Servants Newsletter Januar 2008

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Themen: - Barmherzige Samariter in Kambodscha - Veränderungen in Indien - Geliebte Menschen blühen auf

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Page 1: Servants Newsletter Januar 2008

servantsNr. 52 / Januar 2008

news

2 Barmherzige Samariter in Kambodscha | 3 Veränderungen in Indien | 9 Geliebte Menschen blühen auf

«Wenn Sie an einem Sonntag die Wahl haben, entweder einem Bedürftigen zu helfen oder zur Kirche zu gehen, was tun Sie dann?» Efren Roxas, Seite 2

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Regelmässig berichten wir von jungen Menschen, kleinen Kindern und gan-zen Familien, die arm und beinahe chancenlos aufwachsen und leben müssen. Durch Servants erhalten sie handfeste Hilfe und begegnen einem persönlichen Gott, der sie liebt und wertschätzt. Wir lesen über Aufbrüche, neue Hoffnung und neues Leben. Auf der andern Seite stehen Berichte über Randy und Rolando, die trotz Hilfe von Onesimo viel zu jung durch Krankheit und Gewalt dem Leben entrissen wur-den. Leben und Tod sind bei den Armen so nahe beisammen. Dann wol-len uns Trauer und Wut lähmen und die Frage, ob sich der Einsatz dennoch gelohnt hat. Aber Liebe verschenkt sich und fragt nicht nach dem Lohn. Vielleicht möchten Sie manchmal auch am liebsten selber dort sein, bei Strasseneinsätzen, in Ferienlagern, The-rapiehäusern, Gottesdiensten, bei Sportanlässen oder im Schulunterricht. Sie möchten vielleicht mit diesen Men-schen zusammen lachen und weinen, weil Gott sie vor den Augen der Welt erwählt hat, um sie durch ihren Glau-ben reich zu machen (Jakobus 2,5). Mitten im Wohlstand können wir durch Gaben und Gebete, Menschen in der armen Welt bewegen und werden da-durch selber gesegnet. Täglich schenken Mitarbeiter von Servants neue Hoff-nung für Hoffnungslose. Davon berich-ten wir immer wieder, damit wir nicht aufhören, den Armen beizustehen!

Christian Schneider

Hoffnung für Hoffnungslose

Das einzige Unveränderliche ist die Veränderung

Auszug ... Wir haben hier viele ermutigende Augenblicke und unvergessliche Mo-mente erlebt, aber auch Herausforde-rungen und Frustrationen. Wir hatten immer wieder Heimweh und haben unsere Freunde und Familien vermisst. Seit unser Sohn Timon geboren ist, hat uns die ungesunde Umgebung oft Sor-gen gemacht und wir hatten Angst, dass ihn jemand entführen könnte. Insgesamt überwiegen die guten Erfah-rungen – und so werden wir unseren

Freunden in Kalkutta mit viel Tränen Goodbye sagen. Mit euch wollen wir uns an einige Höhepunkte unserer Zeit in Kalkutta erinnern: Unser Leben in einem Slum-viertel. Liebevolle Aufnahme durch unsere Nachbarn und Freunde im Slum. Aufbau und Wachstum von Conne-Xions mit unserer Schlüssel-person Joya. ConneXions hat ein eigenes Haus! Indi-sches Essen und Tanzen. Emmanuel Ministries – eine Gemeinde vor Ort –, die uns als Freunde und Partner be-gleitet und unterstützt hat. Verrückte Motorradtouren mit Freunden. Die bengalische Gemeinde wächst und ist ein Ort, an dem sich Slumbewoh-ner, Waisen- und Strassenkin-der sowie Prostituierte wohl-fühlen. Ausflüge mit Frauen aus den Slums. Die Anpassung von Timon an Klima, Chaos, Menschenmengen, Lärm, Es-sen usw.Die letzten Monate waren die härteste Zeit, die wir in Kal-kutta erlebten: Gesundheit-lich ging es uns sehr schlecht, es gab vieles, das uns belastet hat. Der ganze Hauskauf war sehr kräftezehrend, es gab Pro-bleme mit einem Leiter von ConneXions, was viel Geduld und Verständnis gekostet hat. Das Bild eines Marathons kommt uns in den Sinn: Das letzte Stück ist das härteste, man muss durchhalten. Man muss kämpfen, um das Ziel zu erreichen. Durch diese letz-ten schwierigen Monate wird uns bewusst, wie uns Gott in den letzten Jahren gesegnet

und bewahrt hat. Wir erkennen, wie gut Gott zu uns über all die Jahre war. Es hätte ja immer so ein Kampf sein können. Wir sind Gott sehr dankbar!

... und Einzug Das gekaufte Haus für ConneXi-ons ist einzugsbereit! Renoviert sieht es fast wie neu aus und alle Frauen freuen sich riesig. Etwa achtzig Frauen aus den Slums arbeiten Voll- oder Teilzeit bei ConneXions. Das Zentrum empfinden

Indien

C O N N E X I O N S

Nun schreiben wir zum letzten Mal direkt aus Kalkutta, wo wir nun fast sieben Jahre gelebt haben! Anfang nächsten Jahres werden wir in die Schweiz zurückkehren.

EDITORIAL

Titelbild: Verzweifelter Überlebenskampf in Manila(Foto: Emanuel Heitz)

Ich sage mir, das ist eine von vielen Kranken hier, Becky soll selber sehen, was zu tun ist. Etwas später kommt sie wieder und ergänzt, die Frau sei vom Spital weggewiesen worden. Niemand kennt die Kranke, die nur eine Plastik-tüte mit ihren Sachen hat. Sie liegt auf einem Karren, dünn, mit alten und fri-schen Wunden am ganzen Körper. Ich vermute, dass sie Aids hat.

Gestörte Sonntagsruhe Über ein Dutzend Nachbarn dis-kutieren jetzt mit Becky, was am besten zu tun ist. Ich rufe einen Mitarbeiter des Aids-Programms an und Becky ruft unseren Teamleiter. Es ist Sonntag! Sie haben Urlaub und auch wir gehen nun bald zur Kirche. Müssen wir unsere Leu-te mit dieser unbekannten Frau belästi-gen? Lohnt sich das Risiko? Mitten in der Not wird unser Geist rational. Als der Aids-Mitarbeiter kommt, werden ein paar Münzen gesammelt. Wir sind beeindruckt, wie unsere Nachbarn ihr hart verdientes Geld spenden und ge-ben auch etwas aus unserer Kasse. Das Geld ist für den Transport zu einem Aids-Krankenhaus bestimmt. Unter den vielen grosszügigen Nachbarn fallen aber zwei Personen besonders auf:

Helfer mit Alkoholgeruch Ein Mann hebt die kranke Frau auf, legt sie sorgfältig und liebevoll auf einen motorisierten Karren und bittet mich um eine Decke für ihren gebrech-lichen Körper. Dabei nehme ich seinen Atem wahr, der nach Alkohol riecht. Ausgerechnet er fährt sie ins Spital, um zu garantieren, dass sie sicher dort an-kommt. Wenn uns jemand fragen wür-de, warum nicht wir sie dorthin bringen, würden wir wahrscheinlich antworten: «Wir haben bereits Geld und eine Decke gegeben und nun gehen wir in die Kir-che.»

Spielsüchtig und verachtet Eine Frau wird wegen ihren vie-len Trink- und Glücksspielen von den Nachbarn verachtet. Aber sie ist nun bereit, einer unbekannten Frau zu die-nen. Obwohl sie keinen Vorteil erwar-ten kann, vergisst sie ihre eigene Sicher-heit, steigt in den maroden Motorkarren und nähert sich ohne zu zögern der todkranken Frau.

Helfen oder zur Kirche gehen? Die am besten gekleideten Nach-barn diskutieren, was zu tun ist und geben ein bisschen Geld. Aber diese zwei Personen setzen sich nach Kräften für Bedürftige ein. Sie sind wahre Nach-barn! Ich will die «Netten» und uns sel-ber nicht verurteilen, aber wir haben gemerkt, dass uns als Nachbarn noch etwas fehlt. Um zu helfen, müssen wir manchmal nur die Routine in unserem fest strukturierten Leben unterbrechen. Wenn Sie an einem Sonntag die Wahl haben, entweder einem Bedürftigen zu helfen oder zur Kirche zu gehen, was tun Sie dann? Können wir im christli-chen Sinn das tun, was der barmherzige Samariter tat (Lukas 10,30-37)? Ver-mutlich haben wir alle bald wieder Ge-legenheit, jemandem zu helfen. Handeln wir aus Liebe, werden wir trotz Unter-brechung selber gesegnet und erleben heilige Begegnungen.

Efren Roxas

Geschichte von barmherzigen Samaritern

Kambodscha

P H N O M P E N H

Am Sonntagmorgen unterbricht mich Becky beim Duschen, als ich mich für die Kirche bereit mache, weil eine kranke Frau vor der Tür ist.

Becky und Efren Roxas mit dem Motorrad, das ihnen die Vineyard-Gemeinde Basel ermöglichte

sie als Zufluchtsort in ihren harten Le-bensumständen. Ein eigenes Haus gibt noch mehr Möglichkeiten, Slumbewoh-ner mit Jesus in Berührung zu bringen. ConneXions wird ohne uns weiterge-hen mit einem einheimischen Team von Leitern, der Unterstützung unserer lo-kalen Partnerorganisation Emmanual Ministries und des Servants-Teams: Jen-ny aus den USA und Kate aus Grossbri-tannien sind sehr motiviert und haben viele neue Ideen und Visionen, Men-schen aus dem Slum zu erreichen. Ab Februar wird noch Jo aus den USA zum Team dazustossen.

Wir werden für Besuche nach Kal-kutta zurückkehren, uns aber vorerst in der Schweiz niederlassen. Ende Februar erwarten wir unser zweites Kind! Uns wieder in der Schweiz zurechtzufinden, die Bedürfnisse und Sorgen der Leute zu verstehen und uns anzupassen, wird für uns eine grosse Herausforderung sein, nachdem wir so lange in einem ganz anderen Umfeld gelebt haben. Wir haben so vieles erlebt, gesehen und ge-macht, was die meisten nicht werden nachvollziehen können. Bitte betet für uns und auch weiterhin für die Armen in Kalkutta und für ConneXions – dass Jesus für arme Menschen sichtbar wird!Trotz unserer Rückkehr in die Schweiz bleibt es unsere Leidenschaft, mit Ar-men, Ausgestossenen und Notleiden-den unser Leben zu teilen. Wir fühlen uns von ihnen angenommen und ge-liebt. In ihnen sehen und erleben wir Jesus. Ab Januar werden wir deshalb ein Transportunternehmen übernehmen, das Hilfsgütertransporte nach Rumäni-en durchführt. Wir freuen uns, dieses Volk und Land kennenzulernen, Ge-meinden zu besuchen, einen kleinen Teil beizutragen, um die Not in Osteuropa zu lindern.

M. & K.

Das Bild eines Marathons kommt uns in den Sinn: Das letzte Stück ist das härteste, man muss durchhalten. Man muss kämpfen, um das Ziel zu erreichen.

Markus und Katharina Freudiger mit ihrem Sohn Timon

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Die Regierung hob den Benzinpreis auf das Fünffache an, was eine Teuerung auslöste. Der Reis wurde um ein Drittel teurer, sodass ein Fabrikarbeiter nun rund die Hälfte seines Lohnes für Reis braucht, die Familie noch nicht einge-schlossen. In Burma hungern Millio-nen, viele haben nur noch Reiswasser als Nahrung.

Zwischen Luxus und Armut Um vor Protesten sicherer zu sein, liess die Regierung im Urwaldgebiet ei-ne neue Hauptstadt bauen. Die Beam-ten wohnen in teuren Wohnanlagen,

während ihre Familien immer noch in der alten Hauptstadt leben, die 320 Ki-lometer entfernt ist. Zusammen mit an-deren TB-Spezialisten fuhr ich auf fast verkehrsfreien, überdimensionierten Strassen an protzigen Ministerien vor-bei und besuchte den stellvertretenden Leiter des Gesundheitsministeriums. Wir erklärten freundlich, dass die Regierung bedeutend mehr Geld für TB-Medika-mente investieren muss, weil die WHO ihre Gratislieferungen einstellen wird. Die Militärjunta ist sehr reich und herrscht über ein verarmtes Land – eines der korruptesten und am stärksten unter-

Hoffnung trotz Ohnmacht in Burma

Im Herbst verbrachte ich eine spannende und traurige Woche in Burma als Konsulent der WHO, genau als die Proteste anwuchsen und die brutale Antwort der Militärjunta einsetzte.

Im April 2007 schritt dieser buddhistischer Mönch noch leichtfüssig über den Hof der berühmten Shwedagon-Pagode

Burma

drückten Länder. Ich erinnere mich, wie Wut und Traurigkeit in mir aufstie-gen: Ich sass in meinem Zimmer in einem Luxushotel, schaute auf einen blauen Swimmingpool hinunter und sah im CNN eine Burmesin, die an die Welt appellierte, Burma nicht im Stich zu lassen.

Nichts mehr zu verlieren Gut einen Monat später las ich einen Artikel in der Washington Post von einem Leiter der Protestbewegung. Der mutige Mann lebt nun im Unter-grund und setzt den harten Kampf für ein freieres Burma fort. Er schreibt: «Wie-der wurden die Strassen von Rangoon und Mandalay rot gefärbt vom Blute unschuldiger Zivilisten. Hunderte un-serer Mönche und Nonnen wurden ver-prügelt und verhaftet. Viele wurden er-mordet.

Dass Tausende Geistliche ver-schwunden sind, ist alarmierend. Unsere heiligen Klöster wurden geplündert und zerstört. In der Dunkelheit der Nacht versuchen Spezialtrupps der Junta, poli-tische und religiöse Leiter zu verhaften. Eine Fassade der Ruhe hat das Getöse von Gewehrschüssen ersetzt. Ich werde gefragt, ob ich entmutigt sei und ob die Kämpfe für Demokratie am Ende sind. Meine Antwort ist zweimal Nein. Ich habe Ehrfurcht vor dem Mut von so vielen, inbegriffen auch Sicherheits-agenten der Junta, die heimlich Leiter der Protestbewegung und mich beher-bergten. Und ich habe beobachtet, dass viele unter den Militärs und Polizisten, angeekelt von dem, was sie ihren Lands-leuten antun mussten, uns nun unter-stützen. Das Hauptinstrument der Ge-neräle – ein Klima von Furcht und Gewalt – verliert seine Wirkung: Wir haben nichts mehr zu verlieren und sind darum furchtlos. Wir halten uns an Gewaltlosigkeit, aber unser Rückgrat ist aus Stahl. Es gibt kein Zurück mehr. Es kommt nicht wirklich darauf an, ob mein Leben oder die Leben von Kolle-gen auf dem Weg geopfert werden soll-ten. Andere werden unsere Sandalen anziehen, mehr werden kommen und mitziehen.» Von der Christenheit hat man lei-der wenig gehört während der vergan-genen Monate. Servants hofft, in gut einem Jahr ein Team in Burma starten zu können.

Christian Auer

Wir haben nichts mehr zu verlieren und sind darum furchtlos.

O N E S I M O

Die öffentlichen Spitäler sind recht bil-lig, aber oft herrschen dort Hektik und Lieblosigkeit: «Tu nicht so dumm, mach die Schenkel auf und presse!» Manche Hebammen drücken auf die Bäuche der Schwangeren, um die Geburt zu be-schleunigen und führen viele unnötige Dammschnitte durch.

Geburt bei uns zu Hause Joey hat vor einigen Jahren bei Onesimo ein neues Leben angefangen und nun freut er sich darauf, Vater zu werden. Als Broterwerb sammelt und verkauft er leere Flaschen und Altpapier. Sein Einkommen reicht nicht einmal für das Nötigste, etwa für Ausgaben, die mit einer Geburt anfallen. Da mei-ne Frau Janice Hebamme ist, hat sie der jungen Janis angeboten, zur Geburt zu uns zu kommen. Sie ist noch keine zwanzig Jahre alt und zierlich gebaut. Darum sind wir etwas nervös. Aber bald ist ein gesundes, schönes Mädchen gebo-ren. Janis lächelt erschöpft, Joey strahlt und ich bin stolz auf Janice und ihre wertvolle Hilfe.Für Säuglinge in den Slums ist das Stil-len besonders wichtig. Dies ist wäh-rend den ersten Tagen nicht einfach und die Mütter brauchen Unterstützung. Als Janis sehr Mühe mit Stillen hat, nehmen wir die drei bei uns auf. Nach fünf Tagen geht es recht gut und sie können wieder heim in ihr 1 x 2 Meter grosses Zimmer.

Unsere Zukunft: in der Schweiz Seit einem Jahr machen wir uns Gedanken über meine älter werdenden Eltern. Für viele Filipinos ist es klar, dass man für die Eltern sorgt. Hier gibt es nur sehr wenige Altersheime. So dis-kutierten wir dies im Frühling in der Schweiz. Es ergab sich, dass nur fünfzig Meter von meinem Elternhaus entfernt ein Haus mit kleinem Garten günstig zu kaufen war. Grosszügig bot mein Vater an, es für uns zu erwerben. Nach gründlichen Überlegungen und Gebet hat uns Folgendes zu einem Ja bewogen: unsere Verantwortung für die Eltern; Gesundheitsprobleme von Janice (sie leidet hier immer mehr an Schnupfen-anfällen und Asthma, in der Schweiz war sie völlig gesund) und meine schlechte finanzielle Situation hier. Un-ser spannendes und erfüllendes Leben in Manila wird so im Sommer 2008 zu Ende gehen. Janice wird vorher noch ihre Ausbildung zur Krankenschwester abschliessen und das Staatsexamen ab-solvieren.

Christian Auer

Gebären im Slum, zu welchem Preis?

In den Slums wählen die Mütter den Geburtsort aus folgenden Möglichkeiten: Zu Hause mit einer traditionellen Hilfshebamme, die oft Fehler machen, oder mit einer ausgebildeten Hebamme, was aber mehr kostet. Oder eine Geburtsklinik.

Joey und seine Frau Janis

P h i l i p p i n e n

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P h i l i p p i n e n

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Armut schlägt ins Gesicht In diesen Tagen springt mich die Armut jedoch an. Zu viele Menschen sind gezeichnet von einem zu harten Leben: Sie sind von ihrem Kampf ums Überleben frühzeitig gealtert, leidge-prüfte Gesichter, stumpfe Haut. Män-ner im besten Alter sitzen tatenlos her-um – als unqualifizierte Arbeitskraft finden sie keinen Job mehr, mit 28 Jah-ren gilt man bereits als overaged. Übrig bleiben Jobs, die so wenig abwerfen, dass man als Einzelperson kaum über-leben kann, geschweige denn als Fami-

lie. Sehr viele Arbeiter verdienen sogar weniger als den staatlichen Mindest-lohn; selbst ein völliger Hungerlohn! Wie man so lebt? Das kann keiner sa-gen. Von der Hand in den Mund – buchstäblich. Und wenn nichts in der Hand ist, kommt auch nichts in den Mund. Vielleicht hat ja eine Nachbars-familie etwas mehr Reis im Topf als sonst. Irgendwie muss es halt gehen. So beschreiben es mir meine Nachbarn. Selbst wenn es irgendwie geht, es bedeu-tet oft Unterernährung und anderen Mangel.

Ich war gefangen (in Armut?) – und ihr habt mich besucht Der 17. Oktober ist der internatio-nale Tag der Armut. Jedes Jahr suchen wir uns einen Ort, an dem die Armen selbst zu Hause sind und gestalten einen Rahmen, in dem sie sich wohlfühlen. Diesmal feierten wir unter der grossen Brücke in Quiapo, wo viele unserer Freunde obdachlos und in verzweifel-ter Armut leben. Platz ist auch hier ein kostbares Gut: Wir finden einige Park-plätze zwischen Markt und Brücke. Zwischen geparkten Autos, Abfallhau-

Die Armut in Manila, meiner «zweiten Heimat», ist mir in den letzten Jahren immer weniger aufgefallen: Menschen in Armut sind hier in der Mehrheit – keine Randgruppe, die aus dem Rahmen fällt. Und wenn ich diese Menschen besser kennenlerne, nehme ich in erster Linie ihre Menschlichkeit wahr und nicht ihre Armut.

Armut – und kein Ende?!

L I L O K

Jede fünfte philippinische Familie leidet an Hunger

fen, baufälligen Hütten, Marktständen und einer undefinierbaren, stinkenden Lache versammeln wir uns. Wir, das sind Servants und Freunde aus Partnerorga-nisationen sowie deren Freunde aus ver-schiedenen Armenvierteln der Stadt. Innerhalb kürzester Zeit scharen sich viele Menschen um uns: Jede Unterhal-tung ist willkommen und, wer weiss, vielleicht gibt es ja sogar etwas gratis! Besonders Kinder strömen herbei, sie kennen einige von uns durch das Programm Onesimo Kids. Ich selbst habe einige Bekannte hier, wofür ich dankbar bin. Denn ich finde es schwie-rig, mit solcher Armut konfrontiert zu sein und niemanden persönlich zu kennen. Wir singen einige Lieder mit sozialkritischem Inhalt über die Philip-pinen, die gleichzeitig einen gesunden Nationalismus betonen. Ein Lied han-delt davon, wer eigentlich entscheiden kann, ab wann ein Gebäude wirklich ein Haus ist. Hier, unter der Brücke von Quiapo, hat diese Frage eine schmerz-hafte Relevanz. Nach den Liedern ma-chen wir einige Spiele mit den Anwesen-den und tauschen miteinander unsere Gedanken über ein Gedicht aus. Später wird Strassenmalkreide verteilt, wir wer-den eingeladen, unsere Träume von einer besseren Welt auf den Boden zu zeichnen. Solche Bodenkreide ist etwas Neues, die Begeisterung fliesst beinahe über. Plötzlich jedoch kommt eine Ruhe in die Menge. Viele kauern am Boden und zeichnen mit sicherer Hand. Die Si-tuation erinnert mich an die Gebete an der Klagemauer in Jerusalem: Auf dem Asphalt entstehen ein Haus und ein Dach nach dem anderen. Blumen in allen Farben spriessen und Familien wohnen mit allen Mitgliedern zusam-men und essen an Tischen! Da gibt es Bäume und viele Herzen und Menschen, die sich an den Händen halten. In klei-nen Grüppchen, die miteinander zeich-nen, entstehen zarte Pflanzen der Freundschaft zwischen bisher Fremden. Zum Abschluss essen wir miteinander Snacks. Es entsteht ein Chaos. Viele be-fürchten, leer auszugehen. Dieses Ver-halten nervt mich, ist aber nicht grund-los egoistisch. Hier unter der Brücke gehen die Menschen allzu oft leer aus. Und leer heisst hier ganz leer, nichts. Denn nichts reicht jemals für alle! Von nichts gibt es genug (ausser von Abfall und Abgasen). Gerade darauf will der Tag der Armut hinweisen: Es gibt zu viele Menschen in dieser Welt, die hoffnungslos zu kurz kommen! Oder gibt es zu viele Menschen, die schon zu lange einen Reichtum anhäufen, der ihre wirklichen Bedürfnisse längst übersteigt? An einem Tag wie heute tun mir solche Gedan-ken körperlich weh. Mittlerweile ist es dunkel geworden. Wir räumen die Lautsprecher ab und packen zusammen. Die Erfahrung war überwäl-tigend und gleichzeitig unglaublich wert-voll.

Ich plaudere noch mit Zenaida, einer Mutter von sechs Kindern. Sie haben vor Kurzem ihre Hütte bei einer Räumung verloren und nichts, wo sie sonst hinziehen könnten. Ausserdem sind ihre Kinder hier in der Schule und das wollen sie nicht unterbrechen. Zenaida fiel mir schon früher durch ihre Ordentlichkeit und Geradlinigkeit auf. Sie strahlt Frieden aus. Ich weiss nicht, wie die Familie überlebt. Der Vater ist seit drei Monaten im Gefängnis. Er war im falschen Moment mit Drogen-dealern im Kontakt und wurde mitge-schnappt. Es ist schwierig zu beweisen, dass er mit dem Geschäft nichts zu tun hat. So trägt Zenaida alle Verantwor-tung für die Familie und muss auch das Geld alleine verdienen. «Ich kann mich nur an Gott anlehnen», seufzt sie, und ich weiss, dass dies ihre grösste Zuver-sicht und Hoffnung ist. Ich merke, dass unser Besuch den Men-schen hier gut getan hat, auch wenn sich äusserlich gar nichts verändert. Hier zu feiern, wird als Akt der Solidari-tät empfunden – und dies allein hat grossen Wert. Ein Besuch und etwas Zeit verbringen beweist Interesse und Freundschaft. Aber ehrlich gesagt, kom-me ich hier in Quiapo immer reicher beschenkt weg, als ich gekommen bin.

Eindrücke von zwei Teilnehmern am Tag der Armut in Quiapo «Ich dachte bisher, ich sei Armut gewohnt. Aber hier in Quiapo ist das nochmal ganz anders.» «Unsere Familie ist auch sehr arm, aber alle wohnen in einem Haus (Haus bezeichnet oft eine schäbige Hütte). Aber wir haben keinen Kontakt zueinander. Von meinen Grosseltern weiss ich nur ungefähr, wo sie leben und dass sie fast nichts haben. Ich will nicht, dass jemand in unserer Familie so auf der Strasse endet. Ich nahm bereits am nächsten Tag Kontakt mit einigen Familienmit-gliedern auf. Ich will wissen, wie es ihnen geht. Wir gehören doch zueinan-der und brauchen einander.»

Regula Hauser

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Dankbar – oder gierig? Neu berührt war ich ebenfalls von der Schönheit und auch Gepflegtheit der Natur, mit der wir in der Schweiz gesegnet sind. Ruhe, frische Luft, Alpen-wiesen, saubere Flüsse, ein geordnetes Leben – alles Dinge, die in dem Stadt-dschungel von Manila nicht zu finden sind. Etwas bedenklich gestimmt hat mich aber der materialistische Trend in der schweizerischen Gesellschaft. Viel-leicht war das schon früher so, und es fällt mir erst durch mein Wegsein auf? Überall neue, moderne Bauten, auf den

Strassen grosse, glänzende Autos, in der Stadt gestylte Geschäftsleute, die unun-terbrochen mit dem Handy telefonie-ren, überall Werbung, die noch mehr und noch bessere Produkte anpreist. Ich frage mich nur, ob wir Schweizer durch all den Überfluss überhaupt noch wahrnehmen, wie reich wir schon gesegnet sind und dafür dankbar sein können? Oder ob unser Streben nach noch mehr Erfolg und materiellen Din-gen uns noch tiefer in Überarbeitung und Überforderung am Arbeitsplatz, Ver-einsamung, Vernachlässigung der Fami-lie und moralische Armut führt?

Die Versuchung, aufzugeben Wobei, ein Paradies auf Erden gibt es ja bekanntlich (noch) nicht. Die Phi-lippinen sind ganz bestimmt auch noch weit davon entfernt. Das wird mir neu klar, seit ich Mitte Oktober wieder zu-rück bin: Nagende Armut und Verwahr-losung von immer mehr Menschen, das Chaos und der Dreck auf der Stras-se und die vielen Armenviertel, all das schlägt mir neu wie eine Faust ins Ge-sicht. Wie können die Menschen hier nur so leben? Eine mögliche Antwort ist, dass viele gar keine Wahl haben und von den Umständen so abgestumpft sind, dass sie gar nichts anderes vom Le-ben erwarten.Doch auch immer wieder, sei es in der Nachbarschaft von San Roque, wo ich wohne, oder unterwegs, begegne ich Menschen, die noch nicht ganz aufge-geben haben. Menschen, die Hoffnung in sich tragen, dass eine bessere Zukunft möglich ist, und die selber auch etwas dazu beitragen können und wollen. Das gibt auch mir wieder Hoffnung, dass mit Gottes Hilfe Veränderung möglich ist und er unter uns seine neue Welt bau-en will. Das ist auch ein Grund, warum ich ab November dieses Jahres eine Teil-zeit-Weiterbildung im Bereich von Com-munity Development (Veränderung von Gemeinschaften wie z.B. Armenquar-tieren) beginne. Durch diese Ausbildung möchte ich verschiedene Ansätze ler-nen und dann auch gleich in meinem Alltag anwenden. Damit mit Gottes Hil-fe mehr Veränderung, wenn auch nur im Kleinen, geschehen kann. Daneben werde ich wie bisher im Lilok-Erwach-senenkurs mitarbeiten.

Simon Fankhauser

Veränderung ist möglich?!

Immer wieder begegne ich Menschen, die noch nicht ganz aufgegeben haben. Menschen, die Hoffnung in sich tragen, dass eine bessere Zukunft möglich ist.

Zweieinhalb Monate war ich dieses Jahr in der Schweiz und habe die Zeit sehr genossen! Es tat mir gut, Zeit mit Familie und Freunden verbringen zu können und zu spüren, dass ich trotz der drei Jahre, die ich inzwischen weg bin, tiefe Wurzeln zu Hause habe. Ich fühle mich getragen und verstanden. Was für ein Geschenk, Menschen zu haben, die hinter mir stehen!

Simon Fankhauser mit Filipinos

P h i l i p p i n e n

L I L O K

Von der Müllhalde zu Onesimo Hier zwei Beispiele ehemaliger Drogensüchtiger, die bei Onesimo ihr Leben neu geordnet haben:

Wiedersehen zu Hause Alejandro ist ein ehemaliger Schul-aussteiger, Leimschnüffler und Dieb von der Müllhalde in Payatas. Im Sommer trat er in die Lebensschule von Onesimo ein. Zwei Monate später durfte er zum ersten Mal seine Familie im Slumdorf besuchen. Hier sein Bericht: «Auf der Hinreise fragte ich mich, was meine Fa-milie beim Wiedersehen wohl sagen wird. Auf dem Weg zur Hütte begegnete ich meiner Tante. Sie meinte voll Freu-de, ich sei kaum wiederzuerkennen, weil ich so stark geworden bin. Dann sah ich ein paar meiner alten Freunde. Als ich ihnen erklärte, dass ich bei Onesimo bin, machten Sie Witze und meinten, wir könnten nochmals zusammen Leim schnüffeln. Auch meine Grossmutter war überglücklich darüber, wie ich mich verändert hatte! Die Freude bei meiner Mutter und meinen Geschwistern war schliesslich unbeschreiblich. Sie stell-ten hundert Fragen und hörten gespannt zu, als ich ihnen von meinen Erlebnis-sen erzählte. Nur mein Vater war leider nicht zu Hause.»

Zehn Jahre später Jimmy trat vor zehn Jahren als Drogensüchtiger bei Onesimo ein. Er fuhr vorher als «Jumper» auf den Müllwagen mit, um zu helfen, die wertvollsten Ab-fälle zu ergattern. Nun lernte er ein nor-males Leben zu führen und besuchte wieder die Schule. Nach zwei Jahren half er als Mitarbeiter mit. Als er seine Frau kennenlernte, verliess er die Gemeinschaft und zog nach Payatas. Heute berichtet Jimmy: «Ich habe zwei Kinder und eine liebe Frau. Wir vertrauen und lieben ein-ander. Obwohl ich wieder als Müllsamm-ler arbeite, habe ich nie mehr Drogen ge-nommen. Die Hilfe von Onesimo werde ich nie vergessen. Ich gehöre heute zur Leuchtturm-Gemeinschaft und treffe mich wöchentlich mit anderen Chris-ten. Der Weg mit Gott ist auf eine Weise schwieriger als ohne ihn. Aber wir hel-fen einander in unserer Armut. Die Ver-suchungen, die Gott mir zumutet, sind nie zu gross, dass wir sie nicht gemein-sam bewältigen könnten.»

Arnold Talha, Mitarbeiter von Onesimo

P h i l i p p i n e n

O N E S I M O N E W S

Jimmy und seine Frau

Geliebte Menschen blühen auf

Wir freuen uns sehr über die monatli-chen Treffen der Leuchtturm-Gemein-schaft für junge Familien und über die jährliche Freizeit. Oft dürfen wir Trau-zeugen und Paten sein. Wir besuchen die Familien regelmässig, hören von ihren Freuden und ihrem Kummer und beten mit ihnen. Wir möchten, dass noch mehr junge Familien für Kamay Krafts arbeiten. Diese Kooperative wur-de von Servants gegründet und verkauft Produkte aus den Slums in westliche Länder wie etwa die Taschen aus Saft-tüten. Über hundert Familien verdienen sich damit ihren Lebensunterhalt. Dank Heimarbeit können die Mütter zu Hau-se arbeiten und bei ihren Familien blei-ben. Die Workcamps für die Jungen und Mädchen, die neu bei Onesimo aufge-nommen werden, waren wieder span-nend. Es ist sehr schön, zu beobachten, wie sie sich in kurzer Zeit positiv ver-ändern und aufblühen, weil sie nun Liebe und Fürsorge durch Gottes Gnade erfahren.

Tod aus Verzweiflung? Leider werden wir auch mit tragi-schen Ereignissen konfrontiert. Rolan-do war zwei Jahre bei Onesimo, bevor seine Freundin schwanger wurde. Als junger Familienvater war er in der Leuchtturm-Family und nahm unlängst an einem Familiencamp teil. Kürzlich hat er sich angeblich im betrunkenen Zustand erhängt. Er hinterlässt seine Partnerin und die zweijährige Tochter. Wir waren sehr bestürzt und gute Freun-de hielten das nicht für möglich, auch weil man in der niedrigen Hütte auf den Knien kriechen muss. Die Autopsie ergab keinen Hinweis auf Fremdeinwir-kung, die Polizei wurde aber nicht bei-gezogen. War es wirklich eine Verzweif-lungstat? Die Wahrheit kennt nur Gott.

Weiterbildung für Mitarbeiterinnen Wir freuen uns sehr über Jonelyn, die bei Lilok arbeitet und ein Seminar über informellen Unterricht besucht. Damit wird sie Jugendliche unterrichten können, welche die Schule abgebrochen haben und ihre fehlende Schulbildung nachholen können.

Jessica absolviert sehr erfolgreich ihre Ausbildung zur Sozialarbeiterin. Sie ist auch oft Anlaufstelle für Menschen in Not. Als die sechsjährige Melanie mit einer schweren Gehirnentzündung ins Krankenhaus gebracht wurde, kamen die Eltern zu ihr. Sie brauchten dringend Geld für Spital und Medikamente. In solchen Fällen hilft Servants. Die Spen-den können zu hundert Prozent für Menschen in Not und für Projekte in Slumgemeinden verwendet werden. Da-zu berät sich eine kleine Gruppe unter Gebet sehr sorgfältig, wo die Hilfe am sinnvollsten ist. Auch Melanies Eltern erhielten Geld. Trotzdem mussten sie ihre beiden Tricycles verpfänden, mit denen sie ihren Lebensunterhalt ver-dienten. Aber Melanie ist wieder voll-ständig gesund und dafür danken wir Gott.

Ingrid & Lothar Weissenborn

Ausflug der Leuchtturm-Gemeinschaft

Auch unser fünftes Jahr in Manila verging wieder wie im Flug. Obwohl wir mit Sprache und Kultur nun ziemlich vertraut sind, schaffen die Unterschiede immer wieder Probleme, was dann zeitweise auch Heimweh auslöst.

O N E S I M O

P h i l i p p i n e n

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O N E S I M O K I D S

Zur Zeit bin ich daran, all unsere Pro-gramme in einem Manual zusammen-zufassen. Beim Lesen von alten Konzep-ten bin ich auf folgende Vision gestossen: «Wir sind überzeugt, dass echte Trans-formation nicht geschehen kann ohne Gottes heilende Liebe und Gnade. Dar-um möchten wir sehen, wie eine organi-sche Kirche in der Strassennachbarschaft entsteht, wo Kinder und Eltern selbst zu Agenten der Transformation werden.»

Wenn Kinder den Eltern vergeben Im November fand wieder ein Familienlager mit Eltern und Kindern vom Temporary Shelter statt. Vorher be-suchte Jennifer mehrmals ihren Vater, um ihn zu überzeugen, mitzukommen. Im Lager hat sich ihre Beziehung ent-scheidend verändert. Jennifer konnte ihrem Vater vergeben und erlebte dabei ein Stück Heilung. An einem Abend konnten die Eltern einen Stein in die Mitte bringen, der all das Schwere und die Schuld in ihrem Leben symbolisiert. Dort zündeten sie eine Kerze an, um mit Gott über alles zu reden. Jennifers Vater

blieb lange sitzen und weinte. Bei Gott ist es nie zu spät für Veränderung.Das Familienlager ist immer eine her-ausfordernde Zeit, aber auch eine Zeit der vielen kleinen Wunder und Ermu-tigungen. Wir müssen lernen, uns selbst in den Hintergrund zu stellen, damit wichtige und schwierige Prozesse in Gang kommen. Wir reflektieren viel über die-ses Distanzieren und müssen uns selbst gut kennen, damit wir nicht unsere ei-genen Bedürfnisse in den Vordergund stellen.

Im November haben wir uns zum ersten Mal im Drop-in zu einem einfa-chen Gottesdienst getroffen, woran etwa zehn Eltern, zehn Mitarbeiter und über dreissig Kinder teilgenommen haben. Wir wollen keine formale Kirche sein, sondern ein Ort, wo unsere Strassenfa-milien willkommen sind, wo wir einan-der ermutigen, herausfordern und stärken.

Neubau bis August Unser Bauprojekt kommt stetig voran. Im Herbst wurden Vermessun-gen und Bohrungen zur Bestimmung der Bodenbeschaffenheit durchgeführt. Die Architektin hat die Detailplanung abgeschlossen, die nun zum Wettbewerb an Baufirmen ausgeschrieben werden. Das Ziel ist, dass wir im nächsten Au-gust einziehen können. Ich freue mich sehr auf dieses neue Haus, das unsere Bedürfnisse gut erfüllen wird.

Daniel Wartenweiler

Transformation durch Kinder und Eltern

Seit einiger Zeit merkte ich, dass meine Energie schwindet. Dar-um besuchte ich als persönliche Retraite im Herbst einen Kurs. Dabei ist mir neu klar geworden, dass das Sein vor dem Tun kommt und dass ich lernen will, zu sein, und zwar nicht nur, um vom Tun auszuruhen oder um mich aufs Tun vorzubereiten.

Jennifer mit ihrem Vater

Wir möchten eine organische Kirche in der Strassennach-barschaft, wo Kinder und Eltern zu Agenten der Trans-formation werden.

Im September hat der Sturm «Bilis» die Philippinen heimgesucht. Auch beim Camp Rock ist dabei ein Schaden von rund CHF 5000.– entstanden.

Servants CH

K O N F E R E N Z C H R I S T N E T

ChristNet ist ein Forum von Chris-ten, das sich mit Sozialem, Wirtschaft, Umwelt, Kultur und Entwicklung auseinandersetzt. Am 22. September 2007 fand in Bern die fünfte Konfe-renz mit knapp hundert Teilnehmern statt.

Die Schweiz – bekannt für ihre Barmherzigkeit?

Hanspeter Nüesch von Campus für Christus rief zu grosszügigerem Teilen auf und vermutete, dass dies eine geist-liche Erneuerung bewirkt. Scott Mac-Leod, Autor von «Der Löwe des Lichts», wies darauf hin, dass sich die Schweizer zwischen Materialismus und Barmher-zigkeit entscheiden müssen und ermu-tigte die Anwesenden, daduch weltweit zum Segen zu werden. In politischen Kurzreferaten und Workshops wurde die Schweizer Politik auf Barmherzigkeit und Materialismus untersucht; christli-che Werte, die auf dem Wirtschaftsaltar geopfert werden. Sieben Thesen von ChristNet empfehlen dagegen Gottver-trauen und persönliche Hinwendung zur Barmherzigkeit. Im Wahljahr 2007 forderte ChristNet den Bundesrat mit ei-ner Petition auf, das Teilen ins Zentrum der schweizerischen Politik zu rücken.www.christnet.ch

O N E S I M O N E W S

Schaden durch umgestürzten Baum im Camp Rock

O N E S I M O N E W S

Mitarbeiter lernen Respekt voreinander

Die 29 voll- und teilzeitlichen Mitar-beiter von Onesimo verbrachten im Herbst eine Retraite ausserhalb der Stadt. In Aussprachen, gemeinsamem Gebet und beim Spiel mit ihren Kindern wur-de ihnen ihre gemeinsame Verantwor-tung neu bewusst und der Wert ihrer unterschiedlichen Begabungen. Der Rah-men war gut, um schlechte Gefühle auszusprechen, unnötige Schranken zu beseitigen, zu vergeben, füreinander zu danken und sich gegenseitig zu segnen. Eine Mitarbeiterin sagte: «Es ist ein Vor-recht, bei der Arbeit Jugendlichen bei-zustehen und zu erleben, wie sie uns wie Brüder und Schwestern werden.»

Sozialamt drängt Onesimo an den Rand

schen Mittelklassumgebung, wo sie den Familienkontakt verlieren und vor Heim-weh wieder ausreissen! Zudem haben die Gemeinschaften auch eine positive Ausstrahlung auf den Slum. Dies ist Teil des erfolgreichen Konzepts von Onesi-mo. Nun suchen wir nach neuen Lö-sungen und hoffen, diese in den nächs-ten Servants News näher vorstellen zu können.

Christian Schneider

Weil dies mitten im Slum nicht erfüll-bar ist, fordert nun das Amt, alle Unter-künfte von Onesimo bis in einem Jahr aus den Slums hinauszuverlegen, um die Lizenz nicht zu verlieren. Nur zwei der acht Gemeinschaften befinden sich in Randzonen und erfüllen die Aufla-gen. Die anderen sechs Häuser stehen im Herzen von Armenvierteln. Die Erfah-rungen damit sind gut. Die Jugendli-chen bleiben in ihrem sozialen Umfeld und rehabilitieren sich in der realen Welt der Armen und nicht in einer hüb-

Onesimo braucht wie alle Jugendhilfswerke in Manila eine Lizenz vom Sozial-amt. Dazu muss eine Liste von Bedingungen erfüllt werden wie die Anzahl Sozialarbeiter, feuersichere Unterkünfte und saubere sanitäre Einrichtungen.

Richard: neuer Hausvater im F. Carlos-Viertel Richard war bisher Mitarbeiter in einer Slumgemeinde. Seine Frau verdient als Kindergärtnerin zu wenig, um die Familie durchzubringen. Ich fragte ihn, warum er bei Onesimo arbeitet: «Junge Menschen sind mein grosses Anliegen und die Jungen von Onesimo brauchen noch dringender Hilfe als in meiner Nachbarschaft. Sie fordern mich in meiner Hingabe an Gott heraus. Ich bin auch froh um die regelmässige Lie-besgabe für mei-nen Einsatz, damit haben wir genug Einkommen für meine Familie.» Die ersten Monate muss-te er sich hindurchkämpfen, er hatte die Verantwortung für eine sehr wilde Bande. Aber er war entschlossen und voll Glauben. In der Auseinandersetzung begann er, seine schwierigen Jungs zu formen.

Dennis Manas, Leiter Onesimo

Edison: neuer Hausvater in LetreObwohl Edison sein Theologiestudium aus Geldmangel abbrechen musste, möch-te er einmal Pastor werden. Diese Leiden-schaft steckt in ihm. Er redet viel und unterhält die Leute mit viel Witz. Manch-mal ist er aber auch sehr still und in sich gekehrt. Dann hat er persönliche Proble-

me oder er ist traurig, weil ei-ner seiner hoff-nungsvollen Jungs wieder ausgerissen ist. Er ist sehr ver-antwortungs-bewusst und beschreibt sei-ne Motivation so: «Ich bin Gott dankbar, dass er mich zu

Onesimo geführt hat. Meine Geduld und mein Charakter werden hier herausge-fordert und mein Verstand und meine Kreativität wachsen. Die Jungen, die mir anvertraut sind, werden bald anderen von Jesus erzählen! Veränderungen in ihrem Leben überwältigen mich mit grosser Freude. Ich bin bereit, noch viel zu lernen. Eines Tages werde ich eine Gemeinde leiten. Aber solange ich gebraucht werde, bin ich für Onesimo da.»

Norma: Hausmutter der neuen Mädchengemeinschaft Norma ist eine ledige Mutter. Dadurch kann sie sich gut in die Mädchen ein-fühlen. Sie begann einmal eine Bibel-schule und hat eine grosse Leiden-schaft für Gott. Bei Problemen holt sie sofort Hilfe bei mir oder einer Sozialar-

beiterin. Kürzlich erzählte sie unter Tränen, wie die Mädchen sie stän-dig herausfordern und trotz uner-müdlichem Mah-nen immer wieder die Hausregeln bre-chen. Sie schien na-he daran, alles hin-zuschmeissen. Ich ermutigte sie mit Vorschlägen, wie

sie mit den Mädchen umgehen kann und betete mit ihr. Sichtlich entspannt ging sie zurück. Eine Woche später berichtete sie glücklich, dass alles wie-der normal läuft. Als ich sie einmal fragte, wie es ihr geht, antwortete sie mit einem schönen Lachen: «Jahrelang habe ich genau nach so einem Dienst Ausschau gehalten. Ich helfe anderen Menschen, ihren Weg zu finden und diene damit Gott. Diese Arbeit ist sehr erfüllend.»

Drei neue Leiter haben ihre Arbeit in den acht Gemeinschaften von Onesimo begonnen:

Drei neue Zentrumsleiter

Am 20. Oktober trafen sich 180 Teilneh-mer und Freunde von Onesimo zu einem Sportfest mit Basketball, Volley-ball, Badminton und Schach. Leider wur-de das Gelände aus Versehen gleichzei-tig an eine zweite Gruppe vermietet. Schliesslich konnte man sich einigen,

die Einrichtungen miteinander zu teilen. Auf einen geistlichen Input und einige Lieder folgte ein Wettkampf ganz ohne Streit und Unfälle. Zum Final am 10. No-vember bot eine christliche Basketball-gruppe ein unterhaltsames Programm mit Rap, Breakdance und Spielen.

Friedlicher Wettstreit im Sport

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O N E S I M O N E W S

und Spielplatz viele Freizeitaktivitäten erlaubte. Eine Hilfsorganisation ermög-lichte den Kindern den Besuch einer ex-ternen Schule. Als Joan zwölf war, nahm ein Bekannter des Vaters die Kinder zu sich, wo noch weitere Halbgeschwister lebten. Nach sechs Schuljahren wurde die finanzielle Unterstützung eingestellt. Dann lebten sie bei einer älteren Halb-schwester, die sie aber nur als Last emp-fand und sie für den Tod ihrer gemeinsa-men Mutter beschuldigte. Einmal wollte sie Joan im Rotlichtmilieu unterbringen. Als sie realisierte, was mit ihr geschah, rannte sie weg und lebte von da an mit Kollegen auf der Strasse, wo sie sich ak-zeptiert fühlte. Sie sorgte für ihren Le-bensunterhalt, indem sie Abfall sammelte und bettelte. Mit den anderen Strassen-kindern zusammen trank sie Alkohol, rauchte und schnüffelte Drogen, bis sie zu Onesimo kam. Nun schreibt sie über ihr Leben: «Ich hatte viele schlechte Ge-wohnheiten und nahm Drogen, obwohl ich wusste, dass dies schlecht für meinen Körper ist. Manchmal konnte ich nachts nicht schlafen und grübelte darüber nach, warum unsere Familie auseinandergeris-sen wurde. Auch mein jüngerer Bruder hatte kein richtiges Zuhause. Ich war ver-zweifelt, denn ohne Schulbildung bestand keine Aussicht darauf, meinem Bruder zu helfen. Ich weinte, weil mir die Kraft und der Mut fehlten, etwas an meinem Leben zu ändern. Danke, lieber Pate, für Ihre Hil-fe für ein verlorenes Kind wie mich.» Ihrem Vater im Gefängnis schreibt sie: «Ich bin glücklich, dass ich Gott ken-nenlernen durfte und wieder gesunden Respekt vor Erwachsenen haben kann. Mein Leben wird neu und dein Wunsch, dass ich die Schule abschliesse, wird wahr mit Hilfe von Onesimo.»

Christian Schneider

Baby im Abfallsack Daryll (15) wurde von seinen El-tern im Stich gelassen, als er noch ein Baby war. Er lag in einer alten Schachtel in einem Abfallsack, als eine Frau namens Joan ihn zufällig fand. Mit Hilfe der Auf-sichtsbehörde versuchte sie, seine Eltern zu finden und fand heraus, dass sie Dro-genhändler waren. Daryll ist das Jüngste von fünf Kindern, die alle adoptiert wur-den. Der Vater war im Gefängnis und die Mutter wurde von einem Polizisten getötet. Daryll wuchs nun bei Joan und ihrem Partner auf. Mit der Zeit wurde er aber schwierig und seine Kameraden und Lehrer beklagten sich über ihn. Wegen Diebstahl und Streitereien flog er nach der ersten Klasse aus der Schule. Joan hat-te nun auch ein eigenes Kind, trennte sich aber von ihrem Partner. Als allein-stehende Mutter hatte sie für zwei Kin-der zu sorgen. Um Geld zu verdienen, verkaufte sie Möbel. Bald zog ein neuer Freund bei ihr ein, der aber Darylls Ver-halten nicht akzeptierte und ihn oft schlug. Manchmal verschwand der Junge, ohne etwas zu sagen, hing mit Freunden

in einem Slum herum und bestahl Nach-barn und Hausangestellte. Die Polizei wies ihn in ein staatliches Erziehungsheim, eine Art Kindergefängnis ein. Als ihn Joan später nicht wieder aufnehmen wollte, kam er in ein anderes Heim. Die Leiter konnten Joan ermutigen, ihn doch wie-der zu sich zu nehmen. Aber bald riss er wieder aus. Auch bei einem weiteren Heim-aufenthalt floh er zurück auf die Strasse. Nach dieser langen Odyssee lebt er nun seit dem Sommer in einer Gemeinschaft von Onesimo. Wir hoffen fest, dass er lan-ge hier bleiben und sich entfalten kann.

Aufwachsen im Gefängnis Joan (16) lebte mit der Mutter und dem Bruder im Stadtviertel Tondo. Ihr Vater sitzt seit dreizehn Jahren wegen Mord im Gefängnis. Als sie acht Jahre alt war, besuchten sie ihn dort. Die Mutter liess die beiden Kinder beim Vater im Gefängnis zurück – was heute nicht mehr erlaubt ist – mit dem Versprechen, sie su-che eine Arbeitsstelle und hole sie dann wieder. Eine Woche später wurde sie von einem Auto erfasst und getötet. So leb-ten die Kinder im Gefängnis, wo ein Sport-

Randy starb an InfektionVor sechs Jahren stiess Randy als kleiner Leimschnüffler von der Müllhalde zu Onesimo. Nun ist er plötzlich einer Infek-tionskrankheit erlegen. Im Juli half er noch in einem Camp mit. Als er bei seiner Familie war, litt er plötzlich unter Fieber und Übelkeit. Sein Vater brachte ihn ins Spital, wo er kurz darauf starb. Er hatte eine Infektionskrankheit, die von Ratten übertragen wird und mit An-tibiotika heilbar wäre. Der Vater wurde gefragt, warum er nicht sofort Onesimo benachrichtigte. Randy selbst wollte zu-nächst keine Hilfe, weil er niemanden belasten wollte!

Echte WeihnachtsfreudeWeihnachten bedeutet für viele Kinder, Jugendliche und deren Familien neue Freude, Hoffnung und handfeste Hilfe. Im Ausbildungszentrum und in den ver-schiedenen Gemeinschaften wurden kleine Feste gefeiert. Über Neujahr wur-den Kleingruppenleiter in Camp Rock be-reits auf die Sommerlager vorbereitet. Das Ziel von Onesimo ist, dass das Licht von Weihnachten immer wieder zu den Herzen dieser Menschen durchdringt!

Ich weinte, weil mir die Kraft und der Mut fehlten, etwas an mei-nem Leben zu ändern. Danke, lieber Pate, für Ihre Hilfe für ein verlorenes Kind wie mich.

Patenkinder sagen DankeIn den letzten Servants News haben wir Paten für neue Teilnehmer der Onesimo Gemeinschaften gesucht. Fast alle sind nun finanziell versorgt. Vielen Dank! Hier berichten wir über zwei der rund dreissig neuen Teenager.

Randy hatte 2006 die Grundschule abgeschlossen

Ehemaliges Strassenmädchen mit Mut-ter an Weihnachtsfeier von Onesimo

Daryll

Joan Borya

O N E S I M O

IM SLUM ERLEBT

Mein erster Tag im Slum

Schier endlos reihen sich hier die merk-würdigsten Behausungen über das von der Tropensonne ausgemergelte und leicht hügelige Land. Die Sommerluft flimmert über Tausenden von Wellblech-dächern. Die besten Hütten der Slumbe-wohner, die hier zwangsweise umgesie-delt werden, bestehen aus Backsteinen oder dünnen Sperrholzplatten. Je wei-ter wir uns von der Hauptstrasse entfer-nen, desto behelfsmässiger werden die Unterkünfte, die sich wie eine bunte Collage aus alten Reissäcken, Plastikpla-nen und Pappkartons zeigen und an Bil-der von Flüchtlingslagern erinnern. Ein beklemmendes Gefühl packt mich; als Weisser werde ich als reich und somit als extremer Kontrast zu diesem Ort wahr-genommen.

Wachsende Slums – wachsendes Elend Im schweissdurchnässten Hemd folge ich Rob zum Haus der Familie, wo ich für die nächsten Monate mein Zuhause finden soll. Rob ist Australier und lebt mit seiner Familie seit drei Jahren hier. Seine Frau Lorraine führt einen kleinen Kindergarten und eine Suppen- und Reisküche, wo ausgemer-gelte Mütter einmal am Tag ihre unter-ernährten Kinder hinbringen. Diese klei-ne Hilfe scheint wie ein schlechter Witz inmitten des Massenelendes. Fast täglich bringen Lastwagen neue Siedler und überlassen sie hier ihrem Schicksal. Ein-mal mehr entwurzelt, versuchen diese Leute einen Neuanfang. Der Transport in die Stadt zu ihren Arbeitsplätzen, falls sie welche haben, verschlingt ein Drittel des Lohns, der ohnehin nicht für ein menschenwürdiges Dasein reicht. Vom Staat errichtete Wassertanks sind leer und rosten vor sich hin. Um nicht zu verdursten, haben die Bewohner Was-serlöcher geschaufelt. Durch die vielen Kotgruben in der Erde ist das Wasser aber stark verschmutzt. 140 000 Men-schen versuchen hier, eine neue Exis-tenz aufzubauen, bald sollen es doppelt so viele sein. Manila zählt acht Millio-nen Einwohner und platzt aus allen Nähten. Davon lebt fast die Hälfte in Hunderten von illegalen Slums. (Heute, 18 Jahre später, zählt Manila fünfzehn Millionen Bewohner. Die hohe Gebur-tenrate unter den Armen und der Zuzug aus verarmten Provinzen führten zu die-sem enormen Wachstum.)

Unter dem Blechdach Als ich bei meinen Gastgebern eintreffe, werde ich von Kindern um-ringt. Eine wuchtige Frau baut sich vor mir auf und scheucht die Kinder weg, als wären sie ein paar lästige Fliegen. Sie schaut mir geradewegs in die Augen und sagt zu mir: «Chris, du bist jetzt mein Sohn, und ich bin deine Mutter.» Sie lacht mit rauer Stimme und wirft etwas versteckt ihren abgebrannten Zi-garettenstummel weg. Instinktiv ahne ich, dass Mutter hier so viel wie Boss be-deutet. Sie zieht mich in ihren Wohn-raum, der zugleich als Schlafzimmer, Ess-zimmer und Küche dient. Ihr ältester Sohn hat sechs Jahre lang in der Wüste von Saudi Arabien gearbeitet, aus dem Ersparten konnten sie sich einen Kühl-schrank und einen alten Fernseher kaufen. Der Strom fällt hier aber häufig aus, manchmal über mehrere Tage. Die Eltern schlafen auf einem alten Sofa unter einem kleinen Vordach, Kopf an Fuss, damit sie überhaupt Platz haben.Der Sohn Noel und seine Frau Josslin und ihr sechs Monate altes Baby wohnen, schlafen und lieben sich auf einem bett-artigen Holzgestell. Drei weitere Kinder rollen zum Schlafen jeweils eine Bastmat-te aus. Für mich haben sie unter dem Blechdach einen kleinen, blickgeschütz-ten Schlafplatz errichtet.

Kinder, die Hilfe brauchen Nun trifft eine grosse, rothaarige Frau mit Sommersprossen ein, die sich extrem von den Filipinos unterscheidet. Es ist Lorraine, die mich sofort zu ein paar Krankenbesuchen mitnimmt, weil sie hofft, dass ich als Pfleger helfen kann. Wenig später halte ich ein schwer un-terernährtes Baby auf den Armen, das mich mit grossen, dunklen Augen ansieht. Sein missgebildeter Wolfsrachen ver-hindert die Nahrungsaufnahme. Ohne professionelle Hilfe wird das Kind ster-ben. Aber ein Spitalaufenthalt ist für diese Familie untragbar. Ich erfahre, dass es regelmässig Milchpulver von Servants bezieht. Später haben ehrenamtliche Chirurgen einer amerikanischen Orga-nisation das Mädchen operiert.Lorraine bittet mich, noch nach einem weiteren kranken Mädchen nebenan zu sehen. Ein paar Kinder sagen uns, die Mutter sei zum Arzt gegangen und würde bald zurückkommen. Bald kann alles heissen, denn Warten gehört hier zum Leben. Hier am Äquator bricht die Nacht nach einer farbenprächtigen

Dämmerung sehr schnell herein. Dann kommen alle aus ihren Hütten zum Schwatzen, Spielen und Lachen. Wenn die vielen Moskitos nicht wären, könn-te ich die frische Abendbrise geniessen. Plötzlich hören wir, wie sich eine Grup-pe Menschen schnell nähert, allen vor-an eine junge Frau. In ihrem Arm hält sie den leblosen Körper ihrer Tochter. Unendliche Verzweiflung steht der jun-gen Mutter im Gesicht. Ihr sechsjähri-ges Mädchen sei unterwegs an einem epileptischen Anfall erstickt. Ich ahne, dass sich hier niemand wirklich um die genaue Diagnose oder Todesursache kümmern wird. Alle drängen sich nun um das leblose Mädchen, berühren es ein letztes Mal, beten und weinen laut.

Ein normaler Tag Auf dem Rückweg sind wir stumm und benommen, jeder in seine Gedan-ken versunken, während plärrende Ver-stärker von alten, überdrehten Radios, Fernsehern und das Stimmengewirr un-zähliger Menschen die Nacht im Elends-viertel beherrschen. Plötzlich sagt Rob trocken: «Chris, willkommen in Bagong Silang. Merkwürdig: Durch dieses sinn-lose Leiden gewinnen die Hoffnung und der Glaube an Gott an Raum.» Ich will mich schlafen legen, aber unter mir herrscht ein Riesenlärm. Etwa vierzig Kids drängen sich um den Fern-seher. Durch jedes Fensterloch zwängen sich die Köpfe und brüllen. Alle wollen etwas vom Basketballspiel sehen. Für sie ist das ein normaler Tag im Leben. Ich selbst bin zu erschöpft, um noch mit-zuschreien – so gerne ich das zur Ablen-kung getan hätte. Trotz Müdigkeit und ungewöhnlichem Schlaflager spüre ich tief in mir einen Frieden. Ich fühle mich getragen von der Gewissheit, dass ich am Ort angelangt bin, wo ich hingeführt wurde. Das ist köstlicher als alles, was ich mir wünschen kann.

Christian Schneider

Christian Schneider hat über zehn Jahre in den Slums von Manila gelebt und berichtet in loser Folge über seine Erlebnisse, die er in seinem Tagebuch festgehalten hat.

«Merkwürdig: Durch dieses sinnlose Leiden gewinnen die Hoffnung und der Glaube an Gott an Raum.»

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Christian Schneiders erstes Zuhause

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Servants

4 Fragen, 6 Antworten

Was hat dich 2007 am meisten berührt?

Was würdest du tun, wenn du Regierungschef wärst?

Was würdest du tun, wenn du eine Million gewinnen würdest?

Wie können wir dich in Europa ab besten unter-stützen?

Ich würde zu einem radikalen Neuanfang aufrufen: Landre-form, mehr Geld für Erziehung, Gesundheit und Landwirtschaft. Um Streichung der hohen Auslandschulden verhandeln, Friedensverhandlungen und Umweltschutz. Und ich würde euch um Gebet bitten!

Unter den Bedingungen der gegenwärtigen Regierungsche-fin würde ich sofort zurücktre-ten. Den verurteilten Ex-Präsi- denten hätte ich nicht begnadigt. Für eine wirkungs-volle Familienplanungspolitik würde ich Streit mit der Kirche in Kauf nehmen.

In Kalkutta wüsste ich nicht, wo beginnen, weil die Not überall so gross ist. Die einzi-ge Hoffnung auf Veränderung ist Jesus und dass sein König-reich mehr und mehr gebaut wird.

Ich würde versuchen, radikal gegen Korruption vorzugehen und existierende Gesetze besser zu implementieren, welche der Landreform, Umverteilung und sozialen Gerechtigkeit Vorschub leisten.

Unseren Ort von Müll und Unrat sauber halten und mit Blumen verschönern. Kostenfreie Schulbildung für alle Kinder, die sonst nicht zur Schule gehen könnten.

Ich habe den Eindruck, dass hier niemand eine Verände-rung will. Das gesamte Schul-system würde ich ändern und kostenlos anbieten. Man muss hier lernen, logisch und vor-ausschauend zu denken.

Schöne und leicht luxuriöse Familienferien, Fahrräder, Laptop, Computer. Geld für die Ausbildung unserer Kinder und unserer Verwandten in den Philippinen und für den Unterhalt unseres Hauses in Bottmingen. Und den Rest hof-fentlich weggeben!

Zuerst staunen! Einen Teil für die Retreat Farm von Lilok zur Seite tun und mir ab sofort keine Gedanken zum Fundrai-sing mehr machen. Mit dem Rest würde ich vielleicht eine Krankenkasse für die Armen einrichten.

Die Hälfte würde ich armen Bangladeschis zukommen las-sen, die im Sturm vor ein paar Tagen Familienmitglieder und ihr ganzes Hab und Gut verlo-ren haben. Die andere Hälfte würde ich christlichen Werken geben, die das Geld weise ein-setzen.

In ein lokales Geschäft inves-tieren, um unsere Arbeit hier lokal zu finanzieren und somit die Nachhaltigkeit zu sichern – auch wenn wir Europäer eines Tages nicht mehr hier sind.

Mit jeder Lighthouse-Familie ein Konzept für den Lebens-unterhalt erarbeiten, umsetzen, zinsfreie Kredite vergeben und für dieses Projekt jemanden an-stellen. Das Gottvertrauen der jungen Ehen stärken, damit deren Kinder später nicht auf der Strasse leben.

Die Million würde ich in Schulbildung investieren, denn das ist der erste Schritt aus der Armut.

Uns ermutigt sehr, wie Chris-ten in Basel für die Armen und Verlorenen sorgen. Und uns willkommen heissen, wenn wir ab August in der Schweiz leben, und gnädig sein mit uns, wenn wir uns ab und zu etwas unschweizerisch benehmen.

Interesse zeigen für Menschen in Armut. Beten und Glauben. Fähigkeiten, Finanzen, Kontakte, Ideen usw. teilen.

Indem ihr versucht zu verste-hen, dass das Wiedereinleben in der Schweiz eine grosse Her-ausforderung für uns ist. Die Ar-beit in Kalkutta braucht wei- terhin Gebet und ConneXions benötigt Kunden für die hand-gemachten Kunstwerke.

Indem ihr mit uns in persön-licher Verbindung bleibt durch E-Mails, Anrufe und An-teilnahme an unserer Arbeit.

Beten, beten, beten und wei-terhin ein freudiges Spender-herz haben.

Europa ist weit weg, aber das Gebet, dass uns unser himmli-scher Vater hier durchträgt, ist eine Kraft, die bis hierher reicht. Selbstverständlich ist auch finanzielle Hilfe für Pro-jekte und Medizin weiterhin nötig.

Christian Auer

Regula Hauser

Katharina Freudiger

Daniel Wartenweiler

Ingrid Weissenborn

Lothar Weissenborn

Manila Projekte

Onesimo

Onesimo Patenschaft

Onesimo Kids

Anderes: ________________________________

Indien Projekte

Kambodscha Projekte

Fair Trade

Administration

Servants CH

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Servants Switzerland Rotbergerstrasse 12 CH-4054 Basel Telefon: +41 61 382 80 30 E-Mail: [email protected] Bank: PC 80-2-2, UBS AG, CH-8098 Zürich, zugunsten von CH29 0023 3233 9078 4640 J233-907846.40J 233, Servants Switzerland, CH-4054 Basel

Auflage: 2000 Exemplare Druck: Job Factory Basel AG Redaktion: Melanie Böhm, Markus Siegenthaler Layout: Rita Binkert

Impressum

www.servantsasia.orgwww.onesimo.ch www.kamay-krafts.org www.bornpoor.com

Servants Kambodscha G.P.O. Box 538 Phnom Penh Cambodia Telefon/Fax: +855 23 425 045 E-Mail: [email protected]

Servants Philippinen P.O. Box AC-569 1109 Quezon City Metromanila, Philippines Telefon: +632 926 76 88 E-Mail: [email protected] Servants Indien c/o Servants Switzerland Rotbergerstrasse 12 CH-4054 Basel Telefon: +41 61 382 80 30 E-Mail: [email protected]

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Die Hoffnung während der Proteste in Burma, aber auch die Ohnmacht angesichts der brutalen Unterdrückungs-methoden der Junta in Burma.

Ein Projekt wird nicht durch Reglementierungen und Strukturen am Leben erhalten, sondern durch Beziehungen und Ideen, die in gesunder Ge-meinschaft genährt werden. Trotzdem ist es wichtig, immer wieder über die Grundsätze nachzudenken.

Eine Frau von ConneXions wurde mit 23 Witwe und seit-her mit ihren zwei Kindern oft ausgestossen und schlecht behandelt. Unerwartet ist sie mit einem neuen Ehemann zu-rückgekehrt; ihr grösster Wunsch ist erfüllt worden.

Der gewaltsame Abbruch der Hütten unter der Brücke, der Tod eines fünfjährigen Jungen, der überfahren wurde, und kleine Schritte der Heilung und Veränderung einiger Familien, die im Familienlager neue Hoffnung geschöpft haben.

Am meisten berührt mich fast täglich, wie die Menschen in Armut leben und trotzdem die Freude und den Mut zum Leben nicht verlieren.

Nach fünf Jahren hier lässt man nicht mehr alles so nah an sich rankommen, aber der Tod von Rolando und die Umstän-de, wie es passiert sein soll, haben uns schon sehr berührt.

Page 9: Servants Newsletter Januar 2008

Besser oder reicher?

«Die Welt wäre reicher, wenn alle versuchten, besser zu werden. Und die Menschen würden besser, wenn sie nicht länger versuchten, reich zu werden. Denn wenn alle versuchen, reich zu werden, ist niemand wirklich reich. Aber wenn alle versuchen, besser zu werden, werden alle reicher. Alle wären reich, wenn niemand versuchte, reicher zu sein. Und niemand wäre arm, wenn jeder versuchte, am ärmsten zu sein. Und jeder würde, was er sein sollte, wenn jeder versuchte, so zu sein, wie er möchte, dass sein Mitmensch ist.»

Peter Maurin