Süden und die verschwundene Mörderin11191496/property=download/nid=8986864/1pexxut/swr2... · in...

25
SÜDWESTRUNDFUNK SWR2 Tandem aktualisierte Fassung vom: 18.3.13 AutorIn: Friedrich Ani RedakteurIn: Katrin Zipse Regie: Ulrich Lampen Süden und die verschwundene Mörderin Ein Tabor-Süden-Hörspiel Studiobelegung: 4.+5. und 8.-11.4.2013; BAD Studio 7; 9.00-16.45 Sendung am: 30.4.2013 in SWR2 Tandem um 19.20 Uhr Sprecher/Rollen: Tabor Süden, Anfang 50 Klaus Spürkel Detektiv Edith Liebergesell, Mitte 40 Chefin der Detektei Nadine Falkner, 47 Pächterin einer Tankstelle Paul Eberl, 40, Kfz-Mechaniker Diese Kopie wird nur zur rein persönlichen Information überlassen. Jede Form der Vervielfältigung oder Verwertung bedarf der ausdrücklichen vorherigen Genehmigung des Urhebers. © by the author Dokument3

Transcript of Süden und die verschwundene Mörderin11191496/property=download/nid=8986864/1pexxut/swr2... · in...

SÜDWESTRUNDFUNK

SWR2 Tandem

aktualisierte Fassung vom:

18.3.13

AutorIn: Friedrich Ani

RedakteurIn: Katrin Zipse

Regie: Ulrich Lampen

Süden und die verschwundene Mörderin

Ein Tabor-Süden-Hörspiel

Studiobelegung:

4.+5. und 8.-11.4.2013; BAD Studio 7; 9.00-16.45

Sendung am: 30.4.2013 in SWR2 Tandem um 19.20 Uhr

Sprecher/Rollen: Tabor Süden, Anfang 50 Klaus Spürkel

Detektiv

Edith Liebergesell, Mitte 40

Chefin der Detektei

Nadine Falkner, 47

Pächterin einer Tankstelle

Paul Eberl, 40, Kfz-Mechaniker

Diese Kopie wird nur zur rein persönlichen Information überlassen. Jede Form der Vervielfältigung oder Verwertung bedarf der ausdrücklichen vorherigen Genehmigung des Urhebers. © by the author

Dokument3

2

1. Vorspann

Das Klingeln eines Telefons.

1EDITH LIEBERGESELL (ins Telefon)

Detektei Liebergesell.

2NADINE FALKNER (ins Telefon)

Hier ist Nadine Falkner, ich glaub, meine Freundin ist verschwunden.

3EDITH Waren Sie schon bei der Polizei?

4NADINE Hab’s nicht so mit der Polizei.

5EDITH Seit wann ist Ihre Freundin verschwunden?

6NADINE Vier Tage.

7EDITH Könnte sie einfach verreist sein, ohne jemandem Bescheid gesagt zu

haben?

8NADINE Sicher nicht. Die hat keinen Cent für sowas.

9EDITH Möchten Sie, dass mein Mitarbeiter Tabor Süden nach Ihrer

Freundin sucht?

10NADINE Klar. Soll herkommen, BKV-Tankstelle in der Welfenstraße.

11EDITH Er ist schon unterwegs.

3

12 SÜDEN (Erzähler)

Die verschwundene Ruth Kargus war zweiunddreißig

Jahre alt, als sie ihren Geliebten mit zwei

Messerstichen in die Brust ermordete. Sie wurde

wegen Mordes zu zwölf Jahren Gefängnis verurteilt.

Weil Alkohol im Spiel war, und das Opfer – der 32-

jährige Simon Eberl – die Täterin in den Monaten

zuvor wiederholt geschlagen und misshandelt hatte,

blieb ihr eine lebenslange Haftstrafe erspart.

Außerdem hatte sie ein Geständnis abgelegt,

allerdings keine Reue erkennen lassen.

2. Erste Szene – Tankstelle – Donnerstagmittag

13NADINE FALKNER

Hab sie im Knast regelmäßig besucht, mindestens ein Mal im Monat.

14SÜDEN In der Justizvollzugsanstalt Aichach.

15NADINE Genau.

16SÜDEN Wie hatte sie auf das Urteil reagiert?

17NADINE Äußerlich gefasst. Eine Revision hat sie gleich abgelehnt, wollt sie

einfach nicht.

18SÜDEN Hat sie im Gefängnis Freundschaften geknüpft?

4

19NADINE Nein. Gruppennachmittage waren ihr ein Gräuel. Sie hat in der

Bäckerei gearbeitet, das war alles. Die Arbeit hat ihr gefallen.

20SÜDEN Haben ihre Eltern sie besucht?

21NADINE Kein einziges Mal. Den Kontakt hat sie nach ihrer Festnahme total

abgebrochen. Ihr Vater ist mittlerweile gestorben und ihre Mutter lebt

verbittert in ihrem Heimatdorf auf dem Land. Beim Prozess war sie

keinen Tag, nicht mal bei der Urteilsverkündung.

Ein Motor heult auf. Eine Tankstelle mit angeschlossener Werkstatt, in der gearbeitet

wird.

22NADINE Ihre Mutter behauptet, dass das, was sie getan hat, ihren Vater ins

Grab gebracht hätt. Kann man nichts machen. (ruft) Paul! Fahr den

Wagen bittschön da weg und stell ihn hinter die Staubsaugeranlage.

Hier kommt ja niemand mehr vorbei. (zu Süden) Zur Zeit geht’s wild

zu bei uns, die Leut‘ wollen alle gleichzeitig ihre Sommerreifen

aufziehen lassen.

23SÜDEN Sie sind die Chefin.

24NADINE Eigentlich ist mein Vater der Chef, aber er ist grad wieder in der

Reha. Die Bandscheiben, geht schon Jahre so. Übel. Ich hab schon

als Jugendliche in unserer Tankstelle ausgeholfen, auch in der

Werkstatt. Ich hab BWL studiert, aber einen Bürojob wollt ich nie. Ich

mag die Arbeit hier.

5

25SÜDEN Was ich noch nicht verstanden habe: Sie kannten den Mann, den

Ihre Freundin erstochen hat, auch sehr gut. Oder nur flüchtig?

26NADINE Ich kannte ihn. Ein böser Mensch.

27SÜDEN Und Ruth konnte ihn nicht einfach verlassen.

28NADINE Nein.

29SÜDEN Sie hing an ihm, trotz allem.

30NADINE Kann man so sagen.

31SÜDEN Vor vier Tagen, am Montag, kamen sie abends nach Hause, und Ihre

Freundin war nicht mehr da. Was dachten Sie im ersten Moment, wo

sie sein könnte?

32NADINE Was ich gedacht hab? Weiß ich nicht mehr. Was ich gedacht hab …

Ist das so wichtig?

33SÜDEN Ja.

34NADINE Wieso denn?

35SÜDEN Dachten Sie, Ruth wäre in einer Kneipe?

36NADINE In einer Kneipe? Nein, ich … ich hab, glaub ich, gedacht, dass sie

vielleicht zu ihrer Mutter gefahren ist. Ja, genau, das war’s: ich hab

gedacht, jetzt hat sie doch den Kontakt wieder aufgenommen.

37SÜDEN Und dann haben Sie bei Ruths Mutter angerufen.

38NADINE Ich hab doch keine Nummer von der.

6

39SÜDEN Sie hätten sich die Nummer über die Auskunft besorgen können.

40NADINE Hätt ich. Hab ich nicht.

41SÜDEN Sie haben sich vorerst also nicht weiter gesorgt.

Autohupen. Ein Motor heult wieder auf.

42NADINE (ruft)

Jetzt fahr endlich die Kiste weg, Paul! Du siehst doch, dass der Mann

mit seinem Wagen da nicht vorbeikommt. Beeilung! (zu Süden)

Sorry. Wie war Ihre letzte Frage?

43SÜDEN Sie haben sich zunächst keine ernsten Sorgen um Ihre Freundin

gemacht.

44NADINE Klar hab ich das. Sag ich doch die ganze Zeit. Ich hab mich total

gesorgt. Aber was hätt ich machen sollen? Ich hab gewartet. Am

nächsten Tag auch. Gestern auch. Und heut hab ich das

Branchenbuch genommen und bin auf Ihre Detektei gestoßen.

45SÜDEN Mit der Polizei haben Sie es nicht so.

46NADINE Kann man so sagen.

Schweigen

Was ist?

Schweigen

7

Die Polizei hat in den letzten zwei Jahren dreimal unsere Werkstatt

durchsucht, sie haben einen Tipp gekriegt, wir würden Autos frisieren

und für irgendwelche Albaner arbeiten. Alles Quatsch. Sie haben

nichts gefunden, aber einer von denen hat jedes Mal bei der Zeitung

angerufen und uns Reporter auf den Hals gehetzt. Elende Bagage.

Zur Polizei geh ich in diesem Leben nicht mehr freiwillig.

47SÜDEN Ich würde gern Ihre Wohnung sehen.

48NADINE Wieso?

49SÜDEN Sie haben Ruth Kargus vor zwei Wochen bei sich aufgenommen,

nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis

50NADINE Ja, klar. Und?

51SÜDEN Ich möchte mich umsehen. Sie hat doch noch Sachen bei Ihnen.

52NADINE Was für Sachen?

53SÜDEN Sachen.

Schweigen

Ihre persönlichen Dinge, die sie im Knast auch hatte.

54NADINE Da ist nichts. Sie hat alles mitgenommen.

55SÜDEN Und was?

56NADINE Was?

57SÜDEN Was hat sie besessen? Was hat sie mitgenommen?

8

58PAUL EBERL Entschuldigung. Nadine, ich hab den Wagen jetzt hinter den

Staubsaugern geparkt, aber da können wir ihn nicht stehen lassen.

Der Zaun zur Schule wird immer noch repariert, die Arbeiter müssen

da durch.

59NADINE Hab ich vergessen. Dann stellen wir ihn über Nacht in die

Waschanlage, ok?

60PAUL Von mir aus. Hast du inzwischen was von Ruth gehört?

61NADINE Nein.

62SÜDEN Sie kennen Ruth Kargus.

63PAUL Ja, sie hat meinen Bruder umgebracht.

Ein Motor heult mehrmals auf. Straßengeräusche.

3. Zweite Szene – Alter Wirt – Donnerstagmittag

Stimmen in einem kleinen Biergarten. Vogelgezwitscher.

64PAUL Ich hab nur eine halbe Stunde Mittagspause, also los.

Er isst und trinkt.

65SÜDEN Danke, dass Sie sich die Zeit nehmen, Herr Eberl. Sie arbeiten

schon länger für Frau Falkner in der Werkstatt.

9

66PAUL Fast fünf Jahre. Früher hab ich die Reinigung meiner Eltern geführt,

aber die lief dann nicht mehr. Zuviel Konkurrenz. Ich hab das

Geschäft zugemacht. Ist meine Eltern natürlich hart angegangen. Sie

selber waren zu krank für die Arbeit, aber den Laden hätten sie

schon gern erhalten gewusst. Wie’s halt so läuft manchmal. Nadine

hat jemanden zur Aushilfe gesucht, da bin ich eingesprungen und

geblieben. Mit Autos kenn ich mich aus.

67SÜDEN Sind Sie Frau Kargus in den vergangenen Tagen begegnet?

68PAUL Einmal. Drüben, in der Werkstatt. Wir sind dann auch hier rüber zum

Alten Wirt und haben was getrunken.

69SÜDEN Sie haben sich unterhalten.

70PAUL Ja.

Er isst und legt das Besteck auf den Teller. Trinkt, beendet die Mahlzeit.

Sie hat die ganzen zwölf Jahre abgesessen.

71SÜDEN Sie haben sie auch im Gefängnis besucht.

72PAUL Gelegentlich.

73SÜDEN Gemeinsam mit Nadine Falkner.

74PAUL Allein.

75SÜDEN Worüber haben Sie mit ihr geredet? Über die Tat?

10

76PAUL Den Mord? Ja. Ab und zu. Mein Bruder war schwierig, schon als

Kind. Jähzornig, gewaltbereit. Meine Eltern haben ihn nie in den Griff

gekriegt. Mich hat er in Ruhe gelassen. Später haben wir uns eine

Zeitlang aus den Augen verloren. Er fing in einer Spedition an und

war viel unterwegs, Touren mit dem Lkw durch ganz Europa.

77SÜDEN Aber dann ließ er sich wieder in München nieder.

78PAUL Er hatte eine Wohnung in Sendling, fuhr aber immer noch für die

Spedition, nach Österreich, Südtirol, relativ kurze Strecken.

79SÜDEN Und lernte Ruth Kargus kennen.

80PAUL Kneipenbekanntschaft. Sie war Verkäuferin im Großmarkt. Nadine

war ihre beste Freundin.

81SÜDEN Woher kannten sich die beiden?

82PAUL Pilatus.

83SÜDEN Pilates.

84PAUL Von mir aus.

85SÜDEN Waren Sie in der Nähe, als Ruth Kargus Ihren Bruder erstochen hat?

86PAUL Wie meinen Sie „in der Nähe“?

Schweigen

Sie müssen sich schon deutlicher ausdrücken.

87SÜDEN Ich habe mich deutlich ausgedrückt.

11

88PAUL In der Nähe … Ich war nicht in der Wohnung, wenn Sie das meinen.

89SÜDEN Ich habe den Polizeibericht noch nicht gelesen, Herr Eberl. Meine

Chefin kümmert sich gerade darum. Ich kenne also noch nicht alle

Details.

90PAUL Mein Bruder wurde in seiner Wohnung umgebracht. Ich war grad auf

dem Weg zu ihm.

91SÜDEN Sie waren in Ihrem Auto.

92PAUL Sagen wir so: ich war in einem Auto.

Schweigen

Wenn Sie den Polizeibericht lesen, erfahren Sie auch nicht mehr. Ich

hatte mir das Auto von Ruth geliehen.

Schweigen

Was wollen Sie noch wissen, Mann? Sie hat gesagt, ich soll mal

damit fahren, weil es eigenartige Geräusche macht. Da war aber

nichts.

So, und jetzt muss ich wieder rüber in die Werkstatt.

93SÜDEN Während Sie mit Ruths Auto unterwegs waren, hat sie Ihren Bruder

erstochen.

94PAUL Ja.

95SÜDEN Trotzdem haben Sie sie später im Gefängnis besucht.

12

96PAUL Ja.

97SÜDEN Und jetzt waren Sie mit ihr im Biergarten.

98PAUL Ja.

99SÜDEN Wohin könnte Ruth gegangen sein?

100PAUL (ruft)

Johanna! Ich möcht zahlen. (zu Süden) Sie sollen das doch

rausfinden, oder nicht?

101SÜDEN Ich verstehe immer weniger, warum eigentlich.

102PAUL Bitte?

103SÜDEN Niemand scheint ein Interesse zu haben, Ruth zu finden.

104PAUL Nadine bezahlt Sie für Ihre Arbeit, oder nicht?

105SÜDEN Das tut sie.

106PAUL Na also. Hurtig ans Werk! Der Detektiv, der niemals schlief!

13

4. Dritte Szene – Straßen – Donnerstagnachmittag

Straßengeräusche. Autoverkehr. Trambahnen. Radfahrer klingeln.

107 SÜDEN (Erzähler)

Am Roecklplatz hatten fünf Personen die aus dem

Gefängnis entlassene Ruth Kargus gesehen, und

zwar in Begleitung von Nadine Falkner. Im

Erdgeschoss des Hauses, in dem Nadine Falkner

wohnte, befand sich ein Café. Dessen Besitzerin

erinnerte sich genau an die Strafentlassene, weil

Nadine Falkner eine ihrer Stammkundinnen und mit

ihrer Freundin am vergangenen Samstag zum

Kaffeetrinken da gewesen war. Weitere Zeugen

sahen die beiden Frauen auf der Straße und in zwei

Gaststätten.

Nadine Falkner hatte mir ein Foto gegeben, auf dem

Ruth Kargus an einem ihrer Geburtstage im

Gefängnis zu sehen war – eine dunkelblonde,

hagere Frau mit einem runden, blassen Gesicht und

müden, abwesenden Augen, bekleidet mit einem

grauen Pullover. Sie saß an einem Tisch und blickte

in die Kamera, als wäre sie nicht gemeint. In

derselben Haltung habe sie auch in ihrem Café

gesessen, sagte die Besitzerin zu mir. Wie jemand,

14

der die Orientierung verloren habe und vollkommen

allein sei, fügte sie hinzu.

Ich hatte die Absicht, solange durchs Viertel zu

laufen, bis Nadine Falkner nach Hause kam. Und

dann wollte ich mir endlich ein Bild von ihrer

Wohnung machen,

5. Vierte Szene – Roecklplatz – Donnerstagabend

108EDITH (am Telefon)

Aber sie hat ihre Freundin bei uns als vermisst gemeldet, Süden. Sie

bezahlt uns. Was soll sie mit Ruths Verschwinden zu tun haben?

109SÜDEN (ins Handy)

Das weiß ich nicht.

110EDITH Ich hab mit dem Leiter der JVA Aichach über Ruth Kargus

gesprochen. Sie war eine seiner unauffälligsten Gefangenen, sagt er.

Sie hat sich dem Gefängnisalltag von Anfang an angepasst und nie

gegen irgendetwas aufbegehrt. Sie war nicht unterwürfig, sie wollte

nur ihre Ruhe. Sie nehme ihre Strafe an und werde bis zum Ende

durchhalten, hat sie erklärt. Was hältst du davon?

111SÜDEN Wann darfst du einen Blick in die Ermittlungsakten werfen?

15

112EDITH Vielleicht morgen. Vor einer Stunde rief mich einer deiner

ehemaligen Kollegen an, Kriminaloberrat Johann Gerke, er sagt, du

müsstest ihn eigentlich kennen.

113SÜDEN Ja. Er war damals noch Hauptkommissar und stellvertretender

Dezernatsleiter.

114EDITH Heute leitet er das Morddezernat. Er erinnert sich gut an den Fall

Kargus. Die Spuren am Tatort waren eindeutig. Fingerabdrücke und

DNA-Spuren von Ruth Kargus überall in der Wohnung. Ihr

Geständnis. Das Motiv: Hass auf einen Mann, der sie schlecht

behandelt und geschlagen hat. Dazu der Alkohol, den beide

getrunken hatten.

115SÜDEN Trotzdem hatte Gerke Zweifel.

116EDITH Richtig. Wie kommst du drauf?

117SÜDEN Gerke hatte immer Zweifel. Er misstraute jedem Tatort und sogar

jedem Geständnis. Er bekam oft Ärger mit den Kollegen, weil ihn

auch kriminaltechnische Auswertungen nicht überzeugten. Oder weil

ihm die Lücken bei der Rekonstruktion keine Ruhe ließen, für die

andere Kollegen simple Erklärungen fanden, die auch logisch

klangen. Aber Ruth Kargus wurde trotzdem verurteilt.

118EDITH Der Staatsanwalt war von ihrer Schuld absolut überzeugt. Was

Gerke beschäftigte, war die Tatsache, dass an der Kleidung des

Opfers auch Spuren einer anderen Person gefunden wurden, die

aber an dem Tag angeblich nicht in der Wohnung war.

16

119SÜDEN Nadine Falkner.

120EDITH Sie kannte Simon Eberl, das hat sie auch zugegeben. Vermutlich

hatten die beiden ein Verhältnis, und er hat sie genauso mies

behandelt wie seine anderen Frauen. Aber in den Befragungen durch

die Kripo hat sie nie ein schlechtes Wort über ihn verloren. Gerke

hält sie bis heute für eine dubiose Figur in dem Mordfall. Er bedauert

immer noch, dass er diese Spur, die der Staatsanwalt für abseitig

hielt, nicht weiter verfolgen konnte. Wo bist du eigentlich jetzt?

121SÜDEN Am Roecklplatz, gegenüber von Nadine Falkners Wohnung.

122EDITH Ich versuche, die Mutter von Ruth Kargus zu erreichen. Sie wohnt in

Miesbach.

123SÜDEN Nadine Falkner kommt nachhause. Ich melde mich später.

6. Fünfte Szene – Wohnung Nadine – Donnerstagnacht

Klingeln an der Wohnungstür.

Nadine öffnet die Tür.

124NADINE Was machen Sie hier?

125SÜDEN Guten Abend, Frau Falkner. Darf ich reinkommen?

126NADINE Ich wollt grad ein Bad nehmen und dann …

127SÜDEN Wollen Sie immer noch, dass ich nach Ihrer Freundin suche?

17

128NADINE Klar, aber …

129SÜDEN Wo waren Sie, als Simon Eberl ermordet wurde?

Schweigen

Süden geht in die Wohnung. Nadine schließt die Tür. Sie gehen ins Wohnzimmer.

Der Fernseher läuft: ein Boxkampf. Nadine stellt den Ton ab.

130NADINE Ich hoff, das stört Sie nicht, wenn der Fernseher weiter läuft. Ich steh

auf Boxen, vor allem von Frauen. Ein Bier?

131SÜDEN Nein, danke. Ruth hat hier auf der Couch geschlafen?

132NADINE Ja. Sie sehen ja: alles aufgeräumt, nichts mehr da von ihr.

133SÜDEN Sie haben mir immer noch nicht gesagt, welche Sachen Ruth aus

dem Gefängnis mitgebracht hat.

134NADINE Sachen … Sie mit Ihren Sachen! Sie hat … eine Tasche gehabt, so

eine Sporttasche, zwei, drei Pullover, Unterwäsche, zwei Jeans,

solche Sachen, mehr nicht.

Schweigen

Was schauen Sie so? Gefällt Ihnen was nicht?

Schweigen

135SÜDEN Wo waren Sie, als Simon Eberl starb?

136NADINE Wieso wollen Sie das wissen? Geht’s grad nicht um was ganz

Anderes?

18

137SÜDEN Das glaube ich nicht.

138NADINE Tschuldigung?

139SÜDEN Sagen Sie mir, wo Sie zur Tatzeit waren.

140NADINE „Zur Tatzeit“. Waren Sie mal Polizist?

141SÜDEN Ja.

142NADINE Echt?

Schweigen

Ich war zuhause, das hab ich auch der Polizei damals gesagt.

Zuhaus, allein. Und wieso ist das jetzt wichtig?

143SÜDEN Sie waren nicht mit Paul Eberl zusammen.

144NADINE Mit Paul?

Schweigen

Nein. War ich nicht.

145SÜDEN Ihre Wohnung ist wirklich sehr ordentlich. Haben Sie eine Putzfrau?

146NADINE Geht Sie das was an?

147SÜDEN Nein.

148NADINE Genau.

19

149SÜDEN Ich habe mit Leuten aus Ihrer Nachbarschaft gesprochen, die Sie

und Ruth vor deren Verschwinden zusammen gesehen haben.

150NADINE Ja? Und? Ist ja klar.

151SÜDEN Selbstverständlich. Deswegen haben Sie uns den Auftrag erteilt,

nach ihr zu suchen.

152NADINE Was?

153SÜDEN Ich suche nach Ihrer Freundin, damit Sie ein Alibi haben.

154NADINE Was? Was denn für ein Alibi?

7. Sechste Szene – Stadt – Donnerstagnacht

Geräusche der nächtlichen Stadt im Hintergrund.

155 SÜDEN (Erzähler)

Gute Frage: Was denn für ein Alibi? Zu diesem

Zeitpunkt war ich mir noch nicht sicher, worauf meine

Befragung letztlich hinauslaufen sollte. Mir fehlten

sämtliche Beweise. Nur eines schien eindeutig: Die

Wohnung von Nadine Falkner war vor kurzem

vollständig geputzt worden. Im Lauf meiner

langjährigen Arbeit bei der Kripo, zuerst im Mord-,

später im Vermisstendezernat, habe ich eines gelernt

und immer wieder bestätigt bekommen: Auch wenn

20

der Volksmund behauptet, die Augen seien die

Spiegel der Seele, so kann ich aus meiner Erfahrung

sagen, dass in Wahrheit die Zimmer und Wohnungen

die Seele ihrer Bewohner spiegeln, als

unbestechliche, meist unscheinbare Zeugen

verborgener Taten und Gedanken.

Je länger ich mich in der beschaulichen Dreizimmer-

Wohnung im Schlachthofviertel aufhielt, desto

unruhiger und angespannter wurde Nadine Falkner.

8. Siebte Szene – Wohnung Nadine – Donnerstagnacht

156SÜDEN Sie sollten jetzt Paul Eberl anrufen.

157NADINE Was? Wieso denn?

158SÜDEN Er kann uns helfen, Ihre Freundin zu finden.

159NADINE Wie denn?

Klingeln an der Tür.

Nadine geht in den Flur.

160NADINE Ich erwart niemanden.

Sie öffnet die Wohnungstür. Süden hört vom Wohnzimmer aus zu.

161NADINE Was willst du hier?

21

162PAUL Wir müssen was besprechen.

163NADINE Was denn?

164PAUL Sag ich dir drin.

165NADINE Das geht jetzt nicht.

166PAUL Lass mich durch, blöde Kuh!

Er schiebt sie heftig beiseite und geht ins Wohnzimmer.

167PAUL Der Detektiv, der niemals schlief, ist auch da! Sehr praktisch. Also …

(er wendet sich an Nadine) Wo ist sie? Was hast du mit Ruth

gemacht? Spuck’s aus, Nadine.

168NADINE Ich hab gar nichts gemacht, sie ist einfach verschwunden.

169SÜDEN Sie ist nicht einfach verschwunden. Sie haben Ruths Spuren

beseitigt, Frau Falkner, und vielleicht haben Sie ihr dabei geholfen,

Herr Eberl.

170PAUL Spinnst du? Pass bloß auf …

171NADINE Du bist betrunken, Paul.

172PAUL (laut)

Ich bin nicht betrunken, ich bin total nüchtern, du Goaß. Glaubst du,

du kommst nochmal davon? Ja? Glaubst du, oder? Du mit deinem

zermantschten Hirn. Sie hat früher mal geboxt, haben Sie das

gewusst, Herr Süden?

22

173SÜDEN Ruth Kargus hat Ihren Bruder nicht erstochen. Sondern Nadine.

174PAUL (laut) Logisch!

Stille

(laut) Sie war’s!

Stille

175SÜDEN Und Sie wussten das, Herr Eberl.

176PAUL Logisch.

177SÜDEN Sie waren ebenfalls in der Wohnung des Opfers, Frau Falkner, Sie

waren nicht allein zuhause. Aber warum hat Ruth die Tat auf sich

genommen?

Stille

178PAUL Er hat euch gegeneinander ausgespielt, sag’s halt endlich!

Geschlagen hat er euch, alle beide! Und misshandelt.

179NADINE Missbraucht hat er uns. Eine Sau war der. Hast du selber gesagt,

Paul.

Schweigen

180SÜDEN Weiter, Frau Falkner.

181NADINE Ich war im Bad, hab geblutet wie ein Schwein, weil er mir so brutal

eine reingehauen hat, dass mir das Blut nur so aus der Nase

rausgeschossen ist. Ruth hat versucht, mit ihm zu reden. Reden! Mit

23

dem! Ich habs nicht mehr ausgehalten. Bin in die Küche, hab das

Messer geholt, ins Wohnzimmer, und bevor er noch einmal blöd

glotzen konnt‘, hab ich ihm das Messer in die Brust gerammt. Volles

Rohr. Zwei Mal. Ich wollt das Messer wieder rausziehen, aber Ruth

hat gesagt, ich soll das lassen, und hat ihre Hände um den Griff

gelegt, als hätt sie selber zugestochen. Und dann hat sie gesagt, ich

soll abhauen. Ihr Leben sei eh Mist und verpfuscht, ihr Job im

Großmarkt, dreizehn Stunden am Tag, alles Mist. Gefängnis kann

nicht schlimmer sein, hat sie gesagt. Ich wollt gar nicht, dass sie das

für mich macht. Sie hat gesagt, ich soll die Klappe halten und endlich

verschwinden. Da bin ich weg.

182SÜDEN Sie haben Paul angerufen, und er hat Sie abgeholt.

183NADINE Ja.

184PAUL Wo ist Ruth?

185SÜDEN Warum haben Sie zugelassen, dass Ruth den Mord auf sich nimmt,

Herr Eberl?

186PAUL Mein Bruder war tot, nicht mehr zu retten. Und Ruth wollt das alles

so.

187SÜDEN Und Sie wollten Nadine.

188PAUL Damals schon, ja. Wo ist die Ruth, Nadine? Spucks endlich aus.

189SÜDEN Sie hatten Streit. Aus irgendwelchen Gründen wollte Ruth nicht mehr

schweigen, sondern endlich die Wahrheit sagen.

24

190NADINE (steigert sich immer mehr hinein)

Sie wollt eine Viertel Million. Mehr nicht!, hat sie noch gesagt. Mehr

nicht! Und wissen Sie, was sie damit wollt? Sie wollt ihrer Mutter ein

Haus kaufen, als Entschädigung für das, was sie ihr angetan hat.

Das ist doch ein einziger blöder Witz! Redet die sich auf einmal was

von Familie ein! Mit dieser Mutter, die nicht mal beim Prozess dabei

war! Und wenn sie das Geld nicht kriegt, hat sie gesagt, geht sie zur

Polizei. Genau. Nach zwölf Jahren im Knast. Genau.

191SÜDEN Haben Sie sie erstochen, wie Simon Eberl?

192NADINE Ich hab sie erwürgt.

Schweigen

193SÜDEN Wo ist die Leiche?

Schweigen

194PAUL Ich hab immer gewusst, dass du komplett irre bist.

25

9. Achte Szene – Torbräu – Freitagnacht

Stimmen. Geschirrklappern. Eine Kneipe mit leiser Musik.

195EDITH Und du bist sicher, dass Paul Eberl an der Tat nicht beteiligt war?

196SÜDEN Ich habe mit meinem Exkollegen Gerke telefoniert, er geht nach der

Obduktion und der Untersuchung von Nadines Auto, in dem sie die

Leiche transportiert hat, nicht von einem Mittäter aus.

197EDITH Sie hat sie also ganz allein weggeschafft.

198SÜDEN Sie ist kräftig, sie war mal Boxerin.

199EDITH Und warum ausgerechnet in den Forstenrieder Park?

200SÜDEN Das ist eine verlassene Gegend in der Nacht. Und es gibt dort

Wildschweine, die fressen Kadaver.

201EDITH Davon will ich nichts wissen. (Pause) Nadine wird lebenslänglich

bekommen, als Doppelmörderin.

202SÜDEN Die Staatsanwaltschaft will versuchen, auch Anklage gegen Paul

Eberl zu erheben, entweder wegen Mittäterschaft im Fall seines

ermordeten Bruders oder zumindest wegen unterlassener

Hilfeleistung und Vertuschung einer Straftat.

203EDITH Hoffentlich klappt’s. Zum Wohl, Süden.

204SÜDEN Möge es nützen!

Sie stoßen mit den Gläsern an und trinken. ENDE