaubliche Impertinenza. Don Tomaso d'Alburzzi ist tot. Er und seine Familie sind beieinem Schiffsunglck ertrunken.

    VALRE Piano, piano, Signore, nehmen Sie zur Kenntnis, dass ich als sein damals siebenjhriger Sohn, mitseinem damals sechzigjhrigen Diener zwar Schiffbruch auf der Hhe von Cdiz erlitt und mutterseelenallein

  • DJD-Theatergruppe 2003/04 Molire: Geiz, Liebe und Verschwendung Seite 35 von 46

    mit dem alten ohnmchtigen Diener hilflos auf der unendlichen Weite des Atlantiks dahintrieb, bis uns nachacht Tagen, ohne zu essen und zu trinken, in glhender Hitze bei Tage und in eisiger Klte bei Nacht, derKapitn der spanischen Armada an Deck holte, und nehmen Sie weiter zur Kenntnis, dass meine gute armeMutter und meine liebe kleine Schwester bei demselben Schiffbruch mit an Sicherheit grenzenderWahrscheinlichkeit ein khles nasses Grab fanden, und dass Signor Tomaso d'Alburzzi nicht, wie Sie vorhinin Unkenntnis der Wahrheit behaupteten, bei eben diesem Schiffbruch mit seiner Familie ertrunken ist,sondern dass er, wie ich seit voriger Woche, Dienstag, mit Bestimmtheit wei, noch lebt.

    ANSELMO Haben Sie Beweise fr diese Historia Fantastica?

    VALRE Beweise? Der alte Diener, der morgen, Mittwoch, achtzig wird. Das Muttermal an meinemOberschenkel und die Narbe hier an meinem Hinterkopf, die ich mir holte, als ich mit Drei bei einemReiterspiel von den Knien meines Vaters rutschte und zu Boden fiel.

    MARIANE Alle drei Beweise sind fr mich Beweise, dass du mein Bruder bist.

    VALRE Und du, du bist meine Schwester?

    MARIANE Ja, mein lieber Bruder, meine arme Mutter hat mir immer wieder von dem Unglck unsererFamilie erzhlt. Ein Schutzengel hielt bei diesem furchtbaren Schiffbruch seine Hand ber uns. Wir wurdengerettet, aber wir verloren unsere Freiheit. Seeruber fischten uns aus dem Meer, nahmen uns zu sich auf ihrSchiff, wo wir gezwungen wurden, ihnen zu dienen. Nach zehn Jahren hatten sich die Piraten gegenseitig bisauf den letzten Mann umgebracht, und das Schiff, welches mit uns nun herrenlos auf den Weltmeeren ohnefesten Kurs umhertrieb, lief eines Nachts vor Neapel auf Grund. Nun waren wir zwar wieder zu Hause, aberunser Haus war zerstrt, unsere Besitzungen waren von den aufstndischen Horden niedergebrannt worden,von unserem Vater war jede Spur verwischt, darum gingen wir nach Genua, wo meine arme Mutter diearmseligen Reste einer bereits aufgeteilten Erbschaft retten wollte, aber vor der barbarischen Ungerechtigkeitunserer Verwandten flohen wir hierher, wo die leidgeprfte Frau seither ihr Leben in Siechtum verbringt.

    ANSELMO O meine Kinder, ich bin euer Vater, avanti, avanti, kommt an mein Herz.

    VALRE Sie, Herr, mein Vater?

    MARIANE Sie sind der, um den meine arme Mutter so viele Jahre weinte?

    ANSELMO Ja, Kinder, ich, Don Tomaso d'Alburzzi, euer Vater und der Mann eurer Mutter, ich konnte michdamals mit all unserem Geld retten, euch hielt ich fr tot. Ich war nun allein und heimatlos, denn zurck nachNeapel konnte ich nicht, ohne mein Leben zu riskieren. Nach jahrelanger Trauer und Einsamkeit wollte ichmir nun ein anstndiges einfaches Mdchen zur Frau nehmen und hier mit neuem Namen in einer neuenHeimat Glck und Ruhe finden.

    HARPAGON Ist der da Ihr Sohn?

    ANSELMO Ja, das ist er.

    HARPAGON Ich verlange, dass Sie mir die Hunderttausend zurckgeben, die er mir gestohlen hat.

    ANSELMO Er, euch bestohlen?

    HARPAGON Ja, das hat er, genau Einhunderttausend.

    VALRE Wer hat das gesagt?

    HARPAGON Der Koch oder der Kutscher.

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    VALRE Was hast du gesagt?

    JACQUES Wie Sie hren, sage ich gar nichts.

    HARPAGON Der Kommissar hat die Aussage zu Protokoll genommen.

    VALRE Und Sie halten mich einer so niedrigen Tat fr fhig?

    HARPAGON Fhig oder nicht fhig, ich will mein Geld wiederhaben.

    V. AKT - 6. SZENEClante, Harpagon, Mariane, Anselmo, Kommissar, Valre, lise, Frosine, Jacques, La Flche

    CLANTE Schreien Sie nicht so, Herr Vater, und beschuldigen Sie niemanden, Sie bekommen Ihr Geld nurdann zurck, wenn Sie mich Mariane heiraten lassen.

    HARPAGON Wo ist es, mein Geld?

    CLANTE Nur keine Angst, Herr Vater, es ist gut versteckt, Sie haben die Wahl, entweder ich kriegeMariane, oder Sie sehen Ihr Geld nie wieder.

    HARPAGON Ist noch alles da?

    CLANTE Auf Heller und Pfennig. Entscheiden Sie sich schnell, ob Sie, genauso wie Marianes Mutter, dieHeirat genehmigen wollen.

    MARIANE (zu Clante) Liebster Clante, es hat sich