Russland HEUTE

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SEITEN 4 UND 5 Für den Inhalt ist ausschließlich die Redaktion von Russia Beyond the Headlines, Moskau, verantwortlich. www.russland-heute.de Ein Projekt von RUSSIA BEYOND THE HEADLINES Kaliningrad hofft auf die Nähe zu Europa. Eurorussen Ein Russlandevent jagt den anderen in Berlin. Doch die Zuschauer bleiben jeweils lieber unter sich. SEITE 2 Russlandwochen im April Alexander Krilow ist ein Meister seines Fachs. SEITE 7 Bernsteinmann Mittwoch, 8. Mai 2013 Russland HEUTE erscheint exklusiv als Beilage in: Ein Amerikaner glaubt an Russ- land: Seit 20 Jahren mischt Kendrick White im dortigen Busi- ness mit. Und sieht bei den zu- ständigen Beamten jetzt einen „Bewusstseinswandel“. Im gan- zen Land entstehen Technoparks, in denen Firmengründer ihr Uni- Wissen in innovative Unterneh- men verwandeln. Der IDEA-Tech- nopark in Kasan zieht dazu noch internationale Unternehmen wie Siemens an. An den Chancen der Russen im technischen Bereich zweifelt White trotz des postsow- jetischen „Braindrains“ nicht: „Mathematik ist in ihrem geneti- schen Code verankert.“ SEITE 6 Mathematik in den Genen Lernen aus der Tragödie Die Explosion zweier Bom- ben auf dem Boston-Mara- thon hat die Amerikaner auf- geschreckt. Das Land sucht nach Erklärungen, wie es da- zu kommen konnte, dass zwei junge Männer, die lange in den USA gelebt hatten, plötzlich ihren Hass gegen die eigenen Bürger richteten. Rus- sische Experten sind weniger verwundert, dass Amerikaner zu den Zielen von Terroristen aus dem Kaukasus gehören. SEITE 2 INTERNETPORTAL RUSSLAND-HEUTE.DE Vettel und „Hungry Heidi“ in Sotschi RUSSLAND-HEUTE.DE/23339 Die „Russifizierung“ Europas schreitet rasant voran RUSSLAND-HEUTE.DE/23211 AP WLADIMIR ANOSOW LORI/LEGION MEDIA

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Die Ausgabe vom 8. Mai

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SEITEN 4 UND 5

Für den Inhalt ist ausschließlich die Redaktion von Russia Beyond the Headlines, Moskau, verantwortlich.

www.russland-heute.deEin Projekt vonRUSSIA BEYOND

THE HEADLINES

Kaliningrad hofft auf die Nähe zu Europa.

Eurorussen

Ein Russlandevent jagt den anderen in Berlin. Doch die Zuschauer bleiben jeweils lieber unter sich.

SEITE 2

Russlandwochen im April

Alexander Krilow ist ein Meister seines Fachs.

SEITE 7

Bernsteinmann

Mittwoch, 8. Mai 2013 Russland HEUTE erscheint exklusiv als Beilage in:

Ein Amerikaner glaubt an Russ-land: Seit 20 Jahren mischtKendrick White im dortigen Busi-ness mit. Und sieht bei den zu-ständigen Beamten jetzt einen„Bewusstseinswandel“. Im gan-zen Land entstehen Technoparks,in denen Firmengründer ihr Uni-Wissen in innovative Unterneh-men verwandeln. Der IDEA-Tech-nopark in Kasan zieht dazu nochinternationale Unternehmen wieSiemens an. An den Chancen derRussen im technischen Bereichzweifelt White trotz des postsow-jetischen „Braindrains“ nicht:„Mathematik ist in ihrem geneti-schen Code verankert.“

SEITE 6

Mathematik in den GenenLernen aus der Tragödie

Die Explosion zweier Bom-ben auf dem Boston-Mara-thon hat die Amerikaner auf-geschreckt. Das Land sucht nach Erklärungen, wie es da-zu kommen konnte, dass zwei junge Männer, die lange in den USA gelebt hatten,

plötzlich ihren Hass gegen die eigenen Bürger richteten. Rus-sische Experten sind weniger verwundert, dass Amerikaner zu den Zielen von Terroristen aus dem Kaukasus gehören.

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INTERNETPORTAL RUSSLAND-HEUTE.DE

Vettel und „Hungry Heidi“ in SotschiRUSSLAND-HEUTE.DE/23339

Die „Russifizierung“ Europas schreitet rasant voranRUSSLAND-HEUTE.DE/23211

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EINE BEILAGE DES ROSSIJSKAJA GASETA VERLAGS, MOSKAUPolitik

ANDREJ SOLDATOW, IRINA BOROGANJESCHEDNJEWNYJ SCHURNAL

Die zwei führenden russischen

Geheimdienstexperten über die

Folgen des Bombenanschlags

in Boston.

US-Geheimdienste haben die Spur nicht verfogt

Terror Auch Amerika gehört nun zur Zielscheibe von Terroristen aus dem Kaukasus

2010 sprachen die US-Geheim-dienste erstmals davon, dass die Terrorgefahr von innen größer sei als von außen. Ihr Augenmerk rich-tete sich fortan auf Personen, die keine eindeutigen Kontakte mit Terrororganisationen pfl egen, sich aber von im Internet kursierenden Ideen inspirieren lassen. Sie wen-deten große Ressourcen für die Überwachung des Internets auf.2012 nahm das FBI ein Programm in Betrieb, das in allen frei zu-gänglichen Bereichen der sozia-len Netzwerke Informationen sam-meln und Bedrohungen identifi -zieren soll. Dabei werden, so das FBI, Instrumente für die Geolo-kation verwendet und zudem nach vorgegebenen Schlagwörtern ge-sucht wie „Bombe“, „weißes Pul-ver“, „verdächtige Tasche“.Daneben überwacht auch das Mi-nisterium für innere Sicherheit Facebook, Twitter, YouTube und zahlreiche Blogs. Letztes Jahr hat es ein Programm zum Moni-toring sozialer Netzwerke gestar-tet, das laut Experten noch effi-zienter arbeitet als das Pendant des FBI. Sein Katalog besteht aus 380 Schlagwörtern, darunter neben „Terrorgefahr“, „Dschihad“ oder „Verschwörung“ auch „Wet-ter“ oder „Cyber-Sicherheit“. Besucht man das YouTube-Profi l von Tamerlan Zarnajew, einem der Täter von Boston, ist auf den ersten Blick zu erkennen, dass es das Interesse der amerikanischen

Geheimdienste hätte wecken müs-sen. Es gibt dort eine Seite mit Liedern des tschetschenischen Liedermachers Timur Muzurajew, darunter „Wir widmen unser Leben dem Dschihad“. Viele die-ser Lieder sind von russischen Ge-richten als extremistisch einge-stuft worden. Auf sein Profi l hat Zarnajew auch den „Appell an die Freischärler“ von Amir Rabba-nikaly Abu Dudschan hochgela-den. Er ist der Anführer einer be-kannten dagestanischen Gruppe von Untergrundkämpfern, die Vi-

deos ihrer Operationen regulär im Internet veröffentlicht. Sein You-Tube-Profil hatte Zarnajew im Sommer 2012 eröffnet, seinen letz-ten Clip lud er vor zwei Monaten hoch. Die Zeit für einen zumin-dest oberfl ächlichen Scan wäre somit vorhanden gewesen. Es ist nun gut möglich, dass die US-Geheimdienste ihre bisheri-ge Strategie der Zusammenarbeit mit den russischen Kollegen über-denken. Jahrelang waren sich die Terrorismusspezialisten einig, dass US-Bürger nicht Ziel von Terroristen aus dem Kaukasus seien, und die Geheimdienste rich-teten sich danach. Zwischen Russland und den USA gab es nie eine enge Zusammen-arbeit in Sachen Terrorismusbe-kämpfung. Zwar wurde 2004 mit viel Getöse ein Memorandum über

die Zusammenarbeit zwischen FBI und FSB unterzeichnet, de facto beschränkte sie sich jedoch auf eine einzige gemeinsame Opera-tion, die sich als Provokation entpuppte: FSB-Agenten verkauf-ten einem Inder eine nicht funk-tionstüchtige Rakete russischer Bauart, wonach verdeckte FBI-Agenten ihm diese abkauften. Im Januar erklärte das russische Au-ßenministerium, dass das rus-sisch-amerikanische Abkommen über die polizeiliche Zusammen-arbeit nicht mehr in Kraft sei.Die Amerikaner werden jetzt eine erneute Zusammenarbeit mit Russland aus pragmatischen Gründen schnell ins Lot bringen müssen. Da die USA nun aner-kanntermaßen zu den Zielen kau-kasischer Terroristen gehören, müssen amerikanische Staatsbür-ger sowohl in ihrem eigenen Land als auch im Ausland geschützt werden. Die Olympiade in Sotschi ist nicht mehr weit, und die ame-rikanischen Sportler planen dort einen großen Auftritt.Erfahrungsgemäß wird dies die Lust der USA dämpfen, mit er-hobenem Zeigefinger die Men-schenrechtslage in Russland zu kritisieren. Die Geschichte hat ge-zeigt, dass auch Demokratien es mit ihren hehren Prinzipien nicht immer so ernst nehmen, wenn die Jagd auf Terroristen prioritär wird. Wichtige Partner beim Kampf gegen den Terrorismus will man nicht unnötig reizen. Dem war auch so, als diese Partner noch Gaddafi und Mubarak hießen.

Der Beitrag erschien zuerst auf dem Internetportal

ej.ru

Der Anschlag von

Boston – die Fakten

Am 15. April explodierten zwei Bom-ben am Zieleinlauf des internationalen Boston-Marathons. Eine Chinesin, eine Amerikanerin und ein achtjähriges Kind aus den USA kamen dabei ums Leben, mehr als 250 weitere Men-schen wurden verletzt. Die US-Polizei schrieb Tamerlan Zarnajew (26) und dessen Bruder Dschochar (19) als mutmaßliche Täter zur Fahndung aus. Die beiden stam-men aus dem russischen Nordkauka-sus. Vier Tage nach dem Anschlag wurde Tamerlan Zarnajew bei einer Verfolgungsjagd erschossen. Sein Bruder Dschochar wurde 15 Stunden später verhaftet und dabei schwer verletzt. Ihm droht im Falle einer Ver-urteilung die Todesstrafe.

Zarnajews YouTube-Profil hätte das Interesse der amerikanischen Geheimdienste wecken müssen.

RE

UT

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S

Moritz

GathmannJOURNALIST

Wer im April in Berlinweilte, dem schien es zu-weilen, als hätte Mc

Deutschland die Russenwochenausgerufen.Den Auftakt machte das Putin-Interview in der ARD, nach demsich Russlandkenner nicht einigwurden, wer mehr Schimpf undSchande verdiene: InterviewerJörg Schönenborn für sein kläg-liches Versagen oder Putin fürsein zur Schau gestelltes Alpha-männchentum. Wer es verpassthatte, konnte es noch einmal aufder Hannovermesse bewundern,als Putin ob der entblößten Brüs-te der Femen-Aktivistinnen denDaumen reckte.Aber auch in Putins Abwesen-heit gibt Russland uns keineRuhe. Der ZEIT-Redakteur JörgLau hat eine Diskussion ange-stoßen, deren Gretchenfrage lau-tet: Ist deutsche Außenpolitik vonWerten oder Interessen geleitet?Durchdekliniert wurde die Fragebeim öffentlichen Schlagabtauschzwischen Lau und seinem Oppo-nenten Eberhard Sandschneiderin der Deutschen Gesellschaft fürAuswärtige Politik vor allem aneinem Land: dem großen Nach-barn im Osten. In Zeiten vonNGO-Durchsuchungen und Pro-zessen gegen Oppositionelle wehtden Beschwichtigern freilich einkalter Wind ins Gesicht.Ein weitaus wärmerer Windwehte einige Tage später Unterden Linden durch die Hallen derDeutschen Bank: „Wandel durchwirtschaftliche Zusammenar-beit“ pfiffen da Vertreter vonWintershall und Deutscher Banksowie russische Investoren vomPodium, Botschafter a. D. Ernst-Jörg von Studnitz geißelte diedeutschen Medien: Das vermit-telte Russlandbild entsprecheschlicht „nicht der Realität“.Näher heran an die Realität führ-te die Akademie der Künste amPariser Platz, indem sie bedeu-tende Schriftsteller wie Ljudmi-la Ulitzkaja, Andrej Bi-tow undSachar Prilepin zum Erzähleneinlud.Überall herrscht großer An-drang, wenn’s um Russland geht:Aber es sind immer andere Zu-hörer, die bei Wirtschaft, Poli-tik oder Kultur sitzen. Auch malreinhören, was die anderen soreden – das täte den Diskussio-nen sicher gut.

MEINUNG

Russen inBerlin

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4 WWW.RUSSLAND-HEUTE.DE RUSSLAND HEUTE

EINE BEILAGE DES ROSSIJSKAJA GASETA VERLAGS, MOSKAUSpezial

ARTJOM SAGORODNOWRUSSLAND HEUTE

Wie kommt Russland von der

„Öl- und Gasnadel“ los? Eine

Antwort darauf sollen die übers

Land verteilten Technoparks

sein. Aber nicht überall ist auch

drin, was draufsteht.

VON DER ATOMBOMBE ZUM APPLE STORE

MIT SONDERWIRTSCHAFTSZONEN UND TECHNOPARKS WILL

DER KREML DAS LAND MODERNISIEREN

WIRTSCHAFT INNOVATION

Es war früher undenkbar, dass Kendrick White dort sein würde, wo er heute ist. Nischnij Nowgo-rod, Russlands fünftgrößte Stadt, liegt 450 Kilometer östlich von Moskau und war während des Kalten Krieges eine für Auslän-der geschlossene Stadt. Denn hier befand sich ein Zentrum gehei-mer wissenschaftlicher Forschung. Es war ein virtuelles Gefängnis für berühmte sowjetische Wissen-schaftler wie Andrej Sacharow, Nobelpreisträger und Vater der russischen Atombombe. Nun schafft Mr. White eben dort, wo Sacharow sich abplagte, um das Land in ein riesiges Atom-kraftwerk zu verwandeln, die Grundlage dafür, dass eines Tages hier die russischen Versionen von Apple, Google oder Facebook ent-stehen. Moskau hat vor, die Ge-gend in eine Art russisches Sili-con Valley zu verwandeln. Der Plan sieht vor, Investoren eine Reihe von Anreizen zu bieten –von Steuervergünstigungen bis hin zu preisgünstigen Büroräu-men und Wohnmöglichkeiten.

Hightech in der RegionKendrick White ist Geschäftsfüh-rer der Firma Marchmont Capi-tal Partners, die er vor acht Jah-ren in Florida gründete, nachdem er vorher bei der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Ent-wicklung, der Unternehmensbe-ratung PwC und als Privatisie-rungsberater in Nischnij Nowgo-rod gearbeitet hatte. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs war er auf der Suche nach einer neuen

Herausforderung nach Russland gekommen. Seit 20 Jahren unter-stützt er unternehmerische Initi-ativen, horizontale Integration und Start-up-Finanzierung für High-techunternehmen in Russlands Regionen.

Ein reiches Wissenschaftserbe„Als Unternehmer war ich immer an der Vermarktung von Wissen-schaft und Technik interessiert“, erläutert er. „Mathematik, die Sprache der Wissenschaft, ist im genetischen Code der Russen ver-ankert – deshalb ist hier der lo-gische Platz für mich.“

Nach dem Zweiten Weltkrieg stell-te die sowjetische Regierung groß-zügige Finanzierungen für die na-tionale Forschung zur Verfügung. Damals entstanden im ganzen Land geschlossene Städte wie Los Alamos in den USA. Aber wäh-rend die USA in den letzten zwei Jahrzehnten eine ganze Reihe von Unternehmern hatten, um die Früchte der staatlichen Initiati-ven zu ernten, sprich die staatlich finanzierte Forschung zu ver-markten, zögerte man in Russland damit. Nach dem Ende des Kal-ten Krieges öffneten sich viele der geschlossenen Städte, und die Fi-nanzierung wurde eingestellt. Aber niemand füllte den Raum

zwischen Wissenschaft und freiem Markt.In den letzten fünf Jahren jedoch sind Sonderwirtschafts-zonen, Technoparks und Grün-derzentren entstanden, die darauf abzielen, Russlands wis-senschaftliches Potenzial zu nutzen. „Es gibt zurzeit über 90 Technoparks und Sonderwirt-schaftszonen, die unterschiedli-che Steuervergünstigungen und bezahlbare Büroräume anbieten“, erzählt White.

Paradebeispiel Kasan„Mehr als die Hälfte von ihnen sind wahrscheinlich uneffektiv, weil die föderalen und kommu-nalen Beamten die Angelegenheit häufi g wie ein riesiges Immobili-enentwicklungsprojekt angehen, ohne sich darum zu kümmern, ein ausgewogenes Verhältnis zwi-schen Wissenschaftlern, Unter-nehmern, Business Angels und Risikokapital aufzubauen.“ Der ausgedehnte IDEA-Techno-park in Kasan (800 Kilometer öst-lich von Moskau an der Wolga) wurde 2004 auf dem Gelände eines verlassenen Rüstungsbetriebs mit dem Ziel errichtet, Hightechun-ternehmen anzuziehen. Indem er zwei grundlegende Anreize bot – billige Mieten und kompetente Unternehmensberatung – gelang es, innerhalb von nur drei Jahren genügend Unternehmen anzusie-deln, um fi nanziell unabhängig zu sein. Seit 2007 entrichten die Firmen genügend Steuern an die kommunalen Kassen und können auf diese Weise das Startkapital zurückzahlen. „Schon die ganzen letzten Jahre sind wir nicht mehr auf die Un-terstützung aus der Region ange-wiesen, was für uns sehr wichtig ist“, sagt Sergej Juschko, Gene-raldirektor des IDEA-Techno-parks [siehe Interview auf S. 5]. „Unsere Erfahrung zeigt, dass

Technoparks ein lebensfähigesModell für die wirtschaftlicheEntwicklung Russlands sind.“Juschko erklärt, dass die meistenFirmen Ingenieursdienstleister,Software- oder Webdesignunter-nehmen sind.

Entwicklung ohne FabrikEine solche Firma ist Smarthead,die Premiumkunden wie Hondaund L’Oreal betreut. Nach dreiJahren haben die „Absolventen“von IDEA die Wahl, den Techno-park zu verlassen und ohne grö-ßere Schwierigkeiten selbststän-dig Kapital aufzunehmen, umBüroräume zu erwerben, oder sieziehen in das angegliederte Ge-werbegebiet um, in dem die Mietenicht mehr subventioniert ist.Dort zählen die Forschungs- undEntwicklungsniederlassungen in-ternationaler Player wie GeneralElectric und Siemens zu den Nach-barn. „Die ausländischen Unter-nehmen kommen in erster Liniewegen des ausgezeichneten Fach-personals hierher“, erklärt Jusch-ko. „Ich bin der festen Über-zeugung, dass wir hier in Russ-land keine Fabriken benötigen“,sagt er. „Produzieren kann manschließlich auch dort, wo es billi-ge Arbeitskräfte gibt. Unsere Stär-ke sind Menschen mit Ideen.“Kendrick White glaubt, dass dieMilliardeninvestitionen der Re-gierung in die Sonderwirtschafts-zonen und Technoparks sich mitt-lerweile auszahlen. „Sie beginnen,sich dem eigentlichen Problem zunähern – wie man den Zustrom

Milliarden US-Dollar haben die Resi-dents der russischen Technoparks seit der ersten Gründung im Jahr 2006 verdient.

Sonderwirtschaftszonen gibt es heute. Sechs decken den Bereich Industrie ab, fünf den Bereich Technologie, vier den Tourismus, zwei sind Häfen.

Milliarden US-Dollar an ausländischen Direktinvestitionen haben die Sonder-wirtschaftszonen seit ihrer Gründung im Jahr 2006 akquiriert.

Technoparks sind über 36 russische Regionen verteilt. Hier wird in den verschiedensten Bereichen geforscht und entwickelt – von Chemie über Quantenmechanik bis IT.

1,3

17

3,6

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ZAHLEN

Die Beamten beginnen nun zu verstehen, dass alles Teil eines umfassenden Öko-systems sein muss.

„Mathematik, dieSprache der Wissenschaft, ist im genetischen Code der Russen verankert.“

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EINE BEILAGE DES ROSSIJSKAJA GASETA VERLAGS, MOSKAU Spezial

neuer Firmen sichert und die wis-senschaftlichen Ergebnisse erfolg-reich vermarktet.“

Überraschung im Apple Store„Die nächsten fünf Jahre werden eine aufregende Zeit, weil die zuständigen Beamten nun ver-standen haben, dass alles Teil eines umfassenden Ökosystems sein muss“, sagt er. „Zusätzlich zum Aufbau der Infrastruktur in den Technoparks ist es ebenso wichtig, Kontakte zu Wissen-schaftlern der nahe gelegenen Uni-versitäten zu knüpfen und Ma-nagement-Trainingsprogramme anzubieten.“„Spieleentwicklung und das Out-sourcen von Programmierung sind die ersten Anzeichen von Russ-lands aufsteigendem Hightech-sektor gewesen, weil diese nicht viel Geld brauchen, um realisiert zu werden“, sagt White. Allerdings glaubt er mehr an Projekte in der

Mikroelektronik, Medizin, Nano-technologie, Chemie, Raumfahrt und Quantenmechanik, nach denen in den kommenden Jahren eine wesentlich größere Nachfra-ge entstehen werde.„Wenn Sie in einen Apple Store gehen, werden Sie entdecken, dass eine überraschend große Zahl der dortigen Top-100-Produkte aus Russland kommt“, sagt Pekka Vil-jakainen, Berater der Moskauer Skolkowo-Stiftung. „Aber die meisten haben ihre Büros in Ka-lifornien und verbergen ihren rus-sischen Ursprung.“Kendrick White verfolgt auch mit Interesse den Kusbass-Technopark in Sibiriens Kohlenregion Keme-rowo, in dem Wissenschaftler auf Kohle basierende Sorptionsmittel zum Binden von Ölrückständen entwickeln, sowie das Pharma-Cluster in Obninsk bei Moskau, wo innovative medizinische Kon-zepte ausgearbeitet werden.

Weniger Steuern

für Investoren

Russlands Sonderwirtschaftszonen existieren in dieser Form erst seit 2005. Heute sind dort 57 ausländische Unternehmen aus 21 Ländern angesie-delt. Im Jahr 2012 kamen sechs US-Firmen dazu. Von diesen investier-te General Motors alleine 180 Millio-nen US-Dollar, 3M 30 Millionen und Armstrong (Baumaterialien) 75,4 Milli-onen US-Dollar. 3M zahlt in den ersten fünf Jahren zwei statt der üblichen 20 Prozent Gewinnsteuer. Außerdem ist das Unternehmen von der Mehr-wertsteuer sowie Einfuhrzöllen auf Teile und Ausrüstungen befreit und kann die Elektrizität kostenlos nutzen.Die Sonderwirtschaftszonen haben in den letzten sieben Jahren 3,6 Milliar-den US-Dollar an ausländischen Direktinvestitionen akquiriert. Sie haben beim Einreichen von 350 Patenten mitgewirkt, ihr Tätigkeitsfeld auf die Industrieproduktion, den Tou-rismus und die Frachtschifffahrt aus-gedehnt und Firmen wie Boeing und Apple angezogen. Alle Residenten müssen über ein Aufsichtsgremium und das Ministerium für Wirtschafts-entwicklung akkreditiert werden. Das Verfahren wurde jüngst vereinfacht, denn Russland hat sich das ehrgeizige Ziel gesteckt, bis 2018 auf Platz 20 des Doing-Business-Ranking der Weltbank vorzurücken.

– Skolkowo, das staatlich geförderte Innovationszentrum bei Moskauwww.sk.ru/en– Russische Sonderwirtschaftszoneneng.russez.ru– Marchmont Innovation News, eng-lischsprachige Informationsquelle zu russischen Technoparkswww.marchmontnews.com – Rusnano, der staatliche Gigant auf dem Gebiet der Nanotechnologie www.rusnano.com – Vereinigung der Technoparks www.nptechnopark.ru (auf Russisch)

INFO

NÜTZLICHE KONTAKTE

IM GESPRÄCH

Technoparks machen wissenschaftliche Ressourcen zugänglich

Sergej Juschko, Direktor des IDEA-Technoparks in Kasan, spricht über die Möglichkeiten für internationale und kleinere Unternehmen.

Was bieten die Technoparks in-

ternationalen Investoren?

Um ihre führenden Positionen be-haupten zu können, müssen Groß-konzerne wie Siemens und Ho-neywell Forschung und Entwick-lung in einem breiten Spektrum betreiben und die neuesten Ergeb-nisse umsetzen. Diese Prozesse unternehmensintern durchzufüh-ren, wäre teuer und ineffizient – sie werden daher ausgelagert. Hier kommen die Technoparks ins Spiel.

Aber warum sollen die Konzer-

ne gerade nach Russland gehen?

Russland ist mit seinen großen wissenschaftlichen Ressourcen ein attraktiver Standort für den Auf-bau von Netzwerken mit Exper-ten praktisch jeglichen Profi ls – von der Flüssigkeitsdynamik bis zu chemischen Prozessen. Binde-glieder zwischen Universitäten und international agierenden Unternehmen sind Technoparks wie IDEA, die eine ideale Platt-form für die Interaktion zwischen Großkonzernen und kleineren Un-ternehmen darstellen. Fast alle Technoparks bieten eine Art sub-ventionierter Infrastruktur und vergünstigte Mietbedingungen für kleine Unternehmen, aber die weltweiten Marktführer brauchen vor allem eins – Begabungen. Technoparks ziehen die besten Ab-solventen lokaler Universitäten an. Sie bieten ihnen attraktive Konditionen für die Gründung einer eigenen Firma.

Können Sie ein Beispiel für eine

Kooperation mit einem großen

Konzern anführen?

Siemens fertigt Messgeräte fürRusslands größtes UnternehmenGazprom. Jetzt geht es darum, dieProdukte und Lösungen von Sie-mens an die russischen Witte-rungsverhältnisse anzupassen.Und schließlich müssen die Mess-geräte zertifi ziert werden. An die-sen Schnittstellen erfüllen die imTechnopark IDEA ansässigen klei-nen Unternehmen eine ungemeinwichtige Funktion für Siemens inRussland.

Welche russischen Technoparks

sind für Investoren besonders

attraktiv?

Investoren sollten nach Techno-parks Ausschau halten, die denneuesten europäischen BIC-Stan-dards entsprechen wie IDEA inKasan und das Krasnojarsk-Gründerzentrum in Sibirien. AuchSkolkowo ist dabei, diesen Stan-dard zu implementieren. Die Ren-tabilität des Technoparks und einewenn überhaupt geringe staatli-che Beteiligung sprechen eben-falls für seine Lebendigkeit.

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6 WWW.RUSSLAND-HEUTE.DE RUSSLAND HEUTE

EINE BEILAGE DES ROSSIJSKAJA GASETA VERLAGS, MOSKAUDie Stadt

Das wahre Fenster nach Europa

Kaliningrad Die Bewohner der Exklave nennen ihre Stadt „König“ und kennen Europa besser als Russland

ALEC LUHNTHE MOSCOW TIMES

Weithin bekannt als „Fenster

nach Europa“ ist St. Petersburg.

Diese Rolle würde gerne Kali-

ningrad übernehmen und hofft

dabei auf die Fußball-WM 2018.

durch Litauen und Lettland vom restlichen Russland abgetrennt. Aufgrund der Nähe zu Westeuro-pa sind Kaliningrader mit ihren Nachbarländern oft vertrauter als mit ihrem Heimatland.„Es ist einfacher, nach Polen, Li-tauen oder in andere EU-Länder zu reisen als nach Moskau oder St. Petersburg“, erklärt die 22-jäh-rige Natalja Botscharowa. „Viele fahren nach Polen, um Lebens-mittel oder Kleider zu kaufen.“

In Kaliningrad ist man nicht nur stolz auf die „deutsche“ Geschich-te, sondern auch auf den „Insel-status“, den die Bewohner genie-ßen. Die russische Exklave ist

Vor einigen Jahrzehnten war Kaliningrad noch die deutsche Stadt Königsberg, die seit der Gründung des Deutschordens-staats im 13. Jahrhundert preu-ßisches Machtzentrum war. Heute fi ndet sich dieser historische As-pekt im Alltag wieder, wenn junge Kaliningrader ihre Stadt liebe-voll als „König“ bezeichnen.

Nähe zu Europa als ChanceZum Ende des Zweiten Weltkriegs wurde das damalige Ostpreußen mit dem Potsdamer Abkommen zwischen Polen und der Sowjet-union aufgeteilt. Königsberg ging an die Sowjets, die deutschen und litauischen Hauptstädter, die nicht vor der Roten Armee geflohen waren, wurden deportiert und durch russische Siedler ersetzt. Die Stadt bekam zu Ehren des Kommunisten Michail Kalinin ihren neuen Namen und wurde zu einem Hauptstützpunkt der sowjetischen Marine. Für Auslän-der war sie fortan gesperrt.Kaliningrads geografi sche Nähe zu Westeuropa ist auch wirt-schaftlich von Bedeutung. Für ausländische Firmen ist es ein günstiger Ort, um in den russi-schen Markt einzusteigen. „Das Gebiet Kaliningrad ist von EU-Staaten umgeben, logistisch hat dies für ausländische Inves-toren große Vorteile“, meint Oleg Skwortsow von der Vereinigung ausländischer Investoren.

Cognac „Alt-Köngisberg“Obwohl in Kaliningrad die Ar-beitslosenquote höher ist als in anderen Regionen Russlands, glaubt Skwortsow, dass die Lage und der Status als steuergünsti-ge Sonderwirtschaftszone das Wirtschaftswachstum ankurbeln könnten. Zudem ist Kaliningrad einer der Austragungsorte der Fußball-WM 2018. Ein 155 Hektar großer neuer Stadt-teil soll dafür rund um das Stadion entstehen mit Sport-stätten, Spa-Hotels, Wohnun-gen und Parkanlagen.In Russland ist Kaliningrad bekannt für sein Marzipan, Sprotten und einen Cognac namens „Alt-Königsberg“. Doch das eigentliche Wahr-zeichen ist Bernstein. Ge-schätzte 90 Prozent der weltweit abbaubaren Vor-kommen liegen hier. Bern-steinfi schen ist nicht nur ein Handwerk und eine belieb-te Beschäftigung, sondern wird auch industriell be-

trieben, so in der Bernsteinmine der Küstenstadt Jantar. Besucher können bei Straßenhändlern oder in Geschäften für ein paar hun-dert Rubel Schmuckstücke aus dem fossilen Baumharz kaufen.Zusätzlich zum Handel setzt die Stadt auf Tourismus, allerdings ist das eher kühle Klima ein Hin-dernis für die ehrgeizigen Pläne, die Badekultur an der Ostsee wei-ter auszubauen. Doch die Kali-

ningrader sehen das Potenzial, dass ihre Stadt zu einer Oase für Gesundheitstouristen wird nach dem Vorbild Baden-Baden. Das geplante Casino passt da gut ins Bild.„Unser Klima ist nicht eben an-ziehend, doch wir können Tou-risten Heilschlamm zu Therapie-zwecken und Thermalwasser bieten“, sagt Wjatscheslaw Genne, Architekt und ehemaliger Ver-waltungschef des Küstenbezirks Swetlogorsk.

Kaliningrad wäre in der Lage, seine Besucherzahl von 400 000

auf zwei Millionen pro Jahr zu erhöhen. Momentan würde die Qualität der Infrastruktur jedoch noch viele Tou-risten enttäuschen, gibt Sergej Karnauchow, ehemaliger Vizegou-

verneur von Kaliningrad, zu be-denken. Immerhin gibt es abermit Radisson und Ibis seit Kur-zem Hotels auf internationalemNiveau.

Der Dom – ein Symbol der WiederauferstehungIn dem im Krieg ausgebombtenZentrum sind noch vereinzelt Bau-ten aus der Zeit vor dem Ein-marsch der Sowjets erhalten.Einen Stadtrundgang kann manbeim Königstor beginnen, auf demdrei Statuen thronen, die an die„Urväter“ der Stadt erinnern: Ot-tokar II. von Böhmen, der die Stadt1255 gründete, Friedrich I., ers-ter König von Preußen, und Her-zog Albrecht von Preußen.Von dort aus kann man sich aufden Weg zur Kant-Insel in demdie Stadt durchziehenden FlussPregel machen. Am westlichenEnde der Insel steht der jüngstrestaurierte Königsberger Domaus dem 14. Jahrhundert. Vor we-nigen Jahren wurde auch die Orgelwiederhergerichtet – es lohnt sichsehr, einen Blick auf die Home-page des Doms zu werfen, um zuerfahren, was gerade gespielt wird(sobor-kaliningrad.ru). Beim Spa-ziergang entlang der Dommauerstößt man auf das Grab von Im-manuel Kant. Der Philosoph, be-rühmtester Sohn der Stadt, wurdehier 1804 begraben.Während seiner wechselvollenGeschichte wurden in Königs-berg zahlreiche Festungen gebaut.Das Fort Nr. 5 – Friedrich Wil-helm III. beherbergt eine Gedenk-stätte für die Soldaten, die imZweiten Weltkrieg bei der Erstür-mung der Stadt durch die RoteArmee ums Leben kamen. Dochauch diese hatte schwere Verlus-te zu beklagen: Allein bei demSturm auf das Verteidigungs-fort starben 5000 sowjetischeSoldaten.

1946 wurde Königsberg zu Ehren von Michail Kalinin umbenannt und war fortan für Ausländer nicht mehr zugänglich.

Heutzutage findet sich die Geschichte im Alltag wieder, wenn junge Kaliningrader ihre Stadt liebevoll „König“ nennen.

Der Dom auf der Kneiphof-Insel brannte im Zweiten Weltkrieg aus.

Das kunsthandwerkliche Ein-

kaufszentrum Ribnaja Derew-

nja (Fischdorf) am Pregel

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7RUSSLAND HEUTE WWW.RUSSLAND-HEUTE.DE

EINE BEILAGE DES ROSSIJSKAJA GASETA VERLAGS, MOSKAU Porträt

Russland HEUTE: Die deutsche Ausgabe von Russia Beyond the Headlines erscheint als Beilage in der Süddeutschen Zeitung. Für den Inhalt ist ausschließlich die Redaktion von Russia Beyond the Headlines, Moskau, verantwortlich. Rossijskaja Gaseta Verlag, Ul. Prawdy 24 Str. 4, 125993 Moskau, Russische Föderation Tel. +7 495 775-3114 Fax +7 495 988-9213 E-Mail [email protected] Herausgeber: Jewgenij Abow, Chefredakteur deutsche Ausgabe: Alexej Karelsky Gastredakteur: Moritz Gathmann Proofreading: Dr. Barbara Münch-Kienast, Redaktionsassistenz: Jekaterina IwanowaCommercial Director: Julia Golikova, Anzeigen: [email protected]: Andrej Schimarskiy,

Produktionsleitung: Milla Domogatskaja, Layout: Maria OschepkowaLeiter Bildredaktion: Andrej Sajzew, Bildredaktion: Nikolaj Koroljow

Druck: Süddeutscher Verlag Zeitungsdruck GmbH, Zamdorferstraße 40, 81677 München

Verantwortlich für den Inhalt: Alexej Karelsky, zu erreichen über MBMS, Hauptstraße 41A, 82327 TutzingCopyright © FGUB Rossijskaja Gaseta, 2013. Alle Rechte vorbehaltenAufsichtsratsvorsitzender: Alexander Gorbenko, Geschäftsführer: Pawel Negojza Chefredakteur: Wladislaw Fronin Alle in Russland HEUTE veröffentlichten Inhalte sind urheberrechtlich geschützt. Nachdruck nur mit Genehmigung der Redaktion

PAULINE TILLMANNFÜR RUSSLAND HEUTE

Das Bernsteinzimmer war sein

Lebenswerk, aber Alexander

Krilow ist noch lange nicht am

Ende. Sein großer Traum ist

eine komplette Ikonostase aus

Bernstein.

Auf den ersten Blick sieht er aus wie ein orthodoxer Priester. Ale-xander Krilow trägt seine brau-nen Haare nach hinten zusammen-gebunden, im Gesicht sprießt ein gepfl egter Vollbart. Im September wird er 60, dann bekommt er 100 Euro Rente im Monat. Davon kann er aber nicht leben, deshalb wird er weiterarbeiten. Arbeit ist der Motor, der Sinn seines Lebens. Sein Assistent Dennis Fedotow nennt ihn einen Workaholic: „Vielleicht muss das auch so sein, denn wenn man in seinem Leben wirklich etwas erreichen will, muss man hart arbeiten.“

24 Jahre BernsteinzimmerAlexander Krilow hat in seinem Leben schon vieles erreicht. Sein Lebenswerk ist nichts Geringeres als das Bernsteinzimmer im Ka-tharinenpalast im Petersburger Vorort Puschkin. 24 Jahre hat er daran gearbeitet. Am Schluss waren bis zu 50 Menschen daran beteiligt, aber er war derjenige, der von Anfang bis Ende dabei war. So nennt er heute auf die Frage, ob es etwas gibt, auf das er beson-ders stolz ist, natürlich das Bern-steinzimmer: „Das ist eine Arbeit, die einfach rundum gelungen ist.“ Das Schwierige an der Rekons-truktion war, dass es nur Schwarz-Weiß-Fotos des Originals gab. Man habe mit allem von null anfangen müssen, sagt Krilow. Deshalb habe es so lange gedauert. Zu Anfang hatte er einen penib-len Direktor, der darauf geachtet hat, dass man jeden Tag pünktlich zur Arbeit kommt und erst spät heimgeht. Krilow meint, dieser Di-rektor sitze ihm immer noch im Nacken. Dabei ist er seit zehn Jah-ren selbstständig. 2003 wurde das rekonstruierte Bernsteinzimmer feierlich übergeben, danach rich-tete er sich eine Werkstatt im Zen-trum von St. Petersburg ein und stellte Dennis Fedotow als Assis-tenten an.

Der Preis für Bernstein steigtFedotow stellt bis heute vor allem Schatullen für ausländische Tou-risten her. Fünf Wochen lang hat er an zwei Schatullen gearbeitet, hat Schiffssegel in die Plättchen eingraviert, sie geschliffen, kolo-riert und poliert. Wie viel sie am Ende kosten? Bernsteinkünstler Krilow zieht die Augenbrauen nach oben und sagt etwas widerwillig: „Mehr als 1000 Euro das Stück.“

Der Traum des Bernsteinmanns Kunst Ein Petersburger Künstler über die Anziehungskraft des begehrten Steins aus fossilem Harz

matisch: „Wenn ich den Bernsteinin die Hand nehme, ist das ein Stein– wo soll da bitteschön Romantiksein? Du hast ein Material und da-raus machst du etwas anderes.“

Mehr als teure SchatullenDoch im Fall von Krilow ist dasandere schon lange nicht mehr nureine profane Schatulle. In seinerWerkstatt beeindruckt er denBesucher mit einer Miniatur desBernsteinzimmers. Rechts davonein Frauentorso, links der Kopf vonPeter dem Großen, dazwischen dreimonumentale Ikonen – alles ausBernstein. Er wolle beweisen, dasssich der fossile Stein wunderbarfür Skulpturen oder für großfor-matige Ikonen eigne. Sein großerTraum ist es, irgendwann einekomplette Ikonostase aus Bernsteinzu schaffen. Vor der Ikonostase wird in der or-thodoxen Kirche Gottesdienst ge-feiert, dahinter befi ndet sich einBereich, der für die Gläubigen nichtzugänglich ist. Für eine Ikonosta-se aus Bernstein bräuchte man lo-cker zehn Jahre. Und sehr, sehrviel Geld. Deshalb ist Krilow aufder Suche nach potenten Sponso-ren: „Natürlich kann man sich klei-nere Ziele stecken, was ich auchtue, aber eine Ikonostase wäre vomArbeitsumfang und vom Schwie-rigkeitsgrad her vergleichbar mitdem Bernsteinzimmer. Genau dasreizt mich.“ Zielstrebig sei der59-jährige Alexander Krilow, sagtsein Assistent, und er erreicheimmer, was er sich vorgenommenhabe.

werk der Bernsteinmeister. Der Grund: Es fand sich keiner mehr, der bereit war, dafür zu bezahlen. Alexander Krilow glaubt, dassel-be passiere auch jetzt. Die Begeis-terung für das Bernsteinzimmer sei ungebrochen, aber wer die Künstler waren, die so etwas ge-schaffen haben, dafür interessiere sich keiner.

Wie Butter schneidenEs klingt etwas verbittert, aber Krilow macht keinen resignierten Eindruck. Im Gegenteil, er scheint in der Blütezeit seines Schaffens zu stecken. Als ihn seine Bekann-te Julia besuchen kommt, sagt sie: „Am meisten erstaunt mich, wie schnell er das alles macht! Er ar-beitet mit Bernstein so, als würde er Butter schneiden.“ Es müsse wohl eine Gabe sein. Wenn man Krilow nach seiner Beziehung zum Bernstein fragt, antwortet er prag-

Seine Kunden, das wird schnell klar, sind Menschen mit viel Geld. Und der Preis von Bernstein steigt. „Preissteigerungen von bis zu 30 Prozent in drei Monaten sind völlig normal“, stöhnt Krilow. Das Material bezieht er fast aus-schließlich aus Kaliningrad. Die besondere Beziehung der Russen, Polen und Deutschen zum Bern-

stein sei seiner Meinung nach ganz einfach zu erklären: „Wir haben schlichtweg nicht ge-

nug Sonne. Und da es oft kalt ist, ist es ein angenehmes Ge-fühl, etwas Warmes in den Hän-den zu halten. Bernstein ist der einzige Stein, der nicht kalt,

sondern warm ist.“ Dabei war Bernstein schon immer ein edles Material, das einst am Zarenhof für wertvolle Geschen-ke verwendet wurde. Doch mit dem Ende der Zaren verschwanden auch das Wissen und das Hand-

1. Akribische Gra-

vur in den Stein

2. Frauentorso aus Bernstein

3. Porträt von Peter dem Großen

4. Kunstvolle Bernsteinschatulle

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Warum Russen, Deutsche und Polen den Bernstein lieben? Er ist der einzige Stein, der warm in der Hand liegt.

Alexander Krilow hat ein Leben lang mit dem Bernstein gearbeitet.

Die Suche nach dem Bernsteinzimmer

Um das Bernsteinzimmer ranken sich bis heute Mythen. In Auftrag gegeben wurde es von Preußenkönig Fried-rich I. und befand sich zunächst im Berliner Stadtschloss, nach der Schen-kung an Zar Peter den Großen kam es in den Petersburger Katharinenpalast. Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs demontierten die Deutschen das Bernsteinzimmer und brachten es nach Königsberg. Seit 1945 gilt es als verschollen, über seinen Verbleib exis-

tieren unzählige Theorien, und sein geschätzter Wert von 150 Millionen Euro lässt Schatzsuchern rund um den Globus keine Ruhe. 1981 wurde die originalgetreue Rekonstruktion des Bernsteinzimmers im Katharinenpalast beschlossen, zum Jahr 2003 – dem 300-jährigen Jubiläum St. Peters-burgs – wurde es mit deutscher finan-zieller Hilfe fertiggestellt. Maßgeblich daran beteiligt war der Bernstein-künstler Alexander Krilow.

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