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Unverhüllt wird uns das Bild der Griechen-Heroen gezeigt, dieser sehrmenschlichen Halbgötter. Aus den Liebesverbindungen von Götternund Menschen hervorgegangen, wurden sie zu Leitbildern der Antike,und bis zu heutigen Zeiten verbinden sich ihre Namen mit Ereignissender klassischen Geschichte. Der Trojanische Krieg, die Irrfahrten desOdysseus, die Taten des Herakles blieben im Gedächtnis der Nachle-benden. »Nicht die Welt der Götter, doch eine ganze Welt wird sichhier auftun, uns bald heimatlich anmutend, bald befremdend, und vondieser Seite her betrachtet, vielleicht zum erstenmal: eine Welt zwi-schen der Mündung des Guadalquivir und dem Kaukasus, von einerDauer, etwa seit i Soo vor Christus, von mindestens zweitausend Jah-ren, die den Glanz großer Götter und Göttinnen in den Gestalten ihrerals Heroen verehrten Söhne getragen hat.«

Karl Kerényi, geb. i897 in Ternesvár, gest. 1973 in Zürich, studierteklassische Philologie in Budapest und an verschiedenen deutschenUniversitäten. Ab 1936 war er Professor für Religionswissenschaftenin P&s (Fünfkirchen), ab 1941 in Szeged. Er emigrierte 1943 in dieSchweiz, wurde 1944 Gastprofessor in Basel und ab 1948 Forschungs-leiter am C. G. Jung-Institut in Zürich.Zahlreiche Veröffentlichungen, vor allem zur griechischen Mytholo-gie, u. a.: >Einführung in das Wesen der Mythologie< (mit C. G. Jung,1 94 1 ), >Hermes der Seelenführer> (1944), >Prometheus< (1946), >Dieantike Religion> (1952), >Apollon< (19 S 3 ), >Umgang mit Göttlichem<(r9 S S )> >Griechische Miniaturen> (19 S 7), >Gespräch in Briefen< (mitThomas Mann, 196o), >Die Mysterien von Eleusis< (1962), >Die Reli-gion der Griechen und Römer> (1963), >Humanistische Seelenfor-schung< (1966), >Auf den Spuren des Mythos< (1967), >Tage- und Wan-derbücher> (1968), >Antike Religionen „ ( 197 i ), >Dionysos< (1976) und>Apollon und Niobe< (198o).

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Karl Kerényi

Die Mythologie der Griechen

Band 2Die Heroen-Geschichten

Deutscher Taschenbuch Verlag

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Von Karl Kerényisind im Deutschen Taschenbuch Verlag erschienen:

Die Mythologie der GriechenBand I: Die Götter- und Menschheitsgeschichten (30030)

Band II: Die Heroen-Geschichten (3003 1)

Ungekürzte Ausgabei . Auflage Dezember 1960

21. Auflage November 2004

Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG,München

www.dtv.deDas Werk ist urheberrechtlich geschützt.

Sämtliche, auch auszugsweise Verwertungen bleiben vorbehalten.© J. G. Cotta'sche Buchhandlung Nachfolger GmbH,

gegr. 1659, StuttgartUmschlagkonzept: Balk & Brumshagen

Umschlagbild: Vasenbild >Achilleus und Penthesilea< um 5 2 S v. Chr.Gesamtherstellung: Druckerei C. H. Beck, NördlingenGedruckt auf säurefreiem, chlorfrei gebleichtem Papier

Printed in Germany • ISBN 3-423-30031-0

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Den kommenden Dichtern

Denn der Boden Zeugt sie wiederJVie von je er sie gezeugt.

Faust II, III 3

Der Mythos ist eine allgemeine Voraussetzung des griechischen Daseins.Die ganze Kultur samt allem Tun und Lassen war noch die alte, ursprüng-liche, nur allmählich weiter gebildet. Von Zahlreichen Formen des Lebenskannte man noch den mythischen und heiligen Ursprung und fühlte sich dem-selben sehr nahe. Das ganze griechische Menschengeschlecht hielt sich für denErben und Rechtsnachfolger der HeroenZeit; erlittenes Unrecht aus der Urzeitwird noch spät vergolten; Herodot beginnt seineErZählung vom großen Kampfdes Westens und Ostens mit der Entführung der Io, und der Perserkrieg isteine Fortsetzung des trojanischen.

Jacob Burckhardt, Griechische Kulturgeschichte

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Vorwort

Das Buch, das ich hier vorlege, ist wiederum zu voll des Stoffes,mehr noch, als meine >Mythologie der Griechen<* es war. Es setztwohl die Erzählung jenes gelehrten Inselgriechen unserer Zeit fort,in dessen Mund die Göttergeschichten gegeben wurden, und ergänztsie an allen Stellen, wo jene in die Heroengeschichten mündete. Aberein umgekehrter Weg wäre ebenso möglich: von den schwerenSchicksalen dieser Halbgötter und oft um so mehr leidenden Men-schen auszugehen und von da her zum spielerischen Sein der leicht-lebenden Götter vorzudringen. Nicht die Welt der Götter, doch eineganze Welt wird sich hier auftun, uns bald heimatlich anmutend,bald befremdend und, von dieser Seite her betrachtet, vielleicht zumerstenmal: eine Welt zwischen der Mündung des Guadalquivir unddem Kaukasus, von einer Dauer, etwa seit 1500 vor Christus, vonmindestens zweitausend Jahren, die den Glanz großer Götter undGöttinnen in den Gestalten ihrer als Heroen verehrten Söhne ge-tragen hat.

Es ist ein Stück jener Geschichte, die wir, im Sinne einer unsereFähigkeiten zur Erinnerung und zur Aufnahme bestimmenden, ge-meinsamen Erbschaft, »unsere Geschichte« nennen dürfen. AufGrund der Erfahrungen der Psychologie bezweifle ich, daß es mög-lich wäre, solch ein Stück Geschichte völlig auszuschalten. Und alsHistoriker würde ich es für eine Verfälschung des Gesamtbildes derMenschheitsgeschichte halten, wenn man das Wissen darum unter-drücken wollte. Daß ich es hier in einer endgültigen Form dargestellthabe, glaube ich am wenigsten. Daher die Widmung an die kom-menden Dichter: sie sollen das einmal als geistige Wirklichkeit Da-gewesene, das in die Literatur- und Religionsgeschichte Europasgehört, in eine gültigere neue Form überführen, als es einem Werkder Altertumswissenschaft möglich ist.

Dieses Buch will nicht der Verschönerung dienen — das taten dieso lange den Träumen der Jugend entsprechenden >Schönsten Sagendes klassischen Altertums< von Gustav Schwab oder wie immersolche Darstellungen in anderen Sprachen hießen —, und es hütetsich vor dem Verdecken der in ihrer Wesenhaftigkeit leuchtendenÜberlieferung der Antike. Eine Verdeckung des Überlieferten kannauch durch ehrlich gemeinte Wissenschaftlichkeit zustande kom-men : durch ein berechtigtes Wissenwollen, das seine durch dieÜberlieferung selbst gesetzten Grenzen nicht erkennt. Das Wissen-wollen kann sich auf das Gegebene richten, auf Einzelheiten undZusammenhänge, die durch Funde und Entzifferungen täglich er-weitert werden können; es kann versuchen, das Ganze geistig zu

* Titel der dtv-Ausgabe: Die Mythologie der Griechen. Band t: Die Götter- und Mensch-heitsgeschichten.

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durchleuchten und zu beleben, und dann darf es den Anspruch aufden Namen »Wissenschaft« mit vollem Recht erheben. Es erliegtindessen allzuoft der Versuchung, beantworten zu wollen, wie dasGegebene entstanden ist, und hier stößt es meistens auf Unwißbares.Denn selten ist der Gang einer Entstehung überliefert. Ganz beson-ders gilt dies vom Stoff der Götter- und Heroengeschichten.

Er ist in Texten und Kunstdenkmälern überliefert. Die Beschäf-tigung mit der Geschichte dieser Formen der Überlieferung ist wich-tig für das Erkennen dessen, was eigentlich gegeben ist. Sie bedeutetaber eine mächtige Ablenkung vom Gegebenen selbst, in der Rich-tung von Ursprungshypothesen und Rekonstruktionen verlorenerWerke, zu Ausführungen, die sich im Grunde doch auf Unwißbaresbeziehen. Solche Hypothesen und Rekonstruktionsversuche, selbstwenn sie nicht zu einem vom konkret Vorhandenen losgelösten Ge-dankenspiel werden, vermögen dieses Konkrete leicht zu verdecken.Verdeckend ist in diesem Sinne auch das bewunderungswürdigeWerk von Carl Robert, >Die griechische Heldensage<, mit seinenanderthalbtausend Seiten, in der erweiterten Ausgabe von LudwigPrellers >Griechischer Mythologie<. Ich nenne es dankbar als dendem großen Stoff einzig gemäßen Leitfaden für diejenigen, die sichauch mit den letzten Verzweigungen und Wandlungen sowohl derliterarischen als der archäologischen Überlieferung befassen wollen.Es bedürfte freilich auch der Erneuerung.

Was ich glaubte vornehmen zu müssen, ist ein dezidiertes Vor-dringen zum Inhalt. Dies wurde getan, soweit es möglich war, imZusammenleben mit den Texten, angesichts der unerschöpflichenWerke der Vasenmalerei und der Kunst der Gräber — Orte des langenNachlebens der Heroenverehrung —, nicht der Deutung, sondernder Atmosphäre wegen. Es galt dabei als Aufgabe, den überliefertenStoff in einen Zustand der Belebung und Auflockerung zu bringen,aus dem die Gestalten der Heroen in ihren ursprünglichen Konturenwie von selbst hervortreten könnten. Dazu gab die Entwicklung derKunst des Erzählens seit Virginia Woolf auch dem wissenschaft-lichen Schriftsteller manche Ermutigung. Ein jeder Heros ist, mitseinem Kult zusammen betrachtet, ein Woolfscher Orlando, undmanche Gleichungen zwischen Heroen und Gottheiten müssen eben-so in der Schwebe gelassen werden wie die mythologischen Selbst-identifizierungen des jungen Joseph Thomas Manns.

Die glatte Fläche der einschichtigen Erzählung ist in der großenLiteratur seit langem aufgebrochen worden. Eine Form, die die an-tiken Erzähler — sogar mehrere neben- und nacheinander — und denerwägenden Nacherzähler zugleich zu Wort kommen läßt, mußteauch in der wissenschaftlichen Literatur entwickelt werden, ohne dieWirkung eines ursprünglichen Erzählungswerkes auch nur erstrebenzu wollen, nur der Selbstbehauptung eines uralten Erzählungsstoffesvertrauend. Diese Selbstbehauptung in der jahrelangen Arbeit an derAuswahl, der Befreiung und der Zusammenfügung des konkreten

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menschlichen Inhaltes zu erproben, zuerst an mir selbst, dann auchan anderen, lockte mich, ich bekenne es, wie ein wissenschaftlichesExperiment und war mir zugleich ein Versuch im lebendigen Hu-manismus, der sich auf irgendeine 'Weise immer zu den Griechenverhält. Er soll das richtige Verhältnis auch zur Heroenmythologieder Griechen finden, auf Grund eines weder pädagogisch vereinfach-ten noch belletristisch zurechtgemachten, noch irgendwie verdecktenoder verschleierten Bildes.

Für die Vorbedingungen dieses humanistischen Experimentes, derFortsetzung des in der >Mythologie der Griechen< unternommenen,danke ich der Schweizerischen Eidgenossenschaft und meinen Ver-legern, dem Rhein-Verlag in Zürich und Thames & Hudson inLondon, für die Verfertigung der Register, die dem Buch erst dieBrauchbarkeit eines Handbuchs verleihen, meiner Frau, für dasDurchlesen des Manuskriptes Frau Daisy Brody, für Mitlesen derKorrektur Herrn Professor Dr. Walther Kraus in Wien, für freund-liche Bemühung bei der Beschaffung der Bilder Herrn Dr. HellmutSichtermann in Rom.

Von Rom nach Ascona, am 21. April 1958.

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Einführung

Wird die griechische Mythologie auf die Götter und allenfalls nochauf die Ursprungsmythologeme des Menschengeschlechtes be-schränkt, so müssen die Heroen am Rande bleiben. Doch die Götterfordern die Heroen: diese gehören noch in die Mythologie. Sie ragenindessen von dorther in die Zeiten nicht mehr der »Geschichten«,sondern der »Geschichte« hinein. Ein wesentlicher Unterschied zwi-schen den Erzählungen von Heroen und der eigentlichen Mytholo-gie, zwischen der Göttermythologie und der mit ihr vielfach ver-wobenen oder mindestens an sie grenzenden Heroenmythologie, be-steht darin, daß diese sich mit der Geschichte, den Ereignissen nichteiner außerhalb der Zeit liegenden »Urzeit«, sondern der geschicht-lichen Zeit, gleichfalls mehr oder weniger verwoben und so eng ansie angrenzend zeigt, als wäre sie bereits Historie und keine Mytho-logie. Den Heroen ist geschichtliche Existenz, Historizität, nichtgrundsätzlich abzuerkennen. Sie treten so auf, als ob sie historischgewesen wären und nur ausnahmsweise das Sein von Göttern — imFall des Herakles auf dem Olymp, sonst in der Unterwelt — erlangthätten. Doch selbst wenn sie einmal geschichtliche Personen waren,stehen sie in ihren »Geschichten« auf eine Weise da, die sie aus der»Geschichte« heraushebt. Man wird ihnen nicht mehr ganz gerecht,wenn man ihre »Historizität« erweist. Sie büßen dadurch ihren my-thologischen Aspekt ein, der sie mit den Göttern verbindet und durchden sie wie Urbilder wirken. Ihre Existenz ist eine besondere Quasi-existenz, die weniger und mehr ist als die gewöhnliche menschlicheExistenz: mehr, weil sie aueh ihr Nachleben im Kult umfaßt.

Ausgezeichnet werden sie nicht immer und nicht etwa nur durchHeldenhaftigkeit: ein Grund, warum ich der nicht übersetzbarengriechischen Bezeichnung »Heros« vor »Held« den Vorzug gebe,obwohl ich auch dieses Wort, wo es der Situation entspricht, nichtvermeiden will. Viel eher als durch eine Eigenschaft werden dieHeroen in allen Geschichten durch ihre Substanzialität, eine eigen-tümliche Konsistenz, gekennzeichnet, die sie mit den Göttern alsGestalten teilen. Die Götter mancher nicht mit den HochkulturenVorderasiens und des Mittelmeers verbundenen Mythologien neh-men diese mittlere Stellung zwischen Göttergestalten, wie die derGriechen es sind, und den Menschen ein. Es ist dies eine Konsistenz,die sich in der dichterischen Gestaltung, der die Heroen fortwährendausgesetzt waren, dermaßen bewährt hat, daß ein durch Schrift-stellerwillkür völlig verwandelter Alexander, Caesar oder Napoleondenkbarer ist als ein ganz anderer Perseus oder Oidipus, ja ein ver-änderter Alexander der Große schon weniger, da er doch bereits imAltertum in die Reihe der Heroen einging. Zu den »Heroen« derGeschichte gehört die geschichtliche Zeit. Sie sind in eine einmalige

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Zeitspanne eingebettet, die durch zahllose gleichzeitige Begeben-heiten bestimmt wird und an der nichts zu ändern ist. Auch ein völlig»neuer« Caesar oder Napoleon hätte seine Konturen von dort her, erbliebe an seiner zeitlichen Hülle erkennbar. Das Unveränderliche anden Heroen der Mythologie ist hingegen ein unverwechselbarerKern, den man bei demselben Heros immer wiederfindet. Das WortRalph Waldo Emersons trifft für ihn auch in sachlich religionsge-schichtlichem Sinne zu: »The hero is he who is immovably centred.«Anderen Heroen kann er in einem oder in mehreren Zügen gleichen.Es gibt auch Heroentypen, wie es gewöhnliche Menschentypen gibt.Im vereinigenden Mittelpunkt seiner Züge bleibt der Heros einzig.Die Zurückführung des in seiner Einzigartigkeit konsistenten Herosauf eine im Menschen und in seiner Welt seit jeher präformierteMöglichkeit, der Erweis und die Bestimmung seines archetypischenCharakters müßte die Aufgabe einer besonderen Betrachtung bilden,die richtig nur psychologisch und philosophisch in Angriff genom-men werden könnte, doch kaum ohne die geschichtliche Grundlage,die eine ihrer Grenzen bewußte Darstellung der Überlieferung überdie Heroen der Griechen bietet. Die philosophische Ausdrucksweisewird immerhin in dieser Einführung nicht ganz vermieden werdenkönnen, und ein »Mythos vom Heros« wird zutage treten.

Der Heros, wie er uns in seinen »Geschichten« entgegentritt, ge-hört sicherlich noch mehr als die Götter der Griechen in eine philo-sophische Menschenlehre. Seine rein menschliche Charakterisierungist durchaus möglich. Es fällt indessen auf ihn ein Glanz, den wirvom Standpunkt der Religionsgeschichte aus, für die das Göttlichejenes Gegebene ist, von dem sie ausgeht', den Glanz des Göttlichennennen dürfen: das Wort »Glanz« wohl metaphorisch gebraucht,doch auf eine ebenso berechtigte Weise, wie wenn wir vom Glanzeines Kunstwerkes reden und von allen verstanden werden, die dafürdie Empfänglichkeit — einen verschieden verteilten allgemeinenmenschlichen Besitz — haben. Der Glanz des Göttlichen, der auf dieGestalt des Heros fällt, ist eigentümlich vermischt mit dem Schattender Sterblichkeit. Daraus ergibt sich ein mythologischer Charakter,der Charakter eines besonderen Wesens, zu dem mindestens eineGeschichte gehört: die Erzählung von eben jenem und keinem an-deren Heros. Wird der mythologische Charakter durch eine reinmenschliche Charakterisierung ersetzt, werden die Heroengeschich-ten zu Erzählungen von kriegerischen Männern verwandelt, denen dieAnrede »Heros« nur in jener nichtkultischen Bedeutung zukommt,in der sie Homer verwendet — etwa wie: »Edle Herren« —, so wird derMythologie, auch der Heroenmythologie, ihre Grenze gesetzt.

Dies ereignete sich in der epischen Dichtung von den Fahrten undFeldzügen ganzer Heroenscharen, wie der Argonautenfahrt oderdem Krieg gegen Troja. All (las — sicher auch schon der Zug derSieben gegen Theben und eine Anzahl verlorengegangener vor-homerischer Epen — ist zur heroischen Dichtung mit eigener Atmo-

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sphäre geworden, selbst wenn ihre Helden zu den Heroen der My-thologie gehören. Wie jede Mythologie bewahrt auch die Heroen-mythologie ihre Verbindung mit dem Kult. Die heroische Dichtungist, soweit wir sie kennen, vom Kult unabhängig. Der Heros mit sei-nem Kult grenzt sich vom Heros im Epos mehr ab als vom Heros inder Tragödie, die immer auch einen Kultakt darstellt. Es ist keineGrenze im Stoff, es ist eine Grenze zwischen Atmosphären. SolcherBegrenzung muß sich auch die Darstellung der Heroen der griechi-schen Mythologie unterwerfen, damit sie schließlich nicht zur In-haltserzählung der Heroendichtung wird und deren eigentümlicheAtmosphäre entweder abstreift — das Interesse an Kampfschilderun-gen wird sie ohnehin nicht erwecken wollen — oder mit einer anderenAtmosphäre vermengt. Dabei bilden die Argonautenfahrt und derZug der Sieben gegen Theben in ihrer Art der Überlieferung — dieeine durch den gelehrten Dichter Apollonios von Rhodos, der anderedurch die Tragödie — doch eine Mittelstufe, die in einer Wieder-erzählung der Heroenmythologie nicht ausgeschaltet werden darf.Eine Wiedererzählung der reinen heroischen Dichtung, die den Ge-halt der beiden mit Homers Namen verbundenen Epen, der Ilias undder Odyssee, dem heutigen Menschen vermitteln könnte, scheintmir auch möglich, ja erforderlich, nur nicht in diesem Buch.

Zum Heros gehörte sein Kult: eine besondere Art der Verehrung,die mit »Heroenverehrung« im Sinne Carlyles nicht zu verwechselnist. Sie war tatsächlich »Kult«, schlichte und strenge rituelle Hand-lung, ein selbstverständlicher Tribut an den Heros, kein Akt derExaltation. Im kleinen war es die gleiche Verehrung, die im großenden Unterweltgöttern, den Beherrschern der Abgeschiedenen, dar-gebracht wurde. Das Göttliche, dessen Glanz der Heros sogar unterden Toten trägt, erzeugt vom Totenreich her noch viel mehr als diein den Tod eingegangene Gestalt eines gewöhnlichen Sterblichenjenen tiefen Schauer, von dem W. F. Otto der Wahrheit entspre-chend sagte, daß wir ihn zu einseitig als Furcht bezeichnen, währender zugleich die feierlichste und hoheitsvollste Stimmung ist 2 . DasOpfer für Totengötter und Heroen hieß enági rma, zum Unterschiedvon thysia, die vor allem den Himmelsgöttern zukam. Es wurde aufAltären dargebracht, die eine besondere Form hatten. Sie warenniedriger als der bômôs, der gewöhnliche Altar, und hießen eschdra,»Herd«. Durch sie sollte das Blut der Opfertiere, sollten Getränke-opfer in die Opfergrube fließen. Dafür waren sie trichterförmig undnach unten offen. Denn diese Art des Opfers ging nicht in ein fröh-liches Mahl über, in das sich Götter und Menschen teilten. DasOpfertier wurde mit dem Kopf nach unten über der Grube gehalten,nicht mit zurückgebogenem Hals wie für die Himmelsgötter in dieHöhe gehoben. Und es wurde völlig verbrannt. Das sind die charak-teristischen Züge dieser Riten, die dennoch kein starres, unabänder-liches Zeremoniell bildeten. Beispielshalber vereinigten die Opferfür Herakles an manchen Orten diese düstere Weise mit der helleren:

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in Attika wurden ihm die Stiere nach dem gleichen Ritus geopfert wieden Olympiern. Auch sonst zeugten hie und da weniger finstere Zügevon der Freude der Griechen sogar an diesem Kult.

Durch ihren Kult allein, wiewohl er zum vollen Heroenporträtgehört, hätten die Heroen für uns gewiß keine Bedeutsamkeit er-langt. Auch durch ihre erhaltenen Gräber nicht, obschon sie ein-drucksvoll genug sind: wie die innerhalb und außerhalb der kyklo-pischen Mauern von Mykenai oder die in ihrer großen, ungeschlach-ten Anlage »heroisch« erscheinenden, die bei Eleusis, auf dem Wegevom Peloponnes nach Theben, gefunden wurden und angeblichsechs von den berühmten Sieben bargen. Nicht einmal die Namen,die mit Gründungen von Städten, Herrscherfamilien, Adelsge-schlechtem, ganzen Stämmen verbunden sind, hätten zu einer all-gemeineren Bedeutsamkeit genügt, nicht zu reden von der großenZahl der Heroen, die für uns bloße Namen oder die ohne Namen blie-ben. Für alle würde das wissenschaftliche Interesse vorhanden sein,sofern sie zum Gesamtbild der griechischen Kultur gehören. Diemenschliche Bedeutsamkeit liegt in den überlieferten Geschichten,die den Kult zum Hintergrund hatten.

Es mag manchmal so erscheinen, als wären Götter- und Heroen-geschichten gleicherweise auf «Märchenmotive« zurückzuführen, alswären sie Weiterbildungen von wenigen uralten Märchen, auf dieman sie leicht reduzieren könnte. Dieser Schein ist — außer dem, daßer trügt — wie nichts anderes geeignet, die Aufmerksamkeit vommenschlich ergreifenden Inhalt abzulenken. »Motive« oder »Erzäh-lungsschemen« sind, wenn man sie für sich betrachtet, immer nurErgebnisse der Abstraktion und der Reduktion. Sie existieren undwirken für sich nicht, nur in »Geschichten«, die mehr sind als Motiveund Schemen. Märchen sind tatsächlich sehr motivisch und sehrschematisch, und wenn sie sich auch nicht völlig darin erschöpfen, sosind sie doch sehr darauf reduziert. Auch dadurch verraten sie ihrerelative Spätzeit. Die frühesten Märchen und Märchensammlungenliegen uns alle in Texten relativ, ja absolut später Zeiten vor. »Mär-chen« als ältere Formen der Götter- und Heroengeschichten nachder Analogie dieser Texte anzunehmen gehört zu den Inkonsequen-zen einer nicht durchdachten historischen Methode. Doch eben dieseTexte bieten uns eine Grundlage — die einzige, die wir wirklich be-sitzen —, über den Charakter der Erzählungsform »Märchen« nach-zudenken. Wer es streng genug tat 3, mußte die relative Spätzeit desMärchens auch in dessen Charakter erkennen. Der Märchenerzählerwendet sich gegen die tragische Wirklichkeit des unter Beschrän-kungen leidenden - menschlichen Daseins und setzt ihr eine Anti-tragödie entgegen. Bewußt oder unbewußt ist der Märchendichterein Leugner, ein Antitragiker, und seine Schöpfung dem Geleug-neten gegenüber sekundär: (las Primäre, das Geleugnete, ist imMythos da. Das Märchen hält am besten bei der Hochzeit, der Er-füllung, inne. Wenn etwa auch in der Geschichte des Perseus dies der

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Fall ist, so liegt der Grund der Märchenhaftigkeit eben dieses Mythosdarin, daß er wohl in einer relativ späten Form aus der mykenischenZeit zu den Dichtern gelangt ist, die auf ihn für uns zum erstenmalBezug nehmen. Bei der Theseusgeschichte oder in der Geschichtedes Peleus — lauter Namen des gleichen Typs — ist der Vorgang desWerdens eines Märchens aus dem Mythos fast noch zu beobachten:bei der einen ist der tragische Schluß, der Tod des Theseus beiLykomedes, völlig unbegründet, aber doch vorhanden, bei der an-deren wird er dadurch gemildert, daß die Hochzeit mit einer Göttindem Mythos und dem daraus abgeleiteten Märchen gleicherweise alsein Glück galt, das alle tragischen Folgen aufwog.

Den Heroengeschichten der Mythologie steht eine andere Gattungnah: eine gerade in der Tragik verwandte Form der Erzählungen.Sie heißt altnordische Saga, auf deutsch Sage. Die Saga ist uns inkonkreten Werken der altisländischen Literatur greifbar, die ver-mutlich auf den mündlichen Familienchroniken der nach Island aus-gewanderten Adelsgeschlechter beruhen. Die »Sage« ist mit AndréJolles als eine »einfache Form« zu bestimmen, wie auch das »Mär-chen«, doch von einer größeren Wahrhaftigkeit: als das formendePrinzip eben jener Gattung, die in der Saga die Welt gestaltete undfesthielt. »Hervorgegangen aus der Geistesbeschäftigung mit Fami-lie, Stamm, Blutsverwandtschaft« — so charakterisiert der großeGermanist die Sage 4 — »baute sie aus einem Stammbaum eine Welt,die sich in hundert schillernden Spielarten gleichblieb, eine Welt vonAhnenstolz und Vaterfluch, von Familienbesitz und Familienfehde,von Frauenraub und Ehebruch, von Blutrache und Blutschande,Verwandtentreue und Verwandtenhaß, von Vätern und Söhnen undBrüdern und Schwestern, eine Welt der Erblichkeit.« Diese Schil-derung mahnt uns wohl an Ähnlichkeiten, namentlich in den Ge-schichten der Dynastie des Atreus, aber auch an Unterschiede, dieuns in den griechischen Heroengeschichten begegnen werden. Zuden Unterschieden gehört schon, daß uns in Griechenland keine sodichte, zusammenhängende, für sich bestehende Tradition über dieHeroen empfängt — keine wahre Familienüberlieferung —, wie es inIsland die Saga ist. Wir müssen Bruchstücke sammeln — und immeraus zweiter Hand! Diese Hand ist freilich oft die Hand großer Dich-ter, vor allen anderen Homers. Auf eine der Homerischen Dichtungvorausgehende Geisteswelt, die Welt der ursprünglichen Heroen-mythologie, kann immerhin gefolgert werden, und dann wird dieFrage berechtigt: war die mythologische Tradition über die Heroenauf griechischem Boden wirklich das, was die Saga in Island ist undnicht vielmehr ein besonderes Phänomen der Menschheitsgeschichte?

Tritt man durch das berühmte Tor der festen Burg und Königs-stadt Mykenai, das als Giebelschmuck und Krönung eine von Löwenflankierte Säule trägt — ein Symbol des Kultes der Großer Göttin undHerrin der wilden Tiere, möglicherweise die Stelle ihrer Epiphanie

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in Vogelgestalt —, so bemerkt man als erstes einen großen Begräbnis-platz. Er ist von parallel aufgestellten Steinplatten umringt. Mit die-sem Ring wurden im 14. Jahrhundert vor Christus, nachdem das Torund die mächtigen kyklopischen Mauern der Burg erbaut wordensind, die tiefen Schachtgräber der früheren Könige umhegt: ein Zei-chen der Verehrung der Vorgänger, die vielleicht nicht einmal dieblutsmäßigen Ahnen der nach ihnen kommenden Herrscher waren,durch ihre Nachfolger, der Verehrung der Perseiden — um die Namenaus der Heroenmythologie hier ohne Beweise einzusetzen — durchdie Atreiden. Schliemann fand da, als er den Gräberring ausgrub,einen Altar, der auf die vorhin. beschriebene Weise dem Heroenkultgedient hat. Aus der Zeit, in der zur Königsburg kein Reich mehr ge-hörte, sind uns zwei weiterlebende Heroenkulte in Verbindung mitMykenai bekannt, beide außerhalb der Stadt: der Kult des Perseusselbst — nicht der Könige, die vielleicht als seine Nachkommen, alsPerseiden, galten — durch die Überlieferung, und der Kult des AtreidenAgamemnon durch den Fund des Ortes seiner Verehrung bezeugt.

Keinen Grabstein hat hingegen Schliemann gefunden, auf demder Name eines im Ring verehrten königlichen Toten zu lesen wäre.Man erwartete damals auch keine schriftlichen Zeugnisse aus so frü-her Zeit. Doch als vor kurzem ein zweiter Ring von ähnlichen Grä-bern außerhalb der Burgmauern gefunden und ausgegraben wurdeund man da auf Grabstelen stieß, die Darstellungen trugen, Szenenvon Jagd und Kampf mit mächtigen Tieren, aber keine einzige In-schrift, begann das Schweigen der Steine bedeutsam zu werden.Keine anderswo gemachten Funde lassen bis jetzt auf die Zufälligkeitdieses Schweigens schließen; es ist wohl charakteristisch. Heutekennt man die mykenische Schrift. Ihre Denkmäler wurden im Pa-last von Knossos auf Kreta und manchenorts auf dem Festland ge-funden : im Palast des Nestor in Pylos, in Mykenai und — um hiernur diesen Mittelpunkt von He roengeschichten zu nennen — in The-ben. Plutarch erzählt uns von dieser Schrift, welche die Griechen dergeschichtlichen Zeit den ägyptischen Hieroglyphen ähnlicher fandenals ihren eigenen Buchstaben. Die Spartaner, die unter Agesilaos um380 vor Christus Böotien beherrschten, öffneten ein Grab in Hali-artos, von dem es hieß, Alkmene, die Mutter des Herakles, lägedarin, und fanden eine Bronzetafel mit solchen Schriftzeichens, dochviel bescheidenere Beigaben als die aus den Gräbern der Steinringevon Mykenai zutage getretenen. In keinem einzigen der vielen Grä-ber aus mykenischer Zeit, die von den Archäologen geöffnet wurden,fand sich eine Inschrift. Die Schrifttafeln, die in den Palästen undHäusern gefunden wurden, sind Verzeichnisse von Vermögenswer-ten, von Opfern und Tributen, die Göttern und Menschen zukamen.Für Kreta und Mykenai scheint immer noch eine Beobachtung gültigzu sein, der ich einmal schon Ausdruck verlieh 6 und die mit OswaldSpenglers Worten wiederholt sei: »In der Gesamtmasse der kreti-schen Funde fehlt jede Andeutung von historischem, politischem

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oder selbst biographischem Bewußtsein, wie es gerade die Menschender ägyptischen Kultur von den frühesten Zeiten des Alten Reiches anvollkommen beherrscht hat.« Es hatte wenigstens kein Drang nachschriftlicher Verewigung seine Spuren in den mit so großer Sorgfaltangelegten und behüteten mykenischen Grabanlagen hinterlassen.

Und die Verewigung war doch da, nur nicht durch die Schrift.Die großartigen Kuppelgräber außerhalb der Stadt wurden vom 15.

bis zum i. Jahrhundert vor Christus gebaut. Die mit kostbaren Bei-gaben so reich ausgestatteten Schachtgräber zeugen nicht nur voneinem Totenkult in Mykenai, dem Vorgänger des griechischen He-roenkultes der historischen Zeit, sondern gerade in ihrer Stummheitvon einem Kult des Gedächtnisses, vom Vertrauen — um es in derSprache der historischen Griechen zu sagen, die in der Burg derGräberringe bereits gesprochen wurde — auf die Göttin Mnemosyne.Nach viel späteren Zeugnissen eines Glaubens, der sicherlich aufaltem Totenkult beruhte, sollte sich der Verstorbene auch persönlichihr vertrauen, in der Unterwelt aus ihrer Quelle trinken. Wer sichseiner selbst erinnert, entspricht der Erinnerung, in der er weiter-lebt : das wäre wohl die größte Gabe der Mnemosyne. Vom mykeni-schen Totenglauben besitzen wir keine solchen Zeugnisse wie jenegoldenen Täfelchen, auf denen die Unterweisung zur Erlangung die-ser größten Gabe steht. Wir können aber nicht umhin, ein Zeitalterder Mnemosyne einzuräumen, das nicht ausschließlich das der mehroder weniger düsteren Familienerinnerungen war und an dem be-reits die Töchter jener großen Göttin ihren Anteil hatten. Die Aus-grabung des Nestorpalastes in Pyloss erbrachte, wie ich glaube, denBeweis dafür, daß eine sehr menschliche, sehr dingfreudige epischeDichtung dem Homer vorausging und über die wirren Zeiten derJahrtausendwende bis zu ihm hinüberreichte'.

Wie weit die Schrift sowohl das Gedächtnis als auch die Dicht-kunst doch schon unterstützt hatte, ist nicht mehr genau zu sagen:schriftliche Denkmäler standen in jenem Zeitalter, das ich eben dar-um das Zeitalter der Mnemosyne nannte, sicher nicht im Vorder-grund. Und wenn wir eben darin eine Ähnlichkeit auch mit der is-ländischen Saga bemerken müssen, so erscheint uns die finstere Fa-miliengeschichte der Atreiden für die ganze Heroenmythologie derGriechen dennoch nicht als charakteristisch. Manche Gestalten vonHeroen und Heroinen tragen einen helleren göttlichen Glanz, derauch einstigen Gottheiten eignen mochte. Wir wissen nicht, wie weitdie Könige von Mykenai danach trachteten, den Göttern ähnlich zusein, und wie weit ihr Totenkult diesen Anspruch zum Ausdruckbrachte. Der archäologische Befund8 spricht bis jetzt eindeutig dafür,daß der griechische Heroenkult nicht die Fortsetzung eines allgemei-nen mykenischen Totenkultes ist, sondern die des königlichen To-tenkultes der Mykenäer. Lag darin. ein Theomorphismus, dessenMaß uns noch unbekannt ist, so begegnete er sich mit einem Anthro-pomörphismus im Göttermythos, von dem eine Elfenbeingruppe

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zweier Göttinnen und eines göttlichen Kindes bereits in der Weiseder griechischen Mythologie zeugt8a. Die Begegnung mochte sich imHeroenmythos ereignet haben. Das Göttliche ging in das Mensch-liche ein, das Menschliche wurde zu den Göttern erhoben, und derMythos vom Heros war da. Im Menschen selbst angelegt, nährte ersich aus dem Doppelbereich der Mnemosyne: dem Totenreich, demder Kult auf den Gräbern zugewandt war, und der Vergangenheit,die durch die Erinnerung gegenwärtig blieb und eine Idealität ge-wann, welche göttliche Menschen auszeichnen durfte.

Nur eine Annahme von der Entstehung des Heroenkultes derGriechen sei damit ausgesprochen. Sind wir geneigt, im göttlichenGlanz der Menschen, denen jener Kult galt, die im Tode erreichteVerwirklichung einer in der menschlichen Natur angelegten Be-strebung zu sehen, so ist dafur die geeignete Ausdrucksweise, voneiner widersprüchlichen Gestalt zu reden, die alle Variationen derHeroenmythologie zuließ: von der Gestalt des Gottmenschen inihren unzähligen Variationen in den unzähligen Geschichten. DieVoraussetzung der Heroengeschichten wäre dann dieses Mensch-liche, daß der Mensch auch im Stammes- und Familienverband fähigist, um das Einzigartige zu wissen, welches darin nicht aufgeht. DieHerkunft des Einzigartigen, die Ursprünglichkeit eines Wesens, dasdurch seine Mutter als erstaunlich Neues, noch nie Dagewesenes indie Welt gesetzt wurde, die Unmittelbarkeit eines Einbruchs in dieWelt, dessen Folge ein einzigartiger Lebenslauf war, erscheint in derHeroenmythologie als Herkunft von den Göttern. Darüber ließesich in der Sprache der Philosophie als von einer Offenbarung desSeins im Menschen sprechen, und es wäre hinzuzufügen, daß alleSeinsoffenbarungen in Gestalten eingegangen sind, wo immer siesich ereignen: sowohl in der Geschichte als auch in der Mythologie,der unsere Betrachtung ausschließlich gilt. Den Ausdruck »Gott-mensch« wähle ich unabhängig von seiner christlichen Bedeutung,auf Grund des griechischen Befundes, dessen Sinn nicht die Erlösungdes Menschen ist, wohl aber ein hoher Begriff von ihm, der in dergesamten Religionsgeschichte seinesgleichen sucht. Für das All-gemeinmenschliche, das hier gemeint wird, und seine nachchristlicheAusdrucksweise darf schon Carlyle angeführt werden° : »Das Wesenunseres Seins, das Mysterium in uns, das sich >Ich< nennt — habenwir Worte dafür? — ist ein Atem des Himmels; das Höchste Seinoffenbart sich im Menschen. Dieser Leib, diese Fähigkeiten, diesunser Leben, ist es nicht insgesamt ein Kleid für jenes Nichtzunen-nende ? >Es gibt nur einen Tempel in der Welt<, sagt der frommeNovalis, >und das ist der menschliche Körper. Nichts ist heiliger alsdiese hohe Gestalt. Das Bücken vor dem Menschen ist eine Hul-digung dieser Offenbarung irn Fleisch. Man berührt den Himmel,wenn man einen Menschenleib betastet!< Das klingt allzusehr wieeine rednerische Blüte, ist es aber nicht. Wohl bedacht, wird es sichals wissenschaftliche Tatsache herausstellen, als der Ausdruck in

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Worten, welche für die faktische Wahrheit der Sache gefunden wer-den konnten. [Vir sind das Wunder der Wunder — das große uner-forschliche Mysterium Gottes.«

Carlyle begründete auf diese Weise seine exaltierte Heroenver-ehrung, die für ihn auch die Grundlage des Christentums bildete,allerdings eines arianischen und daher nicht ganz unantik aufgefaß-ten Christentums, eine Heroenverehrung — wir müssen seine eigenenWorte hören—: »heartfelt, prostrate admiration, submission, burning,bondless, for a noblest godlike Form of Man« — sich hinwerfendeherzliche Bewunderung, Unterwürfigkeit, brennend, zügellos, fürdie edelste göttliche Menschengestalt — »ist das (fügt er hinzu) nichtder Kern des Christentums selbst? Der größte aller Heroen ist Einer —den wir nicht nennen!« Die Heroengeschichten der Griechen sinddemgegenüber ebensowenig exaltiert wie ihr Heroenkult. Sie sindvielmehr erstaunlich realistisch und nichts weniger als moralischidealisierend, wenn sie die menschlichen Eigenschaften ihrer Heroenschildern. Carlyle bildet geradezu den Gegenpol dazu. Die grie-chische Heroenmythologie beschäftigt sich mit den Ursprüngen derStädte, Familien, Stämme — und beschäftigt sich zugleich mit dem»Gottmenschen«: dadurch wird ihre eigentümliche Höhe bestimmt.Zwischen jenen beiden Themen spielen die Geschichten von Erfin-dungen und Errungenschaften für wirtschaftliche und technischeFortschritte eine geringere Rolle. Der von den Ethnologen ein-geführte Begriff des »Kulturheros« gehört in andersgeartete Mytho-logien als die griechische, ja es wäre gewaltsam, ihn da hereinzuzer-ren. Ein »Kulturheros« wäre ein auf eine Funktion reduzierter Heros,und gerade die Menschlichkeit der Heroen der Griechen würde sol-che Reduktion nicht dulden. Herakles wäre, wenn man in ihm den»Kulturheros« betonen wollte, höchstens ein Jägerheros, ein Feindder wilden Tiere, ein Orion, der auch mehr war als nur das. DieAnalyse der Taten des Herakles zeigt erst recht etwas anderes. Nurihre späte Auffassung lenkt auf diese Simplifikation ein. Zwei vonden großen Errungenschaften, die zur menschlichen Kultur not-wendig waren: das Korn und das Feuer, sind Göttern und Titanen— Demeter, Hermes, Prometheus —, die Bearbeitung der Metalle Göt-tern und erdentsprungenen Urwesen — Hephaistos, den Daktylen undKabiren — zugewiesen. Nur der Bringer des Weins ist ein »Gott-mensch«, freilich der Gottmensch unter den Göttern: Dionysos.

Die griechische Heroenmythologie, wenn es ihr auch um denGottmenschen und um die Gründungen gleicherweise geht, ist da-durch charakterisiert, daß in ihr die Betonung, eine eigentümlicheSteigerung, auf der Seite des Menschlichen und keineswegs auf derWichtigkeit einer Gründung liegt. Auf eine krasse Art wird dasGöttliche etwa bei den Indern betont und gesteigert, wenn ihre Hel-den den Gott, der da Menschengestalt annahm, durch maßlose Kraft-entfaltung in Erscheinung treten lassen. Für die Heroenmythologie

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der Griechen ist nichts charakteristischer, als daß das Göttliche sichda von selbst versteht: seine Epiphanien sind das Natürlichste in derWelt. Eine Steigerung erfährt vielmehr das Menschliche in allen sei-nen Erscheinungsformen, nicht am wenigsten in der Schwere desSchicksals und des Leidens, das die Heroen tragen. Mit dieser Art derBetonung des Menschlichen schlägt die Heroenmythologie von An-fang an einen Weg ein, der charakteristischer\veise in die Tragödiemündet. Die Heroengeschicht^cn führen vom feierlich-selbstverständ-lichen Heroenkult auf die tragische Bühne hinüber, den Ort immerneuer Erschütterungen durch den alten Stoff. Wenn wir nach einemgriechischen Ausdruck für diesen besonderen Stoff der Mythologiesuchen — denn so etwas wie »Sage« oder »Saga« gibt es im Grie-chischen nicht —, gelangen wir zu jenem des Asklepiades von Tro-gilos, der ihn zur Zeit des Ausklangs der Tragödiendichtung in einemProsawerk vorlegte und sein Buch »Tragodumena«, das heißt »Tra-gödienstoffe«, nannte. Diesen Titel verdienten alle diese Geschichten,selbst die, welche von den Tragödiéndichtern zufällig nicht bearbei-tet wurden. Sie waren immer potentielle Tragödien.

In diesem Stoff geht es nicht nur um kleine Dramen, deren arche-typischer Plan eine notwendige Gruppe von Personen enthält, wie inden Göttergeschichten, sondern es geht im Grunde genommen im-mer um ein bestimmtes Dranma, da es um das Schicksal des »Gott-menschen« geht: um ein Drama in zahllosen Variationen. In Bereit-schaft stehen außer ihm andere, nicht immer in Erscheinung tretendePersonen des Dramas: vor allem die Mutter des Gottmenschen, dieihn von einem Gott empfing, sodann dessen Stellvertreter, der ir-dische Vater des Heros, und oft ein ungleicher Bruder, sogar einZwillingsbruder. Es gibt aber keinen Kanon der Stadien, die erdurchlaufen, der Handlungen, die er verrichten muß, um ein Heroszu sein. Schicksal und Entwicklung sind nicht identisch. Die Wahr-heit über den Heros hat Emerson ausgesprochen — und Rilke be-stätigt — mit dem angeführten Satz: »The hero is he who is immovablycentred. « Diesen Satz müssen wir immer wieder in Erinnerung rufen,wenn wir uns mit Heroengeschichten befassen. Der Glanz des Gött-lichen ruht auf dem Unbeweglichen in ihm, beschattet wird er aberdurch sein Schicksal. Die schicksalhaften Aufgaben löst er kraft jenesUnbeweglichen, von dem der Kult noch in seinem Tode zeugt. Es istdie seltenste Ausnahme —wie im Fal l des Herakles —, wenn er dem Todnicht anheimfällt. Berührt wird er von ihm immer, der Tod gehört zuseiner »Gestalt«, und der Kult zeugt von ihm wie von der letztenschicksalhaften Wendung des Heroenlebens : er ist doch Totenkult.

Kult und Mythos des Heros enthalten die Tragödie im Kern.Nicht nur ihrem Stoff, ihrem formenden Prinzip und ihrem Sinnnach, sondern auch zeitlich schließt sich die attische Tragödie an denHeroenkult und die Heroenmythologie an. Es gibt hier keinenBruch, keine Kluft. Es ist eine lückenlose Kontinuität der geistigenBeschäftigung da, die — im Hinblick auf die Heroenmythologie, die-

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