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www.bvpi.de | ISSN 1430-9084 DER PRÜFINGENIEUR Das Magazin der Bundesvereinigung der Prüfingenieure für Bautechnik Mai 2015 | 46 Sicherheit ist eine zwingende Staatsaufgabe EuGH-Urteil: Nationale Anforderungen verstoßen gegen EU-Recht Brandschutz-Eurocodes als Regelnorm für die Brandschutzbemessung Stahlbauleistungen für die Dachkonstruktionen der Elbphilharmonie Vorschläge und Impulse für eine moderne universitäre Baustatiklehre Konzept für den Nachweis der Systemtraglast massiver Wasserbauwerke Die Prüfung der Konstruktion der Elbphilharmonie Hamburg Probleme bei der Beurteilung des Restrisikos beschädigter Tragwerke

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DER PRÜFINGENIEURDas Magazin der Bundesvereinigung der Prüfingenieure für Bautechnik

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■ Sicherheit ist eine zwingende Staatsaufgabe■ EuGH-Urteil: Nationale Anforderungen verstoßen gegen EU-Recht■ Brandschutz-Eurocodes als Regelnorm für die Brandschutzbemessung ■ Stahlbauleistungen für die Dachkonstruktionen der Elbphilharmonie ■ Vorschläge und Impulse für eine moderne universitäre Baustatiklehre■ Konzept für den Nachweis der Systemtraglast massiver Wasserbauwerke ■ Die Prüfung der Konstruktion der Elbphilharmonie Hamburg■ Probleme bei der Beurteilung des Restrisikos beschädigter Tragwerke

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INHALT

Der Prüfingenieur | Mai 2015 3

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EDITORIALDr.-Ing. Sylvia HeilmannSicherheit ist eine zwingende Staatsaufgabe 4

NACHRICHTENErgebnisse der normativen Aktivitäten von PRB und PiN 5Ergebnis des Workshops der Initiative Praxisgerechte Normen 7EuGH-Urteil: Die nationalen Anforderungen verstoßen mit ihren harmonisiertenBauprodukten gegen EU-Recht 8Stellungnahmen der BVPI und des VBI zum EuGH-Bauprodukten-Urteil 10DIBt-Informationen zum EuGH-Bauproduktenurteil 12Die Bauverbände forcieren das digitale Planen und Bauen 13Wolfram Jäger von der vpi Sachsen als Vorsitzender bestätigt 14Prüfer und Sachverständige im Eisenbahnbau mit eigener Website 14BÜV-Zertifizierlehrgang für Sachkundige Planer im Bereich Schutz und Instandsetzungvon Betonbauteilen 15Markus Staller zum Vorsitzenden der vpi Bayern gewählt 16Qualitäts-Beirat für die Ausbildung der Sachkundigen Planer nach RiLi-SIB 16Arbeitstagung 2015 der Bundesvereinigung der Prüfingenieure in Halle/Saale 17Duensing als Nachfolger von Frank Puller neuer Vorsitzender der vpi Niedersachsen 1823. Bautechnisches Seminar NRW: BIM, Software-Qualität, Bestandsbau undBetonertüchtigung 19vpi Schleswig-Holstein beteiligt sich am Deutschlandstipendium 20

BRANDSCHUTZUniv.-Prof. Dr.-Ing. Jochen Zehfuß:Die Brandschutzteile der Eurocodes als neue Regelnorm für die Brandschutzbemessungvon Bauteilen und Tragwerken/Welche Prämissen sind für die Brandschutzbemessung mitNaturbrandmodellen sinnvoll und wie werden sie geprüft? 21

STAHLBAUDipl.-Ing. Stefan Böhling:Ausführungsplanung und Ausführung der Stahlbauleistungen für die Dachkonstruktionender Elbphilharmonie Hamburg/Die Handskizze eines Knotenpunktes beantwortetdie Frage: Welcher Stab ist der Elefant und welcher ist die Mücke? 30

TRAGWERKSPLANUNGProf. Dr.-Ing. habil. Manfred Bischoff:Computerstatik und Tragwerksmodellierung – Vorschläge und Impulse füreine moderne universitäre Baustatiklehre/Ein Bauingenieur muss mehr als seineSoftware wissen und das Tragwerk nicht nur berechnen, sondern auch verstehen 40

VERKEHRSWASSERBAUDr.-Ing. Helmut Fleischer/Dipl.-Ing. Matthias Lutz:Konzept zum Nachweis der Systemtraglast massiver Wasserbauwerke auf Basisnichtlinearer Stoffgesetze/An mehreren Bauwerken konnte die Anwendbarkeitauch unter praktischen Bedingungen bereits bestätigt werden 48

BAUSTATISCHE PRÜFUNGDr.-Ing. Rainer Grzeschkowitz:Eine ingeniöse Aufgabe ersten Ranges: Die baustatische Prüfung der Konstruktionder Elbphilharmonie Hamburg/Die potenziellen Verformungen des Tragwerksdürfen die gebogenen Scheiben der Glasfassade nicht beschädigen 58

KATASTROPHENSCHUTZProf. Dr.-Ing. Norbert Gebbeken:Abriss oder Sanierung: Warum wird nach Katastrophen das Restrisiko beschädigterTragwerke so divergent beurteilt?/Wir brauchen den Prüfingenieur fürKatastrophenschutz als neutralen Fachmann für den baulichen Bevölkerungsschutz 67

IMPRESSUM 75

EDITORIAL

4 Der Prüfingenieur | Mai 2015

Sicherheit ist eine zwingende Staatsaufgabe

Die Frage, ob die Sicherheit in Gebäuden tatsächlich eine Staatsaufga-be sei, wird der Gesellschaft unter dem permanenten parlamentari-schen Druck der optimalen Ressourcenverwaltung immer wieder vor-getragen. Auf diese Frage gibt es eine eindeutige Antwort, die nichtnur von den modernen Staatstheorien getragen wird, sondern ihreWahrheit und Richtigkeit auch aus der Jahrhunderte alten Geschichtedes Sicherheitsrechtes bezieht [1].

Die Gebäudesicherheit ist ein öffentliches Gut und Teil der inneren Si-cherheit eines Staates. Sie ist damit uneingeschränkt eine Staatsaufga-be. Die Integrität der Gebäudesicherheit darf nicht durch den Marktgeregelt werden, sondern muss staatlicher Kontrolle unterliegen. Nurdann ist sie verlässlich; nur dann kann sie ungestört wirken; nur dannsichert sie auch tatsächlich die körperliche Unversehrtheit des Einzel-nen und der Gemeinschaft, die in Artikel 2 des Grundgesetzes der Bun-desrepublik Deutschland als Grundrecht verankert sind.

Die Gebäudesicherheit ist konkurrenzlos. Sie kennt keine Rivalität. Sieist da und nützt – oder sie ist nicht da, was schädlich ist. Sie zu gene-rieren, bedarf es keines Ausgleiches zwischen Angebot und Nachfrage.Ließe man einen Marktausgleich zu, gäbe es keine Sicherheit, da derAufwand (bestimmt von Preis und Kosten) dem subjektiven Risiko-empfinden und den persönlichen Möglichkeiten des Einzelnen unter-liegen würde, ohne freilich den entstehenden kollektiven Schaden aus-reichend zu würdigen. Denn die gewohnten Gesetze für Angebot undNachfrage würden in diesem Sektor unseres Daseins dazu führen, dassdie Nachfrage nach Gebäudesicherheit sinkt – und irgendwann blie-ben dann das Sicherheitsangebot und das Sicherheitsdenken ganz aus.

Die Gebäudesicherheit ist unteilbar. Es ist nicht möglich, Einzelne vondieser Sicherheit auszuschließen: entweder profitieren alle von der Si-cherheit in einem Gebäude – oder niemand! Hier kann kein Aus -schluss prinzip greifen; denn sicherheitsberechtigt sind alle oder keiner.Dabei umfasst die Gebäudesicherheit vor allen Dingen die Brand- unddie Standsicherheit. Der Preis für diese Sicherheit muss von allen ge-

tragen werden. Das Solidarprinzip ist ausgeschlossen. Alle erhaltenden gleichen Anteil an Sicherheit.

Gebäudesicherheit bedeutet Schutz von Leben, Gesundheit und Eigen-tum; und zwar auch unter den Risiken menschlicher Handlungsfreiheit.Jede Bedrohung, die sich aus dieser Handlungsfreiheit für den Einzel-nen oder die Gemeinschaft ergeben kann, sei es aus Habgier, Geiz,Rachsucht, Neid oder Dummheit (oder was an menschlichen (Ab)grün-den auch immer zutage treten könnte), muss durch legislative Präven-tion und staatliche Intervention verhindert werden.

Dabei darf – unter Zugrundelegung von Bewertungsmaßstäben undGrundsätzen, die für alle gleich und deshalb für alle gültig sind (wasaber nicht zur Gleichgültigkeit führen darf) – die Handlungsfreiheit desEinzelnen natürlich nur soweit eingeschränkt werden, wie die Risiko-vermeidung es tatsächlich und konkret erfordert. Hier beginnt eineGratwanderung, deren Ziel und Richtung rechtsstaatlicher Kontrolleunterliegen müssen, insbesondere im Bauwesen.

Die Abwesenheit von Sicherheit bedeutet ein erhebliches Quantum in-nerer Unsicherheit und letztlich Anarchie im Sinne gesetzlicher Herr-schaftslosigkeit und Konfusion. Die innere Sicherheit ist damit eine be-dingungslose Staatsaufgabe.

Wenn Gebäudesicherheit also ein öffentliches Gut ist, und wenn derStaat dieses öffentliche Gut im Auftrag der Allgemeinheit zu bewahrenund das Leben und die Gesundheit jedes Einzelnen zu schützen hat,dann ist die staatliche und von jedweden Interessen unabhängigeKontrolle der Gebäudesicherheit zwingend.

Die Prüfingenieure für Standsicherheit und die Prüfingenieure fürBrandschutz erledigen diese Staatsaufgabe konsequent seit vielenJahrzehnten verlässlich, pflichtbewusst und mit großer Sorgfalt. Sievertreten couragiert die Interessen des Staates und damit die Interes-sen der gesamten Bevölkerung, und sie kämpfen dabei nicht selten ge-gen starken marktpolitischen Lobbyismus oder monetäres Vorteilsden-ken. Diesen Konflikten können sie aber nur dann im Interesse desStaates und der Gebäudesicherheit entgegen treten, wenn sie als Prüf-ingenieure staatlich legitimiert sind und wenn ihre Aufgabenerfüllunghoheitlich mandatiert ist. Nur dann kann die moderne Gesellschaft ei-ne unabhängige und freiheitliche und nachhaltige Gebäudesicherheiterwarten.

[1] Siehe auch: Sylvia Heilmann: Die Entwicklung des Brandschutzesin Deutschland vom späten Mittelalter bis zur Moderne; unveröf-fentliche Dissertation, TU Dresden 2015; Publikation in Vorberei-tung: Verlag für Brandschutzpraxis, Pirna, Herbst 2015

Dr.-Ing. Sylvia Heilmann Prüfingenieurin für Brand-schutz; öffentlich bestellte undvereidigte Sachverständige fürBrandschutz; im Vorstand derBundesvereinigung der Prüfin-genieure für Bautechnik (BVPI)für Brandschutz zuständig

NACHRICHTEN

Der Prüfingenieur | Mai 2015 5

Bericht über die bisherigen Ergebnisse der normativennationalen und europäischen Aktivitäten von PRB und PiN Die Notwendigkeit einer pränormativen Bearbeitungeuropäischer Normen ist auch politisch erkannt worden

Seit ihrer Einführung erfreuen sich dieEurocodes in der Praxis keines sonder-lich großen Zuspruchs. Dies liegt unteranderem an ihrer komplexen Strukturmit Hauptdokumenten und zugehörigennationalen Anhängen, dem deutlich grö-ßeren Umfang im Vergleich zur Vorgän-gergeneration der DIN-Normen und denvorhandenen Unstimmigkeiten bezie-hungsweise Überschneidungen der ein-zelnen Teile (siehe hierzu: [1], [2], [3], [4]und [5]). Mit dem Ziel, die Anwendbar-keit der zukünftigen Generationen derEurocodes zu verbessern und ihre Akzep-tanz in der Praxis zu erhöhen, haben be-kanntlich zehn Verbände und Kammerndes Bauwesens deshalb Anfang 2011 dieInitiative Praxisgerechte Regelwerke imBauwesen (PRB) gegründet. Parallel dazuschufen die Bundesvereinigung der Prüf-ingenieure für Bautechnik (BVPI) und derVerband Beratender Ingenieure (VBI) diePraxisinitiative Normung (PiN), die er-gänzend zur PRB die Interessen der frei-beruflichen Planer und Ingenieure in dieDiskussion einbringt. PRB und PiN habenseit ihrer Gründung mit sechs Arbeits-gruppen mannigfaltige Aktivitäten ent-wickelt und in dieser Zeitschrift laufenddarüber berichtet. Der folgende Berichtfasst den Stand dieser Aktivitäten seitdem letzten Statusbericht [6] zusammen.

Die Wichtigkeit der Arbeit von PRB wirddurch die Förderung im Rahmen der For-schungsinitiative Zukunft Bau des Bundes-amts für Bau-, Stadt- und Raumforschung(BBSR) bestätigt. Die großzügige Förderungin Höhe von 900.000 Euro wurde zunächstfür die 1. (pränormative) Phase von PRB be-willigt. Diese Arbeiten sind mittlerweile wei-testgehend abgeschlossen. Die Abschlussbe-richte über die Arbeiten der Projektgruppen1, 2, 3, 5 und 6 liegen dem BBSR bereits (be-ziehungsweise in Kürze) vor und werden dortvon Gutachtern eingehend geprüft. Auch diePhase 2 (Entwurfsphase) wird vom BBSR mit400.000 Euro großzügig gefördert. Dies be-stätigt der Fachwelt abermals, dass die Not-wendigkeit einer pränormativen Bearbeitungder Normen auch politisch erkannt und dieBedenken der Praxis auf offene Ohren gesto-ßen sind .

1 Europäischer Workshop in Berlin

Zwecks Präsentation der bisherigen Ergeb-nisse und mit dem Ziel, sich mit anderen eu-ropäischen Initiativen auszutauschen, die fürdie Verbesserung der Anwenderfreundlichkeitder Eurocodes ins Leben gerufen wordensind, hat die PRB am 4. und 5. Dezember2014 in Berlin einen Workshop ausgerichtet,der sich reger Teilnahme aus dem europäi-schen Ausland erfreut hat. In über 40 Vorträ-gen wurden die verschiedenen Positionenund Arbeitsstände dargestellt. Auch wenn diePositionen in Teilbereichen voneinander ab-wichen, wurde doch erkennbar, dass eineVerbesserung der Anwenderfreundlichkeit insämtlichen Ländern gewünscht wird, unddass diese nur über eine grenzübergreifendeZusammenarbeit erreicht werden kann. (Sie-he hierzu auch den ausführlichen Bericht aufSeite 7).

2 Stand der Arbeitenin den Projektgruppen

2.1 Allgemeines Die Projektgruppen (PG) 1 und 2 haben einenVorschlag zur Vereinheitlichung von Verfor-mungskennwerten erarbeitet. Diese sollenauf vier grundsätzliche Kennwerte begrenztund mit den anderen Projektgruppen abge-

stimmt werden. Außerdem werden weiterhinin allen Projektgruppen die in den Eurocodesvorhandenen Formelzeichen überarbeitetund auf Notwendigkeit sowie Konsistenz ge-prüft.

2.2 Arbeitsstand der PG 1:Grundlagen der Tragwerksplanungund EinwirkungenDie PG 1 hat Anfang April 2015 einen vorläu-figen Abschlussbericht vorgelegt. Bei Redak-tionsschluss befand sich dieser beim BBSRzur Einsichtnahme und Freigabe. Mit der end-gültigen Version des Berichts ist bis Ende Maizu rechnen.

Die bisher vorhandenen Untersuchungen zuLastansatz und -kombinationen wurdendurch Ergebnisse zum Thema Sicherheits-konzept bei nicht-linearer Berechnung undErmüdung ergänzt.

2.3 Arbeitsstand der PG 2: BetonbauDer Abschlussbericht über Phase 1 wurde imMärz 2015 dem BBSR zur Begutachtung vor-gelegt. Eine detaillierte Zusammenfassungder bisher erreichten Ergebnisse kann [6]entnommen werden. Zusätzlich wurden dieArbeiten zu den Themen Durchstanzen, Be-wehrungsregeln, unbewehrte Bauteile undFertigteile rechtzeitig abgeschlossen und inden Abschlussbericht aufgenommen.

2.4 Arbeitsstand der PG 3: StahlbauDer Abschlussbericht lag bei Redaktions-schluss (Ende April 2015) noch nicht vor, hataber als Entwurf bis zum 9. Mai 2015 vorge-legt werden sollen. In seiner endgültigen Fas-sung ist der Bericht am 20. Juni zu erwarten.Eine Zusammenfassung der bisher erreichtenErgebnisse ist im vorherigen Statusreport zufinden [6].

2.5 Arbeitsstand der PG 4: HolzbauDie Projektgruppe 4 hat im März 2015 ihreArbeit im Rahmen der Phase 1 aufgenom-men. Mittlerweile laufen Untersuchungen zuden notwendigen Lastkombinationen beimNachweis von Holztragwerken, zu Scheibenaus Holz und zur Stabilität von Druckgliedernaus Holz. Mit einem Abschlussbericht ist bisEnde 2016 zu rechnen.

Dr.-Ing. Eric Brehm studierte Bauingenieurwesenmit dem Schwerpunkt Kon-struktiver Ingenieurbau an der

TU Darmstadt und der Universität vonCalgary. In der Folge war er als wissen-schaftlicher Mitarbeiter am Institut fürMassivbau an der TU Darmstadt und pro-movierte über die Zuverlässigkeit vonAussteifungsscheiben. Danach Tätigkeitals Tragwerksplaner und Gutachter inMünchen, bevor er als Postdoc wieder andie Universität von Calgary ging und an-schließend als Gutachter bis Ende 2014dort tätig blieb. Brehm ist über einen Be-ratervertrag für die BVPI tätig und bear-beitet Aufgaben im Rahmen von PRB undPiN.

NACHRICHTEN

6 Der Prüfingenieur | Mai 2015

2.6 Arbeitsstand der PG 5:MauerwerksbauDer Abschlussbericht wurde dem BBSR imApril 2015 vorgelegt. Dieser beinhaltete Un-tersuchungen aus fünf Teilprojekten: Materi-alkennwerte, Knicken, Großer Scheiben-schub, Kleiner Scheibenschub und Analyseder nationalen Anhänge zu EN 1996. Im letz-ten Statusbericht konnten noch keine detail-lierten Ergebnisse zur Arbeit der PG 5 vorge-stellt werden. Dies wird im Folgenden nach-geholt. Detaillierte Ergebnisse der anderenProjektgruppen sind in [6] zu finden.

In Teilprojekt 1 wurden baustoffbezogeneund ausführungsrelevante Aspekte aus denBemessungsteilen EN 1996-1-1 beziehungs-weise EN 1996-1-1/NA nach EN 1996-2 be-ziehungsweise EN 1996-2/NA überführt. Au-ßerdem wurden die in EN 1996-1-1 vorhan-denen Tabellenwerke zu Mauerwerksdruck-festigkeit und Steingruppen überarbeitet.

In Teilprojekt 2 wurde ein vereinfachter An-satz zur Bestimmung der Knicktragfähigkeiterarbeitet. Dieser ermöglicht eine verein-fachte Erfassung des Kriechens, sodass esmöglich ist, die Bemessung ohne Bestim-mung einer zusätzlichen Kriechausmitte zuführen.

Die Ergebnisse von Teilprojekt 3 liefern einneues umfassendes Nachweiskonzept fürScheibenschub, das mögliche Lastumlage-rungen im Gebäude berücksichtigt.

Teilprojekt 4 schlägt ein überarbeitetes, ver-einfachtes Konzept für den Schubnachweisvor. Teilprojekt 5 legte Inkonsistenzen der in-ternationalen Ausgaben von EN 1996/NA of-fen.

2.7 Arbeitsstand der PG 6: GeotechnikDer Abschlussbericht der PG 6 wurde im Sep-tember 2014 vorgelegt. Mittlerweile ist dieProjektgruppe mit der Fertigstellung der ge-strafften Normenhandbücher zu EN 1997-1und EN 1997-2 befasst. Außerdem wird dieKontrolle der Ergebnisse durch Vergleichs-rechnungen fortgesetzt.

3 Ausblick

3.1 AllgemeinesNach der vorwiegend fachlichen Bearbeitungder Eurocodes in Phase 1 („PränormativePhase“ [1]), steht die Bekanntmachung derErgebnisse in den nationalen und europäi-schen Fachgremien im Vordergrund. Zur Ver-deutlichung der Ziele der Phase 2 („Ent-wurfsphase“) wurden von PRB sogenannte

Leitplanken erarbeitet, die die Arbeit in vierAbschnitte unterteilen und die Schwerpunkteder Phase 2 definieren. Diese sind:

1. Einbringen der Vorschläge in die europäi-sche Diskussion – Übersetzung, Berichtein englischsprachigen Fachzeitschriftenetc.;

2. Analyse der Verbesserungsvorschläge undEinordnung in Kategorien – Vorschlägeaus dem „Systematic Review“ der Euro-codes kategorisieren und priorisieren;

3. fundierte Auseinandersetzung mit denVorschlägen anderer Länder – Vergleichs-rechnungen zur Bewertung der Vorschlä-ge und fachlicher Austausch mit europäi-schen Kollegen;

4. Abwägung der Alternativen.

3.1.1 Ausblick auf die Arbeiten der PG 1Die Anträge zur Phase 2 wurden bewilligt,sodass die Arbeiten zügig voranschreitenkönnen. Im Fokus steht in PG 1 die Kommu-nikation über die Ergebnisse innerhalbEuropas. In fachlicher Hinsicht werden imWesentlichen vier Themen forciert:

1. Die Kalibrierung der Teilsicherheitsbeiwer-te und deren Verifikation;

2. redaktionelle Überarbeitung von EN 1990hinsichtlich einer „schlankeren“ Form;

3. Aufnahme von konsistenten Regeln fürnicht-lineare Berechnungsverfahren;

4. Erarbeitung einer deutschen Haltung zumReliability Management (EN 1990, An-hang B) und Sicherstellung der Erhaltungder Vorteile des deutschen Marktes (bau-technische Prüfung).

Aus der Sicht der BVPI wird vor allem Punkt 4von erheblicher Bedeutung sein.

3.1.2 Ausblick auf die Arbeiten der PG 2Die Anträge der PG 2 im Rahmen der Phase 2wurden bewilligt. Die Arbeiten an den The-men

■ Rissbreitenbegrenzung,■ Querkraft und Spannbeton,■ Dauerhaftigkeit,■ Stabwerke,■ Bewehrung,■ Torsion und Konstruktionsregeln,■ Fertigteile,■ Verformungen und unbewehrte Bauteile,

Schubfugen und Ermüdung sowie eine Op-timierung zum Durchstanzen auf Basis ei-ner neuen Versuchsreihe

laufen bereits. Erste Ergebnisse sind ab Juli2015 zu erwarten.

3.1.3 Ausblick auf die Arbeiten der PG 3In Phase 2 wird der Fokus auf dem Transferder Ergebnisse nach Europa liegen. Dazuwurden Anträge zu den Themengebieten Be-messungsregeln für den Hochbau und An-schlüsse und plattenförmige Bauteile ge-stellt. Die Bewilligung dieser Anträge seitensPRB steht noch aus.

3.1.4 Ausblick auf die Arbeiten der PG 5Die Ergebnisse des Abschlussberichts werdenmomentan noch geprüft, bevor entsprechendeweitere Anträge der PG 5 für Phase 2 freigege-ben werden. Vorgeschlagene Themen beinhal-ten die Erweiterung der Anwendungsgrenzenfür das vereinfachte Verfahren, den Entfall desNachweises der Mindestauflast für tragendeWände, die praxisgerechte und realitätsnaheBemessung von Ausfachungsflächen sowiedie genauere Erfassung der Umlagerungsef-fekte der Einwirkungen aus Wind zwischenunterschiedlichen aussteifenden Wänden.

3.1.5 Ausblick auf die Arbeiten der PG 6Neue Forschungsanträge konzentrieren sichauf verschiedene Aspekte von Pfahlgründun-gen sowie seismischem Grundbruch.

4 Literatur

[1] Cornelius, Volker: Bestandsaufnahmeund Ziele der pränormativen Arbeit derIngenieure. Der Prüfingenieur 40 (Mai2012), S. 50-56

[2] Hertle, Robert: Eurocodes 2015 – Das istunsere Angelegenheit. Der Prüfingenieur38 (April 2011), S. 4-5

[3] Meyer, Lars: Die Initiative PraxisRegeln-Bau kann erste konkrete Ergebnissenachweisen. Der Prüfingenieur 39 (Okto-ber 2011). S. 12-13

[4] Meyer, Lars: Die Eurocodes 2020 müssenden Stand der Technik repräsentierenund nicht den Stand der Wissenschaft.Der Prüfingenieur 43 (November 2013),S. 61-67

[5] Prokop, Ines: Die Arbeit an der Verbesse-rung und Vereinfachung der 3. GenerationEurocodes … Situationsbericht über dieZiele, Tätigkeiten und Erfolge der beidenpränormativen Initiativen PRB und PiN.Der Prüfingenieur 42 (Mai 2013), S. 10-13

[6] Prokop, Ines: Bericht über die pränormati-ve und normative Arbeit der Bauingenieu-re an den nächsten Eurocodes. Der Prüfin-genieur 45 (November 2014), S. 14-22

[7] Nußbaumer, M.; Hertle, R. & Meyer, L.(Hrsg.): Proceedings oft he First PRV-Workshop on Contributions for the Easeof Use of the Eurocodes, Beuth Verlag,Berlin, 2014, ISBN 978-3-410-25201-6

NACHRICHTEN

Der Prüfingenieur | Mai 2015 7

Das Ergebnis des ersten internationalen Workshops derInitiative Praxisgerechte Normen übertraf die ErwartungenDie Initiative Praxisgerechte Regelwerkeim Bauwesen (PRB) hat im Dezember inBerlin einen ersten internationalen Work-shop durchgeführt. Sein Erfolg als kolle-gialer europäischer Erfahrungsaustauschim Interesse der Praxistauglichkeit derBaunormen hat viele Erwartungen über-troffen und die PRB ihrem Ziel etwas nä-her gebracht, auch auf europäischer Ebe-ne „Motor zu sein für die professionelleVorbereitung und Formulierung praxisge-rechter europäischer Regelwerke im Bau-wesen“, damit „Normen künftig eine Hil-fe sind und kein Hemmnis oder Risiko“.

Der PRB-Workshop war mit 90 Teilnehmernund einem konstruktiven Meinungsaus-tausch ein großer Erfolg. Erstmals seit ihrerGründung vor knapp vier Jahren hatte diedeutsche Initiative PRB Vertreter aus andereneuropäischen Ländern zu einem Treffen nachBerlin eingeladen. Dabei standen an denzwei Konferenztagen zwei zentrale Themenim Blickpunkt der Vorträge und Diskussionen:

■ der Austausch über die unterschiedlichenErfahrungen mit den Eurocodes in den ver-schiedenen Ländern,

■ die Beratung der Ansätze, die zur inhaltli-chen Verbesserung der Eurocodes in denvergangenen Jahren von den PRB-Projekt-gruppen erarbeitet worden sind.

Im ersten Tagungsblock berichteten Nor-mungsexperten aus Dänemark, Frankreich,Großbritannien, Italien, den Niederlanden,Norwegen, Österreich, der Schweiz, Schwe-den und Spanien über den Stand der Einfüh-rung und die praktische Anwendung der Eu-rocodes in ihren Ländern. Dabei waren sichalle Referenten und die Zuhörerschaft in ei-nem Punkt einig: der enorme Umfang der Eu-rocodes erschwert deren Anwendung. Vonden Vortragenden wurde vielfach der Wunschnach verbesserter Lesbarkeit der jeweiligenEurocodes geäußert. Um die Anwendung dereuropäischen Bemessungsnormen zu erleich-tern, sind in vielen Ländern eigene nationaleKurzfassungen oder Kommentare erarbeitetund veröffentlicht worden.

Große Unterschiede gibt es in Europa bezüg-lich der verbindlichen bauordnungsrechtli-chen Einführung der Eurocodes. In einigenLändern, beispielsweise in Norwegen,Schweden und in Deutschland, sind die Inge-

nieure für die Tragwerksplanung zur Anwen-dung der Eurocodes verpflichtet, da die na-tionalen Bemessungsnormen außer Kraft ge-setzt wurden. In anderen Ländern, wie Frank-reich, Großbritannien und Spanien, ist dieAnwendung der Eurocodes bislang nur füröffentliche Bauten obligatorisch. CharlesGoodchild vom britischen TCC (The ConcreteCenter) berichtete, dass nach neuester Statis-tik etwa 45 Prozent der Bauvorhaben inGroßbritannien mit den Eurocodes bemessenwerden. In der Schweiz wiederum dürfen dienationalen SIA-Normen des SchweizerischenIngenieur- und Architektenvereins (SIA) nachwie vor uneingeschränkt angewendet wer-den. Der Schweizer Hans Rudolf Ganz beton-te die Vorteile der kompakten SIA-Normen,die mit den Eurocodes kompatibel sind.

Insgesamt wurde deutlich, dass die unglei-che bauordnungsrechtliche Einführung derEurocodes in den jeweiligen Ländern ganzunterschiedliche Erwartungshaltungen an dieEurocodes bewirkt. Daher ist die angestrebtegesamteuropäische Harmonisierung der Eu-rocodes für die Mitarbeiter der Normungs-gremien eine große Herausforderung.

Nach den Berichten aus Europa stellten Mitar-beiter der PRB-Projektgruppen ihre Vorschlä-ge zur Verbesserung der Anwenderfreundlich-

keit der Eurocodes vor. Im Fokus des erstenVeranstaltungstages standen die Eurocodes 0und 1, am zweiten Tag waren es die Euroco-des 2 und 7. Erfreulich war, dass die Anregun-gen der PRB für die Überarbeitung der Euro-codes auch von bislang vermeintlichen Skep-tikern der Initiative PRB aus Europa überwie-gend offen aufgenommen wurden. Die kon-struktiven Diskussionen des Workshops for-cierten bei allen Teilnehmern das Überdenkender eigenen Position. So bestätigte die Veran-staltung, dass nur durch den Gedankenaus-tausch der unterschiedlichen interessiertenKreise ein Kompromiss möglich wird.

Zur Fortsetzung und Ausweitung des Dialo-ges wird eine Folgeveranstaltung anvisiert.PRB-Ziel ist es, zukünftig auf die Entschei-dungsfindungsprozesse in Europa noch stär-keren Einfluss nehmen zu können, damit dieNormen für die Tragwerksbemessung inEuropa praxistauglich bleiben.

Die Vorträge der Tagung wurden in einemenglischsprachigen Tagungsband zusammen-gefasst und können über den Beuth-Verlaggedruckt (Bestell-Nr. 2501) oder als E-Book(Bestell-Nr. 25196) jeweils zum Preis von 64Euro (Kombipaket: 83,20 Euro) auf der Web-seite des Beuth-Verlages (www.beuth.de) be-stellt werden. Dr.-Ing. Ines Prokop

DIE VORTRÄGE des 1. Interna-tionalen Workshops der Initiati-ve Praxisgerechte Regelwerkeim Bauwesen (PRB) sind in ei-nem englischsprachigen Ta-gungsband veröffentlicht wor-den, der beim Beuth-Verlag alsgedrucktes Buch (Bestell-Nr.2501) oder als E-Book (Bestell-Nr. 25196) zum Preis von je-weils 64 Euro (beide zusammenfür 83,20 Euro) auf der Webseitedes Beuth-Verlages bestellt wer-den kann.

www.beuth.de

NACHRICHTEN

8 Der Prüfingenieur | Mai 2015

EuGH-Urteil: Die nationalen Anforderungen an harmoni-sierte Bauprodukte verstoßen gegen EU-Recht Ist das ein Schritt zur zivilrechtlichen Sicherstellung vonLeistungsanforderungen der verwendeten Bauprodukte?

1.1 Nationale Anforderungen an Bau-werke sind möglichUnbestritten ist, dass die Mitgliedstaaten na-tionale Anforderungen an die Sicherheit vonBauwerken (Standsicherheit, Brandschutz,Schallschutz, Wärmeschutz) stellen können.Diese sind aber schon wegen der klimati-schen Bedingungen in den Mitgliedstaatenunterschiedlich [1].

Feststeht auch, dass Sicherheit bei Bauwer-ken letztlich nur erreicht werden kann, wenndie Bauprodukte, aus denen die Bauwerkebestehen, dauerhaft eine ausreichende Qua-lität haben. Man muss aber zur Kenntnis neh-men, dass in Bezug auf die Sicherheit im Sin-ne einer Verlässlichkeit von Bauproduktenunterschiedliche Ansätze denkbar sind.

Deutschland hat, ebenso wie andere Mit-gliedstaaten, seit jeher gesetzliche (Mindest-)Anforderungen an Bauprodukte gestellt [2].Daher setzt der Einsatz sicherheitsrelevanterBauprodukte oft auch nationale Verwendbar-keitsnachweise voraus. Das ist bauordnungs-rechtlich, das heißt, öffentlich-rechtlich gere-gelt.

1.2 Zivilrechtliche LösungsansätzeDer alternative Ansatz ist ein zivilrechtlicher.Er geht davon aus, dass der Bauherr oder dasBauunternehmen die nationalen (Sicherheits-)Anforderungen an das Bauwerk kennen unddaher Bauprodukte auswählen, mit denen siediese Sicherheitsanforderungen erfüllen kön-nen. Da sie die Eigenschaften eines Produktsohne aufwendige Prüfungen nicht feststellenkönnen, fordern sie die erforderlichen Anga-ben und Nachweise vom Hersteller. Nurwenn sich dieser ausreichend erklärt undkaufvertragsrechtlich Gewähr für sein Pro-dukt übernimmt, wird es verwendet. DieserAnsatz gewährleistet einen breiten Wettbe-werb. Denn dieses System versetzt den Kun-den in die Lage, auch Produkte zu wählen,die weniger leistungsfähig sind. Er kann zumBeispiel einen Dämmstoff mit einem schlech-ten „Dämmwert“ (Lambdawert) wählen, da-für aber mehr Dämmstoff einsetzen und da-mit auf „andere technische Weise“ die ge-setzlich festgelegten Energiebedarfswerte fürein Gebäude erreichen. Wesentliche Voraus-

Mit Urteil vom 16. Oktober 2014 hat derEuropäische Gerichtshof festgestellt,dass Deutschland in drei Fällen gegen dieEU-Bauproduktenrichtlinie verstoßenhat, weil es zusätzliche nationale Anfor-derungen an harmonisierte Bauproduktegestellt hat. Was bedeutet dieses Urteilfür nationale Anforderungen an harmoni-sierte Bauprodukte? Diese Frage beant-wortet hier der stellvertretende Vorsit-zende des Vorstandes der Deutschen Ge-sellschaft für Baurecht, Ministerialdirek-tor a. D. Rechtsanwalt Michael Halsten-berg von der Düsseldorfer Rechtsan-waltskanzlei HFK (LLP). Er schlussfolgert,das Urteil könne – auf längere Sicht undim Licht der fortschreitenden europäi-schen Harmonisierung gesehen - dazuführen, dass Bauherren künftig die Erfül-lung der Anforderungen an die Gebäudeim Einzelfall häufiger nachweisen müs-sen. Damit wäre ein erster Schritt zu ei-nem zivilrechtlich geprägten Bauproduk-tenrecht getan*.

1 Einleitung

Harmonisierte Normen stellen an Baupro-dukte nicht immer die Anforderungen, diesich die EU-Mitgliedstaaten im Hinblick aufdie Bauwerkssicherheit wünschen. Die Frageist daher, ob die Mitgliedstaaten die ange-strebte Bauwerkssicherheit durch zusätzlichenationale Anforderungen an Bauprodukte si-cherstellen dürfen, wenn es für diese bereitseine harmonisierte technische Spezifikationgibt.

setzung ist aber, dass die Herstellererklärun-gen vergleichbar sind.

Diese Überlegung stimmt weitgehend mitdem Konzept der EU-Kommission überein.Danach soll der Verwender im Interesse desWettbewerbs selbst entscheiden, auf welcheWeise und mit welchen Bauprodukten er dienationalen Sicherheitsanforderungen anBauwerke erreichen will. Der nationale Ge-setzgeber soll nur das Schutzziel „Bauwerks-sicherheit“ vorgeben. Als Ausgleich hat derVerwender die Möglichkeit, den Herstellervon mangelhaften Bauprodukten haftungs-rechtlich in Regress zu nehmen [3].

1.3 Prinzipielle Gleichwertigkeit öffent-lich-rechtlicher und zivilrechtlicher Lö-sungenWeil beide Ansätze auf die Erfüllung der Bau-werksanforderungen abzielen, gäbe es prin-zipiell gar kein Konfliktpotenzial, falls die imInteresse des Binnenmarktes erarbeitetenharmonisierten Normen (EN-Normen) tat-sächlich alle Anforderungen an Bauprodukteerfassen würden, die im Hinblick auf die Er-füllung der Grundanforderungen an die Bau-werke [4] in allen Mitgliedsaaten erforderlichsind. Denn die Grundanforderungen bildennichts anderes ab als die Sicherheitsanforde-rungen der Mitgliedstaaten.

Das ist eigentlich auch Ziel der Bauproduk-tenverordnung (BauPVO). Daher sollen dieWesentlichen Merkmale von Bauproduktenin harmonisierten technischen Spezifikatio-nen in Bezug auf die Grundanforderungen anBauwerke festgelegt werden (Art. 3 Abs. 2BauPVO) [5]. Die BauPVO will, dass nur Bau-produkte auf dem Binnenmarkt bereitgestelltwerden, bei deren Verwendung alle Grun-danforderungen in den einzelnen Mitglied-staaten jeweils erfüllt werden können.

Gleichwohl darf man nicht verkennen, dassdie BauPVO keine Sicherheitsanforderungenformuliert. Es handelt sich vielmehr um Ge-setzgebung zur Förderung des Binnenmarktes,also um Bedingungen für die Vermarktung vonBauprodukten. Die Förderung des Binnenhan-dels ist mit der Bauwerkssicherheit in den Mit-gliedstaaten aber nur bedingt kompatibel.

* Dass wir unseren Lesern diesen für diePrüfingenieure und ihre Auftraggeber grund-sätzlich wichtigen Beitrag offerieren können,verdanken wir der freundlichen Genehmi-gung des Österreichischen Instituts für Bau-technik (ÖIB), das diesen Beitrag in seinemFachmagazin für Baurecht und Technik aktu-ell (Heft 1/2015) zuerst veröffentlicht hat.

Bei der Lektüre des Artikels sollte übrigensbeachtet werden, dass er im Wesentlichenauf die aktuelle Rechtslage abstellt und nichtauf die vormalige Bauproduktenrichtlinie89/106 EWG.

NACHRICHTEN

Der Prüfingenieur | Mai 2015 9

Denn sonstige (Verbraucher-)Produkte habennormalerweise – unabhängig von dem Ein-satzort – den gleichen Einsatzzweck. Ihre Eig-nung ist daher absolut messbar. Das ist beiBauprodukten anders. Denn die Sicherheits-standards sind bei Bauwerken unterschiedlich.Daher können Bauprodukte in den Mitglied-staaten völlig unterschiedlichen Anforderun-gen unterliegen. Ein Beispiel: im SüdenEuropas gibt es Termiten. Folglich weisen dieBauhölzer aus Gründen der Standsicherheit ei-ne hohe Formaldehydkonzentration auf. Dasist in Mittel- und Nordeuropa nicht erforder-lich. Dort gibt es keine Termiten. Da Formalde-hyd eine krebserregende Substanz ist (Karz.1B) [6] ist die Verwendung von Hölzern mithoher Formaldehydkonzentration dort ausGründen des Gesundheitsschutzes unzulässig.In diesem Fall gibt es also unterschiedlicheund auch unverträgliche nationale Bestim-mungen. Was in dem einen Land aus gutemGrund unabdingbar ist, ist in dem anderenLand aus guten Gründen verboten.

Derartige Probleme ließen sich begrenzen,wenn man sehr hohe Anforderungen an Bau-produkte stellen würde. Je höher allerdingsdie Anforderungen sind, desto geringer wer-den das Angebot, die Zahl der Hersteller unddamit der Wettbewerb. Die EU-Kommissionwollte daher unter dem Aspekt des Binnen-marktes ]7] auch kein zu hohes technischesAnforderungsniveau schaffen.

Um gleichwohl den Interessen aller Mitglied-staaten zu genügen, sollten in den Normenvielmehr Stufen und (Leistungs-)Klassen fest-gelegt werden, sodass es auf Grundlage ein-heitlicher Produkteigenschaften und Messver-fahren unterschiedliche Qualitäten/Leistungenvon Bauprodukten gegeben hätte [8]. DasProblem ist: Es gibt bis heute keine Normen,die solche Stufen und Klassen ausweisen. Vie-le der ab 2000 veröffentlichten Normen sindnicht ausreichend, um sicherzustellen, dassbei ihrer Verwendung die Grundanforderun-gen an Gebäude erfüllt werden. Auf die Hin-tergründe soll hier nicht weiter eingegangenwerden. Nur so viel: die Beschwerden derMitgliedstaaten haben zu der Gründung einerQueries Group bei der zuständigen Kommissi-onsdienststelle geführt. Diese sollte die Män-gel und Lücken der Normen unter Beteiligungder Mitgliedstaaten und CEN klären. DieseGruppe arbeitet bislang ergebnislos.

2 Nationale Ergänzungen in Deutsch-land

Deutschland hatte immer die Zuversicht, dieEU-Kommission würde (nur) Normen zur Ver-

fügung stellen, die nicht nur sämtliche erfor-derlichen Angaben/Eigenschaften, Schwel-lenwerte und Berechnungsverfahren [9],sondern auch die erforderlichen Stufen und(Leistungs-)Klassen beinhalten würden. DieMitgliedstaaten hätten dann die Möglichkeitgehabt, national zu bestimmen, welche derStufen und Klassen und damit Leistung/Qua-lität die Bauprodukte sodann für welchenVerwendungszweck zu erfüllen gehabt hät-ten.

Auf diese Weise hätten harmonisierte Bau-produkte ohne weiteres in die nationalen An-forderungsprofile an Bauwerke implemen-tiert werden können.

Nachdem die harmonisierten Normen, diebis 2013 noch unter Geltung der Bauproduk-tenrichtlinie (BPR) erstellt wurden, aber er-hebliche Unzulänglichkeiten aufwiesen,stand man vor dem Problem, wie man dieBauwerkssicherheit gleichwohl gewährleis-ten konnte. Die erste Überlegung bestanddarin, die Normen in einem förmlichen Ver-fahren, das die Bauproduktenrichtlinie vor-sah (Art. 5 Abs. 2 BPR), zu beanstanden. DieFolgen wären aber unkalkulierbar gewesen.So hätte eine Vielzahl von Verfahren langeZeit gedauert. Ein Zurückziehen der Normhätte die Grundlage für die CE-Kennzeich-nung rückwirkend vernichtet. Die infolge derHarmonisierung zurückgezogenen nationa-len Normen standen auch nicht mehr zurVerfügung. Schließlich hätte ein solches Vor-gehen die Umsetzung der gesetzgeberischangestrebten Ziele eines einheitlichen Bin-nenmarktes für Bauprodukte schwer beschä-digt [10].

Deutschland hat sich daher in einem transpa-renten Verfahren dazu bekannt, die Mängelder Normen durch zusätzliche nationale Nor-men und auch Zulassungsverfahren auszu-gleichen. Diese sollten zurückgezogen wer-den, sobald die jeweiligen harmonisiertenNormen die Anforderungen der BPR erfüllten.Auf diese Weise sollte die Umsetzung der BPRgefördert und nicht etwa behindert werden.

3 Das Urteil des EuGH vom 16. Oktober2014

Die EU-Kommission hat diesen Weg der „na-tionalen Nachbesserung“ aber nicht akzep-tiert und Deutschland verklagt.Mit Urteil vom 16. Oktober 2014 (Rs. C100/13) hat der EuGH entschieden, dass diedeutsche Praxis gegen EU-Recht in Form derBauproduktenrichtlinie verstoßen hat, wo-nach durch Bestimmungen des Bauord-

nungsrechts der Länder (Bauregelliste B) zu-sätzliche nationale Anforderungen an soge-nannte harmonisierte Bauprodukte festge-legt wurden [11]. Diese Verfahrensweise füh-re dazu, dass rechtmäßig mit dem CE-Kenn-zeichen versehene Bauprodukte ohne die Er-füllung weiterer nationaler Anforderungenjedenfalls nicht generell verwendet werdenkönnten. Es sei den Mitgliedstaaten abernicht gestattet, von ihnen erkannte inhaltli-che Mängel einer harmonisierten techni-schen Spezifikation auf nationaler Ebene zuschließen, und zwar selbst dann nicht, wenndie betreffende Norm keine ausreichende Si-cherheit gewährleiste. Vielmehr seien in die-sen Fällen die in der Bauproduktenrichtliniegeregelten Verfahren einzuleiten, die auf ei-ne Streichung der Norm abzielen.

3.1 Keine richterlichen Aussagen zurBauwerkssicherheitDer EuGH hat sich im Rahmen dieser Ent-scheidung allerdings nicht mit dem Aspektder Bauwerkssicherheit oder der Produktsi-cherheit befasst. Das entspricht seiner bishe-rigen Linie, entsprechende Regelungen alleinunter dem Aspekt des Binnenmarktes zu be-urteilen. Die schlichte Erkenntnis aus dieserRechtsprechung lautet wie folgt: wenn derWille des Europäischen Gesetzgebers, in ab-sehbarer Zeit einen einheitlichen Binnen-markt zu schaffen, nicht durch die Mitglied-staaten konterkariert werden soll, kann esnicht zulässig sein, dass jeder Mitgliedstaatmit dem Argument, die Sicherheit und Ord-nung wahren zu müssen, zusätzliche Anfor-derungen für Produkte schafft. Das gilt auch,wenn es sich um Verwendungsregelungenhandelt, die letztlich auf Produkteigenschaf-ten abzielen. Denn Produkte, die nicht ver-wendet werden können, können letztlichauch nicht vermarktet werden. Der EuGH hatsich damit auch der Pflicht entledigt, im Ein-zelfall prüfen zu müssen, ob eine nationaleAnforderung tatsächlich aus Gründen der Si-cherheit und Ordnung erforderlich ist.

3.2 Nationale Lösungen müssenEU-rechtskonform seinDamit nimmt der EuGH – genau wie dieKommission und der Gesetzgeber – aller-dings in Kauf, dass unzureichende harmoni-sierte Bauproduktnormen das nationale Si-cherheitsniveau in den Mitgliedstaaten kon-kret beeinträchtigen. Auf diese Konsequenzhat der EuGH allerdings auch eine einfacheAntwort gefunden. Sie lautet: falls eine man-gelhafte Norm im Amtsblatt veröffentlichtwird, muss das dafür im Gesetz vorgesehene(Einspruchs-)Verfahren durchlaufen werden.Die Parteien dürfen jedenfalls keine vom Ge-

NACHRICHTEN

10 Der Prüfingenieur | Mai 2015

setzgeber nicht vorgesehenen Maßnahmenergreifen, um Probleme im Bereich der Nor-mung zu lösen.

Es ist nicht Aufgabe des EuGH, zu entschei-den, ob dieses Verfahren zur Korrektur unzu-reichender Normen zweckmäßig und ausrei-chend ist. Auch er hat die Entscheidung desEuropäischen Gesetzgebers insoweit zu ak-zeptieren.

4 Auswirkungen des Urteils

Über die Reichweite der Entscheidung beste-hen Unklarheiten. Denn die Entscheidungbetrifft formal nur drei konkrete Bauproduk-te. Wesentlicher ist jedoch, dass sie noch zurBPR ergangen ist. Die seit dem 1. Juli 2013geltende BauPVO verwendet das Konzeptder Brauchbarkeit nicht mehr, sondern stelltdie Bewertungsverfahren in den Mittel-punkt. Zudem beinhaltet eine CE-Kennzeich-nung nach der BauPVO einen anderen Erklä-rungsinhalt [12]. Auch die Verfahren, mit de-nen die Mitgliedstaaten gegen eine – aus ih-rer Sicht – unzureichende Norm vorgehenkönnen, haben sich gewandelt. Die BauPVOräumt sogar ein, dass harmonisierte Normenunvollständig sein können. Denn Hersteller

können eine Europäische Technische Bewer-tung (ETA) beantragen, falls die Leistung ei-nes Bauprodukts in Bezug auf seine Wesent-lichen Merkmale nicht vollständig (!) an-hand einer bestehenden harmonisiertenNorm bewertet werden kann (Art. 19 Abs. 1BauPVO).

4.1 Mangelhafte Harmonisierte Normenverstoßen auch gegen EU-RechtUnabhängig davon bestehen weiterhin vieleUnstimmigkeiten. Signifikant ist zum Beispieldie Tatsache, dass in harmonisierten Normenselbst auf nationales Recht Bezug genom-men wird. Das gilt insbesondere für den Be-reich der Gefahrstoffe [13]. Das ist rechtlichebenso bedenklich.

Die Kernfrage lautet daher: lässt die BauPVO(anders als die BPR) eine nationale Ergän-zung zu? Angesichts des Urteils des EuGHund der gesetzgeberischen Zielsetzung wirdman hierfür eine ausdrückliche Regelung for-dern müssen. Indes gehen insbesondere dieBestimmungen zur Leistungserklärung undzu Harmonisierten Normen von einer Voll-ständigkeit der EN-Normen aus. Eine natio-nale Ergänzung ist jedenfalls nicht vorgese-hen. Vielmehr ermächtigt Art. 58 Abs. 1

BauPVO die Mitgliedstaaten nur, gegen dieVerwendung gefährlicher Produkte, auchwenn sie mit der BauPVO übereinstimmen,einzuschreiten. Die BauPVO setzt also auf einrepressives, kein präventives Eingreifen.

Deutschland hat jedenfalls angekündigt, sei-ne bisherige Praxis an die Erfordernisse desUrteils anzupassen. Wie das geschehen sollist noch unklar. Denn bislang sind nur die dreikonkret betroffenen Anforderungen in denBauregellisten gestrichen worden.

Die EU-Kommission geht davon aus, dass dasUrteil auf die BauPVO zu übertragen ist undhat sich damit auch selbst unter Druck ge-setzt. Sie muss jetzt erklären, wie sie mit denvon ihr zu verantwortenden Unzulänglichkei-ten der Normung umgehen will.

Denn die Mitgliedstaaten werden die Kom-mission verstärkt auf konkrete Versäumnissehinweisen. Bereits die 2014 durchgeführteUmfrage der EU-Kommission über die Umset-zung der BauPVO zeigt, dass die von derKommission über lange Jahre tolerierte Nor-mungspraxis unbefriedigend ist. Die Umfragedokumentiert auch, dass vor allem KMU undder Handel mit einem enormen Aufwand be-

Stellungnahmen der BVPI und des VBI zumBauprodukten-Urteil des Europäischen GerichtshofsDas hier besprochene Urteil des Europäischen Gerichtshofs(EuGH) hat in Deutschland einigen Staub aufgewirbelt. Im-merhin stellt es fest, dass die Bundesrepublik Deutschlandgegen die Bauproduktenrichtlinie der EU verstößt, wenn siemit Bestimmungen des Bauordnungsrechts der Länder (Bau-regelliste B) zusätzliche nationale Anforderungen an soge-nannte harmonisierte Bauprodukte festlegt. Es sei, so derEuGH grundsätzlich, den Mitgliedstaaten nicht gestattet,von ihnen erkannte inhaltliche Mängel einer harmonisier-ten technischen Spezifikation auf nationaler Ebene zuschließen, selbst dann nicht, wenn die betreffende Normkeine ausreichende Sicherheit gewährleiste. Die Bedeutungund die zu erwartenden Konsequenzen des Urteil hat dieBundesvereinigung der Prüfingenieure für Bautechnik(BVPI) und den Verband Beratender Ingenieure VBI) veran-lasst, aus ihrer gemeinsamen Sicht zu diesem Urteil Stellungzu beziehen

Die Position der BVPI und des VBI zum EuGH-Urteil

■ Regelungen für Sicherheit und Ordnung im Bauwesen sind einestaatliche Aufgabe und dürfen nicht dem wirtschaftlichen Wett-bewerb ausgesetzt werden

■ Erhalt des deutschen Sicherheitsniveaus für Bauwerke durch For-derung nach speziellen Anforderungen an die Verwendbarkeitvon Bauprodukten in Bauwerken

■ Stärkung des bewährten Präventivsystems und Abkehr von ei-nem möglichen Repressivsystem: vorbeugen statt haften

■ Korrektur der bereits harmonisierten Normen hEN und techni-schen Bewertungen ETA/ETB zum Nachweis der Verwendbarkeitdes jeweiligen Bauproduktes durch Vervollständigung der Anfor-derungen und praxisnahe Formulierung

■ Angemessene Übergangsregelungen■ Ausgewogene Balance zwischen den Anliegen der Produzenten

und der Anwender (Bauherren, Planer, Prüfer, Ausführende) derBauprodukte („fit for use“) im Sinne der europäischen „Gemein-schaft“

Die Planer und Prüfer erklären ihre Bereitschaft die(ver)handelndenDienststellen bei der Erarbeitung eines deutschen Vorschlages andie Europäische Kommission zu unterstützen.

Sinngemäß haben die beiden Verbände im Februar 2015 ihre Posi-tion an das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau undReaktorsicherheit und an die beiden Fachkommissionen Bauauf-sicht und Bautechnik formuliert.

NACHRICHTEN

Der Prüfingenieur | Mai 2015 11

lastet werden, der in keinem akzeptablenVerhältnis zum Vorteil der momentanen CE-Kennzeichnung steht. Nicht ohne Grund hatdie Kommission CEN unmittelbar nach demUrteil aufgefordert, in Rede stehende Nor-men unverzüglich nachzubessern. Das giltauch für die Dämmstoffnorm EN 13162, dieGegenstand des Klageverfahrens war. Damitgesteht die EU-Kommission ein, dass nichtalle harmonisierten Normen den gesetzlichenAnforderungen genügen. Sie können daherauch Anlass für ein repressives Einschreitender Mitgliedstaaten sein.

4.2 Die ungeklärte Rechtslage geht vorallem zu Lasten der PraxisWie geht es weiter? Die Überarbeitung derharmonisierten Normen wird Jahre in An-spruch nehmen. Solange kann die Praxisnicht warten.

Unmittelbare produktbezogene, nationaleAnforderungen und verpflichtende nationaleZulassungen soll es zumindest aus deutscherSicht künftig nicht mehr geben [14]. DieKommission hat etwas missverständlich er-klärt ]15], dass die Mitgliedstaaten nach derneu verabschiedeten BauPVO befugt seien,Leistungsanforderungen für Bauproduktefestzulegen – allerdings unter der Bedin-gung, dass die Mitgliedstaaten nicht den frei-en Verkehr von CE-gekennzeichneten Pro-dukten behindern. Denn deren ordnungsge-mäße Funktion werde bereits von den har-monisierten europäischen Normen gewähr-leistet [16]. Im Kern hält die Kommission aberjede Form zusätzlicher Kennwerte und Prüf-methoden der Mitgliedstaaten für rechtswid-rig und zwar auch dann, wenn diese durchdie harmonisierte Norm nicht abgedecktsind. Eine Ergänzung ist daher nur auf demWeg der Europäischen Technischen Bewer-tung (ETA) möglich, die aber nur Herstellerinitiieren können.

Damit bleibt den Mitgliedstaaten die Festle-gung von Anforderungen auf Ebene der bau-lichen Anlage. Der Bauherr hat deren Erfül-lung im Einzelfall nachzuweisen. Dafür musser Nachweise über die tatsächliche Leis-tungsfähigkeit der verwendeten Bauproduk-te erbringen. Sind in der harmonisiertenNorm aber keine Kennwerte oder Prüfmetho-den vorgesehen und liegt keine ergänzendeETA vor, gibt es ein Problem. Denn der Mit-gliedstaat darf keine Vorgaben machen undkann auch keine ETA beantragen. Ihm bliebenur der Weg über ein Verfahren gem. Art. 18BauPVO, das maximal zu einem Normungs-auftrag an CEN führen kann. Solange kanndie bauaufsichtliche Abnahme eines Bau-

werks kaum warten. Eine Lösung hierfür hatdie Kommission bislang nicht präsentiert.

Die Praxis könnte sich nur noch damit behel-fen, dass der Bauherr die notwendigen Anga-ben im Rahmen von „Herstellererklärungen“erhält, für deren Richtigkeit der Herstellerhaftet. Damit wäre ein Wechsel zu einem zi-vilrechtlich geprägten System verbunden.Der Mitgliedstaat müsste sich damit begnü-gen, die Plausibilität einer „individuellen“Herstellererklärung im Einzelfall zu prüfenund fehlerhafte Angaben zu sanktionieren.

Den Preis des Systemwechsels zahlt auch dieKommission: denn eine unvollständige Leis-tungserklärung unter Bezugnahme auf man-gelhafte Normen wird dann keine Rolle mehrspielen. Auch der Wettbewerb bleibt auf derStrecke. Denn individuelle Herstellererklärun-gen sind für den Verwender – wie früher –nicht vergleichbar.

Besser wäre es, die BauPVO zu reformieren.Das scheint aber nicht das Ziel der Kommissi-on zu sein. Diese konzentriert sich vielmehrdarauf, erst einmal gegen nationale Anforde-rungen anderer Mitgliedstaaten vorzugehen.Ob das weitsichtig ist, wird sich zeigen.

5 Anmerkungen und Literatur

[1] Siehe Erwägungsgründe 3, 4, 13 und 47zur Verordnung (EU) Nr. 305/2011 des Eu-ropäischen Parlaments und des Ratesvom 09. März 2011 zur Festlegung har-monisierter Bedingungen für die Ver-marktung von Bauprodukten und zur Auf-hebung der Richtlinie 89/106/EWG desRates, ABl. L 88 vom 04. April 2011, S. 5(Bauproduktenverordnung – BauPVO)

[2] Die entsprechenden Vorschriften findensich in den Bauordnungen der Länder, dieüber die Liste der in dem jeweiligen Landeingeführten technischen Baubestim-mungen wiederum auf Bauregellistenverweisen, die beim Deutschen Institutfür Bautechnik (DIBt) geführt werden.Die Bauregellisten verweisen wiederumauf technische Regelwerke oftmals inForm von DIN-Normen. Die Einhaltungdieser Anforderungen ist zum Teil in Zu-lassungsverfahren nachzuweisen. Erfülltdas Produkt die Anforderungen wird esmit einem „Ü-Zeichen“ gekennzeichnet

[3] Ein reines „Vertrauensprinzip“ mit nach-folgender Haftung des Herstellers ist in-des auch aus Sicht der EU-Kommissionnicht ausreichend. Daher hat sie unterdem Stichwort Verbraucherschutz prä-ventive Maßnahmen ergriffen, insbeson-

[4] dere in Form der Marktüberwachung.Diese Form der Überwachung ist nichtsanderes als eine staatliche Aufsichtüber die Verlässlichkeit der Produktde-klaration der Hersteller

[4] Anhang 1 zur BauPVO[5] Siehe Erwägungsgrund 5 zur BauPVO[6] Verordnung (EU) Nr. 605/2014 der Kom-

mission vom 05. Juni 2014, ABl. L 167vom 06. Juni 2014, S. 36

[7] Erwägungsgrund 2 zur BauPVO[8] Art. 6, Abs. 3 d), 26 Abs. 2, 27 BauPVO,

Erwägungsgrund 13 zur BauPVO[9] Art. 3 Abs. 3 S. 2, 17 Abs. 3 BauPVO und

Erwägungsgründe 11, 14 und 17 zurBauPVO

[10] Schneider/Thielecke: Freihandel undGrundrechte – Zur Abgrenzung derKompetenzen von EU und Mitgliedstaa-ten im Bauproduktrecht; NVwZ 2015,34

[11] Im Kern betrifft die Entscheidung nurdrei konkrete Anforderungen an Bau-produkte (Elastomerdichtungen fürRohrleitungen (EN 681-2:2000), Dämm-stoffe aus Mineralwolle (EN13162:2008) und Tore (EN 13241-1))

[12] vgl. nur Art. 6 Abs. 3 lit. c) BauPVO[13] Erwägungsgrund 25 zur BauPVO[14] Presseerklärung des Bundesministeri-

ums für Umwelt und Bauen (BMUB) Nr.221/14 vom 13.11.2014

[15] Presseerklärung der EU-Kommission(deutsche Fassung) vom 16. Oktober2014

[16] Die (später nachgeschobene) englischeFormulierung retain competence, ließesich auch dahingehend übersetzen,dass die Mitgliedstaaten die Kompetenzbehalten, weiterhin solche Anforderun-gen zu stellen; vgl.: Presseerklärung derEU-Kommission, published on21/10/2014.

Lesen Sie zu diesem Urteil des Europäi-schen Gerichtshofs auf der nächsten Seiteauch die Hinweise, die das Deutsche In-stitut für Bautechnik (DIBt) zur neuenRechtslage bei Neuanträgen auf Erteilungoder Verlängerung der Geltungsdauervon allgemeinen bauaufsichtlichen Zulas-sungen für Bauprodukte im Geltungsbe-reich harmonisierter Spezifikationen ge-geben hat.

NACHRICHTEN

12 Der Prüfingenieur | Mai 2015

„Die vom EuGH-Urteil benannten Regelungen in derBauregelliste B Teil 1 werden außer Vollzug gesetzt“Auch das Deutsche Institut für Bautechnik hat sich zu demUrteil geäußert. Es hat eine „Stellungnahme zur Rechtslagebei Neuanträgen auf Erteilung oder Verlängerung der Gel-tungsdauer von allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassungenfür Bauprodukte im Geltungsbereich harmonisierter Spezifi-kationen“ abgegeben, die folgenden Wortlaut hat:

Der Europäische Gerichtshof hat einen Verstoß der BundesrepublikDeutschland gegen die Bauproduktenrichtlinie (Richtlinie89/106/EWG) darin gesehen, dass die Bauregellisten zusätzlicheAnforderungen für den wirksamen Marktzugang und die Verwen-dung in Deutschland stellen, obwohl die betroffenen Bauproduktevon harmonisierten Normen erfasst wurden und mit der CE-Kenn-zeichnung versehen waren.

Zahlreiche Anfragen aus dem Kreis der Antragsteller und deren Ver-bände belegen, dass erhebliche Unsicherheit bei den Betroffenenbesteht. Insbesondere wird angefragt, ob eine allgemeine bauauf-sichtliche Zulassung auch weiterhin erforderlich ist und erteilt wer-den darf.

Das Urteil des EuGH bezieht sich auf Zusatzregelungen zu drei na-mentlich genannten Produkten. Dabei handelt es sich um Anforde-rungen der Dauerhaftigkeit der Dichtwirkung von Rohrleitungsdich-tungen aus thermoplastischen Elastomeren, um die Eigenschaft desGlimmens von Dämmstoffen aus Mineralwolle und um das Brand-verhalten von Toren ohne Feuer- und Rauchschutzeigenschaften.Das EuGH-Urteil ist ein Feststellungsurteil, das die betreffenden na-tionalen Regelungen, die nach Auffassung des EuGH gegen Ge-meinschaftsrecht verstoßen, nicht aufhebt, sondern den Mitglied-staat verpflichtet, von sich aus und nach seiner Entscheidung dieMaßnahmen zu ergreifen, die sich aus dem Urteil ergeben.

In den zuständigen Gremien der Bauministerkonferenz wird derzeitintensiv beraten, wie sich die Feststellungen des Urteils auf dieBauproduktenverordnung (Verordnung (EU) Nr. 305/2011) übertra-gen lassen und welche Konsequenzen aus dem Urteil für das deut-sche Bauproduktenrecht zu ziehen sind. Ziel ist die uneinge-schränkte Erfüllung der europarechtlichen Vorgaben bei gleichzeiti-ger Wahrung der Grundrechte der Bürger durch Erfüllung der in An-hang I der Bauproduktenverordnung aufgeführten Grundanforde-rungen an Bauwerke wie Bauwerkssicherheit, Gesundheit, Um-weltschutz sowie anderer Schutzgüter von öffentlichem Interesse.

Die vom EuGH-Urteil direkt benannten Regelungen in der Baure-gelliste B Teil 1 wurden als erster Schritt außer Vollzug gesetzt (An-lagen 1/12.3 und 1/12.4 zur lfd. Nr. 1.12.10, Anlage 1/5.2 zur lfd.Nr. 1.5.1 und Anlage 1/6.1 zur lfd. Nr. 1.6.7). In diesen Fällen wer-den allgemeine bauaufsichtliche Zulassungen ab sofort nicht mehrerteilt.

Für die übrigen Produkte im Geltungsbereich harmonisierter Spezi-fikationen nach der Bauproduktenverordnung soll Folgendes gel-ten:

Danach gelten die Bauregellisten und die Listen der TechnischenBaubestimmungen in ihrer zuletzt bekannt gemachten Fassung zu-nächst fort. Diese geltenden bauaufsichtlichen Regelungen werdenvorläufig weiter vollzogen; an dem bauaufsichtlichen Schutzniveauwird festgehalten. Das bedeutet namentlich, dass für die in den Lis-ten genannten Bauprodukte auf Antrag weiterhin allgemeine bau-aufsichtliche Zulassungen als Nachweis für die Erfüllung der bau-aufsichtlichen Anforderungen erteilt werden können.

Als Nachweis kommt an Stelle der allgemeinen bauaufsichtlichenZulassung aber insbesondere auch eine Europäische Technische Be-wertung (Art. 19 Abs. 1 Bauproduktenverordnung) in Betracht. Da-bei ist zu beachten, dass die ETA in Zukunft möglicherweise als ein-zige Nachweismöglichkeit verbleibt.

Nach den derzeitigen Vorstellungen der Gremien der Bauminister-konferenz werden Zulassungsanträge in diesem Bereich für allge-meine bauaufsichtliche Zulassungen noch bis zum 31.01.2016 ent-gegengenommen. Die Geltungsdauer der betroffenen Zulassungenorientiert sich dabei an der derzeit längst laufenden Zulassung derbetroffenen Sparte (Zulassungsgebiet). Auf diese Weise soll dieGeltungsdauer beschränkt und zugleich die Wettbewerbsgleichheitgewährleistet werden.

Kurzfristig sollen überdies durch eine Überarbeitung der Listen so-fort verzichtbar gewordene Zusatzanforderungen nach Beratung inden Gremien der Bauministerkonferenz voraussichtlich zum31.07.2015 ersatzlos entfallen. Das DIBt wird hier einzelfallbezo-gen informieren, da die hierfür notwendigen Beschlüsse noch nichtvorliegen. Auch in diesen Fällen wird das DIBt keine Zulassungenmehr erteilen.

In einem zweiten Schritt ist geplant, die Bauregelliste B Teil 1 undsonstige Zusatzanforderungen an harmonisierte Bauprodukte inanderen Regelwerken bis zum 15.10.2016 vollständig aufzuheben.Die weiterhin national für erforderlich gehaltenen Anforderungensollen spätestens zu diesem Zeitpunkt auf Bauwerksebene (bau-werksbezogene Anforderungen) konkretisiert werden.

Für die über diesen Zeitpunkt (15.10.2016) hinaus geltenden Zulas-sungen werden nach diesem Konzept gesetzliche Übergangsrege-lungen geschaffen. Mit diesen soll, soweit derzeit absehbar, er-reicht werden, dass die fortgeltenden Zulassungen bis zum Endeihrer Geltungsdauer noch als Nachweis für bauordnungsrechtlicheAnforderungen herangezogen werden können.

Die vorstehenden Ausführungen geben den derzeitigen (April2015) Beratungs- und Erkenntnisstand des DIBt wieder. Wir werdenerneut informieren, sobald die weiteren Maßnahmen zur Umset-zung der EuGH-Entscheidung feststehen.

Kolonnenstraße 30 B,10829 Berlin Tel.: 030/78730-0, [email protected], www.dibt.de

NACHRICHTEN

Der Prüfingenieur | Mai 2015 13

Bauverbände gründen eine GmbH für die Förderung undEntwicklung des digitalen Planens und BauensDie Bundesregierung und Repräsentan-ten aller relevanten Verbände der Bau-und TGA-Branche haben Anfang Februarin München eine neue Gesellschaft ge-gründet, deren Aufgabe und Ziel die Ko-ordination, Unterstützung und Beschleu-nigung der Einführung des Building In-formation Modeling (BIM) in Deutsch-land ist. Die neue Gesellschaft – zu derenGesellschaftern auch die Bundesvereini-gung der Prüfingenieure für Bautechnik(BVPI) gehört – soll BIM-Standards ver-einheitlichen und ausweiten, For-schungslücken zu schließen helfen undUnterstützung bei der Marktimplemen-tierung der BIM-Technik leisten. Kern ih-rer Arbeit wird die Standardisierung vonProzess- und Bauteilbeschreibungen seinund die Erarbeitung von Leitfäden für di-gitale Planungsmethoden sowie vonBIM-Musterverträgen.

Rund 15 Verbände und Institutionen habenden Gesellschaftervertrag unterzeichnet. Mitder Zeichnung der Anteile ist neben dem Ge-sellschaftskapital auch die Anschubfinanzie-rung gesichert. Dies soll innerhalb von bis zuzwei Jahren die Entwicklung einer professio-nellen Projekt- und Forschungsagenda bis hinzum Start von Förderprojekten sicherstellen.

Ursprünglich sollte die von Staat und Wirt-schaft unterstützte Initiative Bauen DigitalGmbH heißen. Aus namensrechtlichen Grün-den musste sie aber umfirmieren. Die führen-den Verbände und Institutionen im BereichPlanen, Bauen und Betreiben von Bauwerken

haben der neuen GmbH deshalb kurz nachihrer Gründung den neuen, nun gültigen Na-men „Gesellschaft zur Digitalisierung desPlanens, Bauens und Betreibens mbH – pla-nen-bauen 4.0“ gegeben.

Wie der Bundesminister für Verkehr und digi-tale Infrastruktur, Alexander Dobrindt, bei derGründung der neuen Gesellschaft auf derBAU 2015 in München dazu sagte, solle pla-nen-bauen 4.0 sich als zentrale, strukturieren-de Autorität zum Thema BIM in Deutschlandetablieren und in dieser Rolle „auch der Re-präsentant der deutschen Bau- und Planungs-wirtschaft in internationalen Gremien sein“.Inhaltlich solle die neue GmbH „ein Meilen-stein auf dem Weg zum Bauen der Zukunft“sein und als Plattform „maßgeblich dazu bei-tragen, dass modernstes digitales Bauen inallen Bereichen zum Standard wird“.

Unabhängig vom Namen geht es den Initia-toren darum, Building Information Modelinghierzulande endlich gebührend voranzubrin-gen. Deshalb wird die neue Gesellschaft vonden Gründern nicht nur als nationale Platt-form und als Kompetenzzentrum, sondernauch und besonders als Gesprächspartner fürForschung, Regelsetzung und Marktimple-mentierung verstanden. Sie soll der Einfüh-

rung von digitalen Geschäftsprozessen in derBauwirtschaft in Deutschland die Wege eb-nen und dabei die Gegebenheiten des hiesi-gen Marktes und dessen hohe Ausdifferen-zierung berücksichtigen.

Als Geschäftsführer der Gesellschaft wurdenDr. Ilka May (Associate Director der interna-tionalen Conultingfirma ARUP) und Dipl.-Ing.Helmut Bramann (GeschäftsbereichsleiterTechnik, Technikpolitik und Spartenpolitik imHauptverband der Deutschen Bauindustrie)bestellt. In den Aufsichtsrat wurden gewählt:

■ Dr. Matthias Jacob, Hauptverband derDeutschen Bauindustrie,

■ Hans-Ullrich Kammeyer, Bundesingenieur-kammer,

■ Dr. Volker Cornelius, Verband BeratenderIngenieure,

■ Barbara Ettinger-Brinckmann, Bundesar-chitektenkammer,

■ Siegfried Wernik, buildingSMART,■ RA Felix Pakleppa, Bundesvereinigung

Bauwirtschaft,■ Dr. Christian Glock, Zentraler Immobilien-

ausschuss,■ Andreas von Thun, Verband Deutscher Ma-

schinen- und Anlagenbau,■ Martin Schuff, Bundesverband Bausoftwa-

re.

Die Initiatoren von „planen-bauen 4.0“ be-tonten bei der Gründung, dass weitere inte-ressierte Unternehmen und Bundesorganisa-tionen eingeladen sind, der Gesellschaft bei-zutreten.

VERTRETER ALLER RELEVANTEN Verbände und Kammern des Planens und Bauens trafen sich im Februar in München, um die „Gesellschaft zur Di-gitalisierung des Planens, Bauens und Betreibens mbH – planen-bauen 4.0“ zu gründen, was der Bundesminister für Digitale Infrastruktur, Alexan-der Dobrindt, mit den Worten kommentierte, nun werde endlich dafür gesorgt, „dass modernstes digitales Bauen in allen Bereichen auch inDeutschland zum Standard wird“.

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EIN MEILENSTEIN soll nachAnsicht des Bundesminis-ters für digitale Infrastruk-tur, Alexander Dobrindt,die Gesellschaft "planen-bauen 4.0" sein.

NACHRICHTEN

14 Der Prüfingenieur | Mai 2015

Die Prüfer und Sachverständigen im Eisenbahnbauinformieren jetzt mit einer eigenen WebsiteDie Vereinigung der Sachverständigenund Prüfer für bautechnische Nachweiseim Eisenbahnbau (vpi-EBA), die berufs-ständische Vereinigung aller im bautech-nischen Bereich der Eisenbahnen tätigenund anerkannten Prüfer, hat vor wenigenWochen im Internet ihre erste Websitefreigeschaltet. Auf ihr gibt sie einerseitsüber sich selbst als verbandliche Interes-senvertretung Auskunft, informiert aberauch darüber, welche Leistungen dieSachverständigen und Prüfer für den Ei-senbahnbau in wessen Auftrag erbrin-gen und wie diese honoriert werden.

Die vpi-EBA ist als Vereinigung der vom Refe-rat 21 des Eisenbahn-Bundesamtes aner-kannten Prüfer für bautechnische Nachweiseim Eisenbahnbau 2007 in Berlin gegründetworden, und zwar von neun Mitgliedern derBundesvereinigung der Prüfingenieure fürBautechnik (BVPI), der sie seither auch alsderen größter Einzelverband korporativ an-gehört. Das Referat 21 des EBA ist fachlichzuständig für die Prüfer für bautechnischeNachweise im Eisenbahnbau. Es erkennt die

Prüfer an und führt diese namentlich in elfListen, unter anderem in den Listen für diebautechnischen Prüfer, für die Geotechnik,für den Oberbau und für den vorbeugendenBrandschutz. Diese Listen enthalten auch dieDauer der jeweiligen fachlichen Anerken-nung.

Das 1994 gegründete Eisenbahn-Bundesamtist die Aufsichts-, Genehmigungs- und Sicher-heitsbehörde für Eisenbahn-Infrastrukturun-

ternehmen und Eisenbahnverkehrsunterneh-men in der Bundesrepublik Deutschland. Ihmobliegt unter anderem die Feststellung, dassbei der Erstellung, beim Betrieb und bei derInstandhaltung von Infrastrukturanlagen diegeltenden rechtlichen Vorschriften, Regel-werke und Sicherheitsanforderungen einge-halten werden. Für diese Inspektionen be-dient sie sich vielfach auch externer Prüfer,Sachverständiger und Gutachter.

Die Website der vpi-EBA gibt nun Auskunftdarüber, wer ihr Mitglied werden kann, näm-lich jeder vom EBA-Referat 21 anerkanntePrüfer für bautechnische Nachweise im Ei-senbahnbau.

Den vom EBA anerkannten Prüfern für bau-technische Nachweise im Eisenbahnbau ob-liegt ein hohes Maß an Verantwortung. Siewerden für die Fachrichtungen Bautechnik,Brandschutz, Oberbau und Geotechnik aner-kannt und führen ihre Tätigkeit „unparteiischund nur im Interesse der Öffentlichkeit aus“.Sie hätten durch ihre Prüfungen und Kontrol-len stets sicherzustellen, „dass die öffentli-

MIT IHRER NEUEN WEBSITE gibt die vpi-EBAAuskunft über sich und ihre Aufgaben

Professor Wolfram Jäger bei der Vorstandswahl derLandesvereinigung Sachsen als Vorsitzender bestätigt

Die Landesvereinigung der Prüfingenieure fürBautechnik in Sachsen hat am 24. März ei-nen neuen Vorstand gewählt. Der bisherigeVorstand wurde wiedergewählt, wird aberkünftig durch Nachwuchs verstärkt. Im Amtbestätigt wurden der Vorsitzende der Landes-vereinigung der Prüfingenieure in Sachsen,Prof. Dr.-Ing.Wolfram Jäger, und die weiteren

Vorstandsmitglieder Dr.-Ing. Sylvia Heilmann,Dipl.-Ing. Jürgen Weisbach, Dipl.-Ing. StefanKraus, Prof. Dr.-Ing. Manfred Curbach undDipl.-Ing. Andreas Forner. Als neues Vor-standsmitglied konnte Dipl.-Ing. SteffenMerz begrüßt werden.Unser Bild zeigt den Geschäftsführer derBundesvereinigung der Prüfingenieure für

Bautechnik (BVPI), Dipl.-Ing. Manfred Tiede-mann (l.) mit dem neuen Vorstand der Lan-desvereinigung Sachsen (weiter v.l.): Prof.Dr.-Ing. Wolfram Jäger, Prof. Dr.-Ing. ManfredCurbach, Dipl.-Ing. Stefan Kraus, Dipl.-Ing.Andreas Forner, Dr.-Ing. Sylvia Heilmann,Dipl.-Ing. Steffen Merz und Dipl.-Ing. JürgenWeisbach

NACHRICHTEN

Der Prüfingenieur | Mai 2015 15

che Sicherheit und Ordnung, besonders Le-ben, Gesundheit oder die natürlichen Le-bensgrundlagen, nicht gefährdet werden“.Deshalb gelten für diese Prüfer im Rahmender Anerkennung und ihrer Tätigkeiten er-höhte Anforderungen, insbesondere

■ eine überdurchschnittlich hohe Fachkom-petenz,

■ umfangreiche und langjährige praktischeErfahrungen,

■ eine unabhängige, unparteiische, wei-sungsfreie, gewissenhafte und persönlicheAufgabenerfüllung und

■ persönliche Integrität.

Ausführlich wird auf der Website der vpi-EBAauch über die Vergütung der EBA-Prüfer und-Sachverständigen informiert. So unter ande-rem darüber, dass die vom EBA anerkanntenPrüfer über eine bundesweit tätige Instituti-on verfügen können – dem Vorbild bei bau-statischen Prüfungen nach den Landesbau-ordnungen entsprechend. Diese Bewertungs-und Verrechnungsstelle (bvs-EBA, Mainz) hatdie Aufgabe, eine unabhängige und mög-lichst objektive Bewertung der Vergütungvon Prüfleistungen sicherzustellen.

Die Grundlagen der Tätigkeit der bvs-EBAund die Vorteile für die Beteiligten sind unteranderen:■ die Sicherstellung von Leistungs- statt

Preiswettbewerben,■ die Wahrung und Beibehaltung neutraler

Prozesse für die Bewertung und Berech-nung der erbrachten Leistungen der EBA-Prüfer,

■ Unabhängigkeit und Objektivität bei derBewertung und Verrechnung,

■ administrative Entlastung aller beteiligtenPersonen und Stellen.

www.vpi-eba.de

11. Zertifizierlehrgang des BÜV für Sachkundige Planer imBereich Schutz und Instandsetzung von BetonbauteilenDer Arbeitskreis Bauwerkserhaltung, -in-standsetzung und -überwachung desBau-Überwachungsvereins (BÜV) wird inder Woche vom 23. bis zum 27. Februar2016 am Institut für Bauforschung (ibac)der Rheinisch-Westfälischen TechnischenHochschule (RWTH) in Aachen seinen 11.Zertifizierlehrgang für Sachkundige Pla-ner im Bereich Schutz und Instandset-zung von Betonbauteilen durchführen.Dieser Lehrgang sollte ursprünglichschon Anfang dieses Jahres stattfinden,musste aber aus übergeordnetem Grundverschoben werden.

Um eine Teilnahme an diesem fachlich an-spruchsvollen Weiterbildungslehrgang kön-nen sich Ingenieure bewerben, die eine min-destens fünf Jahre dauernde einschlägige Be-rufserfahrung auf dem Gebiet der Betonin-standsetzung nachweisen können. Da die di-daktischen Bedingungen und die organisato-rischen Kapazitäten für die Teilnahme an die-ser Ausbildung begrenzt sind, hat der Veran-stalter einen Bewerbungsschluss für nötiggehalten und auf den 4. Dezember 2015 fest-gelegt.

Bei der Zulassung werden jene Bewerber vor-rangig behandelt, deren primäres Ziel die Er-langung eines gesonderten professionellenQualitätsmerkmals in Form einer Zertifizie-rung gemäß DIN EN ISO/IEC 17024 ist, dienach bestandenem Lehrgang vorgesehen ist,und für deren Erhalt besondere fachliche Kri-terien erfüllt werden müssen. Sofern die Auf-

nahmekapazitäten es erlauben, sind aberauch Ingenieure willkommen, die lediglich ander Vortragsreihe interessiert sind und derenTeilnahme ihren Abschluss mit einer entspre-chenden Bescheinigung findet.

Es empfiehlt sich, dass zertifizierwillige Teil-nehmer in einem ersten Schritt bereits jetztfolgende Bewerbungsunterlagen beim BÜVeinsenden:

■ Formloser Antrag auf Teilnahme am Lehr-gang,

■ tabellarischer Lebenslauf mit Lichtbild,■ Kopie des Diploms mitsamt Zeugnis, des

Bachelor-, Master- oder eines gleichwerti-gen Abschlusses einer ingenieur- oder na-turwissenschaftlichen Fachrichtung oderdes Studiums an einer FH, TH oder Univer-sität,

■ den Nachweis einer mindestens fünfjähri-gen Berufserfahrung auf dem Gebiet derBetoninstandsetzung in Form einer chro-nologisch geordneten Projekt- bezie-hungsweise Referenzliste mit Beschrei-bung der wichtigsten Eckdaten sowie allerCharakteristika der Arbeiten.

Nach bestandener Prüfung sowie im Sinneder angestrebten Zertifizierung müssen einefachliche Unabhängigkeitserklärung und einpolizeiliches Führungszeugnis beigebrachtwerden, das nicht älter als sechs Monate ist.

Der Veranstalter bietet zudem allen Teilneh-mern die Mitgliedschaft im BÜV an, mit der

sie ihre berufsständische Vertretung nach au-ßen hin dokumentieren können. Mitgliederdes BÜV können zudem das weitgreifendefachliche Netzwerk des BÜV nutzen, das ei-nen reichhaltigen Meinungs- und Erfah-rungsaustausch mit anderen Kollegen er-möglicht, und sie profitieren von einer be-trächtlichen Kostenermäßigung bei der Teil-nahme an qualitativ hochwertigen Fortbil-dungen anderer Veranstalter.

Eine Bewerbung alleine verpflichtet oder be-rechtigt den Kandidaten noch nicht zur Teil-nahme. Erst nach der Auswertung seiner Be-werbungsunterlagen durch die Prüfungskom-mission erhält er Nachricht darüber, ob er zuAusbildung und Prüfung, somit auch zur Zer-tifizierung, prinzipiell zugelassen worden ist.Der Teilnehmer entscheidet dann im eigenenErmessen, ob er verbindlich an der Veranstal-tung teilnehmen wird.

Kooperationspartner dieses Lehrgangs sinddas ibac der RWTH Aachen und die Bayeri-sche Ingenieurekammer-Bau.

Bewerbungen und Anfragen sind wie gesagtbis zum 4. Dezember 2015 per Post oder perE-Mail zu richten an:

Bau-Überwachungsverein Kurfürstenstr. 12910785 BerlinTel.: 030/3198914-13E-Mail: [email protected] www.buev-ev.de

NACHRICHTEN

16 Der Prüfingenieur | Mai 2015

Neuer Beirat soll die Ausbildung der Sachkundigen Planernach RiLi-SIB forcieren und deren Qualifikation festlegen

Auf Initiative des Deutschen Ausschussesfür Stahlbeton (DAfStb) haben drei dernamhaftesten Ausbildungsträger fürSachkundige Planer für den Schutz unddie Instandsetzung von Betonbauteilenim Zusammengehen mit diversen ein-schlägig tätigen Vereinen, Verbändenund Bundesinstitutionen einen Ausbil-dungsbeirat Sachkundiger Planer ge-gründet. Er soll die Ausbildung der Sach-kundigen Planer forcieren und harmoni-sieren sowie Mindeststandards für derenQualifikation definieren.

Hauptgrund für die Installation des neuen Ar-beitskreises ist die Richtlinie Schutz und In-

standsetzung von Betonbauteilen (RiLi-SIB)des DAfStb (Ausgabe 10/2001), die in ihremTeil 1 die Forderung erhebt, dass die zu unter-suchenden und planenden Tätigkeiten beider Betoninstandsetzung nur von Sachkundi-gen Planern durchgeführt werden dürfen.Mindestanforderungen an die Ausbildungund an die Qualität dieser Personen sind inder Richtlinie indes nicht definiert.

Vor diesem Hintergrund bildet der Arbeits-kreis Bauwerkserhaltung, -instandsetzungund -überwachung des Bau-Überwachungs-vereins (BÜV) unter Einbeziehung internatio-nal anerkannter Experten für die Betonin-standsetzung seit über zehn Jahren Sachkun-

dige Planer aus, und auch andere Weiterbil-dungsinstitute bieten entsprechende Ausbil-dungslehrgänge an. Mittlerweile gibt es eineVielzahl von Ausbildungsträgern, deren Aus-bildungsinhalte und Ausbildungsschwer-punkte sich aber zum Teil so stark voneinan-der unterscheiden, dass allein dieser Um-stand die Bildung des neuen Beirats ausrei-chend begründen kann.

Hinzukommt aber, dass die RiLi-SIB novelliertwerden wird. In der neuen Ausgabe namensInstandhaltung von Betonbauteilen desDAfStb werden die Planung (Teil 1), die Ver-wendung von Produkten und Systemen (Teil2) für die Instandsetzung sowie die Ausfüh-

M. Staller, Vorsitzender der VPI Bayern: „Eines unserer wich-tigsten Ziele ist die Gewinnung weiterer Prüfingenieure“Die Vereinigung der Prüfingenieure fürBaustatik in Bayern hat Dr. -Ing. MarkusStaller aus Gräfelfing im März für dienächsten drei Jahre zum ersten Vorsit-zenden gewählt. Dr.-Ing. Peter Henke,der 2012 zum vierten Mal den Vorsitz derLandesvereinigung Bayern übernommenhatte, wird der VPI ab sofort als Ehren-vorsitzender zur Verfügung stehen.

Staller dankte Henke im Königssaal im Baye-rischen Hof für die zwölfjährige Tätigkeit ander Spitze der VPI Bayern. Er begrüßte zudem

zwei weitere neue Vorstandsmitglieder: An-dreas Bauer wird Dr. Walthari Fuchs als Kas-sier ablösen, und Dr. Markus Rapolder wirddie Beisitzer Markus Bernhard und DieterOehmke unterstützen. Den 2. Vorsitz führt inZukunft der bisherige Beisitzer Konrad Ste-ger. Prof. Dr. Gebhard bleibt Schriftführer.

Ein überzeugendes Team für die anspruchs-vollen Ziele der seit mehr als 50 Jahren be-stehenden Landesvereinigung. Bereits PeterHenke hatte sich immer wieder selbstbe-wusst und vorausschauend gezeigt, wenn es

um die unabhängige Position des Berufsstan-des der Prüfingenieure und um die Qualitätund Unverzichtbarkeit ihrer Erfahrung geradebei innovativen Bauprojekten ging.

Markus Staller wird die Ziele der VPI Bayernbeharrlich weiterverfolgen und forcieren. Dienächsten Aufgaben der LandesvereinigungBayerns stellte Staller auch sogleich nach sei-ner Wahl vor: Neben einer weiterhin konse-quenten Interessensvertretung der Mitglie-der betonte er die Beibehaltung einer festenund möglichst bundeseinheitlichen Alters-grenze für Prüfingenieure und den Verzichtauf die Unterhaltung von Zweitniederlassun-gen. Entscheidend für die Wirksamkeit derPrüfingenieure sei ihre Unabhängigkeit, diegenau genommen, nur über die Beauftra-gung durch die Bauaufsichtsbehörde ge-währleistet werden könne. Für eine ange-messene Modernisierung der Prüfverordnung(PrüfVBau) werde sich der Vorstand aktiv ein-setzen und daran mitwirken. Als besonderswichtigen Punkt der bevorstehenden Aufga-ben sieht Staller die Gewinnung von Prüfin-genieurnachwuchs. „Wir haben uns bis zurAusrichtung der Arbeitstagung der BVPI in2016 einiges vorgenommen.“ „Ziele, die wirzwar geduldig, aber nicht minder beharrlichund zielstrebig angehen werden“, versicher-te der neue Vorsitzende. (EB)

Der neue Vorstand der VPI Bayern kurz nach der Wahl im Bayerischen Hof (v.l.): Dipl.-Ing. Die-trich Oehmke, Prof. Dr.-Ing. Peter Gebhard, Dr.-Ing. Markus Staller, Dipl.-Ing. Konrad Steger,Dipl.-Ing. Andreas Bauer, Dr.-Ing. Markus Rapolder, Dipl.-Ing. Markus Bernhard

NACHRICHTEN

Der Prüfingenieur | Mai 2015 17

rung (Teil 3) von Instandhaltungsmaßnahmenfür Bauwerke und Bauteile aus Beton, Stahl-beton und Spannbeton nach den Normen EC2, DIN EN 206, DIN EN 13670 sowie nach derNormenreihe DIN 1045 geregelt sein.

Die neue Instandhaltungs-Richtlinie wird,insgesamt betrachtet, deutlich höhere Anfor-derungen an die Sachkundigen Planer von In-standhaltungsmaßnahmen stellen. In derneuen Richtlinie wird – unter anderem – dieplanerische Aufgabe um die Aspekte War-

tung, Inspektion und Verbesserung erweitert.Zudem wird sie als planerische Leistung dieBeurteilung der Einwirkungen und die Aus-wahl geeigneter Instandsetzungsprodukteund -systeme für die Restnutzungsdauer ei-nes Bauwerks oder Bauteils stärker als bisherin den Vordergrund rücken (Stichwort: Le-benszyklusbetrachtungen).

Dem neuen Ausschuss für die Ausbildung derSachkundigen Planer wird sich also ein rei-ches und wichtiges Betätigungsfeld bieten.

Seine Arbeit wird vom Geschäftsführer desDAfStb, Dr.-Ing. Udo Wiens, geleitet, der inder ersten Fachsitzung des Arbeitskreises imJanuar – bis zur offiziellen Wahl eines Ob-manns – mit der kommissarischen Leitungdes Ausbildungsbeirates betraut worden ist.Wiens hatte in der Vergangenheit schon viel-fach die Gründung eines Ausbildungsbeiratesgefordert und zugleich bekräftigt, dass dieserim Sinne einer allgemeinen Transparenz alleninteressierten zugehörigen Kreisen offenste-he müsse.

Arbeitstagung der Prüfingenieure in Halle/Saale mitinhaltlich weitgreifendem Vortragsprogramm

Ein Vortragsprogramm von weitgreifen-der inhaltlicher Substanz wird der kom-menden Arbeitstagung 2015 der Bundes-vereinigung der Prüfingenieure für Bau-technik (BVPI), die am 25. und 26. Sep-tember in Halle an der Saale stattfindenwird, fachliche Bedeutung von hohemRang verleihen. Mit bekannter Folgerich-tigkeit haben das Präsidium und die Ge-schäftsstelle der BVPI nämlich viele der-jenigen Themen für die beiden Tage aus-gewählt, die derzeit von hauptsächli-chem professionellen Interesse für diedeutschen Prüfingenieure und für vieleihrer Kollegen in den Bundesländern seindürften.

In der ehrwürdigen Leopoldina, einer der äl-testen Wissenschaftsakademien der Welt,werden, wie schon in Heft 45 des Prüfinge-nieurs gemeldet (Seite 13), die Prüfingenieu-re aus ganz Deutschland sich treffen. Ihnenwerden Fachvorträge kompetenter und fach-lich anerkannter Experten geboten über

■ die neuesten Entwicklungen im Zusam-menhang mit der Bauproduktenverord-nung der EU,

■ das Bauen im Bestand,■ die Nachrechnungsrichtlinie für Brücken,■ ausgewählte Probleme infrastruktureller

Bauaufgaben und deren ingenieurtechni-sche Lösungen,

■ wichtige und aktuelle Themen des Pla-nens, Bauens und Prüfens im vorbeugen-den und baulichen Brandschutz und über

■ das digitale Planen und Bauen..

Wie jedes Jahr, so wird auch diese Arbeitsta-gung in Halle mit einem Festvortrag beendet.

Dieses Mal präsentieren die Ingenieure ohneGrenzen ein Teilgebiet ihrer verantwortungs-vollen und aufreibenden Arbeit, den Bau ei-ner Brücke mitten im Dschungel, die nichtnur Ufer miteinander verbinden wird, son-dern ganze Kulturen. Ihre Planung und ihrBau haben in zweiundzwanzig Studenten derIngenieurwissenschaften kreative Neugierdeund den festen Mut generiert, auch Unge-

IN HALLE AN DER SAALE findet die nächste Arbeitstagung der Bundesvereinigung der Prüfinge-nieure für Bautechnik (BVPI) statt – hier Halles berühmter Marktplatz

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wöhnliches zu wagen und damit die profes-sionellen Leidenschaften der Ingenieure imallerbesten Sinne geweckt.

Die Ingenieure ohne Grenzen sind ein unei-gennütziger, loser, projektbezogener Zusam-menschluss gleichgesinnter Ingenieure undSachverständiger, die solche Menschen in al-ler Welt mit ihrem Können und ihrem Wissen

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18 Der Prüfingenieur | Mai 2015

Jörg Duensing als Nachfolger von Frank Puller einstimmigzum neuen Vorsitzenden der vpi Niedersachsen gewähltZum neuen Vorsitzenden der Vereinigungder Prüfingenieure für Baustatik in Nie-dersachsen ist einstimmig der Prüfinge-nieur für Baustatik und Beratende Inge-nieur Dipl.- Ing. Jörg Duensing (Hanno-ver) gewählt worden. Er tritt die Nach-folge von Dipl.-Ing. Frank Puller (Braun-schweig) an, der die VPI Niedersachsenseit 2009 als Vorsitzender geführt undsie in dieser Zeit als anerkannten Berufs-verband der Prüfingenieure seines Bun-deslandes landespolitisch, berufspoli-tisch und gesellschaftspolitisch weiteretabliert hat.

Puller hatte schon vor der turnusgemäßenWahl des neuen Vorstandes bei der Jahres-hauptversammlung der VPI Niedersachsen imNovember 2014 angekündigt, dass er sichnicht noch einmal für eine Wahl als Vor-standsvorsitzender aufstellen lassen würde,

DER NEUE VORSTAND der Vereinigung der Prüfingenieure für Baustatik in Niedersachsen (v.l.):Dipl.-Ing. Wolfgang Wienecke, Dipl.-Ing. Klaus Sellmann, Dipl.-Ing. Jörg Duensing, und Dr.-Ing.Günter Tranel; in der Mitte: Dipl.-Ing. Frank Puller, der langjährige frühere Vorsitzende der Lan-desvereinigung.

und er verwies dabei auf die in Niedersach-sen geltende Altersgrenze für die Anerken-nung als Prüfingenieur, die er in der nächstenWahlperiode des Vorstandes seiner Vereini-gung erreichen würde.

Auch Prof. Dr.-Ing. Hans Kruse (Oldenburg),der mehr als zehn Jahre lang dem Vorstand dervpi Niedersachsen angehört hat, teilte seinenKollegen in der Jahreshauptversammlung mit,dass er nicht erneut zur Wahl in den Vorstandantreten werde, dass er aber seine vor Jahrenbegonnene Arbeit für den Technischen Koordi-nierungsausschuss der vpi Niedersachsen auchkünftig fortführen und den Ausschuss, wie ersagte, „gerne weiter unterstützen“ wolle.

Frank Pullers Nachfolger gehört dem Vor-stand der vpi Niedersachsen seit 2009 an. Erist mit seinem Büro in Hannover ein in Nie-dersachsen und darüber hinaus auch in an-

deren Bundesländern geschätzter Prüfinge-nieur für Baustatik und Sachverständiger fürdie Prüfung der Standsicherheit, und er ist alsPrüfer für bautechnische Nachweise im Ei-senbahnbau anerkannt.

Bei den Vorstandswahlen wurden als Vor-standsmitglied Dipl.-Ing. Wolfgang Wienecke(Braunschweig) bestätigt und als neue Mit-glieder Dr.-Ing. Günter Tranel (Oldenburg)und Dipl.-Ing. Klaus Sellmann (Garbsen) ge-wählt. Alle Wahlen erfolgten ohne Gegen-stimmen. Puller und Kruse wurden von derLandesversammlung für ihren jeweiligen er-folgreichen ehrenamtlichen Einsatz für dieBelange der Prüfingenieure herzlich gedankt.Diesem Dank schloss sich der neue Vorstandausdrücklich an. Kruse gilt dieser Dank be-sonders für seine Bereitschaft, den Vorstandweiterhin auf Bundesebene im TechnischenKoordinierungsausschuss und auf Landes-ebene in der Fachkommission zu unterstüt-zen; Puller wurde vor allem für seinen erfolg-reichen Einsatz als Vorstandsvorsitzender ge-dankt und für seine offene Art, aktuelle Fra-gen innerhalb und außerhalb der Bundesver-einigung der Prüfingenieure zur Sprache zubringen. Dieser Dank ist verbunden mit denbesten Wünschen für seine weitere Tätigkeitim Präsidium der Ingenieurkammer Nieder-sachsen.

Die neue Geschäftsadresse der VPI Nieder-sachsen lautet:Vereinigung der Prüfingenieure für Baustatikin Niedersachsen Karl-Wiechert-Allee 1 B30625 HannoverTel.: 0511/3407-135E-Mail : [email protected]

unterstützen, für die die Versorgung mit in-frastrukturellen Grundbedürfnissen durchNot oder Armut nicht vorhanden oder gefähr-det ist. Ingenieure ohne Grenzen lösen akuteProbleme in den Bereichen Wasser-, Sanitär-und Energieversorgung sowie Brückenbau,und sie verbessern durch die Sicherung derinfrastrukturellen Grundversorgung die Le-bensbedingungen der Menschen. Erfolgrei-che Entwicklungsarbeit bedeutet für sie, ingemeinsamen Projekten mit lokalen Partnernpraktische und professionelle Lösungen zu

erarbeiten und umzusetzen (www.ingenieu-re-ohne-grenzen.org).

Der Veranstaltungsort der diesjährigen Ar-beitstagung, Halle an der Saale, ist eineStadt, in der man auf Schritt und Tritt Ge-schichte erleben kann. Besonders kennzeich-nend für Halle sind die berühmten fünf Türmeam Marktplatz und die Leopoldina. Durch dieFrancke’schen Stiftungen besitzt Halle eineeinzigartige Schulstadt, und mit den Hallorenist die älteste Brüderschaft der Welt hier da-

heim. Außerdem genießt Halle die Vorzügeeiner einmaligen Theaterlandschaft und vie-ler Grünflächen am Wasser … und in denAbendstunden laden diverse Restaurants,Bars und Kneipen zum fröhlichen Verweilenein, vor allem im September, der Halle undUmgebung meistens letzte schöne warmeSpätsommertage schenkt.

Alle Informationen über die Arbeitstagung2015 der BVPI stehen auf der Website derBVPI zur Verfügung. www. bvpi.de

NACHRICHTEN

Der Prüfingenieur | Mai 2015 19

Themen des 23. Bautechnischen Seminars NRW: BIM,Software-Qualität, Bestandsbau und BetonertüchtigungMit besonders aktuellen und ingenieur-technisch höchst anregenden Themenund Referaten hat das traditionelle Bau-technische Seminar NRW, das im Okto-ber vergangenen Jahres zum 23. Maldurchgeführt worden ist, die Erwartun-gen seiner zahlreichen Teilnehmer wie-der einmal erfüllt. Veranstalter diesesWeiterbildungstermins, der auf den Ter-minkalendern vieler Ingenieure in Nord-rhein-Westfalen markant notiert wird(und mittlerweile auch auf denen vielerIngenieure in anderen Bundesländern),sind nach bewährter Gepflogenheit dasMinisterium für Bauen, Wohnen, Stadt-entwicklung und Verkehr des LandesNordrhein-Westfalen, die Landesvereini-gung der Prüfingenieure VPI NRW, derLandesverband Beratender IngenieureVBI NRW und die Ingenieurkammer BauNRW.

Nach der Begrüßung durch den Präsidentender nordrhein-westfälischen Landesvereini-gung der Prüfingenieure, Dipl.-Ing. AlexanderPirlet, stellte Prof. Dr.-Ing. Reinhard Hartevom Lehr- und Forschungsgebiet „Statik undDynamik der Tragwerke“ der Bergischen Uni-versität Wuppertal die VDI-Richtlinie 6201„Softwaregestützte Tragwerksberechnung“vor. Harte erinnert im Rahmen seines Vortra-ges daran, dass es bisher in Deutschland kei-ne Qualitätssicherung für die Entwicklungund Anwendung von Software für die Trag-werksplanung gebe, dass diese Lücke abermit der VDI-Richtlinie 6201 geschlossen wer-den solle. Hartes Kollegin, Dr.-Ing. KirstenStopp, führte dazu einige ergänzende, sehranschauliche und bemerkenswerte Evaluie-rungsbeispiele vor.

Dr.-Ing. Toralf Burkert (Jäger IngenieureGmbH, Radebeul) zeigte in seinem auf-schlußreichen Vortrag Beispiele für das Bau-en im Bestand von Mauerwerksbauten. Da-bei sprach er vor allem über typische täglichestatische Probleme, über den Planungsablaufund die notwendige Bestandsaufnahme so-wie über die Erkundung der Bauwerksstruk-tur. Weiterhin stellte Burkert mögliche In-standsetzungsverfahren im Mauerwerksbauund Anwendungsbeispiele vor, wie zum Bei-spiel die Untersuchung des Fassadenmauer-werks der Elbphilharmonie in Hamburg undMessungen an der Sagrada Familia und derCasa Mila in Barcelona.

Der Vortrag von Dr.-Ing. Wolfgang Roeser(H+P Ingenieure, Aachen) schloss nahtlos andieses Thema an und behandelte Ertüchti-gungen im Bereich Stahlbeton- und Spann-betonbau sowie im Holzbau. Aufgrund geän-derter Nutzungsanforderungen wird, so be-richtete Roeser, in den nächsten Jahren eineVielzahl von Tragwerken in eine neue Lebens-periode zu überführen sein. Dabei würden oftauch statische Eingriffe im Bestand und Er-tüchtigungen erforderlich. In seinem Vortragstellte Roeser mit vielen erklärenden und er-läuternden Beispielen vor allem die planeri-schen Herausforderungen und die anzuwen-denden Regelwerke dar, beispielsweise diebekannten Merkblätter des Deutschen Be-ton- und Bautechnik-Vereins (DBV) und dieRichtlinien des Deutschen Ausschusses fürStahlbeton. Am Beispiel der Nachrechnungeiner Talbrücke in Stufe 4 der Nachrech-nungsrichtlinie erklärte Roeser außerdem diepraktischen Möglichkeiten von physikalischnichtlinearen Finite Elemente-Berechnungenmit 3D-Volumen-Elementen.

Nach der Mittagspause präsentierte Dipl.-Ing. Thomas Dausinger (KKK Ingenieurgesell-schaft, Düsseldorf) als Tragwerksplaner denNeubau des Kö-Bogens in Düsseldorf, dervom Architekten Daniel Libeskind geplantund von der Zech-Bau ausgeführt wurde. DieLösung der zahlreichen ingenieurtechnischenHerausforderungen, beispielsweise für dieBaugrube im städtebaulichen Umfeld derTunnelbaustelle der Wehrhahnlinie oder fürdie vorgespannten Decken des Hochbaus undder aufwendigen Fassade, wurden mit beein-druckenden Baustellenfotos demonstriertund visualisiert.

Die DIN EN 1090 „Ausführung von Stahl-bauten“ im Vergleich zur DIN 18800-7 warThema des Vortrags von Dipl.-Ing. JörgMährlein (Gesellschaft für SchweißtechnikInternational mbH, Niederlassung Duisburg).Bisher bestätigte, so berichtete Mährlein, dieBescheinigung gemäß DIN 18800-7, Ele-ment 1312, die Eignung eines Betriebes zumSchweißen von Stahlbauteilen. Im Ergebniswar dabei das Schweißen der maßgebendeProzess. Die Bescheinigung gemäß DIN EN1090-1 bestätigt nun hingegen, dass derHersteller über ein wirksames System derwerkseigenen Produktionskontrolle (WPK)verfügt. Es wird dabei aber keine konkreteAussage mehr über die Leistungen des Pro-

dukts machen. Daher kommt wohl der Bau-überwachung gemäß Paragraf 81 der Lan-desbauordnung NW zukünftig beim Schwei-ßen eine zunehmende und besondere Be-deutung zu.

Um das Bauen im Bestand ging es auch indem Vortrag von Univ.-Prof. Dr.-Ing. Wolf-gang Brameshuber (Institut für Baustoffkun-de der Rheinisch-Westfälischen TechnischenHochschule Aachen), der die baustoffkundli-chen Aspekte in den Vordergrund stellte.Auch hier wurde auf die Bedeutung der DBV-Merkblätter „Bauen im Bestand“ hingewie-sen. Brameshuber zeigte verschiedene Me-thoden der Untersuchung alter Bauwerke,wie zum Beispiel das Impact-Echo-Verfahren.Sowohl für die Abschätzung der Tragfähigkeitund Steifigkeit der Baustoffe als auch für dieAnwendung von Prüfverfahren müsse aber,so mahnte Brameshuber kollegial, eine aus-reichende Erfahrung vorausgesetzt werden.Hier sei eine sehr enge Zusammenarbeit alleram jeweiligen Bau Beteiligten für den Erfolgmaßgebend.

Schließlich referierte Dipl.-Ing. AndreasPlietz (Bautechnik-Referent beim Ministeri-um für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklungund Verkehr des Landes Nordrhein-Westfa-len) über diverse Brandereignisse bei Wär-medämmverbundsystemen. Er berichtete be-sonders über die Auswertung von mehrerenBrandereignissen und über die Ergebnissezahlreicher Brandversuche, die von einerspeziellen Projektgruppe durchgeführt wor-den sind. Außerdem erläuterte Plietz Neuig-keiten in Bezug auf die Bauregelliste B imSpannungsfeld zwischen der Bauwerkssi-cherheit einerseits und dem europäischenBauproduktenrecht andererseits. Im Zuge ei-ner Klage der Europäischen Kommission ge-gen die Bundesrepublik Deutschland habenämlich der Europäische Gerichtshof ent-schieden, dass Zusatzanforderungen in denBauregelisten der Länder im Einzelfall eineunzulässige Marktbehinderung für europä-isch harmonisierte Bauprodukte darstellenkönnten (siehe hierzu auch den ausführli-chen Bericht auf Seite 16).

Das Schlußwort erfolgte durch den Präsiden-ten der Ingenieurkammer Bau NRW, Dr.-Ing.Heinrich Bökamp.

Dr.-Ing. Wolfgang Roeser, Aachen

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20 Der Prüfingenieur | Mai 2015

Landesvereinigung Schleswig-Holstein beteiligt sich amDeutschlandstipendium des Bundesbildungsministeriums

Mit der ausdrücklichen Intention, denanderen Landesvereinigungen der Prüf-ingenieure speziell in dieser Sache einVorbild zu sein, hat sich die Landesverei-nigung der Prüfingenieure in Schleswig-Holstein dem Deutschlandstipendiumangeschlossen, mit dem der Bund (in die-sem Fall das Bundesministerium für Bil-dung und Forschung) und zahlreiche pri-vate Mittelgeber seit dem Sommerse-mester 2011 leistungsstarke und enga-gierte Studierende finanziell unterstüt-zen. Mit diesem Programm erhalten sol-che Studierende eine monatliche Förde-rung von 300 Euro, deren bisheriger Wer-degang herausragende Leistungen inStudium und Beruf erwarten lässt. Be-reits drei Viertel aller staatlichen undstaatlich anerkannten Hochschulen inDeutschland und mehr als 4.000 Förde-rer beteiligen sich an diesem Stipendien-programm.

Nach der aktuellen Bundesstatistik des Statis-tischen Bundesamtes wurden bis Ende 2013insgesamt 19.740 (2012: 13.896) Deutsch-landstipendien vergeben. Dies bedeutet eineSteigerung um 42 Prozent gegenüber 2012.Die meisten Stipendien wurden in Nordrhein-Westfalen vergeben (5.428), gefolgt von Bay-ern (3.116), Baden-Württemberg (2.837),

Hessen (1.803) Niedersachsen (1.721) undSachsen (1.069). Bezogen auf den Anteil dergeförderten Studierenden im jeweiligen Bun-desland lag das Saarland vorn, gefolgt vonBremen, Sachsen und Niedersachsen.

Insbesondere bei den sogenannten MINT-Fä-chern werden weibliche Studierende über-proportional gefördert (Ingenieurwissen-schaften: 29 Prozent Stipendiatinnen gegen-über 26 Prozent weiblichen Studierenden all-gemein; Mathematik und Naturwissenschaf-ten: 38 Prozent Stipendiatinnen gegenüber36,8 weiblichen Studierenden allgemein).Von den Stipendiatinnen und Stipendiatensind 67 Prozent an Universitäten und 30 Pro-zent an Fachhochschulen eingeschrieben(Studierende insgesamt: 64 respektive 32Prozent).

Laut Gesetz muss mindestens ein Drittel derStipendienmittel ohne Zweckbindung ver-geben werden. Auch 2013 wurde dieserWert deutlich übertroffen. 52 Prozent (Vor-jahr: 57 Prozent) der Stipendien waren nichtmit einer fachlichen Festlegung von Seitender Mittelgeber versehen. Jeweils 47 Pro-zent der Stipendien gingen in 2012 und2013 an Frauen (dies entspricht dem Anteilder Frauen an der Studierendenschaft insge-samt).

Das erste Stipendium der deutschen Prüfin-genieure empfängt die IngenieurstudentinCharlotte Ritter, die an der FachhochschuleLübeck studiert. Der Vorsitzende der Lan-desvereinigung Schleswig-Holstein, Dr.-Ing.Joachim Scheele, hat dazu mitgeteilt, dasssich der Aufwand seiner Landesvereinigungin Grenzen halte, denn die monatliche Zu-wendung der Prüfingenieure in Höhe von150 Euro wird vom Bund verdoppelt, sodassdie Studierenden mit monatlich 300 Euro ei-ne deutlich spürbare finanzielle Unterstüt-zung erfahren, die so den Zweck desDeutschlandstipendiums erfüllt, junge Men-schen bei der Entfaltung ihrer Talente zu för-dern. Dies sei, wie Bundesbildungsministe-rin Prof. Dr. Johanna Wanka neulich dazusagte, „eine der gewinnbringendsten Inves-titionen und eine Aufgabe für die ganze Ge-sellschaft“, denn das Deutschlandstipendi-um sei weit mehr als eine finanzielle Unter-stützung: Im Rahmen dieses Programmsentstünden Mentoringprogramme, Netz-werke und Projekte, die für viele von Inte-resse und Nutzen seien.

DR. JOACHIM SCHEELE, der Vorsitzende der Vereinigung der Prüfingenieure für Baustatik des Landes Schleswig-Holstein, übergibt an der Fach-hochschule Lübeck der Ingenieurstudentin Charlotte Ritter die Urkunde, mit der ihr das Deutschlandstipendium der Landesvereinigung verbrieftwird. Stolz darauf sind auch der Vizepräsident der Fachhochschule, Prof. Dr.- Ing. Joachim Lutz, und Nicole Grimm, die in der Abteilung Wissens-transfer der Fachhochschule deren Deutschlandstipendien organisatorisch betreut.

BRANDSCHUTZ

Der Prüfingenieur | Mai 2015 21

Die Brandschutzteile der Eurocodes als neue Regelnorm fürdie Brandschutzbemessung von Bauteilen und TragwerkenWelche Prämissen sind für die Brandschutzbemessung mitNaturbrandmodellen sinnvoll und wie werden sie geprüft?

Nachdem die Brandschutzteile der Eurocodes und deren Natio-nale Anhänge (NA) im Jahre 2010 veröffentlicht worden waren,wurden sie 2012 in die Musterliste der Technischen Baubestim-mungen (MLTB) und in der Folge auch in die LTB der Bundeslän-der aufgenommen. Sie sind mittlerweile bauaufsichtlich einge-führt und stellen nun die Regelnorm für die Brandschutzbemes-sung von Bauteilen und Tragwerken dar. Im vorliegenden Bei-trag wird beschrieben, unter welchen Randbedingungen eineAnwendung von Naturbrandmodellen für die Brandschutzbe-messung sinnvoll ist und wie bei der Prüfung vorzugehen ist.Hierbei werden erste Erkenntnisse der Auswirkungen der Er-gänzungen der Musterliste der Technischen Baubestimmungenbezüglich der Anwendung von Naturbrandmodellen nach Euro-code 1 Teil 1-2 (EC 1-1-2) dargestellt sowie die sich darauf be-ziehenden geplanten Änderungen des Nationalen Anhangs zuEC 1-1-2 (EC 1-1-2/NA) vorgestellt. Die Regelungen in Anlage1.2/1 der MLTB 09/2013 geben der Anwendung von Naturbrand-modellen einen Rahmen und den Genehmigungsbehörden einHilfsmittel für die Bewertung der zahlreichen Eingangsparame-ter. Grundsätzlich sind die Änderungen als großer Fortschritt inRichtung eines leistungsbezogenen Brandschutznachweises zubetrachten. Einige Einschränkungen in den Änderungen sindaber aus wissenschaftlicher Sicht zu überdenken. Dies betrifftbeispielsweise die Berücksichtigung des Flashovers, deren Re-gelung im künftigen Nationalen Anhang entsprechend dem ak-tuellen Stand der Wissenschaft neu gefasst werden wird.

studierte Bauingenieurwesen an der TU Braunschweig und istPrüfsachverständiger für Brandschutz in Schleswig-Holstein; erleitet seit 2013 das Fachgebiet Brandschutz des Instituts für Bau-stoffe, Massivbau und Brandschutz der TU Braunschweig; seit2004 ist er der hhpberlin Ingenieure für Brandschutz GmbH (Ber-lin, Hamburg) beruflich verbunden, zunächst als wissenschaftli-cher Leiter des Bereichs Ingenieurmethoden und ab 2008 als Lei-ter der Niederlassung Hamburg; seit 2012 vertritt er das Unter-nehmen als Gesellschafter und Mitglied der Geschäftsleitung.

www.ibmb.tu-braunschweig.de

Univ.-Prof. Dr.-Ing. Jochen Zehfuß

1 EinführungDie 2010 veröffentlichten Brandschutzteile der Eurocodes und derenNationale Anhänge (NA) sind 2012 in die Musterliste der Techni-schen Baubestimmungen (MLTB) und in der Folge in die Listen derTechnischen Baubestimmungen (LTB) der Bundesländer aufgenom-men worden. Sie sind somit bauaufsichtlich eingeführt und stellendie Regelnorm für die Brandschutzbemessung von Bauteilen undTragwerken dar. Der aktuelle Stand kann auf der Informationsseiteder Bauministerkonferenz unter www.is-argebau.de abgerufen wer-den.

Nachweise nach DIN 4102-4 können nur noch für die Fälle angewen-det werden, für die in den Eurocodes keine Bemessungsregeln existie-ren, wie zum Beispiel für Ausführungsdetails oder für Sonderbauteile(Brandwände). Die entsprechend überarbeitete Restnorm DIN 4102-4liegt als Entwurf seit Juni 2014 vor. Aufgrund der zahlreichen Einsprü-che ist zurzeit nicht abzusehen, wann und in welcher Form die novel-lierte DIN 4102-4 verabschiedet und als Technische Baubestimmungbauaufsichtlich eingeführt werden wird.

Die Eurocodes sehen neben den aus der DIN 4102-4 bekannten Be-messungstabellen auch vereinfachte und allgemeine Rechenverfahrenvor. Die allgemeinen Rechenverfahren können für die Berechnung desTrag- und Verformungsverhaltens von Bauteilen oder Tragwerken imBrandfall unter Berücksichtigung temperaturabhängiger thermischerund thermomechanischer Materialeigenschaften und thermischerDehnungen angewendet werden. Für Beanspruchungen nach der Ein-heits-Temperaturzeitkurve (ETK) sind die allgemeinen Rechenverfah-ren als Regelnachweis anwendbar.

Aufgrund der Komplexität und des vergleichsweise großen Aufwan-des dieser Nachweisverfahren eignen sie sich jedoch besonders fürNaturbrandbeanspruchungen. Derartige Nachweise erfordern jedocheine Abweichung von den bauordnungsrechtlichen Vorschriften undsind nur in Abstimmung mit den Genehmigungsbehörden anwend-bar. In der Musterliste der Technischen Baubestimmungen von Sep-tember 2013 [1] werden Randbedingungen für die Anwendung derNaturbrandverfahren beschrieben, welche in der Folge von den Bun-desländern sukzessive in die entsprechenden LTB übernommen wur-den.

Im vorliegenden Beitrag wird deshalb beschrieben, unter welchenRandbedingungen eine Anwendung von Naturbrandmodellen für dieBrandschutzbemessung sinnvoll ist und wie bei der Prüfung vorzuge-hen ist. Hierbei werden erste Erkenntnisse der Auswirkungen der Er-gänzungen in der Musterliste der Technischen Baubestimmungen be-züglich der Anwendung von Naturbrandmodellen nach Eurocode1 Teil 1-2 (EC 1-1-2) [2] dargestellt sowie die sich darauf beziehendengeplanten Änderungen zum Nationalen Anhang zu EC 1-1-2 (EC 1-1-2/NA) [3] vorgestellt.

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2 Brandschutzbemessung nach Eurocode2.1 Bauaufsichtliche EinführungBisher waren alle technischen Regeln zum Brandschutz, so auch die Be-messungsnorm DIN 4102-4, unter Ziffer 3 der LTB zusammengefasst.Mit der Ablösung der DIN 4102-4 als „Regel-Bemessungsnorm“ fürden Brandfall durch die Brandschutzteile der Eurocodes erfolgt eineNeuordnung in den LTB. Die technischen Regeln für die Einwirkungenim Brandfall (EC 1-1-2 und NA) finden sich nun unter der Ziffer 1 „Tech-nische Regeln zu Grundlagen der Tragwerksplanung und Einwirkun-gen“, und zwar direkt unter der entsprechenden kalten Einwirkungs-norm EC 1-1-1. Die brandschutztechnischen Bemessungsregeln EC x-1-2 und NA sind bei den „Technischen Regeln zur Bemessung und zurAusführung“ unter Ziffer 2 bei den jeweiligen Baustoffen direkt unterder entsprechenden kalten Bemessungsnorm EC x-1-1 zu finden.

In Ziffer 3 „Technische Regeln zum Brandschutz“ der MLTB ist die DIN4102-4 noch enthalten. Diese gilt für die Bemessungsregeln, die nichtin den Eurocodes enthalten sind, beispielsweise für Sonderbauteile,historische Bauweisen und für Ausführungsdetails [4]. Die als Entwurfvorliegende überarbeitete Restnorm DIN 4102-4 soll 2015 als konsoli-dierte Fassung vom DIN veröffentlicht werden, in der alle nicht in denEurocodes enthaltenen Nachweise verbleiben, sodass keine Nachweis-lücke entsteht, wenn die Eurocodes bauaufsichtlich eingeführt und diealte DIN 4102-4 zurückgezogen wird. Mit der novellierten DIN 4102-4werden die DIN 4102-22 sowie die Änderung A1 zu DIN 4102-4(03.94) zurückgezogen. In Anlage 3.1/1 der LTB wird festgelegt, dassfür die Bemessung tragender Bauteile im Brandfall die baustoffbezo-genen Eurocode-Brandschutzteile gelten, sodass eine Bemessungnach DIN 4102-4 nur noch für solche Nachweise möglich ist, die in denBrandschutzteilen der Eurocodes nicht geregelt sind.

Eurocode 1 Teil 1-2 sieht in Abschnitt 3 vor, dass die thermischen Ein-wirkungen im Brandfall neben der Einheits-Temperaturzeitkurve

auch mit Naturbrandmodellen ermittelt werden können. Im Nationa-len Anhang zu EC 1-1-2 wird festgelegt, dass Nachweise auf der Ba-sis von Naturbrandmodellen nur im Zusammenhang mit einemBrandschutznachweis erstellt werden sollen. Bei der Anwendung vonEurocode 1 Teil 1-2 muss die Anlage 1.2/1 der LTB beachtet werden.Bisher war hier festgelegt, dass Naturbrandmodelle von der Einfüh-rung ausgenommen sind. In der Ergänzung zur MLTB 09/2012 wurdedie Anwendung von Naturbrandmodellen unter bestimmten Randbe-dingungen eingeführt, auf die weiter unten noch eingegangen wird.Somit ist die Anwendung von Naturbrandmodellen grundsätzlichmöglich.

Die Übernahme dieser Regelung ist noch nicht in allen Bundesländernerfolgt. Tabelle 1 gibt einen Überblick (Stand Februar 2015), in wel-chen Bundesländern Naturbrandmodelle grundsätzlich eingeführtsind. Es ist zu erwarten, dass die Einführung der Naturbrandmodelle inden anderen Bundesländern sukzessive erfolgt.

2.2 Bemessung mit NaturbrandmodellenIn Abb. 1 wird die grundsätzliche Vorgehensweise bei den Brand-schutznachweisen nach Eurocode gezeigt. Die Eurocodes sehen da-nach prinzipiell drei verschiedene Nachweisebenen vor:

■ Ebene 1: Tabellarische Daten,■ Ebene 2: Vereinfachte Rechenverfahren,■ Ebene 3: Allgemeine Rechenverfahren.

Neben dem klassischen Weg, die thermischen Einwirkungen über no-minelle Temperaturzeitkurven, wie die ETK, zu bestimmen, bestehtnun auch die Möglichkeit, die thermischen Einwirkungen individuellund leistungsorientiert mit Naturbrandmodellen zu berechnen.

Eurocode 1 Teil 1-2 unterscheidet bei den thermischen Einwirkungenauf Bauteile zwischen den nominellen Temperaturzeitkurven, wie zum

Bundesland LTB vom Naturbrand nach Ziffer 3 EC 3-1-2

Baden-Württemberg 14. November 2014 Ist mit Einschränkungen anerkannt

Bayern 20. November 2014 Ist mit Einschränkungen anerkannt

Berlin 17. Januar 2014 Ist mit Einschränkungen anerkannt

Brandenburg 02. September 2013 Ist mit Einschränkungen anerkannt

Bremen 21. August 2013 Ist mit Einschränkungen anerkannt

Hamburg 28. Januar 2014 Ist mit Einschränkungen anerkannt

Hessen 06. März 2014 Ist mit Einschränkungen anerkannt

Mecklenburg-Vorpommern 17. März 2014 Ist mit Einschränkungen anerkannt

Niedersachsen 07. März 2014 Ist mit Einschränkungen anerkannt

Nordrhein-Westfalen 22. Mai 2012 Ist nicht anerkannt

Rheinland-Pfalz 22. Oktober 2014 Ist mit Einschränkungen anerkannt

Saarland 21. August 2014 Ist mit Einschränkungen anerkannt

Sachsen 22. Februar 2014 Ist mit Einschränkungen anerkannt

Sachsen-Anhalt 01. Juli 2014 Ist mit Einschränkungen anerkannt

Schleswig-Holstein Dezember 2011 Ist nicht anerkannt

Thüringen 12. August 2013 Ist mit Einschränkungen anerkannt

Tab. 1: Bauaufsichtliche Einführungvon Naturbrandmodellen in den Listender Technischen Baubestimmungen(LTB) der Bundesländer

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Beispiel der ETK oder der Außenbrandkurve, bei denen der Temperatur-zeitverlauf der thermischen Einwirkung direkt vorgegeben ist, und denNaturbrandmodellen. Der Verlauf der nominellen Temperaturzeitkur-ven ist von den Brandparametern eines zu erwartenden Brandes unab-hängig und soll die Brandeinwirkungen pauschalisierend auf der si-cheren Seite abdecken. Die ETK ist für (Voll-)Brände in Standardgebäu-den abgeleitet worden, für andere Nutzungen ist der Temperaturzeit-verlauf der ETK in der Regel unrealistisch.

Eurocode 1 Teil 1-2 unterscheidet zwischen vereinfachten und allge-meinen Naturbrandmodellen. Bei den vereinfachten Naturbrandmo-dellen handelt es sich um Näherungsverfahren, mit denen in einer ein-fachen Handrechnung der Temperaturzeitverlauf eines natürlichenBrandes in Abhängigkeit von den wesentlichen physikalischen Ein-gangsgrößen berechnet werden kann.

Als allgemeine Naturbrandmodelle werden die aus der Brand- undRauchgassimulation bekannten Zonen- und Feldmodelle bezeichnet,mit denen mit iterativen Verfahren die Gaseigenschaften sowie derMassen- und Energieaustausch zwischen bestimmten Kontrollvolumi-na berücksichtigt werden.

Grundlage der Naturbrandmodelle sollte ein reales Brandszenario mitdem zugehörigen Bemessungsbrand sein. Ausführliche Hinweise undHilfen werden hierzu in Kapitel 4 des vfdb-Leitfadens [5] gegeben. DerBemessungsbrand beschreibt den durch das Brandszenario hervorge-rufenen möglichen Brandverlauf quantitativ in Form von zeitabhängi-gen Brandparametern, wie zum Beispiel der Wärmefreisetzungsrate.Das Bauwerk ist so auszulegen, dass bei Auftreten des Bemessungs-brandes die in der Bauordnung verankerten Schutzziele erreicht wer-

den können. Der Bemessungsbrand lässt sich auf diese Weise physika-lisch eindeutiger beschreiben als durch die Vorgabe nomineller Tempe-raturzeitkurven.

3 Anwendung von Naturbrandmodellen 3.1 RandbedingungenFür die Brandschutzbemessung mit Brandbeanspruchung nach derETK liegen jahrzehntelange Erfahrungen vor. Ohne das Sicherheitsni-veau quantifizieren zu können, herrscht in der Fachwelt die einheitli-che Meinung, dass die Sicherheitsmarge ausreichend hoch ist, einegesellschaftliche Akzeptanz ist gegeben. Der Nachteil dieser Bemes-sung ist jedoch, dass sie sehr statisch und unflexibel ist. Die thermi-schen Einwirkungen werden bei nominellen Temperaturzeitkurven,wie der ETK, pauschalisierend vorgegeben, die tatsächlich vorhande-nen Randbedingungen der Brandraumgröße, der Brandgeometrie, derBrandlasten und der Ventilationsverhältnisse sowie die anlagentech-nischen Brandschutzmaßnahmen spielen bei der Brandschutzbemes-sung der Bauteile keine Rolle. Dies kann zu einer konservativen Be-messung führen, bei der ein quasi unsinniger Sicherheitsgewinn er-zielt wird.

Verdeutlicht werden kann das am Beispiel eines Bürogebäudes derGebäudeklasse 5 gemäß Musterbauordnung der Länder (MBO). Dietragenden Bauteile sind für vorgenanntes Gebäude nach MBO feuer-beständig auszuführen, für die Bemessung ist die ETK anzusetzen, alsoein Vollbrand mit 90-minütiger Beanspruchung. Die in Bürogebäudenvorhandenen Brandlasten sind jedoch allenfalls für einen 45- bis maxi-mal 60-minütigen Vollbrand ausreichend.

Abb. 1: Ablaufdiagramm Brandschutznachweise nach Eurocode [5]

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Weiterhin lässt die Brandschutzbemessung mit der ETK keine Berück-sichtigung anlagentechnischer Brandschutzmaßnahmen, wie zum Bei-spiel Löschanlagen, zu. Diese sind jedoch in einer Vielzahl von Sonder-bauten vorhanden. In Brandschutznachweisen werden die anlagen-technischen Brandschutzmaßnahmen bei der Bemessung der Rauch-ableitung berücksichtigt. Eine Löschanlage wirkt sich im Brandfall un-zweifelhaft positiv auf die Brandraumtemperaturen und somit auf diethermischen Einwirkungen auf die Bauteile aus. Dieser Vorteil bleibtbei der ETK-Bemessung unberücksichtigt. Die Naturbrandverfahren er-lauben die Berücksichtigung anlagentechnischer Maßnahmen, wobeidie Zuverlässigkeit im Rahmen des Sicherheitskonzeptes nach EC 1-1-2/NA berücksichtigt wird.

Die Anwendung von Naturbrandmodellen nach EC 1-1-2 [2] und zuge-hörigem Nationalen Anhang [3] ermöglicht eine risikogerechte Ermitt-lung der thermischen Einwirkungen auf das Tragwerk beziehungswei-se die Bauteile. Diese risikogerechte Vorgehensweise kann wirtschaft-liche und gestalterische Vorteile bieten, da zum Beispiel Betonüberde-ckungen oder Bekleidungen reduziert werden oder Bauteilquerschnit-te schlanker ausgelegt werden können.

Die Ermittlung der Brandbeanspruchung eines natürlichen Brandes mitNaturbrandmodellen führt insbesondere bei größeren Räumen zu ei-ner realistischeren Erfassung des Temperaturzeitverlaufs. Der Tempera-turzeitverlauf des natürlichen Brandes übersteigt die ETK häufig in derAnfangsphase. Nach Erreichen der Maximaltemperatur fallen die Tem-peraturen wieder ab, wohingegen die ETK stetig ansteigt. Beim Nach-weis mit Naturbrandmodellen muss der Nachweis der Standsicherheitdes Bauteils für die gesamte Branddauer von Brandbeginn bis zumAusklingen des Brandes erfolgen. Die Länge des Brandes ist dabei vonden erwähnten Randbedingungen abhängig. Durch Sicherheitszu-schläge für die angesetzten Brandlasten, die Wärmefreisetzungsrateund die anlagentechnischen Brandschutzmaßnahmen wird ein adä-quates und quantifizierbares Sicherheitsniveau gewährleistet.

Bei der Anwendung von Naturbrandmodellen ist zu berücksichtigen,dass die materiellen Anforderungen in den Bauordnungen auf derKlassifizierung nach der ETK basieren. Die Anforderung feuerhem-mend entspricht beispielsweise der Klassifizierung R30 (Feuerwider-standsdauer 30 Minuten), feuerbeständig der Klassifizierung R90 (Feu-erwiderstandsdauer 90 Minuten). Bei der Anwendung von Natur-brandmodellen werden die Intensität und die Dauer der thermischenEinwirkung individuell bestimmt, ein Bezug zu einer Feuerwider-standsdauer oder Klassifizierung ist nicht möglich. Folglich ist eine Ab-weichung von den materiellen Anforderungen an den Feuerwiderstandder tragenden Bauteile auf Grundlage von Paragraf 67 Absatz 1 derMBO beziehungsweise der Bauordnungen der Länder (LBO) erforder-lich. Im Bauantrag oder im Brandschutznachweis muss dargestelltwerden, unter welchen Randbedingungen das Naturbrandmodell an-gewendet wird, welches Naturbrandmodell verwendet wird und wiedie unter Umständen unterstellte Nutzungseinschränkung (zum Bei-spiel aufgrund begrenzter Brandlasten) sichergestellt werden soll.

Die Anwendung von Naturbrandmodellen erfordert eine sehr sorgfäl-tige Vorgehensweise bei der Brandschutzbemessung. Der Nachweis-aufwand ist höher als bei der Bemessung mit einer nominellen Tem-peraturzeitkurve, wie der ETK. Die Festlegung der maßgeblichenBrandszenarien, ihrer Lage und des Bemessungsbrandes bedingt eineVielzahl von Überlegungen, die nur im Rahmen eines schutzzielorien-tierten, ganzheitlichen Brandschutznachweises angestellt werdenkönnen. Der Verlauf des Bemessungsbrandes ist von den wesentli-

chen Brandparametern abhängig. Bezüglich der Ventilationsverhält-nisse ist zu untersuchen, ob eine niedrige Ventilation (ventilationsge-steuerter Brand) oder eine große Ventilation (brandlastgesteuerter-Brand) maßgeblich sind. Für die Brandlasten sind die in [3] tabellier-ten 90%-Quantilwerte anzusetzen. Die angesetzten Brandlasten stel-len eine Nutzungsbeschränkung dar, die in der Baugenehmigung fest-gelegt wird und deren Einhaltung durch organisatorische Maßnah-men sicherzustellen ist.

Die Einhaltung der in der Baugenehmigung unterstellten Randbedin-gungen und der gegebenenfalls vorgeschriebenen Nutzungsbeschrän-kungen kann durch regelmäßige Überprüfungen (die Anlage 1.2/1MLTB besagt: innerhalb des ersten Jahres und dann alle drei bis fünfJahre) erfolgen, zum Beispiel durch einen Brandschutzbeauftragtenoder durch einen Prüfingenieur beziehungsweise Prüfsachverständi-gen für Brandschutz.

3.2 Prüfung der NachweiseDer Feuerwiderstand der Bauteile wird im bauaufsichtlichen Verfahrenvom Prüfingenieur beziehungsweise vom Prüfsachverständigen fürStandsicherheit geprüft. Bei Anwendung des Naturbrandverfahrenssind besondere Sachkenntnisse auf dem Gebiet der Brandszenarienund der Brandverläufe erforderlich. Gemäß Anlage 1.2/1 der MLTBmuss der mit der Prüfung des Standsicherheitsnachweises beauftragtePrüfingenieur oder Prüfsachverständige zugleich Prüfingenieur/Prüf-sachverständiger für Brandschutz sein, oder er muss für die Beurtei-lung der Brandeinwirkungen einen mit Naturbrandmodellen erfahre-nen Prüfingenieur/Prüfsachverständigen für Brandschutz heranziehen.Im Rahmen der Prüfung der thermischen Einwirkungen sind gemäßAnlage 1.2/1 MLTB alle Eingangsparameter auf Vollständigkeit undRichtigkeit zu überprüfen, stichprobenartige Prüfungen oder Plausibili-tätsprüfungen genügen nicht. Durch den Prüfer ist eine Vergleichs-rechnung anzustellen.

Im Brandschutznachweis sind die Auswahl

■ der maßgeblichen Brandszenarien, ■ der Szenarienorte mit ihren Brandverläufen, ■ der maßgeblichen Ventilationsverhältnisse, ■ das Zusammenwirken mit unterstützenden und raumabschließen-

den Bauteilen, ■ gegebenenfalls anlagentechnische Maßnahmen und organisatori-

sche Brandschutzmaßnahmen

ganzheitlich darzustellen. Diese sind vom Prüfingenieur/Prüfsachver-ständiger für Brandschutz zu prüfen.

Die Schnittstelle zwischen dem Prüfer für Brandschutz und Standsi-cherheit liegt zwischen der thermischen Einwirkung und der thermi-schen Analyse der Bauteile (Abb. 2). Die thermische Einwirkung wirdvom Prüfingenieur/Prüfsachverständigen für Brandschutz geprüft. Diedaraus resultierende Erwärmung der Bauteile (thermische Analyse)und das Trag-und Verformungsverhalten des Tragwerks (mechanischeAnalyse) unter Berücksichtigung der Erwärmung, reduzierter Mate-rial eigenschaften und thermischer Dehnungen ist vom Prüf in ge nieur/Prüfsachverständigen für Standsicherheit zu prüfen. Die Praxis zeigtjedoch, dass insbesondere bei Anwendung des allgemeinen Rechen-verfahrens zurzeit häufig Probleme auftreten, da die Prüfingenieure/Prüfsachverständigen für Standsicherheit teilweise noch wenig Erfah-rung mit den Nachweisen haben und entsprechende Rechenprogram-me nicht zur Verfügung stehen. Daher werden insbesondere bei der

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thermischen Analyse häufig Prüfingenieure/Prüfsachverständige fürBrandschutz mit entsprechender Sachkenntnis hinzugezogen.

Die thermische Einwirkung eines Naturbrandes wird individuell in Ab-hängigkeit von den vorliegenden Randbedingungen ermittelt. In Anla-ge 1.2/1 der MLTB wird daher folgerichtig gefordert, dass geeigneteMaßnahmen festzulegen sind, die die Einhaltung der im Naturbrand-verfahren unterstellten Randbedingungen sicherstellen. Dies gilt nichtnur für die Brandlasten, sondern auch für sämtliche andere Randbedin-gungen, wie Ventilationsverhältnisse, Brandraumgeometrien und ther-mische Eigenschaften der Umfassungsbauteile. Es ist daher zu prüfen,ob Abweichungen vom genehmigten Zustand, die unter Umständen ge-nehmigungsfrei sein können, wie zum Beispiel eine nachträgliche Däm-mung, der Einbau eines Sonnenschutzes, das Versetzen nichttragenderraumabschließender Trennwände et cetera, einen Einfluss auf die imNaturbrandverfahren ermittelte thermische Einwirkung haben. DieRandbedingungen und Eingangsgrößen für das Naturbrandverfahrensind daher im Brandschutznachweis unter Berücksichtigung von Wech-selwirkungen (Rettungswegen, Brandbekämpfung) niederzulegen.

In einigen Bundesländern müssen der geprüfte Standsicherheitsnach-weis und der geprüfte Brandschutznachweis nicht schon mit dem Bau-antrag eingereicht werden, sondern erst zu Baubeginn vorliegen. Indiesem Fall ist eine enge Abstimmung der beteiligten Prüfer mit derGenehmigungsbehörde unerlässlich. Wenn das Naturbrandverfahrenangewendet wird, ist eine Abweichung zu beantragen, und wenn Nut-zungsbeschränkungen erforderlich werden, ist die Baugenehmigungzu ergänzen.

3.3 Wahl des geeigneten NaturbrandmodellsNeben der Festlegung des Bemessungsbrandszenarios und des Bemes-sungsbrandes ist auch ein Augenmerk auf die richtige Wahl des für denBemessungsfall zutreffenden Modells zu legen. Hierbei sind der Anwen-dungsbereich und die Leistungsfähigkeit der Modelle zu beachten [5].

Die Wahl des geeigneten Modells für die Bestimmung der Brandeinwir-kungen im Rahmen des Naturbrandverfahrens hängt im Wesentlichenmit dem zu führenden Nachweis beziehungsweise mit der Fragestel-lung zusammen. Die Tabelle 2 kann Hilfestellung bei der Wahl des ge-eigneten Modells sein. Bei der Zusammenstellung wurden „sinnvolle“Anwendungsbereiche berücksichtigt. Unter Umständen können dieModelle auch für andere Anwendungsbereiche angewendet werden, indenen sie dann jedoch unrealistische oder weit auf der sicheren Seiteliegende Ergebnisse erzielen. Tabelle 2 hat Empfehlungscharakter, dieindividuellen Randbedingungen der konkreten Fragestellung können imEinzelfall zu Entscheidungen führen, die von der Tabelle abweichen.

4 Änderungen im Nationalen Anhang4.1 AllgemeinesVom zuständigen DIN-Normausschuss 005-52-22 „Konstruktiver bau-licher Brandschutz“ wurden im Februar 2014 Änderungen und Ergän-zungen zu EC 1-1-2/NA beschlossen, mit denen nicht nur Schreibfehlerbeseitigt wurden, sondern auch den Festlegungen in Anlage 1.2/1 derMLTB Rechnung getragen wird.

In Anlage 1.2/1 Abschnitt 6 der MLTB werden konkrete Änderungen füreine Reihe von Eingangsdaten zur Ermittlung des Bemessungsbrandes(Bemessungs-Wärmefreisetzungsrate) vorgegeben. In Tabelle 3 wer-den die Angaben für diese Werte nach gültigem Nationalen Anhang(Stand 12/2010), der MLTB (Stand 09/2013) und der geplanten Überar-beitung des Nationalen Anhangs (Stand 2015) zusammenfassend dar-gestellt. Auf die wesentlichen Änderungen wird weiter unten detail-lierter eingegangen.

4.2 Berücksichtigung des FlashoversDie Regelung in Anlage 1.2/1 der MLTB, nach der die Brandentwick-lungsphase nach zehn Minuten abgeschlossen und die maximale Wär-mefreisetzungsrate zu diesem Zeitpunkt erreicht werden muss, ist aus

Tab. 2: Wahl des geeigneten Modells zur Bestimmung der Brandeinwirkungen im Rahmen des Naturbrandverfahrens

Brandszenario/Fragestellung Vereinfachtes Naturbrandmodell Allgemeines Naturbrandmodell

Kleine bis mittelgroße Räume (A < 400 m²) Parametrische Temperaturzeitkurven nachEC 1-1-2: NA Anhang AA

Zonenmodelle

Große Räume (A > 400 m²) EC 1-1-2 Anhang C, ggf. kombiniert mit EC 1-1-2: NA Anhang AA

CFD-Modelle, Mehrraumzonenmodelle(A < 1600 m²)

Hohe Räume (H > 6 m), z. B. Atrien EC 1-1-2 Anhang C CFD-Modelle, (Mehrraumzonenmodelle, A < 1600 m²)

Langgezogene Räume (L/B > 4), z. B. Tunnel – CFD-Modelle, (Mehrraumzonenmodelle)

Vertikaler Brandüberschlag / Fassade – CFD-Modelle

Horizontaler Brandüberschlag(Gebäude-Gebäude)

– CFD-Modelle

Freibrände EC 1-1-2 Anhang C CFD-Modelle

Fortschreitender Brand(Brandausbreitung, z. B. Garage)

– CFD-Modelle

Abb. 2: Aufstellung und Prüfung der Nachweise

BrandschutznachweisBrandschutz-

gutachterPSV

BrandschutzUntere

BauaufsichtFeuerwehr

StandsicherheitsnachweisStatiker Prüfstatiker

Brandschutz-gutachter

PSVBrandschutz

UntereBauaufsichtFeuerwehr

Thermische Einwirkung(Naturbrandkurve)

Statiker Prüfstatiker

Brandschutzbemessungder Bauteile

– thermische Analyse– mechanische Analyse

unterstützt

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wissenschaftlicher Sicht diskutabel. Für kleine Brandräume sind dieAuswirkungen dieser Regelung gering; für große und mittelgroßeBrandräume sind sie unter Umständen groß, und sie können zur Folgehaben, dass sich hohe thermische Beanspruchungen bereits in einersehr frühen Brandphase einstellen und dadurch wesentlich höhereAufheizgeschwindigkeiten auftreten. Unklar bleibt bei der Regelung inAnlage 1.2/1 der MLTB, wie mit dem abgeschnittenen Teil der Wärme-freisetzungsrate umzugehen ist. Wenn man der Logik folgt, dass fürden anzusetzenden Bemessungsbrand beim Naturbrand sämtlicheBrandlasten eingesetzt werden müssen, verschiebt sich die Branddau-er entsprechend, und die Vollbrand- und Abklingphase werden länger.

Die vorgenannte Regelung wurde im Normausschuss kritisch disku-tiert. Im Ergebnis wurde beschlossen, dass im Nationalen Anhang eineergänzende Regelung eingefügt werden soll, durch die der Flashoverbei der Wärmefreisetzungsrate berücksichtigt wird. Es wird hierbei aufdie Gleichung von Walton und Thomas zurückgegriffen, die bereits im

Anhang AA (Parametrische Temperaturzeitkurven) des Nationalen An-hangs verwendet wird, und die physikalisch sinnvoll, experimentellabgesichert und international anerkannt ist, und auch im vfdb-Leitfa-den [5] empfohlen wird. Auf diese Weise kann der Brandverlauf realis-tisch abgebildet werden. Wilk hat dies in seiner umfangreichen Aus-wertung von Realbrandversuchen bestätigt [6].

Dem Anliegen der obersten Bauaufsichtsbehörden wird somit Rech-nung getragen. Der Normausschuss hat die Vertreter der Projektgrup-pe der ARGEBAU gebeten, eine entsprechende Änderung der MLTB zuüberprüfen, sodass die künftige Regelung des Nationalen Anhangsauch in der MLTB berücksichtigt wird.

Gemäß der Änderung wird für Räume bis vierhundert Quadratmeterohne Öffnungen in der Dach- beziehungsweise der Deckenfläche einFlashover berücksichtigt, wenn die Wärmefreisetzungsrate den Wertnach Gl. BB.7a überschreitet.

Tab. 3: Änderungen in EC 1-1-2/NA nach MLTB 09/2013

Lfd. Nr. EC 1-1-2/NA: 10-2012 MLTB 09/2013 Geplante Änderung EC 1-1-2/NA: 2015 undKommentar

6.1 Faktor qf,k fehlt in Gl. (BB.1) Schreibfehler korrigiert Schreibfehler im NA korrigiert

6.2 χ = 0,7 für Mischbrandlasten inGl. (BB.1)

χ = 0,8 für Mischbrandlasten in Gl. (BB.1) χ = 0,8 für Mischbrandlasten in Gl. (BB.1)

6.2 90%-Quantil der Brandlastdichte (Spalte 3in Tab. BB.1) darf nicht unterschritten wer-den

keine Änderung, da Einzelerhebung nur in Son-derfällen sinnvoll und organisatorische Maßnah-men erforderlich

6.2 RHRf = 0,25 ...0,5 MW/m² fürBibliotheken

RHRf = 0,5 MW/m² für Bibliotheken RHRf = 0,5 MW/m² für Bibliotheken

6.3 max. Q‘max,k nach Gl. (BB.7) gilt auch fürRäume > 400 m²

keine Änderung, i. d. R. ist für große Räume einlokaler Brand als Bemessungsbrand zu wählen

6.3 Die Entwicklungsphase nach Bild BB.1 istso zu wählen, dass max. Q‘max,k nach spä-testens 10 min erreicht wird

Flashover wird gemäß Gl. (BB.7a) und (BB.7b)berücksichtigt, s. Anmerkungen im Text

6.4 Für die Auftretenswahrscheinlichkeit einesEntstehungsbrandes ist der ungünstigereWert aus den Angaben der Tab. BB.3 aus-zuwählen

keine Änderung, sinnvolle Ergänzung

6.4 Für die Ausfallwahrscheinlichkeit deröffentlichen Feuerwehr ist grundsätzlichder Wert p2,2 = 0,5 nach Tab. BB.4 anzuset-zen.

Keine Änderung, konservativer Ansatz bei Vorhan-densein einer Berufsfeuerwehr oder Werkfeuer-wehr, s. Anmerkungen im Text

6.5 Für die Ermittlung der bedingten Versa-genswahrscheinlichkeit ist in Gl. (BB.13)die Versagenswahrscheinlichkeit stets zu-mindest entsprechend der Schadensfolge„mittel“ in Ansatz zu bringen

keine Änderung, Festlegung des erforderlichenSicherheitsniveaus obliegt Bauaufsicht

6.5 Für Büro- und vergleichbare Nutzungen> 400 m² ist die Versagenswahrscheinlich-keit für „hohe“ Schadensfolgen zu berück-sichtigen

keine Änderung, Festlegung des erforderlichenSicherheitsniveaus obliegt Bauaufsicht

6.5 Sonderbauten, bei denen Auswirkungendes Versagens oder der Funktionsbeein-trächtigung eines Tragwerks zu schwerenFolgen für Leben, Gesundheit und nat. Le-bensgrundlagen führen können, sind derSchadensfolge „hoch“ zuzuordnen

keine Änderung. Keine klare Festlegung in MLTB.Welche Sonderbauten betrifft dies konkret? In derPraxis führt dies für alle Sonderbauten zum An-satz der Schadensfolge „hoch“.

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BB.7a

mit

At die Gesamtfläche der umfassenden Bauteile inkl. Öffnungsflächenin Quadratmeter,Aw die Fläche der Ventilationsöffnungen in Quadratmeter,hw die gemittelte Höhe der Ventilationsöffnungen in Meter.

Der zugehörige Zeitpunkt kann mit Gl. BB.7b ermittelt werden:

BB.7b

Auf der sicheren Seite liegend ist anzunehmen, dass die Wärmefreiset-zungsrate im Falle eines Flashovers schlagartig auf ihr Maximum an-steigt (Abb. 3).

4.3 Ausfallwahrscheinlichkeit der öffentlichen FeuerwehrDie Anhebung der Ausfallwahrscheinlichkeit der Brandbekämpfung

durch die Feuerwehr gemäß Anlage 1.2/1 MLTB auf p2,2 = 0,5 wurdenicht in der geplanten Änderung des Nationalen Anhangs berück-sichtigt. Der im Nationalen Anhang bisher empfohlene Wert von 0,2

t Q in s,1,fo fo= tα2 ·

.

Abb. 3: Verlauf der Wärmefreisetzungsrate mit Berücksichtigung einesFlashovers mit (1) Entwicklungsphase, (2) stationärer Phase, (3) Ab-klingphase, (a) t²-Anstieg und (b) 70 Prozent der Brandlast verbrannt

Q A A h in MVVfo t w w

., • , • •= +0 0078 0 378

Heißbemessung – Grenzen der Simulation?Zu dem hier abgedruckten Beitrag von Professor Dr. JochenZehfuß, insbesondere über die Anwendung von Naturbrand-modellen für die Brandschutzbemessung, hat uns ein fachli-cher Kommentar erreicht, den wir hier, in Kenntnis des Au-tors des Artikels, im vollen Wortlaut abdrucken. Er wurdeverfasst von Dr.-Ing. Frank Breinlinger, Beratender Ingenieurund Prüfingenieur für Baustatik der Fachrichtungen Stahl-/Metallbau und Massivbau sowie Geschäftsführender Ge-sellschafter der Breinlinger Ingenieure Hoch- und TiefbauGmbH (Tuttlingen/Stuttgart).

Einfache Berechnungen zeigen, dass bereits sehr geringe Variatio-nen der Parameter zu erheblichen Ergebnisveränderungen in Be-zug auf die erforderliche Bewehrung führen. Eine um einen Zenti-meter abweichende Betondeckung führt im ungünstigsten Fall zueiner Verdopplung der erforderlichen Längsbewehrung. Ein um einZentimeter exzentrisch sitzender Bewehrungskorb führt in einzel-nen Fällen zu einer Erhöhung der Bewehrung um fünfzig Prozent.Diese Sensitivität ist leicht nachvollziehbar, wenn man sich über-legt, dass bereits bei geringen Abweichungen in der Lage der Be-wehrung die für das Tragverhalten notwendigen Stähle in die hei-ße Zone rutschen und dort ihre Tragfähigkeit nahezu vollständigverlieren.

Vor diesem „sensitiven Hintergrund“ (auf jeder Baustelle ist dasMaß eher ein Zentimeter als ein Millimeter und auch cnom undcmin unterscheiden sich um diesen Betrag) erscheint die Berech-nung eines einzelnen Bauteils von geschulten Ingenieuren viel-leicht gerade noch möglich. Mit Blick auf das gesamte Tragwerkstellt sich aber die Frage, ob die Grenzen der sinnvollen Simulationnicht überschritten werden. Aus folgenden Gründen:

■ Hochgradig nichtlineare Problemstellung – komplexe Numerik(Konvergenzprobleme),

■ zu hohe Sensitivität,

■ Annahme einer exakten Herstellung der Bewehrung, die es inder Praxis so nicht gibt,

■ die in der Praxis angenommenen gleichmäßigen Erwärmungenin Stützenlängsrichtung sowie in Bezug auf den Umfang sindVereinfachungen, die notwendig sind, um die Berechnung über-haupt handhabbar zu machen; ungleichmäßige, realistische Er-wärmungen führen zu einem dramatischen Traglastabfall beiStützen.

Die wissenschaftliche Entwicklung hat zu den heute möglichenBerechnungsmethoden mit komplexen Programmen geführt. Die-se Entwicklung ist wichtig, und sie muss der praktischen Anwen-dung vorauseilen. Die Ergebnisse von Berechnungen zeigen mitder extremen Sensitivität aber deutlich, dass für die Praxis in dersehr großen Mehrzahl der Fälle Tabellen mit geometrischen Wer-ten für die Bemessung des Brandschutzes das richtige Werkzeugsind. Experten können in besonderen Fällen einzelne Bauteile de-tailliert mit physikalisch korrekten Modellen untersuchen. Voraus-setzung ist hierbei aber die genaue Kenntnis der Bauteile, bezie-hungsweise die millimetergenaue Herstellung auf der Baustelle.

Bei Verwendung der Einheitstemperaturkurve sind zusätzliche Si-cherheiten im thermischen Ansatz enthalten, da in der Regel ankeiner Stütze innerhalb eines Bauwerks eine Brandlast existiert,die quasi 90 Minuten lang 1000 Grad Celsius erzeugt. Nur deshalbkönnen streuende Ergebnisse in einem gewissen Rahmen im Ein-zelfall akzeptiert werden.

Würde man aber beginnen, mit Naturbränden diese „versteckte“Sicherheit komplett zu eliminieren und zudem Programme alsBlackbox der normalen Praxis zu übergeben, wäre dies zum heuti-gen Zeitpunkt das falsche Signal!

Frank Breinlinger Breinlinger Ingenieure Tuttlingen/Stuttgart

BRANDSCHUTZ

28 Der Prüfingenieur | Mai 2015

(bei einer üblichen Eingreifzeit der Feuerwehr von weniger als fünf-zehn Minuten) führt in Verbindung mit der Ausfallwahrscheinlichkeitder Brandbekämpfung durch die Nutzer p2,1 = 0,5 zu der Ausfall-wahrscheinlichkeit der manuellen Brandbekämpfung von p2 = 0,1.Dieser durch umfangreiche statistische Untersuchungen belegteWert [7] wird seit mehr als dreißig Jahren in DIN 18230-1 vorausge-setzt, und er wurde von der Bauaufsicht bisher nicht in Frage ge-stellt.

5 Beispiel für die Auswirkungen derMLTB-Vorgaben im Vergleich zum NAund seiner geplanten Änderung

In einem Anwendungsbeispiel sollen die Auswirkungen der Vorgabenin der MLTB [1] im Vergleich zum Nationalen Anhang [3] und seinergeplanten Änderung gezeigt werden. Für einen mittelgroßen Büro-raum soll die Temperatureinwirkung eines natürlichen Brandes berech-net werden (Tabelle 4). Der Büroraum hat Abmessungen von 16 x12,5 Meter und eine Grundfläche von Af = 200 Quadratmeter, die lich-te Höhe beträgt H = 2,70 Meter. Die Fenster haben eine Gesamtflächevon zwanzig Quadratmetern. Da die Verglasung im Brandfall nichtvollständig zerstört wird und an den Rändern der Fenster Reste derVerglasung verbleiben, wird der geometrische Öffnungsanteil zu 85

Prozent angesetzt. Die Öffnungsfläche beträgt somit Aw = 0,85 x 20,0= 17,0 Quadratmeter. Die gemittelte Höhe der Fenster beträgt hw =1,20 Meter. Eine Sprinkleranlage ist nicht vorhanden (p3 = 1,0).

In Abb. 4 wird die Änderung im Verlauf der Wärmefreisetzungsratenach NA 10/2012, MLTB 09/2013 und geplanter Änderung NA gezeigt.Nach MLTB 09/2013 ist sowohl die Brandlastdichte als auch die Wär-mefreisetzungsrate höher als bei den Ansätzen des Nationalen An-

EC 1-1-2/NA: 10-2012 MLTB 09/2013 Geplante ÄnderungEC 1-1-2/NA: 2014

Af [m²] 200

H [m] 2,7

Aw [m²] 17,0

hw [m] 1,20

qk [MJ/m²] 584

p1 0,0062 0,0069 0,0069

p2,2 0,2 0,5 0,2

pfi 0,00062 0,0017 0,00069

pf 1,3e-5 1,3e-5 1,3e-5

pf,fi 2,10e-2 7,49e-3 1,87e-2

βfi 2,03 2,44 2,10

γfi,q 0,98 1,12 0,99

γfi,RHR 0,99 1,10 0,99

χ 0,7 0,8 0,8

qf,x,d [MJ/m²] 572 654 578

RHRmax,d [MW] 26,14 29,16 26,14

tα [s] 300 300 300

t1,fo [min] 26 10 18

Q1,x [MJ] 13364 800 4469

t2,x [min] 68 62 66

Q2,x [MJ] 66761 90771 76473

t3,x [s] 112 107 110

Q3,x [MJ] 34339 39245 34690

Abb. 4: Vergleich der Wärmefreisetzungsraten in einem mittelgroßenBüroraum: Nationaler Anhang EC 1-1-2 (NA 12/2010), MLTB 09/2013,geplante Änderung Nationaler Anhang (NA neu)

Tab. 4: Vergleich maßgebliche Parameterfür Brandverlauf

BRANDSCHUTZ

Der Prüfingenieur | Mai 2015 29

Abb. 5: Vergleich der Temperatur der Einwirkung und im Bauteil (mit-telgroßer Büroraum) nach Nationalem Anhang EC 1-1-2 (NAD alt),MLTB 09/2013 (MLTB), geplanter Änderung Nationaler Anhang (NAneu)

hangs. Dies führt zu einem längeren Brandverlauf und einer höherenIntensität des Brandes. Aufgrund der pauschalen Festlegung in MLTB09/2013, dass nach zehn Minuten die maximale Wärmefreisetzungsra-te erreicht wird, ergibt sich insbesondere in der Anfangsphase einesBrandes eine wesentlich höhere thermische Beanspruchung, die sehrstark auf der sicheren Seite liegt. Der experimentell abgesicherte An-satz in der Überarbeitung des Nationalen Anhangs führt zu einer rea-listischen Berücksichtigung des Brandverlaufs auch im Falle eines Flas-hovers in einem mittelgroßen Brandraum.

Abb. 5 zeigt den mit den parametrischen Temperaturzeitkurven nachDIN EN 1991-1-2/NA Anhang AA berechneten Verlauf des Naturbran-des nach den Ansätzen im Nationalen Anhang 12/2010 (NA alt), MLTB09/2013 (MLTB) und der geplanten Änderung des Nationalen Anhangs(NA neu) im Vergleich. Am Beispiel eines mit 12,5 mm + 9,5 mm GKFfür die Feuerwiderstandsklasse R60 bekleideten dreiseitig beflammtenStahlträgers HEA 200 (Am/V = 108 1/m) ist der Verlauf der Stahltempe-ratur für die Naturbrandkurven nach den drei vorgenannten Ansätzendargestellt.

Abb. 5 zeigt, dass die Änderungen in der MLTB für mittelgroße Räumeaufgrund des sehr frühzeitigen Temperatursprungs durch den Flasho-ver nach zehn Minuten einen Einfluss auf die Bemessung von Bautei-len haben können.

Bei voller Lastausnutzung (Ausnutzungsgrad µ0 = 0,59) beträgt diekritische Temperatur für stählerne Biegebauteile Θcrit = 557°C. Bei Be-messung des Stahlbauteils unter Berücksichtigung der Änderungen inder MLTB übersteigt die Temperatur im Bauteil die kritische Stahltem-peratur, das Bauteil versagt. Bei einer realistischen Berücksichtigungdes Flashovers gemäß der geplanten Änderung des Nationalen An-hangs bleibt die Stahltemperatur unterhalb der kritischen Temperatur.

5 Literatur[1] Musterliste der Technischen Baubestimmungen vom September

2013. www.is-argebau.de[2] DIN EN 1991-1-2; Eurocode 1: Einwirkungen auf Tragwerke; Teil 1-

2: Allgemeine Einwirkungen; Brandeinwirkungen auf Tragwerke.Berlin: Beuth Verlag, Dezember 2010

[3] DIN EN 1991-1-2/NA: Nationaler Anhang – National festgelegteParameter; Eurocode 1: Einwirkungen auf Tragwerke; Teil 1-2: All-gemeine Einwirkungen; Brandeinwirkungen auf Tragwerke. Berlin:Beuth Verlag, Dezember 2010

[4] Wathling, K. D.: Anwendung der Eurocode-Brandschutzteile undder Restnorm DIN 4102-4 im Bauaufsichtlichen Verfahren. Braun-schweiger Brandschutztage ’12. 26. Fachtagung Brandschutz beiSonderbauten 19.-20. September 2012 in Braunschweig

[5] Leitfaden Ingenieurmethoden des Brandschutzes, Technischer Be-richt vfdb TB 04-01, 3. Auflage November 2013. Altenberge,Braunschweig: Vereinigung zur Förderung des Deutschen Brand-schutzes e. V. und D. Hosser (Hrsg.), 2013

[6] Wilk, E.; Kotthoff, I.: Der Brand in Räumen. Auswertung von Origi-nalbrandversuchen im Vergleich mit analytischen Rechenverfahren– Teil 1. vfdb-Zeitschrift 04/2012. Ebner-Verlag, Bremen

[7] Bub, H., Hosser, D., Kersken-Bradley, M., Schneider, U.: Eine Ausle-gungssystematik für den baulichen Brandschutz. Brandschutz imBauwesen, Heft 4, 1982

STAHLBAU

30 Der Prüfingenieur | Mai 2015

Ausführungsplanung und Ausführung der Stahlbauleistungenfür die Dachkonstruktionen der Elbphilharmonie HamburgDie Handskizze eines Knotenpunktes beantwortet die Frage:Welcher Stab ist der Elefant und welcher ist die Mücke?

Die Elbphilharmonie mit ihrem Konzertsaal für über 2.100 Zu-hörer, ihrem Hotel mit 243 Zimmern, ihren 45 luxuriösen Eigen-tumswohnungen, ihrem Multifunktionssaal für 550 Zuschauerund ihrem Parkhaus mit 500 Stellplätzen, diese Elbphilharmonieist ein architektonisch einzigartiges und technisch höchst kom-plexes Gebäude. Das Herzstück des Gebäudes ist ohne Zweifelder Konzertsaal. Das Konzept des Konzertsaals entspricht ei-nem zweischaligem Aufbau, wobei die äußere Schale mit demGebäude fest verbunden ist. Das Innere des Konzertsaals wirdseiner Akustik wegen mit Federelementen schalltechnisch vonder Außenschale entkoppelt und sorgt so für einen vollendetenMusikgenuss. Der Konzertsaal wird überspannt von dem Saal-dach, einer außergewöhnlichen räumlichen Fachwerkkonstruk-tion, die einer Belastung von zwanzig Airbus A-380 oder 124vierachsigen Diesellokomotiven standhält. Ein Teil dieser Belas-tung resultiert aus der bis zu dreigeschossigen Technikebeneoberhalb des Saaldaches. Verhüllt wird diese Technik von derbrillanten Fassade und dem wellenförmig geschwungenen Ge-bäudedach. Von technischer Raffinesse ist der nachfolgend be-schriebene Stahlbau, der diese Konstruktionen ermöglichte.

studierte von 1987 bis 1994 Bauingenieurwesen (KonstruktiverIngenieurbau mit Schwerpunkt Mechanik) an der Leibniz-Univer-sität Hannover und sammelte erste praktische Erfahrungen alsProjektleiter bei der Philipp Holzmann AG in Neu-Isenburg; 1995wechselte er in selber Position zur spannverbund GmbH in Wal-dems, wo er 2008 zum Geschäftsführer und 2012 zum alleinigenGesellschafter avancierte; neben seiner hauptberuflichen Tätig-keit ist Stefan Böhling Lehrbeauftragter für Stahlverbundbau ander Hochschule RheinMain in Wiesbaden.

Dipl.-Ing. Stefan Böhling

1 Einführung: Die Elbphilharmonieist ein weltweit architektonisch undtechnisch einzigartiges Gebäude

Die Elbphilharmonie entstammt einem Entwurf des Schweizer Archi-tekturbüros Herzog & de Meuron. Konzeption und Geometrie der im-posanten Tragkonstruktion wurden in enger Zusammenarbeit zwi-schen Herzog & de Meuron sowie dem Büro Schnetzer Puskas Inge-nieure AG entwickelt. Das Tragwerk des Neubaus vom siebten bis zum24. Obergeschoss mit allen Sonderbereichen, inklusive der Konzertsä-le, dem Gebäudedach und der Außenfassade, wurde bis zur Genehmi-gungsplanung vom Büro Schnetzer Puskas bearbeitet.

Die Firma HOCHTIEF hat die Ausführungsplanung und die Ausführungder nachfolgend beschriebenen Stahlbauleistungen (siehe Abb. 16) andie spannverbund GmbH (65529 Waldems) weitervergeben.

Die Elbphilharmonie ist architektonisch und technisch ein einzigartigesGebäude (Abb. 1). Sie ist High-Tech an einem historischen Ort und sollakustisch eines der besten Konzerthäuser der Welt werden. Auf demGrundriss des alten Kaispeichers entsteht mit 110 Metern Höhe einHochhaus mit einer Fassade, die selbst bei schwachem Licht wunder-schöne Lichtreflexe erzeugt (Abb. 2). Das Gebäude vereint neben demGroßen Konzertsaal mit 2.150 Plätzen auch ein Hotel mit 243 Zimmernsowie 45 Eigentumswohnungen und einen weiteren Multifunktions-saal für 550 Zuschauer, zuzüglich Restaurationen und Backstage-Be-reichen. Insgesamt steht ein Parkhaus in den Ebenen des alten Kai-speichers mit 500 Stellplätzen zur Verfügung.

Damit bei einem Konzert keine Geräusche von außen die Akustik stö-ren, wird das Innere des Konzertsaals mit 342 Federelementen schall-technisch von der Außenwelt entkoppelt. Das Konzept des Konzert-saals entspricht einem zweischaligen Aufbau (Abb. 3). Die äußereSchale, dazu zählen die bis zu 24,5 Meter hohen Wände und der Bo-den eines elliptischen Betonkessels mit dem Durchmesser von 55 x 50Meter sowie das den Kessel überspannende Saaldach, ist mit der Au-ßenwelt beziehungsweise mit dem Gebäude direkt verbunden. Die in-nere Schale wird durch die Federelemente von der äußeren Schaleentkoppelt. Zur inneren Schale gehören die Stahltribünen sowie einean das Saaldach über Federelemente angehängte Decke mit demtrichterförmigen Reflektor.

Die gesamte innere Stahlkonstruktion wird an ihrer Außenfläche zu-nächst mit Trapezblechen als verlorene Schalung umkleidet. Die ei-gentliche innere 20 cm dicke Betonschale wird anschließend überwie-gend im Spritzbetonverfahren aufgetragen. Es ergibt sich somit einvollkommen entkoppelter innerer Baukörper. Den sehr aufwendigenStahlbau für die Tribünen hat die Fa. Haslinger Stahlbau GmbH ausge-führt. Der Stahlbau oberhalb der Tribünen wird im folgenden Beitraggenauer beschrieben.

STAHLBAU

Der Prüfingenieur | Mai 2015 31

Abb: 1: Ansicht der Elbphilharmonie von den Landungsbrücken

2 Der Montagetisch: eine 150 Tonnenschwere temporäre Plattform ausStahlstützen und Stahlträgern

Damit das Saaldach einschließlich der Innenschale, der Weißen Haut(der Sichtebene der inneren Schale) und des Reflektors hergestelltwerden konnte, war eine temporäre Montageebene erforderlich. DieseMontageebene wurde parallel zur Montage der Tribünen aufgestellt.

Der Montagetisch ist eine circa 150 Tonnen schwere Plattform ausStahlstützen und -trägern, die temporär innerhalb des Konzertsaalsaufgebaut wurde. Der Tisch stand auf dem Saalboden und reichte biscirca fünf Meter unterhalb der Saaldachfachwerkebene. Dadurch er-gab sich eine Tischhöhe von 18 Meter ab Oberkante Saaldachboden.Im mittleren Bereich des Tisches gab es einen zweigeschossigen Be-reich für die spätere Zugänglichkeit des Reflektors. Ein Teil der Stützenragte als Schwerlasttürme bis zu 20 Meter über die Grundplattformdes Tisches hinaus und diente der Auflagerung wichtiger Teile des

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STAHLBAU

32 Der Prüfingenieur | Mai 2015

Abb: 3: Blick in den Konzertsaal zu Beginn der Saaldachmontage. Zuerkennen ist der obere Teil der Tribünen sowie der Montagetisch. ImBereich der Rippen 31 bis 50 wurde die lotrechte Spritzbetonwandzwischen den Tribünen bereits hergestellt

Abb: 2: Ansicht der Elbphilharmonie vom Anleger Arningstraße

Saaldachs während der Montage. Auf der Plattform des Tisches konn-ten später Flächengerüste für die weiteren Montagen errichtet wer-den. Während der Nutzungsdauer des Montagetisches mussten die Fe-derpakete unterhalb der Tischstützen durch Stahlstempel überbrücktwerden

Der Tisch wurde so konstruiert, dass die Elemente nach der Demonta-ge im sechs Meter langen Lastenfahrstuhl der Elbphilharmonie vomGroßen Konzertsaal bis ins Erdgeschoss befördert werden konnten.

3 Das Saaldach: ein 600 t schweres elliptisches Stahlverbundfachwerk, dasden Betonkessel vollständig überspannt

Das Saaldach ist der Deckel des Betonkessels und gehört zur äußerenWelt. Es besteht aus einem räumlichen über 600 Tonnen schwerenStahlverbundfachwerk mit einem elliptischen Grundriss, das den Be-

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Der Prüfingenieur | Mai 2015 33

tonkessel vollständig überspannt (Abb. 5). Das Fachwerk lagert mitEinbauteilen auf den Wänden des Betonkessels auf. Die Form der Saal-dachkonstruktion erinnert an einen Zipfelhut mit einer breiten Krempe.Im Bereich der Krempe hat die Konstruktion eine relativ geringe Nei-gung, schießt dann jedoch im Hutbereich steil nach oben. Die Kon-struktionshöhe der Fachwerke variiert dabei zwischen zwei und 9,5Meter. Durch die Überlagerung mit der Geometrie ergibt sich eine Ge-samthöhe von 20 Meter. Die wesentlichen Elemente der räumlichenStruktur bestehen aus 14 großen Fachwerken, zwei zentralen Stern-knoten (Abb. 4), an denen sich vier beziehungsweise sechs Fachwerkein einem Bereich von 180 Grad treffen, einem die zwei zentralenSternknoten verbindenden Firstfachwerk sowie sieben kleineren Fach-

werken, die bis zum sogenannten Innenring verlaufen. Der Innenringist ein, die großen Fachwerke im Übergang von der Krempe zum Hutkreuzender, elliptischer Fachwerkring. Die restlichen großen Fachwer-ke schließen am Firstfachwerk an.

Die Gesamtbelastung des Saaldachs beträgt über 100.000 kN. An-schaulich lässt sich dieses Gewicht mit zwanzig Airbus-A-380 oder 124vierachsigen Diesellokomotiven darstellen, die auf dem Dach verteiltvon diesem getragen werden können. Die Lasten resultieren aus demGebäudedach, der bis zu dreigeschossigen Technikebene zwischendem Gebäudedach und dem Saaldach sowie dem Deckel der Innen-schale (an Federn angehängte weitere Verbunddecke unterhalb des

Abb: 4: Teilmodell des Saaldach-fachwerks in der Perspektive

Abb: 5: Teilmodell des Saaldach-fachwerks im Grundriss

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34 Der Prüfingenieur | Mai 2015

Saaldaches), an der die sogenannte Weiße Haut (Sichtebene des Kon-zertsaals), der Reflektor sowie Teile der Tribünen angehängt sind.

Diese Lasten erzeugen im Saaldachfachwerk entsprechend große Kräf-te. So betragen beispielsweise die Gurtnormalkräfte im Firstfachwerk30.000 kN, die des Innenrings umlaufend ± 22.000 kN. Die Normal-kräfte in den großen Fachwerken betragen maximal 14.500 kN. AlsPlanungsgrundlage wurden die Schnittgrößen für ein ideales Fachwerkmit überwiegend gelenkigen Knotenpunkten übergeben. Sofern keineMomentengelenke konstruiert werden konnten, sollte über die N/M-Interaktionsbeziehung das zur gegebenen Normalkraft noch möglicheBiegemoment angeschlossen werden.

Bei der technischen Detaillierung mussten die folgenden Randbedin-gungen berücksichtigt werden: Geeignete Gewichte und Abmessun-gen für den LKW-Transport, Tragfähigkeiten der Hochbaukräne (12 t),Tragfähigkeit des Montagetischs für erforderliche Hilfsunterstützun-gen.

Die Auslieferung der Stahlkonstruktion erfolgte unter Berücksichti-gung der oben genannten Randbedingungen. Je nach Lage der Fach-werke und der damit verbundenen Krankapazität konnten weitere Ein-heiten durch eine Vormontage am Boden zusammengefasst werden.Dies galt vor allem für die Bereiche vom Auflager bis zum Innenringsowie für die kleineren Fachwerke. Die Bereiche vom Innenring bis zuden Sternknoten beziehungsweise dem Firstfachwerk und das First-fachwerk selbst mussten kleinteilig Stab für Stab montiert werden(Abb. 7). Das Einheben erfolgte teilweise mit einer Zweikranmontage.Begonnen wurde mit der Montage am Sternknoten Ost mit allen sechsFachwerken. Es folgten der Knoten West und das Firstfachwerk. ZumSchluss wurden die an das Firstfachwerk anschließenden großen Fach-werke montiert. Nach der Stahlbaumontage wurden die Schwerlast-türme entfernt, sodass die Konstruktion vor dem Erstellen der Beton-schale freitragend war.

Aufgrund der Geometrie kreuzten sich die verschiedenen Doppel-T-Profile in unterschiedlichsten geometrischen Lagen. Deshalb wurdendie Knotenpunkte in Bleche aufgelöst, an die die Stäbe relativ einfachangeschlossen werden konnten. Die Knotenbleche hatten dabei dieplastischen Tragfähigkeiten der Stäbe, die sie ersetzten.

Interessant waren natürlich die Umsetzungen der zentralen Sternkno-ten Ost und West sowie die Kreuzungsknoten der großen Fachwerke

mit dem Innenring. Entscheidend war immer die Frage, welcher Stabist der Elefant und welcher ist die Mücke. Zum Beispiel war am unte-ren Kreuzungsknoten der großen Fachwerke mit dem Innenring ganzklar der Innenring mit den hohen Zugkräften der Elefant, sodass dasKnotenblech der großen Fachwerke lokal geschlitzt wurde, um dieZugbleche des Innenrings durchführen zu können (Abb. 8). Die Stäbedes Innenrings wurden außerhalb der Knoten über Laschenverbindun-gen gestoßen. Es mussten viele tausend Bohrungen vorgesehen wer-den. Aufgrund der Vorgaben an die Werkstatt gab es keine einzigeFehlbohrung. Auch passte die gesamte räumliche Geometrie sehr gut.Die Maßhaltigkeit lag vor allem an der konstruktiven Umsetzung. DieAuflösung der Knoten in Knotenbleche ermöglichte die genaue Defini-tion von Anschlagpunkten, an denen die beliebigen Geometrien aus-gerichtet werden konnten. Natürlich erhöhten sich der Schweißauf-wand und die Tonnage, der Vorteil war jedoch der klare Kraftfluss unddie fehlerfreie Geometrie.

Vollkommen unabhängig von diesem Bauvorhaben verlieren wir Inge-nieure bei Entwürfen gelegentlich das Gefühl für das Detail. Das Detailist jedoch spannend und entscheidend. Am Rechner ist schnell einKnoten definiert, an dem verschiedene Stäbe anschließen. Doch müs-sen wir uns in dieser Phase auch Gedanken darüber machen, ob dieStäbe auch angeschlossen werden können. Das konstruktive Geschickgeht vollkommen verloren. Die Abb. 9 zeigt eine Handskizze des Au-

Abb: 6: Saaldachfachwerk während der Montage. Im Hintergrund derGebäudebereich mit den Wohnungen und den bereits montieren Ge-bäudedachflächen 1 und 2

Abb: 7: Beginn der Stahlbaumontage am Sternknoten Ost. Kleinteili-ge Montage im Bereich des Huts. Im Hintergrund sind die Trapezble-che für die Innenschale zu sehen

Abb: 8: Unterer Kreuzungspunkt eines großen Fachwerks mit dem In-nenring

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Der Prüfingenieur | Mai 2015 35

tors für einen Knotenpunkt. Exakt genau so ist der Knoten später aus-geführt worden. Dazu braucht es im Entwurf kein CAD, sondern Vor-stellungsgabe, und diese dürfen wir nicht verlernen.

Am Saaldach hängt an verschiedenen Knotenpunkten der Deckel derInnenschale an sogenannten Federklammern. Eine typische Feder-klammer wird in Abb. 10 dargestellt. Aus Gleichgewichtsgründenmuss immer ein Klammerpaar [ ] pro Auflager verwendet werden. DieFederpakete selbst liegen auf Konsolen am Saaldachfachwerk auf. Da-mit die Federklammern an den Stäben vorbeigeführt werden können,müssen sie im Grundriss beliebig gedreht an die Fachwerke (meist andie Fachwerkpfosten) anschließen können.

4 Der Deckel der Innenschale: eine anFederklammern hängende 250 Tonnen-Decke aus Slim-Floor-Trägern

Der Deckel der Innenschale ist quasi eine Decke aus Slim-Floor-Trägernmit Trapezblechprofilen als verlorene Schalung und 20 Zentimeter Auf-beton, die in einem Abstand von wenigen Zentimetern unterhalb derSaaldachfachwerke verläuft und an den oben beschriebenen Feder-klammern hängt. Das Stahlgewicht der Innenschale beträgt 250 Ton-nen inklusive des Reflektors, die geneigte Trapezblechfläche beträgtcirca 2.280 Quadratmeter. Da die Innenschale der Fachwerkgeometriefolgt, hat sie natürlich dieselbe Topografie. Die Hauptträger verlaufenlängs unterhalb der Saaldachfachwerke, beziehungsweise unterhalbdes Innenrings (Abb. 11). Die Nebenträger wurden in den steilen Be-reichen dreieckig im Grundriss angeordnet, um mit den Trapezblechendie räumliche Struktur der Unterseite der Saaldachfachwerke herstel-len zu können. Dies führte dazu, dass im Bereich der starken Nei-gungswechsel (quasi unterhalb des Innenrings) die Untergurte mit un-terschiedlichen Neigungswinkeln quer zur Trägerlängsrichtung herge-stellt werden mussten, damit die Trapezbleche aufgelagert werdenkonnten.

Die Trapezblechdecke musste frischbetondicht hergestellt werden. Daswar sehr aufwendig, da die ausladenden Federklammern die Trapez-blechebene im Bereich starker Neigungen teilweise durchstoßen ha-ben und diese Flächen nur durch Anpassungsarbeiten mit Feinblechenauf der Baustelle geschlossen werden konnten. Eine Herausforderungfür HOCHTIEF war anschließend das Betonieren der stark geneigten

Flächen. An der Spitze der Innenschale befindet sich das sogenannteAbluftbauwerk, eine rechteckige Stahlkonstruktion mit ausbetoniertenWänden, an der der in den Konzertsaal hineinreichende Reflektor an-gehängt ist. Der Reflektor besteht aus einer trichterförmig gebogenenrotationssymmetrischen Rohrkonstruktion mit einem maximalenDurchmesser von 14,2 und einer Höhe von 12,3 Meter. Der Reflektorhat ein Gewicht von 24 Tonnen (Abb. 12).

Die gesamte Konstruktion des Deckels der Innenschale sowie des Re-flektors wurde über lokale Einbringöffnungen im Saaldach eingefahrenund mit Hubwagen auf dem Flächengerüst des Montagetisches verteilt(Abb. 14). Dazu musste das Flächengerüst abgerüstet werden, da esfür die Saaldachmontage bis in die Fachwerkebene hineinreichte. Die

Abb: 9: Knotenskizze oberer Kreuzungspunkt eines großen Fachwerksmit dem Innenring

Abb: 10: Darstellung einer Federklammer im 3D-Modell. Träger Innen-schale (grün), Saaldachfachwerk (grau), Abluftbauwerk (rot), Reflek-tor (blau)

Abb: 11: 3D-Modell der Innenschale mit Federklammern, Abluftbau-werk und Reflektor

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36 Der Prüfingenieur | Mai 2015

Abb: 12: 3D-Modell des Saal-dachfachwerks mit Innenschale,Abluftbauwerk und Reflektor

Abb: 13: Schalenzwischenraum mit Blick in Richtung Abluftbauwerk.Zu sehen ist der Kreuzungspunkt eines großen Fachwerks mit demFirstfachwerk, ein Teil des Abluftbauwerks sowie die Träger und Tra-pezbleche der Innenschale vor dem Betonieren

Abb: 14: Unterseite der Innenschale mit abgewinkelten Untergurtenund den Gerüsten für die Trägermontage Abb:15: 3D-Modell der Technikebene

montiert werden, der Rest war Handarbeit. Dasselbe galt für den Re-flektor mit den langen vorgebogenen Stäben („Stoßzähnen“). Auchdiese Stäbe mussten innerhalb der Gerüstebenen mit Hubwagen ver-schoben und an der Einbaustelle mit Kettenzügen eingefädelt werden.Die Herstellung der Innenschale konnte erst beginnen, nachdem dieBetonschale des Saaldaches fertiggestellt und der sogenannte Ab-senkvorgang vollzogen worden war (Abb. 14). Der Absenkvorgangbeinhaltete das Freilegen von sieben Auflagerpunkten der Saaldach-fachwerke mit dem Ziel, die Auflagerlasten aus dem Eigengewicht aufdie verbleibenden Auflager umlagern zu können. Nach dem Absenkenwurden die freigesetzten Lager wieder aktiviert, um für die nachfol-genden Lastzustände tragfähig zu sein.

5 Der Technikstahlbau: eine teilweisedreigeschossige Ebene oberhalbdes Konzertsaals zur Aufnahme dergewaltigen Haustechnik

Nach der Durchführung des Absenkprozesses, konnte weitergebautwerden. Dies erfolgte zeitgleich unterhalb und oberhalb der Saal-dachfachwerke. Unterhalb mit der Erstellung der Innenschale, ober-halb mit der Montage der Technikebene und dem Gebäudedachoberhalb des Konzertsaals. Die Technikebene ist ein relativ unspekta-

weitere Montage erfolgte ausschließlich mit Kettenzügen, die an dieSaaldachfachwerke angehängt werden konnten. Lediglich ein Großteilder Federpakete, die auf den Konsolen der Saaldachfachwerke auflie-gen, konnten noch vor dem Schließen des Saaldachs mit dem Baukran

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Der Prüfingenieur | Mai 2015 37

kulärer mehrgeschossiger 300-Tonnen-Stahlbau, der als Unterkon-struktion einschließlich Wartungswegen für die gewaltige Haustech-nik oberhalb des Konzertsaals dient. Und damit wird der Technik-stahlbau doch zum Problem, da im Vorfeld eine sehr genaue Abstim-mung mit der Haustechnik stattfinden musste (Abb. 15). Die Ab-stimmung erfolgte mit Rhino-3D-Modellen (wie übrigens bei jederder hier beschriebenen Konstruktionen). Leider half auch die besteAbstimmung nichts, beim Technikstahlbau war auf der Baustelle im-mer mal wieder das Improvisationsvermögen der Ingenieure undHandwerker erforderlich.

Die Stützen des Technikstahlbaus stehen auf den Fachwerkknoten desSaaldachfachwerkes und nehmen zusätzlich die Lasten aus dem Ge-bäudedach auf. Unangenehm für die Montage des Gebäudedachesoberhalb des Konzertsaals war das Vorhandensein der Träger derTechnikebene sowie eines Großteils der Haustechnik, da aufgrund der„Zipfelmütze“ und des Technikstahlbaus um die „Zipfelmütze“ he-rum kein Platz für Hebebühnen etc. für die Dachmontage vorhandenwar.

6 Das Gebäudedach: eine Stahlkon-struktion aus speziellen Unikaten miteinem Gewicht von über 800 Tonnen

Das wellenförmige Gebäudedach besteht aus acht Teilflächen, die je-weils der Oberfläche einer Kugel mit einem konstanten Durchmesserentsprechen. Das Dach hat im Grundriss eine trapezförmige Flächevon 5.600 Quadratmetern mit den Seitenlängen 21/108/85/126 Me-

tern. Der tiefste Punkt des Daches liegt bei 79,1 Meter, der höchstePunkt bei 110 Meter. Die Elbphilharmonie wäre bei dieser Größe auchin Frankfurt am Main nicht zu übersehen. Die Dachneigung beträgt anden steilsten Stellen circa 55 Grad. Als Planungsgrundlage wurden dieGebäudegrundrisse und die Radien der Kugeln übergeben. Damit wur-de zunächst die Dachgeometrie Oberkante der Trapezblechebene kon-struiert. Dies ermöglichte der mit der Dacheindeckung beauftragtenFirma Wittenauer möglichst früh die Planung, unabhängig vom Stahl-bau, beginnen zu können.

Für den Stahlbau selbst war die entscheidende Frage zu klären, wiebei dem Konstruktionskorridor von 42,5 Zentimeter für den Stahlbaueine einfache Konstruktion entworfen werden kann und wie dieKräfte der „Schale“, bestehend aus Doppel-T-Profilen und Trapezble-chen, fließen. Dazu wurde ein geometrisch genaues Stabmodell ent-wickelt (Abb. 17), in welchem sämtliche Träger und die Trapezblecheabgebildet wurden. Ferner wurden die Windlasten aus den Windgut-achten (Endzustand, Bauzustände) mit Druck und Sog der unter-schiedlichsten Anströmrichtungen berücksichtigt. Das Modell wurdefür den Endzustand und für die Bauzustände verwendet. Die An-schlüsse wurden jeweils für das Maximum der sich aus den Syste-men ergebenden Schnittgrößen bemessen. RSTAB und RFEM bietendie Möglichkeit, Daten in Excel zu exportieren. Mit VBA konnten an-schließend eigene Tools entwickelt werden, die die Ergebnisse weiterauswerteten, um anschließend eine übersichtliche und zweckmäßigeDarstellung nach Knotentypen und Kraftklassen zu erhalten. Dies er-möglichte nach einiger Entwicklungszeit ein komfortables Arbeiten,da auf Knopfdruck bei Neuberechnungen die nach Anschlüssen sor-tierten Ergebnisse vorhanden waren. Das Modell hatte ungefähr10.000 Knoten die inklusive der Bauzustände ausgewertet werdenmussten. Nicht jeder Knoten ist ein Anschluss, auch dies konnte be-rücksichtigt werden.

Die Stahlkonstruktion hat ein Gewicht von über 800 Tonnen. Kein Trä-ger dieser 800 Tonnen gleicht dem anderen; es sind ausschließlich Uni-kate. Aufgrund der geometrischen Randbedingungen kam nur eine ge-schweißte Blechkonstruktion in Frage. Die räumliche Krümmung führtezu unsymmetrischen Querschnitten mit begrenzten Flanschbreiten, so-dass die Untergurte meist dicker und schmaler waren als die Obergur-te. In Extremfällen mussten sogar die Stirnplatten auf der Unterseitegefast werden, damit sie den Konstruktionskorridor nicht verließen.Auf den Oberflanschen wurden trapezförmige Rippen aufgeschweißt,auf denen das beliebig geneigte Auflagerblech für die Trapezblechebefestigt werden konnte. Das Auflagerblech verlief tangential zu denKugeloberflächen und diente gleichzeitig der Durchleitung der Zug-

Abb:16: Gesamtmodell mit Montagetisch, Saaldachfachwerk (braun),Decke Innenschale (grün) mit dem Abluftbauwerk (rot) und dem Re-flektor (blau), Gebäudedach (gelb), Technikstahlbau (mehrfarbig zwi-schen Saaldach und Gebäudedach)

Abb:17: RSTAB-Modell Abb:18: Dachfläche 5 mit dem Beginn der Trapezblecharbeiten

STAHLBAU

38 Der Prüfingenieur | Mai 2015

und Druckkräfte der Trapezbleche. Die Halterung am Kopf verhindertdie Verdrehung der offenen Profile (Abb. 20).

Grob lassen sich die Träger in die Typen Dachrandträger, Gratträger,Hauptträger und Nebenträger (Pfetten) einteilen. Zudem gibt es einegroße Anzahl von Verbandstäben, die die gekrümmten Träger unter-halb der Trapezbleche kreuzen. Am aufwendigsten waren die Dach-randträger (Abb. 19). Diese bestehen aus zwei parallel verlaufendenProfilen, die jedoch aufgrund der Dachgeometrie beliebig höhenver-setzt zueinander sein können. Das äußere Profil ist ein torsionssteiferKastenträger, der die Lasten aus der Fassade aufnimmt, der innere Trä-ger liegt auf den Gebäuderandstützen auf. Beide Träger sind über Kon-solen und eine Vielzahl von Bindeblechen miteinander verbunden. Fer-ner mussten Anschlüsse für die Fassadenreinigung, Dachrinnen, Deck-

bleche zur Auflagerung der Trapezbleche, Randbleche zum Schutz derDachdämmung usw. vorgesehen werden. Der Träger mit den meistenAufbauten hatte am Ende eine Stückliste mit knapp 1.000 Positionen,bei einem Gewicht von zehn Tonnen und einer Länge von 14,8 Meter.

Schwierig war die Montage der Träger, da aufgrund der Schwerpunkt-lage die Träger zum Gebäuderand kippen wollten. Es mussten also im-mer vorab Träger vom Inneren des Gebäudedachs vorhanden sein, da-mit die Randträger daran befestigt werden konnten. Da die Träger vomGebäudeinneren den Randträger wiederum als Auflager brauchten,mussten diese vorher unterstützt werden.

Die nächst komplizierten Träger waren die Gratträger, sie begrenzendie Dachflächen und bestehen ebenfalls aus einem geschweißten Kas-

Abb: 20: Dachfläche 2, im Hintergrund die Spitzen der Dachflächen 5und 7 sowie der eingehauste Zentralpeak

Abb: 21: Dachflächen 3 und 6 mit den abgeschlossenen Schweißar-beiten am Zentralpeak

Abb: 19: Randträger Dachfläche 5

STAHLBAU

Der Prüfingenieur | Mai 2015 39

Abb: 22: Dachfläche 6

tenprofil. Bei diesen Trägern lag das Augenmerk auf dem Kraftfluss derAnschlüsse innerhalb des Kastenprofils.

Vom Zusammenbau einfacher waren die gebogenen Haupt- und Ne-benträger. Im Kreuzungspunkt dieser Träger wurden, wie bei den Saal-dachfachwerken, Knotenbleche verwendet, um eine fehlerfreie Geo-metrie herstellen zu können.

Da der Konzertsaal das Gebäude in der Mitte vollständig ausfüllt, konn-ten zunächst nur die Randbereiche über dem Hotel (Dachflächen7,8,und teilweise 6) und über den Wohnungen (Dachfläche 1 und teil-weise 2) montiert werden. In diesen Dachflächen befinden sich die An-bindungen des Dachs an die Gebäudekerne. Außerhalb der Kerne gibtes keine nennenswerten horizontalen Auflagerpunkte, so dass dasDach die horizontalen Lasten über eine Spannweite von 70 Meter trägt.Die vertikalen Lasten werden über beliebig verteilte Innenstützen sowieRandstützen in einem Abstand von 4,3 bis 5,0 Meter getragen.

Nach Fertigstellung des Saaldachs und der Montage der Technikebenekonnte mit der Montage des Gebäudedachs oberhalb des Konzertsaalsbegonnen werden. Das Problem bestand für die Dachflächen 3, 4, 5und 6 vor allem in der Geometrie der Zipfelmütze der Saaldachdeckeund darin, dass die horizontalen Bereiche komplett durch den Technik-stahlbau und die Haustechnik zugebaut waren (Abb. 21). Die Gerüst-baufirmen konnten ihr ganzes Können beweisen, indem sie es immerwieder geschafft haben, zwischen allen Hindernissen hindurch Gerüst-türme zu bauen, auf denen die Dachträger temporär abgesetzt werdenkonnten. Man muss immer bedenken, dass sich die Montage an kei-nem Achsraster orientieren konnte und aufgrund der Krümmung jederTräger eine andere Höhe besaß. Letztlich waren die Zwangspunkte zurFassade in dieser Beziehung eher hilfreich, als ein notwendiges Übel.

Fast mittig über dem Konzertsaal befindet sich der zentrale Peak desGebäudedachs. Hier stoßen die Dachflächen 3, 4, 5 und 6 zusammen.Das Verschweißen der Träger des Peaks dauerte knapp vier Wochen.Das Vorwärmen erfolgte über Elektromatten. Geschweißt wurde über-wiegend E-Hand, da aufgrund der Windverhältnisse Schutzgas nur be-dingt eingesetzt werden konnte.

Direkt nach der Stahlbaumontage begann das Verlegen der Trapez-bleche vom Typ TR 85 mit einer Dicke von 1,0 bis 1,25 Millimeter. Be-gonnen wurde jeweils am tiefsten Punkt der Dachfläche (Abb. 18).Wenn eine Basis geschaffen worden war, konnten die Bleche bis indie hochgelegenen Dachränder verlegt werden. Aufgrund der Wind-verhältnisse und der Dachneigungen von bis zu 55 Grad wurden dieTrapezbleche an Leinen gesichert. Die Trapezbleche wurden auf demAuflagerblech der Dachträger stumpf gestoßen, es war nicht mög-lich, die Bleche mehrfeldrig auszuführen beziehungsweise im Stoß-bereich zu überlappen. Obwohl die Dachflächen durch die zwei Me-ter langen Trapezbleche segmentiert wurden, ergab sich eine anspre-chende quasirunde Optik. Nach dem Aufbringen der aufgeklebtenDampfsperre, der 185 Millimeter dicken Dachdämmung und zweiMillimeter dicken Dachhaut, war von einser Segmentierung nichtsmehr zu sehen, sodass sich eine ideal kugelförmige Oberfläche er-gab. Bilder des Gebäudedachs zeigen runde Pailletten mit einemDurchmesser von 90 und 110 Zentimeter. Das Dach ist mit 10.000Pailletten übersät, die als fünfte Fassade dem Dach einen besonde-ren Charme geben.

TRAGWERKSPLANUNG

40 Der Prüfingenieur | Mai 2015

Computerstatik und Tragwerksmodellierung – Vorschlägeund Impulse für eine moderne universitäre BaustatiklehreEin Bauingenieur muss mehr als seine Software wissen und das Tragwerk nicht nur berechnen, sondern auch verstehen

Die Bauingenieure werden heute nicht nur mit immer komple-xeren Rechenmethoden und Rechenprogrammen konfrontiert,sondern auch mit architektonischen Imaginationen, die skulp-turalen Geometrien eher ähneln als einem konkreten Trag -werks konzept – sie werden „schon irgendwie softwaremäßighingerechnet werden können“. Deshalb stellt sich heute nochmehr als früher die existenzielle Frage nach einer konkretenQualitätssicherung: Was muss ein Bauingenieur über die Soft-ware wissen, die er anwendet? Was kann er überhaupt wissen?Es herrscht ein breiter Konsens darüber, dass ein Statik-Pro-gramm nicht einfach als Black Box verwendet werden darf unddass eine Statik auf Knopfdruck ohne Qualitätssicherung un-möglich, mindestens jedoch unverantwortlich ist. Die, auch vomAutor des folgenden Artikels, immer wieder geforderten Plausi-bilitätskontrollen sind jedoch einfacher gefordert als durchge-führt. Es ist deshalb unerlässlich, dass die Anwender der Soft-ware auch etwas darüber wissen, was ihre Software tut. Derfolgende Beitrag diskutiert deshalb Aspekte der Qualitätssiche-rung bei computergestützten statischen Berechnungen und beider Tragwerksberechnung mit räumlichen Gesamtmodellen so-wie den Stand der Technik und potenzielle zukünftige Verbesse-rungen geometrisch nichtlinearer Berechnungen, und er leitetdaraus Vorschläge für eine sinnvolle Modernisierung der univer-sitären Lehre in der Baustatik ab.

ist Professor für Baustatik und Baudynamik an der UniversitätStuttgart und geschäftsführender Direktor des gleichnamigendortigen Instituts; Bischoff studierte von 1988 bis 1993 Bauinge-nieurwesen an der Universität Stuttgart und war bis 1999 wissen-schaftlicher Mitarbeiter am dortigen Institut für Baustatik;1999/2000 war er Gastwissenschaftler an der Universität von Ka-lifornien in Berkeley, 2001 bis 2005 Akademischer Rat und stell-vertretender Lehrstuhlleiter am Lehrstuhl für Statik der TU Mün-chen, 2005 folgte die Habilitation für das Fach Statik; er ist Mit-glied des Ausschusses für die Anerkennung von Prüfingenieurenfür Baustatik in Baden-Württemberg, des General Council der In-ternational Association for Computational Mechanics (IACM) undder German Association for Computational Mechanics (GACM)

Prof. Dr.-Ing. habil.Manfred Bischoff

1 Einführung 1.1 Zuses Erben Am Beginn der Computerstatik stand Konrad Zuses Traum von der Re-chenmaschine. Ein häufig zitierter Satz aus seinem Buch „Der Compu-ter – mein Lebenswerk“ [1] lautet:

Eine ausgesprochene Abneigung hatte ich gegen die statischen Rech-nungen, mit denen man uns Bauingenieurstudenten quälte. Die Pro-fessoren, die diese Rechnerei beherrschten, bewunderte ich wie Halb-götter aus einer anderen Welt. Würde ich das jemals begreifen? Spätersollte ich über das Problem des statischen Rechnens auf die Idee derprogrammgesteuerten Rechenmaschine kommen.

Wir sind die glücklichen Erben Zuses, die von der Realisierung diesesTraums profitieren. Trotzdem kann man nicht sagen, dass die Erstel-lung einer Statik durch programmgesteuerte Rechenmaschinen voll-ständig automatisiert sei. Es gibt sie nicht, die immer wieder angekün-digten „Expertensysteme“, und es wird sie niemals geben!

Eine Statik besteht aus einer Kombination mehrerer Schritte, die manbeispielsweise in der folgenden Form strukturieren kann:

■ Überführung des realen Tragwerks in ein statisches System (mecha-nisches oder mathematisches Modell);

■ Systemerkennung und Auswahl eines geeigneten Berechnungsver-fahrens;

■ Berechnung von Schnittgrößen, Verschiebungen, Spannungen usw.;■ konstruktive Umsetzung (Bemessung, Anwendung von Normen und

Vorschriften).

Im Rahmen des Entwurfsprozesses müssen diese Schritte möglicher-weise mehrfach durchlaufen werden.

Wir wissen nicht genau, was Konrad Zuse gequält hat. Klar ist, dasssich vor allem der dritte der oben genannten Schritte für eine Automa-tisierung anbietet und heute weitgehend automatisiert ist. Dass dieebenfalls häufig praktizierte automatische Bemessung (Schritt 4) pro-blematisch sein kann, beschreibt, neben vielen anderen, Rombach [2].Die Bemessung ist aber nicht das Fachgebiet des Autors und entspre-chende Aspekte deshalb auch nicht Gegenstand dieses Aufsatzes.

Hier soll es hauptsächlich um die Modellbildung und Systemerken-nung sowie um die Ermittlung von Verschiebungen und Schnittgrößen,das heißt, den strukturmechanischen Teil der Baustatik und der Bau -dynamik gehen, wie er auch dem Verständnis der Disziplin der Bausta-tik in einem typischen universitären Curriculum entspricht.

1.2 Statik-Programme als Black BoxNicht nur die Rechenmethoden und Rechenprogramme werden immerkomplexer, sondern, unter anderem als Folge der scheinbar unbe-

TRAGWERKSPLANUNG

Der Prüfingenieur | Mai 2015 41

grenzten Berechnungs- und Bemessungsmöglichkeiten, auch die Trag-werke. Moderne Architektur verlässt sich häufig darauf, dass aucheher skulpturale Geometrien ohne Tragwerkskonzept „hingerechnet“werden können. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage nach derQualitätssicherung. Was muss ein Bauingenieur über die Software wis-sen, die er anwendet? Was kann er überhaupt wissen?

Es herrscht ein breiter Konsens darüber, dass ein Statik-Programmnicht einfach als Black Box verwendet werden darf und eine Statik aufKnopfdruck ohne Qualitätssicherung wenn nicht unmöglich, so dochsicherlich unverantwortlich ist. Die, auch vom Autor dieses Artikels, im-mer wieder geforderten Plausibilitätskontrollen sind jedoch einfachergefordert als durchgeführt. Gleichgewichtskontrollen und Vergleichemit einfachen Ersatzmodellen sind gute Methoden, um Fehler zu iden-tifizieren, können aber nicht jedes Detail eines Rechenergebnisses ab-sichern. Es bleibt unerlässlich, dass der Anwender der Software auchetwas darüber weiß, was die Software tut.

Er kann aber nicht alles wissen, und das muss er auch nicht. Die Be-rechnung der Quadratwurzel aus 8 mit dem Taschenrechner auf demSchreibtisch des Autors liefert das Ergebnis 2,828427125. Wie ist die-ses Ergebnis zustande gekommen? Der Autor erinnert sich dunkel anein Handrechenverfahren auf der Basis von binomischen Formeln undan das Heron-Verfahren. Auch eine Nullstellensuche für die Funktionf(x) = 8 – x2 mit einer Newton-Iteration ist denkbar. Er weiß aber nicht,wie der Taschenrechner es gemacht hat; für die Qualitätssicherung istdas jedoch unerheblich. Die einfache Kontrollrechnung (notfalls vonHand) 2,8284271252 = 8,000000001 beseitigt das Misstrauen und er-innert nebenbei an die Tatsache, dass numerische Berechnungen meis-tens nur Näherungslösungen liefern.

Die Berechnung von Quadratwurzeln mit dem Taschenrechner ist eineinfaches Beispiel für einen Fall, bei dem eine Black-Box-Anwendungakzeptabel ist: es ist plausibel, anzunehmen, dass der Taschenrechnerdas richtig macht, und das Ergebnis lässt sich einfach verifizieren. Wirwissen genau, was die Software macht, ohne genau wissen zu müs-sen, wie sie es macht.

Natürlich sind statische Berechnungen komplexer. Die gesamte Ent-wurfs- und Bemessungsaufgabe hat auch keine eindeutig richtige Lö-sung. Trotzdem gilt auch hier, dass der Anwender genau wissen muss,was ein Programm macht (Abschnitt 2.2 behandelt ein Thema, beidem man befürchten muss, dass das häufig nicht so ist). Kenntnissedarüber, wie es das macht, sind dabei manchmal hilfreich. Es ist abernicht realistisch, zu fordern, dass man jeden Algorithmus, jede numeri-sche Methode bis ins letzte Detail kennt.

Eine praktische Leitlinie ist die folgende: Für jede Methode, jedes Pro-gramm-Modul, das er verwendet, muss der Anwender mindestens einmöglichst einfaches Beispiel identifizieren, dessen Lösung er von Handberechnen kann (oder zumindest kennt und auch versteht!).

Die Forderung an den Ingenieur, zu wissen, was ein Programm macht,ist untrennbar mit der Forderung an die Softwarehersteller verbunden,entsprechende Informationen auch zur Verfügung zu stellen. Demsteht häufig der Wunsch nach Geheimhaltung proprietärer Methodenund Algorithmen entgegen. Im Interesse einer verantwortungsvollenQualitätssicherung statischer Berechnungen muss es aber immer sosein, dass das Programm dem Ingenieur dient und nicht der Ingenieurdas Programm bedient!

2 Tragwerksmodellierung2.1 Statik am GesamtmodellStatische Berechnungen an räumlichen Gesamtmodellen sind mithilfemoderner Statik-Software heute Stand der Technik. Ihre Sinnhaftigkeitwird in der Fachwelt jedoch kontrovers diskutiert. Dabei ist es wichtig,zwischen den beiden Aspekten zu unterscheiden, die diese Fragestel-lung beinhaltet, nämlich

■ die Tatsache, dass es sich um Gesamtmodelle handelt und■ die Tatsache, dass es sich um räumliche Modelle handelt.

Mögliche Probleme und Fehlerquellen, die sich aus dem ersten Aspektergeben, können auch an ebenen Gesamtmodellen untersucht wer-den. Der zweite Punkt kann auch an verhältnismäßig kleinen (räumli-chen) Systemen diskutiert werden. In diesem Abschnitt wollen wir unsdeshalb zunächst der Frage widmen, welche Konsequenzen eine Be-trachtung am Gesamtmodell für die Qualität der statischen Berech-nung hat.

Es ist bekannt, dass der Bauablauf, insbesondere bei statisch unbe-stimmten Tragwerken, einen Einfluss auf die Verschiebungen und dieSchnittgrößenverteilung im Tragwerk hat [3], [4], [5], [6]. Eine linear-elastische statische Berechnung an einem Gesamtmodell geht davonaus, dass das gesamte Bauwerk ohne Einfluss der Gravitation zu-nächst mit seiner Soll-Geometrie errichtet und sämtliche Lasten erstdanach aufgebracht werden. Diese Betrachtungsweise nimmt dreiModellfehler in Kauf:

■ Lasten aus Eigengewicht unterer (im Bauablauf früher errichteter)Bauabschnitte verursachen rechnerisch Verformungen in späterenBauabschnitten, die noch gar nicht existieren. Diese künstlichenVerformungen werden in der Realität durch den Bauablauf kompen-siert.

■ Lasten aus Eigengewicht der früheren Bauabschnitte werden beistatisch unbestimmten Tragwerken rechnerisch zum Teil von nochnicht existenten Bauteilen abgetragen.

■ Der in der Baupraxis realisierte Verformungsausgleich hat außerdemzur Folge, dass Bauteile nicht mit der exakten Soll-Geometrie reali-siert werden. Der Einfluss dieser Geometrie-Abweichungen auf dieSteifigkeiten wird ignoriert.

Der erste der genannten Modellfehler hat den größten Einfluss auf diestatische Berechnung, der dritte den kleinsten. Für eine quantitativeDiskussion dieser Modellfehler betrachten wir das einfache Modell-problem des in Abb. 1 dargestellten zweistöckigen einhüftigen Rah-mens. Das Eigengewicht jedes der beiden Bauabschnitte ist als Gleich-last q idealisiert.

Die statische Berechnung am Gesamtsystem ergibt für die Vertikalver-schiebungen der Knoten 1 und 2 für das hier ausgewählte akademi-sche Zahlenbeispiel

Der Index „G“ soll dabei andeuten, dass es sich um eine Berechnungam Gesamtmodell handelt. Für die Normalkräfte in der unteren undoberen Stütze erhält man

D cm, D cm.1,G 2,G= =0 151 0 225, ,

N kN, N kN.1,G 2,G= − =80 7 39 4, ,

TRAGWERKSPLANUNG

42 Der Prüfingenieur | Mai 2015

Teilt man gedanklich die Wirkung der Lasten aus den beiden Bauab-schnitten unter Verwendung des Superpositionsprinzips auf, so ergibtsich das in Abb. 2 dargestellte Bild. Das linke Bild, das die Lasten ausdem Eigengewicht des ersten Bauabschnitts zeigt, illustriert zweigrundsätzliche Modellfehler:

■ Es entstehen in noch nicht existenten Bauteilen Verformungen (zumBeispiel eine Vertikalverschiebung D2) und

■ die noch nicht existenten Bauteile aus dem zweiten Bauabschnittsind an der Lastabtragung beteiligt.

Der zweite Effekt entfällt bei statisch bestimmten Tragwerken. Deshalbliefern eine Berechnung am Gesamtmodell und ein Baufortschrittsmo-dell mit Systemwechsel (siehe unten) identische Schnittgrößen, aberunterschiedliche Verformungen.

Eine einfache Möglichkeit für eine Berücksichtigung des Bauablaufsbesteht in der Berechnung mit Systemwechsel. Dabei werden die Last-fälle aus Eigengewicht schrittweise in der Reihenfolge des Bauablaufsauf die bis dahin errichteten Teilsysteme (Bauzustände) aufgebracht

(Abb. 3). Die Möglichkeit einer solchen Berechnung wird auch vonkommerziellen Programmen angeboten [4].

Für unser Zahlenbeispiel liefert die Berechnung des ersten Bauzu-stands

Dabei steht der Index „S“ für Systemwechsel. Für die Berechnung deszweiten Bauzustands wird auf das Gesamtsystem nur das inkremen-telle Eigengewicht, also nur der obere Teil der Last, aufgebracht (Abb.3, Mitte) und man erhält

Die Superposition der Ergebnisse aus beiden Zuständen liefert dasEndergebnis

das insbesondere bei der Verschiebung D2 des oberen Knotens deut-lich von der Berechnung am Gesamtmodell abweicht.

Bei der Berechnung mit Verformungsausgleich wird zusätzlich der Tat-sache Rechnung getragen, dass die während des Bauablaufs eintre-tenden Verformungen aus Eigengewicht durch ein quasi zu langes Ein-bauen der folgenden Stützen (zum Beispiel beim Betonieren im Mas-sivbau oder durch Einsetzen von Futterblechen im Stahlbau) ausgegli-chen werden. In unserem Zahlenbeispiel erhält dadurch die obere derbeiden Stützen eine Länge von 3,0008 Meter und ist deshalb minimalweicher. Der Einfluss auf das Endergebnis ist bei der hier gewähltenRundung auf drei signifikante Stellen nicht messbar. Die in [6] be-schriebene Methode zur Berechnung mit Verformungsausgleich kannjedoch gegenüber der Berechnung mit Systemwechsel auch algorith-mische Vorteile haben. Außerdem kann der Einfluss des Verformungs-ausgleichs bei größeren und komplexeren Tragwerken mit ausgepräg-ter statischer Unbestimmtheit größer sein.

Der Einfluss des Bauablaufs auf die Verschiebungen ist offensichtlichgrößer als der Einfluss auf die Schnittgrößen. Bei statisch bestimmtenSystemen und Berechnung mit Systemwechsel (ohne Verformungsaus-gleich) sind die Schnittgrößen identisch mit denen aus einer Berech-nung am Gesamtmodell (siehe oben).

Eine nach bestem Wissen des Autors in der Literatur bislang noch nichtbeschriebene weitere Variante zur Berücksichtigung des Bauablaufsliefert der algorithmische Rahmen von geometrisch nichtlinearen Be-rechnungen. Der Ablauf einer geometrisch nichtlinearen Berechnungbeinhaltet die sukzessive Veränderung der Systemsteifigkeit aufgrundder nichtlinearen Anteile aus Anfangsverschiebungssteifigkeit ku undgeometrischer Steifigkeit kg.

Im Bauwesen wird bei geometrisch nichtlinearen Berechnungen zurVereinfachung praktisch ausschließlich die Theorie II. Ordnung ange-wandt, bei der die geometrische Steifigkeit kg nur näherungsweise be-rücksichtigt und die Anfangsverschiebungssteifigkeit ku komplett ver-nachlässigt wird. Gerade in ku steckt jedoch die Information über Geo-metrieänderungen, also auch den Verformungsausgleich. Bettet man

Abb. 1: Einhüftiger Rahmen, Modellproblem für den Einfluss des Bau-ablaufs

Abb. 2: Berechnung am Gesamtmodell, Superpositionsprinzip

Abb. 3: Berechnung mit Systemwechsel

D cm,

N kN.

1,S1

1,S1

=

= −

0 080

43 0

,

,

D cm, D cm,

N kN, N kN.

1,S2

2,S2

1,S2

1,S2

= =

= = −

0 074 0 151

39 4 41 3

, ,

, ,

D cm, D cm,

N kN, N kN,1,S 2,S

1,S 2,S

= =

= − = −

0 154 0 151

82 4 41 3

, ,

, ,

TRAGWERKSPLANUNG

Der Prüfingenieur | Mai 2015 43

in eine vollständig geometrisch nichtlineare Berechnung, die ku und kgberücksichtigt, zusätzlich den Systemwechsel in die Veränderung derSteifigkeitsmatrizen mit ein, so erhält man einen Algorithmus, derganz automatisch sämtliche Effekte berücksichtigt.

Das heißt jedoch nicht, dass man immer vollständig geometrischnichtlinear rechnen muss, um den Bauablauf zu berücksichtigen. Ver-nachlässigt man die geometrische Steifigkeit kg und verzichtet aufGleichgewichtsiterationen, entspricht das einer linearen Berechnung.Die Information über den Verformungsausgleich steckt in der Anfangs-verschiebungssteifigkeit ku.

Diese hier nur in wenigen Worten grob skizzierte Methode wird imMoment im Rahmen einer Masterarbeit am Institut für Baustatik undBaudynamik der Universität Stuttgart implementiert und getestet [7].Dort werden auch Vergleiche mit einer klassischen Positionsstatik an-gestellt, bei der die Lasten von oben nach unten verfolgt werden.

Abschließend sei noch angemerkt, dass die Situation in der Realitätdurch weitere zeitabhängige Effekte (Kriechen und Schwinden, Bau-grund) noch komplizierter ist, als sie hier dargestellt wurde [5]. Einigeder Effekte können sich auch gegenseitig aufheben; allerdings sollteman bei der Modellbildung nicht grundsätzlich auf die Hoffnung bau-en, dass bestimmte Fehler gegebenenfalls durch andere Fehler wiederausgeglichen werden.

2.2 Geometrisch nichtlineare Berechnungen bei räumlichenTragwerkenFür Systeme mit großen Verformungen sowie Stabilitätsuntersuchun-gen werden in der Strukturmechanik geometrisch nichtlineare Theo-rien eingesetzt. Der wesentliche Unterschied zu geometrisch linearenBerechnungen (Theorie I. Ordnung) besteht darin, dass das Gleichge-wicht am verformten System gebildet wird.

Bei der im Bauwesen in der Regel eingesetzten Theorie II. Ordnungwerden im Vergleich zur vollständig geometrisch nichtlinearen Theorieeinige vereinfachende Annahmen getroffen, von denen die wichtigstedarin besteht, dass man von kleinen Verschiebungen u und Verdrehun-gen ϕ ausgeht, so dass

gilt. Für die Herleitung der linearisierten Differenzialgleichung nachTheorie II. Ordnung werden weitere Annahmen benötigt.

Möglichkeiten und Grenzen der Theorie II. Ordnung (zum Beispiel wer-den Durchschlagsphänomene nicht richtig abgebildet) sind in Theorieund Praxis wohlverstanden. In der Literatur gibt es jedoch keine ein-heitliche Definition einer räumlichen Theorie II. Ordnung. Bei der An-wendung unterschiedlicher kommerzieller Statik-Programme könnenräumliche Berechnungen nach Theorie II. Ordnung deshalb stark von-einander abweichende Ergebnisse liefern. Ein Beispiel für Ursachensolcher Abweichungen ist der räumliche P-∆-Effekt (Torsionsmomenteaus ausgelenkten Querkräften), der in manchen Programmen berück-sichtigt und in anderen vernachlässigt wird. Gensichen und Lumpe [8],[9] haben sich diesem Thema ausführlich gewidmet, und die Ergebnis-se ihrer Studien zeichnen ein unbefriedigendes Bild von der aktuellenSituation bei geometrisch nichtlinearen Berechnungen für räumlicheTragwerke im Bauwesen. In [9] werden nicht weniger als fünf ver-schiedene Varianten der räumlichen Theorie II. Ordnung, die in ver-schiedenen kommerziellen Programmen angeboten werden, unter-

sucht und verglichen. Es stellt sich die Frage, ob die Anwender dieGrenzen dieser einzelnen Theorien kennen und die Approximationsfeh-ler abschätzen können.

Wir nähern uns dem Thema zunächst auf der Basis der ebenen TheorieII. Ordnung. Der Approximationsfehler, den man dabei begeht, wirdam folgenden kleinen Beispiel illustriert. Wir betrachten die Verfor-mung eines infinitesimalen Linienelements (Abb. 4, links) und berech-nen die Normalverzerrungen in Stablängsrichtung nach Theorie ersterund zweiter Ordnung.

Die Verzerrung nach Theorie II. Ordnung εII enthält einen nichtlinearenTerm, der näherungsweise den Einfluss der Stabverdrehung auf dieLängsdehnung mit berücksichtigt.

Abb. 4, rechts, zeigt eine Starrkörperrotation um den Winkel ϕ für diedie Verzerrungen null sein sollten. Aus den entsprechenden Verschie-bungsverläufen

erhält man für die Normalverzerrungen nach Theorie I. und II. Ordnung

In beiden Fällen ist die Verzerrung nicht null. Für einen Rotationswin-kel von ϕ =10° erhält man

εI = –0,015 = 1,5%, εII = 0,0001 = 0,01%.

Die Theorie II. Ordnung liefert zwar den deutlich kleineren Fehler, dieAbweichung von der exakten Lösung steigt jedoch nichtlinear mit derGröße der Verformungen an. Entsprechende Abweichungen ergebensich selbstverständlich nicht nur für Starrkörperverdrehungen, sondernfür jede Deformation. Für baupraktische Fälle ist die Abweichung inder Regel akzeptabel, bei großen Verformungen werden jedoch auchdie Fehler in der Theorie II. Ordnung zu groß. Für einen Winkel von 45Grad ergibt sich bereits eine Stauchung von über vier Prozent.

Im Rahmen der Kontinuumsmechanik können für die Modellierungvon Problemen mit großen Verformungen zahlreiche verschiedene Ver-zerrungsmaße formuliert werden. In der Festkörper- und Strukturme-chanik wird, insbesondere im Zusammenhang mit der Finite-Elemen-te-Methode, meistens das Verzerrungsmaß nach Green-Lagrange ein-

sin cosϕ ϕ ϕ≈ ≈, ,,1

Abb. 4: Allgemeine Verformung und Starrkörperrotation eines infinite-simalen Linienelements

ε εI1 0

0II

2

=l -ll

=dudx

=dudx

+12

dwdx

.,

u(x) x ( cos ), w(x) x sin= − − =· · ,1 ϕ ϕ

ε ϕ

ε ϕ

I

II

du(x)dx

cos

du(x)dx

dw(x)dx

cos

= = − +

= +

= − + +

1

12

112

2

,

ssin2 ϕ .

TRAGWERKSPLANUNG

44 Der Prüfingenieur | Mai 2015

gesetzt. Vereinfacht gesagt beruht es auf der Idee, die Quadrate derLängen infinitesimaler Linienelemente zu vergleichen, im eindimensio-nalen Fall also

Der Faktor ½ ergibt sich aus der Forderung, dass die Linearisierung desVerzerrungsmaßes mit der Definition linearer Verzerrungen εI überein-stimmt. Einsetzen der Formeln für eine Starrkörperrotation liefert mit

die exakte Lösung. Für das Fachgebiet der Kontinuumsmechanik istdas eine fast triviale Beobachtung, die damit zusammenhängt, dass essich bei den Green-Lagrange-Verzerrungen um ein objektives Verzer-rungsmaß handelt. Für das Fachgebiet der Baustatik ist es insofern be-merkenswert, als hier immer wieder von einer „Theorie III. Ordnung“die Rede ist. Die Green-Lagrange-Verzerrung εGL unterscheidet sichvon εII jedoch nur um einen einzigen, quadratischen Ausdruck½ (du/dx)2, also einen Term zweiter Ordnung. Es taucht kein Term drit-ter Ordnung auf. Es handelt sich bei der Theorie II. Ordnung auch nichtetwa um eine Reihenentwicklung, die nach dem quadratischen Gliedabgebrochen würde, wie immer wieder irrtümlich behauptet wird. Füreine Theorie III. Ordnung scheint es außerdem in der Literatur keineeinheitliche, allgemein akzeptierte Definition zu geben, sondern ledig-lich die vage Vorstellung, dass gegenüber der Theorie II. Ordnung wei-tere nichtlineare Effekte berücksichtigt werden.

Die Pointe dieses kleinen Exkurses in geometrisch nichtlineare Verzer-rungsmaße für ebene Stäbe besteht darin, dass eine Erweiterung derTheorie II. Ordnung für beliebig große Verformungen nicht etwa auf ei-nen mühsamen Weg über Theorien dritter, vierter und noch höhererOrdnung bis ins Unendliche weist. Tatsächlich fehlt im Vergleich zu ei-ner vollständig geometrisch nichtlinearen Theorie für das vorliegendeBeispiel des Dehnstabs nur ein einziger Term zweiter Ordnung. DasHinzufügen dieses Terms bringt zwar bereits solche Komplikationen insSpiel, dass Berechnungen von Hand so gut wie ausgeschlossen sind.Wird jedoch ohnehin ein Stabwerksprogramm beziehungsweise dieMethode der finiten Elemente verwendet, sind die handwerklichenUnterschiede nicht so groß und nicht so bedeutsam. Methodisch ist essogar einfacher: man quält sich nicht mit der Frage, welche Terme nunzu berücksichtigen und welche zu vernachlässigen seien. Die einfacheAntwort lautet: man nimmt alle Terme mit.

Diese Überlegung führt uns schließlich auf die eingangs dieses Ab-schnitts angesprochene Problematik der unklaren Situation bei derräumlichen Theorie II. Ordnung. Eine vollständig geometrisch nichtli-neare Theorie ist auch im Räumlichen klar definiert und ist im Rahmenvon Computerberechnungen im Hinblick auf Qualitätssicherung,Nachvollziehbarkeit und Vergleichbarkeit (Prüfung!) für die Zukunftvielleicht der bessere Weg.

3 Baustatik in der universitären Lehre3.1 Von der Kunst des Rechnens zur Kunst der ModellbildungDie Praxis der automatisierten statischen Berechnung mit Computer-programmen muss in der universitären Lehre berücksichtigt werden.Dazu gehört zunächst die Vermittlung von Grundkenntnissen computer-

orientierter Methoden und der Methode der finiten Elemente. Genausowichtig ist jedoch die Beobachtung, dass sich die Statik von einer Kunstdes Rechnens zu einer Kunst der Modellbildung entwickelt hat.

Selbstverständlich hat die Modellbildung im Rahmen von Handrechen-verfahren schon immer eine große Rolle gespielt und ist praktisch de-ren integraler Bestandteil [10], [11]. Insbesondere die Methode der fi-niten Elemente hat jedoch eine Entwicklung in Gang gesetzt, die esuns heute scheinbar erlaubt, alles zu rechnen. Moderne Architekturnutzt diese Fähigkeiten manchmal bis an die Grenzen des Erträglichenaus. Die teilweise äußerst komplexen mechanischen Theorien und Mo-delle, die dabei verwendet werden, müssen also genau verstandenwerden, gerade weil nicht von Hand gerechnet wird! Die Kenntnis vonAnwendungsgrenzen und Approximationsfehlern sind für die Schritteder Validierung („Wurden die richtigen Gleichungen gelöst?“) und Ve-rifikation („Wurden die Gleichungen richtig gelöst?“) von Computer-berechnungen essenziell.

In den folgenden beiden Abschnitten werden beispielhaft zwei Aspek-te der Modernisierung universitärer Lehre behandelt, wie sie in derStuttgarter Statik praktiziert wird: In Abschnitt 3.2 wird die Bedeutungklassischer Handrechenverfahren als analytisches Denkwerkzeug be-schrieben, Abschnitt 3.3 widmet sich der stärkeren Betonung räumli-cher Tragwerke.

3.2 Rechenmethoden als DenkwerkzeugDas Kraftgrößenverfahren ist eine Methode zur Berechnung statisch un-bestimmter Tragwerke. Zum gleichen Ergebnis gelangt man, wenn mandie Berechnung mit dem Verschiebungsgrößenverfahren oder der direk-ten Steifigkeitsmethode durchführt. Schafft die Kenntnis mehrerer Me-thoden zur Lösung des gleichen Problems eine überflüssige Redundanz?Kann auf die Lehre solcher Methoden nicht verzichtet werden, wennman Stabwerksprogramme zur Verfügung hat? Diese häufig gestellterhetorische Frage wird ebenso häufig mit Nein beantwortet. Dabei gehtes meistens um die Bedeutung der mechanischen Grundlagen, den Ein-blick ins Tragverhalten, den insbesondere das Kraftgrößenverfahren ver-mittelt und natürlich auch um die Tatsache, dass es auch jemanden ge-ben muss, der solche Rechenprogramme produziert.

Neben dem häufig bemühten Gefühl für das Tragverhalten, das Be-rechnungen statischer Systeme von Hand vermitteln soll, bieten unsMethoden wie das Kraftgrößenverfahren jedoch ein mächtiges intel-lektuelles Werkzeug, nämlich, eine systematische Methode, bestimmteSachverhalte gedanklich zu analysieren, ohne explizit Berechnungendurchzuführen. Dieser Gedanke soll mit einem kleinen Beispiel illus-triert werden.

Abb. 5 zeigt einen scheinbar symmetrischen Zweifeldträger unterGleichlast. Bei näherer Betrachtung erweist sich das System als un-symmetrisch, da sich die Steifigkeiten der beiden Felder unterscheiden.Es stellt sich die Frage nach der Lastabtragung, insbesondere nachdem Momentenverlauf.

Vor dem Hintergrund, dass es sich um ein statisch unbestimmtes Sys-tem handelt, ist man geneigt, dem steiferen Balken den größeren Teil

εGL

2l l

l

(dx+du) -dx

dx

dxdu

+dwdx

du=

−= =

+12

12

12

12

12

02

02

2

2

2

ddx

2

.

TH.II.O.

Gε ϕ ϕ ϕGL

2cos +12

sin (-1+ cos )= − + + =112

02

Abb. 5: Zweifeld-träger unterGleichlast, Systemmit Belastung

TRAGWERKSPLANUNG

Der Prüfingenieur | Mai 2015 45

der Lastabtragung zuzuschlagen. „Steifigkeit zieht Kräfte an“, habenwir gelernt. Beim Versuch, einen plausiblen unsymmetrischen Momen-tenverlauf qualitativ zu skizzieren, kommen jedoch erste Zweifel auf.Auch die Überlegung, dass die Auflagerkräfte links und rechts unter-schiedlich sein könnten, scheitert an der Überprüfung des Momenten-gleichgewichts.

Ist der Momentenverlauf doch symmetrisch, obwohl das System un-symmetrisch ist? Ohne eine Rechnung durchzuführen, kann diese Fra-ge leicht und sicher mit einem Gedankengang beantwortet werden,der sich am Kraftgrößenverfahren orientiert und der in Abb. 6 illus-triert ist.

Der gedankliche Einbau eines Momentengelenks über dem mittlerenLager liefert ein statisch bestimmtes Grundsystem. Der Nullzustand(Lastzustand) ist offensichtlich symmetrisch, da bei einem statisch be-stimmten System die Steifigkeiten keinen Einfluss auf die Schnittgrö-ßenverläufe haben. Dasselbe gilt für den Einheitszustand (den statischunbestimmten Anteil). Die Gesamtlösung ist eine Linearkombinationvon Null- und Einheitszustand und damit ebenfalls symmetrisch. Daszunächst etwas knifflige Problem erweist sich durch den systemati-schen Denkansatz als verhältnismäßig einfach: Der Schnittgrößenver-lauf ist tatsächlich symmetrisch (die Biegelinie ist natürlich unsymme-trisch, Abb. 7).

Eine andere Situation ergibt sich, wenn der Träger an beiden Enden zu-sätzlich eingespannt ist. Das System ist dann dreifach statisch unbe-stimmt, zwei der drei Einheitszustände sind unsymmetrisch und derGedankengang ist nicht mehr so simpel. Abhilfe schafft dann die Wahleines statisch unbestimmten Grundsystems (wieder durch Einbau ei-nes Gelenks in der Mitte), und wir kommen zum selben Ergebnis: auchfür die eingespannte Variante sind die Schnittgrößen symmetrisch.

Für das seitlich eingespannte System kann man schließlich noch eineweitere erstaunliche Beobachtung machen: nimmt man das mittlereLager weg, so erhält man einen beidseitig eingespannten Balken mitunsymmetrischer Steifigkeitsverteilung. In diesem Fall werden die

Schnittgrößenverläufe tatsächlich unsymmetrisch, was ebenfalls mitder oben genannten Methode des gedanklichen Durchspielens einerBerechnung mit dem Kraftgrößenverfahren nachvollzogen werdenkann. Wir haben es also mit einer Situation zu tun, in der in einem(geometrisch) symmetrischen System mit symmetrischem Schnittgrö-ßenverlauf ein symmetrisches Bauteil auf der Symmetrieachse entferntund dadurch der Schnittgrößenverlauf unsymmetrisch wird! (DiesenSatz muss man vermutlich zweimal lesen.)

Neben der anekdotenhaften Kuriosität, die hinter solchen Gedanken-experimenten steckt, hat die Beobachtung, dass klassische Handre-chenmethoden auch als Denkwerkzeug eingesetzt werden können,den praktischen Nutzen, auch ohne aufwendige Berechnungen Plausi-bilitätskontrollen von Computerberechnungen durchführen zu könnenund Eingabe- und Interpretationsfehler bei der Anwendung von Re-chenprogrammen zu erkennen und zu vermeiden. Das oben bereits er-wähnte Gefühl für das Tragverhalten, mit dem erfahrene Ingenieureihre jungen Kollegen immer wieder verblüffen, ist vielleicht gar keinGefühl, sondern ein in Fleisch und Blut übergegangenes methodischesDenken, zu dem sie die Kenntnis klassischer Methoden der Statik befä-higt. Dieses wertvolle Werkzeug dürfen wir nicht aus der Hand geben!

3.3 Räumliche TragwirkungDer Trend zu statischen Berechnungen an räumlichen Gesamtmodellenwurde bereits in Abschnitt 2.1 diskutiert. Dort ging es um den Aspektdes Gesamtmodells. Aber auch auf die Tatsache, dass immer häufigermit räumlichen statischen Systemen gearbeitet wird, muss die Lehre inder Baustatik reagieren. Es gibt sicherlich viele gute und schlechteGründe für Berechnungen an räumlichen Systemen, die jedoch an an-derer Stelle diskutiert werden sollen. Unbestritten ist, dass bestimmteTragwerke eine räumliche Betrachtung zwingend erforderlich machen– man denke an den Neubau des Mercedes-Benz-Museums in Stutt-gart oder an Überdachungen von Fußballstadien. Jedenfalls muss dieLehre in der Baustatik auf diesen Trend reagieren.

Tragwerkserkennung und Schnittgrößenermittlung sind für räumlicheSysteme bedeutend komplexer als für ebene Systeme. Um die Studen-tinnen und Studenten nicht von vornherein zu sehr auf eine ebeneScheinwelt zu fixieren, werden an der Universität Stuttgart bereits inden ersten Vorlesungen über Baustatik ebene Systeme behandelt, diequer zu ihrer Ebene belastet sind. Das sind zwar, streng genommen,keine räumlichen Systeme, sie zeigen jedoch ein räumliches Tragver-halten (Verschiebungen aus der Ebene heraus, Torsion). Bereits an ver-hältnismäßig simplen Systemen kann man so an Phänomene heran-führen, die in der klassischen „ebenen“ Statik nicht auftreten.

Abb. 8, links, zeigt einen gebogenen, beidseitig eingespannten Trägerunter Querlast. Gesucht sind die Momentenverläufe. Unter Ausnut-

Abb. 6: StatischbestimmtesGrundsystem,Nullzustand undEinheitszustand

Abb. 7: Momenten-verlauf und Biegelinie Abb. 8: Beidseitig voll eingespannter Viertelkreisbogen unter Querlast

TRAGWERKSPLANUNG

46 Der Prüfingenieur | Mai 2015

zung der Symmetrie und Berücksichtigung der speziellen Belastung er-weist sich das System als einfach statisch unbestimmt. Wegen derKrümmung ist die Berechnung von Hand einigermaßen aufwendig. Füreinen Balken mit Biegesteifigkeit EI und Torsionssteifigkeit GIT ergebensich die folgenden Verläufe für das Biegemoment My und das Torsions-moment MT als Funktion des Winkels ϕ:

Interessanter und aussagekräftiger als diese abschreckenden Formelnist die grafische Darstellung der Momentenverläufe für ein (akademi-sches) Zahlenbeispiel. Mit EI = 2500 kNm2, GIT = 1750 kNm2,r = 10 m und q = 5 kN/m erhält man die in Abb. 9 dargestellten Mo-mentenverläufe.

Der Verlauf des Biegemoments entspricht qualitativ dem eines gera-den, beidseitig eingespannten Balkens. Auch quantitativ liefert die(unzulässige!) Betrachtung des Systems als gerader Balken mit derLänge l = r · π/4 ≈ 15,71 m erstaunlich gute Übereinstimmungen.

Feldmoment: MF = 51,4 kNm (gekrümmter Balken: 45,7 kNm)Einspannmoment: ME = –102,8 kNm

(gekrümmter Balken: – 114,1 kNm)

Man darf sich von dieser scheinbar hilfreichen Analogie nicht dazuhinreißen lassen, die aufwendige Berechnung des gekrümmten Sys-tems zu scheuen, und den Balken näherungsweise als geraden Balkenzu dimensionieren, denn das Torsionsmoment ist beim geraden Balkennatürlich identisch null.

Dies führt uns auf die eigentlich interessante Frage an dieses Beispielnach der Herkunft des Torsionsmoments: entsteht es aus Zwang oderaus Gleichgewicht? Die Frage ist mit einem Blick auf die oben angege-bene Formel für MT schnell beantwortet: Setzt man die Torsionssteifig-keit GIT, und damit den Zwang, auf null, wird dadurch das Torsionsmo-ment nicht null. Das Torsionsmoment wird also aus Gleichgewichts-gründen benötigt und muss bei der Bemessung unbedingt berücksich-tigt werden. Trotz der statischen Unbestimmtheit gibt es keine Mög-lichkeit zur Umlagerung!

Für unser Zahlenbeispiel erhält man in den Viertelspunkten des Trägersmit GIT = 1750 kNm2 ein Torsionsmoment von MT = ±12,5 kNm. MitGIT = 0 beträgt es rechnerisch immerhin noch MT = ±7,1 kNm.

Eine alternative Annäherung an die Frage nach Zwangs- oder Gleich-gewichtstorsion ist wieder über das Kraftgrößenverfahren möglich.

Mqr (4(sin +cos ) ) GI ( ) sin cos EI

(y

2T=

− − − − + − +( ) ϕ ϕ π π ϕ ϕ ππ

2 4 2( )

++ + −

=− + + − +

2 2

412

12

22

),

GI ( ) EI

Mqr (sin cos ) ( ) GI

T

T

2

π

ϕ ϕ π π π ϕ TT ( ) (cos cos ) sin ) ( ) E

(

− − − − − + + −

+

π ϕ ϕ ϕ π π π ϕ

π

412

12

22 I

22 2) GI ( ) EIT + −π

Abb. 9: Verläufe vonBiegemoment Myund TorsionsmomentMT

Abb. 10: Beidseitig torsionsweich eingespannter Viertelkreisbogenunter Querlast

Abb. 11: Momenten-verläufe für torsions-schlaffe Einspannung

Abb. 10 zeigt einen beidseitig torsionsschlaff eingespannten Trägerals mögliches statisch bestimmtes Grundsystem. Die entsprechendenMomentenverläufe sind in Abb. 11 dargestellt, und man sieht, dassauch hier ein Torsionsmoment auftritt. Es kann sich nur um Gleichge-wichtstorsion handeln, da das System statisch bestimmt und derSchnittgrößenverlauf steifigkeitsunabhängig ist. Der MT-Verlauf imEinheitszustand ist konstant, die Superposition liefert also auf jedenFall ein Torsionsmoment ungleich null.

Bemerkenswert ist, dass, obwohl beim torsionsschlaff eingespanntenSystem das Torsionsmoment MT am Trägerende null ist und der Trägernur in seiner Achse belastet wird, Torsion aus Gleichgewicht entsteht.Die Ursache liegt in der Krümmung des Balkens und der Tatsache, dassdie Wirkungslinie der Resultierenden bezüglich der Balkenachse einenHebelarm hat. Solche Überlegungen sollen den Studentinnen und Stu-denten einen Einstieg in die Erfassung des räumlichen Tragverhaltens

TRAGWERKSPLANUNG

Der Prüfingenieur | Mai 2015 47

liefern, ohne sie gleich zu Anfang mit der Berechnung komplexerräumlicher Systeme zu überfordern.

Die Unterscheidung von Zwangs- und Gleichgewichtstorsion ist übri-gens auch im Zusammenhang mit der in Abschnitt 2.2 diskutiertenräumlichen Theorie II. Ordnung von Bedeutung.

4 FazitVor dem Hintergrund aktueller Entwicklungen in der Hochschulpolitikist es mehr denn je notwendig, dass Universitäten ein klares Leitbildfür die Lehre formulieren. Aus der Sicht des Autors gehört zu einemuniversitären Profil die Vermittlung von Methodenkompetenz und Ur-teilsvermögen, insbesondere

■ die Fähigkeit zur kritischen Beurteilung bekannter Verfahren undselbstständigen Entwicklung neuer Methoden und Werkzeuge,

■ die Fähigkeit, selbstständig wissenschaftlich zu arbeiten,■ das Beherrschen von Strategien zur Analyse, Strukturierung und Lö-

sung von Problemen,■ die Fähigkeit interdisziplinär zu denken und zu arbeiten und■ vorhandenes Wissen auf neue Gebiete zu extrapolieren.

Ein Bauingenieur, der an einer Universität studiert hat, sollte mehrkönnen, als seine Software. Eine moderne (nicht modische) Lehremuss auch in dreißig Jahren noch sinnvoll nachwirken.

Universitäten sind dafür verantwortlich, denjenigen Studentinnen undStudenten ein attraktives Angebot zu machen, die die Motivation unddie Voraussetzungen dazu haben, ein wissenschaftliches Studium mithöchsten Ansprüchen und Anforderungen zu absolvieren. Es geht nichtdarum, möglichst viele Studenten irgendwie zu einem erfolgreichenAbschluss zu manövrieren. Der Master of Science ist der Regelab-schluss, um eine optimale Kombination von Grundlagenwissen undpraxisorientierten Lehrinhalten zu realisieren. Übrigens sollte nicht al-lein der Masterabschluss als Äquivalent zum Diplom betrachtet wer-den, sondern die Kombination von Bachelor- und Masterabschluss.Gerade im Bereich des Bachelorstudiums werden wichtige theoreti-sche Grundlagen vermittelt.

Die Schlussfolgerungen aus den hier beispielhaft behandelten Aspek-ten von Computerstatik und Tragwerksmodellierung können wie folgtzusammengefasst werden:

■ Qualitätssicherung in der Computerstatik erfordert Kenntnisse desIngenieurs über die baustatischen Modelle und zum Teil auch Be-rechnungsmethoden, die eine Software anwendet, um die Ergebnis-se validieren und verifizieren zu können. Einfache Testbeispiele mitabgesicherten Ergebnissen können hier helfen. Damit eng verknüpftist die Forderung nach Transparenz in der Programmdokumentation.Dem Ingenieur muss die Möglichkeit eingeräumt werden, die Kennt-nisse, die von ihm gefordert werden, auch zu erlangen.

■ Räumliche Berechnungen am Gesamtmodell sind nur dann sinnvoll,wenn sie auch richtig durchgeführt werden. Die Berücksichtigungdes Bauablaufs ist dabei nur einer von mehreren wichtigen Punk-ten. Hier hat sich offenbar noch keine allgemein verbindliche Vorge-hensweise etabliert. Geeignete Berechnungsmethoden sind Gegen-stand aktueller Forschung.

■ Klassische Handrechnungsmethoden sind als analytisches Denk-schema unverzichtbar. Gleichgewicht kommt nicht aus der Mode.

Nicht nur für quantitative Kontrollen von Rechenergebnissen son-dern auch als intellektuelles Werkzeug zur systematischen gedankli-chen Analyse des Tragverhaltens sind Methoden, wie das Kraftgrö-ßenverfahren unverzichtbar.

■ Die Lehre von Computermethoden erfordert vor allem die Lehre ent-sprechender Theorien und Modelle („The computer shapes the theo-ry“, J. Argyris). Für die verantwortliche Anwendung komplexer Sta-tik-Software sind heute sogar mehr Theorie-Kenntnisse notwendigals früher.

■ Vollständig geometrisch nichtlineare Berechnungen sind klar defi-niert, genauer und konzeptionell sogar einfacher als Berechnungennach Theorie II. Ordnung. Traditionelle Vereinfachungen in baustati-schen Modellen, wie die Theorie II. Ordnung, sind häufig nicht dieFolge einer systematischen Vernachlässigung nachrangiger Effekte,sondern der Praktikabilität bei Handrechnungen geschuldet. Esmuss deshalb hinterfragt werden, ob ihre minutiöse Umsetzung inComputerprogrammen sinnvoll ist. Bei der Theorie II. Ordnung istdie aktuelle Situation für räumliche Tragwerke unbefriedigend. Mandarf dabei jedoch nicht den didaktischen Wert der Theorie II. Ord-nung für den Einblick in die wesentlichen nichtlineare Phänomene(„P-∆-Effekt“) vergessen.

Die moderne Baustatik und Baudynamik ist kein seelenloses Regel-werk für Rechenknechte, dessen Anwendung man am liebsten einerMaschine überlassen würde. Auch die klassische Statik ist das nie ge-wesen. Ihr Gegenstand war und ist eine zutreffende Analyse und Mo-dellierung von Tragwerken zur qualitativen und quantitativen Erfas-sung von dessen Tragverhalten mit dem Ziel einer sicheren, gebrauchs-tauglichen und wirtschaftlichen Bemessung.

5 Literatur[1] Zuse, K. Der Computer – mein Lebenswerk. Springer, 1984[2] Rombach, G., Anwendung der Finite-Elemente-Methode im Be-

tonbau. 2. Auflage, Wiley (2006)[3] Bischoff, M., Bletzinger, K.-U., Statik am Gesamtmodell – Mög-

lichkeiten und Ansprüche. Tagungsband Baustatik-Baupraxis 10,Universität Karlsruhe, 2008

[4] Bischoff, M., Kimmich, S., Computerstatik am Gesamtsystem –Modellierung ohne Grenzen? Tagungsband Baustatik-Baupraxis12, Universität Innsbruck/TU Graz, 2011

[5] Fastabend, M., Schäfers, T., Albert, M., Lommen, H.-G., Zur sinn-vollen Anwendung ganzheitlicher Gebäudemodelle in der Trag-werksplanung von Hochbauten. Beton- und Stahlbetonbau 104,657-663, 2009

[6] Löwenstein, J. G., Bauen unter Gravitation. Verformungsaus-gleich im Baufortschritt, mb-news 4 (2014).

[7] Rahmig, C., Berücksichtigung des Baufortschritts im Hochbau.Masterarbeit (in Bearbeitung), Institut für Baustatik und Baudy-namik, Universität Stuttgart, 2015

[8] Gensichen, V., Lumpe, G., Zur Leistungsfähigkeit, korrekten An-wendung und Kontrolle von EDV-Programmen für die Berechnungräumlicher Stabwerke im Stahlbau (Teil I), Stahlbau 77, 2008

[9] Gensichen, V., Lumpe, G., Theorie II. und III. Ordnung – die gro-ßen Missverständnisse, Stahlbau 82 (2013)

[10] Bischoff, M. Computerstatik. Bautechnik 90, Sonderheft Dezem-ber 2013, S. 91-95, 2013

[11] Kurrer, K.-E., Geschichte der Baustatik, Ernst und Sohn, 2002

WASSERBAUWERKE

48 Der Prüfingenieur | Mai 2015

Konzept zum Nachweis der Systemtraglast massiverWasserbauwerke auf Basis nichtlinearer StoffgesetzeAn mehreren Bauwerken konnte die Anwendbarkeit auchunter praktischen Bedingungen bereits bestätigt werden

Seit mehreren Jahren untersucht die Karlsruher Bundesanstaltfür Wasserbau (BAW) im Verlauf der Bundeswasserstraßen sys-tematisch die Standsicherheit verschiedener Schifffahrtsschleu-sen aus Stahlbeton. Anlass für diese teilweise sehr aufwendi-gen Untersuchungen sind Schadenfälle infolge Materialermü-dung. Bei den statischen Berechnungen stellte sich sehr baldheraus, dass die geläufigen Nachweismethoden und üblichenstatischen Modelle erhebliche rechnerische Sicherheitsdefizitebergen. Um das Tragwerksverhalten der Schleusenkammernrealitätsnäher abbilden zu können, sind Systemtraglastanaly-sen auf der Basis nichtlinearer Stoffgesetze notwendig. AlsGrundlage hierfür wurde die „Konzeption zum statischen Nach-weis der Systemtraglast an Stahlbetonschleusen auf der Basisnichtlinearer Stoffgesetze“, kurz: NiTra, entwickelt, die das Si-cherheitsformat der neuen Normengeneration enthält. Zwi-schenzeitlich wurde NiTra von der Bundesanstalt für Wasserbaufür die Tragwerksanalyse an sieben Bauwerken erfolgreich ein-gesetzt, wobei die Anwendbarkeit auch unter praktischen Be-dingungen bestätigt werden konnte. Die neue Konzeption wirdim folgenden Artikel vorgestellt und mit einem Beispiel erläu-tert.

studierte Bauingenieurwesen an der TUDresden und promovierte dort über einThema des Talsperrenbaus; seit 1993ist er wissenschaftlicher Mitarbeiterder Bundesanstalt für Wasserbau inKarlsruhe wo er für die Begutachtungder Standsicherheit massiver Wasser-bauwerke zuständig ist.

Dr.-Ing. Helmut Fleischer

1 Einführung: Vorbemerkung zumVerkehrswasserbau

Zur Gewährleistung der Schifffahrt auf den BinnenwasserstraßenDeutschlands ist eine Vielzahl von technischen Anlagen erforderlich,wie Schleusen und Schiffshebewerke, Kanalbrücken, Durchlässe,Wehre und so weiter. Eine Besonderheit dieser Bauwerke ist das re-lativ hohe Durchschnittsalter. So ist beispielsweise die Hälfte allerSchifffahrtsschleusen unter Bundesverwaltung älter als 80 und etwaein Drittel sogar älter als 100 Jahre der für Bauwerke dieser Art vor-gegebenen normativen Nutzungsdauer. Von allen Verkehrswasser-bauten nehmen die Schiffsschleusen wegen ihrer besonderen Bean-spruchungscharakteristik eine zentrale Rolle ein. Im Bereich der über7.000 Kilometer Bundeswasserstraßen befinden sich etwa 500Schleusenkammern. Der überwiegende Teil dieser Bauwerke wurdemassiv ausgebildet; seit den zwanziger Jahren des letzten Jahrhun-derts dominiert die Stahlbetonbauweise (Abb. 1).

Besonders in den 1960er und 1970er Jahren sind für Wasserbautensehr schlanke Tragwerke entstanden. Neben Einwirkungen infolgeErd- und Grundwasserdrucks sind besonders betriebsbedingte Was-serstandsänderungen in der Schleusenkammer maßgebend, die zu ei-ner kontinuierlichen zyklischen Belastung führen. Die Beanspruchungist dabei unterschiedlich stark ausgeprägt; hoch frequentierte Anla-gen können am Ende der planmäßigen Nutzungsdauer Lastspielzah-len von über 5 · 105 aufweisen. Die für maßgebende Bemessungs-norm DIN 19702 forderte erst ab Ausgabe 1988 explizit einen Ermü-dungsnachweis für den Betonstahl bei Lastspielzahlen größer 105. Er-fahrungen der letzten Jahre bei der Planung von Schleusenneubautenzeigen, dass diese Ermüdungsnachweise häufig bemessungsrelevantsind.

2 Anlass und Notwendigkeit für einenichtlineare SystemtraglastanalyseIm Frühjahr 2004 wurde ein Tragwerksschaden an der östlichen Kam-merwand der Schleuse Bamberg festgestellt [1]. Die Bundesanstalt fürWasserbau (BAW) wurde mit der Ursachenklärung und der Ableitungentsprechender Schlussfolgerungen beauftragt.

Die Schleuse Bamberg am Main-Donau-Kanal wurde 1964 fertigge-stellt. Die Schleusenkammer besitzt bei einer lichten Breite von zwölfMetern eine Fallhöhe von circa elf Metern. Das Bauwerk wurde nachder Stahlbetonnorm DIN 1045 (Ausgabe 1959) statisch bemessen undmit geripptem Betonstahl III RK („Torstahl“) bewehrt.

Der Schaden am Tragwerk wurde zunächst durch einen extrem star-ken Wasserandrang in der seitlich zur östlichen Kammerwand ange-ordneten und begehbaren Dränage auffällig (Abb. 2, unten links). Im

studierte Bauingenieurwesen an derUniversität Karlsruhe; er ist seit 2005bei der Bundesanstalt für Wasserbaufür die Standsicherheit von Wasserbau-werken und für die konstruktive Bera-tung der Wasser- und Schifffahrtsver-waltung beim Neubau und bei Verstär-kungsmaßnahmen von Bestandsbau-ten zuständig.

Dipl.-Ing. Matthias Lutz

WASSERBAUWERKE

Der Prüfingenieur | Mai 2015 49

Rahmen einer genauen Inspektion wurde in der Kammerwand in Hö-he der Dränagegangsohle ein stark klaffender Längsriss festgestellt.Der zum Bauteilinneren hin nach unten verlaufende Riss setzte sichbis in den darunter liegenden Schleusenlängslauf fort. Aus diesemLängslauf, der dem Leeren und Füllen der Schleuse dient, strömte inAbhängigkeit vom Kammerwasserstand Wasser durch den Riss bis inden Dränagegang. Nach dem Freilegen der aufgehenden Biegezugbe-wehrung musste festgestellt werden, dass diese über mehrere Kam-merblöcke hinweg vollständig gerissen war (Abb. 2, unten rechts).

Auffällig an den gerissenen Bewehrungsstäben war die durchwegverformungsarme Ausbildung der Bruchenden, die im Gegensatzzum allgemein bekannten Bruchbild mit Queschnittseinschnürungbei statischem Versagen steht. Dies ließ frühzeitig den Verdacht auf-kommen, dass der Schaden maßgeblich auf Materialermüdung desBetonstahls zurückzuführen war, was sich durch die genaueren Un-tersuchungen dann auch bestätigte [1].

In Anbetracht des von Materialermüdung ausgehenden Risikos er-folgte nach der Auswertung des Schadensfalls an der Schleuse Bam-

berg eine Untersuchung der jeweiligen Ermüdungsgefährdung anden anderen fünfzehn Schleusen am Main-Donau-Kanal und nach-folgend aller Stahlbetonschleusen an dieser Bundeswasserstraße.Die Untersuchungen haben insgesamt gezeigt, dass nur an wenigenSchleusenkammern die konstruktiven Bedingungen für eine konkreteStandsicherheitsgefährdung infolge Materialermüdung der Biege-zugbewehrung gegeben sind. Es musste aber auch festgestellt wer-den, dass eine Vielzahl der Bauwerke die grundlegenden statischenAnforderungen der geltenden Normen an die rechnerische Standsi-cherheit nicht erfüllt. Aufgrund der seit Bauwerkserrichtung wieder-holt stattgefundenen Überarbeitung des Regelwerks sind bei forma-ler Anwendung der aktuellen Bemessungsnormen mit den üblichenstatischen Modellen keine ausreichenden Sicherheiten nachweisbar.Die Ursachen hierfür liegen in den heute anspruchsvolleren Ansätzenfür Lasten und Einwirkungskombinationen sowie in geänderten Si-cherheitsformaten [2]. Sicherheitsreserven ergeben sich lediglich ausder ehemals groben und in der Regel auf der sicheren Seite liegen-den statischen Modellierung. Deshalb ist es bei der heutigen Nach-rechnung wichtig, dass die betroffenen Bauwerke mit möglichst rea-litätsnahen statischen Modellen abgebildet werden. Realitätsnahheißt, dass einerseits eine komplexe Erfassung von Bauwerk und Bo-den unter Einbeziehung der gegenseitigen Wechselwirkung (Bau-werk-Boden-Interaktion) erfolgt. Andererseits ist es erforderlich, beieiner zweidimensionalen Betrachtung im Querschnitt der jeweiligenSchleusenkammer sowohl die Geometrie unter Beachtung des Schei-bencharakters („D-Bereiche“) als auch die Stoff-Nichtlinearitätenbeziehungsweise das plastische Verhalten des Stahlbetons und desBaugrundes angemessen zu berücksichtigen. Erschwerend wirkt dieNotwendigkeit zur Einbindung des Sicherheitsformats mit den ver-schiedenen Sicherheitselementen auf Einwirkungs- und Wider-standsseite, das in den neuen Normen nur in grundlegender, allge-meiner Form vorgegeben wird.

Um aufwendige Tragwerksverstärkungen oder gar Neubauten zu um-gehen, war es deshalb zunächst notwendig, eine an die konkreten Be-dingungen angepasste Nachweiskonzeption aufzustellen, mit der eineinheitliches, reproduzierbares Vorgehen bei der Nachweisführung anallen Schleusen und anderen vergleichbaren Wasserbauwerken ge-währleistet ist. Diese „Konzeption zum statischen Nachweis der Sys-temtraglast an Stahlbetonschleusen auf der Basis nichtlinearer Stoff-gesetze“ (NiTra) [3] soll im Folgenden näher erläutert und die prakti-sche Anwendung an einem Beispiel gezeigt werden.

Abb. 1: Luftaufnahme und typischer Kammerquerschnitt einer Schleuse am Main-Donau-Kanal mit Maschinenhaus und seitlich angeordnetenSparbecken

Abb. 2: Querschnitt der Schleuse Bamberg (oben) und überfluteterDränagegang mit Detaildarstellung der gerissenen Bewehrung (unten)

WASSERBAUWERKE

50 Der Prüfingenieur | Mai 2015

3 Vorgehen bei der Nachweisführungund Sicherheitsformat

3.1 FEM-Berechnungen mit nichtlinearen StoffgesetzenDie FEM-Modellierung von Stahlbeton auf der Basis nichtlinearerStoffgesetze stellt heutzutage kein grundsätzliches Problem mehr dar.Im universitären Bereich sind entsprechende Nachrechnungen zumBeispiel von Laborversuchen schon seit langem Standard. Auch in derIngenieurpraxis wird entsprechende Software angeboten und auch ge-nutzt. In beiden Fällen sind es jedoch meist einzelne Bauteile wie Plat-ten, Balken oder Scheiben, an denen die Untersuchungen vorgenom-men werden. Größere Tragwerke oder gar komplexe Strukturen mitBoden-Bauwerk-Interaktion werden nur selten inspiziert.

In der Geotechnik werden ebenfalls seit vielen Jahren FEM-Berech-nungen mit nichtlinearen Stoffansätzen durchgeführt. Dabei wurdeder Einfluss nichtlinearer Effekte im Boden bereits früh erkannt unddementsprechend eine Vielzahl, zum Teil komplizierter Stoffgesetzeentwickelt, die Eingang auch in kommerzielle Software gefunden ha-ben. Auf eine adäquate Modellierung der Wechselwirkung des Bo-dens mit dem Bauwerk hingegen wird verzichtet. Nur in ganz weni-gen Fällen [10] wird die Boden-Bauwerks-Interaktion im engeren Sin-ne einbezogen und die Wirkung der Bauwerksverformung auf den Bo-den auch quantitativ berücksichtigt. Schwierigkeiten ergeben sich fer-ner bei der Umsetzung des Teilsicherheitsformats. Im Zusammenhangmit der Arbeit am Eurocode 7 wurden hierzu zwar Empfehlungen er-arbeitet; diese konzentrieren sich jedoch ausschließlich auf die geo-technischen Belange und werden in der Fachliteratur entsprechendkommentiert ([4], [5], [9] und andere). Zufriedenstellende Festlegun-gen für ein ausgewogenes Sicherheitsformat für numerische Untersu-chungen an komplexen Tragsystemen aus Baugrund und Stahlbetonstehen noch aus.

Bei der Aufstellung einer Konzeption zur Systemtraglastermittlung anerdhinterfüllten Stahlbetonschleusen ergaben sich somit zwei grund-sätzliche Aufgaben: Einerseits war ein komplexes statisches Modellaufzustellen, das die Boden-Bauwerks-Interaktion in ausgewogenerForm berücksichtigt und auch unter ingenieurpraktischen Bedingun-gen nutzbar ist. Andererseits musste in dieses Modell ein normenkon-formes Sicherheitsformat implementiert werden, das vorgegebeneTeilsicherheitsbeiwerte auf der Einwirkungs- und Widerstandsseite an-gemessen berücksichtigt. Auf diese beiden Fragestellungen soll im Fol-genden näher eingegangen werden.

Da die betroffenen Schleusenkammern bei einem weitgehend gleich-bleibenden Querschnitt sehr lang gestreckt sind, ist eine zweidimen-sionale Modellierung ausreichend. Es wird ein repräsentativer Quer-schnittsbereich ausgewählt und zusammen mit dem anstehendenBaugrund als Scheibe modelliert. Die Abbildung des Kammerquer-schnitts erfolgt mit kommerzieller Software anhand von Schalenele-menten aus Beton beziehungsweise Stahlbeton, letztere mit „ver-schmierter“ und starr gekoppelter Bewehrung. Dadurch wird bei Über-schreitung der Betonzugfestigkeit im Element eine kontinuierlicheDehnungsverteilung mit gleichfalls „verschmierter“ Rissbildung her-vorgerufen. Diese Vorgehensweise hat sich in der Praxis für komplexeTragsysteme mit sehr großen Elementzahlen bewährt; allerdings wer-den dadurch die Ergebnisse von der Elementgröße beeinflusst. Bei derErgebnisauswertung ist deshalb in Abhängigkeit von der Elementgrö-ße am konkreten Nachweisort zu entscheiden, ob ergänzende Berech-nungen mit angepasster Elementgröße notwendig werden. Hierzu

wurden bei der Aufstellung der Nachweiskonzeption entsprechendeVorgaben erarbeitet [6].

Für den Beton kommt im Druckbereich eine Spannungs-Dehnungs-Li-nie gemäß Bild 3.2 in Eurocode 2 zum Ansatz. Bei Scheibenberechnun-gen beeinflusst die Größe der Betonzugfestigkeit das Berechnungser-gebnis wesentlich mehr als die Druckfestigkeit; dementsprechendkommt der Zugfestigkeit eine besondere Bedeutung zu. Die Betonfes-tigkeiten werden grundsätzlich bauwerksbezogen durch Laborunter-suchungen an entnommenen Bohrkernen mit entsprechender statisti-scher Auswertung ermittelt. Die Werte für die mittleren Spaltzugfestig-keiten liegen an den sieben bisher untersuchten Schleusen zwischen2,5 und 4,5 N/mm2 (Standardabweichung 0,5 bis 0,8 N/mm2) und har-monieren mit den zugehörigen Druckfestigkeiten zwischen 36 und 57N/mm2. Im Vergleich mit Betonfestigkeiten an anderen Wasserbauwer-ken sind unter Berücksichtigung des jeweiligen Bauwerkalters keineAuffälligkeiten feststellbar (Abb. 3).

Das Bruchverhalten des Betons unter Zugbeanspruchung ist durch einausgeprägtes Nachrissverhalten („tension softening“) gekennzeich-net, das in Form einer entsprechenden Spannungs-Dehnungs- bezie-hungsweise Spannungs-Rissöffnungsbeziehung berücksichtigt werdenmuss. Bei der FEM-Modellierung wird vereinfachend ein bilinearer Ver-lauf der Betonarbeitslinie verwendet, wobei ein sehr vorsichtiger An-satz für die Größe der Bruchenergie Gf gewählt wird (Abb. 4).

Für den Betonstahl wird eine bilineare Spannungs-Dehnungs-Linie ge-mäß Norm angesetzt. Für die Verfestigung des Stahls nach Erreichen

Abb. 3: Vergleich der Spaltzugfestigkeit an den untersuchten Schleu-sen (Bereich gelbes Kästchen) mit Festigkeitswerten anderer Wasser-bauwerke (Dreiecke) mit Bezug zum Bauwerksalter

Abb. 4: Bruchverhalten des Betons im Zugbereich

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der Fließgrenze wird einheitlich ft/fy = 1,05 berücksichtigt. Wird örtlichwährend der Berechnung die Grenzdehnung von 2,5 Prozent über-schritten, so bleibt die Stahlspannung konstant. Mit der so vorgegebe-nen Stahlbetonmodellierung wurden Belastungsversuche an Scheibenaus der Literatur nachgestellt, wobei sich sowohl bei der Qualität derRissbilder als auch bei den belastungsabhängigen Verformungen aus-reichend genaue Übereinstimmung zeigte.

Der Baugrund wird auf der Basis des elastoplastischen Materialgeset-zes nach Mohr-Coulomb mit prismatischer Fließfläche, erweitert durcheine sphärische Druckkappe und ebene Zugbegrenzungsflächen, aus-reichend genau erfasst. Die Materialmodellierung erfolgt mit nichtas-soziierter Fließregel, das heißt, die plastische Potentialfunktion ist so-mit unabhängig von der Fließfunktion. Bis zur Plastifizierung verhältsich der Boden linear-elastisch. Die bodentypische Steifigkeitsände-rung mit zunehmender Dehnung wird damit nicht berücksichtigt, wasdurch eine Aufteilung des Baugrundes in entsprechend steif gewähl-ten Schichten zu kompensieren ist. Vergleichsrechnungen im Vorfeldmit anderen, hierauf eingehenden Materialmodellen zeigen, dass dieentstehenden Fehler im Hinblick auf die anderen Unwägbarkeiten desBaugrundes (Ermittlung und Streuung der Stoffparameter) vernachläs-sigbar sind.

Neben den genannten Materialuntersuchungen zur Ermittlung der Be-ton- und Baugrundparameter ist es im Zusammenhang mit der Auf-stellung der FEM-Modelle unverzichtbar, entsprechende Modellkali-brierungen vorzunehmen und die Zuverlässigkeit der Ergebnisse durchPlausibilitätsbetrachtungen zu überprüfen. Die Kalibrierung des FEM-Modells erfolgt auf der Basis gemessener Verformungen. Dazu wird anjeder zu untersuchenden Schleusenkammer eine Messung der horizon-talen Kammerwandverschiebungen quer zur Schleusenachse währenddes Schleusenbetriebs vorgenommen. Die einwirkende Laständerungergibt sich aus den Betriebswasserständen Oberwasser (OW) und Un-terwasser (UW) und ist somit bekannt. Die sehr präzise Messung er-folgt mit Hilfe eines federgespannten Invardrahtsystems in Kombinati-on mit induktiven Wegaufnehmern und wird ergänzt durch Neigungs-messungen im Kopfbereich der Kammerwände. Die so ermittelten Ver-formungswerte erlauben einen effektiven Abgleich des FEM-Modells.Dabei werden vorrangig die Steifigkeitswerte des Baugrundes ange-passt, da hier die größten Ungenauigkeiten gegeben sind.

In einem zweiten Schritt werden die am FEM-Modell ermittelten Er-gebnisse auf Plausibilität geprüft. Dabei erfolgt eine Gegenüberstel-lung der im Modell ermittelten Rissbilder mit den Rissen, die bei derBauwerksinspektion am Bauwerk tatsächlich dokumentiert wordensind. Hier sollte grundsätzlich eine adäquate Zuordnung möglich sein,das heißt, Risse im Modell müssen lagemäßig vor Ort ebenfalls er-kennbar sein. Weiterhin dürfen die sich am FEM-Modell ergebendenErddruckverteilungen die Grenzwerte (aktiver/passiver Erddruck) auseiner analytischen Ermittlung mit Erddruckbeiwerten nach DIN 4085grundsätzlich nicht überschreiten.

Das so überprüfte FEM-Modell auf der Grundlage von Mittelwertenenthält keinerlei Sicherheitselemente und repräsentiert den Ist-Zu-stand (Gebrauchszustand). Es ist Ausgangsbasis für die dann folgen-den Sicherheitsbetrachtungen (Basis-Modell).

3.2 SicherheitsansatzBei der üblichen Stahlbetonberechnung findet eine Trennung zwischenSchnittkraftermittlung und Querschnittsbemessung mit jeweils unter-schiedlichen Stoffkennwerten statt. Im Gegensatz hierzu erfolgt bei ei-

ner nichtlinearen Systemtraglastermittlung eine durchgängige Berech-nung des Tragwerks in einem Schritt unter Berücksichtigung weitge-hend wirklichkeitsnaher Baustoffeigenschaften. Die realitätsnahe Mo-dellierung der Tragwerkssteifigkeiten unter Berücksichtigung lokalerPlastifizierungen ermöglicht Lastumlagerungen im System. Dadurchentsteht eine Vergleichmäßigung des Auslastungsniveaus am Trag-werk, woraus wiederum rechnerische Standsicherheitsreserven abge-leitet werden können.

Der Begriff Systemtraglastermittlung kommt im Eurocode 2 nicht vor,auch nicht im Nationalen Anhang. Lediglich in den Erläuterungen zurNorm beziehungsweise im Heft 600 des Deutschen Ausschusses fürStahlbeton (DAfStb) ist eine kurze Erläuterung hierzu enthalten.Grundlage des Verfahrens ist Eurocode-Abschnitt 5.7 (Abschnitt 8.5.1der ehemaligen DIN 1045-1). Die Teilsicherheitsbeiwerte auf der Wi-derstandsseite für Stahl γs und Beton γc werden danach in modifizier-ter Form zu einem einheitlichen Wert γR zusammengefasst. Dieser wie-derum kann aus der Widerstandsseite R herausgelöst und vor dermaßgebenden Einwirkungskombination F angeordnet werden. Da-durch ist eine statische Modellierung auf Basis von Stoffmittelwerten(„rechnerische“ Mittelwerte) möglich, was für eine nichtlineare Analy-se mit Effekten aus der Boden-Bauwerks-Interaktion von wesentlicherBedeutung ist. Es entspricht dem Wesen des Verfahrens, dass mit demWert γR auf der Einwirkungsseite nicht nur die ungünstig wirkenden,sondern auch die günstigen Einwirkungen in gleicher Weise vergrößertwerden. Die Ableitung dieses als „Rechenwert-Konzept“ oder „γR-Konzept“ bezeichneten Verfahrens ist in Abb. 5 prinzipiell dargestellt.

Abb. 5: Nachweisformat für die Systemtraglastermittlung auf Basisdes Abschnitts 5.7 im Eurocode 2 (ehemals DIN 1045-1, Abschnitt8.5.1)

Bei der praktischen Umsetzung am FEM-Modell wird γR durch einenüblicherweise als „Lastfaktor“ bezeichneten Koeffizienten λ ersetzt,der von einem Ausgangswert schrittweise bis zu einem Wert λu gestei-gert wird, bei dem das Tragwerk versagt. Ist λu größer als λR = 1,3, isteine ausreichende Tragfähigkeit nachgewiesen. Das Versagen wird da-bei gemäß Norm mit dem Erreichen folgender Grenzkriterien (Versa-genskriterien) definiert:

■ Überschreitung der kritischen Stahldehnungen εs krit = 25 ‰, ■ Überschreitung der kritischen Betondruckdehnung εs krit = -3,5 ‰,■ indifferentes Gleichgewicht beziehungsweise fehlende Konvergenz

im FE-System.

Ausgangspunkt der Tragwerksanalyse ist das an gemessenen Verfor-mungen kalibrierte und von Teilsicherheitsbeiwerten noch freie„FEM-Basismodell“. Der hier vorhandene Tragwerkszustand wird mit

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der vorhandenen Rissbildung und zugehörigen Steifigkeit für dienachfolgenden Systemtraglastuntersuchungen „konserviert“. Je nachWirkung – günstig oder ungünstig – entstehen für Unterwasserstand(UW) und Oberwasserstand (OW) in der Schleusenkammer mehrereunterschiedliche Einwirkungskombinationen. Diese Einwirkungskom-binationen werden jeweils komplett auf das Tragwerk aufgebracht(„FEM-Nachweismodell“) und danach als Ganzes schrittweise biszum Versagen des Systems, also bis zum Erreichen der Systemtrag-last, gesteigert. Die Wahl des Anfangswertes für λ erfolgt unter pro-grammtechnischen Überlegungen; bei λ = 0,75 wird eine Beanspru-chungssituation erzeugt, die etwa dem Gebrauchslastzustand ent-spricht.

Der Ablauf der Tragwerksanalyse mit der Nachweiskonzeption NiTra istals Algorithmus in Abb. 6 dargestellt. Während die Untersuchung hin-sichtlich Stahlbetonermüdung bereits im festigkeitsmodifizierten FEM-Basismodell anhand der dort auftretenden Spannungsschwingbreitenim Vergleich mit zulässigen Werten der Norm erfolgen kann, wird dieSystemtraglast unter statischer Biegezug- und Querkraftbeanspru-chung am FEM-Nachweismodell abgeleitet. Die Begriffe Basismodellund Nachweismodell stehen für mehrere FEM-Einzelsysteme mit un-terschiedlichen Einwirkungskombinationen, variierten Steifigkeitenbeziehungsweise Betonzugfestigkeiten und jeweils angepasstenRandbedingungen.

Eine besondere Rolle bei der Systemtraglastermittlung mit FEM-Schei-benmodellen kommt dem Ansatz der Betonzugfestigkeit zu. Aufgrundder überwiegend fehlenden Schubbewehrung müssen die querkraftin-duzierten schiefen Hauptzugspannungen vorrangig vom Beton aufge-nommen werden. Dabei ist zu beachten, dass bei den zu untersuchen-den Bauwerken ein Großteil des jeweiligen Tragwerks hinsichtlich derstatischen Modellbildung als nicht „ungestört“ (das heißt, als „Dis-kontinuitätsbereich“) angesehen werden muss. Die üblichen Bemes-sungsgleichungen im Eurocode 2 können dementsprechend nicht zurAnwendung kommen. In der Aufstellung der Nachweiskonzeption Ni-Tra wurde deshalb ein Ansatz im Sinne von Eurocode-Abschnitt 12.6.3,Gl. 12.5 für unbewehrte Bauteile gewählt, gemäß dem eine Untersu-chung direkt über den Vergleich der auftretenden schiefen Hauptzug-

spannungen mit sicherheitsbehafteten Betonzugfestigkeiten erfolgt.Die Zugfestigkeiten sind dort prinzipiell mit fctk;0,05 / γc vorgegeben.

In der Nachweiskonzeption wird der Bemessungswert der Betonzug-festigkeit an die Situation am konkret zu untersuchenden Bauwerk an-gepasst [7]. Dabei werden in Auswertung der Betonuntersuchungendie statistischen Festigkeitsverteilungen berücksichtigt. Anstelle desQuantilwertes fctk;0,05 wird eine charakteristische Zugfestigkeit auf derBasis eines objektspezifischen Reduktionsfaktors β(2) abgeleitet. Die-ser Faktor repräsentiert unter Berücksichtigung einer zusätzlichen Mo-dellunsicherheit grundsätzlich das Verhältnis aus der anzusetzendenBetonzugfestigkeit zum jeweiligen Mittelwert fctm. Dabei wird dasNachrissverhalten des Betons entsprechend Abb. 4 in Rechnung ge-stellt. Für den Beton an den einzelnen Bauwerken am Main-Donau-Ka-nal ergeben sich β(2)-Werte zwischen 0,7 und 0,9.

Auch der Teilsicherheitsbeiwert auf der Widerstandsseite des Betonsγct bei Zugbeanspruchung ist an die statistische Verteilung in situ an-zupassen und führt an den beprobten Schleusen zu Werten zwischen1,2 und 1,6.

Bei den Nachweisen gegen Betonzugermüdung (schräge Hauptzug-spannungen außerhalb des Bewehrungsbereichs) ist die Abminderungder Zugfestigkeit infolge zyklischer Beanspruchung zu berücksichti-gen. Das erfolgt vereinfacht durch die Herabsetzung der Festigkeit imFEM-Basismodell mit dem Faktor St. Für diesen können aus der Fachli-teratur beziehungsweise aus verschiedenen Normen in Abhängigkeitvon der Belastungsform und von der hier relevanten Lastspielzahl zwi-schen 100.000 und 500.000 Werte von 0,5 bis 0,9 entnommen wer-den. In der Nachweiskonzeption kommt ein Wert von St = 0,7 zum An-satz.

Letztendlich ist zu beachten, dass aufgrund des Sicherheitsformats(Abb. 5) ein integraler Materialsicherheitsbeiwert γR = 1,3 bereitslast erhöhend auf der Einwirkungsseite Berücksichtigung findet unddementsprechend eine adäquate Verringerung der Teilsicherheitsbei-werte auf der Widerstandsseite vorzunehmen ist.

Der konkrete Ansatz für die Betonzugfestigkeit in der Nachweiskon-zeption geht aus Abb. 7 hervor.

Zu bedenken ist, dass die sicherheitsbehafteten, niedrigen Betonzug-festigkeiten im Allgemeinen nicht auftreten werden. Lastumlagerun-gen im Tragwerk infolge zulässiger Rissbildung und damit möglichepartielle Entlastungen einzelner Bauteile sind damit nicht garantiert.Der Ansatz niedriger Werte der Betonzugfestigkeit liegt deshalb nichtimmer für alle Tragwerksteile auf der sicheren Seite. Dementsprechendmüssen auch ergänzende Modellvarianten mit oberen Grenzwertenfür die Betonzugfestigkeit durchgerechnet werden, bei denen die Si-cherheitselemente gemäß Abb. 7 zu 1,0 gesetzt werden.

Abb. 6: Lösungsalgorithmus in der Nachweiskonzeption NiTra

Abb. 7: Ansatz der Betonzugfestigkeit mit entsprechenden Sicher-heitselementen

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Abschließend ist bei der Systemtraglastermittlung am Gesamtmodelldarauf zu achten, dass die Duktilitätsforderungen der Bemessungsnor-men erfüllt und ein Tragwerksversagen ohne Vorankündigung verhin-dert werden muss, was zusätzliche Schritte erfordert. Die übliche Mög-lichkeit zur Gewährleistung ausreichender Duktilität ist die pauschaleAnordnung einer Mindestbewehrung gemäß Abschnitt 9.2.1.1 im Eu-rocode 2 mit Abdeckung des Rissmomentes in allen Bemessungs-schnitten des Tragwerks. Dabei ist es zunächst unerheblich, ob das be-treffende Bauteil sicherheitsrelevant ist oder beim Ausfall Auswirkun-gen auf die Gesamtstandsicherheit nur begrenzt entstehen. Die so be-rechneten Werte für eine Mindestbewehrung werden bei den zu unter-suchenden Schleusenkammerquerschnitten teilweise merklich unter-schritten.

Eine andere Möglichkeit zur Beurteilung der Tragwerksduktilität ist dieBerechnung des Gesamtsystems unter anwachsender Beanspruchungzur Beurteilung der Auswirkung lokaler Bauteilausfälle. Dabei sindplötzliche Rissbildungen und lokale Überlastungen zu berücksichtigen.Möglichkeiten der Lastumlagerung tragwerksintern (Rissbildung undStahlfließen) oder extern im angrenzenden Baugrund (Veränderungder Bettung, Erddruckumlagerungen) werden hierbei erfasst. Dieseshier praktizierte Vorgehen erlaubt eine Bewertung des Versagens hin-sichtlich der Forderung nach ausreichender Vorankündigung. Nicht be-rücksichtigt wird hierbei jedoch der Effekt, dass in einzelnen Quer-schnittsbereichen im FEM-Modell selbst unter maximalen BelastungenBetonzugspannungen auftreten, die kleiner als die vorgegebenen si-cherheitsbehaftete Betonzugfestigkeiten nach Abb. 7 sind und damitnoch nicht zur Rissbildung führen. Da jedoch auch hier unter prakti-schen Gesichtspunkten infolge Imperfektionen beziehungsweise an-derweitiger nicht erfasster Einflüsse eine Rissbildung nicht ausge-schlossen werden kann, wird im Rahmen einer statischen Nachbe-handlung eine konventionelle Bemessung auf Querschnittsebene mitden aus den FEM-Nachweismodellen bei λ = 1,0 entnommenenSchnittkräften erforderlich. Das ist jedoch nur möglich, wenn die be-treffenden Stellen keine Diskontinuitätsbereiche darstellen. Ist dasnicht der Fall, muss in einer zusätzlichen FEM-Berechnung durch einelokal stark herabgesetzte Betonzugfestigkeit im betreffenden Bauteileine Rissbildung provoziert und die Einhaltung der Nachweiskriterienkontrolliert werden.

Vor der praktischen Anwendung der Nachweiskonzeption NiTra an denBauwerken am Main-Donau-Kanal erfolgten im Vorfeld Testrechnun-gen [6], [7], [8]. Dabei ging es – neben der Überprüfung der rein me-chanischen Zuverlässigkeit der FEM-Modellierung durch Versuchs-nachrechnungen und den Vergleich mit anderen FEM-Programmen –vor allem auch um die Kontrolle der Auswirkungen des nichtlinearenNachweisformats im Vergleich zur herkömmlichen Stahlbetonbemes-sung. Insgesamt konnte durch diese Versuchsnach- beziehungsweiseVergleichsrechnungen bestätigt werden, dass mit dem beschriebenenVerfahren realistische und ausreichend sichere Ergebnisse erzielbarsind.

4 Praktische Anwendung des Verfahrens4.1 Angaben zum Bauwerk und ModellbildungDie in den Jahren 1972 bis ‘76 errichtete Schleuse Eibach besitzt bei ei-ner nutzbaren Kammerlänge von 190 Metern eine lichte Kammerbrei-te von zwölf und eine Fallhöhe von 19,5 Metern, und sie ermöglichtdamit die Passage von Schiffen beziehungsweise Schubverbänden bis3700 Tonnen Nutzlast. In Längsrichtung besteht das Bauwerk neben

dem Ober- und Unterhaupt aus dreizehn durch Bewegungsfugen ge-trennte Kammerblöcke mit einer Länge von je circa zwölf Metern. DerBaugrund besteht aus Keupersandstein, der in gebrochener Form auchals Hinterfüllungsmaterial verwendet wurde. Das statische System derSchleusenkammer wurde als biegesteifer und unsymmetrisch belaste-ter Trog ausgebildet (Abb. 8). Auf der hinterfüllten Ostseite des Bau-werks befindet sich eine in die Kammerwand eingefügte und begehba-re Drainage, die das Grundwasser entsprechend absenkt. Im Bereichder Westwand ist das durch Rippen verstärkte Maschinenhausdachmit der gleichzeitig als Sparbeckenbegrenzung dienenden SeitenwandBestandteil des Tragwerks. Als Baustoffe kamen Beton B 250 und Bau-stahl BSt 42/50RK zum Einsatz. Mit knapp 53 Kilogramm Stahl pro Ku-bikmeter Beton weist das Bauwerk nach heutigen Maßstäben einensehr geringen Bewehrungsgehalt auf.

Aus den statischen Voruntersuchungen mit einfachen, linear-elasti-schen Modellen ergaben sich große rechnerische Sicherheitsdefiziteam gesamten Kammerquerschnitt, die weder einen sicheren Schleu-sungsbetrieb noch eine Sanierung unter laufendem Betrieb erlaubthätten (Abb. 9). Die ermittelten Auslastungsgrade und Defizite stan-den im Widerspruch zum augenscheinlich guten Erhaltungszustandund zum unauffälligen Verformungsverhalten des Bauwerks. Es muss-te deshalb davon ausgegangen werden, dass die zugrunde gelegtenRechenmodelle das komplexe Tragverhalten der Konstruktion nur un-zureichend beschreiben. Dementsprechend war es erforderlich, mit ei-ner realitätsnahen Systemtraglastanalyse auf der Basis der Nachweis-konzeption NiTra genauere Untersuchungen durchzuführen.

Für die Berechnung wird das FEM-Programmsystem SOFiSTiK genutzt,mit dem eine gleichzeitige Erfassung des nichtlinearen Materialverhal-tens von Beton und Baugrund auch an komplexeren Tragsystemenmöglich ist. Verwendet werden nichtkonforme Viereckelemente, derenSeitenlängen im Bereich des Stahlbetonbauwerks zwischen zehn und25 Zentimeter liegen und sich mit wachsendem Abstand zum Stahlbe-tonbauwerk im Baugrundbereich vergrößern. Das Modell bildet dieSchleusenkammer mit umgebendem Baugrund, Maschinenhaus sowieeinen Teil des ersten Sparbeckens ab (Abb. 10). Die Einbindung einesgrößeren Baugrundbereichs ist für eine Analyse des Tragwerks in An-betracht der erforderlichen Modellkalibrierung mit Anpassung der Bo-densteifigkeiten nicht erforderlich. Zwischen Baugrund und Stahlbe-tonbauwerk erlaubt die Übergangselementierung in Form nichtlinea-rer Federn eine wirklichkeitsnahe Boden-Bauwerks-Interaktion.

Abb. 8: Querschnitt Schleusenkammer Eibach mit Bewehrung undBaugrund

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Dem FEM-Ausgangsmodell werden für die nachfolgende Bearbeitungrechnerische Mittelwerte der Betondruck- und Stahlzugfestigkeit zu-geordnet. Die Rissbildung im Beton beginnt bei der Überschreitung dercharakteristischen Zugfestigkeit β(2) x fctm, während die Zugsteifigkeitvom Mittelwert fctm bestimmt wird („tension stiffening“). Die Beton-untersuchungen an der Schleuse ergaben bei einer Druckfestigkeit ei-nes C35/45 eine mittlere Zugfestigkeit von 3,9 N/mm². Gemeinsam mitden vorgegebenen Beziehungen im Eurocode 2 sowie den getroffenenAnnahmen der Sicherheitskonzeption lassen sich daraus die idealisier-ten Spannungs-Dehnungslinien als Grundlage für die FEM-Modellie-rung ableiten.

Da bei nichtlinearen Berechnungen vor allem im Gebrauchszustandlastpfadabhängige Mehrfachlösungen möglich sind, wird eine an diereale Entstehungsgeschichte des Bauwerks angenäherte Lastreihen-folge berücksichtigt. Sie beinhaltet die Herstellung der Stahlbetonkon-struktion in der Baugrube, die nachfolgende, schichtenweise Hinterfül-lung, den Anstieg des Grundwassers und nachfolgend die äußeren

Abb. 10: 2D-FEM-Modell der Schleusenkammer

Abb. 9: Überlastung am elastischen Modell: Aus-lastungsgrade über 1,0 bei Biege-und Schubbelas-tung sowie Ermüdungsbeanspruchung infolge zy-klischer Einwirkungen

Lasten einschließlich Wasserdruck bis hin zu den für die Rissbildungwichtigen, jahreszeitlichen Temperaturwirkungen. Die von diesen her-vorgerufenen Dehnungen werden zuvor auf der Grundlage einer insta-tionären Temperaturfeldberechnung im Querschnitt des Modells ermit-telt.

Nachdem der Herstellungsprozess bis zur Befüllung der Kammer rech-nerisch durchlaufen wurde, muss das statische Modell am Verhaltendes realen Bauwerks kalibriert werden. Hierzu dienen genaue Wand-kopfverformungs- und Verdrehungsdifferenzen, die beim schleusungs-bedingten Wechsel des Kammerwasserstands von Unter- auf Oberwas-ser mit verschiedenen Verfahren vor Ort gemessen wurden (Abb. 11).Die östliche, hinterfüllte Wand bewegt sich dabei um circa vier Milli-meter, die westliche um zwölf Millimeter.

Im Rahmen der Modellplausibilisierung werden unter anderem diestatisch relevanten Risse im Beton, die durch selektive Bauwerksin-spektionen dokumentiert wurden, den berechneten Rissbildern gegen-

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Abb. 11: Messwerte der Wandkopfverformungen bei Wasserstands-wechsel OW/UW als Basis für die Kalibrierung der FEM-Modelle

Abb. 12: Vergleich der Rissbereiche gemäß FEM-Modell (links) und insitu am Bauwerk im Bereich des östlichen Längslaufes

übergestellt. Auffällig vor Ort sind Risse im Bereich des Dränagegangsund des Längslaufes an der Ostwand, die sich auch rechnerisch nachmehreren Schleusungszyklen in Kombination mit jahreszeitlichen Tem-peraturwirkungen einstellen (Abb. 12). Auch an anderen markantenStellen wird eine gute Übereinstimmung bestätigt. Das so angepassteund überprüfte FEM-Modell stellt die Basis für alle weiteren Untersu-chungen dar.

4.2 Berechnung und ErgebnisseDer Nachweis der Betonstahlermüdung erfolgt anhand der auftreten-den Spannungsschwingbreiten bei Kammerwasserstandswechsel. Inweitgehend gerissenen Querschnittsbereichen kann dieser Wert direktam Modell abgelesen und mit den zulässigen Werten der Wöhler-Linienach DIN 1045-1 (Ausgabe 2001) verglichen werden. Dabei ist festzu-stellen, dass im gesamten Tragwerksbereich hohe Auslastungsgradevorliegen, eine Überbeanspruchung jedoch nur am erdseitigen Stieldes Drainagegangbereichs auftritt (Abb. 12, Stelle 1). Für ein ge-schätztes Verkehrsaufkommen mit knapp 500.000 Schleusungsvor-gängen bis zum Jahr 2078 (angestrebte Nutzungsdauer) beträgt diezulässige Spannungsschwingbreite ∆σRsd = 198 N/mm² für Stabstahlund 140 N/mm² bei Schweißstößen. Der letzte Wert wird im Drainage-gang mit 160 N/mm² merklich überschritten.

Für den Nachweis der Betonzugermüdung infolge schiefer Hauptzug-spannungen werden die Zugfestigkeit des Betons auf den sicherheits-behafteten Wert gemäß Abb. 7 abgemindert und im vorgeschädigtenBasismodell mehrere Lastwechsel bei Ober- und Unterwasserstand si-muliert. Hierbei findet eine deutliche Ausbreitung der Rissbereichestatt, was die hohe Querkraftauslastung der schlanken Konstruktionund das Fehlen einer Schubbewehrung verdeutlicht. Insbesonderekann sich durch die ungünstige Bewehrungsanordnung unterhalb desDrainagegangs ein Vertikalriss mit zunehmender Lastwechselzahl un-gehindert ausweiten (Abb. 12, Stelle 2). Dies führt mit steigendenLastwechseln zu Konvergenzproblemen bei der Berechnung. Auch au-ßerhalb des Drainagegangbereichs findet Rissbildung statt. Im westli-chen Sohl- und Wandbereich führt diese bei Oberwasserständen in derKammer zu einer Umlagerung der Kräfte in den anstehenden Bau-grund.

Die Nachweise bei statischer Biege- und Querkraftbeanspruchungwerden am FE-Nachweismodell durchgeführt, das auf Grundlage desBasismodells mit der konservierten Rissbildung aus dem Gebrauchszu-stand durch die Einbindung der Sicherheitselemente für die Betonzug-festigkeit gebildet wird. Für die Beanspruchung der Ostwand sind dieUnterwasser-Einwirkungskombinationen (UW) maßgebend. Diese füh-ren zu einer markanten Schädigung im Bereich des Drainagegangs.Der am Modell berechnete Schädigungsverlauf ist auszugsweise imAbb. 13 dargestellt. Bei einer mit ∆λ =0,1 durchgeführten Laststeige-rung reißt zunächst der unterbemessene, erdseitige Stiel des rahmen-artigen Dränagegangbereichs an mehreren Stellen auf. Es erfolgt eineUmlagerung der Beanspruchungen zum wasserseitigen Stiel. Dadurchentsteht auch hier ein Riss, der sich aber wegen der fehlenden Hori-zontalbewehrung nach unten ausweitet und bis in den Druckstiel desLängslaufs fortschreitet. Gleichzeitig nehmen die rechnerischen Verfor-mungen des Tragwerks stark zu. Versagenskriterium ist die ab λ = 1,0fehlende Konvergenz am FE-System. Im restlichen Querschnittsbereichder Schleusenkammer tritt jedoch keine Überschreitung der Versa-genskriterien ein. Dies gilt auch für die im Rahmen des Sicherheitskon-zepts NiTra durchgeführten Berechnungen mit variierten Ansätzen fürdie Betonzugfestigkeit einschließlich der optionalen Berücksichtigungder Arbeitsfugen.

Für Einwirkungskombinationen bei gefüllter Schleusenkammer (OW)mit günstig wirkendem Erddruck treten hauptsächlich im westlichenSohl- und unteren Wandbereich weitere Zonen mit deutlicher Rissbil-dung auf. Allerdings werden die Grenzwerte auch bei λ = 1,3 nichtüberschritten, sodass hier noch ausreichende Sicherheiten gegebensind.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass die realitätsnahe Traglaster-mittlung unter Berücksichtigung von Spannungsumlagerungen imGründungs- und Anschüttungsbereich zu deutlich günstigeren Ergeb-nissen führt als linear-elastische Berechnungsmethoden. Sicherheits-defizite aus den statischen Voruntersuchungen im Sohl- und westli-chen Wandbereich werden merklich gemindert oder verschwindenganz. Lediglich an der östlichen Kammerwand im Bereich des Dräna-gegangs verbleiben Sicherheitsunterschreitungen, die Verstärkungs-maßnahmen erfordern. Diese betreffen einerseits die Biegezugbean-spruchung des erdseitigen Stiels und andererseits die vertikale Riss-ausbreitung unterhalb des Dränagegangs (Abb. 14).

Bei der Planung erforderlicher Tragwerksverstärkungen war zu beach-ten, dass der Schleusenbetrieb jeweils nur für wenige Stunden in dernächtlichen Betriebspause unterbrochen werden kann. Entsprechend

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Abb. 14: Schleusenkammerquerschnitt mit überbeanspruchten, verstärkungsbedürftigen Tragwerksbereichen

den Vorgaben des Betreibers waren ferner horizontale Verankerungender Kammerwand im seitlichen Baugrund nicht zulässig. Unter diesenEinschränkungen wurde die in Abb. 15 skizzierte Verstärkungsmaß-nahme konzipiert. Zur Begrenzung der vertikalen Rissausbreitungkann mit verhältnismäßig geringem Aufwand der Einbau zusätzlicherBewehrung („Vernadelung“) von der Kammerseite aus erfolgen.Schräg angeordnet verläuft diese Bewehrung in Richtung der Haupt-zugspannung, gewährleistet die Ausbildung der Rahmentragwirkungim Dränagegangbereich und sichert die Anbindung des kammerseiti-gen Stiels an das Gesamttragwerk. Am erdseitigen Stiel des Dränage-gangs hingegen muss das erforderliche Sicherheitsniveau durch eineReduzierung beziehungsweise Umlagerung der äußeren Belastung er-folgen, die im Wesentlichen durch partiellen Austausch der seitlichenBodenanschüttung durch 6500 Kubikmeter Leichtbeton erfolgt. Fernerwird eine konzentrierte Einleitung der vertikalen Erdlasten des darü-berliegenden Bodens in die Kammerwand über eine Plattenkonstrukti-on sichergestellt. Eine zusätzliche vertikale Vorspannung der Kammer-wand im oberen Bereich verbessert das Tragverhalten, insbesonderebei Zugbeanspruchungen auf der Kammerseite, die durch Eis- undSchiffsstoßbelastung bei gefüllter Kammer beziehungsweise infolgeder Änderungen am Tragsystem auftreten können. Die Verstärkungs-maßnahmen gemäß Abb. 15 konnten bis zum Jahr 2009 abgeschlos-sen werden.

5 FazitDie vorliegende Konzeption NiTra ist ein leistungsfähiges, das Gesamt-tragwerk erfassendes und unter ingenieurpraktischen Bedingungenanwendbares Nachweisverfahren zur Ermittlung der Systemtraglastan massiven Wasserbauwerken auf der Basis nichtlinearer Stoffgeset-ze. Grundlage für die Nachweiskonzeption ist das geltende Regelwerk,insbesondere die Stahlbetonnorm Eurocode 2. Die Angaben im betref-fenden Abschnitt 5.7 beziehungsweise im Nationalen Anhang habengrundlegenden Charakter, mit denen das prinzipielle Vorgehen und dieAnordnung der Sicherheitselemente an üblichen Bauteilgruppen (Bal-ken, Platten, Stützen) vorgegeben werden. Für eine konkrete Anwen-dung auf komplexe Tragwerke, wie die hier behandelten Schleusen,Abb. 15: Prinzipdarstellung der ausgeführten Tragwerksverstärkung

Abb. 13: Schleusenost-wand: Entwicklung derRissbereiche (oben, Zugblau) und der Stahldeh-nungen an ausgewähl-ten Stäben für die Last-situation Unterwasser(UW) bei anwachsen-dem Laststeigerungs-faktoren λ

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mussten ergänzende Vorgaben formuliert werden. Besonders hinsicht-lich der FEM-Modellierung scheibenförmiger Strukturen mit der erfor-derlichen Vorgabe von Betonfestigkeitswerten und der Umsetzung derSicherheitsformate an komplexen, in Interaktion mit dem Baugrundstehenden Tragsystemen waren Ergänzungen notwendig.

Grundlegende Voraussetzung zur Anwendung des Verfahrens ist dieVerfügbarkeit von Ausgangsdaten zu den Stoffeigenschaften und vonMesswerten für die Kalibrierung der FEM-Modelle. In jedem Fall sinddeshalb im Vorfeld qualifizierte Boden- und Betongutachten aufzustel-len und ausreichend genaue Verformungsmessungen durchzuführen.Zusätzlich ist im Rahmen einer Plausibilitätskontrolle der Vergleich mitrealen, am Stahlbetontragwerk tatsächlich vorhandenen Rissbildernvorgesehen, der die Verfügbarkeit entsprechender Schadensdokumen-tationen aus der Bauwerksprüfung voraussetzt.

Die Konzeption ist infolge aufgetretener Tragwerksschäden für die Un-tersuchung von Schleusen aus Stahlbeton am Main-Donau-Kanal ent-wickelt worden. An diesen Bauwerken ist mit den bisher üblichen sta-tischen Methoden keine befriedigende rechnerische Tragfähigkeitnachweisbar. Zwischenzeitlich wurde die Nachweiskonzeption in derBundesanstalt für Wasserbau für die Tragwerksanalyse an sieben Bau-werken erfolgreich eingesetzt, wobei die Anwendbarkeit auch unterpraktischen Bedingungen bestätigt werden konnte.

6 Literatur[1] Fleischer, H., Lutz, M., Deutscher, M., Ehmann, R.: Materialermü-

dung an einer Schiffsschleuse aus Stahlbeton, Bautechnik 83(2006); Heft 6

[2] Fleischer, H.: Zur Begutachtung der Standsicherheit alter, massiverVerkehrswasserbauten, Mitteilungsblatt der Bundesanstalt fürWasserbau, Nr. 81 (2000)

[3] Bundesanstalt für Wasserbau Karlsruhe: Konzeption zum stati-schen Nachweis der Systemtraglast der Schleusen am Main-Do-nau-Kanal auf der Basis nichtlinearer Stoffgesetze – NiTra,(2007), unveröffentlicht

[4] Katzenbach, R., Gutberlet, C., Bachmann, G.: Anforderungen andie Anwendung numerischer Standsicherheitsnachweise im Erd-und Grundbau; Bauingenieur 82 (2007)

[5] Heibaum, M., Herten, M.: Finite-Element-Methode für geotechni-sche Nachweise nach neuer Normung?, Bautechnik 84 (2007)Heft 9

[6] Tue, N., Rückriem, T., Mucha, S.: Hinweise zur FE-Netzgenerie-rung und den zulässigen Stahldehnungen unter Berücksichtigungeines geringen Bewehrungsgehaltes, Universität Leipzig, Institutfür Massivbau und Baustofftechnologie; unveröffentlichte Stel-lungnahme im Auftrag der Bundesanstalt für Wasserbau Karlsru-he (Mai 2007)

[7] Grünberg,J., Kromminga, S., Hansen, M.: Nichtlineare Tragwerks-analyse eines Schleusenbauwerks und Herleitung der dabei an-zusetzenden Sicherheitselemente; Teil 1: InstitutsspezifischeKernfragen; Universität Hannover, Institut für Massivbau; unver-öffentlichte Stellungnahme im Auftrag der Bundesanstalt fürWasserbau Karlsruhe (16.05.2007)

[8] Hegger,J., Kerkeni, N., Bieker, T.: Nichtlineare Systemtraglastbe-rechnung - Materialansätze für Beton; H+P Ingenieure GmbH &Co. KG in Verbindung mit der Rheinisch-Westfälischen Techni-schen Hochschule Aachen, Institut für Massivbau; unveröffent-lichte Stellungnahme im Auftrag der Bundesanstalt für Wasser-bau Karlsruhe (18.05.2007)

[9] Empfehlungen des Arbeitskreises 1.6 “Numerik in der Geotech-nik”, Abschnitt 4 ; in Geotechnik 29 (2006) Nr. 1

[10] Grabe, J., Schümann, B., Katzmann, A.: Zur plastisch-plastischenBerechnung von Baugrubenwänden; Kolloquium der Bundesan-stalt für Wasserbau zur Anwendung der FEM im Grundbau,21.02.2008

BAUSTATISCHE PRÜFUNG

58 Der Prüfingenieur | Mai 2015

Eine ingeniöse Aufgabe ersten Ranges: Die baustatischePrüfung der Konstruktion der Elbphilharmonie Hamburg Die potenziellen Verformungen des Tragwerks dürfen diegebogenen Scheiben der Glasfassade nicht beschädigen

Mit der Elbphilharmonie entsteht in Hamburg ein Bauwerk, dasnicht nur sehr exklusive Wohnungen, sondern auch ein exquisi-tes Hotel mit internationaler Reputation und drei Konzertsäleaufnehmen wird, von denen allein der in fünfzig Meter Höhe„schwebende“ Große Konzertsaal über zweitausend Konzert-besucher fassen wird. Eine architektonische und konstruktiveBesonderheit dieses Gebäudes stellt die schillernde Glasfassa-de dar, die einen weithin sichtbaren Blickfang bildet, der überkurz oder lang das internationale Wahrzeichen Hamburgs seinwird. Die baustatische Prüfung der Elbphilharmonie Hamburgwar eine ingeniöse Aufgabe ersten Ranges und stellte sehr ho-he Anforderungen an den Prüfingenieur und seine Mitarbeite-rinnen und Mitarbeiter. So kamen an diesem Projekt nahezu al-le Bauverfahren und Baustoffe vor. Oft wurden sogar Konstruk-tionen gebaut, die es vorher wohl noch nicht gegeben hat. Beider Anwendung der Bauvorschriften war, wie der folgende Bei-trag eindrucksvoll belegt, nicht immer der gewohnte, strikteWeg begehbar, oft waren Auslegungen notwendig, da vieleSonderfälle nicht in den einschlägigen Vorschriften für den übli-chen Hochbau berücksichtigt waren. Hierfür war eine umfang-reiche Abstimmung mit der obersten Bauaufsicht notwendig.

hat an der TU Braunschweig Bauingenieurwesen studiert unddort auch promoviert, anschließend war er zehn Jahre im Bau-konzern Philipp Holzmann AG als leitender Mitarbeiter im Techni-schen Büro tätig; Grzeschkowitz ist Prüfingenieur für Bautechnik(Fachrichtungen Massiv- und Stahlbau) und seit 2005 Mitinhaberund Geschäftsführender Gesellschafter der Ingenieurbüros WKConsult Hamburg und WKC Hamburg GmbH; Grzeschkowitz istMitglied verschiedener Normenausschüsse

Dr.-Ing. Rainer Grzeschkowitz

1 Einführung Mit der Elbphilharmonie wird in Hamburg ein spektakuläres Bauwerkerrichtet, geplant von den renommierten Basler Architekten Herzog &de Meuron. Mit circa 112 Metern Höhe wird sie das höchste bewohnteGebäude Hamburgs sein (Abb. 1). Neben Wohnen und Hotelbereich(Abb. 2) stellt der Konzertbetrieb die Hauptnutzung des Gebäudes dar.Insgesamt sind drei Konzertsäle vorhanden, wobei allein der in unge-fähr 50 Meter Höhe „schwebende“ Große Konzertsaal für 2.150 Kon-zertbesucher ausgelegt ist. Das akustische Konzept hierfür stammt vonYasuhisa Toyota, einem der derzeit renommiertesten Akustiker, und esstellt – wie auch die architektonische Gestaltung – sehr hohe Anforde-rungen an die Ausbildung des Großen Konzertsaals, zumal die Elbphil-harmonie Hamburg nach Fertigstellung zu den besten Konzerthäusernder Welt zählen soll. Die sich daraus ergebenen Anforderungen spie-geln sich in besonderem Maße in der Konstruktion des Saales wider,die einzigartig ist. Eine architektonische und konstruktive Besonder-heit und Herausforderung stellt vor allem auch die schillernde Glasfas-sade dar, die einen weithin sichtbaren Blickfang bildet.

2 Die Glasfassade: 21.500 qm Fläche aus 1.100 Glaselementen unterschiedlicher Größe und Form

Die über dem Kaispeicher A „schwebende“ Glasfassade der Elbphil-harmonie umfasst etwa 21.500 Quadratmeter Fassadenfläche und be-steht aus 1.100 Glaselementen unterschiedlicher Größe und Form. DieEinzelscheiben sind vier bis fünf Meter breit und fünf Meter hoch, wie-gen mit jeweils durchschnittlich rund 0,6 Tonnen etwa halb so viel wieein Auto und stellen große Anforderungen an die Ingenieurbaukunst.Das Glas muss hohen Beanspruchungen standhalten, zum Beispiel Or-kanböen bis zu 150 km/h. Jedes Glaselement ist auch wegen seinerBeschichtung und Bedruckung ein Unikat. Die einzelnen Glasscheibenwurden – ein Novum – zunächst bedruckt, dann beschichtet, gegebe-nenfalls millimetergenau gebogen und anschließend bei ca. 600 GradCelsius „gebacken“. Die Bedruckung und die Wölbung orientiert sichan der jeweiligen Nutzung des Gebäudeteils. Abb. 3 zeigt die Fassa-denabwicklung der West- und Südseite.

Die Beschichtung und Bedruckung erfolgte wie folgt:

■ Sonnenschutzbeschichtung mit farbneutralem Erscheinungsbild,■ Wärmeschutzbeschichtung (eventuell auch in Kombination mit Son-

nenschutzbeschichtung),■ Punktbedruckung (maximal Dreifachdruck, zweifarbig und einfarbig

hinterdruckt).

Der Bedruckungsgrad ist neben den bauphysikalischen Vorgaben auchabhängig von der Nutzung der dahinterliegenden Räume beziehungs-

BAUSTATISCHE PRÜFUNG

Der Prüfingenieur | Mai 2015 59

weise deren Tageslichtbedarf. Damit eine Scheibe einbaufertig gelie-fert werden konnte, mussten die einzelnen Elemente mehrmals durchden Süden Europas hin und her transportiert werden.

Eine Herausforderung für die Tragwerksplanung und für die Bauaus-führung war die Wahl enorm schlanker Rahmenkonstruktionen mit ge-ringstmöglichem Glaseinstand. Zunächst wurde der Einstand derScheibe im Rahmen so vorgegeben, dass eine Aufnahme möglicherDeckenrandverformungen nach Festsetzung der Elemente währendder gesamten Standzeit des Gebäudes von ± vier Millimeter möglichwar. Da diese Forderung auch bei vorgespannten Deckenstreifen nichtrealisierbar schien, wurde die Vorgabe auf immer noch ± sieben Milli-meter erhöht. Dazu wurden die bereits gefertigten Glasauflager mit ei-ner Ausfräsung von drei Millimeter versehen. Da bei einer größeren

Verformung die Gefahr besteht, dass Scheiben überbeansprucht wer-den und versagen, wurde ein differenziertes und umfängliches Mess-konzept entwickelt und durchgeführt. Insbesondere die rechnerischenErmittlungen von Verformungen ohne Kenntnis maßgeblicher Parame-ter (exakte Geometrie, Werkstoffkennwerte, Zeitpunkt der Belastung,Bauablauf, klimatische Randbedingungen und so weiter) stellten einebesondere Schwierigkeit dar. Hierbei war es erforderlich, eine Streu-ung der einzelnen Parameter zu beachten und zwischen den sich je-weils positiv und negativ auswirkenden Parametern zu unterscheidenund diese entsprechend zu berücksichtigen.

Neben der Frage der Standsicherheit der Fassadenelemente, beispiels-weise als absturzsichernde Verglasung, wurde daher eine bauaufsicht-liche Anforderung (BAA) als Maßnahme der vorbeugenden Gefahren-

Abb. 1: Elbphilharmonie Hamburg in der Bauphase im Sommer 2010

Abb. 2: Nutzung der Elbphilharmonie

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abwehr getroffen, die im Prüfbericht Nr. 19 zum Bauvorhaben „Elb-philharmonie“ in der Rubrik „Baubeginnvorbehalte“ enthalten ist.Diese Forderung wurde vom Prüfingenieur in Abstimmung mit derPrüfstelle für Baustatik erhoben. Sie lautet:

Mit den Arbeiten zum Festsetzen der Fassadenelemente darf erst be-gonnen werden, wenn folgende nachzureichenden Bauvorlagen inbautechnischer Hinsicht (siehe Bauvorlagen VO) geprüft und bauauf-sichtlich genehmigt worden sind:Aufmaß der tatsächlich auftretenden Deckenrandverformungen ein-schließlich Auswertung und Stellungnahme, ob die Randbedingungenaus der Genehmigungsstatik eingehalten sind.

Die Gefährdung ergibt sich daraus, dass die wandhohen gläsernenFassadenelemente in ihren Rahmen nach deren Fixierung im Rohbaunur sehr geringe Verformungen in der Größenordnung von wenigenMillimeter ausgleichen können. Wird dieses Maß überschritten, dannbesteht die Gefahr, dass die Fassadenelemente große Zusatzbeanspru-chungen aus Zwängung in horizontaler und oder aus vertikaler Rich-tung erhalten, für die diese nicht ausgelegt sind. Sie könnten infolgedieses Einflusses zerbrechen und abstürzen, was bei circa 100 MeterAbsturzhöhe ein erhebliches Gefahrenmoment darstellt, das es abzu-wehren gilt. Es war deshalb ein Nachweis zu führen, dass die bishertatsächlich aufgetretenen Verformungen des Deckenrandes mit dengemäß Statik zu erwartenden Verformungen hinreichend gut überein-stimmen; außerdem hat der Verformungsverlauf erwarten lassen müs-sen, dass die Vorgaben des Fassadenelements bezüglich maximalerVerformungsdifferenzen des Deckenrandes nach Festsetzung der Fas-sade während der gesamten restlichen Standzeit des Gebäudes einge-halten werden.

Bei üblichen Hochbauten gelten in der Regel Anforderungen hinsicht-lich Verformungsbegrenzung als zum Bereich der Gebrauchstauglich-keit gehörend, der außerhalb des Interesses der Bauaufsicht liegt, so-lange davon kein möglicher Gefahrenzustand ausgeht. Bei diesemBauvorhaben war die Lage jedoch anders, weil die sehr großen Ele-mente besonders empfindlich gegen Verformungsdifferenzen des De-ckenrandes sind, und weil die Differenzen, die nach Festsetzung der

Fassadenelemente während der gesamten Standzeit des Gebäudesauftreten dürfen, nur sehr gering sind. Erschwerend kommt hinzu,dass ein eventuell erforderliches nachträgliches Auswechseln von Fas-sadenelementen ein außerordentlich aufwendiges Unterfangen wäreund dass keine Einrichtung vorgesehen ist, die bei Gefahr des Errei-chens der zulässigen Verformungen den Eigentümer warnt, sodass ei-ne notwendige Nachjustierung beziehungsweise ein Austausch desbetroffenen Fassadenelementes erfolgt.

Der abzuwehrende potenzielle Gefahrenzustand ist weniger in unmit-telbarer, sondern eher in fernerer Zukunft zu erwarten. Da bei einemBetonbauwerk die sich einstellenden Verformungen infolge Kriechensund Schwindens zeitabhängig verlaufen, kann es sein, dass sich ein fürdie Fassadenelemente kritischer Verformungszustand erst nach eini-gen Jahren einstellt. Da aber die vorbeugende Gefahrenabwehr diegesamte Standzeit des Bauwerkes zu beachten hat und vor Ausfüh-rung die Entscheidungen getroffen werden mussten, die die Gefahren-neigung maßgeblich beeinflussen, war es angemessen, die BAA zustellen und zu erfüllen.

Das Verformungsgeschehen im Bauwerk wird von vielen Einflüssengeprägt, wie Herstellungsgeschichte, Geschichte der Festigkeitsent-wicklung, Belastungsgeschichte, Betonverarbeitung und -nachbe-handlung, Vorspannung, statisches System, Dimensionierung der Trag-querschnitte, Übergang vom ungerissenen in den gerissenen Zustand,Vorhandensein von Cobiax-Körpern im betrachteten Deckenstreifen,klimatische Entwicklung und so weiter. Eine rechnerische Ermittlungder Verformungsentwicklung für die einzelnen Einflüsse war auf Basisvon Planungswerten zwar möglich und wurde durch den Tragwerks-planer vorgelegt, doch ist jeder dieser Planungswerte mit gewissenUnschärfen behaftet. Das führt dazu, dass für die Überlagerung derverschiedenen Einflüsse eine ausreichend exakte Vorherbestimmungder Verformung baupraktisch nicht möglich ist. Wenn es deshalb, wiehier vorliegend, darum ging, einen verformungskritischen Vorgang zubeurteilen und Risiken mit vertretbarem Aufwand auszuschließen, wa-ren neben der Prüfung der Berechnungen insbesondere begleitendeVerformungsmessungen ein geeignetes Mittel, auf das zurückgegrif-fen wurde.

Abb. 3: Teil der Fassadenabwicklung

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BAUSTATISCHE PRÜFUNG

Der Prüfingenieur | Mai 2015 61

Abb. 4 zeigt beispielhaft den stark überhöht dargestellten Durchbie-gungsverlauf einer Geschossdecke. Da sich aufgrund der Form desKonzertsaals das „Loch“ und damit die Deckenränder geschossweiseverändern, ist auch ein Abgleich über jeweils zwei Geschossdeckenvorzunehmen.

Die gläsernen Fassadenelemente wurden als nicht geregelte Baupro-dukte durch Zustimmung im Einzelfall (ZiE) zur Verwendung bei die-sem Bauvorhaben bauaufsichtlich zugelassen. Der Hersteller derGlaselemente, die Firma Josef Gartner GmbH aus 89423 Gundelfin-gen, beantragte die verschiedenen ZiE. Stellvertretend für mehrerekonstruktiv ähnliche Glaselemente wird hier der Zustimmungsbe-scheid Nr. ABH31 634.344-3/1-604 vom 08.10.2009 aufgeführt. ImAbschnitt Besondere Bestimmungen/Anwendungsbedingungen heißtes dort:

(6) Die Verglasungskonstruktionen sind so zu gestalten, dass die Glas-scheiben unter Berücksichtigung baupraktischer Toleranzen zwän-gungsfrei montiert werden können und es unter Betriebsbedingungen(Lasteinwirkung, Temperatur, insbesondere Verformung und Nachgie-bigkeit der tragenden Konstruktion) nicht zum Kontakt der Glasschei-ben mit anderen Glasscheiben, Stahlteilen oder sonstigen harten Bau-teilen kommen kann.

Aus dieser Formulierung geht die besondere Bedeutung der Beherr-schung und Begrenzung der Verformungen der Tragkonstruktion her-vor. Ist diese nicht gegeben, ist die zitierte Zustimmungsbedingungverletzt, und die ZiE verliert ihre Gültigkeit.

Aus den vorstehenden Betrachtungen und zitierten ZiE-Bestimmungenergab sich aus bauaufsichtlicher Sicht die Notwendigkeit einer sorgfäl-tigen Kontrolle der sich am Bauwerk einstellenden Verformungen. Eswurde deshalb die Vorlage eines seitens der ausführenden Firma ver-fassten Untersuchungsberichtes zum Verformungsverhalten der De-ckenränder erwartet. Aus diesem Bericht sollte hauptsächlich hervor-gehen, ob der bisherige gemessene Verlauf der Verformungen denprognostizierten Werten entspricht, die in den einschlägigen geprüftenBerechnungen angegeben sind.

Mit den in BAA genannten „Randbedingungen“ sind hauptsächlichdie Deckenrandverformungen gemeint, die für die Lagerung der Fassa-denelemente maßgeblichen Einfluss haben. Eine Bestätigung der her-stellungstechnischen Parameter hatte dagegen nachrangige Bedeu-tung und konnte die Gegenüberstellung und Auswertung der Decken-randverformungen nicht ersetzen. Ebenfalls konnte die Gegenüber-stellung nicht durch zusätzliche verfeinerte Computerberechnungenauf FEM-Basis ersetzt werden, da diese ebenfalls nur eine Prognose

liefern können. Hier aber kam es darauf an, anhand von Messwertendie Stimmigkeit der Prognose zu bestätigen.

Die sich im Bauwerk einstellenden Verformungen ergeben sich aus ei-ner Summe von unterschiedlichen Einflüssen (siehe oben). Zu diesenEinflüssen sind, soweit vorhanden, Planungswerte aus der statischenBerechnung der Deckenrandverformungen zu entnehmen und mit dentatsächlichen Werten bewertend gegenüberzustellen. Dazu waren füreine ausreichende Anzahl von Untersuchungspunkten, die über dieDeckenränder und die einzelnen Geschosse verteilt sind, die zu ver-gleichenden Angaben in systematischer und übersichtlicher Weise sodarzustellen, dass die Untersuchung prüffähig wurde. Die einschlägi-gen Angaben zum Baugeschehen, insbesondere Betoniertermine undder weitere Bauablauf (insbesondere Schalzeit, Unterstützungsdauer,Lasten aus den Durchsteifungen darüber liegender Geschosse, Auf-bringen von Ausbaulasten, statische Systeme während der verschiede-nen Bauphasen) waren in praxisgerechter Form zu berücksichtigen.Der Untersuchungsbericht sollte mit einer zusammenfassenden Be-wertung abschließen, aus der hervorgeht, ob sich aus den Untersu-chungen ein einheitlicher Trend ableiten lässt, und wie dieser in Bezugauf die berechneten Verformungswerte beschaffen ist.

Dem Prüfingenieur wurden zunächst Messprotokolle von mehrerenVerformungsmessungen und Baustellenfotos vorgelegt. Diese Unterla-gen sind als Rohmaterial für den von der ausführenden Firma zu er-stellenden Untersuchungsbericht nützlich. Es fehlte aber eine über-sichtlich geordnete Darstellung und Bewertung anhand der Einzelhei-ten des Baugeschehens, sodass die Unterlagen so nicht prüffähig wa-ren. Deshalb bedurften sie der Überarbeitung.

Nachdem sich anhand des durch den Prüfingenieur geprüften Untersu-chungsberichts erkennen ließ, dass hinsichtlich der Verformungsent-wicklung ein einheitlicher Trend vorliegt und dass dieser die prognosti-zierten Werte entweder einhält oder unterschreitet, hielt die Bauauf-sicht die BAA für erledigt. Andernfalls wären in Abhängigkeit vomStand der Ergebnisse weitergehende Maßnahmen zu erwägen gewe-sen.

Die Fassadenelemente (Abb. 5) wurden an ihren Halterungen hän-gend montiert. Die Stahlplatten wurden mittels Ankerschienen fixiertund mit einem geeigneten, zugelassenen Mörtel unterfüttert (Abb. 6).Während der Bauausführung wurde jede einzelne Halterung über-prüft. Die Ergebnisse sind in den Abnahmeprotokollen festgehalten.

Abb. 4: Stark überhöhter Durchbiegungsverlauf aus der Vergleichs-rechnung einer Geschossdecke

Abb. 5: Fassadenelemente der Südfassade (Loggia im Foyerbereich)

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In Abb. 7 ist die Justiermöglichkeit der Fassadenelemente je Seite zuerkennen. Durch die Schrauben war es möglich, die Lage des Elementsgenau auszurichten. Das darüber liegende Fassadenelement wird vonoben aufgesetzt und ist dann druck- und zugfest verankert.

Die Gebäudehöhe von 112 Meter und die freie Wasserfläche der Elbenach Osten und Westen führen zu hohen Belastungen aus Windangriff.Hierzu wurde ein Windgutachten erstellt, in dem für jeden Fassaden-bereich die zugrundezulegenden Winddruck- und -sogbeiwerte festge-schrieben waren.

In der Summe umfasste der Prüfauftrag „Fassade“ insbesondere fol-gende Punkte:

■ Ein Versagen der Glasscheiben sollte ausgeschlossen sein, da einHerabfallen von Glasscherben aus großer Höhe eine Gefahr für Leibund Leben darstellt.

■ Die Einflüsse, die zu einem Versagen der Glasscheiben führen könn-ten, waren genauestens zu hinterfragen und zu prüfen. Dazu gehör-ten neben der Prüfung der statischen Berechnungen der Glasele-mente selbst, der Rahmenkonstruktionen und der Befestigungen ander Rohbaukonstruktion auch die Nachweise der Durchbiegungenüber den Lebenszyklus des Gebäudes.

■ Weiterhin war ein wichtiger Aspekt die Reduzierung möglicher Aus-führungsmängel, was durch eine intensive Überwachung der Aus-führung zu gewährleisten war.

3 Prüfung der GlaselementeDie Glaselemente setzen sich aus den Gläsern und den Rahmenkon-struktionen zusammen. Sie wurden einbaufertig auf der Baustelle an-geliefert und mittels einer speziellen auskragenden Bühne hängendmontiert.

3.1 Eingereichte GlasstatikenDie statischen Berechnungen der Glaselemente wurden von der Fa.Tragkonzept (Augsburg) erstellt. Dabei wurden neben den „Regel-scheiben“ insbesondere folgende Sonderscheibentypen berechnet(siehe auch Abb. 3):

■ viereckige, aber nicht rechteckige Scheiben,■ aus der Ebene gekrümmte Scheiben, sogenannte Bubble-Scheiben,■ „normale“ Balkone im Wohnbereich,

■ „große“ Balkone im Foyer-Bereich.

Die erforderlichen Nachweise unter stoßartiger Einwirkung wurdendurch Versuche geführt, in den Zustimmungen im Einzelfall (ZiE) bean-tragt und genehmigt. Das Thema Brandüberschlag wurde durch eineintensive Sprinklerung gelöst.

3.1.1 Grundlagen der Statik:■ absturzsichernde Verglasung der Kategorie A (TRAV, Jan 2003),■ linienförmige Verglasung (TRLV, Aug. 2006),■ Geometrie per CAD vom Lieferanten der Scheiben (Fa. Josef Gartner),■ FEM-Programme COSMOS/M und RFEM sowie Excel-Sheet für ebe-

ne Scheiben,■ Koppelung der VSG-Scheiben zur Isolierglasscheibe,■ Klimalasten wurden berücksichtigt (Herstellung in Italien oder Spa-

nien jeweils auf Meereshöhe),■ Holmlasten gemäß ZiE (Foyerbereich: 1 kN/m, Hotel- und Wohnbe-

reich: 0,5 kN/m),■ Windlasten -1,70 bis -2,70 kN/m² (Sog) beziehungsweise +1,25 bis

+1,55 kN/m² (Druck) aus Windkanalversuch,■ Spiegelglas (Floatglas) mit zul. σ = 18,0 N/mm²,■ VSG aus Spiegelglas mit zul. σ = 22,5 N/mm²,■ zul. Durchbiegung aus der Scheibenebene:■ – L/40 bei ebenem Isolierglas,■ – L/70 bei gekrümmtem Isolierglas,■ erforderliche Glaseinstände waren einzuhalten,■ zulässige Durchbiegungen der Auflagerprofile waren einzuhalten

(1/200 ≤ 15 mm),■ Druckdifferenz von ±16 kN/m² wurden bei Isolierverglasung berück-

sichtigt (Klimalast),■ Anwendungsrandbedingungen einhalten, insbesondere die Koppe-

lung der Isoliergläser.

3.1.2 Ebene VerglasungDie ebenen Rechteckscheiben wurden mittels Excel-Tabellen nach TRAVbeziehungsweise TRLV nachgewiesen. Dabei wurden die Außenschei-ben aus 2 · 8 Millimeter Floatglasscheiben mit 0,76 Millimeter PVB-Fo-lie aufgebaut, die Innenscheiben aus 2 · 6 Millimeter Floatglasscheibenmit 0,76 Millimeter-PVB-Folie. Der E-Modul wurde mit 70.000 MPagewählt, die Poissonzahl mit 0,23. Die Dichte beträgt 2.500 kg/m³.Übliche Scheibenabmessungen waren H/B = 3,28/2,43 m.

Wenn gemäß der linearelastischen Berechnung die zulässigen Span-nungen und Durchbiegungen überschritten waren, erfolgte eine Be-

Abb. 6: Fassadenbefestigung an der Betonkonstruktion Abb. 7: Justierung der Lagerpunkte des Scheibenelementes

BAUSTATISCHE PRÜFUNG

Der Prüfingenieur | Mai 2015 63

rechnung nach nichtlinearer Plattentheorie mit dem FEM-ProgrammCOSMOS/M von Solidworks. Dabei wurden die Grenzfälle

■ Ansatz voller Verbund (außen 16 mm, innen 12 mm Scheibendicke),■ Ansatz kein Verbund (außen ≅ 10 mm, innen ≅ 8 mm Ersatzschei-

bendicke).

untersucht.

Es wurden die Lastfallkombinationen mit den größten Spannungenund Verformungen aus linearer Berechnung gewählt:

■ Windsog = -2,70 kN/m²,■ ½ Holmlast = -0,25 kN/m.

➜ Ergebnis aus linearer Berechnung:

■ Windlast (Außenscheibe) = -1,96 kN/m²,■ Windlast (Innenscheibe) = -0,74 kN/m²,■ ½ Holmlast auf Innenscheibe = -0,25 kN/m.

➜ Lastverteilung nach nichtlinearer Plattentheorie:

Es wird die Annahme zugrundegelegt, dass die nichtlineare Volumen-änderung der Innen- und Außenscheibe gleich sein muss. Dies führt zueinem iterativen Vorgehen. Das Ergebnis der Iteration:

■ Windlast (Außenscheibe) = -1,80 kN/m² statt -1,96 kN/m²,■ Windlast (Innenscheibe) = -0,90 kN/m² statt -0,74 kN/m²,■ ½ Holmlast auf Innenscheibe = -0,25 kN/m

➜ 10 Prozent Lastumverteilung von der Außenscheibe zur Innenschei-be

➜ Nichtlineare Berechnung mit FE:

Durchbiegungen:■ außen 27,7 mm,■ innen 27,4 mm,➜ Zugspannungen:■ außen 16,9 N/mm²,■ innen 15,5 N/mm².

➜ Damit war der Nachweis geführt

Die Vergleichsrechnungen zeigten eine gute Übereinstimmung.

3.1.3 Gekrümmte VerglasungBei der gekrümmten Verglasung ist das grundsätzliches Vorgehen wievor bei der ebenen Verglasung, allerdings ist eine „einfache“ Hand-beziehungsweise Excel-Berechnung nicht mehr sinnvoll oder nichtmöglich. Daher erfolgte die Berechnung durch den Tragwerksplanermit den FE- Systemen COSMOS/M oder RFEM.

➜ Bubble im Hotel- und Backstagebereich:

■ Windlast (Druck) = +1,35 kN/m²,■ Windlast (Sog) = -2,30 kN/m²,■ Holmlast = -0,50 kN/m.

➜ Durchbiegungen:■ außen 24,2 mm,■ innen 24,6 mm,

➜ Zugspannungen:■ außen 21,6 N/mm²,■ innen 18,8 N/mm².

Abb. 8 zeigt beispielhaft die Hauptzugspannungen der Berechnungdes Tragwerksplaners.

3.2 Prüfung der eingereichten Bauvorlagen Für die baustatische Prüfung wurde insbesondere die Checkliste fürdie Prüfung von Glaskonstruktionen vom Bauüberwachungsverein(BÜV) zugrundegelegt. Sie enthält eine Auflistung wesentlicher Punk-te, die dem Prüfingenieur die bautechnische Prüfung auf Basis derbauaufsichtlichen Anforderungen erleichtern sollen:

■ Nachweis der Verwendbarkeit,■ Anwendungsbereich (insbesondere TRAV/TRLV),■ Einwirkungen,■ Schadensszenarien (insbesondere veränderliche Lasten),■ Aufbau der Glaselemente,■ Rechenmodelle (insbesondere realitätsnahe Abbildung),■ Besonderheiten bei der Berechnung (insbesondere Verbund und

Koppelung),■ Überwachung der Ausführung (Auflagen/Bescheinigungen/Toleran-

zen...),■ Ermittlung einer Vergleichsstärke der Verbundscheibe,■ Ermittlung des Lastverteilungsfaktors für Innen- und Außenscheibe ,■ Berücksichtigung der klimatischen Belastung zwischen Innen- und

Außenscheibe.

Die bautechnische Prüfung erfolgte neben überschlägigen Handrech-nungen mit folgenden FE-Programmen:

■ Mepla (nur für ebene Scheiben),■ Infograph,■ RFEM,■ Sofistik.

Die Vergleichsrechnung der Bubble-Scheibe wurde mit feiner Elemen-tierung mit dem Programm RFEM durchgeführt. Dabei wurden folgen-de Lastfälle berücksichtigt:

Abb. 8: BeispielhafteDarstellung der Ergeb-nisse

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■ LF 1: Eigenlast,■ LF 2: Winddruck,■ LF 3: Windsog (siehe Abb. 9),■ LF 4: Klimalast,■ LF 5: Holmlast.

Die Überlagerung der Lastfälle wurde mit den notwendigen Lastfall-kombination vorgenommen.

Es zeigen sich etwas abweichende Spannungsverläufe, die nach eige-ner Kontrolle auf die sehr feine Elementierung zurückzuführen sind.Die Übereinstimmung mit den Ergebnissen der eingereichten Statikwar jedoch ausreichend gut.

4 Prüfung der Verformungs-berechnungen4.1 Zur Prüfung eingereichte BauvorlagenDie Verformungsberechnungen des Tragwerksplaners WGG SchnetzerPuskas Ingenieure AG wurden insbesondere mittels Finite-Element-Rechnung durchgeführt. Dazu wurden die Betoneigenschaften gemäßDIN 1045-1 wie folgt angenommen (Quelle: Statikbericht Deckenrand-verformungen):

Deckenstärke zwischen 20 und 30 cm:Beton C30/37, fcd=17 MPa, fctm=2,9 MPa, Ecm=31.900 MPa

Deckenstärke 45 cm:Beton C35/45, fcd=19,8 MPa, fctm=3,2 MPa, Ecm=33.300 MPa

Es wurden Vorgaben an die Nachbehandlung gestellt:■ Sprießen für 100 Prozent Last mindestens 40 Tage nach Betonage,■ Belassen in der Schalung mindestens 14 Tage nach Betonage,■ Abdecken der Betonoberflächen mit dampfdichten Folien mindes-

tens 14 Tage nach Betonage,■ weitere Vorgaben betrafen insbesondere das Durchsteifen über

mehrere Geschosse.

Die Grundlagen für die Montage der Fassadenelemente wurden wiefolgt angesetzt:

■ Der Zielwert der rechnerischen Verformungsdifferenz der Fassaden-haltepunkte beträgt vier Millimeter,

■ der Maximalwert der möglichen Verformungsdifferenz der Fassa-denhaltepunkte beträgt sieben Millimeter,

■ der früheste Montagezeitpunkt nach Belasten der Decke beträgtzwanzig Tage,

■ das letzte Justieren der Fassade nach dem Belasten dere Decke be-trägt 140 Tage, beziehungsweise bei einem speziellen Deckenbe-reich 200 Tage.

Die Grundlagen für den zeitlichen Verlauf der Verformungen wurdenwie folgt angesetzt:

■ Die Deckenlager sind unverschieblich modelliert. Es liegt keine elas-tische Lagerung mittels Federsteifigkeiten vor.

■ Alle Vorspannkabel müssen bis zum 60. Tag, jedoch nicht früher alscirca 50 Tage nach dem Betonieren auf ihre vorgegebenen Endwertevorgespannt sein. Zusätzlich wurde empfohlen, die Kabel nach dreibis fünf Tagen auf circa dreißig Prozent vorzuspannen.

■ Annahmen für Lastkombinationen und E-Modul: Der Endverfor-mungszustand wird mit einem Wert von einem Drittel des E-Modulsdes Deckenbetons gerechnet. Dies entspricht einem Verformungs-faktor von 3. In diesem Faktor sind die Auswirkungen von elasti-scher Verformung, Kriechen, Schwinden und erhöhter Verformungdurch Rissbildung enthalten.

■ Die elastischen Verformungen vergrößern sich proportional zur Last-erhöhung und besitzen keine zeitliche Komponente. Die elastischeVerformung beginnt mit der Wegnahme der Hilfsunterstützung.

■ Der Anteil Kriechen, Schwinden und Rissbildung ist abhängig vomBetrachtungszeitpunkt und dem Lastanteil. Der zeitliche Verlauf derKriechverformung wird nach DAfStb-Heft 525, Kapitel 9.1.4) be-rechnet.

■ Die Verformungsanteile aus Schwinden und Rissbildung werden imgleichen zeitlichen Verlauf wie das Kriechen berücksichtigt. Da derZeitpunkt der Rissbildung unklar ist, wird hier die Annahme eineskontinuierlichen Verlaufs gewählt.

Basierend auf den eben beschriebenen Grundlagen wurden für die Ver-formungsberechnung der Fassaden folgende Lastkombinationen ver-wendet:

■ Montage zwanzig Tage nach Belasten der Decken:■ Eigengewicht · ∆1 + Fassadenlast · ∆1 + Vorspannung mit ∆1 =

1/3 · (1 + 0,4 · 2) = 0,6■ Letztes Justieren 140 Tage nach Belasten der Decken:■ Eigengewicht · ∆2 + 0,5 · Ausbaulast · ∆2 + Fassadenlast · ∆2 +

Vorspannung mit ∆2 = 1/3 · (1 + 0,61 · 2) = 0,74■ Volle Belastung nach abgeschlossener Verformung (Lastfall quasi-

ständig): Eigengewicht · ∆3 + Ausbaulast · ∆3 + Fassadenlast · ∆3+ 0,6 · Nutzlasten · ∆3 + Vorspannung mit ∆3 = 1/3 · (1 + 1 · 2)= 1

Die Deckenrandverformungen wurden in Form von geschossweise auf-getragenen Plotts dokumentiert.

4.2 Prüfung der Durchbiegungen am DeckenrandDie Geschoßdecken der Elbphilharmonie wurden zunächst in Ver-gleichsberechnungen hinsichtlich ihrer Tragfähigkeit mit den Program-men InfoGraph und RFEM untersucht. Hierbei wurde ein linearelasti-sches Berechnungsmodul verwendet. In der Vergleichsberechnungwurden die Spannglieder mit Ihrem Höhenverlauf berücksichtigt, so-dass Umlenkkräfte und Normalkräfte aus Vorspannung exakt ausge-wiesen wurden.

Abb. 9: Hauptzugspan-nungen (LF Windsog)der Vergleichsrechnungmit feiner Elementie-rung

BAUSTATISCHE PRÜFUNG

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Die vom Tragwerksplaner auf vorstehender Grundlage berechnetenUnterlagen zu den Deckenrandverformungen wurden durch Ver-gleichsrechnungen auf unterschiedliche Art geprüft. Zunächst wurdemittels Finite-Element-Programm die Berechnungen des Aufstellersnachvollzogen (siehe auch Abb. 4). Es zeigte sich eine akzeptableÜbereinstimmung.

Die unabhängigen Vergleichsberechnungen der Verformungen erfolg-ten mit nichtlinearen Systemanalysen mit dem entsprechenden Be-rechnungsmodul von InfoGraph. Hier wurde eine Berücksichtigung derBetonzugfestigkeit von 0,1 · fctm angesetzt. Die Absolutwerte der Ver-formungen wichen zum Teil deutlich von den Werten der linearen Be-rechnung unter Berücksichtigung eines abgeminderten E-Moduls ab.Betrachtet man jedoch die Differenzen zwischen Lastfall „EGALFL“(Eigengewicht, Ausbaulast, Fassadenlast) und Lastfall „Quasi-stän-dig“ so wurden die maximalen Differenzwerte von vier Millimeter ein-gehalten.

Dann wurden mit einem eigenen, nichtlinear rechnenden Rechenpro-gramm die unterschiedlichen Einflüsse in Form von Variationsrechnun-gen hinsichtlich ihrer Streuung berechnet und anschließend bewertet.Da die Ergebnisse dieser Berechnungen für den Worst-Case-Fall in aus-reichender Nähe zu den Ergebnissen des Tragwerksplaners lagen,konnten seine Berechnungen und unsere nichtlinearen Vergleichsrech-nungen als ausreichend zutreffend betrachtet werden.

Aufgrund der vorliegenden Berechnungen und den durchgeführtenNachrechnungen kann Folgendes festgehalten werden:

■ Die Verformungswerte der Genehmigungsstatik berücksichtigen dievorgegebenen Maßnahmen der Nachbehandlung und sind für dieFestlegung der Deckenüberhöhungen maßgebend.

■ Die Verformungswerte im Grüneintrag werden sich einstellen, fallsdie Maßnahmen der Betonnachbehandlung nicht entsprechend denVorgaben umgesetzt werden.

Aufgrund verschiedener Verzögerungen im Bauablauf wurden dieGlaselemente im Regelfall deutlich später als in den Berechnungen an-genommen festgesetzt. Die Kontrolle der Durchbiegungen erfolgtedann über die Verformungsmessungen gemäß Dokumentation (siehehierzu auch den Abschnitt Prüfauftrag „Fassade“).

5 Bauausführung und Überwachung derAusführungGemäß BAA war ein deutlich erhöhter Überwachungsaufwand notwen-dig, um die Auflagen der ZiE angemessen zu berücksichtigen. Dazu ge-hörte eine sehr genaue Kontrolle der verlegten Bewehrungen an denDeckenrändern. Insbesondere in den vorgespannten Deckenstreifensollten die Abweichungen von der Solllage so gering wie möglich sein.

Ein besonderes Augenmerk wurde auf die Befestigung der Halterun-gen gelegt. Aufgrund der teilweise nachlaufenden Planungen muss-ten immer wieder Nacharbeiten an der Rohbaukonstruktion vorge-nommen werden, die auch die Auflagerungsbereiche der Scheibennicht verschonten (siehe Abb. 6 und 7). Es war dafür Sorge zu tra-

Abb. 10 : Ansicht der fertiggestellten Südfassade

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BAUSTATISCHE PRÜFUNG

66 Der Prüfingenieur | Mai 2015

gen, dass die Stahlplatten sorgfältig unterfüttert wurden. Letztend-lich wurden alle Fassadenbefestigungen an der Rohbaukonstruktionabgenommen. Hierfür wurde eine entsprechende Dokumentation an-gefertigt.

Ein sehr wesentlicher Punkt war die Messung der Deckenrandverfor-mungen in regelmäßigen Abständen und der Abgleich mit den Vorga-ben des Tragwerksplaners sowie der Anforderungen aus dem Fassa-denbau. Aufgrund verschiedener Verzögerungen erfolgte das Festset-zen der Fassadenelemente erst deutlich später als ursprünglich ge-plant. Somit hatte der Beton genügend Zeit zu erhärten, und dieKriech- und Schwindprozesse konnten problemlos voranschreiten.Trotzdem wurden die rechnerischen Durchbiegungsverläufe teilweiseüberschritten, sodass sich das späte Festsetzen der Fassade und dieÜberprüfung der Verformungen gemäß BAA als sehr geeignete Maß-nahme erwies. Leider konnte sich aus den vielen Daten kein schlüssi-ges Verformungsverhalten der Stahl- oder Spannbetondecken ableiten.Teilweise blieben die sich nach teilweise drei Jahren einstellendenDurchbiegungen deutlich hinter den berechneten zurück oder zeigtenentgegengesetzte Verläufe, an einzelnen Stellen überschritten sie dierechnerischen um das Zweifache. Eine hinreichende Erklärung dafürhätte man vielleicht finden können, wenn man ein intensiveres Mess-programm mit deutlich mehr Informationsdokumentation gewählthätte. Aber der Sinn des Messkonzeptes sollte nur sein, das Abklingender Verformungszuwächse bis möglichst zum Stillstand aufzuzeigen,um den geeigneten Zeitpunkt für das Festsetzen der Fassadenelemen-te zu finden. Dabei spielte auch der Absolutbetrag der Durchbiegun-gen keine entscheidende Rolle, sondern nur die Differenzverformungzwischen den beiden Lagerpunkten der Glaselemente.

6 AusblickDie baustatische Prüfung der Elbphilharmonie Hamburg stellte sehrhohe Anforderungen an den Prüfingenieur und seine Mitarbeiterinnenund Mitarbeiter. So kamen an diesem Projekt nahezu alle Bauverfah-ren und Baustoffe vor. Oft wurde sogar Neuland betreten, und es wur-

den Konstruktionen gebaut, die es vorher nach unseren Erkenntnissenin gleicher Form noch nicht gegeben hat. Bei der Anwendung der Bau-vorschriften war nicht immer der gewohnte, strikte Weg begehbar, oftwaren Auslegungen notwendig, da viele Sonderfälle nicht in den ein-schlägigen Vorschriften für den üblichen Hochbau berücksichtigt wa-ren. Hier war eine umfangreiche Abstimmung mit der obersten Bau-aufsicht notwendig, deren Sitz im Stadtstaat Hamburg glücklicherwei-se in kurzer Entfernung zum Bauort lag und deren Mitarbeiter immerkurzfristig für Abstimmungen und Diskussionen zur Verfügung stan-den.

Auch wenn die unterschiedlichen Interessen der Beteiligten nicht zuübersehen waren, so konnte man doch den gemeinsamen Willen ver-spüren, das Projekt Elbphilharmonie Hamburg zu einem erfolgreichenAbschluss zu bringen.

Bezüglich der Fassade oberhalb des alten Kaispeichers hat sich derganze Aufwand sicher gelohnt, wie Abb. 10 andeutet. Natürlich kanndas Foto nicht das ganze Spektrum aufzeigen, das ein Interessiertersieht, der die Fassade bei Sonnenschein betrachtet. Doch muss manden Architekten uneingeschränkten Respekt zollen, die sich die spie-gelnden Effekte schon in der Entwurfsphase vorstellen konnten. Nunfehlt noch der gleiche Erfolg bei der Akustik des großen Konzertsaals,um das neue Wahrzeichen zu komplettieren. Anfang 2017 wird esdann soweit sein.

7 Quellen■ Bauvorlagen der Architekten Herzog & de Meuron■ Informationsschriften der ReGe Hamburg■ Unterlagen der Bauaufsicht, insbesondere der Prüfstelle für Bausta-

tik■ Unterlagen der Fa. Josef Gartner■ Geprüfte Statische Berechnungen des Aufstellers WGG Schnetzer

Puskas■ Geprüfte Statische Berechnungen des Aufstellers Tragkonzept

KATASTROPHENSCHUTZ

Der Prüfingenieur | Mai 2015 67

Abriss oder Sanierung: Warum wird nach Katastrophen dasRestrisiko beschädigter Tragwerke so divergent beurteilt?Wir brauchen den Prüfingenieur für Katastrophenschutz alsneutralen Fachmann für den baulichen Bevölkerungsschutz

Bei den meisten Katastrophen wird auch die jeweils betroffenebauliche Infrastruktur beschädigt oder zerstört, egal ob sie vonnatürlichen Ursachen, beispielsweise von Hochwasser, Erdbe-ben, Hangrutschungen, Extremwinden oder Unfällen, oder obsie von Havarien oder terroristischen Anschlägen ausgelöstworden sind. Da es nach Katastrophen zunächst darum geht,die Einsatzkräfte zu unterstützen, damit Rettungen, Evakuie-rungen, Versorgungen und Sicherheitsmaßnahmen durchge-führt werden können, ist zuerst regelmäßig die Resttragfähig-keit beschädigter oder einsturzgefährdeter Gebäude, Straßen,Brücken, Tunnel, Dämme oder Hänge zu bewerten. Dabei sindbedeutende Sicherheits- und Risikobetrachtungen anzustellen,in deren Verlauf sich immer wieder ein prinzipielles Dilemmazeigt, das im Bereich der exakten angewandten Naturwissen-schaften eigentlich als ausgeschlossen gelten sollte: die Ein-schätzungen der beteiligten Experten können völlig unter-schiedlich sein. Während der eine Experte aus Sicherheitsgrün-den das Tragwerk als einsturzgefährdet klassifiziert, bewertetder andere Experte das Tragwerk trotz einiger Risiken mit sei-ner Resttragfähigkeit als eingeschränkt nutzbar. Wie kann soetwas sein? Auch bei den Feuerwehren, beim Technischen Hilfs-werk und beim Deutschen Roten Kreuz sind Bauingenieure tä-tig, sowohl hauptberuflich als auch ehrenamtlich. Doch immerwieder werden Statiker als Experten hinzugezogen, die sichmöglicherweise uneinig in der Beurteilung sind. Woran liegtdas? Insbesondere sollten in einer solchen Situation die Prüfin-genieure eine deutliche Sprache sprechen, wie der folgendeBeitrag immer wieder mit praktischen Beispielen zeigt

ist Ordinarius für Baustatik an der Fakultät für Bauingenieur- undVermessungswesen der Universität der Bundeswehr in Münchenund Prüfingenieur für Baustatik; als Beratender Ingenieur ist Geb-beken einer der drei Geschäftsführenden Gesellschafter der AJGIngenieure GmbH in München und als Experte für die Sicherheitbaulicher Anlagen, insbesondere nach außergewöhnlichen Ein-wirkungen, einer der beiden Sprecher des ForschungszentrumsRisiko, Infrastruktur, Sicherheit und Konflikt der Universität derBundeswehr in München

[email protected]

Prof. Dr.-Ing. Norbert Gebbeken

1 Einführung Gebäude werden üblicherweise für eine Nutzungsdauer von fünfzigJahren, Tragstrukturen des Ingenieurbaus für eine Nutzungsdauer voneinhundert Jahren ausgelegt. Dabei werden die Einwirkungen zumBeispiel gemäß DIN EN 1991 (EC 1) berücksichtigt. Ihr liegen Modellefür die Einwirkungen zugrunde, die die realen Einwirkungen möglichstgut, aber auf jeden Fall sicher abbilden. In der DIN EN 1991-1-7 (2010-12) werden nur außergewöhnliche Einwirkungen behandelt, Lastan-nahmen und Lastmodelle werden dort nicht dargestellt. Auch die Rest-tragfähigkeit von Tragwerken wird explizit ausgeschlossen. Für die Ein-wirkung aus Erdbeben wird auf DIN EN 1998-1 (EC 8) verwiesen, dieaber auch keine Einwirkungen aus Erdbeben angibt. Es lässt sich somitfeststellen, dass außergewöhnliche Einwirkungen nicht geregelt sind,bis auf Ausnahmen, die zum Teil in Nationalen Anhängen behandeltwerden (zum Beispiel DIN 4149).

Wie sicher sind unsere Tragwerke in der angenommenen Nutzungs-zeit? Die Antwort lautet: Sie sind sicher im Sinne unserer gesellschaft-lichen Risikoakzeptanz. Sicherheit und Risiko? Schließen die sichnicht gegenseitig aus? Nicht erst seit der Fukushima-Katastrophe istden meisten Menschen der Begriff des Restrisikos geläufig. Die Be-messung der Tragwerke basiert auf einer Sicherheitsphilosophie, diefür Bauingenieure in der DIN EN 1990 (EC 0) dargelegt ist. Sie liefertprinzipielle Anforderungen an die Tragsicherheit, Gebrauchstauglich-keit und Dauerhaftigkeit von Tragwerken und beruht auf dem Konzeptder Bemessung nach Grenzzuständen mit Teilsicherheitsbeiwerten.Die EN 1990 gilt für neu zu erstellende Bauwerke. Eine akzeptierteEintretenswahrscheinlichkeit von Schadensfällen im Bauwesen liegtbei etwa 10-6. Betrachtet man die berücksichtigte Eintretenswahr-scheinlichkeit außergewöhnlicher Einwirkungen in unterschiedlichenLändern, so wird deutlich, dass Sicherheit von nationalstaatlichem In-teresse ist und deshalb nur relativ bewertet werden kann. Denn Si-cherheit beruht auf Risikoakzeptanz und Risiko (Risiko = Eintritts-wahrscheinlichkeit x Schadensschwere (R = H x S)). In Deutschlandbemessen wir zum Beispiel für ein Hochwasser, das statistisch einmalin einhundert Jahren eintritt, in Holland wird für ein Hochwasser be-messen, das statistisch einmal in einhunderttausend Jahren eintritt.in Deutschland bemessen wir für ein 475-jähriges Erdbeben, in derSchweiz für ein 1200-jähriges Erdbeben. Die Beispiele lassen sich be-liebig fortsetzen.

Wir beobachten bezüglich der Sicherheit der baulichen Infrastrukturnicht nur in Deutschland zwei Trends, welche die Sicherheit negativbeeinflussen. Einerseits wird ihre Nutzung weit über die angenomme-ne Nutzungsdauer hinaus verlängert, womit häufig bedrohliche Alte-rungserscheinungen einhergehen können, und andererseits erhöhensich gleichzeitig die Einwirkungen, zum Beispiel durch ein erhöhtesVerkehrsaufkommen, durch den Klimawandel mit häufigerem undstärkerem Hochwasser, mit Starkwinden und so weiter. Dadurch öffnetsich die Schere der Unsicherheit.

KATASTROPHENSCHUTZ

68 Der Prüfingenieur | Mai 2015

Nicht nur Brücken sind hierdurch gefährdet, sondern auch Gebäude.Als Beispiel hierfür kann der Einsturz des Daches der Eissporthalle inBad Reichenhall am 2. Januar 2006 genannt werden, oder weitere et-wa dreißig Einstürze von Tragwerken in den Monaten Januar bis März2006. In den Medien wurden diese Einstürze als Schneekatastrophebezeichnet. Es zeigte sich jedoch, dass es zwar viel Schnee gab, dassaber die zulässigen Schneelasten kaum überschritten worden waren.Es sind fast immer die Tragwerke gewesen, die nicht oder nicht mehrhinreichend tragfähig waren. Gründe hierfür können Alterungserschei-nungen sein, aber auch die Querschnitts- und Strukturoptimierung ty-pisierter Tragwerke, die alternative Lastpfade ausschließen. DerleiTragwerke sind zwar standsicher und gebrauchstauglich, sie sind abernicht robust. Selbst kleinste Fehler der Planung oder Ausführung oderbei der Wartung führen dann schnell zur Katastrophe.

Im Zusammenhang mit Naturkatastrophen sollten die Menschen indesimmer daran denken, dass die Natur sich seit jeher natürlich verhält.Würden sich die Menschen, als Teil dieser Natur, auch natürlich verhal-ten, dann gäbe es keine Katastrophen. Das Siedeln in Hochwasserge-bieten führt unweigerlich zu Überflutungen, an Bruchzonen tektoni-scher Platten sicher zu Erschütterungen und in lawinengefährdetenGebieten ebenso sicher zu Einwirkungen aus Lawinen - und so weiter.

Bei Katastrophen wird fast immer die bauliche Infrastruktur betroffen.Es kommt zum Beispiel zu Überlastungen, Erosionen, Unterspülungen,Setzungen, Schäden, Teileinstürzen oder Einstürzen. Die Einsatzkräfteder Polizei, der Feuerwehr, des Technischen Hilfswerkes (THW), desDeutschen Roten Kreuzes (DRK) und der Bundeswehr fordern dabeihäufig eine Spezialexpertise an, zum Beispiel eines Statikers. Es wurdenach meiner Kenntnis noch nie nach einem Tragwerksplaner gerufen,sondern immer nur nach einem Statiker, denn, ein Statiker, das weißjeder, das muss man niemandem erklären, der kann etwas. Die Bereit-schaft der Einsatzkräfte bedient sich in solchen Fällen meistens derListen der Prüfingenieure.

Die Verkehrsinfrastruktur und Gebäude sind im Katastrophenfall imHinblick auf ihre Nutzbarkeit zu bewerten. Gerade die Verkehrsinfra-struktur wird für Versorgung und Evakuierung benötigt. Bauliche odertechnische Erste-Hilfe-Maßnahmen sollen deshalb auch dafür sorgen,Schäden zu reduzieren oder ganz zu vermeiden. Bereits eingetreteneSchäden müssen dann schnell und sicher bewertet werden. Wer hathierfür die nötige Fachkenntnis? Selbst Sachverständige für Schädenan Gebäuden beschäftigen sich nicht mit jenen Schäden, die bei Kata-strophen auftreten. Im Studium lernen angehende Bauingenieure denEntwurf und die Berechnung intakter baulicher Strukturen. Soweit iches überblicken kann, gibt es keine Weiterbildung für die Beurteilungder Rest-Tragfähigkeit beschädigter Tragwerke. Auch die Weiterbildun-gen zur DIN 1076 (Ingenieurbauwerke im Zuge von Straßen und Brü-cken – Überwachung und Prüfung) oder zur Nachrechnungsrichtlinie(Richtlinie für die Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand) be-handeln andere Fragen als die, die bei einer Katastrophe zu beantwor-ten sind. Abb. 1 zeigt eine vom Hochwasser beschädigte Brücke. In

diesem Fall war es aufgrund der zu überbrückenden Spannweite opti-mal, eine mobile Behelfsbrücke (Krupp-D-Brücke, Brückenklasse 30)aus dem Bestand des THW zu errichten, wofür die Brückenbautruppsdes THW gut geschult sind.

Zum Jahreswechsel 2005/2006 fielen im Osten Europas und in den Al-pen so ergiebige Schneefälle, dass etwa dreißig Hallen, landwirt-schaftliche Gebäude und Supermärkte einstürzten. Die schlimmsteKatastrophe ereignete sich jedoch am 2. Januar 2006 in Bad Reichen-hall, wo fünfzehn Menschen zu Tode kamen als das Dach einer Eis-laufhalle einstürzte. Eine der ersten Aufgaben der Rettungskräfte wares dort, den Trümmerhaufen zu inspizieren, zu bewerten und zu stabi-lisieren, um Hohlräume zu sichern, in denen sich hätten Verschüttetebefinden können, und um sichere Bedingungen für die Rettungskräftezu schaffen (Abb. 2). Neben der Polizei und der Feuerwehr warenauch das THW, die Bergwacht und das Bayerische Rote Kreuz (BRK)im Einsatz. Zusätzlich bediente sich die Einsatzleitung des Fachwis-sens von Prüfingenieuren und des Kriseninterventionsteams. DerTrümmerhaufen wurde mit Tachymetern beobachtet, um möglicheBewegungen zu erkennen. Mobilkräne hielten Stützen und Bauteilein ihrer Lage fest. Zum Auffinden von Verschütteten wurden Suchhun-de eingesetzt. (Heute gibt es hochsensible Sensoren, die sogar dieHerzschläge von Verschütteten zu erkennen und zu orten in der Lagesind.)

Nachdem die Opfer geborgen worden waren, begann sogleich dasstaatsanwaltschaftliche Beweissicherungsverfahren, an dem auchPrüfingenieure und Wissenschaftler beteiligt waren. Parallel dazu setz-te der damalige bayerische zuständige Staatsminister ein Untersu-chungsgremium ein, das die bayerische Staatsregierung zu beratenund Maßnahmen auszuarbeiten hatte, die geeignet sind, derartige Ka-tastrophen künftig zu verhindern.

Eines der Ergebnisse dieser Untersuchungen war die Feststellung, dassdie Konstruktion des Eislaufhallendaches aus verschiedenen Gründen(unter anderem aufgrund einer fehlenden Zulassung (ZiE) und ver-säumter regelmäßiger Wartung) nicht den notwendigen Qualitätsan-forderungen entsprach. Deshalb wurde das Untersuchungsgremiumbeauftragt, eine Handlungsanweisung für die wiederkehrende Über-prüfung von Tragwerken zu erarbeiten. Diese bayerische Handlungsan-weisung wurde in der Konferenz der Bauminister der Länder (ARGE-BAU) beraten, für alle Bundesländer verabschiedet und 2008 in dieVDI-Richtlinie 6200 (Standsicherheit von Bauwerken; RegelmäßigeÜberprüfung) überführt. Auch diese Richtlinie beschäftigt sich aber nur

Abb. 1: DurchHochwasser zer-störte Bogenbrü-cke, mobile Be-helfsbrücke, errich-tet vom Techni-schen HilfswerkFo

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Abb. 2: Die eingestürzte Eislaufhalle in Bad Reichenhall

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Der Prüfingenieur | Mai 2015 69

mit der Erkennung von Schäden und gibt Hinweise nur für die Sanie-rung beziehungsweise Ertüchtigung von Tragwerken, nicht aber für dieBestimmung der Resttragfähigkeit beschädigter Tragwerke.

Neben der erwähnten VDI-Richtlinie existieren sowohl in Deutschlandals auch im Ausland weitere Richtlinien für die qualitative Bewertungund Einstufung geschädigter baulicher Infrastruktur, nämlich:

■ die der US-amerikanischen Federal Emergency Management Agency(FEMA), die 1991 ihre FEMA-Richtlinie 213 veröffentlichte, in derSchäden grundsätzlich qualitativ kategorisiert werden (Answers toquestions about substantially damaged buildings);

■ eine Serie von Richtlinien zu diesem Thema, die das US-Departmentof Homeland Security (DHS) herausgibt:– (DHS Field Guide for Building Stabilization and Shoring Techni-

ques BIPS 08/October 2011), – DHS Buildings and Infrastructure Protection Series Preventing

Structures from Collapsing to Limit Damage to Adjacent Structu-res and Additional Loss of Life when Explosives Devices ImpactHighly Populated Urban Centers BIPS 05/June 2011;

■ die THW-Richtlinie 2008, die Dipl.-Ing. Holger Hohage vom THWWitten veröffentlicht hat (Einsatztaktik bei Gebäudeschäden);

■ außerdem existiert eine Feuerwehr-Richtlinie, die „Hinweise fürMaßnahmen der Feuerwehr und anderer Hilfskräfte nach Gebäude-einstürzen“ enthält (vdfb 03/01).

Diese Richtlinien verhelfen den Einsatzkräften zu jenem Wissen, dassie für dringende und schnelle Entscheidungen und für die qualitativeBewertung von Schäden vor Ort benötigen. Doch keine dieser Regelnbeschäftigt sich mit der quantitativen Bestimmung ihrer Resttragfä-higkeit. Diese wird jedoch im Einsatzfall akut benötigt, insbesonderedann, wenn Risikobewertungen angegeben werden müssen. Wer ent-scheidet? Letztendlich der professionelle Einsatzleiter, der selbst Erfah-rung hat und sich von jeweiligen Experten beraten lässt. Doch wer istExperte? Er soll jemand mit entsprechender Sachkenntnis und mit ein-schlägiger Erfahrung sein. Und den gibt es nicht. Jedenfalls nicht au-ßerhalb der Einsatzorganisationen, wie Feuerwehr, THW und DRK-Or-ganisationen. Das führt dazu, dass Experten zu völlig unterschiedli-chen Bewertungen gelangen, was wiederum nicht dazu führt, dass In-genieurkompetenz bewiesen wird.

Nun gibt es aber gerade bei der Feuerwehr auch Bauingenieure, wieauch beim THW und beim DRK. Darüber hinaus werden meistens Frei-willige der Zivilschutzorganisationen zu sogenannten Baufachbera-tern ausgebildet. Deren Kompetenzen sind im Einsatzfall enorm wich-tig, doch sie ersetzen nicht das Wissen eines Statikers, der beeinträch-tigte bauliche Infrastruktur quantitativ bewerten kann. An den Hoch-schulen wird dieses Thema nicht behandelt. Das Deutsche Institut fürPrüfung und Überwachung (DPÜ) hat versucht, eine Gruppe von Prüf-ingenieuren zu formieren (AK Katastrophenschutz), die sich des The-mas annehmen sollte.

Die Universität der Bundeswehr (UniBw) hat gemeinsam mit der Was-serwacht des Bayerischen Roten Kreuzes im Jahr 2006 ein Curriculum„Fachberater Hochwasserschutz“ erarbeitet, weil zuvor kurz aufei-nander folgende Jahrhunderthochwasser deutlich gemacht hatten,dass mehr speziell ausgebildete Fachberater benötigt werden. In derZwischenzeit wird der Kurs durch die Wasserwacht bundesweit ange-boten, und die gute Zusammenarbeit zwischen der UniBw und derWasserwacht wurde 2011 durch die Verleihung der Wasserwacht-Me-daille an das UniBw-Team hervorgehoben (Abb. 3a und Abb. 3b).

Abb. 3 a: Kurs Fachberater Hochwasserschutz der Wasserwacht desBayerischen Roten Kreuzes: Bodenuntersuchungen

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Abb. 3 b: Verleihung der Wasser-wacht-Medaille des BayerischenRoten Kreuzes an das Team derUniversität der Bundeswehr Mün-chen (von links: der damaligebayerische Staatsminister der Fi-nanzen, Georg Fahrenschon, Pro-fessor Conrad Boley (UniBw Geo-technik), Dr. Helmut Kulisch(UniBw Hydromechanik und Was-serbau), Professor Norbert Gebbe-ken (UniBw Baustatik) und dieSchirmherrin der BRK-Wasser-wacht, die bayerische Staatsminis-terin für Umwelt und Verbraucher-schutz, Ulrike Scharf

KATASTROPHENSCHUTZ

70 Der Prüfingenieur | Mai 2015

2 Beispiele für Divergenzen zwischenden Wertungen verschiedener Experten

2.1 Alpines Hochwasser August 2005In der dritten Augustwoche 2005 wanderte das meteorologische Tief„Norbert“ vom Südosten Europas nach Westen und erfasste mit seinerganzen Wucht die Alpenregion. Nach drei Tagen Dauerregen waren al-le Speicher gefüllt, und selbst der Boden konnte kein Regenwassermehr aufnehmen. In der Nacht vom 23. auf den 24. August ereignetensich katastrophale Sturzfluten und Hangrutschungen (Abb. 4 undAbb. 5). Innerhalb von sechs Stunden ergab sich Folgendes:

■ Hangrutschungen (klein- und großräumig);■ Dammbrüche;■ Teil- und Totalzerstörung baulicher Infrastruktur:

– Straßen,– Autobahnen,– Gleise,– Brücken,– Tunnel;

■ Schäden und Zerstörung infolge: – Hangrutschungen,– Setzungen,– Überlastung infolge Geschiebetransports,– Überlastung durch hydrodynamischen Druck,– Anprall von Containern, Baumstämmen, Autos, etc.;

■ Unterspülung von Fundamenten;■ Erosion;■ Steinschlag.

Weitere Konsequenzen waren:

■ Ausfall der Telekommunikation für fast drei Tage (mobil und Fest-netz);

■ Ausfall der Wasserversorgung (Trinkwasser, Dusche, Toilettenspü-lung, etc.);

■ Ausfall der Stromversorgung;■ Umweltverschmutzung (beispielsweise Öl, Abwasser, etc.);■ Feuchtigkeit in Wänden, Böden und Wärmedämmungen und soforti-

ge Schimmelbildung;■ Zerstörung von Wohnungseinrichtungen;■ Zerstörung von Werkstätten und Fabriken.

Mit der Ankündigung der Katastrophe in den Wetternachrichten be-gannen Erste-Hilfe-Maßnahmen der Feuerwehr, des technischen Per-sonals der Gemeinden und ortsansässiger (Tief-)Baufirmen:

■ Errichtung von Dämmen zum Schutz von Häusern;■ Schutz von Schwachstellen an Häusern;■ Entfernung von Verklausungen und Hindernissen;■ Vorbereitung von Evakuierungsmaßnahmen;■ Räumung von Erdgeschossen und Lagern;■ Hangschutzmaßnahmen;■ Inspektionen und Kontrollen;■ und weitere.

Bei einer Kontrollfahrt wurde festgestellt, dass der Lech im Ortsteil Zugden Fuß eines Hanges so stark erodiert hatte, dass ein kompletterHangrutsch zu befürchten war, der die Standsicherheit von Häuserngefährdet hätte (Abb. 4 a und Abb. 4 b). In Abbildung 4 a sind der

Hangrutsch und die Schutzfolien zu erkennen. Sie wurden ausgerollt,um das weitere Eindringen von Regenwasser in den Hang zu vermei-den. In Abbildung 4 b sieht man den Wildbachverbau und die Hangsta-biliserung mit Stahlprofilen, wie sie in ähnlicher Weise auch beim La-winenverbau eingesetzt werden.

Die Sturzfluten transportierten Geschiebe mit Steindurchmessern vonbis zu einem halben Meter. In Häusern war die Mächtigkeit der Ge-schiebeablagerung bis zu 1,35 Meter und außerhalb noch höher (Abb.5 a). Dies führte zu Deckenbelastungen, die bis zu viermal größer wa-ren als die Bemessungslast. Hierdurch entstanden verteilte Risse inden Stahlbetondecken. Die Einsatzkräfte und örtliche Statiker beurteil-ten den betroffenen Baukörper als abrissreif.

Ich habe diese Risse im Hinblick auf Verteilung, Rissweite, Risslängenund Ursache (Biegeriss, Schubriss) begutachtet und festgestellt, dassdie meisten Risse weniger als 0,4 Millimeter breit waren. Darüber hi-naus habe ich die Höhenlage der Decken vermessen. Dies führte zurBewertung, dass die Bewehrung offensichtlich nicht plastiziert wordenwar. Der Beton war in den Druckbereichen und zwischen den Rissenintakt. Die Schäden waren also reparabel.

Sämtliche Risse wurden an den Decken und Trägern nachgezeichnetund vermessen, und die Rissweiten wurden neben die Risse geschrie-ben. Dann wurden die markierten Risse fotografiert. Die Fotos dientender Ausschreibung der Sanierung. Die Risse wurden entweder kraft-schlüssig mit Epoxydharz oder mit hochwertigen Polyurethanharzen

Abb. 4 a.: Hangrutsch, Folienschutz

Abb 4 b: Hangstabilisierung und Wildbachverbau

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verpresst. Die Sanierung der Hotelanlage war drei Monate nach derKatastrophe abgeschlossen, rechtzeitig zur Eröffnung der Wintersai-son.

Die betroffenen Eigentümer fragten sich aber berechtigterweise, wiedie Expertenmeinungen so weit auseinanderliegen können, in diesemFall zwischen Abriss und Sanierung. Auch dieses Beispiel macht deut-lich, dass dringend eine einschlägige Erfahrung eingefordert werdenmuss.

Die Aufgabe des Katastrophenschutzexperten war die Beratung derEinsatzkräfte in allen Belangen der Standsicherheit betroffener bauli-cher Infrastruktur gemäß den obigen Aufzählungen.

2.2 Kontrollierte Sprengung einer Fliegerbombe aus demZweiten Weltkrieg Bei Ausschachtungsarbeiten wurde am 27. August 2012 auf einer Bau-stelle in Schwabing eine 250-kg-Fliegerbombe gefunden. Abb. 6 zeigtden Bauplatz, an dem einige Gebäude, um Platz für Neubauten zuschaffen, abgerissen worden waren, und deren umgebende Bestands-bebauung. Experten des Kampfmittelräumdienstes inspizierten dieBombe und stellten fest, dass der Zünder nicht zu deaktivieren war.Darüber hinaus war ein Abtransport der Bombe zu gefährlich. DieBombe musste vor Ort kontrolliert gesprengt werden. Die Einsatzkräf-te von THW, Feuerwehr und Polizei sowie Verantwortliche der StadtMünchen und des Kampfmittelräumdienstes entschieden sich umge-hend für folgende Sicherheitsmaßnahmen:

■ Einrichtung von Sicherheitszonen: – Sicherheitszone 1:300-Meter-Radius: Evakuierungszone,– Sicherheitszone 2: Jenseits der 300-Meter-Evakuierungszone dür-

fen die Bewohner innerhalb eines 1000-Meter-Radius ihre Ge-bäude nicht verlassen,

– Vorbereitung von Notunterkünften für circa 2000 Menschen mitNachtlager.

Parallel dazu musste die bauliche Bestandsinfrastruktur bewertet wer-den. Die meisten Gebäude in Schwabing bestehen aus Mauerwerk(Abb. 6). Sie sind bis zu hundert Jahre alt und fast alle in sehr gutemZustand. Die Fenster haben beinahe ausschließlich eine Wärmedämm-verglasung. Die Eingangstüren sind aber zum Teil noch im originalenZustand mit Einfachverglasung. Die Gebäude werden größtenteilszum Wohnen und als Büroräume genutzt und haben meistens fünfStockwerke. In den Erdgeschossen befinden sich zumeist Läden undGastronomiebetriebe. Die Gebäudehöhen betragen etwa zwanzig Me-ter. In Abbildung 6 ist links das grüne Dach der U-Bahn-Station “Mün-chener Freiheit” zu erkennen. Hier verkehren die U-Bahn-Linien U3und U6 ungefähr einhundert Meter vom Fundort der Bombe entfernt.Die kürzeste Entfernung der Bombe zu einer Mauerwerkswand betrugrund zehn Meter, danach dreißig und vierzig Meter. Diese der Bombezugewandten Wände hatten keine Öffnungen. Die Häuserfassaden aufder gegenüberliegenden Straßenseite hatten einen Abstand zur Bom-be von etwa zwanzig Meter und mehr. Diese Gebäude sind alle jünge-ren Datums und haben im Erdgeschoss großflächige Glasfenster.

Mithilfe dieser Bestandsaufnahme konnten Gefährdungsanalysendurchgeführt werden. Die Detonation einer Bombe bewirkt: Stoßwel-len im Boden (ähnlich wie ein Erdbeben), Luftstoßwellen mit Mehr-fachreflexion und Tunnel-Effekten durch die Bebauungssituation, sehrscharfe Bombensplitter unterschiedlicher Größe, umherfliegendeBruchstücke (zum Beispiel von Fassadenteilen) und Glassplitter sowieeinen Feuerball.

Um den Luftstoß, die Bombensplitter und den Feuerball vollständig zubeherrschen, ist eine vollständige Verdämmung der Bombe notwen-dig. Sie erfordert Spezialmaßnahmen, die oft nicht unmittelbar verfüg-bar sind, und sie hätte in diesem Fall dazu geführt, dass die gesamteDetonationsenergie in den Boden eingeleitet wird. Dadurch hätten so-wohl unterirdische Anlagen (Sparten, Versorgungsleitungen, Kanäleund so weiter) als auch der U-Bahn-Tunnel und die U-Bahn-Station be-einträchtigt werden können. Keine Verdämmung der Bombe hätte inder näheren Umgebung erhebliche Schäden an Fenstern, Türen, Fassa-den und Mauerwerkswänden zur Folge gehabt und in der weiterenUmgebung noch Gefährdungen durch umherfliegende Splitter. DieserZielkonflikt musste gelöst werden, unter der Randbedingung, dass dieMaterialien für eine teilweise Verdämmung der Bombe schnell hattenverfügbar sein müssen, denn durch die Evakuierungssituation ergab

Abb. 5a: 1,35 Meter Geschiebe auf einer Tiefgaragendecke Abb. 5 b: Inspektion und Vermessung von Rissen im Beton

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Abb. 6: Fundort (roter Pfeil) derFliegerbombe

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sich ein erheblicher Zeitdruck. Die Lösung war eine Teilverdämmungmit schnell verfügbaren Materialien (Abb. 7), die den Druckstoß imBoden minimiert, den Luftstoß so begrenzt, dass Mauerwerksschädenauszuschließen sind, Splitter auffängt und den Feuerball eindämmt.Schäden an Fenstern und Fassaden konnten nicht ausgeschlossen wer-den. Soweit es die Zeit und verfügbare Baumaterialien erlaubten, wur-den einzelne Fenster noch verbarrikadiert.

Warum ergab sich der Zeitdruck? Die Bombe war am 27. August ent-deckt worden. Noch am selben Tag wurde mit den Evakuierungen be-gonnen. Am 28. August wurden die betroffenen Menschen, die in Not-unterkünften untergebracht worden waren und bereits eine Nacht hierverbracht hatten, immer besorgter, obwohl die Sicherheitszone 1 her-metisch abgeriegelt worden war und durch Sicherheitspersonal kon-trolliert wurde. Deswegen wurde unter Beachtung der Rahmenbedin-gungen und der Hinweise des Kriseninterventionsteams entschieden,die Bombe am 28. August zu sprengen, und zwar gegen 22 Uhr.

Die Bombe selbst war inzwischen mit Stahlgitterkörben, die mit Sand-säcken gefüllt worden waren, bis zu einer Höhe von etwa zwei Meternseitlich verdämmt (Abb. 7).

Oberhalb der Bombe wurden wegen der schnellen VerfügbarkeitStrohballen aufgestapelt, die gewässert wurden. Die Wände der direktbenachbarten Gebäude wurden im unteren Teil mit aufgestapeltenStrohballen geschützt.

Etwa um 18 Uhr begannen Rundfunk, Fernsehen und Polizei mit derAnkündigung der Sprengung für 22 Uhr und gaben Anweisungen fürdas Verhalten der Menschen. Um 21:54 Uhr erfolgte die kontrollierteSprengung.

Für die Experten war das Sprengergebnis wie erwartet. Doch durchdie Schäden an Fenstern und Fassaden sowie durch einen Folgebrandwar der Eindruck, den die Medien und die Bevölkerung gewannen,„verheerend“. In den Medien tauchten erste Berichte auf von circazwanzig einsturzgefährdeten Gebäuden. Mit Hilfe von an der Univer-sität der Bundeswehr entwickelten Methoden konnte indes schnellgezeigt werden, dass maximal drei Gebäude für Mauerwerksschädenmöglicherweise maßgebliche Drücke erlitten hatten. Weil aber die derBombe am dichtesten zugewandte Wand keine Schäden aufwies,konnte geschlossen werden, dass kein Gebäude einsturzgefährdetwar.

Allerdings ergaben sich nicht erwartete Fensterschäden in Nachbar-straßen. Diese verdeutlichen, dass nur mit hochkomplexer und speziel-ler Software, die die bebaute Umgebung detailgetreu modellieren, einExplosionsszenario realitätsnah numerisch modelliert werden kann.Überschlagsformeln können nur idealisierte Fälle erfassen, wie zumBeispiel eine ungehinderte Explosion im Freifeld. Aber sie liefern zu-mindest zu erwartende Größenordnungen für Explosionsdrücke. EinFragment der Bombenhülle von etwa einem Kilogramm Masse flog et-wa 650 Meter weit und damit über die Sicherheitszone 1 (300 Meter)hinaus (Abb. 8a und Abb. 8b). Derartige Szenarien lassen sich auchheute noch nicht realitätsnah numerisch simulieren. Es liegen bei derBundeswehr aber Datenbanken vor, in denen die statistische Auswer-tung von Bombendetonationen im Hinblick auf Splittergröße, Splitter-verteilung und Flugweiten statistisch ausgewertet sind.

Leider ergaben sich Sekundäreffekte, die dazu führten, dass einige Be-wohner nicht unmittelbar wieder in ihre Wohnungen konnten. Durchgesplitterte Fenster waren Einrichtungen beschädigt und durch Ver-brennungsgase des Explosivstoffes, die durch die Fenster eindrangen,waren Möbel, Teppiche und Einrichtungen kontaminiert.

In diesem Fall bestand die geforderte Fachkenntnis des Prüfingenieursaus Spezialkenntnissen über Waffenwirkungen auf Gebäude und de-ren Auswirkungen, nämlich:

■ die Bestimmung möglicher Explosionsdruck-Zeit-Verläufe unter un-terschiedlichen Randbedingungen mit

– Näherungsmethoden für deren schnelle Abschätzung,– realitätsnahen numerischen Simulationen mit expliziter Zeitinte-

gration,■ Bestimmung der Gefährdung durch Bombenfragmente,■ Grundlage für die Ausweisung von Sicherheitszonen,■ Vorhersage möglicher Gebäudeschäden,

Abb. 7: Seitliche Verdämmung der Bombe mit Stahlkörben, gefüllt mitSandsäcken; Situation nach der Sprengung

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Abbildung 8 b: Situa-tion nach der Spren-gung: Bombensplit-ter, Fundort etwa 650Meter abseits derSprengung

Abb. 8 a: Situation nach der Sprengung: zerbrochene Fenster, die mitFolie notdürftig geflickt worden sind

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KATASTROPHENSCHUTZ

Der Prüfingenieur | Mai 2015 73

■ Festlegung von Verdämmungsmaßnahmen,■ Festlegung von Schutzmaßnahmen,■ Beratung von Einsatzkräften,■ Erfassung und Bewertung struktureller Schäden.

In Deutschlands Böden liegen noch immer hunderttausende nicht ent-deckter Weltkriegsbomben. Die meisten bisher gefundenen Bombenkonnten entschärft werden. Doch allein im Jahr 2014 wurden über ein-tausend Bomben in Deutschland gefunden, und mehrere mussten ander Fundstelle kontrolliert gesprengt werden (zum Beispiel am 31. Ja-nuar in Köln, am 23. Februar in Osnabrück/Belm, am 19. März imOsterzgebirge, am 13. Juni in Leipzig, am 31. Juli in der Dippoldiswal-der Heide und am 20. August am Offenbacher Autobahnkreuz). Hier-durch ergibt sich ein Handlungsbedarf, um Schäden beim kontrollier-ten Sprengen in urbanen Räumen zu minimieren.

3 Abschließende AnmerkungenIm Verlauf unterschiedlicher Katastrophen, unabhängig davon, ob essich um Naturkatastrophen, Unfälle, Havarien, Weltkriegsbombenoder terroristische Aktivitäten handelte, wurde die spezielle Fach-kenntnis von Prüfingenieuren angefordert. Hierbei muss die Frage be-antwortet werden, wer die hinreichende einschlägige Erfahrung fürden Einsatz im Katastrophenfall hat. Divergierende Bewertungen vonPrüfingenieuren bezüglich Schäden und Resttragfähigkeiten sind nichtimagefördernd.

Es gibt in Deutschland wahrscheinlich nur einige wenige Prüfingenieu-re, die sich mit dem baulichen Schutz bei Explosion beschäftigen. Nurzwei von ihnen sind Mitglied in der International Association of Pro-tective Structures. Die Weiterbildung „BauProtect“ der Universität derBundeswehr wird nur vereinzelt von Mitarbeitern der einschlägigenPrüfingenieure besucht, und die Kammerweiterbildung „Hochwasser-schutz – baulicher Bevölkerungsschutz“ musste 2014 mangels Interes-ses abgesagt werden. Das macht nachdenklich.

Wir alle haben als Bauingenieure ein sehr gutes Studium absolviert,das uns bauliche Infrastruktur zu planen, zu entwerfen, zu berechnen,zu prüfen, zu überwachen und zu bewerten befähigt. Das alles giltaber nur für die Gültigkeit der Annahmen, dass die Tragwerke zumin-dest standsicher, gebrauchstauglich, dauerhaft und nachhaltig imidealen Sinne sind. Die Grundlagen hierfür sind weitgehend determi-nistischer Natur. Selbst wenn wir aber Experten für Schäden an Gebäu-den sind oder wenn wir Brücken und Gebäude wiederkehrend über-prüfen, errechnen wir keine quantitative Resttragfähigkeit. Auch dieNachrechnungsrichtlinie behandelt die quantitative Ermittlung vonSchadenseinflüssen nicht.

Im Katastrophenfall ist plötzlich alles ganz anders. Es zählen Statistikund Probabilistik. Risiko und Sicherheit müssen unmittelbar und sofortbewertet werden: Nicht genormte Einwirkungen sind aufgetreten;nicht genormte Schäden sind zu bewerten. In der Güterabwägunggeht es häufig darum, Menschenleben zu retten.

Das gelernte Ingenieurgefühl ist dabei überfordert. Im Grunde fehlt unsdeshalb ein forensischer Ansatz. Wir benötigen aber nicht jene Art vonForensik, die wir als Gerichtsgutachter benötigen, sondern eine Foren-sik, die uns lehrt, was wir mit der zerstörten baulichen Infrastruktur nochanstellen können, um Menschen zu retten, Rettungskräfte zu schützenund einen sicheren und wirtschaftlichen Wiederaufbau zu ermöglichen.

Aufgrund meiner einschlägigen Erfahrungen auf diesem Sektor plädie-re ich deshalb für die Ausbildung und Etablierung von Prüfingenieurenfür den Katastrophenschutz. Sie werden gebraucht und können derGesellschaft einen guten und vor allem dringend benötigten Dienst er-weisen, auch und gerade in dieser unserer Zeit des unaufhaltsamenKlimawandels mit seinen ungewöhnlichen und unüblichen Wetterer-eignissen. Wetterkapriolen und Katastrophen jedweder Art sind nichtvorhersehbar und nicht planbar, und schon gar nicht normierbar. Umsoakuter wird grundlegendes spezielles Fachwissen im Leibniz’schen Sin-ne benötigt: theoria cum praxi.

4 Crossmedia-Hinweise zum Thema1 National Geographic Channel (2006): Broadcast: The Death Trap

(Gebbeken Experte)2 Gebbeken N. (2012) Schwabinger Bombe, http://www.tz.de/muen-

chen/stadt/bombe-schwabing-aktuell-ticker-neu-2480033.html3 Gebbeken N. (2012) „Nach der Schwabinger Bombe“,

http://www.bayika.de/de/ presse/infos2012 /2012-08-29.php4 M 94.5 (2012), http://www.m945.de/buntes/

schwabing_nach_der_bombe.html.5 Gebbeken N. Interview BR-alpha TV (2013) http://www.br.de/fern-

sehen/ard-alpha/sendungen/alpha-forum/norbert-gebbeken-sen-dung-100.html

6 Gebbeken N. auf SWR, Thema Erdbeben: http://www.swr.de/blog/diedurchblicker/2013/06/25/erdbeben-im-labor-wie-wissenschaft-ler-mit-einer-ruettelplatte-die-baustatik-testen/

7 Gebbeken, N.: Safety of Infrastructures – Are our buildings safe?Scientific Research for a Safer Tomorrow, UniBwM, München 2007Eigenverlag, 8-11

8 Gebbeken N.: Aspects of Integrated Safety and Security for theBuilt Infrastructure. In: Beyerer Jürgen (Ed.), Future Security,Karlsruhe, Universitätsverlag, 2007, ISBN: 978-3-86644-147-7,64-68

9 Gebbeken, N.; Baumhauer, A.: „In situ“ Ermittlung der Tragfähig-keit von Brücken. Bautechnik, 85 (2008) Heft 4, ISSN 0932-8351,233-246

10 Gebbeken N., Döge T., Pietzsch A.; Steyerer: Resttragfähigkeitsana-lyse. In: Thoma K., Gebbeken N.: (Hrsg.), BauProtect, ISBN 78-3-8396-0151-8, 2010, 125-131

11 Gebbeken N., Videkhina I., Pfeiffer E.: Semantische Infrastruktur-modelle für standardisierte Vulnerabilitäts- und Schwachstellen-analysen und Krisenmanagementprozesse. In: Thoma K., Gebbe-ken N.: (Hrsg.), BauProtect, ISBN 78-3-8396-0151-8, 2010, 299-308

12 Disse M., Gebbeken N., Boley C., Penn J.: Fachberater Hochwasser-schutz. München, Bayerisches Rotes Kreuz, Referat Wasserwacht,Auflage 2010, 1-306

13 Pressemitteilung Wasserwacht Bayern (BRK) 14.05.2010: Wasser-wacht Bayern schult Fachberater Hochwasserschutz. http://www.wasserwacht.de/entry/detail/id/2733/Wasserwacht+Bay-ern+schult+Fachberater+Hochwasserschutz.html

14 Pressemitteilung Bayerische Ingenieurekammer Bau 20.04.2010:Bayernweit erstmaliger Lehrgang: Bauingenieure bilden Mitgliederder Wasserwacht fort – Mehr Sicherheit bei Hochwasser.http://www.bayika.de/de/presse/infos2010/2010-04-20.php

15 Hochwasserschutz 28.04.2010: Mehr Sicherheit bei Hochwasser.http://www.business-on.de/muenchen/fachberater-hochwasser-schutz-sicherheit-universitaetbundeswehr-muenchen-oliver-mi-gnon-_id8774.html

KATASTROPHENSCHUTZ

74 Der Prüfingenieur | Mai 2015

16 Gebbeken N.: Bauingenieure und Architekten beim Katastrophen-schutz und beim (Wieder-)Aufbau. In: Hofstetter G., Beer G.:(Hrsg.), Baustatik Baupraxis, ISBN 978-3-85125-115-9, Graz,2011, 107-114

17 Gebbeken N., Teich M.: Zur Sicherheit kritischer Infrastrukturen un-ter außergewöhnlichen multiplen Gefährdungen. Berlin VerlagErnst & Sohn Bautechnik 88 (2011) Heft 10, 663-667, ISSN 0932-8351

18 Becker S., Gebbeken N.: Risk assessment of bridges based on theexpert system approach. In: Gebbeken N., Keuser M., Mangerig I.(Eds.), Proceedings Munich Bridge Assessment Conference, Univer-sity of the Bundeswehr, Germany, CD (2012)

19 Gebbeken N., Braun M, Hachmann T., Yilmaz H.: Earthquake Engi-neering – Reconnaissance and Assessment of Existing Buildings.International Journal of Protective Structures, Multi-Science Publi-shing Co Ltd. UK, ISSN 2041-4196, Volume 3 Number 4, 2012,375-388

20 Gebbeken N., Klaus M., Thoma K. (Hrsg.): Bau-Protect 2012. Be-richte aus dem Konstruktiven Ingenieurbau der Universität derBundeswehr München, Nr. 12/5, ISSN 1431-5122, 2012, 1-311

21 Larcher M., Gebbeken N., Döge T.: Safety and Security of UrbanAreas Through Innovative Architectural and Structural Concepts.In: Gebbeken N., Klaus M., Thoma K. (Hrsg.): Bau-Protect 2012.Berichte aus dem Konstruktiven Ingenieurbau der Universität derBundeswehr München, Nr. 12/5, ISSN 1431-5122, 2012, S. 272

22 Gebbeken N., Weigl W.: Baulicher Hochwasserschutz - Wasserab-weisende Materialien verwenden. Bayerische Staatszeitung Nr. 42,Freitag 18. Oktober (2013)

23 Gebbeken N., Hübner M.: Threat to Buildings by Clearing Unexplo-ded Ordnance Devices - Munich Example. ISIEMS-ICPS, Potsdam,Germany, Conference Proceedings DVD, 2013

24 Gebbeken N.: The role of civil engineers as first responders in disas-ter management. In: Stewart M. (Ed.): Proceedings Third Internatio-nal Conference of Protective Structures, Newcastle Australia 2015

IMPRESSUM

Der Prüfingenieur | Mai 2015 75

HERAUSGEBERBundesvereinigung der Prüfingenieure für Bautechnik e.V.Dr.-Ing. Markus Wetzel, Kurfürstenstr. 129, 10785 BerlinE-Mail: [email protected], Internet: www.bvpi.de

ISSN 1430-9084

REDAKTIONRedaktionsbüro Werwath, Drachenfelsstraße 39 A, 53604 Bad Honnef-RhöndorfTel.: 0 22 24/9 69 79 01, E-Mail: [email protected]

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Die meisten der in diesem Heft veröffentlichten Fachartikelsind überarbeitete Fassungen der Vorträge, die bei den Arbeitstagungender Bundesvereinigung der Prüfingenieure für Bautechnik gehalten worden sind.

Der Inhalt der veröffentlichten Artikel stellt die Erkenntnisse und Meinungender Autoren und nicht die des Herausgebers dar.

„Der Prüfingenieur“ erscheint mit zwei Ausgaben pro Jahr.Bestellungen sind an den Herausgeber zu richten.

Auflage: 5000 Exemplare

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