Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

136
Neue Serie: Ihr Weg zu einem besseren Körpergefühl Gesünder leben Klaus Kinskis Tochter Pola Vom eigenen Vater missbraucht Frankreich, Italien, Spanien, Slowenien: € 4,60 / Portugal (cont.): € 4,90 / Kanaren: € 4,90 / Griechenland: € 5,30 / Benelux: € 4,– / Finnland: € 5,70 / Norwegen: NOK 55,– / Tschechien: CZK 160,– / Ungarn: HUF 1520,– NR. 3 10. 1. 2013 Deutschland € 3,50 Österreich € 3,80 / Schweiz CHF 6,50 Christian und Bettina Wulff Szenen einer gescheiterten Ehe

Transcript of Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

Page 1: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

Neue Serie: Ihr Weg zu einem besseren KörpergefühlGesünder leben

Klaus Kinskis Tochter Pola Vom eigenen Vater missbraucht

Fran

krei

ch, I

talie

n, S

pani

en, S

low

enie

n: €

4,6

0 /

Port

ugal

(con

t.): €

4,9

0 /

Kana

ren:

€ 4

,90

/ G

riech

enla

nd: €

5,3

0 /

Bene

lux:

€ 4

,– /

Fin

nlan

d: €

5,7

0 /

Nor

weg

en: N

OK

55,–

/ Ts

chec

hien

: CZK

160

,– /

Ung

arn:

HUF

152

0,–

NR. 3 10. 1. 2013 Deutschland € 3,50Österreich € 3,80 / Schweiz CHF 6,50

Christian und Bettina Wulff

Szenen einer gescheiterten Ehe

Page 2: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013
Page 3: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

Das Video-Edi-

torial präsentiert

Höhepunkte

dieser Ausgabe

Für Videostart den Bildcode

mit dem Smart-phone und

einer App für QR-Codes scannen

Dolche in den Gewändern

3 / 2 0 1 3 stern 3

Editorial 2

Liebe Leserinnen, liebe Leser,wenn die rund sechs Millionen Wahlberechtigten

am 20. Januar in Niedersachsen ihren neuen Landtag

wählen, entscheiden sie über weit mehr als bloß

eine neue Regierung. Schon lange ist klar, dass das

Schicksal der FDP auf dem Wahlgang lastet: Es blit-

zen bereits die Dolche in den Gewändern mancher

FDPisten, bereit für den Fall, dass ihr Chef Rösler an

der Fünf-Prozent-Hürde scheitert oder ein miserables

Ergebnis einfährt. Seit Jahresende hängt noch eine

weitere Bürde an der Niedersachsenwahl. Peer Stein-

brück schleppt sie mit sich herum, weil er das zu

niedrige Kanzlergehalt bejammert hat – und das, wo

er doch schon als Kanzlerkandidat zu Deutschlands

Bestverdienern zählt. Verfehlt die SPD die vor Weih-

nachten prognostizierten guten Umfrageergebnisse

oder vermasselt sie gar den Regierungswechsel in

Hannover, wird es für Steinbrück über Nacht unge-

mütlich. Dann wird die immer noch starke Linke in

der deutschen Sozialdemokratie murren und nicht

nur hinter vorgehaltener Hand klagen: zu viel Bein-

freiheit, zu wenig soziale Erdwärme – wir haben es

ja schon immer gewusst! Durchaus möglich, dass die

Sache nicht nur für Rösler, sondern auch für Stein-

brück nicht gut ausgeht. Im November vergangenen

Jahres glaubten noch 51 Prozent der Deutschen, Peer

Steinbrück sei der richtige Kanzlerkandidat der SPD.

In den Umfragen Ende vergangener Woche ist diese

Zahl auf 42 eingebrochen. Noch schärfer wird das

Bild bei der Antwort auf die Frage nach der Kanzler-

präferenz: Angela Merkel oder Peer Steinbrück?

Satte 58 Prozent entscheiden sich für die Kanzlerin,

nur noch magere 22 Prozent für den SPD-Mann

(siehe Seite 32). Diese Zahlen, von Forsa im Auftrag

des stern erhoben, machen deutlich, wie dünn-

häutig das Publikum auf den Dickhäuter Steinbrück

reagiert. Zu Recht. Es war einfach saudämlich, um

im Jargon des Kandidaten zu bleiben, das Kanzler-

gehalt zu thematisieren, während die eigene Hono-

rar debatte gerade erst im Abklingbecken auskühlt.

Aber selbst wenn er die Kette der Ungeschick-

lichkeiten fortsetzt, darf die SPD nicht ins Mosern

und Mobben verfallen, wenn sie bei der Bundestags-

wahl im Herbst den Hauch einer Chance haben

will. Steinbrück bleibt der beste Mann, um Deutsch-

lands politische Mitte für die SPD zu gewinnen.

Und vielleicht hat ja auch ein gereifter Politiker wie

Steinbrück, der sich mit der Unanfechtbarkeit eines

Elefanten bewegt, eine Lernkurve!

Andreas Petzold, Chefredakteur

Page 4: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

TIT

EL

: S

TE

RN

MO

NTA

GE

; FO

TO

S:

GE

TT

Y I

MA

GE

S;

RE

X F

EA

TU

RE

S/

DIE

BIL

DS

TE

LL

E, K

LE

INE

S F

OT

O:

PE

TE

R R

IGA

UD

; IN

HA

LT:

ST

EFA

N B

ON

ES

S/

IPO

N;

AN

DR

EA

S H

ER

ZA

U;

CH

AR

LE

S O

MM

AN

NE

Y; A

CT

ION

PR

ES

S/

RE

X F

EA

TU

RE

S;

PE

TE

R R

IGA

UD

TitelGesundheit Schlanker,

schöner, frischer –

fünf Männer und Frauen

suchen ein besseres

Körpergefühl. Der stern begleitet sie in einer neuen

fünfteiligen Serie auf

ihrem individuellen Weg zu

mehr Leichtigkeit im Sein 54

Test: Wie gestresst sind Sie

wirklich? 62

Bilder der WocheRussland Neuer Bürger in alter Tracht 16

Syrien Das Leid des Krieges 18

Österreich Sturz nach fulminantem Skisprung 20

China Flossen für die Suppe 22

Bulgarien Lametta für die Braut 24

Trends der Wochestern-Umfrage FDP in neuem Tief 28

Kronprinz der Woche Nicolás Maduro,

designierter Nachfolger von Venezuelas krankem

Präsidenten 30

PolitikPeer Steinbrück Was darf ein Politiker so von

sich geben? Unterwegs mit dem SPD-Kandidaten

und der Kanzlerin 32

Zwischenruf Das Schweigen des Geldes.

Von Hans-Ulrich Jörges 40

Vortragshonorare CDU-Politiker Michael Fuchs

und sein geheimnisvoller Auftraggeber

in London 52

AuslandIndien Gewalt gegen Frauen ist in dem Land tief

verwurzelt 42

USA Preppers sind vorbereitet – auf einen

Weltuntergang und andere üble Zwischenfälle.

Eine Reise durch das Amerika der Paranoia 82

WirtschaftMehrwertsteuer 7 oder 19 Prozent – auch

Angela Merkel hat das Chaos nicht beseitigt.

Ein Trauerspiel – erzählt in fünf Akten 46

128Unverschämt lässigRichtig schlau wird man nicht aus Ryan Gosling. Genau das macht den Schauspieler so reizvoll

70GescheitertNicht einmal ein Jahr nach dem Rücktritt vom Bundespräsiden-tenamt ist die Ehe der Wulffs am Ende. Bilder einer öffent-lichen Beziehung

82Bereit für den Tag XMillionen Amerikaner rechnen mit Katas-trophen aller Art. Einige, wie die Familie Dervaes, pflanzen ihr Essen selbst an, andere bauen Bunker und horten Waffen

Inhalt2 Nr. 3 vom 10. Januar 2013

Page 5: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

GesellschaftChristian und Bettina Wulff Es begann wie ein

Märchen, nun ist alles aus: Das ehemalige Bundes-

präsidentenpaar hat sich getrennt 70

MedizinOrganvergabe Ärztefunktionär Hans Lilie erklärt, wie

künftig Manipulationen unterbunden werden sollen 100

DeutschlandHausfrauen Besuch im vornehmen Hamburg-

Blankenese, wo das Lebensmodell der

Vollzeitmutter noch selbstverständlich ist 102

AutoFord Mit dem Schlüsselsystem Mykey können Eltern

ihren übermütigen Nachwuchs ausbremsen 108

KulturPola Kinski Gespräch mit der Schauspielerin über den

jahrelangen Missbrauch durch ihren Vater Klaus 110

Kulturmagazin Bestseller

Film: Große Liebe in „Der Geschmack von Rost

und Knochen“ 122

Musik: Patchwork aus Barock und Pop –

Rachel Zeffiras Debütalbum 124

Kunst: Mike Kelleys letzte Ausstellung in Amster-

dam – geplant noch vor seinem Freitod 125

Buch: Hinreißend komisch – der Comic „Marsch

der Krabben“ des Bretonen Arthur de Pins 126

LeuteRyan Gosling Hollywoods derzeit begehrtester

Schauspieler ist cool und ein wenig abgründig 128

Was macht eigentlich die ehemalige Skirennläuferin

Martina Ertl? 134

HumorLuftblasen, Haderer, Greser & Lenz 9, 14, 30

Til Mette, Tetsche 68, 80

RubrikenEditorial Dolche in den Gewändern.

Von Andreas Petzold 3

Neues vom stern 6

Briefe 12

Blick in die Welt 26

stern-Leserservice, Impressum 69

32VerplappertDie SPD versucht die Wahl in Nieder-sachsen zu gewinnen, aber das ganze Land redet nur darüber, was Peer Steinbrück jetzt schon wieder gesagt hat

110„Er nahm sich, was er wollte“Pola Kinski ist die Tochter des Schau-spielers Klaus Kinski. Erstmals erzählt sie vom Martyrium ihrer Kindheit

Page 6: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

Es stand im stern

AUSLAND

Tod im FriedenEtwas Glück im großen Unglück

fand der US-Marineinfanterist

Ty Ziegel. Entstellt war er aus dem

Irak zurückgekehrt, ohne linke

Hand und mit einer halben rech-

ten, ohne Nase, Ohren und das

rechte Auge. Aber er lebte, und

seine Hochzeit mit Renee wurde

als ein Happy End gefeiert. Das

Hochzeitsfoto ging um die Welt,

selbst Präsident Bush gratulierte.

Der stern erzählte seine Geschich-te (Nr. 1/2007). Ende Dezember

ist der Kriegsheld im Alter von

30 Jahren gestorben. Nach einem

Sturz. Ziegel war auf Eis aus-

gerutscht, auf einem Parkplatz. FOT

OS

: C

INE

TE

XT

; E

VA

KR

OT

H, P

ICT

UR

E A

LL

IAN

CE

/D

PA

, CH

AR

LE

S O

MM

AN

NE

Y;

DP

A;

LA

IF/

RE

DU

X

Diese Woche im stern eMagazine

KULTUR

Eine Maske fälltGern spielte er Scheusale, Menschen, die Ungeheuerliches taten. Nun

zeigt sich: Offenbar war auch er ein solcher Mensch. Klaus Kinski

zerstörte die Kindheit seiner Tochter Pola, missbrauchte sie über Jahre

(Interview ab Seite 110). In einem eMagazine-Video berichtet stern-AutorStephan Maus von seinem Treffen mit der Schauspielerin. Zögernd

erzählte Kinski, über mehrere Stunden. Draußen wurde es dunkel, doch

niemand wagte, Licht anzuschalten, so intensiv war dieses Gespräch.

Pola Kinski als junge Frau (Privat-

foto), Vater Klaus 1961 in einem

Edgar-Wallace-Film

BLINDGÄNGER

Wo, bitte, geht es hier zum

Weltuntergang? Tim Ralston

verband stern-Redakteurin

Helen Bömelburg und

Fotograf Charles Ommanney

die Augen, bevor er sie zu

seinem Bunker in Arizona

fuhr. Er bereitet sich, wie

eine Reihe Amerikaner,

auf finale Katastrophen vor

(Seite 82). Den Ort, in dem

er überleben will, sollten

die beiden nicht wiederfin-

den können.

Der stern erscheint auch digital für iPads und Android-Tablets, immer mit exklusivem Zusatz-material. Download mittwochs ab 18 Uhr. Abonnenten des stern können das eMagazine kostenlos laden, siehe www.stern.de/eabo. Einzelkäufer zahlen pro Ausgabe 2,69 Euro, siehe www.stern.de/emagazine

Neues stern GESUND LEBEN

MOTIVATON

Ziele setzen – und erreichenAbnehmen, fit werden, Ballast abwerfen:

Vorsätze sind gut. Aber wie bleibt man

in der Umsetzung konsequent? Sich Druck

machen hilft nicht. Die neue Ausgabe

von stern GESUND LEBEN zeigt einenentspannten Weg, mit Tipps aus der

Hirnforschung. Außerdem: Gerichte mit

viel Gemüse – der beste Weg zu einem

gesunden Körpergewicht. Ab sofort im Handel

Der Neue, die Alte: Mo-deratoren Daniel Hart-wich und Sonja Zietlow

Jetzt auf www.stern.de

FERNSEHEN

Ab in den UrwaldDer exaltierte Schauspieler Helmut

Berger, Kaufhauserpresser „Dagobert“

und neun weitere irgendwoher Bekannte

gehen für RTL ins Dschungelcamp. Wir

berichten jede Nacht über die Ereignisse,

beobachten, wie sich die Kandidaten

machen – und natürlich Daniel Hartwich

als Moderator-Nachfolger von Dirk Bach.

www.stern.de/dschungelcamp

6 stern 3 / 2 0 1 3

2 Neues vom stern

Page 7: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013
Page 8: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013
Page 9: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

FOT

OS

: M

AR

CO

UR

BA

N

Prominenten in den Mund geschoben

Von Rolf Dieckmann

Die Fraktionsvorsitzen-den der Grünen, Renate Künast und Jürgen Trittin

Irgendwie niedlich, wie er …

… seine Gefühle für die Bundes-kanzlerin …

… einfach nicht verbergen kann!

3 / 2 0 1 3 stern 9

Luftblasen 2

Page 10: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013
Page 11: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013
Page 12: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

SCHREIBEN SIE UNS

stern-Leserbriefredaktion

Brieffach 18,

20444 Hamburg

Telefax: 040/37 03 56 27

E-Mail: [email protected]

Die Redaktion behält

sich Kürzungen vor.

Bitte geben Sie Namen

und Anschrift an.

Glaube, Wissen und Intuition

In der Logik-Schleife„Weniger planen, mehr leben!“ – Wissenschaftler entdecken die Kraft des Bauchgefühls neustern Nr. 2/2013

Der Autor nutzt wissenschaft-

liche Erkenntnis, um zu propa-

gieren, dass wissenschaftliche

Erkenntnis nicht alles sein

kann. Aus der Logik-Schleife

komme ich nicht raus. Jeder

ernst zu nehmende Wissen-

schaftler weiß, dass seine Er-

kenntnis nur ein winziger

Baustein in einem Prozess ist.

Brigitte Nussbaum, Münster

Der Artikel sprach mir aus

dem Herzen. Ich habe mein

Studium begonnen, als ich

schon drei Kinder hatte, habe

mein viertes während des Stu-

diums bekommen. Das war

kraftraubend, aber ich war

jung und hatte Power. Heute

sind meine Kinder zwischen

18 und 28, ich bin 50 und

bedaure meine Altersgenos-

sinnen um mich herum, die

keine Kinder oder vielleicht

nur eins bekommen haben.

Sabine Erichsen, Osnabrück

Das Biedermännchen und der Glanz des Amtes „Sold und Sühne“ – das neue Leben des gescheiterten Bun-despräsidenten Christian Wulffstern Nr. 1/2013

Ein Biedermännchen nimmt

sich eine junge, vermeintlich

mondäne Frau, sonnt sich im

Glanz seines Amtes als BP, mu-

Der heutige Mensch steht vor der Schwierigkeit, sich selbst in ei nem Dreieck aus Glaube, Wissen und Intuition zu positionieren. Helfen könnten dabei die Tugenden Demut, Gelassenheit und Aufmerksamkeit. Sascha Wollny, Bellenberg

stern-Titel Nr. 2/2013

tiert zum Raffzahn und reibt

sich erstaunt die Augen, dass

niemand mehr etwas von ihm

wissen will, nachdem er aus

dem Amt gejagt worden ist.

Als Bundespräsident Joachim

Gauck während seines An-

trittsbesuchs in NRW nach

Bottrop kam, wurde er herz-

lich von der Bevölkerung emp-

fangen. Anschließend war in

der hiesigen Presse das Zitat

einer Frau zu lesen: „Für Wulff

hätten wir uns nicht hier hin-

gestellt.“ Das sagt wohl alles.

Bettina Richter, Bottrop

Der Artikel schließt mit dem

Satz: „Der Boden unter Chris-

tian Wulff ist noch sumpfig.“

Dem hätte noch hinzugefügt

werden müssen: „Und die

Medien werden diesen Sumpf

immer wieder wässern und

umrühren, damit er niemals

festgetrampelt werden kann.“

Denn das war ja wohl der

hauptsächliche Sinn des Arti-

kels. Hermann Wöhrle, Ettlingen

Unlösbare Aufgaben„Wenn die Bestie erwacht“ – Zwischenruf von Hans-Ulrich Jörgesstern Nr. 1/2013

Es freut mich, dass ein Me-

dienprofi wie Sie so selbstkri-

tisch ist. Allerdings wird uns

die Lösung dieses Problems

vor nahezu unlösbare Aufga-

ben stellen, da auch in der

Medienwelt der Machterhal-

tungstrieb sehr ausgeprägt ist.

2 Briefe

12 stern 3 / 2 0 1 3

Page 13: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

Die Medien sind sich ihrer

gesellschaftlichen Verantwor-

tung oftmals nicht bewusst.

Axel Bertsch, Eningen u. A.

Sie gehörten doch zu der vor-

dersten Reihe der Reiter, ging

es um Westerwelle oder Gut-

tenberg, Wulff oder Rösler.

Und nun diese Wandlung à la

Zauberlehrling? Jetzt könnten

Sie Ihren Lesern doch mal er-

klären, warum es immer nur

Opfer auf schwarz-gelber Seite

gibt. Und warum Herr Wowe-

reit tun kann, was er will, kein

Journalist kümmert sich. Und

warum auf einmal Herr Stein-

brück niedergemacht wird, ist

er doch der einzige Soze, der

eine Chance gegen Frau Mer-

kel hat. Will die Bestie etwa

Herrn Trittin zum Kanzler ma-

chen? Klaus Popp, Dietzenbach

Irgendwie überleben„Die Schlecker-Frauen“ – Geschichten voller Stolz und bescheidener Wünschestern Nr. 1/2013

Ihr Artikel über die Schlecker-

Frauen hat mich sehr aufge-

wühlt. Ich bin selbst betroffen,

war fast 20 Jahre bei Karstadt,

dann bei Hertie. Ich war zum

Zeitpunkt der Insolvenz 55

Jahre. Fast alle die Menschen,

die über 40 sind, haben nur

noch als Billigkraft oder Prak-

tikantIn eine „Chance“, egal,

was sie für Qualifikationen

haben. Kornelia Paulus, Detmold

Begrenztes Vokabular„75 000 000“ – der Welterfolg des Romans „Shades of Grey“ stern Nr. 1/2013

Ich habe James’ Buch im Origi-

nal gelesen, um die Aufregung

im englischsprachigen Raum

zu verstehen und mir selbst

eine Meinung zu bilden. Ich

habe selten ein Buch gelesen,

das über ein so begrenztes Vo-

kabular verfügt und sich so in

Klischees und Allgemeinplät-

zen ergeht, dass man glauben

möchte, die Autorin habe Text-

bausteine verwendet.

Jasminka Zukic, Villingen-

Schwenningen

3 / 2 0 1 3 stern 13

Page 14: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

Sorgen, nichts als Sorgen: Die amerikanische Staatsverschuldung erreicht astronomische Höhen

2 Haderer

14 stern 3 / 2 0 1 3

www.stern.de/haderer Umfangreiches Archiv mit Haderer-Cartoons

Page 15: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013
Page 16: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

FO

TO

: Y

UL

IA C

HE

ST

NO

VA

/R

EU

TE

RS

RUSSLAND

Obelix beiden RussenNein, dies ist keine neue

Witzfilm-Rolle von GÉRARD

DEPARDIEU. Es ist bizarre

Wirklichkeit. Hier präsen-

tiert der französische

Schauspieler auf einer Bühne

in der Provinzstadt Saransk,

Teilrepublik Mordowien,

seinen neuen Pass, stil-

gerecht im Folkloregewand.

Normalerweise geht es ja

eher in die andere Richtung.

Reiche Russen lassen es sich

an der Côte d’Azur gut gehen.

Letzten Freitag wechselte

nun aber Depardieu die

Seiten – aus Steuergründen.

Zur Feier seiner Einbürge-

rung gab es eine Umarmung

und ein Privatessen mit Prä-

sident Putin, dessen Land

Depardieu als „große Demo-

kratie“ lobte. Mordowien,

wo Depardieu eine Wohnung

angeboten wurde, ist bislang

vor allem bekannt für seine

Straflager. In einem sitzt

derzeit auch Nadeschda Tolo-

konnikowa. Der Name ihrer

Punkband: Pussy Riot.

16 stern 3/2013

2 Bilder der Woche

Page 17: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013
Page 18: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

FO

TO

: M

UZ

AF

FAR

SA

LM

AN

/R

EU

TE

RS

SYRIEN

LeidtragendMan will die Worte nicht

mehr hören. Sie klingen

schon nach Seufzen, wenn

man sie ausspricht, sie

klingen nach Weghören:

wieder Tote in Syrien. Ein

Mann steht in einer Straße

in Aleppo und schreit vor

Schmerz, weil er gerade

zwei Kinder verloren hat.

Nach Rebellenangaben star-

ben sie, als regimetreue

Truppen ein Haus beschos-

sen. Zwei weitere OPFER

eines Krieges, der laut UN

über 60 000 Menschen

das Leben genommen hat.

Viele werden folgen, wenn

Präsident Baschar al-Assad

im Amt bleibt. Assad hat die

Aufständischen am Wochen-

ende „eine Gruppe Krimi-

neller“ genannt, die das

syrische Volk bekämpften.

Das Land werde von ihnen

„um Jahrhunderte zurück-

geworfen“, Kinder könnten

nicht mehr in die Schule

gehen. Die Kinder dieses

Mannes können auch nicht

mehr zur Schule gehen. Weil

Assads Truppen sie getötet

haben. Waren sie Kriminelle?

Sie sind nur: zwei weitere

Tote in Syrien.

2 Bilder der Woche

18 stern 3/2013

Page 19: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013
Page 20: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

FOT

O:

KA

I P

FAF

FE

NB

AC

H/

RE

UT

ER

S

ÖSTERREICH

Absturz Was war das für ein Flug:

133,5 Meter trug es den

deutschen Skispringer

Andreas Wellinger beim

letzten Springen der

VIERSCHANZENTOURNEE in

Bischofshofen – kein Kon-

kurrent sprang im ersten

Durchgang weiter. Gleich

nach der Landung riss Wel-

linger ju belnd einen Arm

in die Höhe – zu früh: Denn

nun verkanteten seine

Ski, er stürzte, glücklicher-

weise ohne sich zu verletzen.

Sein Malheur passte zum

Auftritt des deutschen

Teams: Bis zum letzten

Springen hatte sich die

Mannschaft prima präsen-

tiert, Wellingers Kamerad

Severin Freund machte

sich sogar Hoffnungen

auf einen vorderen Platz

in der Gesamtwertung.

In Bischofshofen patzten

dann fast alle, bei fünf

Grad und Dauerregen.

Wellinger durfte immerhin

als Weitenbester trotz

seines Sturzes im zweiten

Durchgang starten, nicht

schlecht für einen 17-Jähri-

gen, der sich etwas traut.

20 stern 3 / 2 0 1 3

2 Bilder der Woche

Page 21: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013
Page 22: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

FO

TO

: P

AU

L H

ILT

ON

/E

PA

/D

PA

CHINA

Was vom Fischeübrig bliebDicht an dicht reihen sich

gut 18 000 Haiflossen auf

diesem Gebäude in Hong-

kong. Fischhändler haben

hier ihren wertvollen Fang

zum Trocknen ausgebreitet.

Die Metropole gilt weltweit

als Zentrum des FLOSSEN-

HANDELS. Der Platz über

den Dächern ist nicht zu-

fällig gewählt: Die Ware

verliert in der luftigen Höhe

rasch an Feuchtigkeit, und

sie reift zudem versteckt vor

der Öffentlichkeit. Beson-

ders die Fangmethode des

„Shark Finning“ ist Tier-

schützern ein Dorn im Auge:

Fischer zerren die Haie dabei

aus dem Wasser, schneiden

ihnen die Flossen ab und

werfen die Tiere zurück ins

Meer. Millionen Haie finden

so jährlich den Tod. Hai-

flossen werden pro Kilo mit

etwa 1000 Euro gehandelt.

Sie landen in Asien meist in

Hochzeitssuppen.

2 Bilder der Woche

22 stern 3/2013

Page 23: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013
Page 24: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

FO

TO

: D

IMIT

AR

DIL

KO

FF/

AF

P

BULGARIEN

Glitterwochen Das Ritual ist so alt, dass

längst keiner mehr weiß,

woher es kommt. Dabei geht

es nicht um die Geldscheine

am Revers des Bräutigams.

Das ist der neumodische Teil

der HOCHZEITSZEREMONIE.

Es geht um das weiße

Gesicht der Braut, um die

Girlanden und Blumen, die

ihren Schleier bilden und

sie wie eine Mischung

aus Weihnachtsbaum und

Peking-Opern-Sängerin

aussehen lassen. So wie

Dschamal Sirakow und

seine Auserwählte, Fatme

Ulanowa, heiraten alle Paare

im Dorf Ribnowo im Süd-

westen des Landes. Sie

gehören zur Minderheit der

Muslime, die von den Türken

einst gezwun gen wurden,

ihr Christentum aufzugeben.

Jeweils im Winter finden

diese Hochzeiten statt. Sie

ziehen sich über Tage hin. Im

Sommer fällt das Dorf wie-

der in seinen Trott, be völkert

nur von den Alten, während

die Jungen in Griechenland,

Spanien oder Deutschland

das Geld verdienen, um

eine typische Hochzeit aus-

richten zu können.

2 Bilder der Woche

24 stern 3/2013

Page 25: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013
Page 26: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

DEUTSCHLAND

Sicherer SchlafForscher der Fraunhofer-

Gesellschaft haben einen

Babystrampler mit Sensor-

band entwickelt, das die

Atmung eines Säuglings

in der Nacht überwacht.

So soll plötzlicher Kinds-

tod verhindert werden.

Die Technik wird derzeit für

den Alltag getestet.

USA

ObamaniaAllen Haushaltsstreitig-

keiten zum Trotz fiebern

die Fans von Präsident

Obama dessen Vereidigung

zur zweiten Amtszeit am

20. Januar entgegen. Das

Geschäft mit den Sou-

venirs boomt. Neben

dem Angebot vom

freien Markt gibt es

eine offizielle

Gedenkkollektion

mit Stickern, Gläsern

und Wimpeln: https://

store.2013pic.org

PANAMA

Turbo-LachsDas 17-jährige Verfahren

steht vor dem Ab schluss:

US-Behörden wollen einen

Gen-Lachs, der doppelt so

schnell wächst wie Wild-

lachs, nun zulassen – wenn

die Tiere aus kanadischen

Eiern in Panama gezüchtet

werden. Kritiker sehen

darin eine Abwälzung der

Umweltgefahren auf das

mittelamerikanische Land.

MAURETANIEN

Tödliches FutterViele Ziegen, Schafe und

Rinder ernähren sich im

Wüstenstaat von Müll –

und verenden am Plastik

darin. Die Regierung hat

deshalb die Herstellung

und den Gebrauch von

Kunststofftüten verboten.

2 Blick in die Welt

26 stern 3 / 2 0 1 3

Page 27: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

35,3

4,2

33,6

30,1

28,1

26

24,5

24,4

21,8

14,7

10,8

4,2

25

Organspenden von Toten pro eine Million Einwohner 2011

Türkei

Spanien

Kroatien

Belgien

Österreich

USA

Deutschland

Frankreich

Norwegen

Italien

Israel

Portugal

FOT

OS

: VE

RH

AE

RT

MA

ST

ER

S I

N I

NN

OV

AT

ION

; D

DP

; JA

CQ

UE

LYN

MA

RT

IN/A

P/

DA

PD

; P

IER

RE

GL

EIZ

ES

/R

EA

/L

AIF

; IN

TE

RT

OP

ICS

; AF

P;

DP

A;

INFO

GR

AF

IK Q

UE

LL

E:

GLO

BA

L O

BS

ER

VA

TO

RY

ON

DO

NA

TIO

N &

TR

AN

SP

LA

NTA

TIO

N

FRANKREICH

Für LiebhaberMit der De Havilland aus

dem Jahr 1929 flogen Karen

Blixen (Meryl Streep) und

ihr Geliebter, Großwild-

jäger Denys Finch-Hatton

(Robert Redford), im Kinohit

„Jenseits von Afrika“ über

die Savanne. Anfang Februar

wird der flugtüchtige Doppel-

decker in Paris versteigert.

Schätzpreis 150 000 Euro.

PALÄSTINA

Rasend freiEin Rallye-Team namens

Speed Sisters macht im

Nahen Osten Furore –

zuletzt in Jordanien. Betty

Saadeh (o.), 32, aus Beth-

lehem sagt: „Im Westjor-

danland kann ich mit dem

Auto nirgendwohin fahren,

nicht nach Jerusalem oder

Tel Aviv, nicht mal an den

Strand. Die Rallye gibt mir

ein Gefühl der Freiheit.“

CHINA

BakterienkillerIm Blut des Großen Panda

fanden Forscher ein hoch-

wirksames Antibiotikum.

Es tötet Bakterien fünfmal

schneller ab als andere

Antibiotika. Sorgen,

dass deshalb Tiere

gequält werden,

seien unbegründet:

Das Medikament lasse

sich leicht synthetisieren

und im Labor produzieren.

SPANIEN

Lebens-SpenderRechtslage, Religion, Aufklä-

rung der Bürger, medizini-

sche Koordination – es sind

viele Faktoren, von der die

Bereitschaft zur Organ-

spende abhängt. Im Länder-

vergleich liegt Spanien vorn,

Deutschland tut sich schwer.

3 / 2 0 1 3 stern 27

Page 28: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

CDU/CSU

PiratenparteiSonstige

152

3

42 %

4

9

25SPD

Grüne

+2

Die Linke

+1

–2

+1

–2FDP

Was die FDP-Wähler von 2009 heute wählen würden

ANGABEN in Prozent

2009 2010 2011 2012 2013Stand 4. 1. 13

Die Zustimmung zur FDP im stern-RTL-Wahltrendseit der letzten Bundestagswahl bis heute

ANGABEN in Prozent

Ergebnis Bundestagswahl 27. 9. 2009

14,6

0

5

10

15

2

erneut FDP15

nicht wählen17

CDU/CSU48 %

sonstigeParteien20

Rösler wird Wirtschafts-minister und FDP-Chef

Millionenspende eines Hotelunternehmers bringt FDP in Bedrängnis

Westerwelle-Zitat von „spätrömischer Dekadenz“

Generalsekretär Lindner tritt zurück

Debatte um Parteivorsitz

Wahlerfolge in NRW und Schleswig-Holstein

weiß nichtja nein

insgesamt

7025 % 5

18–29 Jahre

8515

30–44 Jahre8118

45–59 Jahre6927 4

60 Jahre und älter5833 9

1

FOT

OS

: AL

FR

ED

ST

EF

FE

N; A

XE

L S

CH

MID

T/

DA

PD

2 In

fog

rafi

k A

nga

ben

in P

roze

nt,

+ –

Ver

änd

eru

ng

zu

Wo

che

51

/20

12

. Dat

enb

asis

: 15

03

Bef

rag

te v

om

2. b

is 4

. Jan

uar

20

13

. Nic

htw

ähle

r/U

nen

tsch

loss

ene:

27

Pro

zen

t (–

4);

Feh

lert

ole

ran

z: + –

3 P

roze

ntp

un

kte.

Qu

elle

: Fo

rsa

2 In

fog

rafi

k A

nga

ben

in P

roze

nt.

Dat

enb

asis

: Wö

chen

tlic

h r

un

d 2

50

0 B

efra

gte

; Qu

elle

Fo

rsa

STERN-RTL-WAHLTREND

„Steinbrück zieht SPD nach unten“

Herr Güllner, wann lag die

Union zuletzt bei 42 Prozent?

Kurz vor der Bundes-

tagswahl 2005. Es ist

somit der beste Wert

für CDU und CSU, seit

Merkel Kanzlerin ist.

Woher kommen die Wähler?

Die Union profitiert

vom Zerfall der FDP:

Fast die Hälfte der libe-

ralen Wähler von 2009

würden sich jetzt für

CDU/CSU entscheiden.

Ihr nützt aber auch die

Schwäche der SPD.

Hinzu kommt die große

Beliebtheit von Merkel.

Der SPD schadet Steinbrücks

Kritik am Kanzlergehalt.

Ja, die Menschen sehen

ihn mittlerweile eher

negativ. Zum Vergleich:

Als Gerhard Schröder

1998 Kanzlerkandidat

wurde, löste das einen

Sog zur SPD aus. Stein-

brück dagegen zieht die

Partei nach unten.

Kann Steinbrück sich von

dem Imageverlust erholen?

Wenn sich ein negatives

Bild bei den Menschen

erst mal festgesetzt hat,

wie es bei Steinbrück

der Fall ist, halte ich das

für sehr schwierig.

Forsa-Chef Manfred Güllner

2

Neues Tief für die FDPDie Liberalen streiten offen über ihren Parteichef PHILIPP RÖSLER. Die Wähler werden verschreckt, die Partei sackt auf nur noch zwei Prozent.

Es war ein Hilfeschrei auf

offener Bühne. Entwicklungs-

minister Dirk Niebel sagte

beim Dreikönigstreffen der FDP,

der Zustand der Liberalen quäle

ihn: „Es zerreißt mich innerlich.“

Die Parteiführung hinter ihm auf

der Bühne erstarrte wie schock-

gefrostet. Doch die Zuschauer

im Stuttgarter Opernhaus applau-

dierten. Die einfachen FDP-Mit-

glieder und die Sympathisanten

der Partei haben den Glauben an

die FDP unter Parteichef Philipp

Rösler verloren. Die Wähler wen-

den sich fast vollständig ab.

Im aktuellen stern-RTL-Wahltrend

trauen null Prozent der Wähler

der FDP zu, mit den Problemen

in Deutschland fertigzuwerden.

Die Umfragewerte sind so mies,

dass sie kaum mehr messbar

sind. Nur noch zwei Prozent der

Wähler möchten ihre Stimme der

FDP geben.

Es ist der schlechteste Wert für

die Liberalen seit Februar 2012.

Damals litt die Partei unter den

Folgen der Flucht von Hoffnungs-

träger Christian Lindner, der sich

mit Rösler überworfen hatte.

Heute, fast ein Jahr später, ist

Röslers Lage so fragil wie eh

und je. Verpasst die FDP bei der

Wahl in Niedersachsen den Ein-

zug in den Landtag, wird seine

Zeit als Parteivorsitzender zu

Ende sein. Ihm nachfolgen dürfte

aller Voraussicht nach Fraktions-

chef Rainer Brüderle. Der 67-Jäh-

rige muss dann dafür sorgen, dass

Spötter keinen Anlass mehr be-

kommen, den Namen der Libe-

ralen umzudichten in FDP wie

„Fast drei Prozent“.

Zwei Drittel der Bürger trauen Horst Seehofer nicht viel zu

Die Rundumschläge von CSU-Chef Horst

Seehofer, 63, sind gefürchtet. Selbst

enge Mitstreiter kanzelt er als „charak-

terschwach“ (Söder), „Zar Peter“

(Ramsauer) oder „Glühwürmchen“ (über

Guttenberg) ab. Bundespolitisch ist er

plötzlich offen für Schwarz-Grün. Doch bei

den Deutschen verfängt sein Populismus

nicht. Zwei Drittel (67 Prozent) wollen nicht,

dass er künftig eine größere Rolle

spielt. Der Ansicht sind sogar

60 Prozent der Unionswähler.

Ist Ihre Bereitschaft zur Organspende gesunken?

28 stern 3 / 2 0 1 3

2 Trends der Woche

Page 29: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013
Page 30: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

FOT

O:

CA

RLO

S G

AR

CIA

RA

WL

INS

/R

EU

TE

RS

2

Kronprinz der Woche

Eigentlich ist er mehr der Typ

Gefolgsmann, eher Hinter-

zimmer statt Staatsemp-

fang. Er trägt einen buschigen

Schnauzbart, wirkt gemütlich

statt charismatisch, mag Base-

ball, Zigarren und gefüllte Mais-

fladen. Nicolás Maduro hat kei-

nen Uni-Abschluss und verdingte

sich gelegentlich als Bodyguard.

Kann so einer Venezuelas Staats-

chef Hugo Chávez nachfolgen?

Diesem hyperaktiven Quassler,

der in den USA den „Teufel“

sieht und Ölmanager schon mal

der „Luxusorgien“ bezichtigt?

Chávez selbst ist davon über-

zeugt. Bevor sich Venezuelas

Präsident erneut zur Krebs-

behandlung nach Kuba begab,

ließ er verkünden, er wünsche

für den Fall seines Ablebens,

dass Maduro ihm nachfolge. Das

könnte schnell passieren. Ma-

duro ist bisher Außenminister

und Vizepräsident. Der heute

50-Jährige stammt aus einer

armen Familie in Caracas. Nach

der Schule ging er zum poli-

tischen Training nach Kuba.

Zurückgekehrt, arbeitete er

zunächst als Busfahrer –

dafür belächeln ihn viele

Bürgerliche bis heute.

Maduros Karriere ist

verflochten mit der

seines Mentors. Als Chá-

vez 1992 nach einem

Putschversuch im Ge-

fängnis landete, besuchte

er ihn dort oft. Maduros

Frau Cilia Flores, eine An-

wältin, war es schließlich, die

Chávez freibekam. Dabei lern-

ten sich die beiden Männer

näher kennen. Nach dem Wahl-

sieg 1998 machte ihn Chávez

zum Fraktionsführer seiner

Sozialisten, dann zum Parla-

mentspräsidenten.

Ein radikaler Kurswechsel

wäre von Maduro kaum zu er-

warten. Immer wieder betont

er die Treue zu Chávez und

dessen vom Ölgeld gespeisten

Linkspopulismus. Als Anhänger

nach einer Rede vor Kur-

zem begannen, Madu-

ros Namen zu rufen, würgte der

den Jubel ab und skandierte

stattdessen: „Chávez, Chávez“.

Als sich der Präsident gen Kuba

verabschiedete, beteuerte Ma-

duro unter Tränen, er werde

Chávez gegenüber loyal sein,

„auch über dieses Leben hin-

aus“. Zwar gilt Maduro inner-

halb der Bewegung als gemä-

ßigt und hat den Konflikt mit

dem Nachbarn Kolumbien ent-

schärft, doch ist er ein enger

Freund der Castro-Brüder und

anderer linker Führer der Re-

gion. Einen US-Staatssekretär

beschimpfte er schon mal als

„zweitrangigen Beamten mit

Vorstrafenregister“.

„Schaut, wo Nicolás gelandet

ist, der Busfahrer, über den

sich die Bourgeoisie lustig ge-

macht hat“, sagte Hugo Chávez,

als er Maduro zum Vizeprä-

sidenten ernannte. Es dürfte

nicht die letzte Station des

Busfahrers gewesen sein.

Marc Goergen

Hugos BusfahrerVenezuelas krebskranker Präsident Chávez hat NICOLÁS MADURO zum Nachfolger gekürt

Revolutionäre Pose: Nicolás Maduro, 50

30 stern 3 / 2 0 1 3

2 Trends der Woche

Page 31: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013
Page 32: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

In der KlartextfalleZum Auftakt des Wahljahrs steht SPD-Kanzlerkandidat PEER STEINBRÜCK vor der Gretchenfrage: Darf er sagen, was er denkt? Die Umfragen zeigen: nein. Angela Merkel vermeidet das sowieso. Eine Reise zum gesprochenen Wort

Wackelkandidat in Emden: Peer Steinbrück am vergangenen Freitag beim Wahlkampf-auftakt der Nieder-sachsen-SPD. Die Partei hat dort am 20. Januar gute Chancen. Eigentlich

2 Politik

32 stern 3/2013

Page 33: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013
Page 34: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

Merkel hat die politische Rede perfektioniert. Oder gekillt. Je nach SichtEin Hype fast wie bei Obama: Bundeskanzlerin Angela Merkel und Niedersachsens Ministerpräsident David McAllister beim Wahlkampf-auftakt der CDU in Braunschweig. Merkels Rede ist langweilig, gefeiert wird trotzdem

2 Politik

34 stern 3/2013

Page 35: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013
Page 36: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

Glauben Sie, dassSteinbrück ein guterKanzler wäre?

Ende November 2012

ja nein

weiß nicht

41 % 37

22

aktuell

ja

nein

weiß nicht

51 %38

11

2 In

fog

rafi

k A

nga

ben

in P

roze

nt.

Akt

uel

le D

aten

bas

is: 1

00

3 B

efra

gte

am

2. u

nd

3. J

anu

ar 2

01

3. Q

uel

le F

ors

a

D ie Geschichte vom Ab-

sturz des Peer Steinbrück

ist in erster Linie eine

über das Reden. Erst hielt

er Reden für viel Geld. Dann

redete er viel zu spät über diese

Reden. Dann redete er über die

schlechte Bezahlung des Kanz-

lers. Und dann sagte er eine Wo-

che lang gar nichts mehr, bis er

sagte, es sei alles gesagt.

Aber Steinbrück und das Nicht-

reden sind von Natur aus keine

ganz einfache Kombination.

Am vergangenen Freitagabend

sitzt der Kanzlerkandidat der SPD

mit Parteifreunden beim Bier in

einem Hotel in Ostfriesland. Hin-

ter ihm liegt der erste Tag im nie-

dersächsischen Wahlkampf, kein

einfacher Tag. Es drehte sich wie-

der alles nur um seinen Kommen-

tar zum Kanzlergehalt. Auf einem

Wandgemälde erblickt er das Se-

gelschiff „Passat“. „Meeeensch“,

ruft er begeistert. Dann geht er

zum Gemälde und hält einen klei-

nen Vortrag über den Viermaster

in schwerer See. „Was möchten

Sie trinken?“, fragt die Kellnerin.

„Pinot Grigiooooo“, johlt er – so

laut, dass alle Reporter es hören.

Es soll eine Anspielung auf seine

Äußerung sein, dass er Pinot Gri-

gio unter fünf Euro nicht trinke.

Peer Steinbrück freut sich die-

bisch über die Aktion. Es ist der

Auftakt zu einem langen Abend.

Steinbrück trinkt ein Pils. Er

überlegt, ob er Fisch essen solle,

aber nach dem Verzehr von Hecht

hatte er mal eine Gicht-Attacke. Er

nutzt den Anlass für einen kurzen

Fachvortrag über Gicht, Purine

und Gelenkschmerzen, und dann

ist es auch nicht mehr weit bis zum

Thema Reden und Verplappern.

Werden Sie jetzt vorsichtiger in

Ihrer Wortwahl sein?, fragt ihn

der Reporter.

Ja, was wollen Sie denn, ent-

gegnet er. Wollen Sie solche Poli-

tiker? Abgerundet wie Kieselstei-

ne? Mit einer Schere im Kopf?

Nur noch Worthülsen?

Es sind keine rhetorischen Fra-

gen. Er will tatsächlich Antwor-

ten. Er wirkt etwas ratlos. Was

soll er nun sein? Der Klartextpo-

litiker, den er groß angekündigt

hat – oder ein Kandidat mit Schere

im Kopf? Die männliche Ausgabe

der Angela Merkel?

Es ist eine zentrale Frage seines

Wahlkampfs. Angela Merkel kann

problemlos 30 Minuten reden,

aber nichts sagen. Er konnte das

noch nie. Bei ihm wollen die Ge-

danken immer raus in die Welt.

Also redet er, lästert über Me-

dien, die sich nur auf Neben-

sächlichkeiten stürzen, statt über

Inhalte zu berichten. Warnt, dass

Bürger bei derlei Anfeindungen

inzwischen Angst haben, in die

Kommunalpolitik zu gehen. Regt

sich darüber auf, dass Journalisten

recherchieren, ob er ein Anwesen

in Namibia besitze oder Wohnun-

gen habe verfallen lassen.

Er begann mit einer Frage und

endet mit einer Lektion.

Irgendwann, so scheint es, liegt

die Schuld seiner Misere nicht

mehr bei Peer Steinbrück, sondern

bei den Medien. Wäre die Situa-

tion öffentlich, wäre er wieder

mal dabei, sich um Kopf und Kra-

gen zu reden.

Auf den Einwand des Reporters,

es sei die Pflicht von Journalisten,

solchen Hinweisen wie dem nach

den Wohnungen nachzugehen,

sagt er verärgert, dass man seine

Integrität angreife.

Er wird nun etwas lauter. Sein

Gesicht läuft rot an, wie häufiger

an diesem Abend. Da sitzt ein

Mann, den diese ersten Wochen

der Kandidatur schwer mitgenom-

men haben. Er fühlt sich unge-

recht behandelt, wirkt aber auch

mit sich selbst nicht im Reinen. Es

brodelt in ihm. In seinem Gesicht

spiegeln sich in loser Reihenfolge

Ratlosigkeit, Trotz, Erheiterung.

Manchmal flüchtet er sich in eine

Ironie, die schnell in Sarkasmus

übergeht: Nächstes Mal werde er

am Gründonnerstag sagen, dass

der Ostermontag abgeschafft wer-

den soll, ach was, der Karfreitag.

Er lacht laut und blickt zu sei-

nem Tischnachbarn, der sich ent-

scheidet, ihm beiseitezustehen

und etwas mitzulachen.

*Peer Steinbrück wollte mit Be-

ginn des Wahljahrs auch seiner

Kandidatur einen Relaunch ver-

passen. Neues Jahr, neues Glück.

Er wollte Rot-Grün bei der Wahl in

Niedersachsen am 20. Januar zum

Sieg verhelfen und damit Merkel

unter Druck setzen. Seine letzten

Von JAN CHRISTOPH

WIECHMANN (Text)

und ANDREAS HERZAU (Fotos)

Interesse an Röhren und Schweißnähten: Steinbrück bei den Nordsee- werken in Emden

36 stern 3 / 2 0 1 3

2 Politik

Page 37: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

21. 12. 2012

4. 1. 2013

Wen würden Sie direktzum Kanzler wählen?

keinen von beiden

Angela Merkel

CDU

Peer Steinbrück

SPD

26

22 %

23

20

51

58

Ist Steinbrück noch derrichtige Kanzlerkandidatfür die SPD?

Ende November 2012

ja neinweiß nicht

51 13 36

aktuell

42 % 9 49

2 In

fog

rafi

k A

nga

ben

in P

roze

nt.

Dat

enb

asis

: 15

03

Bef

rag

te v

om

2. b

is 4

. Jan

uar

bzw

. 10

03

Bef

rag

te a

m 2

. un

d 3

. Jan

uar

20

13

. Qu

elle

Fo

rsa

was sagt, was für Schlagzeilen

taugt. Ich bin nicht gern konfron-

tativ, gibt er beim Essen zu. Ich

möchte McAllister noch in die

Augen blicken können. Das ist

der amtierende Ministerpräsi-

dent, Weils Gegner.

Am vergangenen Freitag war er

in Berlin. Eigentlich wollte er

dort seinen Wahlkampf vorstel-

len. Stattdessen muss er ständig

über Steinbrücks Fehler reden.

Weil lächelt tapfer, muss aber ge-

nervt sein. Er steht vor dem übli-

chen Dilemma politischer Kom-

munikation. Sagt er die Wahrheit,

fällt er seinem Kanzlerkandidaten

in den Rücken. Sagt er sie nicht,

glaubt ihm kein Mensch. In sol-

chen Momenten flüchten sich

Politiker normalerweise in furcht-

bare Floskeln. Weils Floskel lautet:

Die Diskussion um Kanzlergehäl-

ter habe keine Bremsspuren in

Niedersachsen hinterlassen.

Später am Abend spricht ihn

der Reporter am Büfett darauf an:

Die SPD-Basis sieht das anders.

Die Leute sind sauer, dass sie stän-

dig auf Steinbrücks Patzer ange-

sprochen werden.

Sie meinen, ich lüge, fragt er.

Jedenfalls sagen Sie nicht die

ganze Wahrheit.

Weil erklärt nun, dass er des-

wegen die Formulierung mit den

Bremsspuren gewählt habe. Eine

Lüge sei das nicht. Die Umfrage-

werte seien bisher stabil. Er sei

Jurist. Er achte auf Präzision.

Auf die Frage, ob er sich näher

beim Klartextredner Steinbrück

sehe oder bei der vorsichtig

formulierenden Merkel, sagt er:

Kennen Sie den Trainer Huub

Stevens? Dessen Devise laute: Die

Null muss stehen.

Sie wägen Ihre Worte also sehr

genau?

Sehr genau. Je höher man

steigt, desto vorsichtiger sollte

man sein.

Weil hätte statt Stevens auch An-

gela Merkel nennen können. Am

vergangenen Samstag spricht die

Kanzlerin beim Wahlkampfauf-

takt der niedersächsischen CDU in

Braunschweig in einer großen Are-

na. Sie hat für die Wahlkampagne

eine neue Agentur angeheuert,

den früheren SPD-Wahlkampfma-

nager Lutz Meyer. Es folgt eine

Inszenierung wie aus dem Wahl-

kampf Obamas, mit Lightshow,

Trommlern, Popband und Kaba-

rettisten. Dagegen wirkt der SPD-

Wahlkampfauftakt am Tag zuvor

wie aus den 70er Jahren.

Merkel ist in komfortabler Posi-

tion: Neun Monate vor der Bun-

destagswahl hat die Kanzlerin

ihren Gegner genau dort, wo sie

ihn haben will. Vor fünf Jahren

waren sie gemeinsam die Krisen-

manager der Nation. Heute gilt

sie als fürsorgliche Mutti und er

als raffgieriger Vortragsmillionär.

Merkel weiß immer, was sie

sagen darf. Ihr würde bei einem

Interview nie ein Steinbrück’scher

Patzer durchrutschen, und sollte

er ihr doch mal unterlaufen, holen

ihre Leute den bei der Autori-

sierung wieder raus. Merkel lässt

Interviews schon mal bis zur

Unkenntlichkeit umschreiben. Mit

Authentizität hat das nichts zu

tun, aber darum geht es ihr auch

nicht.

Merkels Reden kann man im

Schlaf runterbeten. Sie drehen

sich vor allem um Sicherheit,

Ordnung und Solidität. Ihre häu-

figsten Wörter an diesem Tag in

Braunschweig sind „wunder-

Zahlen aber sind katastrophal.

Laut einer Forsa-Umfrage für den stern asso ziieren die Menschen

mit dem Namen Steinbrück als

erstes „Nebeneinkünfte“ und

„Hono rare“, gefolgt von „unsym-

pathisch“, „arrogant“, „ehrlich“ –

ohne dass die Interviewer einen

dieser Begriffe vorgegeben hätten.

68 Prozent halten den SPD-

Kandidaten für schlagfertig, aber

nur 34 Prozent für vertrauens-

würdig. Und nur noch 42 Prozent

glauben, dass er der richtige Kan-

didat ist, 49 Prozent wollen einen

anderen. Peer Steinbrück weiß,

dass er etwas ändern muss. Nur

bei sich selbst will er damit nicht

anfangen.

Ausgerechnet zu Beginn des

Bundestagswahljahrs steht er –

etwas perplex – vor der so rele-

vanten Frage: Wie authentisch

darf ein Politiker sein?

In dieser Geschichte soll es des-

halb nicht nur um Steinbrück

gehen. Es geht ums Reden in der

Politik. Um fatale Worte. Vage

Worte. Falsche Worte.

Eine erste Antwort liefert am

vergangenen Freitag Stephan Weil.

Das ist der Spitzenkandidat der

SPD in Niedersachsen. Er ist weit-

hin unbekannt, weil er selten et- ➔

Interesse am Machterhalt: Merkel

auf dem Weg zum Rednerpult beim

Wahlkampfauftakt in Braunschweig

3 / 2 0 1 3 stern 37

Page 38: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

Wie schätzen SieSteinbrück ein?

kompetent

–4

57

vertrauenswürdig

–8

34

sympathisch

–7

33

schlagfertig

+/– Im Vergleich zu Mitte Oktober 2012

+3

68 %

2 In

fog

rafi

k D

aten

bas

is: 1

00

3 B

efra

gte

am

2. u

nd

3. J

anu

ar 2

01

3. Q

uel

le F

ors

a

schön“ und „toll“, sie bringt aber

auch „Grünkohl“, „Landenten“

und „Gänse“ unter. Sie hält mal

wieder eine mediokre Rede, die

Menschen aber himmeln sie an

wie einen Superstar. Steinbrück

dagegen ist am Vortag nur so etwas

wie die Vorgruppe für Stephan

Weil. Er hält sich bewusst zurück

und versteckt sich beim Singen

hinten im Shanty-Chor.

Auf gewisse Weise ist Stein-

brück Opfer der Merkelisierung

politischen Redens. Weil Politiker

immer mehr Floskeln benutzen,

stürzen sich Journalisten mittler-

weile auf jeden ungeschickten

Halbsatz. Und weil diese Halbsät-

ze dann so viel Aufmerksamkeit

bekommen, reden Politiker nur

noch selten Klartext.

Wenn man so will, hat Merkel

das politische Reden perfektio-

niert. Oder gekillt. Je nach Sicht.

Die Kanzlerin hat zur Sprache

auch den eigenen Ton ge-

funden, er wirkt wie ein

Beruhigungsmittel. Er hat nichts

von der Angriffslust Steinbrücks,

er ist monoton. Merkels Neujahrs-

ansprache klang, als wollte sie die

Nation in den Schlaf wiegen. Das

ist der Unterschied zu Steinbrück.

Sie drückt sich oft vor der Wahr-

heit, aber bei ihr bilden Naturell

und politische Kommunikation

eine authentische Einheit: vor-

sichtig, nüchtern, unaufgeregt.

Keine Visionen, aber auch keine

Überraschungen. Sie erfüllt – im

Jahr fünf nach der Finanzkrise –

auch verbal den Wunsch ihres

ängstlichen Volkes nach Ruhe,

Geborgenheit, Stabilität.

Sie könnte auch das Wahl-

kampfmotto Konrad Adenauers

aus den 50er Jahren wieder her-

vorholen: Keine Experimente!

Bei seiner Wahlkampfrede am

Freitag erwähnt Steinbrück da-

mit, dass er beim letzten Besuch

in Emden sechs Bier und acht

Korn getrunken habe. Merkel

würde so etwas nie sagen. Sie

würde nie so laut wie er reden.

Sie würde nie so oft „ich“ sagen.

Die Frage ist, ob Steinbrücks Art

der Kommunikation noch in die

Zeit passt. Das Laute, Mackerhaf-

te, Polemische hat es schwer in

„Ja.“

„Nicht dass der Rotor zurück

übern Deich kommt.“

„Nee.“

„Mensch, ich bin in Hamburg

geboren. Ich hab die Sturmflut 62

erlebt.“

Wenn es eine Inszenierung

sein sollte, dann die eines Fach-

manns für Stürme und nicht die

eines Arbeiterfreunds.

Irgendwann trifft Steinbrück

auf einen Arbeiter, der per Fern-

lenkung einen Kran steuert. „Das

ist ja wie zu Hause mit der Carre-

ra-Bahn“, ruft er.

„Ach ja?“, fragt Rainer Schne-

pel, er steuert Modultransporter.

„Mensch, das hab ich mir im-

mer gewünscht.“ Steinbrück freut

sich jetzt wie ein kleiner Junge.

Schnepel will noch was sagen,

aber da ist der Kandidat schon

weitergezogen.

Freut es ihn, dass Steinbrück

hier ist?

„Nö“, sagt Schnepel. „Ich freue

mich nur, wenn’s hier weiter-

geht.“

Was halten Sie von ihm?

„Er ist ja sehr umstritten. Was

man so in den Medien hört. Aber

wir hoffen, dass die SPD uns ir-

gendwie retten kann.“

Zeiten wachsender Gleichberech-

tigung. Wer im 21. Jahrhundert

noch den Macho raushängen

lässt, hat es nicht nur in der Liebe

schwer, sondern inzwischen auch

in der Politik.

Vor seinem Auftritt besuchte

Peer Steinbrück die Nordsee werke

in Emden, ein von der Pleite be-

drohtes Offshore-Windkraftunter-

nehmen; 700 Arbeitsplätze sind

dort in Gefahr. Es ist sein erster

öffentlicher Termin seit dem Pat-

zer, er will sich an der Seite von

Arbeitern zeigen, einer Gruppe,

die nicht recht warm mit ihm wird.

Steinbrück geht durch die gro-

ße Werkshalle und lässt sich vom

Betriebsratsvorsitzenden Erwin

Heinks alles erklären. Es wäre die

Gelegenheit, den Arbeitern zu-

zuhören, sie nach ihrem Befinden

zu fragen, den Familien. Aber

Steinbrück fragt nach dem Ge-

wicht der Röhren, nach Durch-

messern, Schweißnähten.

„Was wiegt so’n Teil?“

„Um die 30 Tonnen.“

„Wie weit stehen die draußen,

20 Meilen?“

„Jenseits der Tankerautobahn.“

„Und wenn der blanke Hans

kommt mit Orkanstärke, halten

die das aus?“

Angst vor falschen Tönen: Beim Shanty- Singen steht Steinbrück lieber in der letzten Reihe, links vor ihm SPD-Spitzenkandidat Stephan Weil

2 Politik

38 stern 3 / 2 0 1 3

Page 39: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

Gegen Ende des Rundgangs fragt

der Reporter Steinbrück, was er

als Kanzler mit den Nordseewer-

ken machen würde. Er scheint die

Frage zu mögen. Endlich mal keine

zum Kanzlergehalt. Er zögert kei-

ne Sekunde und spult das ganze

Programm in 30 Sekunden runter:

Transfergesellschaft, Landesbürg-

schaft, Masterplan, zack, zack.

Steinbrücks Schlagfertigkeit

kann beeindruckend sein. Aber

eben auch ein Risiko.

Fährt man in diesen Tagen

durch Niedersachsen, aufs Land

nach Cloppenburg, in Städte wie

Braunschweig oder Wolfenbüttel,

trifft man fast überall auf den

Wunsch nach Sicherheit und

einem starken Staat, auf ein vor-

sichtiges „Weiter so“. Er folgt ei-

nem bizarren Reflex: Je mehr die

Menschen durch Merkel von der

Schwere der Eurokrise und härte-

ren Zeiten hören, desto mehr

wünschen sie sich Merkel. Das

deckt sich mit der stern-Umfrage,

nach der 51 Prozent Steinbrück

für keinen guten Kanzler hielten.

Im November waren es nur 37

Prozent.

Selbst in der SPD-Hochburg

Emden ist keine Euphorie

für Steinbrück zu spüren.

„Unsere Leute sind geschockt,

weil sie nur die Zuspitzung

des Interviews hören“, sagt der

Landtagsabgeordnete Hans-Dieter

Haase. „Was will der Steinbrück

denn? Will der mehr Geld? Der

Einzige, der solche Redehonorare

verdient, ist Helmut Schmidt.“

Haase ist ein Urgestein der

SPD. Er sitzt in einem Café im

Zentrum und kommt kaum zum

Reden, weil ihn ständig Bürger

ansprechen. Er hat in Emden

immer gewonnen. Er hofft, dass

es bei den Wahlen am 20. Januar

reicht für Rot-Grün in Hannover.

Dann wäre Merkel in Not. Dann

wäre Steinbrück wieder da.

„Aber die Ungeschicklichkeiten

müssen vorbei sein. Jeder hat ein

paar Klopser frei, aber jetzt ist

mal gut.“

Haase ist der Einzige, der Klar-

text redet, selbst viele Lokalpoli-

tiker wollen sich mit ihrer Kritik

an Steinbrück nicht zitieren las-

sen. „Neulich war Steinbrück

beim Nautischen Verein“, erzählt

Haase. „Der ist super angekom-

men. Aber der Vorsitzende muss

nun allen erklären, dass Stein-

brück kein Geld bekommen hat.

So weit ist das schon.“

Steinbrück habe nur eine

Chance, glaubt Haase: Er müsse in

seinen Reden sozialdemokrati-

scher klingen als jeder andere

Sozialdemokrat, weil man ihm das

Parteibuch nicht abnimmt. Auch

Merkel klinge immer sozialdemo-

kratischer, und nun fange selbst

die FDP mit dem Mindestlohn an.

Und wenn Niedersachsen ver-

loren geht?

„Wenn wir hier massiv einbre-

chen, ist das Thema Steinbrück

durch. Dann würde ich sagen: Ist

er noch der Richtige?“

*

Spät am Abend geht Steinbrück

ans Nachtisch-Büfett. Rote Grütze,

Vanilleeis, Crème brulée. Er freut

sich. Pressesprecher sehen es

nicht gern, wenn man über solche

Abende berichtet, dabei handelt

es sich um einen der wenigen an-

nähernd authentischen Momente.

Will man die von Steinbrück ge-

forderte Authentizität erleben,

dann hier.

Er sagt, dass er sich mit dem

Reden jetzt etwas zurückhalten

werde. Weniger Talkshows. Aus-

gewählte Interviews. Er schimpft

über Onlinedienste, über Kom-

mentatoren, die ihn nie getroffen

haben, aber über ihn herziehen –

„auch in Ihrem Medium“. Er

blickt nun fast drohend.

In diesen zwei Stunden des

abendlichen Plauschens sieht er

viele Fehler der anderen, macht

aber nur ein einziges Eingeständ-

nis. Auf der Folie der Kanzler-

kandidatur dürfe er Dinge, die er

früher mal gesagt habe, nun nicht

mehr sagen. Es klingt merkwür-

dig gedrechselt für einen Mann,

dessen Stil es wäre zu sagen: Ich

habe Mist gebaut.

Haben Sie noch Spaß?, fragt ihn

eine Journalistin. Da lacht Stein-

brück kurz und hält dann inne.

„Gute Frage“, sagt er.

Es ist die beste Frage des

Abends. Und für einen kurzen

Augenblick ist er mal still. 2

Page 40: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

FOT

O: A

LF

RE

D S

TE

FF

EN

Video-Zwischen-

ruf mit einem

zweiten aktuellen

Thema

Für Videostart den Bildcode mit dem Smart-phone und einer App für QR-Codes scannen

Zwei Herren schweigen, auffällig. Zwei

Herren, von denen die Öffentlichkeit ange-

sichts der spektakulären Umstände des Falles

eigentlich etwas hätte hören müssen: Anshu

Jain, Co-Vorstandschef der Deutschen Bank, und

Peer Steinbrück, Kanzlerkandidat der SPD. Im De-

zember wurde das feine Frankfurter Geldhaus gleich

zweimal von Staatsanwälten und Polizei durch-

sucht. Jain aber, früherer Chef der Londoner In-

vestmentabteilung, die Ermittlungen und Schadens-

ersatzforderungen verfolgen wie der Schweif den

Kometen, ließ nichts vernehmen zu den Razzien.

Sein Amtsbruder Jürgen Fitschen, der sich telefo-

nisch beim hessischen Regierungschef Volker Bouf-

fier beschwerte, stand mutterseelenallein im Feuer.

Noch irritierender ist indes Steinbrücks rhetori-

sche Enthaltsamkeit. Der Raubauz, der sich brüstet,

zu sagen, was er denkt, und zu tun, was er sagt, wur-

de in der Öffentlichkeit von Parteichef Sigmar Ga-

briel vertreten, der nach der Frankfurter Razzia

gegen Fitschen austeilte: „Ein Politiker hätte bei

einem solchen Versuch, die Arbeit von Staatsanwalt

und der Polizei durch einen Anruf beim Minister-

präsidenten zu behindern, bereits seinen Job ver-

loren.“ Der Kanzlerkandidat indes nahm Fitschen

und die Bank, drei Tage später und in einem öffent-

lich unbemerkten Interview mit der „Passauer

Neuen Presse“, sogar ausdrücklich in Schutz: „Herr

Fitschen hat das als Fehler erkannt und sich ent-

schuldigt. Ich rate dazu, die weiteren Ermittlungen

ab zuwarten, so lange gilt im Rechtsstaat die Un-

schuldsvermutung.“ In einer Podiumsdiskussion mit

Fitschen in der Essener Philharmonie, ideales Fo-

rum für eine Abrechnung mit verlotterter Banken-

kultur, mied er sogar jedes Wort zu dem dankbaren

Skandal. Stattdessen verbreitete er sich über

Deutschland, Europa und die Energiewende, 22 Mi-

nuten lang.

Was ist los mit dem Kandidaten? Im September

noch hatte er ein detailliertes Konzept zur „Bändi-

gung der Finanzmärkte“ präsentiert, 30 Seiten lang.

Kernpunkt: Abspaltung des spekulativen Invest-

mentbanking vom normalen Kundengeschäft, was

insbesondere die Deutsche Bank treffen würde. In-

zwischen aber hat Steinbrück sein vermeintliches

Leib- und Magenthema, das seine Kompetenz als

Finanzminister der Großen Koalition in den turbu-

lenten Zeiten der Finanzkrise in Erinnerung rufen

könnte, generell fallen lassen. Ein Auftritt mit dem

grünen Spitzenkandidaten Jürgen Trittin Mitte De-

zember hatte nur formal das Bankenthema zum

Anlass, in Wahrheit ging es um die Demonstration

rot-grüner Gemeinsamkeit. Seither meidet es Stein-

brück, in Interviews und öffentlichen Auftritten,

wie der Banker den Kredit für Hartz-IV-Empfänger.

In der Führung der Deutschen Bank ist mancher so

verblüfft wie an der Spitze der SPD: Steinbrück

bespiele sein originäres Thema gar nicht mehr, habe

aber auch kein anderes gefunden. Kein Wunder,

dass Jain und Fitschen, wie aus der Bank zu hören

ist, gut über den verblassten Bankenbändiger reden

und ihren Kontakt zu ihm rühmen.

Könnte das womöglich einen Grund haben, ein

persönliches Motiv? Anfrage also bei Steinbrück-

Sprecher Michael Donnermeyer: Ist oder war Peer

Steinbrück „Kunde bei der Deutschen Bank“? Ant-

wort Donnermeyer nach Rücksprache mit dem Kan-

didaten: „Er und seine Frau haben Konten bei meh-

reren Banken, über die er aber nicht Auskunft geben

will.“ Das darf man vielleicht als verhüllte Bestäti-

gung nehmen. Denn die Antwort hätte auch schlicht

Nein lauten können, oder: Die Steinbrücks haben

Konten bei mehreren Banken, aber keines bei der

Deutschen Bank. Versuchen wir, der Sache noch

näher zu kommen. E-Mail an Donnermeyer: „Die

Deutsche Bank wird schon darunter sein …“ Ant-

wort Donnermeyer: „Stadtsparkasse auch.“ Auch.

Eine Verbindung des Kandidaten zur Deutschen

Bank wäre keine Überraschung, denn zum einen

zählte Adelbert Delbrück, Urgroßonkel Steinbrücks,

1870 zu den Mitbegründern des heute bedeutends-

ten deutschen Geldhauses. Zum anderen hat sich

der Kandidat durch Vortrags- und Buchhonorare ein

veritables Vermögen geschaffen.

Wie verhält es sich eigentlich, nun ganz theore-

tisch erörtert, wenn der Kunde „X“ Vermögen bei

der Deutschen Bank anlegt? Wäre das erklecklich,

zählte er zu den bevorzugten Privatkunden, mit per-

sönlichem Berater. Der wiederum spräche, je nach

Risiko- und Renditeneigung des Kunden, mehr oder

weniger riskante Anlageempfehlungen aus, Finanz-

derivate inklusive. Der Kunde könnte sogar die Meh-

rung seines Vermögens an den Berater delegieren,

Abrechnung alle paar Monate. Wie auch immer: Das

würde nicht nur ein Band des Vertrauens knüpfen.

Das schüfe auch Wissen – über den Kunden. 2

Das Schweigen des GeldesDer Kanzlerkandidat der SPD gibt Rätsel auf: Warum sind die Banken für PEER STEINBRÜCK kein Thema mehr, speziell die Affären der Deutschen Bank? Eine Spurensuche

Der Zwischenruf aus Berlin von HANS-ULRICH JÖRGES

„In der Führung der Bank ist man so verblüfft wie an der Spitze der SPD“

40 stern 3 / 2 0 1 3

2 Politik

Page 41: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013
Page 42: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

Nicht länger wegEine brutale Tat hat INDIEN wachgerüttelt. Die Gewalt gegen Frauen kann niemand mehr

2 Ausland

42 stern 3 / 2 0 1 3

Page 43: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

FOT

O: A

DN

AN

AB

IDI/

RE

UT

ER

S

Das Motto des Zuges lautet:

„Wir fordern die Nacht

zurück.“ Mehrere Hun-

dert Menschen sind ge-

kom men, um von einer Fußgän-

gerzone in Saket im Süden von

Delhi loszumarschieren. Ihr Ziel

ist eine neue glänzende Shop-

pingmall mit Kino. An diesem Ort

hatte das Martyrium der indi-

schen Studentin seinen Ausgang

genommen, die im Dezember in

einem Bus zu Tode gequält wurde

und deren Ver gewaltiger nun vor

einem Schnellgericht stehen. Es

ist nicht der erste Protest in der

Hauptstadt Indiens, die auch

„Hauptstadt der Vergewaltigun-

gen“ genannt wird. Doch nun ge-

hen Menschen auf die Straße, die

man bisher nie auf Demonstratio-

nen sah. Fast alle gehören der

wohlhabenden Mittelschicht an.

Es ist bitterkalt. Die Temperatu-

ren in Nordindien sind in diesem

Winter so tief wie seit Jahrzehn-

ten nicht. Die Männer kommen

in Mänteln und Hüten, manche

haben Schals vors Gesicht gebun-

den. Die Frauen tragen Mäntel

und elegante Stiefel.

Medha Chaturvedi arbeitet un-

ter der Woche als Marketingbera-

terin. „Ich bin aus einer Kleinstadt

nach Delhi gekommen und seit-

dem immer wieder in öffentli-

chen Nahverkehrsmitteln beläs-

tigt worden“, erzählt die 30-Jährige.

„Für uns Frauen gehört so etwas

hier zum Alltag.“ Sie habe sich des-

halb ein Auto gekauft. „Aber dann

spielten Männer laut Musik, wenn

sie an Ampeln neben mir standen.

Und wenn mehrere Typen im Auto

saßen, machten sie zotige Bemer-

kungen.“ Nun aber kämen endlich

andere Männer zu Hilfe, wenn

Frauen belästigt werden.

Der Geschäftsmann Deepak

Dutta, 45, kam vom Abendessen

mit einem Freund, er schloss sich

spontan der Demonstration an.

„Ich habe einen Sohn und eine

Tochter, und ich unterscheide

zwischen den beiden nicht“, sagt

er. „Denn ich glaube, die Proble-

me fangen an, wenn die Eltern zu

Hause zwischen Söhnen und

Töchtern unterscheiden.“ ➔

schauen leugnen. Doch die Vorurteile sitzen tief

Auch Männer machen sich bei

Demonstrationen jetzt für Frauen-

rechte stark

Von SASCHA ZASTIRAL

3 / 2 0 1 3 stern 43

Page 44: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

Die Protestierenden halten alle

Kerzen in den Händen. Sie wis-

sen, dass ihr Indien, die aufstre-

bende Wirtschaftsmacht mit den

Bürotürmen, Einkaufszentren und

Informatikkonzernen, auch eine

dunkle Seite hat. Einerseits ken-

nen sie das Indien der Großstäd-

te, in dem sich Frauen aus der

Mittelschicht schon lange ihre

Freiheiten und Rechte erkämpf-

ten. Die bekleiden in Indien auch

einige der höchsten Ämter: Der

regierenden Kongresspartei, der

Opposition im Unterhaus des Par-

laments und vier Bundesstaaten

stehen Frauen vor. Mit 68 Jahren

werden Frauen in Indien heute

im Schnitt zwei Jahre älter als

Männer. Mehr Frauen denn je

können lesen und schreiben. Im-

mer mehr machen einen Hoch-

schulabschluss. Es gibt promi-

nente Anwältinnen, Richterinnen

und Journalistinnen. Einige be-

deutende Wirtschaftskonzerne

werden von Frauen geführt.

Andererseits leben immer

noch zwei Drittel aller Men-

schen auf dem Land, die

meisten in tiefster Armut. Vor al-

lem in den Dörfern Nordindiens

haben weiterhin die Männer das

Sagen. Dort herrschen auch nach

wie vor rigide Kastenschranken.

Sexuelle Übergriffe auf niedrig

gestellte Frauen durch Männer

aus höheren Kasten sind an der

Tagesordnung.

Frauen in diesen Gegenden

werden häufig Opfer häuslicher

Gewalt. Das Risiko für Frauen

und Mädchen aus armen Fami-

lien, verkauft zu werden, ist groß.

Frauen haben in vielen Regionen

kaum Zugang zu angemessener

medizinischer Versorgung. Und

noch werden in Indien knapp die

Hälfte aller Mädchen verheiratet,

bevor sie 18 Jahre alt sind.

Die Thomson Reuters Founda-

tion kommt in einer Studie von

2011 zu dem Schluss, dass Indien

das viertgefährlichste Land der

Welt für Frauen ist. Selbst das

kriegsgeschüttelte Somalia wird

für Frauen als sicherer eingestuft.

„Der Unterschied zwischen

Männern und Frauen in Indien ist

riesig“, sagt Sadhna Arya, Profes-

sorin für Politik an der Universität

Delhi und bekannte Frauenrechts-

aktivistin. Es gebe zwar viele

Gesetze, in denen der Schutz und

die Gleichberechtigung von Frau-

en klar geregelt seien, „aber de-

ren Umsetzung ist schlecht“.

Eines der Gesetze verlange von

den Behörden, Opfer häuslicher

Gewalt zu schützen und prügeln-

de Ehemänner des Hauses zu ver-

weisen. „Aber jedes Mal wenn

wir um diesen Schutz bitten, wird

er den Frauen nicht gewährt.“

Gewalt gegen Frauen, sagt die

Publizistin Nilanjana Roy, sei

nicht nur das Ergebnis der tradi-

tionellen Diskriminierung, son-

dern auch eine Art „Strafe“ dafür,

dass Frauen in den Städten unab-

hängiger geworden seien und im-

mer mehr Freiheiten forderten.

Viele Männer in Indien können

sich offenbar nicht mit der

Vorstel lung abfinden, dass Frau-

en aus ihren traditionellen Rollen

ausgebrochen sind. Ihre Antwort

darauf: dumpfe Gewalt.

Die beginnt in Indien häufig

schon vor der Geburt. Jedes Jahr

lassen Zigtausende Paare das

Geschlecht ihrer ungeborenen

Kinder bestimmen, was eigentlich

unter Strafe verboten ist, und trei-

ben weibliche Föten ab. Die Fol-

gen sind in den Bevölkerungszah-

len abzulesen. Es ist eine Statistik

der Schande: In Assam im Nordos-

ten des Landes kommen auf 1000

Männer noch 954 Frauen. Im

westindischen Gujarat sind es 918.

Im überbevölkerten Armutsstaat

Uttar Pradesh 908. In Haryana –

westlich von Delhi – gar nur noch

877. Nur in den südlichen Bundes-

staaten Kerala und Puducherry

leben laut der letzten Volkszäh-

lung aus dem Jahr 2011 mehr Frau-

en als Männer. Experten schätzen,

dass Indien durch gezielte Abtrei-

bungen in den vergangenen zehn

Jahren 15 Millionen Frauen ver-

loren hat. Und sie fürchten, dass

vor allem in Regionen, in denen

es immer weniger Frauen gibt, die

sexuellen Übergriffe zunehmen.

Dass sich so viele Paare so

vehe ment dagegen wehren, eine

Tochter zu bekommen, hat vor

allem einen Grund: die eigentlich

seit den 1960er Jahren verbotene

Mitgift. Bei den meisten Hochzei-

ten ist es bis heute üblich, dass

die Brauteltern die Familie des

Bräutigams dafür entschädigen

müssen, dass diese ihre Tochter

aufnimmt. Ärmere Väter stürzen

sich oft in den Ruin, um ihre

Töchter zu verheiraten.

80 Prozent aller Kredite in In-

dien, schätzen Kritiker, dienen

dazu, solche Mitgiften und die

Hochzeiten zu finanzieren. Der

Trend nimmt seit Beginn des

Wirtschaftsbooms in den 1990er

Jahren deutlich zu. Mitgiftforde-

rungen werden ausschweifender,

je wohlhabender das Land wird.

Und häufig verlangen Schwieger-

eltern auch nach der Heirat noch

Geld von den Eltern der Braut.

Lalita hatte gerade die zehnte

Klasse beendet, als ihre Eltern

sie verheirateten. Gern wäre sie

weiter in die Schule gegangen, so

wie ihre Brüder. Für die Mit-

gift wandten die Eltern der 18-Jäh-

rigen auf, was sie nur konnten:

Sie kauften den Eltern des Bräuti-

gams einen Kühlschrank, ein

Motorrad, Möbel, eine Wasch ma-

schine. Sie gaben ihnen 150 000

Rupien in bar (nach heutigem

Stand rund 2000 Euro) und aller-

lei kleine Geschenke, darunter

viele Goldketten und Anhänger.

Ihre Tochter sollte es in der neuen

Familie gut haben.

Doch schon nach einem Jahr

ging es bergab. Ihr Mann ver-

langte weitere Geschenke. Ein

Auto sollte es sein, das Motorrad

reichte ihm nicht mehr. In dieser

Zeit fing er auch an, seine Frau zu

schlagen. Kam sie einmal von

einem Besuch bei ihren Eltern

nach Hause, ohne ein kostbares

Geschenk mitzubringen, prügelte

ihr Mann auf sie ein. Er warf

Gegenstände nach ihr, fügte ihr

Brandwunden zu. In einem Wut-

anfall zertrümmerte er den Kühl-

schrank und forderte einen neuen.

Er zerschlug das Telefon, das ihr

Vater ihr gegeben hatte, um mit

seiner Tochter in Verbindung zu

bleiben. Dann begann er, auch die

gemeinsamen Kinder zu schlagen,

um seine Forderungen durch-

zusetzen. Erst nach 13 Jahren

schaffte Lalita es, sich von ihm zu

trennen. Dafür zahlte sie einen

„Viele Männer in Indien glauben, Frauen seien ihr Eigentum, mit dem sie alles machen können“Frauenrechtlerin Lalita

2 Ausland

44 stern 3 / 2 0 1 3

Page 45: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

FOT

O: A

FP

verwendet wird, und zündet

sie an. Der Mord wird dann als

Unfall hingestellt. Verzweifelte

Schwiegertöchter fliehen auch vor

den Schikanen, indem sie sich das

Leben nehmen.

Und immer wieder sind es auch

die eigenen Väter oder Brüder, die

in Indien Frauen ermorden. Die

Vorstellung, dass Frauen mit ihren

Handlungen die „Ehre“ ihrer Fa-

milie gefährden könnten, hält sich

in vielen ländlichen Regionen. Im

Mai vergangenen Jahres riet ein

hochrangiger Polizist im nordindi-

schen Bundesstaat Uttar Pradesh

Dorfbewohnern, ein 14-jähriges

Mädchen zu erschießen, das kurz

zuvor von mehreren Männern

entführt worden war. Den Eltern

sagte er: „Falls sie weggelaufen

ist, solltet ihr euch schämen und

euer Leben beenden.“

Mehr als 1000 Menschen wer-

den in Indien jedes Jahr Opfer sol-

cher „Ehrenmorde“, Männer wie

Frauen. Vergangenen Juli erst hat

ein Vorfall im Bundesstaat Raja-

sthan für Entsetzen gesorgt, da

enthauptete ein Mann seine 20

Jahre alte Tochter und lief an-

schließend mit ihrem Kopf und

dem blutverschmierten Schwert

durch das Dorf.

Die angeblich zu verteidigende

„Ehre“ ist auch ein zentrales Motiv

für die konservative Elite des

Landes. So behauptete Mohan

Bhagwat, Leiter der hinduna-

tionalistischen Organisation RSS,

dieser Tage, Vergewaltigungen ge-

be es nur in den Städten, da diese

„verwestlicht“ seien. In „Bharat“ –

also dem ländlichen Indien – ken-

ne man so etwas nicht, da dort

noch immer „traditionelle Werte“

aufrechterhalten würden. Frauen

sollten sich wieder auf ihre Rolle

besinnen und sich um den Haus-

halt kümmern, so wie das im „Ge-

sellschaftsvertrag“ vorgesehen sei.

Dabei ist Bhagwat nicht ir-

gendein unbedeutender religiöser

Eiferer. Seine Organisation steht

auf demselben ideologischen

Fundament wie die wichtigste

Oppositionspartei des Landes, die

Indische Volkspartei (BJP), die

bei den kommenden Wahlen

wieder an die Macht kommen

könnte.

Dass die Mittelschicht nun für

die Rechte der Frauen auf die

Straße geht, ist ein neues Phäno-

men. Der Kampf gegen den Miss-

brauch währt schon länger. Vor

Jahren hat er sogar eine Banditen-

königin zur Volksheldin gemacht.

Phoolan Devi war erst elf, als sie

einen mehr als dreimal so alten

Mann heiraten musste. Er miss-

handelte sie schwer und verstieß

sie dann. Ihre Familie wollte sie

nicht wieder aufnehmen. Devi,

die einer niedrigen Fischerkaste

angehörte, wurde zum Freiwild

für die Männer ihres Dorfs. Sie

wurde mehrfach vergewaltigt,

auch von Polizisten.

Später entführten Banditen

die junge Frau, und Phoolan

Devi heiratete den Banden-

chef. Als er erschossen wurde,

führte sie selbst eine Gruppe der

Desperados an. Der Legende nach

teilte sie das Geld, das sie und

ihre Männer bei Raubzügen er-

beuteten, mit Menschen niedri-

ger Kasten. Gleichzeitig machte

sie erbarmungslos Jagd auf Mit-

glieder hoher Kasten. 1981 er-

mordete ihre Bande bei einem

Massaker 22 Mitglieder der Tha-

kur-Kaste, unter ihnen angeblich

auch mehrere Männer, die sie

vergewaltigt hatten. 1983 ergab

sie sich dem Ministerpräsidenten

des Bundesstaates Madhya Pra-

desh. 1994 wurde sie begnadigt,

ohne dass ihr je der Prozess ge-

macht worden wäre. Sie wurde

als Vorkämpferin der Entrechte-

ten gefeiert, ging in die Politik

und zog 1996 als Abgeordnete ins

indische Unterhaus ein.

Doch ihre Geschichte nahm

kein glückliches Ende. Im Juli

2001 wurde sie vor ihrem Bunga-

low in Delhi von drei Maskierten

erschossen. Der Hauptverdächti-

ge stellte sich kurze Zeit später

der Polizei. Er war der Cousin

einer der Männer, die Phoolan

Devi ermordet hatte.

Er habe sich dafür rächen wol-

len, sagte er, dass eine Frau aus

einer niedrigen Kaste so viele

Männer aus einer hohen Kaste

getötet habe.

Mit Recherchen von Ravinder Bawa

hohen Preis: Ihre Tochter konnte

sie mitnehmen, ihre Söhne je-

doch musste sie bei ihrem Mann

lassen.

Heute ist Lalita 31 Jahre alt. Sie

arbeitet im Büro einer Menschen-

rechtsorganisation in Delhi und

trägt einen roten Salwar Kamiz,

ein indisches Kleid. Sie zeigt

ei nige der Verletzungen, die sie

aus ihrer Ehe mitgenommen hat:

eine Narbe unter der Augen-

braue, Brandwunden auf der

rechten Hand und am Rücken.

„Die Männer in Indien denken,

dass Frauen schwach sind, und

wollen sie unterwerfen“, sagt sie.

Den Hauptgrund für Gewalt

gegen Frauen in Indien sieht

Lalita in der wirtschaftlichen Ab-

hängigkeit der Frauen. „Männer

in Indien glauben, die Frauen sei-

en ihr Eigentum, mit dem sie alles

machen können.“

Offiziellen Zahlen zufolge gab

es 2011 mehr als 8600 Todesfälle

in Mitgift-Streitigkeiten. Häufig

übergießt die Familie des Mannes

die eingeheiratete Frau mit Petro-

leum, das vielerorts zum Kochen

2

Oben: der Bus, in dem sechs Männer

am 16. Dezember eine Studentin

vergewaltigten und so misshandelten,

dass sie später starb. Unten: zwei der

mutmaßlichen Täter, Akshay T., links, und

Busfahrer Ram S. Nach indischem

Recht darf die Iden-tität der Männer erst

nach einer Verurtei-

lung gelüftet werden

3 / 2 0 1 3 stern 45

Page 46: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

Das große Steuer-Theater

7 oder 19 Prozent – das ist hier die Frage. Doch auch die Regierung

von Angela Merkel hat das Mehrwertsteuer-Chaos nicht, wie versprochen, beseitigt.

Sie hat nur viel Lärm um nichts gemacht. Die Politik der schwarz-gelben Koalition –

ein TRAUERSPIEL in fünf Akten. Vorhang auf

Seid ihr alle daaaa? Na, liebe Leser, dann mal gut auf-gepasst, wie in Deutschland Politik gemacht wird

2 Wirtschaft

46 stern 3/2013

Page 47: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013
Page 48: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

Manchmal geht es in der

Politik zu wie im richti-

gen Leben. Da gibt es

Dinge, die zwar danach

schreien, erledigt zu werden, die

man aber endlos aufschiebt. Zu

mühselig. Den Brief an Onkel

Egon schreiben. Den Keller ent-

rümpeln. Solche Sachen.

In der Politik ist es die Mehr-

wertsteuer mit ihren beiden un-

terschiedlich hohen Sätzen. Auf

Waren und Dienstleistungen be-

trägt sie 19 Prozent. Im Normal-

fall. Für Lebensmittel und Kultur-

güter werden nur 7 Prozent fäl-

lig, jedenfalls war das mal so

gedacht. Über die Jahrzehnte ist

jedoch ein Wust von irren Aus-

nahmeregeln gewachsen. Es wäre

höchste Zeit, einmal aufzuräu-

men. Aber auch das kennt man

aus dem richtigen Leben: Wem

Mut oder Kraft oder Lust oder

alles zusammen fehlt, etwas an-

zupacken, der täuscht gern Han-

deln vor.

Willst du dich nicht langsam

mal um den Keller kümmern?

Doch, Liebling! Ich habe sogar

schon nachgeguckt, wo man

Müllcontainer bestellen kann!

Man nennt es schlechtes Ge-

wissen. In der Politik gründet

man in solchen Fällen gern eine

Kommission. So hielten es auch

Union und FDP zu Beginn dieser

Legislaturperiode. Sie hatten im

Wahlkampf ziemlich getönt, dass

sie das Steuersystem einfacher

und verständlicher machen wol-

len. Weil ihnen im Regierungs-

alltag aber Mut und Kraft und

Lust fehlten, sich gegen Lobby-

interessen durchzusetzen, taten

sie in den vergangenen Jahren

wenigstens so, als ob, und führ-

ten den Bürgern ein komplett ab-

surdes Reformtheater vor. Man

kann so etwas nur selten derart

deutlich und durchsichtig insze-

niert beobachten. Deshalb zum

Start ins Wahljahr 2013: Vorhang

auf für ein Lehrstück über vor-

getäuschtes Handeln und Politik-

verweigerung.

VORSPIEL

oder: Maulesel 7 Prozent, Hausesel 19 Prozent

„Eine Vielzahl der Regelungen hat ausgesprochenen Subven-tionscharakter. Ihre Abschaffungließe die soziale Balance nicht ins Ungleichgewicht geraten.Veränderte Bedürfnisse der Bevölkerung lassen viele Ver-günstigungen als überkommen erscheinen. Eine stichhaltige Begründung ist in vielen Fällen entfallen. Die Regelungen sinddem Bürger gegenüber teilweisenicht mehr vermittelbar.“Aus einem Bericht des Bundesfinanz-

ministeriums über die „Anwendung

des ermäßigten Umsatzsteuersat-

zes“ an den Finanzausschuss des

Bundestages vom 30. Oktober 2007

„Wir brauchen eine strukturelle Mehrwertsteuerreform, undzwar jetzt und nicht erst in Jah-ren. So ist die unterschiedlicheBesteuerung für Tierfutter mitniedrigen Sätzen und notwendi-ge Babyausstattung mit hohen Sätzen kaum zu erklären.“CSU-Vorsitzender Horst Seehofer

im März 2009

ERSTER AKT

oder: Medikamente für Tiere 7 Prozent, für Menschen 19 Prozent

„Wir wollen eine strukturelleÜberprüfung der Vorschriftenzur Mehrwertsteuerbelastung mit dem Ziel, nicht mehr zeitgemäße und für die Bürger nicht nach-vollziehbare Belastungswirkun-gen zu korrigieren.“Aus dem Regierungsprogramm von

CDU und CSU vom 28. Juni 2009

„Warum zahlen Sie für Tafelwas-ser 19 Prozent Mehrwertsteuer und für den Skilift 7 Prozent? Da stimmt doch was nicht, und da muss doch einer mal rangehen. Wir wollen den ermäßigten Mehrwertsteuersatz für die Be-dürfnisse des täglichen Lebens.“FDP-Chef Guido Westerwelle am

13. September 2009

„Benachteiligungen gehören auf den Prüfstand. Aus diesemGrund wollen wir eine Kom- mission einsetzen, die sich mit der Systemumstellung bei der Umsatzsteuer sowie dem Kata-log der ermäßigten Mehrwert-steuersätze befasst.“Aus dem Koalitionsvertrag

zwischen CDU, CSU und FDP

vom 26. Oktober 2009

ZWEITER AKT

oder: Trüffel 7 Prozent (mit Essig zubereitet: 19), Hummer 19 Prozent

„Die Senkung des Umsatzsteuer-satzes bei Beherbergungsleis- tungen im Hotel- und Gastrono-miebereich (ist) eine Maßnahme, die unter Wettbewerbsgesichts-punkten vertretbar ist und die richtig und angemessen ist. Wir werden in dieser Legisla- turperiode, wie es in unseremKoalitionsvertrag vereinbart ist, im Steuersystem weiterestrukturelle Vereinfachungenund Verbesserungen vornehmen. Darüber werden wir im nächs- ten Jahr zu reden haben.“Finanzminister Wolfgang Schäuble

(CDU) am 12. November 2009 über

das „Wachstumsbeschleunigungs-

gesetz“, mit dem die Mehrwert-

steuer für Übernachtungen in Hotels

auf 7 Prozent gesenkt wurde

„Ich freue mich, dass wir den Dienstleistungsbetriebendes Beherbergungsgewerbesdurch wesentliche Hilfen einen Lichtblick eröffnen konnten,auch wenn vielleicht eine Überprüfung der ermäßigtenUmsatzsteuer im Gesamtkontextstattfinden muss.“Aus der Rede des CSU-Abgeordneten

Hans Michelbach im Bundestag

am 4. Dezember 2009 vor der

Verabschiedung des Gesetzes

Also: Mit der Politik ist es manchmal so wie beim Esel. Wenn ihr zu wohl ist …

Von ANDREAS

HOIDN-BORCHERS (Text)

und WALTER

SCHIESSWOHL (Fotos)

2 Wirtschaft

48 stern 3 / 2 0 1 3

Page 49: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

DRITTER AKT

oder: Brennholz aus Spänen und Holzabfällen („Industriehackschnitzel“)7 Prozent, Brennholz ausBaumstämmen („Wald-hackschnitzel“) 19 Prozent

„Warum nicht die Erleichterun-gen für Schnittblumen knicken?Warum werden Windeln, Kinder-kleidung und -spielzeug mit dem normalen Umsatzsteuersatz, Katzen- und Hundefutter jedoch mit ermäßigtem Satz belastet?Ich fordere daher dringend eine Reform der Mehrwertsteuer, weil die Begründungen für oder gegen einen ermäßigten Umsatzsteuer-satz nicht zu verstehen sind.“Sachsens Ministerpräsident

Stanislaw Tillich (CDU) im Mai 2010

„Die generelle Prüfung der ermäßigten Mehrwertsteuersätze wird bis 2013 dauern.“Bundesfinanzminister

Wolfgang Schäuble im Juni 2010

„Blätter, Zweige, Gräser undMoos, die zu Binde- oder Zier-zwecken verwendet werden,unter liegen dem ermäßigtenSteuersatz, wenn sie frisch sind. Mit ihrer Trocknung geht dersteuer liche Vorteil verloren. So ist auch ein Adventskranz nur dann begünstigt, ‚soweit frisches Material charakterbestimmend ist‘. Wird er dagegen aus Trocken-

pflanzen hergestellt, muss derKunde 19 % Umsatzsteuer zahlen.Das Bundesfinanzministerium weist darauf hin, dass Trocken-moos durch Anfeuchten nichtwieder zu frischem Moos wird.“Aus einem Bericht des Bundes-

rechnungshofs vom 28. Juni 2010.

Dessen Schlussfolgerung lautet:

„Der Bundesrechnungshof hält eine einheitliche Besteuerung im Einzelfall für zweckmäßig, um schwierige Abgrenzungsfragen sowie Verwaltungsaufwand zu vermeiden und das Steuerrecht erheblich zu vereinfachen. Jede einzelne Begünstigung sollte auf systematische Schwachstellen untersucht und kritisch hinter-fragt werden.“ Das Finanzministerium verzichtete

auf eine „detaillierte Stellung-

nahme zu diesem Bericht, um der

vorgesehenen Kommission nicht

vorzugreifen“. Zudem habe man

einen Forschungsauftrag vergeben,

„dessen Ergebnisse im Sommer

2010 vorliegen sollen“.

„Dieses Gutachten ist wesent- licher Baustein der Arbeit derKommission. Wir warten jetztdas Gutachten ab. Insofern kannich Ihnen zu konkreten Beset-zungsplänen der Kommissionhier und heute keine Auskunftgeben.“Schäubles Sprecher Michael Offer

am 29. Juni 2010

PAUSE„Die Erfahrungen mit den Regelungen zu den ermäßigten Steuersätzen sind ernüchternd: Erstens führt die Verringerung der staatlichen Einnahmen im Vergleich zum Normalsteuer- satz dazu, dass ein höherer Regelsteuersatz angewendet werden muss, um das gleiche Steueraufkommen zu erzielen. Zweitens verkomplizieren die Steuerermäßigungstatbestände das Umsatzsteuerrecht. Dadurchentstehen zahlreiche Rechts- streitigkeiten. Die Bürokratie- kosten des Staates und die Befolgungskosten der Wirtschaftsind erheblich. Drittens werdenAnreize dafür geschaffen, Ressourcen auf Lobbyarbeit zu verwenden, um die Steuerbe-günstigungen zu sichern oder zu erlangen. Viertens verbleiben

vielfach Wertungswidersprüche,die das Steuerrecht als unge-recht erscheinen lassen. DiesenKosten steht häufig kein nach-weisbarer bedeutsamer Nutzengegenüber. Der Wildwuchs beiden Steuersatzermäßigungensollte mutig zurückgestutzt wer-den. Das würde die Effizienzder Steuererhebung erhöhen.“Aus dem über 430 Seiten dicken

Forschungsgutachten, das Wissen-

schaftler von fünf Universitäten

im Auftrag des Bundesfinanzminis-

teriums erarbeitet haben. Es wird

im September 2010 vorgelegt –

und verschwindet danach sang- und

klang- und folgenlos in den tiefen

Schubladen des Ministeriums.

Später sickert durch, dass Wolfgang

Schäuble mit den Empfehlungen

nicht zufrieden war und um Nach-

besserung bat. Die Gutachter aber

blieben bei ihrer Meinung, „dass

allein die Steuersatzermäßigung

für Lebensmittel gerechtfertigt

erscheint“ und alle anderen Ausnah-

men gestrichen werden sollten.

… geht sie aufs(dünne) Eis und denkt, jetzt mach

ich aber mal was ganz Tolles …

… zum Beispieleine Reform! Na, und weil das mit der Mehrwert-steuer so doof …

3 / 2 0 1 3 stern 49

Page 50: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

VIERTER AKT

oder: pürierte Früchte7 Prozent, gepresste Früchte 19 Prozent

„Beginnen wir mit dem Thema Mehrwertsteuer: Da hat maneine Kommission aus Bundes- finanzminister Schäuble, Bundeswirtschaftsminister Brü-derle, Kanzleramtschef Pofallaund den drei Generalsekretärengebildet. Sie sollen auf der Basisder vorliegenden Gutachten bis nächstes Jahr konkrete Vor-schläge unterbreiten, wie das Mehrwertsteuerrecht gestaltet werden kann, welche Ausnahmen bleiben und welche Regelungen vielleicht verändert werden.“Regierungssprecher Steffen Seibert

nach dem Treffen des Koalitionsaus-

schusses am 18. November 2010

„Bis Ende 2011 kann ein Reform-konzept stehen.“Wirtschaftsminister Rainer Brüderle

(FDP) am 14. Februar 2011

FÜNFTER AKT

oder: Bratwurst im Sitzen19 Prozent, Bratwurst imGehen oder Stehen 7 Pro-zent – oder auch nicht

„Ich gehe davon aus, dass der Finanzminister die für dieReform bereits gebildete Kommission bald einberuft.“Der neue FDP-Vorsitzende

Philipp Rösler im Juni 2011

„Das Thema Reform der Mehr-wertsteuer steht unverändert aufder Agenda der Bundesregie-rung. Ein Termin für die Arbeits-gruppe steht noch nicht fest.“Regierungssprecher Seibert

am 2. Dezember 2011

„Der Betreiber eines Imbiss- standes gibt verzehrfertige Würst-chen, Pommes frites usw. an seine Kunden in Pappbehältern oder auf Porzellangeschirr ab.Der Kunde erhält dazu eine Serviette, ein Einwegbesteckund auf Wunsch Ketchup, Ma-yonnaise oder Senf. Der Imbiss-stand verfügt über eine Theke,an der Speisen im Stehen einge-nommen werden können. DerBetreiber hat vor dem Stand drei Stehtische aufgestellt. Un- abhängig davon, ob die Kundendie Speisen zum Mitnehmen oder zum Verzehr an Ort undStelle erwerben, liegen insge-samt begünstigende Lieferungen

„Eine am Nachmittag angesetzteerste Runde der Regierungs- kommission wurde kurzfristig abgesagt. Grund sei die Aktuelle Stunde des Bundestages zu den Plagiatsvorwürfen gegen Ver- teidigungsminister Karl-Theodorzu Guttenberg, hieß es.“Meldung der Deutschen Presse-

Agentur vom 23. Februar 2011

„Im Rahmen der Kommissions-arbeit wird über den Zeit- und Arbeitsplan der Beratungen zu entscheiden sein. Nach Beendigung der Kommissions-arbeit wird die Bundesregierung prüfen, welche Vorschläge sie dem Deutschen Bundestag unterbreiten wird.“Antwort von Hartmut Koschyk,

Parlamentarischer Staatssekretär

im Finanzministerium, auf eine

Anfrage der SPD am 25. März 2011

„Es ist noch nicht einmal dieHälfte der Legislaturperiode um. Das Thema ist keineswegs,wie Sie es ausdrücken, versenktworden. Die Bundesregierunghat sich ein Verfahren gegeben,um sich diesem Thema zu nä-hern. An diesem Verfahren wirdfestgehalten. An dieses Verfah-

ren glaubt auch die Bundeskanz-lerin. Das wird nun seinen Lauf nehmen.“Regierungssprecher Steffen Seibert

am 20. Mai 2011

„Es liegen doch alle Vorschläge auf dem Tisch. Man muss nurden politischen Willen haben, sie umzusetzen.“Michael Fuchs, stellvertretender

Vorsitzender der CDU/CSU-Bundes-

tagsfraktion, am 20. Mai 2011

„Damit wir zu Ergebnissen kommen, sollte der Bundes- finanzminister der Koalitionjetzt seinen Reformvorschlagunterbreiten.“FDP-Generalsekretär

Christian Lindner am 20. Mai 2011

„Ich weiß nicht, was die Dis- kussion jetzt in der politischen Landschaft zu suchen hat.“CSU-Chef Horst Seehofer

am 20. Mai 2011

… ist und keinMensch versteht, warum zum Beispiel Birnen oder Apfelsinen …

2 Wirtschaft

50 stern 3 / 2 0 1 3

Page 51: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

EPILOG

oder: „Mission: Impossible“ im Kino 7 Prozent, auf DVD 19 Prozent

„Wir können g’rad machen, was wir wollen. Solange wir zweiunterschiedliche Mehrwert-steuersätze haben, werden wir uns mit diesem Thema völlighoffnungslos wieder und wieder herumschlagen. Es wird keine überzeugende Lösung geben.Aber irgendwann eines Tages,wenn die Stunde ist, muss mandie Chance nutzen, einen ein-heitlichen Steuersatz zu machen.“Wolfgang Schäuble in seiner Rede

auf dem Steuerforum 2012

des Zentralverbands des Deutschen

Handwerks

*Kurz vor Weihnachten 2012

taucht im Bundesfinanzministe-

rium ein Papier auf, in dem die

Abschaffung des reduzierten

Mehrwertsteuersatzes erwogen

wird. Ein Sprecher Schäubles

dementiert prompt: „Es gibt

keine derartigen Pläne für nach

der Wahl.“

Die Kommission zur Reform der Mehrwertsteuer tagteexakt null Mal.

NACHTRAG Wer immer nach der Wahl

im Herbst 2013 regiert, ob Rot-

Grün, Schwarz-Gelb, Ampel

oder Große Koalition, wird eine

Reform der Mehrwertsteuer

beschließen – und dann abwar-

ten. Der Irrsinn geht weiter.

Jede Wette. Veränderungen

brauchen Zeit, in der Politik wie

im richtigen Leben. Guckt in

eure Keller!

vor. Verfügt der Imbissstandneben den Stehtischen über ausBänken und Tischen bestehende Bierzeltgarnituren, liegen nicht begünstigende Leistungen vor. Auf die tatsächliche Inanspruch-nahme der Sitzgelegenheitenkommt es nicht an.“Aus einem Schreiben des Bundes-

finanzministeriums an die Obersten

Finanzbehörden der Länder vom

1. August 2012. Darin versuchen die

Beamten auch zu klären, wann ein

Partyservice oder andere Caterer

nur 7 Prozent Mehrwertsteuer auf

die „zubereiteten, verzehrfertigen

Speisen“ berechnen müssen und

wann den vollen Satz. Dieser wird

bereits dann fällig, wenn Besteck

oder Geschirr mitgeliefert wird;

ob Plastik oder Porzellan, ist egal.

Für „Mahlzeitendienste“ wie „Essen

auf Rädern“ gilt das allerdings nicht

und somit der ermäßigte Satz.

„Der Deutsche Steuerberater- verband bedauert, dass die Diskussion zur Reform der Umsatzsteuer eingestellt wurde.Unter Berücksichtigung derweitreichenden Abgrenzungs-

schwierigkeiten im Zusammen-hang mit den derzeit beste- henden Steuerermäßigungen – der vorliegende Entwurf ist ein weiteres Beispiel hierfür – sollten die Gespräche bezüglich einer Neukonzeption dringend (wie-der) aufgenommen werden. Eine tatsächliche Vereinfachung kann allein durch die Einleitung einer grundlegenden Reform erreicht werden.“Aus der Reaktion des Steuer-

beraterverbandes vom 21. Septem-

ber 2012 auf das Schreiben des

Finanzministeriums

2

… oder Bratwürstemal mit 7 oder mal mit 19 Pro-zent besteuert werden, sagt die Politik …

… das ändern wirjetzt. Dann macht

sie aber doch nix. Und am Ende

frisst sowieso alles das Krokodil

3 / 2 0 1 3 stern 51

Page 52: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

FOT

O:

MA

TH

IS W

IEN

AN

D/G

ET

TY

IM

AG

ES

Nein, auf den ersten Blick

hat der 63-jährige CDU-

Fraktionsvize und Wirt-

schaftsexperte so gar

nichts mit James Bond gemein-

sam. Der Koblenzer Christdemo-

krat und der Agent im Auftrag

Ihrer Majestät – definitiv zwei

Welten. Man muss schon genauer

hinsehen, um Fuchs’ Geschäfts-

beziehungen zu einem Londoner

Unternehmen zu entdecken, dem

enge Verbindungen zum briti-

schen Auslandsgeheimdienst MI6

nachgesagt werden. Und ein biss-

chen erinnert es sogar an Schlapp-

hutmanier, wie die Verbindung

zwischen Fuchs und der Firma

über vier Jahre lang verborgen

blieb.

Es ist jedenfalls neuer Stoff für

die Debatte über die Nebentätig-

keiten von Bundestagsabgeord-

neten, die SPD-Kanzlerkandidat

Peer Steinbrück unfreiwillig aus-

gelöst hat. Seit August 2008 hielt

der CDU-Politiker Fuchs mehr

als 13 Vorträge für das Londoner

Beratungsunternehmen Hakluyt &

Company. Allein 2012 stand

Fuchs vier Mal in London auf der

Matte. Die Firma zahlte ihm da-

für in all den Jahren zusammen

über 57 000 Euro.

Hakluyt & Company eilt nicht

der allerbeste Ruf voraus, obwohl

unter ihren Anteilseignern heute

auch der frühere BDI-Präsident

Hans-Peter Keitel ist. Ursprünglich

mitgegründet von Ex-Mitarbeitern

des James-Bond-Dienstes MI6, ver-

rät die Firma bis heute sehr wenig

über ihre Tätigkeiten, die sich

irgendwo zwischen Wirtschafts-

detektei und Privatgeheimdienst

bewegen. In die Schlagzeilen ge-

riet sie vor einigen Jahren wegen

einer fragwürdigen Aktion: Für

Hakluyt forschte ein Mann mit

deutscher Geheimdienstvergan-

genheit in den Neunzigern die

Umweltschutzorganisation Green-

peace aus, getarnt als linker Sym-

pathisant. Hakluyt arbeitete damals

für BP und Shell. Im November

2011 wurde in China der Brite Neil

Heywood ermordet, von der Frau

des damaligen hohen KP-Funk-

tionärs Bo Xilai. Kurz danach kam

heraus, dass Heywood zumindest

gelegentlich auch für Hakluyt ge-

arbeitet hatte – und dass Hey-

woods Informationen auch beim

MI6 gelandet sein sollen.

Dennoch blieb der CDU-Mann

Fuchs von Nachfragen wegen sei-

ner London-Connection bisher

verschont. Der Grund: Auf der

Bundestagswebsite war in all

den Jahren nicht der korrekte

Firmenname angegeben, sondern

die nach demselben historischen

Namensgeber – einem britischen

Geografen – benannte Hakluyt

Society.

Die hat mit dem Unternehmen

jedoch nichts zu tun. Es ist eine

1846 gegründete ehrwürdige Fach-

gesellschaft, die alte Reisebe-

schreibungen verlegt. Bei der So-

ciety war man bass erstaunt, als

sich ein Rechercheur der Organi-

sation Abgeordnetenwatch im ver-

gangenen Jahr erstmals wegen

der vielen Reden des Herrn Fuchs

erkundigte – und dabei auf die

mögliche MI6-Verbindung stieß.

Inzwischen räumt Fuchs zwar

ein, dass sein Auftraggeber in

der Tat die Company im exklusi-

ven Londoner Stadtteil Mayfair

war, weist aber jeden Vorwurf zu-

rück. Er habe den Firmennamen

stets korrekt beim Bundestag an-

gegeben.

Ganz so wird das vom Bundes-

tag nicht bestätigt. Fuchs habe

den Namen „Hakluyt“ angegeben

und dabei „einmal auch“ von

„Hakluyt & Co“ gesprochen. Aber

wenn das stimmt – warum ver-

fremdete der Bundestag über

mehr als vier Jahre hinweg diese

Angaben zur „Hakluyt Society“,

bevor sie online gestellt wurden?

Dies „lässt sich leider nicht mehr

rekonstruieren“, behauptet eine

Mitarbeiterin von Parlamentsprä-

sident Norbert Lammert (CDU).

Und warum fiel dessen Partei-

freund Fuchs in all den Jahren nie

auf, dass auf seiner Bundestags-

seite ein falscher Name prangte?

Auch das bleibt im Dunkeln, denn

der CDU-Mann will sich zu kei-

nerlei Details der Sache öffentlich

äußern. Er kann sich nicht ein-

mal genau entsinnen, zu welchen

Themen er in London in solch

raschem Rhythmus Vorträge hielt.

Kurios überdies, dass sein Lands-

mann Keitel, der bei Hakluyt im

Beirat sitzt, von der intensiven

Redetätigkeit seines Landsmanns –

den er gut kennt – gar nichts mit-

bekam. Er habe davon „keine

Kenntnis“, ließ er mitteilen.

Ein Ausmaß an Konspiration,

so scheint es, das auch für einen

James Bond wenig zu wünschen

übrig ließe. Und tatsächlich: In

den ersten Jahren von Hak-

luyt & Company war auch ein ge-

wisser Fitzroy MacLean dabei –

angeblich das Vorbild für Ian Fle-

mings berühmten Agenten 007.

Mathew D. Rose, Hans-Martin Tillack

2

Sein Name ist Fuchs, Michael FuchsLondon calling – seit Jahren hält der CDU-Politiker Vorträge bei einer Firma, die Verbindungen zum britischen GEHEIMDIENST haben soll

Falscher Firmenname: Nicht bei der harmlosen Hakluyt Society (wie auf seiner Bundestags -website angegeben) hielt Michael Fuchs Vorträge, sondern beim Beratungsunternehmen Hakluyt & Company. Gelohnt hat sich’s. Entgeltliche Tätigkeiten der „Stufe 2“ schlagen mit 3500 bis 7000 Euro zu Buche

52 stern 3 / 2 0 1 3

2 Politik

Page 53: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013
Page 54: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

FOT

O: T

IMM

O S

CH

RE

IBE

R

Die Pfad-FinderSERIE, TEIL 1

Schlanker, schöner, frischer: Die neueFünf Frauen und Männer haben sich

Fünf Menschen am Start: Kirsten Lietz will mehr selbst kochen, Florian van de Wauw in Bewegung kommen. Audrey Pohl-Großer und Axel Sandmann möchten besser mit Stress um-gehen, Sonja Krabbes wird viel schwimmen

54 stern 3 / 2 0 1 3

Page 55: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

stern-Serie zeigt, wie es gelingen kann, mehr LEICHTIGKEIT INS SEIN zu bringen. Ziele gesetzt – und machen sich auf ihren jeweils ganz eigenen Weg

Titel 2

Page 56: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

SCHWERPUNKT: STRESSMANAGEMENT

Axel Sandmann, 47, Maklerbetreuer im Versicherungswesen, 98 Kilo bei einer Größe von 1,88 Meter (BMI: 27,8)

ZIEL: „Mit 95 Kilo geht es mir

gut, aber mein absolutes

Wohlfühlgewicht liegt bei 90 Kilo.

Da will ich hin – weil ich mich

damit fit fühle, beweglich bin

und beim Joggen keine Schmerzen

in den Gelenken habe.“

WEG: „An stressigen Tagen

kontrolliere ich kaum, wie viel ich

esse. Ich möchte mich darauf

konzentrieren, meine Anspannung

regelmäßig abzubauen – dann

wird sich auch mein Gewicht

regulieren lassen.“

Der Taillen- umfang deutscher Frauen ist von 1994 bis 2009 um durch- schnittlich 4,1 Zentimeter gewachsen

Ein einfaches „Tschüs“

hätte es auch getan.

Oder ein „Auf Nimmer-

wiedersehen“. Aber

dann gab es doch noch

ein Feuerwerk, eine

Flasche Sekt und einen definitiv

letzten Krapfen. Danach war klar:

Ab jetzt wird alles anders – we-

niger Couch, weniger Futter,

weniger Kilos. 34 Prozent der

Deutschen starteten 2013 mit

dem großartigen Vorsatz ab-

zunehmen. Mit der Sehnsucht

nach einem gesünderen, leichte-

ren Körper.

Viele allerdings werden bald

schon sagen: War wohl nichts.

Die Naschbox ist dann wieder

prall gefüllt, die Gewichtskurve

klettert aus einer kurzzeitigen

Baisse nach oben. Rund vier

Millionen Deutsche versuchen

sich jedes Jahr an einer Diät. Der

überwiegende Teil scheitert.

Und das fast zwangsläufig. Viel

zu rabiat attackieren die meisten

ihre Fettreserven, und viel zu

pauschal. Dabei zeigt die For-

schung: Es gibt ihn nicht, den

Königsweg ins leichte Leben.

Wer dauerhaft formschön und fit

sein will, braucht anderes als

eine One-fits-all-Diät. Er muss

seine individuellen Schwächen

kennen und seine Stärken. Und

einen Plan machen, der zu ihm

passt: einen durchdachten Mix

aus besserer Ernährung und

mehr Bewegung. Mit Komponen-

ten, die die Seele stärken und

den Umgang mit alltäglichem

Stress erleichtern.

Der stern möchte Ihr Begleiter

sein auf dem Weg ins leichte

Leben. Die fünf Folgen dieser Se-

rie beschreiben Schritt für Schritt,

wie sich das persönliche Ziel und

der eigene Weg finden lassen.

Fünf Frauen und Männer gehen

an den Start und zeigen, wie es

gelingen kann, dem Leben eine

gesunde Wendung zu geben –

nachhaltig, mit Elan und Spaß.

Am Anfang stehen Fragen, die

banaler klingen, als sie sind: Wie

viel will ich abnehmen – und

warum? Geht es wirklich darum,

dass die Ziffern der Waage weni-

ger anzeigen? Geht es darum,

leichter zu sein? Oder attraktiver?

Gesünder?

Vielleicht müssen zum Errei-

chen des Ziels ja gar nicht zehn

Kilo runter, sondern nur drei.

Und dazu gibt es dann ein effek-

Von SILKE PFERSDORF, NICOLE

SIMON (Text), ISADORA TAST

(Fotos) und ANDREW TIMMINS

(Illustrationen)

*Zur Berechnung des BMI teilen Sie Ihr Gewicht in Kilogramm durch Ihre Körpergröße in Metern zum Quadrat. Beispiel: Ein 1,85 Meter56 stern 3 / 2 0 1 3

2 Titel

Page 57: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

SCHWERPUNKT: ERNÄHRUNG

Kirsten Lietz, 31, Teamleiterin in der Unternehmenskommuni-kation einer Zeitarbeitsfirma, 105 Kilo bei einer Größe von 1,70 Meter (BMI: 36,4)

ZIEL: „Ich möchte vor allem ein

besseres Körpergefühl. Schon

mit ein paar Kilo weniger werde

ich nicht mehr so müde sein,

mehr Energie und Ausstrahlung

haben. Irgendwann will ich

wieder in Größe 40 passen.“

WEG: „Bei mir ist der Knack-

punkt die Ernährung, das zu

spontane Essen. Genau da will

ich auch beim Abnehmen an-

setzen. Ich werde für mich und

die Familie vorkochen. Und wir

starten künftig den Tag mit

Getreidemüsli statt Brötchen.“

Fast jeder vierte 14- bis 29-Jährige ersetzt regelmäßig Mahlzeiten durch Snacks

tives Muskeltraining. Auch ober-

halb des „Normalgewichts“ kann

der Mensch in aufsehenerregen-

der Form sein. Und ganz gewiss

gesund.

Vorbei die Zeiten, in denen der

Body-Mass-Index (BMI)* als ver-

lässliche Größe zur Berechnung

eines medizinisch vertretbaren

Gewichts galt. Mitte der 90er

Jahre hatte die WHO verkündet,

dass ein BMI von 18,5 bis 24,9

als „normal“ und wünschenswert

gelten sollte. Zwischen 25 und

29,9 verortete sie „Übergewicht“,

ab 30 „Adipositas“ – Fettsucht.

Das Verhältnis von Speck zu

Muskeln? War damals völlig egal.

Heute ist klar: Wer beschwert

wird von opulenten Kraftpaketen,

hat keinen Anlass, Diät zu halten.

Und auch vielen anderen, die

sich jenseits der magischen 25er-

Grenze bewegen, geht es trotz

ihres vermeintlichen Überge-

wichts ganz prächtig. Die Wahr-

scheinlichkeit für einige Krankhei-

ten liegt bei ihnen höher als bei

schlankeren Mitmenschen, für an-

dere hingegen niedriger.

Alles in allem ist das Risiko

baldigen Ablebens für Mol-

lige geringer als für Norm-

gewichtige. Das Langlebigkeits-

Optimum liegt laut Statistik

bei einem BMI von 27 – vor

dem 70. Lebensjahr. Jenseits die-

ser Marke ist es sogar sicherer,

noch ein paar Kilo mehr auf den

Knochen zu haben. „Die bis-

herige An nahme, Übergewicht

berge ge genüber dem sogenann-

ten Normalgewicht ein erhöhtes

Morbiditäts- und Mortalitätsri-

siko, muss spezifiziert werden“,

lautet etwas sperrig das Fazit

von Hamburger Gesundheitsfor -

schern, die das Thema im Auf-

trag der Bundeszentrale für

gesundheitliche Aufklärung um-

fassend untersuchten. Kein Grund

also, sich zu sorgen, nur weil man

auf einen BMI von 27 oder 28

kommt.

Jenseits von BMI 30, da sind

sich die Wissenschaftler weitge-

hend einig, wachsen die Risiken.

Schwere Fettleibigkeit (mit einem

BMI von mehr als 35) geht einher

mit einer klaren Zunahme an

Diabetes, Fettleber und

Bluthochdruck. Gerade

hat eine Meta-Analyse

von US-Forschern wie-

der gezeigt, dass bei

den Superdicken die

Lebenserwartung deut-

lich verkürzt ist.

Für die Gesundheit

der U-30er hingegen ist

nicht die Zahl der Pfunde

an sich von Bedeutung,

sondern die Frage, wo

diese lagern. Das soge-

nannte viszerale Fett, das

vor allem als Rettungsring

um die Leibesmitte ➔

großer Mann mit 90 Kilo Gewicht hat einen BMI von 26,3. Denn 90 : (1,85 x 1,85) = 90 : 3,4225 = 26,3. 3 / 2 0 1 3 stern 57

Page 58: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

34 Prozent der Deutschen wollen 2013 abnehmen

sichtbar wird, platziert sich zwi-

schen und in den Organen und

setzt dort entzündungsfördernde

Stoffe frei, die Diabetes und

Gefäßerkrankungen begünstigen.

Auch wenn sich das individuelle

Risiko nicht sicher mit dem Maß-

band bestimmen lässt, arbeiten

Ärzte mit einem Orientierungs-

wert: Beträgt der Taillenumfang

bei Frauen mehr als 87, bei

Männern mehr als 101

Zentimeter, ist es wohl

Zeit, etwas zu tun.

Wer genau wissen

möchte, ob sein Ge-

wicht noch gesund ist,

sollte sich vom Arzt

durchchecken lassen.

Neben dem Bauchum-

fang zeigen nämlich

auch Blutdruck, Cho-

lesterin- und andere

Blutfettwerte, ob es

medizinische Gründe zur

Selbstverkleinerung gibt.

Die Untersuchungen kann der

Hausarzt vornehmen oder der

Sportarzt. Wobei Letzterer den

Vorzug hat, dass er nicht nur bei

der Bestimmung des Abnehm-

Ziels helfen kann, sondern auch

speziell bei der Suche nach dem

richtigen Weg dorthin.

Falsche Ernährung, zu wenig

Bewegung, ein ungesunder Um-

gang mit schlechten Gefühlen:

Wie die Zahnräder einer großen

Maschine greifen diese Probleme

ineinander und treiben das Ge-

wicht nach oben – aber wie bei

einer Maschine bewirkt oft schon

das Drehen an einer Stellschrau-

be, dass auch andere Schrauben

sich leichter bewegen lassen und

schließlich alle Räder wieder

rund laufen.

Doch wo beginnen? Um das

beantworten zu können, gilt

es, mehrere Fragen zu stellen:

Welche Veränderungen sind me-

dizinisch angeraten – und vor

welchen warnt der Arzt? Wo

liegt das größte Problem? Und,

auch dies ganz wichtig: Was

macht am meisten Spaß?

Veränderungen, die Freude

bringen, hält der Mensch eher

durch als quälende. Und die ers-

ten Schritte müssen nicht gewal-

tig sein. Jeder kleine Erfolg pflegt

das Selbstbewusstsein und macht

die nächste Etappe leichter.

Psychologen sprechen von der

Erfahrung der „Selbstwirksam-

keit“, die Motivation und Wil-

lensstärke wachsen lässt.

Florian van de Wauw hätte am

meisten Lust auf Bewegung,

das war ihm schon klar, ehe

er zur Untersuchung ging. „Als

ich noch regelmäßig Sport machte,

war ich körperlich leistungs fähi-

ger, habe mich fitter gefühlt, im

Winter nicht gefroren, die Klamot-

ten passten besser – mein Gesamt-

gefühl war einfach angenehmer.“

Muskelmessung: Kirsten Lietz bei der sport- medizinischen Untersuchung

Fitnesscheck: Sonja Krabbes auf dem Fahrradergo-meter. Die Maske dient zur Analyse der Atemgase

58 stern 3 / 2 0 1 3

2 Titel

Page 59: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

SCHWERPUNKT: STRESSMANAGEMENT

Audrey Pohl-Großer, 48, Bankkauffrau, 62 Kilo bei einer Größe von 1,65 Meter (BMI: 22,8)

ZIEL: „Ich möchte wieder beim

Bikinikaufen in der Umkleide-

kabine stehen und mit meiner

Figur zufrieden sein. Vier

Kilo weniger und ein strafferer

Bauch wären schön.“

WEG: „Unter Spannung oder

wenn ich mich ärgere, greife ich

sofort zu Schokolade und

Pralinen. Ich muss lernen, in

Stresssituationen auch

ohne Extrakalorien runterzu-

kommen. Und ich werde ein

bisschen mehr Sport treiben.“

Rund 42 Prozent der 14-jährigen Mädchen in Deutsch-land haben schon mindestens eine Diät gemacht

Doch das ist eine ganze Weile

her. Heute wiegt der 34-Jährige

106,5 Kilo bei einer Größe

von 1,83 Meter und glaubt ei-

gentlich nicht, dass er loslegen

darf, ehe er abgespeckt hat. Aber

der Check-up im Hamburger

Institut für Sport- und Bewe-

gungsmedizin bringt Überra-

schungen.

Erst einmal muss van de Wauw

Blut und Schweiß lassen im Labor

und auf dem Ergometer. Seine

Atmung wird getestet, die Musku-

latur überprüft. Wichtige Tests,

die zeigen: Wo sind die Schwach-

stellen? Wann bleibt die Puste

weg? Wie verhält sich das Herz

unter Belastung, und was kann

man dem Körper zumuten? Eine

der sechs Personen, die ihr Leben

mit stern-Begleitung umkrempeln

wollten, musste schon ausschei-

den. Die Untersuchung hatte ge-

zeigt, dass ihr Herz nicht gesund

war.

Auch Florian van de Wauw

konfrontiert der Sportmediziner

Klaus-Michael Braumann nach

dem Check erst einmal mit er-

nüchternden Fakten: unterdurch-

schnittliche Fitness, beiderseits

verkürzte Schultergürtelmuskula-

tur, erhebliche Verkürzungen

auch in der Muskulatur von

Hüfte und Waden, die Laborwerte

geben Hinweise auf ein erhöhtes

Diabetes-Risiko. Van de Wauw, so

viel ist klar, muss dringend ab-

nehmen. Und vor Bewegung will

Braumann ihn nicht etwa war-

nen, er empfiehlt sie mit großem

Nachdruck. „Da war ich doch

positiv überrascht“, sagt van de

Wauw.

Eine innere Blockade ist damit

aus dem Weg geräumt. „Viele

Leute, die sich seit Jahren nicht

richtig bewegt haben, sind total

verunsichert. Sie haben große

Angst, dass sie etwas kaputt ma-

chen“, sagt der Mediziner Brau-

mann. Einige Frauen seien bereits

irritiert, wenn ihnen beim Belas-

tungstest auf dem Fahrradergome-

ter warm werde. „Ich höre sogar

oft das Argument, da könne doch

eine Ader im Gehirn platzen.“

Auch die anderen Männer und

Frauen, die sich bei Braumann

haben checken lassen, dürfen

loslegen. Die Untersuchungen

brachten einiges ans Licht: ver-

kümmerte Muskeln, schlechte

Blutwerte, Mangelerscheinun-

gen, hier und da eine miese

Kondition und eben auch

medizinisch bedenkliches

Übergewicht.

Wie Florian van de

Wauw will auch Sonja

Krabbes zunächst ein-

mal an der Schraube Be-

wegung drehen. Nicht,

dass sie bis jetzt nichts

getan hätte – sie

schwimmt und sie walkt,

und das macht ihr auch ➔

3 / 2 0 1 3 stern 59

Page 60: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

SCHWERPUNKT: BEWEGUNG

Florian van de Wauw, 34, Salesmanager, 106 Kilo bei einer Größe von 1,83 Meter (BMI: 31,8)

ZIEL: „Ich will fitter werden

und beweglicher, mich wohler

fühlen und wieder in meine alten

Klamotten passen. Und der Arzt

hat gesagt, auch für meine

Gesundheit sei Abnehmen wich-

tig. 15 Kilo kommen runter.“

WEG: „Wenn ich mich mehr

bewege, plane ich Sporteinheiten

irgendwann wieder automatisch

in meinen Alltag ein – das ist wie

eine Initialzündung. Natürlich

muss ich, um abzunehmen, aber

auch meine Ernährungsgewohn-

heiten ändern.“

Ein Postbote macht im Schnitt täg-lich 18 000 Schritte, ein Verkäufer nur 5000

Spaß. Gerade für sie ist aber laut

Untersuchungsbericht die körper-

liche Betätigung „von heraus-

ragender Bedeutung“, zusätzlich

zu einer ausgewogenen Ernäh-

rung. „Ich möchte für meine Ge-

sundheit das Richtige tun“, sagt

die 52-Jährige. „Vor drei Jahren

bekam ich Rückenprobleme, da

stand ich auf der Waage und dach-

te: So geht das nicht weiter. Für

die Bandscheiben ist das

Gewicht ja auch entschei-

dend. Ich nahm 29 Kilo

ab, dann wurde ich

krank, musste lange

Kortison nehmen und

hatte viel wieder

drauf. Jetzt mache

ich einen neuen

Anlauf, und mehr

Sport ist dabei für

mich sehr wichtig.“

Ob Laufen, Schwim-

men oder Eisenstemmen

– regelmäßige Ertüchti-

gung verbessert Körperform und

-gefühl, macht Lust auf noch

mehr Bewegung. Ein Selbstläu-

fer. Und eben ein gesunder: Sport

senkt die Blutfettwerte und setzt

entzündungshemmende Stoffe

frei. Das Immunsystem wird akti-

viert, sogar die Bildung und Ver-

drahtung von Nervenzellen im

Gehirn wird durch Muskelaktivi-

tät gefördert. Außerdem: Bewe-

gung lässt Botenstoffe wirken,

die die Stimmung heben. Sie

stärkt die Psyche, macht sie

widerstandsfähiger gegen Stress.

Und natürlich hat Bewegung

auch Einfluss auf das Ge-

wicht. Kontinuierlich holt

sich jeder Muskel aus der Blut-

bahn Traubenzucker und Fettsäu-

ren, um sie zu verbrennen – wo

mehr Muskeln sind, wird mehr

verbrannt. Selbst im Ruhezustand

benötigen die Faserbündel mehr

Energie als Fettzellen. So steigern

sie den Grundbedarf des Körpers

– man verbraucht mehr Kalorien,

auch wenn man auf dem Sofa liegt.

Und doch weiß Sonja Krabbes,

dass Bewegung allein sie nicht

dramatisch dünner machen wird.

„Nur mit Sport abzunehmen ist

mühselig, da sollte man sich

nichts vormachen“, sagt Brau-

mann. Um ein halbes Kilo zu ver-

lieren, muss man 56 Kilometer

stramm spazieren gehen. Und ein

Kilo zusätzlicher Muskelmasse

verbraucht im Jahr rund 2,5 Kilo

Fett. Nicht viel für jemanden, der

richtig Pfunde lassen will. Über

kurz oder lang muss jeder ambi-

tionierte Abspecker deshalb auch

das Thema Ernährung angehen.

Das wichtigste Werkzeug dafür:

ein Esstagebuch, penibel zu füh-

ren über mindestens eine Woche –

und am Ende zuweilen ein Quell

irritierender Erkenntnisse. Kirs-

ten Lietz hat jeden Pott Tee aufge-

schrieben, jedes Brötchen (Kör- ➔

60 stern 3 / 2 0 1 3

2 Titel

Page 61: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

FOT

O: W

ALT

ER

SC

HIE

SS

WO

HL

1. ZielbestimmungDer Weg zu einem besseren Lebensge-fühl beginnt mit scheinbar schlichten Fragen: Warum will ich eigentlich abnehmen? Möchte ich attraktiver werden oder beweglicher, gesünder? Geht es vor allem um Anerkennung oder um ein besseres Körpergefühl? Seien Sie ehrlich zu sich selbst: Ist Ihr Ziel wirklich mit Gewichtsreduktion zu erreichen, beziehungsweise ist sie dafür nötig? Wenn es Ihnen um die Gesundheit geht, sollten Sie sich weniger an Kilozahl und BMI als am Bauchumfang orientieren: Bei Frauen gelten mehr als 87 Zentimeter als be-denklich, bei Männern mehr als 101. Kommen Sie zu dem Schluss, dass Sie wirklich Gewicht verlieren möchten, überlegen Sie, wie viel. Falls es mehr als zehn Kilo sind, sollten Sie sich rea-listische Etappenziele setzen.

2. Medizinischer CheckEgal, ob Sie abnehmen oder sich an-derweitig in Form bringen möchten: Lassen Sie sich, ehe Sie loslegen, vom Arzt durchchecken. Er sollte Muskeln und Gelenke untersuchen, dazu Herz und Lungen, Blutfette, Zuckerwerte und Blutdruck. Dann kann er Ihnen nicht nur sagen, ob es womöglich von Ihnen selbst nicht erkannte medizi-nische Gründe zum Abnehmen gibt, sondern auch, ob Ihr Körper fit genug für ein komplexes Bewegungspro-gramm ist. Ein Sportmediziner wird Ihnen zudem helfen, ein für Ihren Körper und Ihr Ziel optimales Bewe-gungsprogramm zu entwickeln.

3. Ernährungs-CheckWer schwarz auf weiß dokumentiert, wann und wie viel er isst oder trinkt, erkennt, wo sich Kalorien am besten einsparen lassen. Notieren Sie min-destens eine Woche lang jeden Bissen und jeden Schluck. Schreiben Sie auch auf, in welchen Situationen und Stimmungen Sie gegessen und getrunken haben. Vielleicht werden Sie überrascht sein, wie groß der Ein-fluss Ihrer Gefühle auf Ihre Ernährung

ist. Wenn Sie keine Vorstellung davon haben, welche Lebensmittel beson-ders anschlagen, sollten Sie sich die Mühe machen, die Kalorien zu all ihren Eintragungen herauszusuchen – entsprechende Tabellen finden Sie im Buchhandel oder im Internet (zum Beispiel: www.uni-hohenheim. de/wwwin140/info/interaktives/ lebensmittel.htm).

4. Stress-CheckOft gibt schon das Ernährungstage-buch Hinweise auf eine erhöhte Stress-belastung. Denn schlecht bewältigter Druck im Alltag kann sich nicht nur durch Schlafstörungen, Niedergeschla-genheit und Schäden an den Gefäßen zeigen, sondern auch in der Ernährung. Suchen Sie also in Ihren Aufzeichnun-gen nach Zusammenhängen zwischen mentaler Belastung und reichlichem Essen. Auf Seite 62 finden Sie zudemeinen wissenschaftlich evaluierten Fra-gebogen, der Ihnen hilft, Ihren Umgang mit Stress einzuschätzen. Wer dort aufdeutlich überdurchschnittliche Werte

kommt, sollte nicht nur sein Ess- verhalten hinterfragen, sondern seine gesamte Lebensführung.

5. Weg festlegenDie Einschätzungen des Mediziners und Ihre Erkenntnisse nach Auswertung von Esstagebuch und Stresstest bieten eine gute Grundlage für die Festlegung Ihres individuellen Wegs. Konzentrie- ren Sie sich zunächst auf ein oder zwei Schwerpunkte. Diese Initialveränderun-gen sollten Ihnen möglichst leicht-fallen, also Ihren Neigungen entgegen-kommen. Und sie sollten in Bereichen liegen, von denen Sie sich schnelle Erfolge versprechen. Wer immer schon Freude an Bewegung hatte, kann versu-chen, erst einmal wieder in die Gänge zu kommen, und das Thema Ernährung nachrangig behandeln. Wer glaubt, dass ihm anderes Essen oder ein klüge-rer Umgang mit Stress leichterfallen, sollte dort ansetzen. Wie Sie im Ein- zelnen vorgehen können, lesen Sie in den nächsten Folgen dieser Serie.Nicole Simon

ZIEL UND WEG

So gehen Sie an den StartLernen Sie Ihre Stärken und Schwächen kennen – und handeln Sie danach

n oder sich angen möchten: ie loslegen, vom sollte Muskeln

hen, dazu Herz Zuckerwerte

ann er Ihnen womöglich von nnte medizi-ehmen gibt, rper fit genug gungspro-diziner wird für Ihren ales Bewe-ickeln.

heckumentiert, der trinkt, am besten

n Sie min-den Bissen ben Sie onen und und werden ß der Ein-Ernährung

gebogen, der Ihnen hilft, Ihren Umgang mit Stress einzuschätzen. Wer dort aufdeutlich überdurchschnittliche Werte

zelnen vorgehen können, lesen Sie in den nächsten Folgen dieser Serie.Nicole Simon

Leib und Seele: Ein gut geführtes Ernährungstage-

buch offenbart

nicht nur, was einer isst – sondern oft

auch, warum

Page 62: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

Befürchtung, dass irgendetwas Unangenehmes passiert

Ich bemühe mich vergebens, mit guten Leistungen Anerkennung zu erhalten

Zeiten, in denen ich zu viele Verpflichtungen zu erfüllen habe

Zeiten, in denen ich sorgenvolle Gedanken nicht unterdrücken kann

Obwohl ich mein Bestes gebe, wird meine Arbeit nicht gewürdigt

Erfahrung, dass alles, was ich zu tun habe, zu viel ist

Zeiten, in denen ich mir viele Sorgen mache und nicht damit aufhören kann

Zeiten, in denen ich nicht die Leistung bringe, die von mir erwartet wird

Zeiten, in denen mir die Verantwortung für andere zur Last wird

Zeiten, in denen mir die Arbeit über den Kopf wächst

Befürchtung, meine Aufgaben nicht erfüllen zu können

Zeiten, in denen mir die Sorgen über den Kopf wachsen

0 1 2 3 4

0 1 2 3 4

0 1 2 3 4

0 1 2 3 4

0 1 2 3 4

0 1 2 3 4

0 1 2 3 4

0 1 2 3 4

0 1 2 3 4

0 1 2 3 4

0 1 2 3 4

0 1 2 3 4

nie selten manchmal häufig sehr häufig

Erfahrung In den letzten drei Monaten wie oft erlebt?

Wie gestresst bin ich?In der folgenden Tabelle sind Situationen beschrieben, die Sie womöglich schon erlebt haben. Auch in den vergangenen drei Monaten? Auf diesen Zeitraum kommt es bei diesem Test an. Wie oft also haben Sie im letzten Vierteljahr die Erfahrungen gemacht, die in der linken Spalte genannt werden? Rechts sehen Sie die fünf Antwort-möglichkeiten.

Bedenken Sie alle Situationen der Reihe nach, ohne zwischendurch eine auszulassen oder zu überspringen. Einige Aussagen klingen ähnlich. Bitte bearbeiten Sie sie trotzdem. Denn der vorliegende Test ist nach wissenschaftlichen Kriterien entwickelt und evaluiert worden. Nehmen Sie sich für jeden Punkt so viel Zeit, wie Sie möchten. Sie müssen also nicht spontan antworten.

TEST

Auswertung

Zu jedem Feld, das Sie angekreuzt haben, gehört ein bestimmter Zahlen-wert. Bilden Sie von allen angekreuzten Zahlen die Summe. Sie zeigt an, wie viel Stress Sie im Vergleich mit einem Durchschnitts-zeitgenossen haben.

0–5 Punkte Ihre Stressbelastung ist unter-durchschnittlich. Offenbar gehören Sie zu den Glücklichen, deren Leben in ruhigen Bahnen verläuft. Entweder das Schick-sal meint es besonders gut mit Ihnen, oder Sie haben die Fähigkeit, sich von Sorgen und Problemen wenig beeindrucken zu lassen. Im Idealfall kommt beides zusammen.

6–23 Punkte Sie haben eine durchschnitt- liche Stressbelastung. Wie bei den meisten Menschen gibt es auch in Ihrem Alltag Zeiten, in denen das Leben an Ihren Nerven zerrt. Sie finden aber offenbar immer wieder auch

Gelegenheit, zur Ruhe zu kommen und neue Kraft zu schöpfen.

24–48 Punkte Ihrem Testergebnis nach leiden Sie an einer überdurchschnitt-lichen Stressbelastung. Das kann an Bedingungen in Ihrem Leben liegen, auf die Sie wenig Einfluss haben. Andere Stress-quellen sind womöglich ver-meidbar. Und vielleicht können Sie auch lernen, mit Sorgen und Problemen entlastender umgehen, als das derzeit offen-bar der Fall ist. Gönnen Sie sich für Ihr Leben eine Marsch-erleichterung, vielleicht auch mit professioneller Hilfe.

(SCREENING-SKALA AUS DEM TRIERER

INVENTAR ZUM CHRONISCHEN STRESS (TICS)

VON P. SCHULZ, W. SCHLOTZ UND P. BECKER;

MIT FREUNDLICHER GENEHMIGUNG DES

HOGREFE VERLAGS)

62 stern 3 / 2 0 1 3

2 Titel

Page 63: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

SCHWERPUNKT: BEWEGUNG

Sonja Krabbes, 52, Krippenerzieherin, 111 Kilo bei einer Größe von 1,74 Meter (BMI: 36,8)

ZIEL: „Mir geht es vor allem

um die Gesundheit. So viel

Gewicht geht auf die Bandschei-

ben. Mein Rücken schmerzt

ohnehin, und richtig wohl fühle

ich mich auch nicht. 20 Kilo

weniger sollten es schon sein.“

WEG: „Bisher habe ich einmal

pro Woche Sport getrieben,

bin gewalkt oder geschwommen.

Das hat mir immer Spaß

gemacht. Jetzt werde ich auf

dreimal erhöhen. Das ist

ein guter Anfang für viele Ände-

rungen im Leben.“

Frauen sitzen im Durch-schnitt 6,7 Stunden am Tag, Männer 7,1

ner), jedes Rührei (mit getrockne-

ten Tomaten und Nüssen) und

auch die Pralinen (10). Das alles

mit Uhrzeiten und Stimmungen.

„Manchmal hätte ich die Dinge,

die ich gegessen habe, lieber foto-

grafiert“, gibt die Hamburgerin

zu. „Wenn ich mehrere Brotschei-

ben eintragen musste, klang das,

als wäre ich total verfressen.“

Nach einer Woche stellte sie

angesichts ihres Protokolls

fest: Die Spontaneität, die

ihr Leben als berufstätige Mutter

mit einer äußerst quirligen Fami-

lie prägt, zeigt sich auch in ihrer

Ernährung. Kirsten Lietz isst, was

gerade im Kühlschrank liegt, ver-

sorgt sich in der Mittagspause

gern im Café gegenüber, kauft

ein, worauf die Familie eben Lust

hat, und wenn die Kinder Paula

und Jakob ein halbes Butterbrot

übrig lassen, wird auch das noch

verdrückt. „Mir war schon klar,

dass ich viel esse“, sagt sie. „Aber

nicht, dass es so viel außer der

Reihe ist. Gefühlte drei Schoko-

bonbons sind dann tatsächlich

neun. Und so ein Latte macchiato

zwischendurch macht ja auch

nicht dünner.“

Kirsten Lietz will sich in den

nächsten Wochen mehr bewegen.

Vor allem aber will sie anders es-

sen. „Für mich ist es wichtig, erst

mal schnell ein paar Pfund abzu-

nehmen“, sagt sie. „Wenn ich we-

niger wiege, bin ich nicht mehr so

müde, habe mehr Energie und

auch mehr Ausstrahlung, ich habe

dann ein besseres Körpergefühl.

Ich werde ganz automatisch die

Treppe nehmen und nicht mehr

die Rolltreppe.“

Auch Axel Sandmann hat die

erste Protokollwoche überrascht.

Während seiner Geschäftssitzun-

gen isst der Berater deutlich mehr

Kekse, als er vermutet hatte, und

die Tagungsabende enden oft mit

einem Glas Wein. „Das“, staunt

er, „summiert sich, das hätte ich

nicht gedacht.“

Alles in allem sind die Protokoll-

hefte nicht weniger aussagekräftig

als die Laborwerte. Sie dokumen-

tieren Nudelorgien, Schokoex-

zesse und allerlei nebenbei Ge-

futtertes. Viel Fertigessen, viele

Brote, viele, viele Kalorien, die

der Körper nicht braucht.

All den täglichen Ver-

suchungen ausschließlich

mit Tapferkeit zu begeg-

nen – das ist nahezu un-

möglich. „Gegen alte Ge-

wohnheiten kann man

nur bewusst steuern,

wenn man sie durch gang-

bare neue Gewohnheiten

ersetzt“, sagt der Ernäh-

rungspsychologe Christoph

Klotter von der Hochschule

Fulda, der die fünf Lebensver-

änderer auf ihrem Weg berät.

„Man sollte mit Änderun- ➔

3 / 2 0 1 3 stern 63

Page 64: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

DIE WEITEREN FOLGEN

TEIL 2 Ernährung – leichter und gesünder: selbst kochen, bewusster genießen und auf Dauer besser essen

TEIL 3 Fitness nach Maß – der passende Sport für jeden: Warum die typgerechte Wahl so entscheidend ist

TEIL 4 Stress runter – Seele im Lot: Inseln im Alltag schaffen, einen gesunden Lebensrhythmus finden, motiviert bleiben

TEIL 5

Durchhalten! Was zählt,

ist Nachhaltigkeit: So schaffen

Sie dauerhafte Veränderungen,

bleiben gesund und fit

MEHR INFORMATIONEN

Viele Tipps für mehr Schwung

und Leichtigkeit im Leben finden

Sie in den stern.de-Ratgebern

„Ernährung“ und „Fitness“: www.stern.de/ernaehrung www.stern.de/fitness

gen beginnen, die einem leichtfal-

len, die ohne Qual zu Selbstver-

ständlichkeiten werden können.“

Das Hirn neue Gewohnheiten

lehren – für den einen kann das

heißen: nie mehr ohne Frühstück

aus dem Haus. Für den anderen

bedeutet es: Kein Nachschlag

mehr, ein voller Teller ist genug.

Das Öl kommt nicht mehr im

Strahl in die Pfanne, sondern mit

dem Pinsel. Und Magermilch

schmeckt gar nicht so schlecht.

Das Ernährungstagebuch er-

öffnet auch den Blick auf

das dritte Problemfeld vie-

ler Kilo-Kämpfer: das Emotions-

management. „Freundin wollte

zum Abendessen kommen, kurz-

fristig abgesagt“, notierte Kirsten

Lietz am 28. November. „Aus

Frust gleich noch zwei selbst ge-

machte Filo-Röllchen gegessen.“

Audrey Pohl-Großers Aufzeich-

nungen dokumentieren Tage vol-

ler Grünzeug, an denen sie nach 18

Uhr kein Kohlenhydrat mehr zu

sich nahm. Und andere Tage, an

denen sie das Wort Pralinen mit

zwei Ausrufezeichen versah und

dahinter nur resigniert „nicht ge-

zählt“ vermerkte. „Das war immer

dann, wenn es im Büro besonders

stressig war. Oder wenn mein

Sohn irgendwas Blödes gesagt hat-

te“, erinnert sie sich. „Manchmal

kam ich nach einem harten Tag

nach Hause und bin an den

Küchenschrank mit den Schoko-

kugeln gegangen, noch ehe ich

den Mantel ausgezogen hatte.“ Im-

mer deutlicher wurde ihr, dass der

Umgang mit Stress ihre größte

Hürde auf dem Weg zum gesünde-

ren Essen ist – und zu einem ge-

sünderen Leben. Denn der Dauer-

druck des Alltags kann sich nicht

nur am Bauch zeigen, sondern

auch in den Gefäßen.

Sieben Tage Esstagebuch, dazu

die Ratschläge des Arztes und das

Nachdenken über die eigenen Zie-

le, Stärken und Schwächen – das

war ein guter Anfang. In den nächs-

ten Wochen wird es dann richtig

losgehen. Mit Walken und Schwim-

men. Mit leckerem Selbstgekoch-

tem statt fettiger Fertigkost. Mit

effektivem Antistresstraining. Ein

jeder mit seinem eigenen Schwer-

punkt und nach seiner Fasson.

2013 wird ein Jahr der Verände-

rung, da ist Florian van de Wauw

sicher. „Ich will schlanker wer-

den und sehr viel fitter – ich will

ein neues Lebensgefühl.“ 2

Hand aufs Herz: Axel Sandmann bei der Ultraschall-untersuchung

seines Pumpmuskels

Zupackend: Mit einer Spezialzange wird Sandmanns Körperfett erfasst – auch unter dem Kinn

64 stern 3 / 2 0 1 3

2 Titel

Page 65: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013
Page 66: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013
Page 67: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013
Page 68: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

68 stern 3 / 2 0 1 3

2 Til Mette

www.stern.de/mette Umfangreiches Archiv mit Til-Mette-Cartoons

Page 69: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

ivw

S stern Gegründet von Henri Nannen †

GRUNER + JAHR AG & CO KG Druck- und Verlagshaus Sitz von Verlag und Redaktion: Am Baumwall 11, 20459 Hamburg,

Postanschrift: Brieffach 18, 20444 Hamburg Telefon 040/37 03-0; Fax 040/37 03-56 31;

E-Mail: [email protected]

CHEFREDAKTEURE

Thomas Osterkorn und Andreas Petzold

STELLVERTRETENDER CHEFREDAKTEUR MITGLIED DER CHEFREDAKTION

Dr. Dominik Wichmann Hans-Ulrich Jörges

ARTDIRECTOR

Johannes Erler

CHEFREDAKTEUR STERN.DE

Frank Thomsen

GESCHÄFTSFÜHRENDE REDAKTEURE UND TEXTCHEFS

Arne Daniels, Sabine Kartte, Thomas Schumann

CHEFS VOM DIENST

Nicole Granzin, Andreas Projahn, Dirk Seeger

POLITIK UND WIRTSCHAFT Leitung: Norbert Höfler und Lorenz Wolf-Doettinchem, Jan Boris Wintzenburg (stv.). Redaktion: Catrin Boldebuck, Joachim Reuter, Doris Schneyink, Elke Schulze, Matthias Weber. Reporter: Silke Gronwald, Silke Müller, Rolf-Herbert Peters, Johannes Röhrig. Auto: Jan Boris Wintzenburg; Frank Janßen Telefon 040/37 03-36 00, Fax 040/37 03-57 27DEUTSCHLAND UND GESELLSCHAFT Leitung: Florian Gless und Michael Stoessinger, Nina Poelchau (stv.). Redaktion: Nicolas Büchse, Anette Lache, Dominik Stawski. Reporter: Uli Hauser, Kerstin Herrnkind, Kuno Kruse Telefon 040/37 03-44 70, Fax 040/37 03-57 10 AUSLAND Leitung: Hans-Hermann Klare und Peter Meroth. Redaktion: Raphael Geiger. Reporter: Dr. Andreas Albes, Cornelia Fuchs, Marc Goergen, Dr. Tilman Müller, Joachim Rienhardt, Bettina Sengling Telefon 040/37 03-35 93, Fax 040/37 03-57 29 WISSENSCHAFT, MEDIZIN UND TECHNIK Leitung: Dagmar Gassen und Christoph Koch. Redaktion: Dr. Helen Bömelburg, Nicole Heißmann, Werner Hinzpeter (Sonderaufgaben), Katharina Kluin, Inga Olfen. Reporter: Dr. Anika Geisler, Dr. Horst Güntheroth, Dr. Frank Ochmann Telefon 040/37 03-36 92, Fax 040/37 03-58 59KULTUR, UNTERHALTUNG UND MODE Leitung: Ulla Hockerts und Kester Schlenz. Redaktion: Oliver Creutz, Nora Gantenbrink, Stephan Maus, Andrea Ritter, Hannes Roß, Matthias Schmidt, Tobias Schmitz, Bernd Teichmann. Freie Mitarbeit: Jochen Siemens, Dirk van Versendaal. Mode: Aicha Reh, Cathrin Wißmann, Christine Zerwes Telefon 040/37 03-36 85, Fax 040/37 03-57 32SPORT UND LEBENSART Leitung: Stephan Draf, Christian Ewers (stv.). Redaktion: Alf Burchardt, Alexandra Kraft, Wigbert Löer, Beate Wieckhorst. Reporter: Mathias Schneider. Autor und kulinarischer Korrespondent: Bert Gamerschlag Telefon 040/37 03-44 06, Fax 040/37 03-58 41REISE Leitung: Kornelia Dietrich, Bernd Schwer (stv.) Telefon 040/37 03-44 06, Fax 040/37 03-58 41HUMOR UND SATIRE: Rolf Dieckmann. Telefon 040/37 03-35 50RÄTSEL: Telefon 040/37 03-35 75AUTOREN: Rüdiger Barth, Katja Gloger, Irmgard Hochreither, Harald Kaiser, Arno Luik, Ulrike Posche, Peter Pursche, Wolfgang Röhl, Annette Maria Rupprecht, Stefan Schmitz, Michael Streck, Walter Wüllenweber

INVESTIGATIVE RECHERCHE Leitung: Oliver Schröm, Andreas Mönnich (stv.). Christina Elmer, Dirk Liedtke, Nina Plonka. Reporter: Uli Rauss. Freie Mitarbeit: Johannes Gunst, Boris Kartheuser Telefon 040/37 03-44 22, Fax 040/37 03-57 76, Internet: http://www.stern.de/investigativ; E-Mail: [email protected]

NACHRICHTENREDAKTION Leitung: Hans-Peter Junker Telefon 040/37 03-35 55, Fax 040/37 03-56 31

FOTO-DIREKTION: Andreas Kronawitt, Andreas Trampe

Bildredaktion Andreas Eucker, Petra Göllnitz, Orsolya Groenewold, Volker Lensch, Beate Magrich, Stephanie Maroscheck, Harald Menk, Claudia Menzel, Guido Schmidtke. Assistenz: Anke Bruns, Jennifer Brück, Carolin Prohl, Isabelle Regnier, Alexandra Uhr Telefon +49/40/37 03-44 39, Fax +49/40/37 03-56 26, E-Mail: [email protected]

DESIGN-DIREKTION: Mark Ernsting

GRAFIK Leitung: Joachim Frank und Christiane Kröger-Stark, Susanne Gräfe (stv.), Carolin Kunz (stv.). Susanne Bremer, Felix Bringmann, Markus Dixius, Silvia Engelhardt, Johannes Ertel, Andreas Fischer, Sabine Harms, Ibrahim Kepenek, Birgit Ludwig, Nicole Prinschinna, John Skudra, Corinna Sobek, Susanne Söffker, Jürgen Voigt

INFOGRAFIK Leitung: Andrew Timmins, Bettina Müller (stv.). Ronja Beer, Harald Blanck, Suse Bordasch, Martin Freiling, Tina Nispel-Lonski, Melanie Wolter

BILDTECHNIK Leitung: Tanja Metzner. Julia Bähre, Gabriele Holona, Anna Prochnow

TITEL Manuel Dollt, Michel Lengenfelder, Derik Meinköhn, Mirtha Zavala. Freie Mitarbeit: Esther Schwarz Telefon 040/37 03-36 36DOKUMENTATION, LEKTORAT, BRIEFE Leitung: Dr. Jochen Murken und Ursula Hien. Susanne Elsner, Hildegard Frilling, Cornelia Haller, Christa Harms, Sandra Kathöfer, Judith Ketelsen, Mai Laubis, Michael Lehmann- Morgenthal, Gabriele Schönig, Cornelia Seßler, Andrea Wolf

REDAKTIONSMANAGEMENT: Catrin Bartenbach

LESERSERVICE: Stefanie Korte, Daniela Leopold

STERN-PROJEKTBÜRO Leitung: Nadja Töpper. Julia Boscheck, Patricia Korrell, Britta Liefländer, Anna-Laura Seidel

SONDERPROJEKTE CHEFREDAKTION: Annegret Bieger

KORRESPONDENTEN UND BÜROS

BERLIN UND OSTDEUTSCHLAND Leitung: Axel Vornbäumen, Jens König (stv.). Redaktion: Laura Himmelreich, Anja Lösel. Reporter: Andreas Hoffmann, Werner Mathes, Franziska Reich, Jan Rosenkranz, Holger Witzel. Investigative Recherche: Hans-Martin Tillack. Autoren: Tilman Gerwien, Andreas Hoidn-Borchers, Frauke Hunfeld, Jan Christoph Wiechmann. Fotoreporter: Michael Trippel SpreePalais am Dom, Anna-Louisa-Karsch-Straße 2, 10178 Berlin, Telefon 030/202 24-0, Fax 030/202 24-224BADEN-WÜRTTEMBERG Ingrid Eißele, Strümpfelbacher Straße 21, 71384 Weinstadt, Telefon 07151/61 05 16, Fax 07151/61 05 18BAYERN Felix Hutt, Dr. Georg Wedemeyer Weihenstephaner Str. 7, 81673 München, Telefon 089/41 52-280, Fax 089/41 52-281NORDRHEIN-WESTFALEN Gerd Elendt, Friedrich-Ebert-Straße 1, 40210 Düsseldorf, Telefon 0211/35 59 59 20, Fax 0211/35 23 38RHEIN-MAIN Frank Donovitz, Uhlandstraße 2, 60314 Frankfurt/Main, Telefon 069/15 30 97-87 46, Fax 040/37 03 17-87 46BANGKOK Bildredaktion: Dirk Claus, Bangkok, Telefon +66/2/715 35 77, E-Mail: [email protected]

BEIRUT Steffen Gassel, Telefon +961/70 02 68 72, E-Mail: [email protected]

BRÜSSEL Boulevard Charlemagne 1/40, 1041 Brüssel, Telefon +32/2/285 09 29, Fax +32/2/280 02 84ISTANBUL Stefanie Rosenkranz, Saray Arkasi Sok. 28/3, 34437 Beyoglu/Istanbul, Telefon und Fax +90/212/251 36 05 LONDON Gruner + Jahr Ltd, Silver House, 31 Beak Street, London W1F 9SX, UK, Telefon +44/20/74 85 37 09, Fax +44/20/75 04 58 67 Bildredaktion: Dagmar Seeland, 38 Yew Tree Road, GB – Southborough/Kent TN4 0BL, Telefon +44/1892/61 82 45, Fax +44/1892/61 81 27

LOS ANGELES Christine Kruttschnitt, 2255 Beverly Glen Place, Los Angeles, CA 90077, Telefon +1/310/470 16 14MOSKAU Dr. Andreas Albes, Kutusowskij Prospekt 7/4, Korp. 1, Kw. 244, 121248 Moskau, Telefon +7/495/956 20 92, Fax +7/495/956 20 93 Fotoreporter: Hans-Jürgen Burkard

NEW YORK Giuseppe Di Grazia, Martin Knobbe. Bildredaktion: Susanne Lapsien, Angelika Hala. Recherche: Anuschka Tomat. Freie Mitarbeit: Ulrike von Bülow; 535 Fifth Avenue, 29th Floor, New York N. Y. 10017, Telefon +1/646/884-71 00, Fax +1/646/884-71 11PARIS Claus Lutterbeck, 12, rue Saint-Germain l’Auxerrois, 75001 Paris, Telefon +33/1/75 58 36 43, Fax +33/1/42 25 55 33ROM Luisa Brandl, Viale delle Mura Gianicolensi, 4, 00152 Rom, Telefon +39/06/45 42 07 70SHANGHAI Janis Vougioukas, Grand Plaza, Block 3,2 B, No. 568, Julu Road, Shanghai 200040, Telefon +86/21/64 45 94 82, Fax +86/21/62 79 17 71, E-Mail: [email protected]

STERN EMAGAZINE: David Heimburger (Leitung)

STERN.DE: Chefredakteur: Frank Thomsen. Stellvertretender Chefredakteur und Leiter Digital TV: Ralf Klassen. Redaktion: Henry Lübberstedt (Geschäftsführender Redakteur). Nachrichten: Thomas Schmoll (Leitung), Ulrike Klode (stv.); Susanne Baller, Klaus Bellstedt, Swantje Dake, Marc Drewello, Carsten Heidböhmer, Dieter Hoß, Volker Königkrämer, Niels Kruse, Jens Maier, Julia Kepenek, Manuela Pfohl. Wissen: Jörg Hermes (Leitung); Till Bartels, Gernot Kramper, Ralf Sander, Lea Wolz. stern TV: Heike Foerster, Marijke Santjer. Berliner Büro: Dr. Lutz Kinkel (Leitung); Sophie Albers. Autor: Dr. Florian Güßgen. Foto: Mark Allan (Leitung); Janna Frohnhaus. Grafik: Bernd Adam (Art Director); Hauke Andersen. Digital TV: Sebastian Pfotenhauer. Telefon 040/37 03-26 52, Fax 040/37 03-58 33

VERLAGSGESCHÄFTSFÜHRUNG: Thomas Lindner

VERLAGSLEITUNG: Dr. Frank Stahmer, Simon Kretschmer (stv.)

ANZEIGEN Anzeigenleiter: Lars Niemann Disposition: Krimhild Dietrich Telefon 040/37 03-29 30, Fax 040/37 03-56 04, Internet: http://www.media.stern.de; E-Mail: [email protected]

HERSTELLUNG: Thomas Koch

PRESSE- UND ÖFFENTLICHKEITSARBEIT: Franziska Kipper Telefon 040/37 03-31 55, Fax 040/37 03-56 17, Internet: http://www.stern.de/presse; E-Mail: [email protected]

VERTRIEB: DPV Deutscher Pressevertrieb Vertriebsleitung: Torsten Koopmann

WERBUNG: Antje Schlünder

SYNDICATION: Picture Press, E-Mail: [email protected] Preis des Heftes 3,50 Euro. Der stern darf nur mit Verlagsgenehmigung in Lesezirkeln geführt werden. Dem Heft liegt regelmäßig das stern-TV-Magazin bei, ausgenommen Lesezirkel und Teile der Auslandsauflage. Der Export des stern und sein Vertrieb im Ausland sind nur mit Genehmigung des Verlages statthaft. Auslandspreise auf Anfrage. Alle Rechte vorbehalten. Insbesondere dürfen Nachdruck, Aufnahme in Online-Dienste und Internet und Vervielfältigung auf Daten-träger wie CD-Rom, DVD-Rom etc. nur nach vorheriger schriftlicher Zustimmung des Verlages erfolgen. Anzeigenpreisliste Nr. 64 vom 1. 1. 2013 Deutsche Bank AG, Hamburg, Konto 03 22 800, BLZ 200 700 00; Postbank Hamburg, Konto 84 80 204, BLZ 200 100 20. Tiefdruck: Prinovis Itzehoe GmbH. Printed in Germany Der Verlag haftet nicht für unverlangt eingesandte Manuskripte und Fotos. stern ISSN 0039-1239

Verantwortlich: für den redaktionellen Teil dieser Ausgabe: Andreas Petzold

3 / 2 0 1 3 stern 69

Impressum 2

STERN-SERVICE FÜR LESER UND ABONNENTEN

FRAGEN AN DIE REDAKTION

Telefon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 040/37 03-35 42Telefax . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 040/37 03-57 68E-Mail . . . . . . . . . . . . . . . . . . [email protected]

ARTIKELABFRAGE IM ARCHIV

Telefon (Mo.–Fr. 10–12 Uhr) . . . 040/37 03-38 88Telefax . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 040/37 03-57 81

ABONNEMENT- UND KUNDENSERVICE DEUTSCHLAND

Jahresabonnement € 174,20 frei Haus;

Jahresstudentenabonnement € 127,40

frei Haus;

Abonnementbestellung bei:

Anschrift . . . . . . . . . . . . . . . stern-Kundenservice20080 Hamburg

Telefon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 01805/861 80 00*(persönlich erreichbar:

Mo.–Fr. 7.30–20 Uhr; Sa. 9–14 Uhr)

Telefax . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 01805/861 80 02*E-Mail . . . . . . . . . . . . . . . . . . . [email protected]

Produktservice . . . . . . . . . . . . . . 01805/22 50 59*(persönlich erreichbar:

Mo.–Fr. 8–20 Uhr.

*14 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz,

max. 42 Cent/Min. aus

dem deutschen Mobilfunknetz)

ABONNEMENT ÖSTERREICH, SCHWEIZ,

ÜBRIGES AUSLAND

Anschrift . . . . . . . . . . . . . . . stern-Kundenservice20080 Hamburg

Telefon . . . . . . . . . . . . . . . . . . +49/1805/861 00 00(persönlich erreichbar: Mo.–Fr. 7.30–20 Uhr)

Telefax . . . . . . . . . . . . . . . . . . +49/1805/861 80 02E-Mail . . . . . . . . . . . . . . . . . . . [email protected]

Preis auf Anfrage erhältlich

ABONNEMENT KANADA

Anschrift . . . . . . . . . . . . German Canadian News

25–29 Coldwater Road; Toronto, Ontario,

M3B1Y8

Telefon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . +1/416/391 41 92Telefax . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . +1/416/391 41 94E-Mail . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . [email protected]

ABONNEMENT USA

stern (USPS no 0533870) is published

weekly by Gruner + Jahr AG & Co. Subscrip-

tion price for USA is $290 per annum.

Periodicals postage is paid at Englewood

NJ 07631 and additional mailing offices.

Postmaster: Send address changes to:

stern, GLP, PO Box 9868, Englewood NJ

07631.

Anschrift . . . . . . . . . . . . . German Language Pub.

153 South Dean Street Englewood, NJ 07631

Telefon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . +1/201/871 10 10Telefax . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . +1/201/871 08 70E-Mail . . . . . . . . . . . . . . [email protected]

BESTELLUNG ÄLTERER AUSGABEN

Bestellung von Einzelheften: Senden Sie

bitte eine Postkarte an den stern-

Versandservice, und geben Sie die ge-

wünschte Heftnummer an. Jedes Heft

kostet 3,40 Euro zuzüglich 1,79 Euro

anteilige Versandkosten pro Sendung.

Absender nicht vergessen. Bitte warten

Sie die Rechnung ab, und zahlen Sie erst

dann.

Anschrift . . . . . . . . . . . . . . . stern-Versandservice 20080 Hamburg

Telefon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 01805/861 80 00*(*14 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz,

max. 42 Cent/Min. aus

dem deutschen Mobilfunknetz)

Telefax . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 01805/861 80 02*(*14 Cent/Min.)

E-Mail . . . . . . . . . . . . . . . . . . [email protected]

Page 70: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

Es war

2 Gesellschaft

70 stern 3/2013

Page 71: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

FOT

O: J

EN

S H

AR

TM

AN

N/

PE

OP

LE

PIC

TU

RE

einmal ...… ein Präsidentenpaar, das wurde aus seinem Schloss vertrieben. Was blieb, war seine Liebe. Nun endet das Märchen. Bettina und ChristianWULFF haben sich getrennt

Wir sind Bundes-präsident: Der

frisch vereidigte Christian Wulff und

seine Frau Bettina am 2. Juli 2010 im

Ehrenhof von Schloss Bellevue

Page 72: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

FOT

OS

: B

EA

MA

RQ

UA

RT

/D

PA

; D

AP

D;

MIC

HA

EL

TIN

NE

FE

LD

/P

EO

PL

E I

MA

GE

; D

AN

IEL

RO

LA

ND

/AF

P

Carsten Maschmeyer und Freundin Veronica im Dezember 2009mit verdienten Hannoveranern

Ladies first: Bettina Wulff und Michelle Obama im November 2010. Beide mit Fahne

Sie hat die Hosen an:

Bettina Wulff im Juli 2012 auf

einer Modeschau in Berlin – mit

weniger berühm-ten Damen

72 stern 3 / 2 0 1 3

Page 73: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

Hochzeitstag im März 2008:

Natürlich nahm Christian Wulff

die Pinke

Gesellschaft 2

Page 74: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

Herbst 2011: Im Garten der Präsidenten- villa checkt Bettina Wulff den Dienstwagen ihrer Kinder

2 Gesellschaft

Page 75: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

FOT

OS

: O

LIV

ER

MA

RK

/AG

EN

TU

R F

OC

US

; S

TAR

PR

ES

S; J

OC

HE

N L

ÜB

KE

/D

PA

Herzlich beklommen:

Familie Wulff im Juli 2010 beim

Sommerfest auf Schloss Bellevue.

Sie hat Spaß, er versucht’s

Hallöchen. Christian Wulff holt seine Frau im Sep-tember 2012 am Flughafen Hannover ab

3 / 2 0 1 3 stern 75

Page 76: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

FOT

OS

: S

TE

FAN

BO

NE

SS

/IP

ON

; P

ET

ER

ST

EF

FE

N/

DP

A (

2);

AX

EL

SC

HM

IDT

/D

AP

D

Wer sagt eigentlich, dass

er jetzt zu bedauern

ist? Christian Wulff ist

einmal senkrecht in den

Karrierehimmel geschossen und

einmal senkrecht abgestürzt. Er

hatte Frau und Kind, ließ sich

scheiden, heiratete eine prächti-

gere Frau, bekam noch ein Kind,

und nun lässt er sich möglicher-

weise wieder scheiden.

Na und?

Christian Wulff ist 53 Jahre alt,

und er ist Bettina los. Diese blonde

Hypothek aus Enttäuschungen,

Wunden und geplatzten Träu-

men. Er kann jetzt Freundinnen

haben. Er kann mit seiner Büro-

leiterin durch Berlin schlendern,

ohne zu Hause irgendetwas erklä-

ren zu müssen. Er muss nicht

mehr schon beim Frühstück in

ein ehemals „abgöttisch“ geliebtes

Gesicht gucken, das ihm und an-

deren seit einem Jahr eher wie

ein langer schmaler Vorwurf er-

schienen war: „Du hast uns alle

mit reingerissen“ stand auf ihrer

Stirn. Dazu dieser „Das verzeihe

ich dir nie“-Mund.

Magenschmerzen hatte sie

auch. Klar, seine Schuld. Tren-

nungen sind meistens schlimm.

Diese jedoch könnte für alle Be-

teiligten wie eine Erlösung sein.

Vielleicht war es Christian Wulff

mit Bettina Körner ja gegangen

wie mit den Ämtern, in die er

meist zufällig gerasselt war. Eine

Nummer zu groß, eine Liga zu

hoch. Er war einfach nicht ge-

macht für das Amt des Bundes-

präsidenten. Ihm fehlte sowohl

das Soignierte eines Richard von

Weizsäcker wie auch das väter-

liche Charisma eines Johannes

Rau oder eines Joachim Gauck.

Er hatte nie eine Chance in den

Schuhen, in die es ihn gelöffelt

hatte, nachdem Vorgänger Horst

Köhler zurückgetreten war. Und

er war auch nicht gemacht für

eine Frau wie Bettina Wulff. Sein

modisches Statement hieß Schild-

krötkrägelchen, ihres Tribal. Und

niemandem wäre es in den Sinn

gekommen, sie als peinliche Tat-

too-Tussi abzuhaspeln. Im Gegen-

teil. Ihr Muster am rechten Ober-

arm beflügelte Fantasien und gab

der Lady Glamour. In dieser Ehe

war er mehr Harz und sie mehr

Rocky Mountains. Sie hörte gern

die Toten Hosen, er mochte,

wenn der Hawaiianer Israel

Kamakawiwo’ole „Somewhere

Over The Rainbow“ sang. Er

hatte das Ansehen, sie das Ausse-

hen. Gepasst hat es eigentlich

nie. Sie waren einander eher wie

das Upgrade des Lebens. Sie flo-

gen zu hoch, als dass ihre Bezie-

hung auch in der Tiefebene hätte

überleben können. Oder in

Großburg wedel.

„Die sind emotional durch mit-

einander. Die reden nur noch so

viel wie nötig“, sagte, schon im

Herbst 2012, ein Mann, der dach-

te, einmal ein Freund gewesen zu

sein. Auch eine Ehetherapie, der

sich beide unterzogen hatten,

konnte sie nicht mehr zueinander-

bringen. Schon im Herbst glaub-

ten viele zu wissen, die Trennung

des einstigen First Couple stünde

unmittelbar bevor, aber dann

waren die van der Vaarts doch

noch schneller.

Das Buch „Jenseits des Proto-

kolls“, das die ehemalige

First Lady geschrieben hat-

te, wirkte auf den Bonner Politik-

professor Gerd Langguth wie eine

„fast öffentliche Aufkündigung

einer Ehe“. Schonungslos hatte

La Wulff auch über die Ehepro-

bleme während der Amts- und

Skandalzeit geschrieben. Gut weg

kamen darin eigentlich nur sie,

die Kanzlerin Angela Merkel und

Michelle Obama. Ungefähr in

dieser Reihenfolge. „Wenn sich

der Staub gelegt hat“, prognosti-

zierte der stern bereits nach demRücktritt im Februar 2012, „dann

wird Bettina Wulff dafür sorgen,

dass es wieder aufwärtsgeht. Mit

ihm. Oder ohne ihn.“ Jetzt hat sie

die Chance. Ohne ihn.

Nach der berüchtigten „Düssel-

dorfer Tabelle“ müsste Wulff

monatlich mindestens 508 Euro

Un terhalt für den gemeinsamen

Sohn Linus, 4, zahlen. Seiner Frau

steht bis zur Scheidung Tren-

nungsun terhalt zu in Höhe ihres

tatsäch lichen Bedarfs. Und den

muss die selbstständige PR-

Schieß the one: Bettina Wulff startet im Juni 2012 einen Wohl-tätigkeitslauf in, Sie ahnen es, Hannover

Zu Hause ist es leider nur fast am schönsten: Nach dem Rücktritt ihres Mannes im Februar 2012 zieht Bettina Wulff zurück nach Großburg-wedel

Vom Wunsch, ein anderer zu werden: Christian Wulff im Juli 2012, schmal und mit neuer Brille

Von ULRIKE POSCHE

2 Gesellschaft

76 stern 3 / 2 0 1 376 stern 3 / 2 0 1 3

Page 77: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

Wir waren Bundespräsident:

der frisch zurückgetretene

Christian Wulff und seine Frau am 17. Februar

2012 im Schloss Bellevue

Page 78: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013
Page 79: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

Frau und Hospitality-Managerin

der Medizintechnik-Firma Otto-

bock gut begründen. Etwa damit,

dass sie sich bislang mit dem

dösbadde ligen Ehemann einen

deutlich luxuriöseren Lebensstil

leisten konnte. Stichwort: Cars-

ten Maschmeyers Urlaubsvilla,

Suite im Hotel Bayerischer Hof,

Sylt und Sause, der elegante

Fitnessklub am Maschsee, viele

Handtaschen. Sie müsste erklä-

ren, dass sie früher viel besser ge-

lebt hätte, als es ihr mit – sagen

wir – 2500 Euro künftig möglich

sein würde.

Sollte das Paar sich am Ende

wirklich scheiden lassen, hätte

sie nach dem neuen Scheidungs-

recht Anspruch auf „nachehe-

lichen Unterhalt“. Wie hoch der

ist? Kommt auf den Nachteil an,

den die nun öfter mal Allein -

er ziehende hat. Christian Wulffs

Unterhaltszahlungen an sie müss-

ten diesen finanziellen Nach-

teil jedenfalls wettmachen. Dazu

kommt der „Versorgungsaus-

gleich“ – im Rentenalter hat Betti-

na Anspruch auf einen Teil seines

Ehrensolds. Schließlich hat er

sich den während der kurzen Ehe

erworben.

Er kennt so etwas. Er hat das

Prozedere schon einmal durch-

exerziert. Seiner ersten Exfrau

Christiane hatte der damalige

Ministerpräsident das Haus in

Osnabrück überlassen. Und Toch-

ter Annalena, 19, ist noch in der

Ausbildungsphase.

Wer sagt denn, dass man

ihn deshalb bedauern

muss? In seiner neuen

Junggesellenbude in Hannover

darf Bettinas Ex-und-hopp-Gatte

in spe jetzt morgens Milch trin-

ken oder Saft, oder Saft und

Milch, und es guckt ihn niemand

mehr mit diesem Groll im Blick

an – ein Blick übrigens, den nur

Frauen draufhaben.

Wenn man es richtig bedenkt,

hat sie sich doch nicht eine

Sekunde für ihn in die Bresche

geworfen, nachdem der Skandal

um den Hauskredit, die Geerkens-

Kohle, das Bobby-Car und den

dusseligen Anruf beim „Bild“-

Chefredakteur Flammen schlug.

Sie ist mit ihm im Aufzug nach

oben gefahren und im Penthouse

ausgestiegen. Runtergefahren ist

er dann allein. Hat sie ihm je in

der Öffentlichkeit die Hand ge-

halten? Nö. Sie guckte, dass ihre

Stiefel gut saßen und die Haare.

Bei seinem Rücktritt stand sie

dekorativ im Saal. Schick im

Rena-Lange-Kostüm, das schon,

aber wo stand sie? Bereits damals

ging sie auf Distanz. Und dafür

bekam sie auch noch gute Presse.

Immer war sie die schöne, samtäu-

gige Schmerzensfrau. Ein Wesen,

dem etwas angetan worden war.

Und er war der Trottel. Der, der

als Bundespräsident gescheitert

war. Der nicht tanzen konnte,

der fleischgewordene Leitz-Ord-

ner, der verliebte Tor. Der, über

den sie in ihrer Autobiografie

schrieb: „Irgendwie fehlten da

ein paar Ecken und Kanten, etwas

Besonderes und Eigenes.“ Heißt

es nicht immer: „Vor Rehen wird

gewarnt“?

Seit einiger Zeit trägt Bettina

Wulff ihren alten Seemanns-

ring aus schwerem Gold

wieder am linken Ringfinger. Er

zeigt die Symbole Anker, Herz

und Kreuz. Ihre Mutter hat ihn

ihr geschenkt. Er bedeutet Glau-

be, Liebe, Hoffnung.

Mag sein, dass Christian Wulff

trotz des Ehrensolds von 217 000

Euro mehr oder weniger pleite

sein wird, wenn sich das Ermitt-

lungsverfahren, das er wegen der

ihm vorgeworfenen Vorteilsan-

nahme am Bein hat, in heiße

Luft aufgelöst hat. Anwaltskos-

ten bleiben dann, Hypotheken,

Un terhalt. Mag auch sein, dass

„Pretty Betty“, wie die „Bunte“

sie neulich nannte, bald schon

einen Neuen hat. Sie steht ja

ohnehin mehr auf den Typus

Rettungsschwimmer – aber er

ist nun frei. Er ist, wie Martin

Luther King gesagt hatte, „free

at last“.

Das Leben hat für ihn noch

einmal die Reset-Taste gedrückt.

Jetzt muss er nur noch was draus

machen.

Mit Recherchen von Jan Rosenkranz undDoris Schneyink

3 / 2 0 1 3 stern 79

Gesellschaft 2

2

Page 80: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

80 stern 3 / 2 0 1 3

2 Tetsche

www.stern.de/tetsche Umfangreiches Archiv mit Tetsche-Cartoons

Page 81: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013
Page 82: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

* mit Recherche-Notizen von stern-Reporterin Helen Bömelburg

Alles klar für den WeltuntergangDie PREPPERS bauen Bunker, horten Lebensmittel und bereiten den finalen Ernstfall vor – ob Ökokatastrophe, Atom-schlag oder Wirtschaftskollaps. Eine Reise durch die USA*

2 Ausland

82 stern 3 / 2 0 1 3

Page 83: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

Klappe zu,

Tim Ralston

lebt: In seinem

unterirdischen

Bunker will

er Katastrophen

überstehen

Page 84: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

Porträt des

Helden mit

Schaufel: Tim

Ralston und

seine „Crovel“

84 stern 3 / 2 0 1 3

Page 85: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

In der Garage lagern Waffen,

Camping- ausrüstung und

Nahrung für zwei Jahre

Page 86: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

Die Schöne und das Beet: Anaïs Dervaes und ihre Familie essen nur, was sie selbst ernten

86 stern 3/2013

Page 87: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013
Page 88: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

Ihm möchte

man nur

im Grünen

begegnen:

Bauer Jules

Dervaes

88 stern 3 / 2 0 1 3

Page 89: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

In diesen Tanks gärt

hausgemachter Biosprit aus

altem Frittenfett

Page 90: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

Jason Charles’ Küchenschrank von innen: Medikamente, Walkie-Talkies, Fertigfutter

Page 91: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

Bepackt mit Muskeln, Sack

und Pack – Jason Charles

ist bereit

3 / 2 0 1 3 stern 91

Page 92: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

Stillleben mit Sturmgepäck und Puppe: das Sofa der Familie Charles

92 stern 3/2013

Page 93: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013
Page 94: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

Nordpol zum Südpol, Atomangrif-

fe, den Totalkollaps der Wirschaft

oder gleich für das Ende der Welt.

Schade, dass es keinen Plural von

Paranoia gibt.

Prepper kommt vom englischen

„preparedness“, vorbereitet sein.

Das passende Verb ist bereits er-

funden: Ich preppe, du preppst,

er/sie/es preppt. Prepping liegt

im Trend. Amerika hat die schrills-

ten und extremsten Vertreter, aber

auch in Deutschland und nahezu

jedem anderen Land sitzt eine

Preppers-Gemeinde. Schwer zu

schätzen, wie viele es sind; nach

der gigantischen Zahl einschlägi-

ger Webseiten, Onlineshops und

Diskussionsforen zu urteilen sehr

viele. Medien sprechen von bis zu

vier Millionen allein in den USA.

Sie horten gefriergetrocknete Le-

bensmittel für Jahre, bauen ihre

Häuser zu Festungen aus, trainie-

ren ihre Kinder an Schusswaffen

Zwei Stunden hinter Phoe-

nix, Arizona, holt Tim

Ralston schwarze Augen-

binden aus dem Hand-

schuhfach. „Sorry, guys. Das muss

sein.“ Wir halten an. Zwischen

Geröll und haushohen Kakteen

fegt glutheißer Wüstenwind über

den Highway 260. Tim sammelt

die Handys ein und lässt sie in

eine bleiverstärkte Tasche fallen.

An die nächste Etappe soll sich

das stern-Team nicht erinnern

können, und auch die Funkspur

der Telefone will Tim verwischen.

Er fährt vom Highway ab und

steil hinauf in die Berge. Wir

sehen nichts, wir sagen nichts.

Nur Tim redet und redet. Von

seinem geheimen Bunker in den

Bergen. Davon, dass er auf der

ganzen Strecke zwischen seinem

Haus in Phoenix und dem Bunker

alle 20 Meilen ein Plastikfass mit

Essen, Wasser und Waffen ver-

graben will. 20 Meilen kann eine

Familie auf der Flucht an einem

Tag laufen, sagt Tim. Wenn die

Katastrophe kommt, werden er,

seine Frau und die drei Kinder

vorbereitet sein.

Welche Katastrophe?

Wahrscheinlich ein EMP, meint

Tim, ein elektromagnetischer

Puls. Also eine Art Mega-Ent-

ladung, die alle elektrischen Ge-

räte und das Stromnetz kurz-

schließt – landesweit. Wahrschein-

lich weltweit! Computerchips,

Herzschrittmacher, alles würde in-

nerhalb von Sekundenbruchtei-

len zerstört. Al-Qaida, Russland,

China, Nordkorea und Irak hätten

bereits die Technologie für eine

EMP-Bombe. Tim verlässt sich

nicht auf die Medien, er hat bes-

sere Quellen: hohe Tiere beim Mi-

litär. Er sagt, ein Jahr nach einem

EMP-Angriff wären 90 Prozent der

Amerikaner tot. Tim und seine

Familie aber würden über leben.

Er genießt es sehr, sein Katastro-

phenfeuerwerk zu zünden.

Tim Ralston ist ein Prepper. So

nennen sich Menschen, die sich

für Katastrophen rüsten – für

Mega-Tsunamis, für die Umkeh-

rung des Erdmagnetfelds vom

Von HELEN BÖMELBURG (Text)

und CHARLES OMMANNEY (Fotos)

und geben Hunderttausende Dol-

lar für Große-Jungs-Spielzeug aus.

Aber warum?

Mit dieser Frage beginnt unsere

Reise durch Amerika, von Ost

nach West, von Manhattan in die

Wüste. Es ist das Land der un-

begrenzten Durchgeknalltheiten.

New York In Harlem sitzt ein massiger

Mann auf seinem zerschlissenen

Sofa. Geschorener Schädel, Ama-

teur-Gewichtheber. Auf seinem

T-Shirt steht „Save the World“.

Seine Tattoos: Knarren und dornige

Rosen, die aus den Twin Towers

wachsen. Jason Charles, 35, ist

Feuerwehrmann. Am 11. Septem-

ber 2001 hat er Leichenteile ein-

sammeln müssen und noch so

einiges mehr gesehen, was für

zwei Leben reiche, sagt er. Seit-

dem ist er Prepper. Gerade kommt

Jason vom Dienst zurück, die

Erschöpfung hat ihm dunkle

Ringe unter die Augen geboxt. No

bullshit, please, wenn’s geht.

Mit dem Maya-Kalender bei-

spielsweise muss man Jason nicht

kommen. „Die Maya haben nie

behauptet, dass am 21. Dezember

die Welt untergeht“, sagt er, „ir-

gendwelche Spinner haben das

in den falschen Hals gekriegt. For-

get it.“ Viel gefährlicher sei doch

Folgendes: Der Yellowstone-Vul-

kan könne jederzeit ausbrechen

und die USA unter einer tödli-

chen Ascheschicht ersticken. Kein

Pflanzenwachstum mehr, keine

Lebensmittel, Bürgerkrieg.

Jason ist vorbereitet: Er kann

Türen und Fenster seiner Drei-

zimmerwohnung innerhalb von

Minuten staubdicht abkleben. Im

Fall von WTSHTF („when the shit

hits the fan“) würde er den 100-Gal-

lonen-Wasserballon füllen, der

eingerollt neben der Badewanne

Nein, er will

einen nicht auf

den Arm

nehmen. Jason

Charles meint

es ernst: „Die

like a cowboy“

94 stern 3 / 2 0 1 3

2 Ausland

Page 95: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

liegt, er fasst knapp 380 Liter.

Dann: Propangasherd anschlie-

ßen, den faltbaren Ofen mit Holz

anheizen. In Schränken und unter

dem Ehebett hortet Jason Konser-

vendosen und Hunderte Militärra-

tionen, Proteinpampe in Alufolie.

Muss man nur aufwärmen. Jasons

Frau würde sich mit den zwei Kin-

dern in der Wohnung einschlie-

ßen, während der Mann draußen

die Lage erkundet. Er hat zwei

Dutzend Armeerucksäcke, Pfeil

und Bogen und etwa 25 Messer in

allen Längen, zur Jagd und zur Ver-

teidigung. Die mit den Reißzähnen

an der Oberseite sind zum Auswei-

den. Die Messer lagern in einer

Sporttasche hinter dem Sofa, nein,

nein, die Kids kämen da nicht ran.

Man kann Jason Charles sagen,

dass Wissenschaftler keinen Aus-

bruch des Yellowstone-Vulkans in

den nächsten 10 000 Jahren erwar-

ten. Jason nickt dann. Aber die

Botschaft erreicht ihn nicht. Für

ihn zählt, dass es passieren könn-

te. Möglicherweise kommt ja auch

eine andere Katastrophe. Terroris-

ten könnten ein Forschungslabor

kapern, wo sie gewaltige Hurri-

kans herstellen. So eine Anlage

gebe es bereits in Alaska, bekannt

als HAARP. Schaut euch Hurrikan

„Sandy“ an, der die Ostküste der

USA verwüstet hat, sagt Jason, das

war doch nicht normal!

Jason hätte wahnsinnig gern

Schusswaffen, aber allein die

Lizenz kostet in New York mehr

als 400 Dollar, plus weitere 600 für

eine Knarre. Zu teuer. Seine Frau

findet, dass er sowieso zu viel Geld

fürs Prepping ausgibt.

„Dieses Land macht es einem

schwer, die Verantwortung für

sich und seine Familie zu überneh-

men“, sagt Jason. „Die Politik will,

dass man sich hinlegt und langsam

stirbt, während man auf die Cops

wartet.“ Er will sich nicht auf den

Staat verlassen. Überhaupt: Eine

Gesellschaft, in der alle immer

mehr wollen, ohne etwas zu leis-

ten, sei krank. Jason sagt, mittel-

mäßige Soldaten würden sich bei

den Navy Seals einklagen, indem

sie auf ihr Recht als Minderheiten

pochten; mexikanische Einwan-

derer verlangten einen leichteren

Aufnahmetest, um Feuerwehrleu-

te in New York werden zu können.

Aber das Leben ist hart, Mann,

man muss sich alles selbst ver-

dienen. Deshalb, sagt Jason, nervt

auch Barack Obama, dieser

Marxist, der allen gleich viel ge-

ben will. Unter seiner Regierung

gehe das Land vor die Hunde,

schwarzer Bruder hin oder her.

Für Männer wie Jason ist Prep-

ping die letzte Zone echter Helden,

da zählt nur, was man selbst kann

und besitzt. Ein Mann, sein Ins-

tinkt und seine Fertigmakkaroni.

Los Angeles Die beiden nigerianischen Zwerg-

ziegen heißen Blueberry und

Fairylight. Von einer Pergola

wachsen tropfenförmige Riesen-

kürbisse herunter, Bohnen ranken

in den Himmel. Die Zitronen-

bäume sind wie mit goldenen La-

ternen behängt. Es sieht aus wie

bei den Hobbits. Hier lebt Jules

Dervaes, 65, mit seinen drei er-

wachsenen Kindern in einem

800 Quadratmeter großen Garten.

Pro Jahr ernten sie 2500 Kilo Obst,

Gemüse und Beeren; Hühner und

Enten legen 1800 Bioeier. Jules’

Töchter stellen fast 700 Gläser mit

Eingemachtem her. Familie Der-

vaes braucht keinen Walmart.

„Das ist unsere persönliche Unab-

hängigkeitserklärung“, sagt Jules.

Er stapft in eine Scheune und

zeigt selbst gebaute Tanks mit

Schläuchen dran. Die Dervaes

stellen darin Biodiesel aus altem

Frittenfett her. Sie erhitzen es auf

130 Grad, fügen einen chemischen

Katalysator hinzu. Damit betan-

ken sie ihren klapprigen Mercedes

für einen Dollar pro Gallone. Sie

fahren aber fast nie weg, allenfalls

bringen sie die Ziegen zum Grasen

auf eine andere Wiese. Ansonsten

arbeiten alle sechs Tage in der

Woche auf der Farm. Am siebten

Tag, dem Tag des Herrn, ruhen sie.

Die Dervaes gewinnen ihren

Strom aus der kalifornischen Son-

ne. Sie machen Medikamente

selbst, auch Werkzeuge und saube-

res Wasser. Jules hat seine Kinder

nie in die Schule geschickt, er hat

sie selbst unterrichtet. Das war da-

mals noch illegal. Aber Jules will

von nichts und niemandem abhän-

gig sein. Er misstraut dem Staat,

den Unternehmen, den Medien,

dem modernen Leben.

Jules wünscht sich eine Welt

ohne Technologie. „Jeder Schritt

zurück ist ein Fortschritt“, sagt er.

„Der American Way of Life macht

unsere Erde kaputt. Und sie wehrt

sich gegen uns: Der Hurrikan in

New York, das Erdbeben in Haiti,

der Tsunami in Japan – das hängt

alles zusammen.“ Die meisten

Leute nähmen diese Zusammen-

hänge nicht wahr, weil alles so

langsam geschehe und die Regie-

rungen und Konzerne die Fakten

geheim hielten.

Aber Jules hat es begriffen:

Schaut euch doch mal Monsanto

an, den globalen Saatguthersteller!

Mais und Soja seien in den USA zu

fast 100 Prozent genmanipuliert.

Das Unternehmen mache mit

diesen Pflanzen den riskantesten

Menschenversuch aller Zeiten –

trotzdem säßen Monsanto-Leute in ➔

allen Ministerien und wichtigen

Organisationen. Die US-Regierung?

Durchsetzt mit Lobbyisten, völlig

egal, ob demokratisch oder repub-

likanisch. „Eines Tages wird die

Natur zurückschlagen und einen

absolut resistenten Wurm, ein teuf-

lisches Unkraut oder einen Super-

parasiten hervorbringen“, sagt

Jules. Die Produktion von Nah-

rungsmitteln werde weltweit zu-

sammenbrechen, viele Menschen

würden verhungern.

Die Dervaes aber würden in

ihrer grünen Arche überleben.

Sie wissen, wie man auf einem

Stückchen Land und mit wenig

Wasser mehr Nahrung herstellt,

als man selbst essen kann – das

ist ihre Art des Prepping. „Wir

können nicht warten, bis die Poli-

tik uns rettet“, sagt Jules. „Jeder ist

der Erste, der sein Leben ändern

muss.“ Was ist dieser Mann? Ein

Spinner, der die Wahrheit predigt?

Jules’ Philosophie hat ihn seine

Ehe gekostet. Seine Frau wollte

nicht ewig in einem Wohnwagen

leben, sie wollte ein Haus und Ka-

belfernsehen und ein normales

amerikanisches Leben. Jules wollte

das nicht. Die beiden trennten sich

vor mehr als 20 Jahren, er zog die

Kinder allein auf. Die drei wirken

seltsam verhuscht. Läuft das hier

demokratisch? „Dad entscheidet“,

sagt Justin, 34, der Sohn. Er kann

einem nicht in die Augen sehen.

Beim Gemüseschneiden erzählt

Anaïs, 37, die Älteste, dass sie noch

nie verliebt war. Keines der Kinder

hatte je eine Beziehung. „Ein Part-

ner müsste jemand sein, der wirk-

lich hierher passt. Wir sind sehr

anspruchsvoll“, sagt Anaïs. Wir.

Abends kommen Nachbarn

vorbei, wie jeden Sonntag. Die

Farm ist in den vergangenen

Jahren beliebt geworden. Die

Leute kaufen im Hofladen ein, für

viele ist es die erste Begegnung

mit natürlichem, unbehandeltem

Essen. Sie holen sich Tipps,

welche Pflanzen am wenigsten

Wasser brauchen und wie man

chemiefreie Pestizide herstellt.

Jules’ Ideen von Nachhaltigkeit,

Naturschutz und Konsumkritik

schlagen Wurzeln. Seine Farm ist

eine kleine Ökoinsel im überdreh-

ten, künstlichen Los Angeles.

3 / 2 0 1 3 stern 95

Page 96: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

EXKLUSIV IM E-MAGAZINE

Hören Sie den Prepper Tim Ralston im Originalton: Er beschreibt, wie sein Bunker funktioniert, wie er Katastro-phen überleben will und wie man eine Kalaschnikow benutzt

Der Sohn hängt Lichterketten

in die Zweige, die Töchter servie-

ren bunte Salate direkt vom Beet,

sattgrüne Avocados, frisches Chili

ohne Carne. Kaki-Früchte, selbst

gebrannten Schnaps aus dem Ho-

nig der eigenen Bienen. Nirgend-

wo auf dieser Reise werden wir so

gut essen wie in diesem Garten.

Jules steht auf eine Forke ge-

lehnt und gibt den Patriarchen.

Zwei Bärtige mit Holzfäller-

hemden spielen Gitarre, darüber

spannt sich der kalifornische

Himmel dunkelblau. Die Enten

gehen gackernd schlafen. Ein

Besucher sagt, dies sei der einzige

Ort auf der Welt, an dem er nicht

den Drang verspüre, sein Handy

zu checken. Zwei kleine Mäd-

chen versichern, dass Feen in den

Beeten wohnen.

Phoenix, Arizona Tim Ralston bremst, wir sind da.

Irgendwo in den Bergen nordöst-

lich von Phoenix, so ganz genau

wissen wir es ja nicht. In 2500 Me-

ter Höhe steht ein stattliches

Cha let in der Wildnis. Dahinter

hat Tim einen stählernen Schiffs-

container in die Erde senken las-

sen, 12 mal 2,50 Meter groß. Es

gibt eine sturmfeste Einstiegsluke

im Dach und einen Tunnel, der

den Container mit dem Haus

verbindet. Wo die Falltür ist, hält

Tim aus Sicherheitsgründen ge-

heim. Viel leicht unter dem weißen

Klavier, das im Wohnzimmer steht?

Seine Tochter spiele brillant, sagt

Tim.

Zwölf Stockbetten will er in den

Container einbauen, Nah rungs-

mit tel für zwei Jahre ein lagern.

Die Eimer mit Trocken lasagne,

Beef Stroganoff und Chicken Teri-

yaki stehen bereit. Verfallsdatum:

September 2037. Etwa 10 000 Dol-

lar hat die Anlage bisher gekostet.

Tim wird noch eine Sickergrube

für Abwasser anlegen. Strom

kommt aus manns hohen Batterien

in der Garage, sie sollen das Haus

zwei Monate mit Strom versorgen,

falls die Solaranlage ausfällt. Oder

falls die Sonne verdunkelt wird,

das müsse man ja mitbedenken.

20 Minuten Fußmarsch entfernt

liegt Tims Schießplatz. Hier ballert

er an Wochenenden mit seinen

drei halbwüchsigen Kindern, zwei

Jungen und einem Mädchen, auf

Konservendosen und Patronen-

hülsen. Er ist stolz, dass alle drei

schon mit einer AK-47 umgehen

können, einer halb automatischen

Kalasch nikow.

Tim führt uns seine neueste

Erfindung vor: ein Set mit Stahl-

adaptern, mit denen ein einziges

Gewehr Munition jeder Größe ab-

feuern kann – kleine Kugeln für

Karnickel, große Kugeln für Men-

schen. Schließlich kann Tim im

Katastrophenfall nicht mehrere

Waffen herumschleppen.

Er nennt das Set „Scavenger“,

Aasfresser. Noch ist es nicht auf

dem Markt. Am Morgen hat Tim

den Prototyp einem Kunden ge-

zeigt, er betreibt einen Survival-

Laden in Phoenix. Ein bulliger Typ

mit rasiertem Schädel, Prepper

wie Tim. Er fing vor Aufregung an

zu schwitzen, als ihm die unend-

lichen Möglichkeiten des „Scaven-

ger“ aufgingen. „Was wäre Ihnen

das Teil wert?“, hat Tim gefragt.

„Mit Obama als Präsident – viel.

Sagen wir, 1500 Dollar.“ „Es wird

400 Dollar kosten.“ „No way!“

Doch. Tim grinste von Ohr zu Ohr.

Die meisten Preppers haben ein

Lieblingsszenario, auf das sie sich

vorbereiten. Doch die größte

Bedrohung scheinen für sie nicht

Tsunamis, Vulkanausbrüche, Atom-

angriffe zu sein. Sondern andere

Menschen. Die, die keine Prep-

pers sind. Vom Staat verhätschelte

Weicheier. „Spätestens drei Tage

nach dem GAU würden sie anfan-

gen, gegeneinander zu kämpfen“,

sagt Tim. „Solche Leute werden

panisch und gewalttätig, wenn sie

zum ersten Mal im Leben allein

klarkommen müssen.“

Aber Tim, Studien echter Kata-

strophen zeigen, dass sich Men-

schen in lebensgefährlichen Situa-

tionen überwiegend sozial, sogar

selbstlos verhalten. Das war bei

9/11 so und auch nach dem

Wirbelsturm „Katrina“ in New

Orleans. Solche Informationen

perlen an Tim ab. Der Mensch

ist des Menschen Wolf, basta.

Je mehr Leute das glauben, des-

to besser für Tims Business. Er hat

nicht nur Paranoia, er verkauft sie

auch. Zum Beispiel den Auto-

Anhänger „The Boss“, mit dem

man sechs Monate in der Wildnis

überleben soll. Komplett mit

Schlafplätzen, Solarstrom anlage,

Nahrungsmitteln, Wasser, Nacht-

sichtgerät, TV und Mountainbike.

Preis: 25 000 Dollar.

Tim stellt sich auch eine

Tim-Ralston-Überlebenshütte vor.

Außerdem soll sein selbst ent-

wickeltes Hühnchengericht in

Serie gehen, das 15 Jahre hält.

Dazu Tim-Ralston-Kleidung, ein

Tim-Ralston-Motorrad und eine

Tim-Ralston-Reality-Show, in der

er Leuten beibringen will, wie

sie ihre Haushalte katastrophen-

fest machen. Tim Ralston ist der

Held im Tim-Ralston-Universum.

Im wahren Leben hat das nicht

ganz geklappt. Als junger Mann

wollte er zu einer Elitetruppe der

Armee, flog aber raus, weil er

nicht schwimmen konnte. Er hat

dann den Verkehr auf dem Kaser-

nengelände geregelt. Prepping –

das ist auch ein Pflaster auf ge-

kränkten Männerseelen.

In der Dämmerung machen wir

uns auf den Rückweg. Tim erzählt

von seiner letzten Erfindung: Die

„Crovel“ ist ein arm langes Werk-

zeug aus Stahl, eine Mischung aus

Schaufel und Brech eisen. Ideal,

um Angreifern die Kniescheiben

rauszuhauen – quasi ein Riesen-

Schweizer-Messer mit Killerfunk-

tion. Tim konnte das Ding in einem

Zombie-Film platzieren, danach

hat er täglich 400 Stück verkauft,

für 109 Dollar. Bisher sind 10 000

Crovels weggegangen, auch nach

Deutschland.

Wir lassen die Fenster runter,

hören den Sound des kühlen

Nachtwindes. Die Sterne gehen

auf, die Wüste döst langsam ein.

Auf Fox-News zählt ein Kom-

mentator all die Katastrophen

auf, die die Demokraten über die

USA bringen würden. Wir sind

am Ende. 2

FOT

O:

DR

EA

MS

TIM

E

96 stern 3 / 2 0 1 3

2 Ausland

Page 97: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

Im Ernstfall wird die Welt ausge-

sperrt: Tim Ralston an der Stahltür seines Bunkers

Page 98: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013
Page 99: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013
Page 100: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

FOT

O:

RE

INE

R Z

EN

SE

N/

IMA

GO

uch an der Uni-Klinik Leipzig

wird nun wegen Manipu-

lationen bei der Organver-

gabe ermittelt – es ist

bereits der vierte Fall. Wie soll ich

noch darauf vertrauen, dass mit

meinen Organen verantwortungs-

voll umgegangen wird, falls mir

etwas passiert?

Da können Sie ganz sicher sein.

Die Vorgänge, die uns jetzt

unruhig machen, stammen aus

vergangenen Jahren. Wir haben

alle Vorkehrungen getroffen,

dass solche Täuschungen nicht

mehr vorkommen können. Es ist

zum Beispiel sichergestellt, dass

niemand mehr im Alleingang

handeln kann. Meldungen an die

Vermittlungsstelle Eurotrans-

plant macht heute nur eine

inter dis ziplinäre Transplanta-

tionskonferenz.

Aber es werden immer mehr

Organe im sogenannten beschleu-

nigten Verfahren vergeben – also

unter Umgehung von Eurotrans-

plant. Deutet das nicht auf einen

anhaltenden Missbrauch hin?

Nein. Sie müssen sehen, dass die

Spender in Deutschland immer

älter und auch kränker werden.

Oft sind die Organe nicht in dem

Zustand, den sich die Ärzte

wünschen. Da ist es ganz natür-

lich, dass mehr Organe im be-

schleunigten Verfahren vergeben

werden, um lange Transportwege

zu vermeiden.

Das birgt die Gefahr, dass vor Ort

und ohne Kontrolle entschieden

wird.

Wir haben sichergestellt, dass

keine Klinik mehr selbst bestim-

men kann, wer ein Organ be-

kommt. Sie muss Vorschläge an

Eurotransplant machen, die dort

geprüft werden.

Bleibt es ein Risikofaktor, dass

letztlich der behandelnde Arzt fest-

Alegt, wie krank ein Patient ist –

und welche Chancen er auf ein

Spenderorgan hat?

Es geht um Menschen, nicht um

Maschinen. Absolute Objekti vität

wird es da nie geben. Wir ver-

suchen aber die Richtlinien so zu

gestalten, dass Missbrauch un-

möglich ist. Dabei sind etwa für

die Vergabe von Lungen und

Lebern hochkomplexe Regelwerke

entstanden.

Die Kliniken und auch die Ärzte

stehen teils unter massivem Druck,

möglichst hohe Fallzahlen zu

erreichen. Organtransplantation

ist eben auch ein Geschäft.

Aber die Anreize kommen aus

der Budgetierung und Kommer-

zialisierung in den Universi-

tätskliniken. Sie kommen nicht

aus der Medizin selbst.

Sie wirken offenbar trotzdem:

Wieder sind Dutzende Fälle

bekannt geworden. Es drängt sich

der Verdacht auf, dass die Selbst-

verwaltung der Ärzteschaft versagt

hat. Die Transplantationsmedizin

erscheint als eng verflochtene

Gemeinschaft, in der einer den

anderen schützt.

Sie schätzen die Szene völlig

falsch ein. Es schaut jeder genau,

was der andere macht. Wir haben

erlebt, dass über das eine oder

andere Zentrum die wildesten

Gerüchte kursieren, und wenn

wir dann genau hingeguckt haben,

hat sich das nicht bewahrheitet.

Da muss man sehr vorsichtig

sein. Glauben Sie mir: Nichts ist

so transparent wie ein Opera-

tionssaal.

Sollten nach den Skandalen nicht

staatliche Stellen mehr Verant-

wortung übernehmen?

Was hilft der Staat? Die staat-

lichen Stellen, die jetzt beteiligt

sind, haben nicht die Kompe-

tenz, das Personal und die Aus-

stattung wie die Organe der

Selbstverwaltung. Vor allem

haben sie nicht so kurze Reak-

tionszeiten. Keine staatliche

Institution hätte die Richtlinien

so schnell ändern und das

System stabilisieren können.

Was passiert mit denen, die

aufgeflogen sind? Reichen da die

juristischen Sanktionsmöglich-

keiten aus?

Ich liebe den Satz, den ich von

Kriminologen gelernt habe:

Viel Strafrecht hilft nicht viel.

Das sieht man in der Alltags-

kriminalität. Wir haben bereits

hochwirksame Präventionsmittel,

nur werden diese nicht konse-

quent genug angewandt.

Welche meinen Sie?

Ich erlebe es als Strafverteidiger

sehr oft, dass Ärzten die Appro-

bation rasch entzogen wird.

In der Transplantationsmedizin

aber trauen sich die staatlichen

Einrichtungen noch nicht ein-

mal, die Zulassung ruhen zu

lassen. Das beklage ich laut und

nachhaltig. Mit nichts treffen

Sie den Arzt härter. Hier sind

staatliche Stellen zuständig.

Sie beschäftigen sich intensiv

mit ethischen Fragen. Ist eine

Regelverletzung eher gerechtfer-

tigt, wenn es um Leben und

Tod geht? Oder ist sie dann erst

recht verwerflich?

Das ist eine ganz schwierige Fra-

ge. Wenn Sie über einen längeren

Zeitraum einen Patienten auf der

Intensivstation haben und sehen,

dass sich seine Lebenschancen

von Tag zu Tag verschlechtern,

dann ist der Wunsch sehr stark,

diesem Menschen zu helfen.

Deshalb kann ich teilweise verste-

hen, dass Regeln verletzt wurden.

Nur billigen kann ich es nicht.

Interview: Stefan Schmitz, Nicole Simon

2

Der 63-jährige Juraprofessor leitet das Zentrum Medizin-Ethik-Recht an der Universität Halle-Wittenberg. Als Vorsitzender der Organspende- Kommission der Bundesärztekam-mer wirbt er für Ver trauen in die Transplantations-medizin

„Nichts ist so transparent wie ein Operationssaal“Ärztefunktionär HANS LILIE preist die Selbstverwaltung der Mediziner und verspricht: Neue Manipulationen bei der Organvergabe wird es nicht geben

100 stern 3 / 2 0 1 3

2 Medizin

Page 101: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013
Page 102: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

Beruf: GattinIn besseren Kreisen gehört es bis heute zum guten Ton, dass die Frauen zu Hause bei den Kindern bleiben. So qualifiziert sie auch sind. Der stern hat im Hamburger Elbvorort Blankenese Familien besucht, die dieses Modell ganz selbstverständlich leben. Eine FRIEDLICH WIRKENDE WELT, die allerdings brüchig ist

102 stern 3/2013

2 Deutschland

Page 103: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

Die beurlaubte Diplomatin Denise

von Quistorp hält seit 18 Jahren ihrem

Mann und den Kindern den Rücken

frei. Inzwischen fühlt sie sich davon nicht

mehr ausgefüllt

Page 104: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

Manchmal steckt viel

Wahrheit in einer spon-

tanen Gefühlsäußerung.

Friedrich, das vierte

Kind der Familie Commichau, ein

zarter Junge mit hellem Haar und

braunen Augen, war vier Jahre

alt, als er an der Schwelle seines

Kindergartens ausstieß: „Huch!“

„Was ist denn?“, fragte seine Mut-

ter. „Guck mal, Mama“, sagte

Friedrich, „da ist ein Mann.“

Friedrichs Welt, das wohlha-

bende Hamburg-Blankenese am

Ufer der Elbe, ist während der

Woche normalerweise männer-

frei. Eine Welt, wie sie in dieser

Reinkultur vor allem in den Wohn-

gebieten der deutlich besser Ver-

dienenden existiert. In einer Zeit,

in der im ganzen Land um Kita-

plätze gestritten, das Betreuungs-

geld gegeißelt, eine Frauenquote

und neue Väter gefordert werden,

gehört es in Vierteln wie diesem

noch zum guten Ton, dass Mütter

zu Hause bleiben. Auch wenn sie

noch so gut ausgebildet sind.

Ein Grund ist die Abwesenheit

der Männer. Sie arbeiten 60 bis

80 Stunden pro Woche. Über das

Familienleben solcher Karriere-

männer gibt es nur wenige Stu-

dien. Eine untersucht den Alltag

von Managern, eine von Professo-

ren, eine von Berufspolitikern:

Sie kommen zum gleichen Ergeb-

nis. Väter, die Karriere machen,

stützen sich in der Regel noch im-

mer auf eine Ehefrau, die sich um

Haus und Kinder kümmert und

dafür den eigenen Beruf aufgibt.

Hamburg-Blankenese, die Welt

um das Kind Friedrich und seine

vier Geschwister, ist einer der

Orte im Land, wo fast alle Män-

ner ganz oben mitspielen – und

wo sich in den meisten der groß-

bürgerlichen Häuser die Frauen

um den ganzen Rest kümmern.

Friedrichs Vater ist Partner in

einem großen Notariat. Von acht

Uhr morgens bis acht Uhr abends

ist er außer Haus, zweimal pro

Woche kommt er erst kurz vor

Mitternacht. „Er ist“, wie Friede-

rike Commichau, die Mutter von

Friedrich, 13, Catharina, 11, Jose-

phine, 15, Antonia, 17, und Henri-

ette, 21, das höflich ausdrückt,

„während der Woche im Alltag

der Familie kaum präsent.“

Stefanie Hempel, 51, die Mutter

der 13-jährigen Martha und der

Jungen Moritz, 17, Friedrich, 19,

und Johann, 21, sagt es ein biss-

chen drastischer: „Mein Mann ist

kein Vater, der hier Teile der Auf-

zuchtzeit übernommen hat.“ Auch

Friederike Commichau genießt die Spaziergänge mit ihrem Hund an der Elbe. Besonders vormittags, wenn die Haushaltshilfe da ist, hat sie ausgiebig Zeit für sich selbst

Von JULIA FRIEDRICHS (Text)

und SEBASTIAN HÄNEL (Fotos)

104 stern 3 / 2 0 1 3

Page 105: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

sie ist perplex, wenn sie doch mal

einen Mann an der Pforte der

Schule sieht. „Dummerweise fühlt

man sich dann auch noch bemü-

ßigt, das zu kommentieren“, sagt

sie. „Ich frag dann so Sachen wie:

Was machen Sie denn in freier

Wildbahn?“ Manche würden diese

Männer „Tortenheber“ nennen,

erzählt sie dann noch. Aufreißer,

könnte man auch sagen.

Deutschland finanziert diese Le-

bensform mit sehr viel Geld: 18

Milliarden Euro pro Jahr kostet das

Ehegattensplitting, fast zehn Mil-

liarden die beitragsfreie Kranken-

versicherung für nicht erwerbs-

tätige Ehepartner, als Zückerchen

für die Mütter kleiner Kinder, die

zu Hause bleiben, kommt ab Au-

gust noch mal etwa eine Milliarde

Betreuungsgeld dazu. Die Gesell-

schaft unterstützt Ehen, in denen

einer Karriere macht und der ande-

re daheim bleibt. Trotzdem hat die

Vollzeitmutter kein gutes Image

mehr. Und der Gesetzgeber hat das

Unterhaltsrecht so geändert, dass

im Fall einer Scheidung die Per-

spektive der Frauen ernüchternd

ist: ein Weiterleben auf hohem

Niveau, finanziert vom Exmann

bis zum Tode, ist längst nicht mehr

garantiert.

So wird auch hier die meist aus

vollem Herzen getroffene Ent-

scheidung der Frauen, zu Hause zu

bleiben, mit den Jahren oft brü-

chig. Je älter die Kinder werden,

desto mehr Zweifel stellen sich

ein. Als Vorbild für ihre Töchter

und Schwiegertöchter sehen sich

viele der Frauen nicht mehr.

Es ist kurz nach zehn Uhr an

einem Freitagvormittag. Wer

das Tor im Zaun vor dem

Backsteinhaus der Familie Com-

michau öffnet, den begrüßt der

Geruch von frisch gebackenem

Apfelkuchen und das Bellen von

Labrador Pontus. Wem da nicht

warm ums Herz wird, der hat

wohl keines. Friederike Commi-

chau, 49, lädt in die verglaste Log-

gia. Die Haushaltshilfe ist schon

da. Sie kommt jeden Tag für vier

Stunden, putzt, wäscht und

kocht. Friederike Commichau

sagt entschuldigend, sie wisse,

dass sie privilegiert sei.

Auf dem Tresen in der Küche

liegt der Familienplaner. Jeder

Tag hat sechs Spalten – fast alle

sind voll. Saxofon, Cello, Klavier,

Hockey, Hockey, Tennis steht da.

Elternabende, Urlaubswochen-

enden, Empfänge. Friederike

Commichau koordiniert das Le-

ben von zwei Erwachsenen und

vier Teenagern, ihre älteste Toch-

ter ist schon aus dem Haus.

Wie bezeichnet eine Frau wie

Friederike Commichau ihren Be-

ruf? Ihre Berufung?

„Sind Sie Familienmanage-

rin?“ – „Das ist kein passender

Begriff. Das Wort ist mit einer

Ökonomisierung verknüpft, die

ich, was eine Familie angeht, für

nicht angebracht halte.“

„Aber wie stellen Sie sich dann

vor?“ „Gar nicht. Ich sage: Wir

haben fünf Kinder, und ich bin zu

Hause. Ich habe keine Bezeich-

nung für mich.“

Stefanie Hempel, groß und

schlank, dunkles lockiges Haar,

eine Woche zuvor befragt, beant-

wortet die Frage ähnlich spitz.

„Sind Sie Hausfrau?“ – „Den Be-

griff finde ich unmöglich, da bin

ich geradezu sprachlos, dass eine

Bildungsgesellschaft wie die uns-

rige noch solche Begriffe kulti-

viert.“ Und auch sie sagt: „Ich

weiß, dass ich nicht kategorisier-

bar bin. Mich ärgert, dass die

Menschen den Zwang haben,

mich einzusortieren.“

In Formularen lässt Stefanie

Hempel die Spalte „Beruf“ frei. So

hat sie es bei dem Jagdschein ge-

handhabt, den sie gerade gemacht

hat. So wollte sie es auch bei der

Kandidatur für den Kirchenvor-

stand des Bezirks Nordelbe tun.

Aber die Kirchenleute waren damit

nicht zufrieden. „Welchen Beruf ha-

ben Sie denn jetzt?“, beharrten die.

„Zum Beispiel bewerbe ich mich

jetzt gerade für den Kirchenvor-

stand“, antwortete Stefanie Hem-

pel. „Ich mache ehrenamtliche

Sterbebegleitung und ein Musik-

projekt.“ Aber auch das passte

nicht ins Formular. Die Kategorien

der anderen könne sie an guten

Tagen als albern abtun, doch wenn

die, die sie liebt, an dieselbe emp-

findliche Stelle fassten, schmerze

es. „Gestern saß ich mit meinem

Sohn Johann da“, erzählt sie. „Da

sagte der plötzlich: Ach, Mami, du

arbeitest ja gar nicht. Das rutschte

ihm so raus. Im Grunde genom-

men wissen alle meine Kinder,

dass ich viel mache. Aber er sagte:

Du arbeitest gar nicht, und fragte

dann noch: Was warst du eigent-

lich mal?“ Das saß. Sofort begann

Stefanie Hempel das eigene Leben

zu verteidigen: „Das weißt du

doch“, sagte sie. „Ich war in der

Schifffahrt.“ Und: „Als ich Papi

kennengelernt habe, hab ich mehr

verdient als er.“ „Ja, ja, Mami, reg

dich nicht auf“, sagte Johann nur.

Kurz nach elf Uhr an einem

anderen Tag. Die Autos stau-

en sich in Blankenese. Frie-

derike Commichau steuert ihren

roten BMW Mini in den letzten

freien Parkplatz hinter dem

Supermarkt. Daneben ein Gelän-

dewagen, ein Porsche, ein Audi.

Es ist der Stau der einkaufenden

Damen. „Um diese Zeit machen

alle ihre Besorgungen“, sagt Frie-

derike Commichau. „Ich bin auch

jeden Vormittag hier.“ Sie greift

nach Hackfleisch, Sahne, Brot

und an der Kasse nach einer Re-

zeptzeitschrift mit Tipps für

Schweinemedaillons und Gebäck.

Die Frauen von Blankenese leben

in einem ähnlichen Rhythmus.

Friederike Commichaus Vormit-

tagstakt geht so: sieben Uhr auf-

stehen. Frühstück. Familie in den

Tag verabschieden. Ankunft der

Haushaltshilfe. Dann ein paar

Mails am Schreibtisch. „Rumtü-

deln“ nennt sie das. Mal geht es

um die Elternvertretung. Mal um

den Literaturzirkel der Kirchen-

gemeinde, den sie organisiert.

Danach einkaufen. Mit der Haus-

haltshilfe das Mittagessen bespre-

chen. Und dann kommen nach

und nach die Kinder. Und es be-

ginnt das, was sie ihre eigentliche

Aufgabe nennt. „Ich versuche,

den Kindern ein Lebenszentrum

zu schaffen. Vor allem als die

klein waren, hat mich das wahn-

sinnig erfüllt.“

Um zwei sind alle da. Außer

dem Vater natürlich. Friedrich

hat mit Kuli eine Sonne auf die

Nase gemalt und einen Freund

dabei, der gleich auch mit zum

Wir haben fünf Kinder, und ich bin zu Hause. Ich habe keine Bezeichnung für mich“Friederike Commichau

Deutschland 2

3 / 2 0 1 3 stern 105

Page 106: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

cher Frauen“ ergeben, sagt Hem-

pel. „Ständig meckern welche

an den Lehrern herum, an den

Sport vereinen und Musikschu-

len.“ Und dann ahmt sie den

lamentierenden Singsang nach,

von dem sie spricht: „Nathalie

war als Fünfte beim Klaviervor-

spiel dran und hatte damit eine

deutlich schlechtere Ausgangs-

position. Und Phillips Hockey-

mannschaft hat nur gegen die

Sportvereinigung Uhlenhorst ver-

loren, weil die Kinder dort mit

der S-Bahn hinmussten und es

geregnet hat, und dann hatten

die eine schlechtere Startposi-

tion.“ Sie stoppt und sagt: „Es ist

Menschen nicht vorzuwerfen,

dass sich mit dem Ändern des

Lebens auch Probleme ändern.

Aber man muss doch immer

noch so viel Würde und Abstand

wahren, um zu wissen, wo Leid

in der Welt ist und wo nicht.“

Stefanie Hempel und Friede-

rike Commichau haben wie

fast alle Frauen hier eine

Vergangenheit vor der Familien-

gründung, eine Ausbildung, die

in den meisten Fällen der ihrer

Männer in nichts nachsteht. Ste-

fanie Hempel hat Geschichte

studiert, dann als Schifffahrts-

kauffrau in Mombasa gearbeitet.

Friederike Commichau hat eine

Banklehre absolviert und ist exa-

minierte Juristin. Während des

Studiums in Würzburg lernte sie

ihren Mann kennen.

Ein paar Häuser weiter, in

einem alten Reederhaus im

Zentrum von Blankenese, lebt

Denise von Quistorp, 50, Mutter

dreier Kinder und eine enge

Freundin der anderen beiden

Frauen. Sie reicht Nussstollen,

auch in einer Loggia, diesmal mit

Blick über die Elbe. Ihr Mann ist

Unternehmensberater, zwischen-

durch arbeitete er als Fonds-

manager. Denise von Quistorp

will erzählen, wie eine Frau von

einem Leben ins andere gleitet.

Ihr Weg war besonders weit. Von

Quistorp, in grünem Wollpulli,

um den Hals ein Tuch, die Haare

zurückgebunden, den Rücken

gerade, wirkt streng. Auch sie

hat Jura studiert, dann ein Jahr

Tennis soll. Josephine und Anto-

nia reden vom Hockey. Catharina,

die Jüngste, lächelt still. Sie wolle

den Kindern einen Ort der Sicher-

heit und Ruhe bieten, hatte Frie-

derike Commichau gesagt. In Mo-

menten wie diesen genießen ihre

Kinder es sichtlich, dass hier im

Haus nicht alle immerzu arbeiten.

„Wie fändet ihr das eigentlich,

wenn ich auch berufstätig wäre?“,

fragt Friederike Commichau ihre

großen Töchter. „Bekloppt“, sa-

gen die. „Dann wäre hier alles

unorganisiert, und wir würden

bestimmt nur fernsehen.“ „Und

habt ihr eigentlich Freunde, de-

ren Väter nachmittags da sind?“,

fragt Commichau. Die Mädchen

grübeln lange. „Ja, eine Freun-

din“, sagen sie dann. „Aber deren

Mutter ist tot.“

Auf dem Tisch steht ein Kartof-

felauflauf mit Kürbis und Pilzen.

„Hmm“, sagt eines der Kinder

enttäuscht. Ein anderes mag kei-

ne Pilze, ein drittes keinen Kür-

bis. „Ich weiß, es gibt Mütter, die

je nach Geschmack der Kinder

mehrere Gerichte kochen“, sagt

Commichau, „so eine perfekte

Mutter bin ich nicht.“ Sätze wie

diese fallen häufig in den Gesprä-

chen mit den Frauen von Blanke-

nese. „Ich dekoriere selten.“ „Ich

koche ungern.“ „Ich bleibe mor-

gens auch mal länger liegen.“

Oder, das schlimmste Eingeständ-

nis: „Mein Kind ist in der Schule

kein Überflieger.“

„Ich habe zehn Punkte in der

Bio-Arbeit“, erzählt eine der Töch-

ter. Friederike Commichau atmet

auf. Am Morgen hatte eine Freun-

din sie gefragt: „Wie war denn Bio

für deine Tochter?“ Beide Mäd-

chen gehen zusammen in eine

Stufe. Commichau wusste nichts

von der Bio-Arbeit. „Ach, hat sie

dir das nicht erzählt?“, fragte

die andere Mutter spitz. Touché.

Erwischt. „Ich hab vier schul-

pflich tige Kinder mit jeweils acht

Fächern“, sagt Friederike Commi-

chau später, als müsse sie sich

erklären. „Ich habe einen Plan,

wo ich mir notiere, wer wann was

schreibt. Aber es belastet mich,

dass ich so viele Arbeiten und

Tests dann doch wieder vergesse.“

Eine Vier gelte bei den meisten

Müttern als nicht mehr akzepta-

bel. Sie kenne keine Mutter, die

ihre Kinder nicht pushen würde,

sagt Commichau. „Das wird von

der Schule auch so erwartet.“ Es

ist, als müssten herausragende

Leistungen der Kinder als Leis-

tungsnachweis für die Mütter

herhalten. Sie selbst finde diese

Notenfixierung grauenhaft, sagt

Friederike Commichau. „Ich bin

mit diesem Gefühl hier nicht der

Standard.“ Und inzwischen erzäh-

le sie es Freundinnen gar nicht

mehr, wenn ein Kind mal eine

schlechtere Note habe.

„Ich weiß genau, was Friede-

rike meint“, sagt Stefanie Hem-

pel. „Wir sind hier umgeben von

Black-Hawk-Müttern.“ Frauen, die

über ihrer Brut kreisen wie die

Helikopter der US-Army, bereit,

jedes Hindernis aus dem Weg

zu räumen. Man sei hier mit

Pseudo-Problemen konfrontiert,

die sich aus dem „Nichtstun man-

Man muss immer noch so viel Abstand und Würde wahren, um zu wissen, wo Leid in der Welt ist und wo nicht“ Stefanie Hempel

Stefanie Hempel tauscht sich mit ihrem Sohn Moritz aus. Sie liebt es, am Leben ihrer Kinder teilzunehmen (o.).Die 51-Jährige hat früher in der Schiff-fahrt gearbeitet. Jetzt engagiert sie sich karitativ (u.)

106 stern 3 / 2 0 1 3

Page 107: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

ein Forschungsstipendium in der

Schweiz absolviert, Europarecht

an einer Elite-Universität in Brüg-

ge gelernt. „Von da hat mich das

Außenministerium in Wien re-

krutiert“, sagt sie. Sie wird Diplo-

matin. „Ich wollte diesen Beruf,

und da hört man als Frau natür-

lich immer die Frage, wie man

sich das denn vorstellt.“ Sie lä-

chelt, als sie die junge Frau zi-

tiert, die sie einmal war: „Ich

habe immer gesagt: I will cross

the bridge when I reach it.“

Meint: Sie werde die Probleme

schon lösen, wenn sie dann da

seien. „Ich habe mir vorgestellt,

dass beides geht. Familie und die

Arbeit.“ Aber es ging nicht. Als

Kulturattachée in Washington

brachte sie das erste Kind zur

Welt. Sie beantragte beim öster-

reichischen Außenministerium,

sich die Stelle mit einer Kollegin

teilen zu dürfen. Diese Anfrage

wurde nicht einmal beantwortet.

Seit 18 Jahren ist Denise von

Quistorp vom diplomatischen

Dienst beurlaubt. Sie arbeitet eh-

renamtlich bei der Kirche, wo sie

das Akademieprogramm organi-

siert. „Ich habe nie darauf achten

müssen, dass ich damit auch

Geld verdiene. Und ich hatte

lange das Gefühl, das, was ich so

mache, zu Hause, mit den Kin-

dern, mit Freunden, mit Gästen,

mit der Arbeit in der Akademie,

im Haushalt, das ist mein Beitrag,

den ich leiste, und mein Mann

verdient das Geld, und zusam-

men ergibt das unser Leben.“

Und jetzt? „Ich wachse aus die-

sem Leben heraus“, sagt Denise

von Quistorp. Ihr Sohn ist gerade

volljährig geworden, Charlotte ist

16 und Henriette, die Jüngste, mit

ihren 13 Jahren auch schon ziem-

lich selbstständig. Die Fahrdiens-

te, die über Jahre Denise von

Quistorps Nachmittage blockier-

ten, sind seltener geworden. Sie

hat Zeit für sich.

Denise von Quistorp, die Diplo-

matin außer Dienst, sitzt nun

über Bewerbungen. Sie spricht,

noch etwas zaghaft, von einem

Jahr des Aufbruchs. Das Ziel hat

sie fest im Blick: „Ich sehe mich

die nächsten 15 Jahre arbeiten“,

sagt sie. „Mehr für mich und

gegen Geld.“ Und plötzlich seien

da ganz neue Fragen in ihrem

Kopf: „Wer kocht? Wer putzt? Wer

kommt zuerst? Und warum muss

bei einem Paar eigentlich über-

haupt einer zuerst kommen?“

„Bei uns war das klar“, sagt Ste-

fanie Hempel. „Das war ein Auto-

matismus, dass ich mich um die

Kinder kümmere. Er kann seine

Leistung im Unternehmen nur

darstellen, wenn er den Großteil

seines Lebens investiert.“

„Von dem Zeitpunkt an, an dem

ich wusste, dass wir zusammen-

leben würden, habe ich gleich ge-

dacht, dass ich meine Karriere der

meines Mannes unterordnen wür-

de“, sagt auch Friederike Commi-

chau. „Gab es Diskussionen, ob

man die Kinder gemeinsam be-

treut?“ „Gab es“, sagt Commi-

chau. „Aber das wollte mein Mann

nicht, und das wäre in seinem

Beruf kaum möglich gewesen.“

Er lenkt, sie folgt. Er macht die

Karriere, sie organisiert die Kin-

der. Über Jahrzehnte war das im

ganzen Land ein Lebensmodell,

das kaum jemand anzweifelte.

Und auch wenn Frauen wie die in

Blankenese selten zu Wort kom-

men: Sie sind noch immer zahl-

reich. Sechs Millionen Frauen im

erwerbsfähigen Alter sind nicht

berufstätig. Jede dritte Mutter

bleibt auf Dauer daheim.

In der Loggia von Friederike

Commichau tagt an diesem Mor-

gen ein Kreis, den sie im Spaß

„Tussenrunde“ nennt. Freundin-

nen, mit denen sie vor mehr als

17 Jahren eine Krabbelgruppe

gegründet hat. Die Kinder sind

fast erwachsen, aber die Mütter

treffen sich noch immer einmal

in der Woche zum Kaffee, um zu

reden. Die beiden Freundinnen,

auch Juristinnen, zwei Söhne die

eine, sieben Kinder die andere,

sind härter im Ton als die stets

verbindliche Friederike Commi-

chau. Sie empören sich über die

Frauen, die versuchen, trotz

Kindern zu arbeiten. „Die Nach-

mittagsbetreuung in der Grund-

schule ist nur Aufbewahrung“,

sagt eine. „Nicht das Niveau, das

man möchte“, sagt die andere.

„Die Hilfe, die ich zum Putzen

hatte, supersüß, Lehrerin aus

Polen, aber die macht jetzt die

Betreuung in der Grundschule.

Hat sie das jemals gelernt?“

Aber dann, als die Freundinnen

gegangen sind, ist da wieder die

ruhige, überlegte Friederike Com-

michau. Und sie sagt, sie fände es

nicht schlecht, wenn es eine gute

Ganztagsschule gäbe, eine hoch-

wertige Betreuung auch für die

kleinen Kinder. Auch weil sie an

ihre Töchter denkt, die nun lang-

sam erwachsen werden. Ihnen

wünscht sie eine andere Zukunft.

„Sie sollen sich nicht entscheiden

müssen. Ich hoffe, dass sie einen

Beruf erlernen und ausüben, der

sie befriedigt.“

Es ist ein Schwebezustand, der

in diesen schönen Häusern

zu erkennen ist. Da sind

Frauen, die ein Leben führen, von

dem sie nicht erwarten, dass es

in der nächsten Generation noch

möglich sein wird. Gleichzeitig

denken sie, dass ihre Arbeit zu

Hause unverzichtbar sei, weil

Kinder Zeit brauchen und weil,

wenn der Vater mal 60, mal 80

Stunden abwesend ist, eben der

andere diese Zeit haben muss.

Wie aber sollen die Töchter die-

sen Widerspruch auflösen? Wer-

den die Unternehmen und Kanz-

leien, in denen ihre Männer

arbeiten, begreifen, dass keiner,

der sich um Kinder sorgt, zwölf

Stunden am Tag außer Haus sein

kann?

Die Frauen von Blankenese er-

zählen: Wenn ein junger Anwalt

Erziehungsurlaub nehme, könne

der nicht Partner werden, weil es

dann heiße: „Die Kanzlei steht ja

bei Ihnen nicht an erster Stelle,

sondern Sie müssen ja auch noch

Ihr Privatleben organisieren.“

Und wenn in den großen Unter-

nehmen ein Vater auf Dauer Zeit

für seine Kinder frei halte, werde

auch der von der Karriereliste

gestrichen. Wie also mag die Zu-

kunft aussehen?

„Ich glaube, dass in der nächs-

ten Generation die Frauen ein-

fach auch so viel arbeiten werden

wie die Männer“, sagt Friederike

Commichau. Und fügt hinzu:

„Aber die Kinder, die fallen dann

vielleicht hinten runter.“ 2

Ich wachse aus diesem Leben heraus“Denise von Quistorp

Deutschland 2

3 / 2 0 1 3 stern 107

Page 108: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

FOT

OS

: M

AR

TIN

WA

GE

NH

AN

Bei Tempo 140 ist es vorbei

mit dem Vorwärtsdrang.

Trotz seiner 125 PS wird

der Ford Fiesta nicht mehr

schneller. Die Elektronik hat den

Drehzahlbegrenzer aktiviert; der

Gasfuß der 18-jährigen Roxane

Oswald tritt ins Leere – ausge-

rechnet als sie auf die Überhol-

spur wechselt. Die Stuttgarterin

verzieht leicht das Lenkrad und

flucht: „Ich glaube, es hackt.“

Gleichzeitig in den Rückspiegel

schauen, rausziehen und realisie-

ren, dass der Fiesta nicht mehr

beschleunigt – das ist zu viel für

sie. „Ich war total überrumpelt“,

sagt die Studentin nach dem

Schreck. Dabei hatte sie beim

Start auf dem Display des Audio-

systems gelesen, dass die Ge-

schwindigkeit elektronisch auf 140

Stundenkilometer begrenzt ist.

Das Sicherheitssystem Mykey

macht es möglich. Damit lässt

sich ein Zweitschlüssel des Ford

Fiesta speziell für Fahranfänger

programmieren. Ohne Aufpreis

gibt es Mykey seit Jahresanfang

ab der Ausstattungslinie Trend

(ab 12 170 Euro). Demnächst soll

das System auch in weiteren Mo-

dellen verfügbar sein.

Besorgten Eltern eröffnet der

programmierbare Schlüssel eini-

ge Möglichkeiten, dem automobi-

len Sturm und Drang ihrer Kinder

Einhalt zu gebieten: Sie kön-

nen die Geschwindigkeit bei 140

oder 160 Stundenkilometern ab-

riegeln. Oder einen Warnton ein-

stellen, der jedes Mal kurz ertönt,

wenn der Sprössling eine frei zwi-

schen 70 und 140 wählbare Ge-

schwindigkeitsgrenze überschrei-

tet. Auch die Musikanlage lässt

sich drosseln – um maximal 55

Prozent. Ist der Fahrer nicht

angeschnallt, bleibt das Gerät

sogar ganz stumm. Stattdessen

piepst der Gurtwarner unent-

wegt. Zudem sorgt der Schlüssel

dafür, dass die Assistenzsysteme

immer aktiv sind: ESP, Park Pilot

oder City-Bremsassistent lassen

sich nicht abschalten. Auch die

Warnlampe des Tanks leuchtet

früher.

Ford bietet damit elektronische

Hilfe für einen alten Generatio-

nenkonflikt. Bisher müssen Eltern

ihren Kindern schlicht vertrau-

en, wenn die mit dem frisch

erwor benen Führerschein das

Familienauto zur Disco fahren.

Die seit Jahren steigende Motor-

leistung selbst biederer Modelle

überfordert dabei immer wieder

junge Fahrer. Der programmier-

bare Autoschlüssel soll zumin-

dest gröbsten Unfug unterbin-

den. Peter Patzelt, in Europa

für Mykey verantwortlich, sagt:

„Teenager sind Experten darin,

sich im Auto in Schwierigkeiten

zu bringen.“

Die Verkehrsstatistik gibt ihm

recht. Laut TÜV Rheinland sind

sieben Jahre Erfahrung nötig, um

ein Auto souverän zu steuern.

Fahranfänger zwischen 18 und 24

sind überdurchschnittlich oft an

Unfällen beteiligt. Im Jahr 2011

starb alle zwölf Stunden ein jun-

ger Fahrer bei einem Pkw-Unfall,

und auffallend häufig sind die An-

fänger selbst am Crash schuld.

Der ADAC macht dafür eine Mi-

schung aus Unerfahrenheit und

Selbstüberschätzung verantwort-

lich. Alkoholkonsum, zu geringer

Abstand und Raserei sind häufige

Unfallursachen.

Eltern an BordMit einem speziellen Schlüssel können Ford-Kunden künftig ihre Kinder aus- bremsen. MYKEY soll Imponiergehabe und Raserei verhindern. Ein Test

Schlüsselerlebnis: Ein programmier-

barer Türöffner setzt jungen Ford-

Fahrern Grenzen

Diskussionsbedarf: Albert Ruff findet den

strengen Schlüssel gut, Stieftochter Roxane

Oswald äußerst ärgerlich

108 stern 3 / 2 0 1 3

2 Auto

Page 109: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

Diese Daten kennt auch Albert

Ruff, der Stiefvater von Testerin

Roxane. Ihm gefällt Mykey aus-

nehmend gut. „Ich würde Roxane

alles sofort einstellen“, sagt der

68-Jährige. Klar vertraue er ihr,

ein wenig Kontrolle schade je-

doch nicht. Denn Albert Ruff

weiß, wie sie fährt: Zwar durch-

aus souverän, Roxane schaltet

aber spät hoch und reizt starke

Motoren aus. Autos seien eben

ihre Leidenschaft. Sie selbst be-

zeichnet sich als „blechgeil“.

Folgerichtig ist die 18-Jährige von

dem Kontrollsystem wenig be-

geistert. Mykey könnte den Haus-

segen in Schieflage bringen: „Ich

würde meine Eltern erst mal aus-

lachen. Wäre solch ein Sperr-

schlüssel ihr Ernst, würde alles

eskalieren“, droht sie.

Für Le Duc-Viet ist die neue

Technik hingegen kein Grund,

sich aufzuregen. Der Stuttgarter

mit den vietname sischen Wur-

zeln findet den Zweitschlüssel

2

hilfreich – aber nur für die ersten

Monate nach der Fahrprüfung,

und die hat er schon hinter sich.

Le machte den Führerschein mit

17 und durfte zunächst nur in Be-

gleitung seiner Eltern fahren.

Zwei Jahre später ist er noch im-

mer unfallfrei. Den Familien-

BMW vertrauen seine Eltern ihm

deshalb unbesorgt an. Kein Wun-

der, bei seinem Fahrstil. Le Duc-

Viet fährt, wie er ist: ruhig und

entspannt und dazu noch sehr

vorausschauend. Mit dem Mykey

hat er trotzdem Probleme: Jedes

Mal wenn der 19-Jährige die

70-km/h-Marke überschreitet,

piepst der Fiesta kurz. Selbst nach

dem achten Mal tritt Le Duc-Viet

instinktiv auf die Bremse. „Ich

frage mich immer, ob etwas ka-

putt ist“, sagt er.

Das klingt wenig hilfreich.

Ohnehin hat das System Lücken.

Ampelrennen unterbindet es

nicht – bis Tempo 140 lässt sich

der Motor nach Herzenslust hoch-

jubeln. Zudem ist diese Ober-

grenze nicht an Tempolimits ge-

koppelt: Ob der Fahranfänger mit

140 km/h auf der Autobahn unter-

wegs ist oder über die Land-

straße brettert, registriert Mykey

nicht. Eine Verkehrsschilderken-

nung oder die Verbindung zu

einem Navigationsgerät fehlt.

Unterm Strich dürfte das Sys-

tem dennoch viele Eltern anspre-

chen – und Protest der Kinder

provozieren. Doch auch die könn-

ten einen Vorteil von dem limi-

tierenden Schlüssel haben. Der

Psychologe Cris Burgess, der das

System im Auftrag von Ford be-

urteilt hat, sagt: „Junge Fahrer

möchten vielleicht sicher fahren,

aber der Druck von Freunden

oder anderen Passagieren führt

mitunter zum Gegenteil.“ Macht

sich künftig jemand über den

zaghaften Fahrstil lustig, gibt es

endlich eine Ausrede: Der Schlüs-

sel ist schuld.

Florian Flaig

In den gehobenen Varianten des

neuen Ford Fiesta gehört Mykey zur

Serienausstattung

Page 110: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

FO

TO

: P

ET

ER

RIG

AU

D

„Mein Vater hat sich einfach genommen, was er wollte“Über Jahre hinweg hat der 1991 verstorbene Schauspieler Klaus Kinski seine TochterPOLA KINSKI missbraucht. Es dauerte lange, bis sie die Geschehnisse verarbeiten konnte. Erst jetzt, Jahrzehnte später, kann sie über ihren tyrannischen Vater, die Vergewaltigungenund seelischen Verletzungen sprechen. Zeugnis einer zerstörten Kindheit

Pola Kinski, 60, beim stern-Foto-Termin im Barockschloss Mannheim

Page 111: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

3 / 2 0 1 3 stern 111

Kultur 2

Page 112: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

112 stern 3 / 2 0 1 3

Page 113: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

FO

TO

: H

ER

BE

RT

FR

IED

Pola Kinski (Mitte) mit ihrem Vater,

ihrer Stiefmutter Ruth Brigitte Tocki

und ihrer Halb-schwester Nastassja

im Garten von Kinskis Schloss in

der Via Appia Antica in Rom, 1968

Page 114: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

Klaus Kinski, Venedig, 1986

114 stern 3/2013

Page 115: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

FO

TO

S:

FR

ÉD

ER

IC M

EY

LA

N/

SY

GM

A/

CO

RB

IS;

HO

WA

RD

VE

RN

ON

Pola Kinski als junge Frau,

undatiertes Privatfoto

Page 116: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

Pola Kinski als Kind, undatiertes

Privatfoto

Pola Kinski mit ihrer Tochter

Janina in den 70er Jahren

Klaus Kinski und die 15-jährige Pola

in Rom, 1967

Page 117: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

FOT

OS

: C

INE

TE

XT

; IN

TE

RFO

TO

Frau Kinski, was empfinden

Sie, wenn man Ihnen

sagt, dass Sie die Augen

Ihres Vaters haben?

Ich möchte nicht seine Augen

haben. Er schoss mit seinen

Augen Pfeile in die Welt. Aber

egal, wie er mich ansah, zärt-

lich, zornig, flehend, befehlend,

weinerlich oder kalt – ich

mochte seinen Blick nicht.

Ihr Vater Klaus Kinski hat Sie

14 Jahre lang sexuell miss-

braucht. Er begann damit, Sie

unziemlich zu berühren, als

Sie fünf waren, und vergewaltigte

Sie zum letzten Mal, als Sie 19

waren. Nun veröffentlichen Sie ein

Buch darüber. Wie war es, dieses

Buch zu schreiben?

Hart. Erst habe ich lange ge-

schwiegen. Weil er mir verboten

hatte, darüber zu sprechen. Das

Infame war, dass er einerseits

sagte, das sei ganz natürlich.

Überall auf der Welt würden

Väter das mit ihren Töchtern

machen. Nur in diesem spießigen

Deutschland sei das nicht nor-

mal. Da ich seine Zuwendung so

nötig gebraucht habe wie die Luft

zum Atmen, habe ich das in Kauf

genommen. Gleichzeitig hat er

aber gesagt, du darfst niemals mit

irgendjemandem darüber reden.

Und er hat es so eindringlich ge-

sagt, sonst komme er ins Gefäng-

nis, und mich dabei so ange-

starrt, mich so an den Schultern

gepackt. Ich wäre niemals auf die

Idee gekommen, mit jemandem

zu sprechen. Außerdem: Ich habe

es jedes Mal schnell wieder ver-

gessen. Verdrängt.

Sie konnten den Missbrauch

vergessen?

Wenn ich wegfuhr von ihm, war

es nicht mehr existent.

Wie konnten Sie das ausblenden?

Das habe ich nicht bewusst

gemacht. Das war einfach nicht

da. Es war zwar immer so ein

Gefühl, wenn ich zu ihm nach

Rom fuhr oder nach Madrid.

Oder wenn er mich abholte. Ein

Gefühl von Angst. Aber mir war

nicht bewusst, was das genau ist.

Ich habe mir nicht überlegt: Oh,

jetzt musst du wieder mit dem

ein Gefühl von Angst: Was

passiert gleich? Brüllt er jetzt

den Taxifahrer an? Schleudert er

jetzt im Restaurant wieder das

Besteck in den nächsten Teller?

Immer wieder hieß es: Kinski

provoziert all diese Skandale nur,

um PR für sich zu machen.

So habe ich es nicht empfunden.

Er war ja zu Hause auch so. Ich

kenne ihn gar nicht anders. Er

hatte manchmal auch kurze,

fröhliche Momente. Man konnte

mit ihm auch mal durchs Meer

tollen. Aber dann brauchte nur

wieder jemand zu lange zu uns

hinzugucken, oder wir warfen

die Haare falsch: Dann wurde

man sofort angebrüllt. Zu meiner

Mutter hat er einmal gesagt:

„Ich bin keine Sekunde in mei-

nem Leben glücklich.“

Warum haben Sie dieses Buch

geschrieben?

Ich musste so lange schweigen.

Aber als ich das letzte Mal bei

meinem Vater in Rom war, konn-

te ich es nicht mehr aushalten.

Sie waren damals 19. Er schickte

Sie los, um Kondome zu kaufen, für

Ihre eigene Vergewaltigung.

Danach bin ich Hals über Kopf

weggefahren, bin bei meiner

Mutter im Chiemgau zusammen-

gebrochen, habe ihr alles erzählt.

Ich kann Ihnen gar nicht be-

schreiben, wie der Zustand war,

als ich bei meiner Mutter ankam.

Direkt vor mir tat sich ein Ab-

grund auf. Ich hatte das Gefühl,

ich sterbe jede Sekunde. Ein Ge-

fühl, dass statt Blut eine giftige

Flüssigkeit durch meine Adern

fließt, jede Zelle meines Körpers

davon betroffen ist. Ich habe

alles meiner Mutter und meinem

Stiefvater erzählt. Später habe

ich es mithilfe anderer verarbei-

tet. Habe die Zusammenhänge

gelernt. Dass meine Ängste von

der Vergewaltigung kamen. Aber

ich hatte immer das Bedürfnis,

es aufzuschreiben. Schreiben ist

etwas Sinnliches. Anders als

rein intellektuelles Begreifen. Ich

wollte es genau beschreiben.

Warum haben Sie dieses Buch

gerade jetzt geschrieben?

Jetzt war der richtige Zeitpunkt.

Das hat sich mir aufgedrängt, das

zu schreiben. Nicht nur für

ins Bett. Darüber habe ich nicht

nachgedacht.

Warum brauchten Sie seine

Zuwendung so sehr?

Weil ich mich von meiner Mutter

nicht geliebt fühlte. Nach der

Trennung von meinem Vater

hatte meine Mutter wieder gehei-

ratet. Ich fühlte mich störend.

Liest man Ihr Buch, hat man den

Eindruck, dass die Zeit, bevor Ihre

Mutter ihren zweiten Mann traf,

so etwas wie das verlorene Paradies

Ihrer Kindheit war.

Ich habe meine Mutter ganz

viele Jahre gesucht. Ich habe sie

wahnsinnig geliebt. Wir hatten

Momente, in denen wir uns nahe

waren. Arm in Arm im Herbst

durch den Englischen Garten ge-

hen. Oder wenn ich ihr die Blät-

ter vom Mantel wegmachen durf-

te, wenn wir uns haben hinfallen

lassen. Es gab ganz wenige nahe

Momente. Aber ich kann mich

nicht an Zärtlichkeit erinnern.

Dann kam der neue Mann in das Le-

ben Ihrer Mutter. Sie waren zu viel.

Er hat mir meine Mutter

weggenommen. Wir mussten

umziehen. Ich musste von

meiner geliebten Freundin weg.

Neue Schule. Unfreundliche

Lehrerin. Neue Kinder. Ich durfte

nicht mehr zu ihr ins Bett. Muss-

te alleine im Zimmer schlafen.

Das war für mich hart. Als mein

Vater dann immer wieder kam,

dann auch so massiv in mein

Leben trat, hatte ich das Gefühl:

Jetzt habe ich selbst jemanden.

Jemanden für mich. Mein Papa

interessiert sich für mich. Jetzt

brauche ich all die anderen nicht

mehr.

Erinnern Sie sich an eine Zeit, wo

das Verhältnis zu Ihrem Vater

noch nicht durch Missbrauch und

Vergewaltigung geprägt war? Wo

es einfach nur schön war mit ihm?

Nein. Ich weiß nicht, ob es von

Anfang an durch Missbrauch

geprägt war. Jedenfalls nicht

durch sexuellen Missbrauch.

Missbraucht hat er eigentlich

alle Menschen. Er hat ja andere

Menschen nie respektiert.

Weder ihre Meinungen noch

ihre Ideen. Entspannt war es nie

mit meinem Vater. Auch nicht

die ersten Jahre. Es war immer ➔

„Er sagte, das sei ganz natürlich. Überall auf der Welt würden Väter das mit ihren Töchtern machen“

Pola Kinskis Mutter Gislinde Kühbeck in den 50er Jahren

Interview STEPHAN MAUS

3 / 2 0 1 3 stern 117

Kultur 2

Page 118: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

Aber wenn er seine Anfälle be-

kam, all dieses Exzentrische, das

empfand ich nicht als Schauspiel-

kunst. Ich kann mich noch an

einen Rezitationsabend erinnern,

als er einen Kerzenleuchter in

die Vorhänge geworfen und

herumgebrüllt hat, dass all diese

Kretins nach Hause gehen sollen.

All diese Kretins, die da husten.

Musste er zwanghaft andere

Menschen erniedrigen?

Ja. Er war voller Komplexe. Ein

unsicheres Würstchen. Er war

auch nicht sehr gebildet. Er hatte

bloß so ein ganz bestimmtes

Geschick, Leute für sich einzu-

nehmen. Im Small Talk den

Leuten das Gefühl zu geben, er

wüsste viel. Bei Interviews fuhr

er den Journalisten von Anfang

an über den Mund, um ihnen

die Möglichkeit zu nehmen,

unbequeme Fragen zu stellen. Er

konnte unglaublich gut bluffen.

Er war nicht besonders klug. Er

war einfach wahnsinnig intole-

rant und spießig. Wenn ich daran

denke, wie er vor uns kniete

und uns jeden Fussel vom Mantel

machte. Wie engstirnig er war

und keine anderen Menschen le-

ben ließ, niemanden akzeptierte.

Vor allem keine Männer.

Männer waren Kretins. Generell.

Was sind Ihre ersten Erinnerungen

an Ihren Vater?

Dass er mich immer abgeholt

hat. Vom Kindergarten. Da durfte

ich dann nicht mehr hingehen.

Der hat ihm nicht gefallen.

Da war ich drei, vier Jahre alt.

Da hat er mir immer Spielsachen

geschenkt.

Zu der Zeit war Ihr Vater noch der

große Zauberer, der Ihnen die Welt

zu Füßen legte.

Er war ein Magier. Aber kein

guter. Er war so übermächtig. Er

konnte alles. Er brachte mir Pup-

pen aus Afrika mit. Alle machten,

was er wollte. Er sagte immer:

„Ich kaufe dir alle Kleider der

Welt.“ Das hat mir gut gefallen.

Aber das gefällt wohl jedem Kind.

Komischerweise wollte ich die Sa-

chen dann nicht behalten. Wenn

ich von ihm wegfuhr, habe ich sie

verschenkt. Es war Hurenlohn.

Erinnern Sie sich an den Moment,

als er zum ersten Mal übergriffig

wurde? Wo Ihnen zum ersten Mal

irgendetwas komisch vorkam?

Das kam mir nicht nur komisch

vor, das war sofort massiv. Ich

glaube, dass er schon vorher

übergriffig war, weil er mich

immer mit offenem Mund

geküsst hat. Das war mir wider-

lich. Er hat mich auch immer

so umarmt. An sich gedrückt. Auf

eine Art, die mir unangenehm

war. Richtig greifbar wurde es

dann im Münchner Hotel „Vier

Jahreszeiten“. Er holte mich

aus dem Schwimmbad. Das war

dann massiv.

Das war das erste Mal, dass

er Sie vergewaltigte. Sie waren

damals neun und trugen Ihr

Kommunionkleid.

Die Idee mit dem Kommunion-

kleid kam nicht von ihm. Das

war einfach mein schönstes

Kleid. Deshalb hatte ich das an.

Nur war es für mich schon ent-

scheidend, was meine Schuldge-

fühle betrifft. Weil ich katholisch

erzogen worden bin. Deshalb

habe ich das Kleid dann später

auch zerstört.

Groteske Inszenierungen scheinen

Ihren Vater stimuliert zu haben.

So grotesk war Kinski gar nicht.

Er wird immer so dargestellt.

Es hieß ja auch, er habe in

einem Sarg geschlafen. Quatsch!

Er war bieder. Alles immer

ganz ordentlich und pieksauber.

Perfekt eingerichtet. Jeder Nagel

vergoldet. Als ich ihn durch-

schaut habe, später, empfand ich

ihn als spießig, intolerant und

menschenverachtend. Musste er

ja sein.

Hat er überhaupt je irgend-

jemanden respektiert?

Nein. Ich habe zwar manchmal

erlebt, dass er selbst Angst hatte.

Aber nur vor Menschen, die

ihn belangen konnten. Privat-

menschen zum Beispiel, von

denen er sich Geld geliehen

hatte, wie meine Tante oder

meine Nachhilfelehrerin, die ein

behindertes Kind hatte – die hat

er nie bezahlt. Die Menschen,

die ihn nicht belangen konnten,

haben ihn nicht interessiert. Er

war schon ein Schwein.

Nach der Vergewaltigung im Hotel

„Vier Jahreszeiten“ wollten Sie

mich, sondern auch für andere,

die Ähnliches erlebt haben. Wir

haben alle auf eine Weise lebens-

länglich. Auch wenn ich das sehr

gut verarbeitet habe und damit

leben kann, habe ich trotzdem

lebenslänglich. Jeder hat das.

Und ich konnte es auch nicht

mehr hören: „Dein Vater! Toll!

Genie! Ich habe ihn immer

gern gemocht!“ Ich habe immer

gesagt: „Ja, ja.“ Seit er tot ist,

wird diese Vergötterung immer

schlimmer.

Mussten Sie warten, bis Ihr Vater

gestorben war, um es überhaupt in

Worte fassen zu können?

Ja. Ich glaube, ich hätte immer

noch Angst vor ihm gehabt.

Nachdem ich mich nach meinem

Zusammenbruch meiner Mutter

und meinem Stiefvater anvertraut

hatte, hatte ich große Angst vor

ihm.

Hat Ihr Vater Sie geschlagen?

Der hat uns nicht geschlagen.

Obwohl ich als Kind davor auch

Angst hatte. Gegen die Wand

gehauen hat er mich schon. Er

hat auch immer gedroht: „Man

müsste euch alle gegen die Wand

werfen.“ Es war ein Gefängnis

ohne Gitter. Ich wäre nie auf die

Idee gekommen, ihn zu verraten.

Auf der Leinwand war Kinski oft

furchterregend. Konnte er Sie so

einschüchtern, weil er ein so guter

Schauspieler war?

Schauspieler? Als Schauspieler

hat er mich nie interessiert. Ich

habe mir kaum Filme von ihm

angeguckt. Und wenn ich ihn in

Filmen gesehen habe, fand ich

immer, dass er genau so ist wie

zu Hause. Ich empfand ihn wirk-

lich nicht als großen Schauspie-

ler. Er hatte eine Ausstrahlung,

eine Präsenz. Aber ich fand

nicht, dass er gespielt hat. Der

einzige Film, in dem ich ihn

gut finde, ist „Woyzeck“ von

Werner Herzog. Da spielt er die-

sen Soldaten unendlich zurück-

genommen. Fast schüchtern.

Das hat mir gefallen. Obwohl

er am Schluss auch ausrastet

und Marie umbringt. Vielleicht

steckte ja ein toller Schauspieler

in ihm. Vielleicht hätte er es

ausbauen können, wenn man

ihm andere Rollen gegeben hätte.

„Wenn ich ihn in Filmen gesehen habe, fand ich immer, dass er genau so ist wie zu Hause “

Ab 1953 zog Kinski mit Versen von François Villon und Arthur Rimbaud als „Ein-Mann-Wanderbühne“ durchs Land

2 Kultur

118 stern 3 / 2 0 1 3

Page 119: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

FOT

OS

: IN

TE

RFO

TO

; C

INE

TE

XT

einem Priester alles beichten. Aber

es ging nicht.

Ich bin hingelaufen. Wollte

es ihm erzählen. Das war der

einzige Mensch, dem ich es

erzählen wollte. Als er mir

dann gegenübersaß, hat sich

eine Tür verschlossen. Ich

konnte es nicht sagen.

Da haben Sie es begraben.

Ja. Ich hätte auch nicht gewusst,

wem ich mich hätte anvertrauen

sollen.

Nach der ersten Vergewaltigung

haben Sie Ihren Vater immer

wieder besuchen müssen. Und

jedes Mal war es die Hölle.

Einmal stand er vor meinem

Schreibtisch zu Hause in Mün-

chen. Als ich Hausaufgaben

machte.

Er holte Sie damals von München

nach Berlin, in seine Villa im Grune-

wald. Sie wussten, was Sie dort

erwartete. Diese Villa war wie das

Reich eines bösen Königs.

So sah sie auch aus. Wie ein

kleines Schlösschen. Ich war wie

ferngesteuert. Er stand plötzlich

in München vor meinem Schreib-

tisch. Er ging durch die Küchen-

tür wie eine Erscheinung, presste

meine Mutter und meinen Stief-

vater durch seine Präsenz und

seine Macht rechts und links an

den Türrahmen, ging auf mich

zu und sagte: „Du fährst mit nach

Berlin.“ Die protestierten über-

haupt nicht. Ich habe immer zu

meiner Mutter geguckt und

gedacht: „Mach doch etwas.“ Sie

tat nichts. Er hatte diese Macht,

mich einfach immer mitzuneh-

men. Im Flugzeug fiel mir dann

auf, dass ich gar nichts dabei-

hatte. Keine Jacke, keine Zahn-

bürste, nichts.

Ihr Vater war der allmächtige, böse

Zauberer.

Das war unheimlich. Als würde

ich gezogen. Es fragte mich kei-

ner, ob ich mit möchte. Er hat

mich auch nicht gefragt. Er hat

gesagt: „Du kommst jetzt mit.“

Wenn man das als Kind erlebt,

hat man das Gefühl: Der Vater ist

Gott. Er hat sich auch benom-

men wie ein Gott. Hat sich alles

genommen, was er wollte. Ist

über alles hinweggegangen. Hat

mich nicht mehr in die Schule

gelassen. Er hat sich über alles

hinweggesetzt. Auch darüber,

dass ich mich oft gewehrt habe

und gesagt habe: „Ich will nicht.“

Das war ihm egal. Er hat sich ein-

fach genommen, was er wollte.

Und hat Sie anschließend mit

Luxus überhäuft.

Das war diese Diskrepanz. Auf

der einen Seite mich zu miss-

brauchen. Zu vergewaltigen. Und

auf der anderen Seite wollte er

mich in die teuersten Internate

oder Mädchenpensionate schi-

cken. Er bat mich immer wieder,

ganz zu ihm zu ziehen. Ihm Tag

und Nacht ausgeliefert zu sein,

das wäre undenkbar für mich

gewesen. Bei meiner Mutter

konnte ich auch nicht mehr

leben. Da war auch kein Platz,

kein Zimmer, nichts für mich.

Dann bin ich lieber ins Internat.

Bestmögliche Ausbildung. Größ-

ter Luxus. Er leistete sich ein

kleines Sexualobjekt, das er auf

Seidenkissen bettete.

Wollte er sich mit all den Geschen-

ken von seiner Schuld freikaufen?

Nein, nein. Es hat ihm einfach

Spaß gemacht, einem schöne

Kleider zu kaufen. Er wollte ja

auch immer bestimmen,

was man anhat. Er hat immer

bestimmt, was ich trage.

Vom Schlüpfer bis zum Hut.

Zeigte Kinski Reue oder ein

schlechtes Gewissen wegen all der

Vergewaltigungen?

Nein. Aber ich habe mich damit

auch nicht beschäftigt. Weil ich

es so schnell wie möglich wieder

versenken wollte. Ich habe das

so in Kauf genommen wie eine

Notwendigkeit. Mein Leben fing

erst wieder an, wenn ich von

ihm weg war. Es war paradox:

Einerseits wollte ich da nicht

mehr hin. Andererseits wollte ich

zu ihm, weil er sich für mich

interessierte. Er hat mir zu ver-

stehen gegeben, dass es ganz

wunderbar ist, dass es mich gibt.

Er hat bei meiner Mutter fast

wie um meine Hand angehalten.

Die fehlende Geborgenheit in

München war der Nährboden für

die Gewalt, die Ihr Vater Ihnen

antun konnte.

Er erkannte diese Lücke sofort.

Er hat gemerkt, dass ich bedürftig

war nach Liebe. Das hat er

ausgenutzt. Er hat auch schnell

gemerkt, dass ich ihn nicht

verrate. Vielleicht wäre ich zu

meiner Mutter gegangen. Wenn

ich mich wirklich geliebt gefühlt

hätte, wäre ich zu ihr gegangen.

Ich habe ja Ansätze gemacht.

Habe ja gesagt: „Da fahre ich nie

mehr hin.“ Ich verstehe nicht,

wie sie später sagen konnte: „Ich

hab’s mir immer schon gedacht.“

Wenn ich bei einem meiner

Kinder nur den Schatten eines

Verdachts hätte, ich hätte rausge-

funden, was da ist. Das können

Sie mir glauben.

Auch die zweite Frau Ihres Vaters,

Ruth Brigitte Tocki, hätte Sie

schützen müssen. Ihr Vater hat Sie

jedes Mal missbraucht, wenn

Sie zu Besuch bei ihm, Tocki und

der kleinen Nastassja waren.

Brigitte hat davon nichts

gewusst. Der hat das so geheim

gemacht. Wenn sie in der Bade-

wanne war oder wenn sie

Nastassja ins Bett gebracht hat.

Aber sein ganzes Verhalten

war doch krank. In Paris ist er

mit Ihnen und Ihrer Stief-

mutter durch das Rotlichtviertel

Pigalle gegangen und hat Ihnen

Reizwäsche gekauft.

Ja. Uns allen.

Sie waren damals 13 Jahre alt.

Da hätte Ihre Stiefmutter doch

intervenieren müssen.

Ich glaube, die hat sich gesagt:

„Der ist halt einfach so.“ Ich glau-

be nicht, dass sie gedacht hat,

dass er mich missbraucht. Ich

glaube auch nicht, dass meine

Mutter das wirklich gedacht hat.

Sonst hätte sie ja einschreiten

müssen.

Sie zögern noch immer, Ihrer

Mutter Schuld zu geben.

Ich glaube, man war mich ein-

fach gerne los. Es war meiner

Mutter auch recht, dass mein Va-

ter sich so um mich gekümmert

hat. Er hat ja alles für mich über-

nommen. Für mich musste man

keinen Pfennig mehr bezahlen.

Vielleicht hat man deshalb nicht

so genau hingeschaut.

Wie haben Sie sich den fortwähren-

den Missbrauch als Kind erklärt?

Glaubten Sie, er sei besessen von

Ihnen? Oder einfach nur irre? ➔

„Er leistete sich ein kleines Sexualobjekt, das er auf Seidenkissen bettete“

Klaus Kinski mit zweiter Ehefrau Ruth Brigitte Tocki und Nastassja Kinski Mitte der 60er Jahre in Rom

3 / 2 0 1 3 stern 119

Page 120: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

FOT

O:

FR

IED

HE

LM

VO

N E

ST

OR

FF

Ich weiß es nicht. Er war einfach

ein Kinderschänder. Er hat auch

meine 15-jährige Freundin ins

Hotel ziehen wollen. Das habe

ich dann ja noch verhindert. Ich

weiß nicht, ob ich das als krank

bezeichnen soll. Auf jeden Fall

ist es ungeheuerlich.

Wie erklärt man sich das Ungeheu-

erliche als Kind? Haben Sie sich

gesagt: Papa ist in mich verliebt?

Ein Papa war das für mich nicht.

Er hatte nichts Liebes. Einmal

hatte ich Angst im Flugzeug, weil

es so lange über Paris kreiste. Da

habe ich bei ihm Hilfe gesucht.

Da hat er mich angeschrien: „Ich

habe selber Angst!“ Er war kein

liebevoller Mensch, der einem

Geborgenheit geben wollte.

Alles hatte immer nur mit ihm

zu tun.

Einmal versuchte auch Ihr

Großvater, sich Ihnen zu nähern.

Ein anderes Mal hat ein Tennis-

lehrer Sie vergewaltigt.

Da war ich schon 14. „Schon“ ist

gut. Der Tennislehrer war min-

destens Ende 20.

Auf einer Italienreise wurden Sie

auch beinahe vergewaltigt. Haben

Sie ein Verhalten ausgeprägt, das

Sie leichter zum Opfer machte?

Das habe ich später auch geglaubt.

Ich war auch schon so früh

sexualisiert. Man stellt sich nicht

in Italien zum Trampen an die

Autobahn, in Shorts, Bluse hoch-

geknotet. Aber solche Sachen

habe ich gemacht. Da war mir

nicht bewusst: Ich mache das

jetzt, um Männer anzumachen.

Ihr Vater hatte Sie erfolgreich

zum Sexualobjekt erzogen. Er hat

Sie immer so verführerisch wie

möglich eingekleidet.

Immer. Er hat mir all diese Klei-

der gekauft, immer kürzer, immer

kürzer, immer kürzer. Ich weiß

noch, ich kam da im Internat an

und hatte Kleider an, die waren

so kurz, dass ich mich nicht

rühren konnte. Mich wundert es,

dass er mich überhaupt so weg-

fahren ließ. Weil er auch noch so

wahnsinnig eifersüchtig war.

Mit 18 begannen Sie dann eine

Schauspielausbildung. Eigentlich

der denkbar schlechteste Beruf

für Sie. Sie mussten immer gegen

Ihren Vater anspielen.

Ich musste nicht gegen meinen

Vater anspielen. Allerdings war

das erste Stück, das ich gespielt

habe, ein hartes Stück.

Damals übernahmen Sie am

Hamburger Schauspielhaus die

Rolle der Gina in Lodewijk de

Boers Inzestdrama „The Family“.

Sie spielten ein Mädchen, das

verstummte, weil es von seinem

Vater vergewaltigt wurde.

Wie haben Sie das ausgehalten?

Jeden Tag wenn ich auf die

Bühne ging, habe ich gedacht,

ich sterbe. Und war dann wie

neu geboren, wenn das Stück

vorbei war. Dann bin ich zu

meiner Freundin gefahren,

die auch ein großes Schicksal

hatte, weil der Mann, den sie

geliebt hatte, gestorben war.

Erst da fing für mich das Leben

an: in dieser kleinen Wohnung

in Hamburg-Eppendorf. Gemüt-

lich ins Sofa kuscheln oder ins

Bett und Fernsehen gucken. Das

war für mich Leben. Schlimm

war es am nächsten Morgen,

wenn die Ängste wiederkamen.

Morgens, wenn ich aufwachte.

Dann war es immer am

schlimmsten.

Warum haben Sie dieses Stück

trotzdem weitergespielt?

Weiß nicht. Mein Lebenswille

hat mich am Laufen gehalten. Ich

lebe unheimlich gern. Trotz

allem, was ich erlebt habe. Ich

dachte immer: Da kommt noch

was anderes. Ist ja auch passiert.

Wenn es ganz schlimm wurde,

hatte ich immer das Gefühl: Ich

habe ja auch noch die Freiheit,

mich umzubringen.

Haben Sie versucht, sich

umzubringen?

Nein. Nie. Zerstören schon.

Inwiefern?

Ich habe geraucht wie ein

Schlot. 30 Zigaretten am Tag. Ich

bin kein Mensch, der sich was

Gutes tut. Dass ich mir überhaupt

einen Teller machen kann, in

dem was Schönes zu essen ist,

für mich ganz alleine, das kann

ich erst seit vielleicht 15 Jahren.

Haben Sie mit Ihrer Schwester

Nastassja Kinski über den Miss-

brauch gesprochen?

Nein. Nie. Auch nicht mit mei-

nem Bruder.

In seinen Memoiren hat Kinski

von Inzest geschrieben, hat auch

sonst immer den Gesetzlosen

gespielt. Hätte man ihn ernster

nehmen müssen? Trägt die Gesell-

schaft Mitschuld an dem, was er

Ihnen angetan hat?

Man hat ihn immer als irres

Genie bezeichnet. Ich glaube, er

konnte sich das erlauben, weil

er diesen Status hatte. So etwas

können sich ja überhaupt nur

Prominente erlauben. Jeder

Arbeiter würde viel schneller in

den Knast gehen. Damit hat er

mich immer bedroht. Hat gesagt,

wenn ich was sage, komme er in

den Knast. Und ich wollte nicht,

dass er in den Knast geht. Ich

weiß nicht: Auch Sie dämonisie-

ren Kinski. Sie sagen: „Hätte man

ihn ernster nehmen sollen?“ Der

war ein ganz banaler, normaler

Typ. Bis auf diese Geschichte

und einige andere, die auch nicht

normal sind.

Man sieht ihn eben immer

gleich ein ganzes Schiff durch

den Dschungel ziehen.

Alle sehen ihn wie einen Gott.

Aber er war ziemlich klein.

Wenn ich nicht selbst damals

noch kleiner gewesen wäre,

hätte ich das damals schon

erkannt. Aber als Kind erkennt

man das erst später.

Er hat alle tyrannisiert. Warum

fühlten sich so viele Frauen zu ihm

hingezogen?

Er hat Frauen immer auf den

Thron gehoben. Solange er sie

begehrt hat. Aber er konnte sie

genauso gut von einer Sekunde

zur anderen fallen lassen.

Zum Schluss war er dann mit einer

echten Kindfrau zusammen, dem

Model Minhoï Geneviève Loanic. Als

hätte er seine heimliche Obsession

endlich legitimieren wollen.

Der war immer mit solchen Frau-

en zusammen. Geneviève war ja

nicht die Einzige. Der hatte später

sogar noch 17-Jährige. Meine Mut-

ter war 19. Meine Stiefmutter Big-

gie war 19. Die dritte war 19. Die

waren alle 19 oder 20, als er sie

kennengelernt hat. Vielleicht hat-

te er Angst vor wirklichen Frauen.

Es waren immer Kindfrauen.

Denen konnte er was erzählen.

Die konnte er noch formen.

„Vielleicht hatte er Angst vor wirklichen Frauen. Er war immer mit Kindfrauen zusammen. Die konnte er formen“

Pola Kinski als Gina in Lodewijk de Boers Inzestdrama „The Family“, Deutsches Schauspiel-haus Hamburg, 1974

2 Kultur

120 stern 3 / 2 0 1 3

Page 121: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

Sie bekamen schon früh wichtige

Rollen bei guten Regisseuren.

Trotzdem haben Sie Ihre Karriere

abgebrochen. Warum?

Ich habe in diesem Beruf alles

abgesagt, weil ich die Geborgen-

heit mit meinem Mann und

meinen Kindern haben wollte.

Das war mein Leben. Nicht

große Erfolge.

Sie haben Ihre Karriere Ihrer

Familie geopfert.

Ich wollte mit dem ganzen

Beruf nichts mehr zu tun haben.

Immer diese Trennungen.

Ich wollte das nicht. Ich hatte

einfach Angst.

Ihr Vater hat Sie als Kind unterwor-

fen. Konnten Sie als erwachsene

Frau dann nicht mehr anders, als

sich Ihrem Mann zu unterwerfen?

Ich habe mich ihm nie unter-

worfen. Mein Mann ist jede

Woche zu mir nach Hamburg

gekommen, wo ich Theater

gespielt habe. Er wollte halt nur

nicht nach Hamburg ziehen.

Bald war für mich klar: Ich gehe

zu ihm nach Berlin. Ich wollte

auch mit dem Beruf gar nicht

mehr so viel zu tun haben. Das

hatte immer so viel mit meinem

Vater zu tun. Immer: der Vater

Kinski, der Vater Kinski. Aber

unterworfen? Nein. Ich habe

mich nie unterworfen. Im

Gegenteil: Ich kann schon ein

ziemlicher Tyrann sein.

Wann haben Sie Ihren Vater das

letzte Mal gesehen?

Telefoniert habe ich ja noch

oft mit ihm. Er wollte mich ja

abholen lassen mit dem Chauf-

feur. Alles, nachdem ich ihm

geschrieben habe, ich werde nie

wieder mit ihm auf diese Weise

verkehren. Dann hat er mich

noch einmal in die Wohnung

einer Freundin gelockt. Da hat

er gesagt: „T-Shirt hoch!“ Und

ich habe das gemacht. Wie fern-

gesteuert. Dann habe ich aber

gemerkt: „Oh, nein.“ Und habe

ein Taxi bestellt. Da war ich 20.

Dann habe ich ihn noch ein

letztes Mal in Paris gesehen. Mit

25. Da hat er dann zum ersten

Mal einen Mann gesehen, mit

dem ich zusammen war. Meinen

jetzigen Mann. Ich habe meinen

Vater beobachtet. Er war un-

sicher. Hat immer so zu meinem

Freund herübergeschielt. Ich

musste ihm ja immer verheim-

lichen, wenn ich einen Freund

hatte. Er hat mir immer gesagt,

ich dürfe nie mit irgendeinem

anderen Mann das machen, was

er mit mir mache.

Welches Gefühl dominiert, wenn

Sie heute an Ihren Vater denken?

Gar kein Gefühl. Eigentlich

nur Abscheu und Leere. Und ich

möchte jetzt noch etwas zu

meinen Augen sagen: Ich habe

nicht genau seine Augen. Ich

habe vielleicht etwas von seinen

Augen. Aber ich schaue nicht

wie er. Ich habe etwas Melan-

cholisches im Blick. Seine Augen

erinnern mich an Metall. 2

Pola Kinski: „Kindermund“, Suhrkamp, 267 Seiten, 19,95 Euro

Page 122: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

FOT

OS

: WIL

D B

UN

CH

; D

DP

/AP

PERSÖNLICH

Hip-Hop und Jazz-Zeitalter –

passt nicht so wirklich

zusammen. Dennoch wird

Jay-Z am Soundtrack zu Baz

Luhrmanns Neuverfilmung

von Fitz geralds Roman

„Der große Gatsby“, Titel-

rolle Leonardo DiCaprio,

mitarbeiten. Ob’s gut klingt,

hören wir ab 16. Mai, dann

startet der Film.

KINO

Seelen-massage Eine hörgeschädigte Sekretärin

und ein Ex-Knacki in romantisch

angehauchter Zweckgemeinschaft,

ein Schlägertyp, der Pianist

werden will, ein Kleinganove,

der im Gefängnis zum Drogen-

boss aufsteigt: Der französische

Regisseur und Autor Jacques

Audiard ist ein Genre-Jongleur,

der völlig konträre Figuren und

Settings zu großen menschlichen

Dramen zusammenfügt. In „Der

Geschmack von Rost und Knochen“

erzählt er nun die überwältigende

Liebesgeschichte zwischen einer

Wal-Trainerin, die durch einen

Unfall beide Beine verloren

hat (oscarverdächtig: Marion

Cotillard) und einem emotional

abgestumpften Boxer, der als

Vater eines kleinen Jungen völlig

überfordert ist. Ein brutales,

zärtliches und unsentimentales

Märchen um zwei zerschundene

Seelen, die sich gegenseitig

erlösen. Virtuos. 2 2 2 2 2

DVD

Es düstertEin Serienkiller metzelt sich

anno 1849 durch Baltimore.

Der wird inspiriert von den

gruseligen Geschichten Edgar

Allan Poes (John Cusack, links),

der seinerseits bei der Jagd

nach dem Täter hilft. Historisch

gesehen ist das natürlich Un-

sinn, doch als blutig finsterer

Kostüm-Thriller hat „The Raven“

durchaus seinen Reiz. Sollte

draußen aber dunkel sein. 2 2 2

KINO

Viel RauchEins kann man der Regisseurin

Margarethe von Trotta nicht

absprechen: ihr Bewusstsein für

Frauenschicksale und gewich-

tige Themen. Leider kommt das

im Fall von „Hannah Arendt“ so

schwerfällig und bieder daher

wie Schulfernsehen. Daran kann

auch ihre Lieblingsschauspie-

lerin Barbara Sukowa in der

Titelrolle der kettenrauchenden

Philosophin wenig ändern. 2 2

DVD

Frisch, ganz frischEine vorwitzige, blonde

Studentin (klasse: Greta Gerwig)

kämpft an ihrer Uni für mehr

Stil, bessere Körperpflege und

weniger Selbstmorde. Die smarte

Campus-Komödie „Algebra

in Love“ fühlt sich an wie ein

Film von Woody Allen nach

einer Frischzellenkur. Dabei ist

der Regisseur, der Amerikaner

Whit Stillman, auch schon

60 Jahre alt. 2 2 2 2 2

startet der Film.

Zwei Verlorene finden sich: Stephanie (Marion Cotillard) und Ali (Matthias Schoenaerts)

122 stern 3 / 2 0 1 3

S Kulturmagazin Film

2 2 2 2 2 Super 2 2 2 2 Gut 2 2 2 Solide 2 2 Schwach 2 Miserabel

Page 123: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

QU

EL

LE

: M

ED

IA C

ON

TR

OL

/R

EN

TR

AK

BESTSELLER DER WOCHE

Film

1. (1) Der Hobbit –Eine unerwartete ReiseDarsteller: Martin Freeman, Ian McKellen; Regie: Peter Jackson; Besucher: 677 024; gesamt: 5 421 383

2. (2) Life of Pi:Schiffbruch mit TigerDarsteller: Suraj Sharma, Irrfan Khan; Regie: Ang Lee; Besucher: 374 017; gesamt: 1 114 890

3. (–) Jack ReacherDarsteller: Tom Cruise, Rosamund Pike; Regie: Christopher McQuarrie; Besucher: 231 865

4. (3) Pitch PerfectBesucher: 171 960; gesamt: 823 487

Da soll noch mal einer sagen, die

Studienzeit sei die schönste Zeit im

Leben. Von wegen. Gerade auf dem

Campus hat man’s nicht leicht. Das

muss auch die unangepasste Neu-

studentin Beca lernen. Mit ihrem

Gesangstalent will sie eine musika-

lisch angestaubte A-cappella-Truppe

aufmischen. Das Ziel: ein Sieg im

nationalen Wettbewerb. Doch ihr

ungewöhnlich rebellischer Ton

kommt nicht gut an. Noch schwerer

als der aufmüpfige Freigeist hat es

allerdings der Zuschauer dieser

zuckrigen, pseudo-biestigen Teenie-

Komödie. Klischees reihen sich

hier ebenso aneinander wie die

geremixten Popstückchen, die

konkurrierende Barden mit „High-

school Musical“-Eifer vortragen.

Auch der verschwenderisch einge-

setzte politisch unkorrekte Humor

kann da nicht mehr helfen. Einziger

Silberstreif: Rebel Wilson als stimm-

gewaltige Fat Amy. Setzen, Fünf.

5. (4) Die VampirschwesternDarsteller: Marta Martin, Laura Antonia Roge; Regie: Wolfgang Groos; Besucher: 163 581; gesamt: 443 520

6. (6) SkyfallDarsteller: Daniel Craig, Javier Bardem; Regie: Sam Mendes; Bes.: 107 607; gesamt: 7 604 127

7. (7) Sammys Abenteuer 2Animation; Regie: Ben Stassen, Vincent Kesteloot; Besucher: 110 924; gesamt: 437 489

8. (9) Ralph reicht’sAnimation; Regie: Rich Moore; Besucher: 103 066; gesamt: 832 628

9. (5) Jesus liebt michDarsteller: Florian David Fitz, Jessica Schwarz; Regie: Florian David Fitz; Besucher: 96 365; gesamt: 516 036

10. (–) Silver LiningsDarsteller: Jennifer Lawrence, Bradley Cooper; Regie: David O. Russell; Besucher: 83 801

BESTSELLER DER WOCHE

DVD

1. (3) TedDarsteller: Mark Wahlberg, Mila Kunis; Regie: Seth MacFarlane

2. (2) Ziemlich beste FreundeDarsteller: François Cluzet, Omar Sy; Regie: Eric Toledano, Olivier Nakache

3. (1) Ice Age 4 – Voll verschobenAnimation; Regie: Steve Martino, Michael Thurmeier

4. (4) The Dark Knight RisesDarsteller: Christian Bale, Gary Oldman; Regie: Christopher Nolan

5. (6) PrometheusDarsteller: Noomi Rapace, Michael Fassbender; Regie: Ridley Scott

6. (8) Merida –Legende der HighlandsAnimation; Regie: Mark Andrews, Brenda Chapman, Steve Purcell

7. (9) Total RecallDarsteller: Colin Farrell, Kate Beckinsale; Regie: Len Wiseman

8. (7) The Big Bang Theory –5. StaffelTV-Serie mit Johnny Galecki, Jim Parsons

9. (15) Die Tribute von Panem –The Hunger Games

Die Weihnachts-

ferien sind rum, und

da sich in unseren

Charts wenig tut,

starten wir das neue

Jahr kurz entschlos-

sen mit einer kleinen

Medien-Diät. Will heißen: erst

einmal keine Serien mehr mit mehr

als drei Staffeln, keine Spielfilme

mit mehr als zwei Stunden Laufzeit.

„How I Met Your Mother“ (derzeit

sieben Staffeln), „Snow White & The

Huntsman“ (122 Minuten) und „The

Dark Knight Rises“ (158 Minuten)

fallen damit als zu schwer verdau-

lich unter den Tisch. Und auch die

sogenannten Hungerspiele dauern

rund 140 Minuten. Künstlerisch

notwendig? Kann sein. Kann aber

auch sein, dass diese Filmlängen für

schön viele Werbeblöcke in der spä-

teren TV-Ausstrahlung sorgen sollen.

10. (10) The Vampire Diaries –3. StaffelTV-Serie mit Nina Dobrev, Paul Wesley

11. (12) Safe – TodsicherD: Jason Statham, Catherine Chan; R: Boaz Yakin

12. (WE) Men in Black 3D: Will Smith, Josh Brolin; R: Barry Sonnenfeld

13. (WE) How I Met Your Mother –7. StaffelTV-Serie mit Josh Radnor, Jason Segel

14. (WE) Snow White &The HuntsmanDarsteller: Kristen Stewart, Charlize Theron; Regie: Rupert Sanders

15. (–) The WatchDarsteller: Ben Stiller, Vince Vaughn; Regie: Akiva Schaffer

2 2

Page 124: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

QU

EL

LE

: M

ED

IA C

ON

TR

OL

GF

K I

NT

ER

NA

TIO

NA

L G

MB

H

FOT

OS

: TIB

OR

BO

ZI/

CO

RB

IS; A

P

PERSÖNLICH

Die US-Soul-Legende

Bobby Womack, 68, der

mit Songs wie „Across

110th Street“ in den

70er Jahren weltberühmt

wurde, leidet an Alzheimer.

Er habe bereits Schwierig-

keiten, sich an manche

Songs zu erinnern, sagte

er jetzt in einem BBC-

Radiointerview. Er wolle

aber, solange es geht,

weiter Musik machen.

POP

Schön andersVielleicht wäre Rachel

Zeffira ohne dieses Missge-

schick ein großer Opern-

star geworden: Bevor sie

mit 17 in London ihr erstes

großes Konzert als Sopra-

nistin geben konnte, wurde

sie abgeschoben, weil

etwas mit ihren Papieren

nicht stimmte. „Ich wusste,

dadurch ändert sich alles“,

sagt die heute 29-jährige

Kanadierin. Nun hat sie ihr

Debütalbum „The Deser-

ters“ veröffentlicht und fast

alle Instrumente darauf –

Geige, Horn, Oboe, Klavier

– selbst eingespielt. Ein

wehmütiges, breit orches-

triertes Patchwork aus

Barockmusik und Pop, das

man in dieser Perfektion

selten gehört hat. 2 2 2 2

POP

Guter FreundWenn überhaupt,

kennen ihn die Leute

nur als „den jungen

Freund von Ina Mül-

ler“. Dabei ist der

31-jährige Johannes

Oerding ein bemer-

kenswerter Sänger

und Songwriter, wie

der geborene Müns-

teraner auf seinem

bereits dritten Album

„Für immer ab jetzt“

belegt. Beschwingter

Gitarren-Pop, der

viel von Liebe und

kleinen Fluchten

aus dem Alltagstrott

erzählt. 2 2 2 2

POP

RausgekitzeltHinter den jüngeren

Erfolgen des Salon-

Sängers Max Raabe

steht eine Frau.

Ex-Ideal-Frontfrau

Annette Humpe hat

Raabes neues Album

„Für Frauen ist

das kein Problem“

produziert und

kitzelt aus dem ge-

lernten Opernsänger

den Popstar heraus,

der sehr amüsant

Loriots alte Weisheit

besingt – Männer

und Frauen passen

einfach nicht

zusammen. 2 2 2

POP

Alles wie immerSeit 28 Jahren gilt die

amerikanische Band

Yo La Tengo als zuver-

lässiger Lieferant

eingängiger Gute-

Laune-Popsongs zwi-

schen Funk, Folk und

Streicherballaden.

Auch auf dem neuen

Album „Fade“ bleibt

das inzwischen

schon in die Jahre

gekommene Trio aus

New Jersey seinem

Erfolgsrezept treu

und klingt dabei so

frisch wie bei seinem

Debütwerk im Jahr

1986. 2 2 2 2

BESTSELLER DER WOCHE

CD

1. (2) Für einen Tag – LiveHelene Fischer2. (1) Mrs. GreenbirdMrs. Greenbird3. (4) Celebration DayLed Zeppelin 4. (8) Lichter der StadtUnheilig5. (7) Ballast der RepublikDie Toten Hosen6. (9) The Truth About LovePink7. (5) MusicDavid Garrett8. (12) UnapologeticRihanna9. (10) SeeedSeeed10. (14) RaopCro11. (WE) Born To DieLana Del Rey12. (WE) Bis ans Ende der WeltSantiano

„Wir brauchen

Rum, Rum,

Rum, sonst ver-

dursten wir.

Wir brauchen

Rum, Rum,

Rum, sonst ver-

dursten wir. Wir brauchen Rum,

Rum, Rum, sonst verdursten wir.“

Ja, ja, ist ja gut, wir haben es

verstanden, aber wer grölt uns da

eigentlich die Ohrmuscheln wund

und mürbe? Eine Hooligan-Boy-

group? Haben die Hells Angels jetzt

auf mehrstimmigen Männerchor

umgeschult? Oder ist das ein Exor-

zismus-Bootleg der Anonymen

Alkoholiker? Nein, Santiano, das

sind fünf Männer aus der Gegend

um Flensburg, die gerade sehr

erfolgreich dabei sind, ein uraltes

Musikgenre wiederzubeleben:

Seemannslieder zum Mitgrölen.

Damit begeisterten Santiano bereits

schunkelnde Volksmusikanhänger

in der Carmen-Nebel-Show genauso

wie Dosenbier saufende Fans auf

dem Heavy-Metal-Festival in Wacken

im vergangenen Jahr. Diese Hörer-

schaften hatten bisher wenig ge-

meinsam, eine solche Fan-Fusion

muss der Band erst einmal einer

nachmachen. Uns graut bloß davor,

was dieser Trend als Nächstes her-

vorbringen könnte: Tiroler Zither-

musik mit Death-Metal-Glasur?

13. (–) Our Version Of EventsEmeli Sande14. (–) The Hobbit: An UnexpectedJourneySoundtrack15. (6) Take The CrownRobbie Williams

124 stern 3 / 2 0 1 3

2 Kulturmagazin Musik

2

Page 125: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

FOT

OS

: C

OU

RT

ES

Y O

F M

IKE

KE

LL

EY

FO

UN

DA

TIO

N F

OR

TH

E A

RT

S;

PE

TE

R B

OE

TT

CH

ER

/K

RA

FT

WE

RK

/S

PR

ÜT

H M

AG

ER

S;

MK

G;

MA

RT

IN-G

RO

PIU

S-B

AU

/M

ICH

AE

L S

CH

MID

T;

DP

A

PERSÖNLICH

Martin Eder, 44, malt gern

flauschig-langhaarige

Katzen in Rosa und Weiß.

Allerdings sehen sie bei ihm

nicht niedlich und schmusig

aus, sondern starren hin-

terhältig und böse in die

Welt. Wer solche Bilder mag,

muss sehr tierlieb sein –

oder zynisch. Eder gehört

zur zweiten Kategorie: „Ich

hasse Katzen.“

AMSTERDAM

Ab in dieAbgründeVor einem Jahr schockier-

te Mike Kelley die Kunst-

welt mit seinem Freitod.

57 Jahre war er alt und

auf der Höhe seines Ruh-

mes. Die Ausstellung in

Amsterdam war da schon

geplant, nun ist sie seine

letzte. Wie kein anderer

blickte Kelley (links als

„Banana Man“, 1981)

ins Unterbewusstsein

der Amerikaner, in ihre

Träume und Albträume.

Schmuddelige Stofftiere,

fiese Parodien auf TV-

Sendungen, ordinäre

Western-Pornos – bei

Kelley fühlt man sich

immer wie ertappt. Ganz

große Kunst. Stedelijk

Museum Amsterdam,

bis 1. April 2013, danach

in Paris.

DÜSSELDORF

Mit großem FormatWenn Kraftwerk ein paar Konzer-

te ankündigt, wie gerade wieder

in Düsseldorf und London, dann

dauert es nur wenige Stunden,

bis sämtliche Karten ausverkauft

sind. Die Auftritte der 1970 ge-

gründeten Band sind nach wie

vor ein audiovisuelles Gesamt-

kunstwerk. Dass nur noch einer

der vier Musiker, Ralf Hütter, aus

der Originalbesetzung stammt,

stört kaum jemanden. Der Foto-

graf Peter Boettcher begleitet

die Band schon seit 20 Jahren.

Er zeigt nun 30 großformatige

Bilder der „Kraftwerk-Roboter“

und der Musiker backstage.

NRW-Forum, 12. bis 30. Januar.

BERLIN

Mahlzeit!Fünf Jahre lang fuhr Michael

Schmidt durch Europa und be-

obachtete, wie Lebensmittel

produziert werden. Er fotogra-

fierte in norwegischen Fischfar-

men, deutschen Großbäckereien,

spanischen Schlachtbetrieben

und italienischen Apfelsaftfirmen.

Wunderschön und ästhetisch

sehen seine Bilder aus. Aber wer

genau hinsieht, dem vergeht die

Lust am Essen, denn da gibt es

auch geschundene Erntearbeiter,

tote Tieraugen und ziemlich viele

Fliegen. Selbst die schöne Papri-

ka ist nur so makellos, weil sie

eine Giftdusche bekam. Martin-

Gropius-Bau, 12. Januar bis 1. April.

HAMBURG

Hübsch, oder?Was ist eigentlich Kitsch? So ge-

nau kann das keiner sagen; was

früher Wohnzimmer schmückte,

gilt heute als süßliche Zumutung.

„Als Kitsch noch Kunst war“ heißt

die Schau über den Farbdruck im

19. Jahrhundert. Da tummeln sich

Engelchen und niedliche Kinder.

Mal ehrlich: ist doch alles sehr

dekorativ. Museum für Kunst und

Gewerbe, 11. Januar bis 17. März.

3 / 2 0 1 3 stern 125

Kulturmagazin Kunst 2

Page 126: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

FOT

OS

: AR

TH

UR

PIN

S/

MC

PR

OD

UC

TIO

NS

/S

PL

ITT

ER

VE

RL

AG

; WR

ITE

R P

ICT

UR

ES

/FO

X T

EL

EV

ISIO

N

PERSÖNLICH

Thomas Pynchon, der un-

sichtbare König der

amerikanischen Gegen-

wartsliteratur (hier ein

Bild aus den „Simpsons“),

schreibt einen neuen

Roman: „The Bleeding Edge“

soll er heißen, was im

übertragenen Sinn so viel

wie „An vorderster Front“

bedeutet. Konsequent

verweigert Pynchon seit

Jahrzehnten Fotos und Inter-

views – mit dem Ergebnis,

dass die Leute tatsächlich

über seine Bücher reden.

COMIC

Bahn- brechendSie leben an einem der

schönsten Strände Frank-

reichs, doch ihr Alltag ist

die reinste Qual: Quadrat-

krabben können nicht

die Richtung ändern und

sind verdammt, stets der

gleichen Bahn zu folgen.

Bis sie sich an einer (R)evo-

lution versuchen und

damit gleich ein ganzes

Umweltsystem durcheinan-

derwirbeln. Mit seiner

hinreißend komischen

Graphic Novel „Marsch der

Krabben“ wagt der Bretone

Arthur de Pins eine mo-

derne Fabel, die gekonnt

zwischen sommerlich

heiter und ökologisch ernst

balanciert (Splitter-Verlag,

19,80 Euro). 2 2 2 2

THRILLER

Glorios verwobenMike ist stumm, jung

und nützlich. Denn

er kann, dank Talent

und manischem Büf-

feln, jedes Schloss öff-

nen. Steve Hamilton

erzählt in „Der Mann

aus dem Safe“ eine

Krimi-, eine Liebes-

und eine Coming-of-

Age-Geschichte,

glorios ineinander

verwoben, mal hart,

stets spannend,

oft komisch und auch

mal kurz romantisch,

jedoch nie über-

frachtet (Droemer,

16,99 Euro). 2 2 2 2

BRIEFWECHSEL

Fußnoten-ThrillerFußnoten, spannend

wie ein Roman,

überraschende Schlag-

lichter auf gleich

drei deutsche Mythen:

Suhrkamp, Verleger

Siegfried Unseld und

Peter Handke:

Der Briefwechsel zwi-

schen Patriarch

und Dichter ist ein

packendes Stück

Kulturgeschichte.

Nachrichten aus einer

Zeit, als sich Avant-

garde-Prosa noch zu

100 000 Exemplaren

verkaufte. (Suhrkamp,

39,95 Euro). 2 2 2 2 2

ROMAN

Bruce Willis nichtEin panischer Autor

ist wie ein angeschla-

gener Boxer: extrem

gefährlich. Tilman

Rammstedt versucht

hartnäckig, Bruce

Willis für eine Rolle in

seinem Roman „Die

Abenteuer meines ehe-

maligen Bankberaters“

zu gewinnen. Willis

mag nicht, aber

Rammstedt schreibt

ihn trotzdem rein ins

lustige Spiel mit

Realität, Irrsinn, Wider-

stand und absurder

Philosophie (Dumont,

18,99 Euro). 2 2 2 2

BESTSELLER DER WOCHE

Belletristik

1. (1) Der Hundertjährige, der ausdem Fenster stieg und verschwandJonas Jonasson (Carl’s Books)

2. (2) Er ist wieder daTimur Vermes (Eichborn)

3. (3) Gregs Tagebuch –Dumm gelaufen!Jeff Kinney (Baumhaus)

4. (WE) 80 Days – Die Farbeder LustVina Jackson (Carl’s Books)

5. (5) Böser WolfNele Neuhaus (Ullstein)

6. (10) Wir sind doch SchwesternAnne Gesthuysen (Kiepenheuer & Witsch)

7. (13) Der HobbitJ. R. R. Tolkien (Klett-Cotta)

8. (4) Winter der WeltKen Follett (Bastei Lübbe)

9. (–) Helden des Olymp –Der Sohn des NeptunRick Riordan (Carlsen)

Die römischen

Halbgötter Hazel

und Frank müs-

sen in die Eiswüs-

te von Alaska, um

Totengott Tha-

natos zu befreien.

Nur so kann die

Grenze zwischen

Tod und Leben wieder stabilisiert

werden. Wer nun meint, dieser Plot

sei an den Haaren herbeigezogen,

weiß nicht, wie’s unter Göttern zu-

geht, und sollte einfach mal die

Augen öffnen: Das Jahr ist erst ein

paar Tage alt, und im Olymp ist

schon wieder die Hölle los: Fußball-

gott van der Vaart watscht sein

Gespons ab, Boulevard-Göttin Wulff

legt Reihenhaus-Christian ab,

und Filmgott Depardieu wird Putins

Judo-Partner. Als Gegenleistung

sollte Putin jetzt aber Frankreich

mindestens Pussy Riot und Cho-

dorkowskij schenken. Nur so kann

das Gleichgewicht zwischen

Unfug und höherer Gerechtigkeit

wieder stabilisiert werden.

10. (11) Das Schicksal ist einmieser VerräterJohn Green (Hanser)

11. (6) Im Tal des FuchsesCharlotte Link (Blanvalet)

12. (WE) Gregs Tagebuch –Ich war’s nicht!Jeff Kinney (Baumhaus)

13. (WE) Gregs Tagebuch –Geht’s noch?Jeff Kinney (Baumhaus)

14. (–) 80 Days – Die Farbeder BegierdeVina Jackson (Carl’s Books)

15. (9) ÜbermanTommy Jaud (Scherz)

126 stern 3 / 2 0 1 3

2 Kulturmagazin Buch

2

Page 127: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

QU

EL

LE

: M

ED

IA C

ON

TR

OL

GF

K I

NT

ER

NA

TIO

NA

L G

MB

H

BESTSELLER DER WOCHE

Sachbücher

1. (1) 1913Florian Illies (Fischer)

2. (–) Fit ohne Geräte für FrauenJoshua Clark (Riva)

Jeder moderne

Mensch hat

es: das Helfer-

lein-Syndrom.

Wir leben in

einer Geräte-

welt. Greifen

gierig nach

jeder Mög-

lichkeit, unseren Alltag technisch

auf zumotzen, ohne auch nur den

kleinsten Zweifel am Sinn unseres

Tuns. Wie sonst wäre der Absatz von

elektrischen Zitruspressen, Nudel-

portionierern, Tomatenstrunkent-

fernern oder zeituhrgesteuerten

Teebeutelkränen zu erklären? Und

jetzt? Jetzt soll es plötzlich ganz

ohne gehen. Ohne Hantel, Laufband

oder Stepper zu straffen Armen,

schlanken Schenkeln, flachem

Bauch. Fit durch Fitnessübungen.

Einfach so. Aber nun kommt’s: Die

Methode nutzt das eigene Körper-

gewicht als Widerstand. Wenn man

so will, ist unser Body ja auch eine

Maschine. Und die erzeugt nach

dem Verzehr von Gänsekeulen und

Kipferln reichlich Widerstand.

3. (–) Weight Watchers fürBerufstätige(Weight Watchers Deutschland)

4. (7) Die Kunst des klarenDenkensRolf Dobelli (Hanser)

5. (WE) Fit ohne GeräteMark Lauren (Riva)

6. (2) Guinness WorldRecords 2013(Bibliographisches Institut)

7. (WE) myboshi –Mützen und mehrThomas Jaenisch, Felix Rohland (Frech)

8. (3) Bluff!Manfred Lütz (Droemer)

9. (10) Die Kunst des klugenHandelnsRolf Dobelli (Hanser)

10. (6) GreenboxTim Mälzer (Mosaik)

11. (–) Das Dukan Diät KochbuchPierre Dukan (Gräfe und Unzer)

12. (–) myboshi – MützenmacherThomas Jaenisch, Felix Rohland (Frech)

13. (13) Als Helmut Schmidteinmal …Jost Kaiser (Heyne)

14. (WE) Vegan for Fit. Die AttilaHildmann 30-Tage-ChallengeAttila Hildmann (Becker Joest Volk)

15. (8) Die Welt aus den FugenPeter Scholl-Latour (Propyläen)

BESTSELLER DER WOCHE

Taschenbücher

1. (1) Shades of Grey:Geheimes VerlangenE. L. James (Goldmann)

2. (3) Shades of Grey:Gefährliche LiebeE. L. James (Goldmann)

3. (2) Shades of Grey:Befreite LustE. L. James (Goldmann)

4. (5) MarinaCarlos Ruiz Zafón (Fischer)

5. (4) Wohin geht die Liebe, wennsie durch den Magen durch ist?Eckart von Hirschhausen (Rowohlt)

6. (14) Der MenschenmacherCody McFadyen (Bastei Lübbe)

7. (6) Die hellen TageZsuzsa Bánk (Fischer)

8. (9) Das Lächeln der FrauenNicolas Barreau (Piper)

9. (8) Eifel-BullenJacques Berndorf (KBV)

10. (10) TschickWolfgang Herrndorf (Rowohlt)

11. (–) Töchter der SündeIny Lorentz (Droemer/Knaur)

12. (7) Die LarveJo Nesbø (Ullstein)

13. (13) Der Mann, der keinMörder warMichael Hjorth, Hans Rosenfeldt (Rowohlt)

14. (–) Der kleine HobbitJohn R. R. Tolkien (DTV)

Es wundert uns,

dass Peter Jack-

son sich gezwun-

gen sah, aus

diesem kleinen

Büchlein gleich

drei abendfüllen-

de Filme zu ma-

chen. Den ersten

haben wir uns jetzt mal angesehen.

Wie mittlerweile auch fünf Mil-

lionen andere Zuschauer allein in

Deutschland. Es heißt, der erste

Hobbit-Film wird in Kürze weltweit

eine Milliarde Dollar eingespielt

haben. Und genau darum geht es

hier. Um Geld. Um viel Geld. Jetzt

sind wir nicht so naiv zu glauben,

dass es bei der Produktion von

Kinofilmen nicht immer auch um

Geld geht. Das ist auch okay. Aber

wie man hier eine kleine, feine

Geschichte mühsam streckt und

dehnt, um gleich dreimal abzusah-

nen, das ist dann doch etwas dreist.

Auch wenn man sich freut, Gandalf

und Co. wiederzusehen: Puh,

dieser Film hat echt Längen. Und

zwei kommen ja noch. Weniger

wäre hier eindeutig mehr gewesen.

15. (11) Nein! Ich geh nicht zumSeniorentreff!Virginia Ironside (Goldmann)

2 2

Page 128: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013
Page 129: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

FOT

O:

MA

RIO

TE

ST

INO

/AR

T P

AR

TN

ER

Die sanfte Gefahr

Er verstört, er verführt – und das alles aufreizend lässig. RYAN GOSLING ist schön, cool und ein wenig abgründig. Kein

Schauspieler ist in Hollywood derzeit so begehrt wie er

Ryan Gosling, 32. „Mama steht voll hinter meiner Arbeit“, sagt er

3 / 2 0 1 3 stern 129

Leute 2

Page 130: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

Schattenseiten: In Goslings Bubengesicht schlummert der Ausdruck eines Serienkillers gleich neben der friedlichen Miene des Frauenverstehers

130 stern 3 / 2 0 1 3

Page 131: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

FOT

O:

MA

RIO

TE

ST

INO

/AR

T P

AR

TN

ER

Es ist ziemlich leicht, Ryan

Gosling zum Weinen zu

bringen. Wenn man das

denn will. Schließlich hat

der Mann ein entzückendes Lä-

cheln und helle Augen von so

delikater blaugrüner Farbe, da

sollte besser nichts verwässert

werden. Und wenn er einen

anguckt aus diesen blaugrünen –

also genau genommen eher meer-

wassergrünen … wie Wellen an

einem sonnenwarmen Strand ...

seine Haare übrigens sandfar-

ben … mit Gold darin, und sie

stehen wie von allein ziemlich

frech über der Stirn … natürlich,

lässig oder das Werk eines Profi-

coiffeurs … ist er eitel? Ist er ko-

kett? Weiß er, dass er auf erwach-

sene Frauen eine ähnliche Wir-

kung hat wie die Lammköpfe der

britischen Boygroup One Direc-

tion auf Zehnjährige? Ist er der

routinierteste Frauenumleger,

den Hollywood in Dekaden her-

vorgebracht hat, oder legen die

sich nur hin, weil kaum ein ande-

rer Mann so gefühlig über die

Grausamkeit des Hühnerschlach-

tens und die Vorzüge von ge-

dämpftem Couscous reden kann?

„Hören Sie auf“, sagt also Ryan

Gosling mit erstickter Stimme.

„Mir kommen die Tränen.“

Dabei haben wir nur über sei-

nen Hund gesprochen. Mischling

George ist, wie Gosling scherzt,

von der Rasse Muppet, schlamm-

farben und knickohrig, und stolze

13 Jahre alt. Er hat seinen Besitzer

an Dutzende Drehorte begleitet

und manchmal sogar in Talk-

shows, wo das Herrchen über

aktuelle Filme plauderte und

nebenbei Apfelschnitze ans Tier

verfütterte.

Manche „Lebensgefährtin“ sah

der Hund schon ein- und wieder

ausziehen: Denn während Schau-

spielerinnen von Sandra Bullock

über Rachel McAdams bis hin zu

„Gossip Girl“ Blake Lively und

„House“-Ärztin Olivia Wilde oft

nur wenige Monate an Goslings

Seite weilten, schnarcht George

zuverlässig jede Nacht am Fuß-

ende. George ist Goslings bes- ➔

Von CHRISTINE KRUTTSCHNITT

3 / 2 0 1 3 stern 131

Leute 2

Page 132: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

ter Freund, und der Gedanke,

dass sein Körbchen eines nicht zu

fernen Tages kalt bleibt, lässt den

32-Jährigen hart schlucken.

Mit Tieren kriegt man ihn so-

wieso. Eifrig unterstützt er die

Tierrechtsorganisation Peta und

ermahnt in Briefen schon mal

Massenküchen wie McDonald’s,

sie möchten doch bitte über

die Herstellung ihrer McNuggets

nachdenken, für die das Federvieh

auf unnötig barbarische Weise ge-

tötet werde („Was sagen Sie zu

Ihrer Entschuldigung?“). Und es

sei letztlich eine erfrorene Katze

gewesen, sagt der in Ontario ge-

borene Kanadier, die ihm Kalifor-

nien als Zukunft schmackhaft ge-

macht habe. Das arme Tier habe

er morgens auf dem Weg zum

Unterricht gesichtet, und weil

ihm die Kälte fast so zuwider war

wie die Schule, schmiss er mit 17

hin, ging nach Los Angeles und

konzentrierte sich ganz auf die

Schauspielerei.

Gelernt hat er diesen Job nie.

Aber eigentlich kam nichts an-

deres infrage für ihn. Schon als

kleiner Junge sang er mit seiner

älteren Schwester auf Hochzeiten

und trat in der Elvis-Presley-Büh-

nenshow seines Onkels auf. Mit

zwölf wurde er bei einem Talent-

wettbewerb in Montreal entdeckt

und tanzte und trällerte für zwei

Jahre im „Mickey Mouse Club“,

jener legendären US-Unterhal-

tungssendung, die Showstars wie

Britney Spears, Christina Aguile-

ra und Justin Timberlake geboren

hat.

Aber bis zum Durchbruch dau-

erte es noch. Gosling lernte in Los

Angeles einen kanadischen Agen-

ten kennen, der ihm verschie-

dene TV-Rollen besorgte. Schließ-

lich fiel der hochgewachsene

Blonde Filmschaffenden und Kri-

tikern auf und wurde für erste

Leinwandauftritte gebucht.

Als seine Mutter, eine Lehre-

rin, die den als schwierig

und zappelig geltenden

Sohn zeitweise zu Hause unter-

richtet hatte, ihren Ryan 2001 in

dem Kino-Drama „The Believer –

Inside a Skinhead“ als Neonazi

sah, war sie so schockiert von der

Intensität seiner Darstellung, dass

sie sich erschüttert auf der Toi-

lette einschloss. Er musste eine

Stunde lang auf sie einreden und

beteuern, dass er den Fiesling ja

nur spiele, ehe sie wieder raus-

kam. Später, erzählt er vergnügt,

zuckte sie mit keiner Wimper, als

er eine aufblasbare Sexpuppe mit

nach Hause brachte – Vorberei-

tung auf seine Tragikomödie „Lars

und die Frauen“. „Mama steht

voll hinter meiner Arbeit“, sagt er

heute zufrieden.

Immerhin war Gosling, der

Schulaussteiger, schon für den

Oscar nominiert (in „Half Nel-

son“ spielte er einen drogensüch-

tigen Lehrer) und avancierte zum

„Sexsymbol der klugen Frauen“;

es gibt Schlimmeres. Seine Kuss-

szene mit Rachel McAdams in

der Schnulze „Wie ein einziger

Tag“ gilt bereits als „Klassiker“,

jedenfalls für die Youtube-Gene-

ration, und seit der Komödie

„Crazy, Stupid, Love“ weiß die

Welt, dass Gosling nicht nur

einen Eins-a-Körper hat, sondern

den auch schön anziehen kann.

Schlappte er früher in Jeans und

Sweatshirts durch die Gegend, so

trägt er neuerdings messerscharf

geschnittene Anzüge. Und galt er

bislang als Meister des verstörten

Antiheldentums, so scheint er

sich jetzt mit dem Image zu ver-

söhnen, das Hollywood für gut

aussehende junge Männer mit

Killercharme bereithält: positiv.

Siegreich. Und am Schluss gibt’s

das Girl.

Dabei ist Gosling kein aalglat-

ter Beau; in seinem Bubengesicht

schlummert der Ausdruck eines

Serienkillers gleich neben der

friedlichen Miene des Frauen-

verstehers – er bringt den Ladys

Frühstück ans Bett, aber viel-

leicht erstickt er sie danach mit

dem Plumeau. Im wahren Leben

verströmt er selbstsichere Lässig-

keit und offeriert ein schnelles,

offenes Lächeln, das nur zu-

schnappt, wenn man in seinem

Privatleben herumstöbert.

Seit mehr als einem Jahr ist

er mit der Latina-Beauty Eva

Mendes zusammen, seine Film-

partnerin im Krimi-Drama „The

Place beyond the Pines“, das am

20. Juni bei uns startet. Hand in

Hand sieht man das Paar durch

Manhattan schlendern, neulich

besuchten sie ein Broadway-Stück,

Henry James. Zieht es ihn auch

auf die Bühne? „Nein, das ist nur

was für richtige Schauspieler“,

sagt er und lacht.

Im Actiondrama „Gangster

Squad“ – vom 24. Januar an in

den deutschen Kinos – bekämpft

er als schnittiger 40er-Jahre-Cop

den von Sean Penn gespielten

Mob-Boss Mickey Cohen in Los

Angeles; der Film ist eher eine

Hommage an die Westküstenme-

tropole von Raymond Chandler

und Humphrey Bogart als ein

eigenständiges Historiendrama.

Und statt Interesse am Schicksal

der „Squad“ zu wecken, erweist

sich das Ganze als Vitrine für Ry-

an-Gosling-Fans: Ihr Held wird

liebevoll ausgestellt, hat die bes-

ten Großaufnahmen, die coolsten

Sprüche, und das schönste Mäd-

chen kriegt er auch.

Er sei gern in Los Angeles, sagt

Gosling, der seit drei Jahren

eine Wohnung in New York

hat. Die Unwirklichkeit des Da-

seins dort fasziniere ihn: Man sei

den ganzen Tag im Auto, ein be-

ständiger Sog der Bewegung, und

doch komme man niemals richtig

an. So hat er sich im Stadtteil

Beverly Hills einen gemütlichen

kleinen Landeplatz eingerichtet:

ein marokkanisches Restaurant,

in dem auf den Tisch kommt,

„was ich jeden Tag essen könnte“.

Hummus, Lammkeulen, rote Bete

– die der Financier zur Enttäu-

schung seiner weiblichen Gäste

allerdings nur selten in ihrer Mit-

te einnimmt.

Keine Zeit: Er ist wie die Stadt,

immer in Bewegung. In diesem

Frühjahr will der Schauspieler,

der 2013 gleich drei neue Filme

in die Kinos bringt, zum ersten

Mal selbst Regie führen. Kaum

jemand ist derzeit so begehrt in

Hollywood: Gosling spricht Män-

ner wie Frauen an, kann tough

sein wie ein Actionheld („Drive“)

und verletzlich wie James Dean.

Eigentlich kann er machen, was

er will, kein Grund zu heulen.

Vielleicht bekommt sogar

George auf seine alten Tage ein

dauerhaftes Frauchen. Als Gos-

ling neulich in Übersee arbeite-

te, wurde sein Kumpel jeden-

falls zu Hause in Los Angeles von

Eva Mendes ausgeführt. Einen

größeren Liebesbeweis kann ein

Hunde besitzer einer Frau eigent-

lich nicht machen. 2

Perfekt geschnitten: Gosling als smarter Sergeant Jerry

Wooters in „Gangster Squad“

132 stern 3 / 2 0 1 3

2 Leute

Page 133: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013
Page 134: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013

FOT

OS

: E

NN

O K

AP

ITZ

A;

CA

RLO

FE

RR

AR

O/

DP

A

ZUR PERSON

Martina Ertl, 1973 geboren,

wuchs auf dem Hof der

Eltern in Lenggries auf. Mit

sechs Jahren nahm sie

an ersten Kinderskirennen

teil. Nach der Schule

absolvierte sie beim Grenz-

schutz eine Ausbildung

zur Polizistin. Von 1991 bis

2006 zählte Ertl zu den

besten Skirennläuferinnen

der Welt. Sie gewann unter

anderem drei olympische

Medaillen, wurde zweimal

Weltmeisterin und war

14-mal Deutsche Meisterin.

Seit 2005 ist sie mit dem

Innenarchitekten und frühe-

ren Bundesligatriathleten

Sven Renz, 37, verheiratet.

Mit ihren beiden Kindern

leben sie in Lenggries.

V iele Profisportler klagen

über wachsenden Leis-

tungsdruck. Sind Sie froh

darüber, keine Rennen mehr

fahren zu müssen?

Ja, das ist schon sehr angenehm.

Ich hatte eine unglaublich tolle

Zeit. Trotzdem war ich früher vor

jedem Rennen nervös, ange-

spannt und hatte ein Kribbeln im

Bauch. Das ist im Laufe der

Jahre auch nicht besser geworden.

So gar nicht wehmütig?

Nein. Nach 15 Jahren Skiwelt-

cup habe ich mich auf den neuen

Lebensabschnitt gefreut. Ich

wollte endlich eine Familie haben,

mehr Zeit mit meinem Mann

verbringen, ein Haus bauen.

Was machen Sie heute beruflich?

Mehrmals im Jahr bin ich als TV-

Kommentatorin unterwegs. An

zwei Tagen in der Woche arbeite

ich in unserem Sportgeschäft in

München; wir fertigen unter ande-

rem Skischuhe individuell an.

Stehen die Kunden Schlange, um

von Ihnen bedient zu werden?

Nein. Viele sind ein bisschen

schüchtern und dann erstaunt,

wenn sie merken, dass

ich ganz bodenständig bin.

Gehen Sie noch oft Ski fahren?

Letztes Jahr war ich fast nur mit

den Kindern unterwegs, aber die-

sen Winter will ich mindestens

ein-, zweimal in der Woche los.

Zum Glück ist der nächste Lift

nur zwei Minuten von unserem

Haus entfernt. Wenn die Kleinen

im Kindergarten sind, kann man

schnell ein paar Fahrten machen.

Können Sie überhaupt eine blaue

Piste gemütlich herunterkurven?

Natürlich fahre ich mit den

Kindern gemütlich. Wenn ich

alleine unterwegs bin, dann

aber lieber sportlich und schnell.

Romy und Luis sind fünf und drei.

Da werden Sie im Kindergarten

doch bestimmt gebeten, beim Ski-

kurs mitzuhelfen.

Ja, mache ich auch gerne.

Meistens soll ich den Kleinen

aber nur beim Aussteigen aus

dem Lift helfen oder mit ihnen

aufs Klo gehen.

Haben Sie Ihren Kindern das

Skifahren beigebracht?

Ja. Luis wollte es schon mit

eineinhalb Jahren lernen, als er

seine große Schwester beim

Skifahren gesehen hat. Eigentlich

viel zu früh. Aber er hat so

lange gebrüllt, bis wir ihm auch

Ski gekauft haben. Mittler-

weile fahren beide schon recht

gut, Romy ist auch im Skiklub.

Ihr Tipp an ehrgeizige Eltern, deren

Kinder das Talent zum Profi haben?

Machen Sie zu Hause keinen

Druck! Kritisieren Sie Ihre Kin-

der nach einem schlechten

Rennen nicht, sondern bauen Sie

sie auf. So hat das meine Mutter

bei mir gemacht. Das hat mir viel

Kraft und Energie gegeben.

Viele ehemalige Leistungssportler

haben später das Gefühl, in ihrer

Jugend etwas versäumt zu haben.

Sie auch?

Nein. Ich bin im Sommer auch

ab und zu ganz gern weg -

ge gangen, habe mit Freunden

Partys gefeiert.

Trotzdem hat man Sie nie groß in

der Klatschpresse gesehen. Hätten

Sie denn nicht gern manchmal so

im Rampenlicht gestanden wie Ihre

Kollegin Maria Höfl-Riesch?

Nein, das wäre nichts für mich.

Wenn ich während meiner

aktiven Zeit freihatte, habe ich

mich lieber mit Freunden

getroffen. Auf glamouröse Events

zu gehen – das wäre mir viel

zu stressig gewesen.

Interview: Sabine Hoffmann2

Was macht eigentlich Martina Ertl?Die gelernte Polizistin aus dem bayerischen Lenggries zählte 15 Jahre lang zu den besten SKIRENNLÄUFERINNEN der Welt

Martina Ertl-Renz, 39, mit ihrem Mann Sven, Sohn Luis, 3, und der fünfjährigen Romy am „Draxlhang“ in Wegscheid

Dynamisch: Martina Ertl im Dezember 2000 beim Weltcup-Riesen- slalom im italienischen Sestriere

134 stern 3 / 2 0 1 3

2 Leute

Page 135: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013
Page 136: Stern Nr. 3 - 10 Januar 2013