Moment 39: 2014

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12 Süddeutsche Zeitung Magazin

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Marie Delhaes und Frederik Obermaier treffen den jungen Kemptener Erhan A.: Er bezeichnet sich offen als Anhänger des Islamischen Staats und will nach Syrien reisen, um dort zu kämpfen.

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  • 12 SddeutscheZeitungMagazin SddeutscheZeitungMagazin 13

  • I c h g l a u b , d a s s t e h tI r g e n d w o I m K o r a n

    ie Bilder haben die Welt aufgerttelt: blutber-strmte Leichen, festgebunden an Holzkreuzen,

    ausgestellt in einem Kreisverkehr; dazu abgetrennte Kpfe, aufgespiet und ausgestellt. Es sind Bilder aus dem Reich des Islamischen Staats (IS), jener Terrorgruppe, die vor einigen Wochen von Syrien aus in den Irak einmarschiert ist, Armee-posten berrannt und mittlerweile das Kalifat ausgerufen hat: eine Diktatur im Namen Allahs. Ihre Anhnger morden, foltern und vergewaltigen, fast zwei Millionen Menschen sind mittlerweile auf der Flucht, mehr als tausend Menschen soll der Islamische Staat bereits gettet haben.

    Insgesamt, schtzen Experten, besteht die Miliz des Is-lamischen Staats aus mindestens 20 000 Kmpfern. Die Gotteskrieger kommen aus ber 80 Lndern auch aus Deutschland. Mehr als 400 Mnner und auch einige Frauen sollen bereits in Richtung Syrien und Irak ausgereist sein, in Islamistenkreisen wird behauptet, es seien noch mehr. Manche von ihnen tauchen bald nach ihrer Ausreise in Pro-pagandavideos auf. Die meisten jedoch bleiben der ffent-lichkeit unbekannt. Wenn berhaupt, hrt man von ihnen erst, wenn sie tot sind.

    Was bringt junge Menschen, die hier aufgewachsen sind, dazu, sich einer radikalen Terrormiliz zuzuwenden? Was be-wegt sie dazu, ihre Familien zu verlassen, um nach Syrien zu gehen, in den Irak, zum Islamischen Staat? Handelt es sich

    wirklich nur um labile Halbstarke, um Randalierer, Trumer, die sich auf Sinnsuche befinden und von den simplen Bot-schaften der Islamisten tuschen lassen, von den Parolen des gemeinsamen Kampfes gegen die Gottlosen?

    Das SZ-Magazin hat sich auf die Suche nach Antworten gemacht: bei Islamisten auf dem Absprung. Bei denjenigen also, die noch in Deutschland sind, aber womglich schon in ein paar Tagen in Richtung Syrien oder Irak aufbrechen werden. Im Internet auf Facebook, Twitter, Instagram und Ask.fm sind wir in Kontakt mit einigen Mnnern gekom-men, die keinen Hehl daraus machen, dass sie mit dem Isla-mischen Staat sympathisieren, der Organisation, die der Innenminister Thomas de Maizire gerade verboten hat. Die Unterhaltungen gehen ber Tage und Wochen. Mehrmals sind Treffen geplant, dann bricht der Kontakt wieder ab: Die Mnner haben es sich anders berlegt. In einigen Fllen erfahren wir, dass unsere Gesprchspartner Deutschland in-zwischen verlassen haben, in Richtung Syrien oder Irak.

    Im Januar schlielich stoen wir auf die Facebook-Seite eines jungen Mannes. Er nennt sich Abdul Aziz. Auf sei-nem Profilbild posiert er vermummt, Osama bin Laden ist sein Vorbild. Einer seiner Eintrge zeigt das Bild eines blut-verschmierten Mannes. Er sieht jung aus, ist fast noch ein Kind. Unter das Bild hat Abdul Aziz, der in Wirklich- keit Erhan A. heit, wie wir spter erfahren, geschrieben:

    d

    SddeutscheZeitungMagazin 15

    Auf seiner Mtze und seinem Pullover trgt Erhan A. das Glaubensbekenntnis des Islam: Es gibt keinen Gott auer

    Gott, und Mohammed ist der Gesandte

    Gottes.

    Warum schneiden die Kmpfer desIslamischen Staats ihren Gegnern die Kpfe ab?

    Auch aus Deutschland ziehen junge Menschen fr die Terrormiliz IS in den Krieg. Warum? Wir haben

    mit einem von ihnen gesprochen

    TextMarie DelhaeS unDFreDerik OberMaier

    FotosMaTThiaS Z iegler

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    Inshallah fliegst du gerade als grner Vogel umher da-hinter ein Smiley. Es ist der letzte Gru von Erhan A. an seinen besten Freund, der wenige Tage zuvor in Syrien ge-ttet wurde. Im Kampf fr den Islamischen Staat.

    Wir kontaktieren Erhan A. und erfahren, dass er selbst schon auf dem Weg nach Syrien war. Er willigt ein, mit uns zu sprechen. Der junge Islamist lebt in Kempten: 65 000 Einwohner, mehr als ein Dutzend Kirchen, drei Moscheen, bayerische Provinz. In der Nhe des Bahnhofs treffen wir einen ruhigen, fast schchternen jungen Mann. Er trgt einen Kapuzenpulli, schwarz, mit weier Aufschrift: das is-lamische Glaubensbekenntnis, dazu der Siegelring des Pro-pheten Mohammed. Es ist das inzwischen verbotene Logo des Islamischen Staates.

    Erhan A. ist 22 Jahre alt. Er kam in der Trkei auf die Welt. Als er zwei Jahre alt war, kam er mit seinen Eltern nach Deutschland, ins Allgu. Hier besuchte er die Fach-oberschule, macht das Abitur, fing ein Wirtschaftsinforma-tik-Studium an. Seine Eltern sind Muslime; sie wrden sa-gen, ihr Sohn auch. Doch Erhan erzhlt immer wieder da-von, wie er vor einigen Jahren konvertiert sei. Zuvor sei er kein echter Muslim gewesen, schlielich habe er sogar Schweinefleisch gegessen. Ich habe einen Euro-Fake-Islam gelebt, so wie meine Eltern. Er aber wollte mehr, sagt er. Er begann den Koran zu lesen, betete fnfmal am Tag, ging in die Moschee. Er lie seinen Bart wachsen, manchmal ging er sogar mit Turban in die Schule.

    Sie wurden von heute auf morgen ein strengglubiger Muslim, einer, der den Koran wrtlich auslegt. Wie haben Ihre Mitschler reagiert?

    Die haben nur einmal gefragt, warum ich das mache. Ich habe ihnen vom Koran erzhlt. Damit war die Sache erle-digt. Von diesen Andersglubigen htte ich mehr Kritik erwartet. Aber die waren toleranter als die Muslime. Aus allein drei Moscheegemeinden in Kempten haben sie mich und meine Freunde rausgeschmissen. Die wollten uns nicht dort haben.

    Warum nicht? Sie meinten, wir seien Wahhabiten, Salafisten, Radikale. Die hatten auch was gegen meinen Bart. Sie meinten, dass ich ihn krzen soll. Ich habe dann gesagt: Nein, der Bart ist Pflicht, so steht es im Koran. Damit fing das Ganze an. Wir haben stndig diskutiert. Wir haben die anderen Leute in der Moschee auf ihre Fehler hingewiesen. Aber sie wollten es nicht verstehen. Das war uns auch egal. Im Koran steht, dass man Gegenwehr bekommt. Das hat uns gerade best-tigt, dass es richtig ist, was wir tun.

    Auf was fr Fehler?So Kleinigkeiten. Sie praktizieren den Islam einfach nicht richtig, sie beten falsch, und auerdem lehnen sie die De-mokratie nicht ab. Demokratie und Islam, das ist wie Feuer und Wasser. Es ist nicht miteinander vereinbar.

    Was haben Ihre Eltern gesagt?Die sind wie alle anderen, die sind gegen mich.

    Hat Ihnen das nicht zu denken gegeben? Ihre Eltern sind immerhin auch Muslime.

    Mein Vater nicht. Der betet nicht mal. Meine Mutter betet noch, aber sie hat ein falsches Verstndnis vom Islam. Sie versucht, die Wrter im Koran umzudrehen und umzudeu-ten. Ich mache genau das, was im Koran steht, und nur das ist richtig, Punkt.

    Erhan A. ist nervs. Er schaut sich immer wieder um, er sucht die verdchtigen Autos, die ihm in den vergangenen Wochen aufgefallen sind. Die Mnner, die darin saen, waren Ge-heimdienstler oder Polizisten, vermutet er. Wir gehen also herunter an den Fluss Iller, der Kempten in zwei Teile teilt. Hier betet Erhan A. regelmig, seit er nicht mehr in die Moscheen darf. Alle paar Minuten kommen Spaziergnger vorbei, sie drehen sich um, tuscheln. In Kempten kennt man Erhan A., den Islamisten. In der Lokalzeitung war zuletzt viel ber ihn und seine Freunde zu lesen. Vom Gotteskrieger aus Kempten war die Rede, gemeint war David G. der beste Freund von Erhan A. Er ist vor einigen Monaten nach Syrien ausgereist, um fr den Islamischen Staat zu kmpfen.

    Nun ist es ja ein Unterschied, ob man streng nach dem Koran lebt oder ob man nach Syrien geht, um sich einer islamistischen Gruppe anzuschlieen.

    Ja, das wollten wir am Anfang auch berhaupt nicht. Wir haben das nur beobachtet. Wir haben uns Nachrichten an-geschaut, ARD und ZDF und so, aber uns war schnell klar: Da wird nur Scheie berichtet. Da haben wir uns dann im Internet Videos angeguckt.

    Welche Videos?Von Leuten, die dort sind. Wir haben geschaut, welche Gruppierungen islamisch korrekt sind, welche der isla-mischen Ideologie entsprechen, und fr die waren wir dann.

    Fr den Islamischen Staat?Ja. Und fr Al-Qaida. Ich habe frher schlecht ber Al-Qaida gedacht. Ich habe auch gedacht: Das sind Terroristen.

    Sind sie das etwa nicht?Nein.

    Und was ist mit dem 11. September?Ich dachte frher auch, dass das Al-Qaida war. Jetzt wei ich, dass wir das nicht waren.

    Wer war es dann?Es waren die Amerikaner selbst.

    Wie so viele Radikale hat Erhan A. die Verschwrungs-theorien, die zum 11. September 2001 kursieren, als unum-stliche Wahrheit bernommen. Wir kommen auf David G. zu sprechen, seinen Freund, sein Vorbild. Er sei es ge-wesen, erzhlt A., der eine kleine Gruppe Kemptener Radi-kaler um sich geschart habe. David G. habe ihn berhaupt erst auf die Idee gebracht, sich dem Islamischen Staat anzu-schlieen.

    Im September 2013 fuhr David G. mit dem Zug in die Trkei. Es war die bliche Reiseroute fr angehende Dschi-hadisten aus dem Westen. Einmal in der trkischen Haupt-stadt Istanbul angekommen, ist es nicht mehr weit nach Syrien. Regelmig fahren Busse zur Grenze. Auerdem

    gehen fast tglich Flge in die grenznahen Stdte Hatay, Gaziantep und Urfa. Die Flieger haben in der Szene bereits einen eigenen Spitznamen: Dschihad-Express.

    Wann haben Sie das nchste Mal von David G. gehrt?

    Wir hatten uns verabschiedet, und eine Woche danach be-kam ich einen Anruf. Von einer trkischen Nummer. Ich wollte erst gar nicht rangehen, hab es dann aber doch ge-macht. David war dran. Da fragte ich: Hey, cool, wie hast du denn das gemacht? Er so: Egal.

    Ein paar Tage spter ist er ber die Grenze nach Syrien gelangt. Wie sind Sie in Kontakt geblieben?

    bers Internet, Facebook und so. Hatten Sie das Gefhl, dass es ihm gut geht?

    Ja, klar. Man lebt da unten gut. Die haben einfach alles: Laptops, Waffen, Knabberzeugs. Voll der Luxus. Ich habe ja die Bilder von David gesehen, wie er mit anderen chillt.

    Auf einem dieser Bilder trgt er ein TShirt von AlQaida. Einige Zeitungen haben es gedruckt.

    Ja, ich fand das voll cool. Ganz Kempten hat darber ge-redet, eigentlich ganz Deutschland. So was hatte sich ja vor-her niemand getraut. Ich habe das Bild gesehen und mir gedacht: Der steht echt dazu.

    Wie oft haben Sie mit David G. gesprochen?Einmal die Woche haben wir geschrieben. Irgendwann hab ich ihm dann gesagt, dass ich auch komme. Und er so: Ey, cool.

    Freundschaften sind nach Einschtzung der deutschen Sicherheitsbehrden der wichtigste Radikalisierungsfaktor in der Dschihadistenszene, wichtiger noch als islamistische Videos und Foren im Internet oder radikale Propagandisten in Moscheen.

    Erhan A. schildert, er sei nur zwei Monate nach seinem Freund David G. in Richtung Krieg aufgebrochen. Mit dem Zug fuhr er ber sterreich, Slowenien und Bulgarien in die Trkei. Drei Tage war er unterwegs, dann kam er in Kayseri an, einer Millionenstadt in der Provinz Kappa-dokien. Von hier stammen seine Eltern, hier kam er bei seinem Onkel unter und bereitete seine Weiterreise nach Syrien vor.

    Es vergeht kein Tag ohne Horrornachrichten aus dem Irak und Syrien. Die Welt hat Angst. Ausgerechnet dieser Gruppe wollten Sie sich anschlieen. Warum?

    Der Islam ist die einzig wahre Religion. Weltweit haben wir leider keinen einzigen echten islamischen Staat. Nur Staaten wie die Trkei, wo so ein Euro-Fake-Islam gelebt wird. IS will aber einen echten islamischen Staat, einen, wo der Koran auch so gelebt wird, wie es Allah will. Und IS ist auf dem besten Weg, das auch zu schaffen.

    Mit brutalsten Mitteln.Ich wei nicht, wo da die Brutalitt wre.

    Leute, die sich dem IS nicht beugen, werden gekreuzigt, gesteinigt und gekpft.

    SddeutscheZeitungMagazin 17

    Bagdad

    Al D iwaniya

    Fal ludscha

    Haditha

    Al Bukamal

    s a u d i - a r a b i e n

    j o r d a n i e n

    i r a n

    i r a k

    s y r i e n

    t r k e i

    L i b a n o n

    Al Hasakah

    Ar RaqqahAleppo

    Latak ia

    Tar tusHoms

    Palmyra

    Damaskus

    As-Suwaida

    MossulErb i l

    Die schraffierten Gebiete im Irak und in Syrien werden von den Milizen der Terrorgruppe Islamischer Staat kontrolliert.

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    Ich befrworte nicht alles, was die Gruppe macht. Aber im Koran steht nun mal, dass wir diejenigen bekmpfen sollen, die uns bekmpfen. Wenn auf uns geballert wird, dann kn-nen wir ja nicht einfach dastehen und sagen: Ja, macht es doch halt! Wir mssen uns wehren. Wenn man fr eine gute Sache ttet, ist das legitim.

    Ist es in Ihren Augen auch legitim, Journalisten zu kpfen?

    Ich habe gehrt, das waren Spione. Also Feinde. Und die darf man tten. Wenn Allah sagt, es ist erlaubt, solche Men-schen zu tten, dann wrde ich das auch machen. Ich folge seinen Gesetzen blind.

    Wrden Sie auch gefesselte Mnner erschieen? Auf Dutzenden ISVideos im Internet ist genau das zu sehen.

    Das waren Kriegsgefangene, die darf man tten, die haben auf unsere Leute geschossen.

    Und was ist mit Zivilisten?Denen passiert nichts. Unschuldige zu tten ist gegen den Islam.

    IS hat auf seinem Vormarsch schon Hunderte Menschen gettet. Wie passt das zusammen?

    Ich kann nicht fr die ganze Gruppe sprechen. Es gibt si-cher immer wieder Einzelne, die Fehler machen. Aber wenn sich Zivilisten dem Islamischen Staat beugen, wird ihnen nichts passieren. Auch Christen und Juden knnen bri-gens weiterleben. Sie mssen sich halt an die islamischen Gesetze halten und Steuern zahlen, quasi ein Schutzgeld. Wenn sie dazu aber nicht bereit sind, dann werden sie auch gettet. Ich wrde sogar meine Familie tten, wenn sie sich gegen den Islamischen Staat stellt.

    Human Rights Watch und Amnesty International berichten von zahlreichen Massakern durch den Islamischen Staat. A. teilt sich seine Welt in Freund oder Feind, erlaubt oder verboten, halal oder haram. Er beruft sich auf den Koran. Dort steht in Sure 4, Vers 92: Ein Glubiger darf keinen Glubigen tten. Dennoch findet es A. in Ordnung, wenn der Islamische Staat andere Muslime ttet. Jene namhaften Imame, die sich gegen den Islamischen Staat stellen und ihn in einer Fatwa verdammt haben, oder die wie jngst in Grobritannien erklren, es sei religis verboten, dem Islamischen Staat beizutreten die seien blo wirre alte Mnner.

    Als Sie in der Trkei waren, starb Ihr Freund David. Wie haben Sie von seinem Tod erfahren?

    Ein gemeinsamer Freund, der auch in Syrien ist, hat es mir geschrieben.

    Waren Sie traurig?Am Anfang. Aber ich habe ihn auch ein bisschen beneidet.

    Warum?Ja, ich wei ja, wo er jetzt ist.

    Sie meinen, dass er sich jetzt im Paradies mit 72 Jungfrauen vergngt und vor Bchen voll Wein sitzt?

    Ach, die Frauen und der Wein, das sind nur kleine Details. Man kmpft aber doch nicht fr ein paar Frauen, darum geht es nicht. Damit wird das Ganze immer lcherlich gemacht. Dann heit es wieder, wir sprengen uns fr ein paar Frauen in die Luft. Um ehrlich zu sein: Wenn es nur die Frauen gbe, wrde ich es nicht machen. Ich mache es fr Allah.

    Wissen Sie, wie Ihr Freund David gestorben ist?Er starb im Kampf, in der Nhe von Aleppo. Er wurde in die Schulter geschossen. Er lie sich verarzten und hat gleich weitergekmpft. Dann wurde er in die Hand geschos-sen. Er lie sich wieder verarzten und machte weiter. Dann wurde er noch mal getroffen und ist halt irgendwann zu Boden gegangen.

    Hat Sie der Anblick von Davids Leiche schockiert?Nein. Mir war ja von Anfang an klar, dass er nicht mehr zurckkommt. Nachdem ich gesehen habe, was mit ihm passiert ist, wollte ich erst recht gehen. Das hat mir so einen richtigen Schub gegeben.

    Haben Sie Ihrer Familie erzhlt, was Sie vorhaben?Nein, nicht einmal meine Freunde hier in Kempten wussten was. Meine Eltern haben es aber wohl geahnt. Sie haben mir Hunderte Nachrichten geschrieben und versucht, mich an-zurufen. Ich habe nicht reagiert. Aber dann haben sie mei-nen Onkel in der Trkei angerufen, bei dem ich damals untergekommen bin.

    Wie hat er reagiert?Er wollte mich aufhalten. Aber irgendwann hat er aufgege-ben.

    Wie haben Sie den Kontakt zu den Islamisten in Syrien hergestellt?

    Ich hatte Telefonnummern von David bekommen. Die muss-te ich nur anrufen, und dann haben die das klargemacht.

    Das hrt sich an wie ein Reisebro.So in etwa. Sie haben mir gesagt, dass ich in die Stadt Hatay fahren soll, und da wrden dann schon Leute warten, die mich ber die Grenze bringen.

    Hatten Sie keine Bedenken, dass es sich um eine Falle handelt?

    Ich kannte die Leute ja, mit denen ich telefoniert habe. Waren das Leute aus Deutschland?

    Teilweise. Aus Dinslaken?

    Dazu sage ich jetzt nichts.Jetzt sitzen Sie aber hier in Kempten, nicht in Aleppo. Was ist passiert?

    In Hatay musste ich nur noch in den Bus steigen. An der Bushaltestelle waren dann aber pltzlich berall Polizisten. Da dachte ich mir: Okay, wenn ich da jetzt nicht einsteige, dann knnen sie mir auch nichts anhaben. Und dann bin ich halt wieder zurckgegangen zu meinem Onkel. Ich wur-de gezwungen, mir meinen Bart abzuschneiden. Alle mein-ten, damit sei ich entradikalisiert. Aber insgeheim habe ich mir geschworen, dass ich noch krasser werde.

    Offenbar waren es Islamisten aus Dinslaken, die A.s Reise in den Dschihad organisiert haben. Dinslaken, eine nord-

    Erhan A. in einem Waldstck nahe

    Kempten. Er und seine Freunde rekrurierten stndig neue Mitstrei-ter im Kampf gegen die Unglubigen, sagt er. Vor wenigen Tage erst htten sie ein Mdchen berredet, zum Islam zu konver-

    tieren.

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    rhein-westflische Stadt am Niederrhein, hat sich in den vergangenen Jahren zum Zentrum junger Islamisten entwi-ckelt. Mehrere junge Mnner sind bereits nach Syrien ge-reist, wo sie als Lohberger Brigade nach dem gleichna-migen Dinslakener Stadtteil bekannt wurden. Regelmig tauchen sie seither in Propagandavideos auf. Auch Erhan A., das wird schnell klar, hat Kontakt zu mehreren Mnnern in Dinslaken. Er will jedoch nicht darber sprechen. Sich in Deutschland fr den Islamischen Staat zu engagieren, ist seit September illegal. Nur ber jene Dinslakener, die be-reits in Syrien sind und die deutsche Polizei nicht mehr frchten mssen, knne man reden, sagt er.

    Ein Dinslakener wurde bekannt, weil er auf einem Foto mit mehreren abgeschlagenen Kpfen posiert und in die Kamera gegrinst hat. Kennen Sie ihn?

    Ja, das ist Mustafa. Ich chatte regelmig mit ihm. Der ist sehr nett, hat eine angenehme Stimme.

    Wissen Sie, ob er es war, der die Mnner gekpft hat?

    Das wei ich nicht. Aber ich denk mal, dass er es war. Finden Sie das gut?

    Ja. Das waren Assad-Leute, es war also legitim, sie zu tten. Ob man dann auch noch mit den Kpfen rumposen muss, das ist wieder eine andere Sache. Das htte ich nicht ge-macht.

    Warum schneiden die Kmpfer des IS ihren Gegnern die Kpfe ab?

    Ich glaub, das steht irgendwo im Koran. Und ob man die Feinde abknallt oder kpft, ist doch egal. Tot ist tot. Es geht nur darum, dass sie nicht leiden. Selbst die schlimmsten Feinde drfen wir nicht qulen, so will es der Koran.

    Ein anderer Mann aus Dinslaken hat sich im Juli bei einem Selbstmordanschlag in die Luft gesprengt.

    Ja, das war Philipp, mit dem hab ich auch oft telefoniert. Es wird erzhlt, dass er sich freiwillig gemeldet hat, weil er eh schon verletzt war und nicht mehr reden konnte. Aber ich denke, dass er einfach den Islam voranbringen woll- te und sich fr Allah geopfert hat. Er htte sich sicher auch bereit erklrt, wenn er nicht angeschossen gewesen wre.

    Wrden Sie so was auch machen?Nein, das wrde ich mich nicht trauen.

    Mindestens fnf Mnner aus Deutschland haben sich in den vergangenen Monaten in Syrien und Irak in die Luft gesprengt. Dutzende Menschen starben. Die deutschen Dschihad-Reisenden wrden als Kanonenfutter regel-recht verheizt, berichten Verfassungsschtzer. Klar ist: Der Krieg ist anders, als es ihn sich viele Dschihad-Abenteurer ertrumt haben. Mehrere britische Dschihadisten schrieben jngst aus Syrien: Wir sind gekommen, um das syrische Regime zu bekmpfen, doch stattdessen wrden sich die Rebellengruppen hauptschlich untereinander bekriegen. Wir werden gerade gezwungen zu kmpfen. Jeder dritte Dschihad-Reisende aus Deutschland soll mittlerweile wieder in die Bundesrepublik zurckgekehrt sein. Voller Hass auf den Westen oder frustriert vom Dschihad? Das wei niemand. Dem ersten IS-Rckkehrer wird seit einigen Tagen in Frankfurt der Prozess gemacht. Mindestens zwei deutsche Islamisten hingegen sollen von ihren eigenen Gefhrten gefangen genommen worden sein, weil sie sich auf die Rckreise machen wollten. Denn wer sich vom IS abwendet, gilt als Verrter.

    IS kontrolliert mittlerweile groe Teile Syriens und des Irak. Glauben Sie, dass der Vormarsch noch weitergeht?

    Als Nchstes kommt hoffentlich die Trkei. Wenn die Tr-ken sich nicht widersetzen, wird die Scharia eingefhrt. Ohne Stress und ohne Killen. Und dann geht es weiter ins nchste Land.

    Auch Deutschland?Ja, klar. In zwanzig, dreiig Jahren haben wir das geschafft. Wir kmpfen so lange, bis der ganze Planet islamisch ist.

    Und dann? Erst mal wird der Islam zur Staatsreligion gemacht. Dann kommt berall unsere Flagge hin. Und die Polizeiautos ma-chen wir schwarz statt grn. Sonst wrde alles so bleiben. Christen und Juden drfen ja ihre Religion hier weiter- leben. Sie mssten halt eine Steuer zahlen. Und natrlich mssen sie sich an unsere Gesetze halten. Frauen ohne Schleier, das ist zum Beispiel ein No-Go.

    Die Idee einer Islamrepublik Deutschland gefllt Erhan A. Er redet sich in Fahrt, immer neue Ideen kommen ihm. Unverschleierte Frauen zum Beispiel knne man knftig von einer Art Scharia-Polizei nach Hause bringen lassen und richtig anziehen. Auch die Mnner mssten sich an-passen, weite Hosen anziehen, die auf jeden Fall ber dem Knchel enden. So wie einst beim Propheten Mohammed. Dass seine eigene Hose fast schon auf dem Boden schleift, fllt ihm offenbar nicht auf. Er redet weiter, fantasiert da-von, dass man alle Homosexuellen umbringen knnte. Ir-gendwann, wenn in Deutschland der Islamische Staat herr-sche. Aber man solle ihn nicht falsch verstehen, sagt Erhan A.: Er wrde nie mit Absicht gegen ein Gesetz verstoen zumindest nicht in diesem Land.

    Einen Tag nach Ihrer Rckkehr aus der Trkei nach Deutschland, nach Ihrem missglckten Einreiseversuch nach Syrien, stand die Polizei vor Ihrer Tr. Was wollten die Beamten?

    Die haben meinen Pass einkassiert. Seitdem muss ich mich zweimal pro Woche bei der Polizei melden. Vor ein paar Wochen habe ich dann auch noch einen Platzverweis fr die Allguer Festwoche bekommen, die hatten Angst, dass ich ein Attentat begehe. Die Festwoche ist ein Volksfest, so eine Art kleines Oktoberfest. Mit Musik, Frauen und Alko-hol. Das widert mich an. Aber ein Attentat? Das htte ich echt nicht gemacht.

    Haben Sie noch Kontakt zu Ihren Freunden in Syrien?

    Ja klar, wir haben eine Whats-App-Gruppe, Dawla al-Isla-miya, also Islamischer Staat, heit die. Da sind ungefhr 50

    Leute drin. Etwa ein Drittel ist schon in Syrien oder dem Irak, der Rest berlegt, bald nachzukommen.

    Worber unterhalten Sie sich? ber alles, was zum Islam gehrt. Die Leute, die schon an-gekommen sind, erzhlen halt, was so passiert. Wo zum Beispiel eine Bombe eingeschlagen ist, wer gestorben ist.

    Unterhalten Sie sich auch darber, wer als Nchstes nach Syrien geht?

    Nein, darber sprechen wir aus Sicherheitsgrnden nicht. Politiker und Experten rtseln, wie man deutsche Islamisten davon abhalten knnte, nach Syrien zu gehen. Wie knnte man Sie aufhalten?

    Das knnen sie nicht. Das haben die Behrden jetzt auch eingesehen. Meinen Pass jedenfalls habe ich vor ein paar Tagen wieder zurckbekommen. Jetzt werde ich erst mal fr ein paar Wochen in den Urlaub fahren.

    Wirklich nur in den Urlaub? Oder doch nach Syrien?

    Mal schauen.

    Der SZ-Redakteur im Ressort Investigative Recherche hat sich zu-sammen mit Reportern des WDR-Magazins Monitor auf die Suche nach deutschen IS-Anhngern gemacht. Den Kemptener Dschiha-disten Erhan A. traf er zusammen mit Marie Delhaes. Sie recher-chiert schon seit Jahren in der deutschen Islamisten-Szene. Um ihre Arbeit nicht zu gefhrden, schreibt sie unter Pseudonym.

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    David G. (rechts), radikaler Islamist aus Kempten und Freund von Erhan A., prsentiert sich auf seiner Internet-seite. G. starb Mitte Januar mit 19 Jahren bei Ge-fechten in Syrien.

    Fotos: M

    atthias Ziegler/soo

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    ade; Seite 18: Rex

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    tures/Ullstein Bild

    FreDerik OberMaier unDMarie DelhaeS