der Funke - Ausgabe Nr. 14

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Nr. 14 / März 2011 Sonderausgabe: Aktuelle Analysen und Perspektiven zur arabischen Revolution

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der Funke, Zeitung der marxistischen Strömung in JUSO und Gewerkschaft - Ausgabe Nummer 14, 1. März 2011

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Nr. 14 / März 2011

Sonderausgabe:Aktuelle Analysen und Perspektiven zur arabischen Revolution

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Inhalt

03 Tunesien: Die Revolution geht weiter

07 Arabische Revolution - ergebnisse und Perspektiven

12 Nein zu einer imperialistischen Intervention in Libyen

13 Marokko: Solidarität mit den Opfern der Repression

14 Agypten geht vorwärts!

Impressum: kontakt: Der Funke Schweiz, Postfach 1696, 8401 Winterthur, [email protected]; Druck: eigenverlag; Auflage: 200 Stück; Abonnement: [email protected]; Redaktion: Olivia eschmann, Matthias Gränicher, Anna Meister, Martina Corrodi; Layout: Matthias Gränicher; Die Zeitschrift behandelt Fragen der Theorie und Praxis der schweizerischen und internationalen ArbeiterInnenbewegung.

inhalt

Die epoche der Revolutionen und kon-terrevolutionen hat definitiv begonnen. Die vermeintliche Stabilität nach dem Zusammenbruch des Ostblockes hat die Weltwirtschaftskrise unwiederbringlich zerstört. Von Marokko bis in den Iran gibt es kein stabiles Regime mehr. Be-reits zwei Diktatoren wurden durch die Massenbewegungen seit anfangs 2011 hinweggefegt und es könnten weitere folgen. Überraschend ist dies nur für jene, welche die explosive Mischung aus Arbeitslosigkeit, extremen Nahrungs-mittelpreisen, sich verschlechternden Arbeitsbedingungen und fallenden Re-allöhnen nicht wahrgenommen haben. MarxistInnen hatten spätestens seit den Streikwellen in Ägypten 2008 auf die revolutionären Prozesse hingewiesen. Niemand konnte jedoch ahnen, welche gewaltige ereignisse sich anbahnten.

Am Anfang der Bewegung stand die Selbstverbrennung eines verzweifelten Tunesiers. ein Auslöser, welcher wohl niemand mit der ursache verwechseln kann. Trotzdem war es der Anfang ei-ner kleinen Protestbewegung, welche erschüttert durch dies ereignis auf die Strasse ging. Mit den Forderungen nach Arbeit, essen und Demokratie und angestachelt durch die grausame Repression wuchs diese Bewegung in kürzester Zeit und jagte den Diktator Ben Ali davon. Doch dies war erst der Anfang. Die Bewegung gab sich keines-wegs mit diesem ersten erfolg zufrie-den, waren doch ihre Probleme dadurch in keinster Weise gelöst und die alten Herrschenden noch weitgehend an der Macht. Die revolutionären Massen organisieren sich immer stärker selbst und übernimmen teilweise Funktionen des Staatsapparats. Diese ereignisse gehen wie eine Schockwelle durch die ganze arabische Welt. Zuerst kam es im Nachbarland Algerien zu ersten grös-seren Demonstrationen, dann griff die Bewegung schnell auf Ägypten und Jemen über. In Ägypten führte sie nach einem harten kampf, Streiks und un-zähligen Riesendemonstrationen zum Rücktritt Mubaraks. Gleichzeit erfassten die Protestwellen praktisch sämtliche Länder der Region. In Algerien kam es zu einem Generalstreik, in Libyen kam es zu einem, aus der Protestbewegung

entstandenen, Bürgerkrieg, welcher Ghadhafi letzten endes wohl verlieren wird. In Jemen fanden, trotz Zugeständ-nissen der Regierung, grosse Demons-trationen und Strassenschlachten statt. In Jordanien zwang das Volk den könig die Regierung abzusetzen, die Protest gehen aber trotzdem weiter. In Bahrain finden seit Wochen grosse Demonstra-tionen gegen die Regierung statt, im Oman setzt die Regierung bereits das Militär gegen DemonstrantInnen ein. und im Irak kam es ende Februar zu massiven Aufständen in mehreren Städ-ten, in welchen Regierungsgebäude angegriffen und in Bagdad de Facto der Ausnahmezustand erklärt wurde. Dies alles ist nur die Spitze einer Bewegung, welche die jedes einzelne Land dieser Region ergriffen hat.

Die Bürgerlichen der westlichen Welt zeigten sich völlig unfähig die Situation zu verstehen und darauf zu reagieren. Als Ben Ali schon gestürzt war, erklär-ten renommierte expertenInnen in in-ternationalen Medien noch, dass sich die Bewegung nicht ausbreiten werde und ganz sicher nicht bis nach Ägypten. Tunesien, Ägypten und Libyen galten als völlig stabil. Doch die oberflächliche Betrachtung täuschte offensichtlich!

Die Regierenden des Westens schei-nen sich erst allmählich an die Tatsache anpassen zu können, dass ihre Mario-nettenregime im arabischen Raum zu kollabieren drohen. Nachdem sie sich zuerst noch auf die Seite der arabischen Machthaber gestellt haben, versuchen sie sich nun als Verfechter der Demokra-tie und der Menschenrechte aufzuspie-len, stolpern dabei aber teilweise, z.B. in Frankreich oder in england, noch über ihre engen Bande zu den arabischen Diktatorenclans. Bezeichnenderweise warnt man im Westen von fast allen Sei-ten vor der Gefahr durch die Islamisten, also genau damit, womit sich die Dik-tatoren dieser Region jahrzehntelang legitimiert haben. Die Islamisten wur-den aber durch die ereignisse genauso überrascht wie der Westen und sie sind völlig unfähig eine wichtige Rolle in den aktuellen Prozessen zu spielen.

klar ist, dass der westliche Imperialis-

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mus in den revolutionären Massen keine Freunde hat. Allzulange wurde die ara-bische Welt durch die westlichen Mächte ausgebeutet und gedemütigt, und das in erster Linie durch die nun völlig diskredi-tierten Regime. Mubarak und Co. werden mit den uSA, Frankreich usw. gleichge-setzt. Nichtsdestotrotz hat sich die Ma-schinerie des westlichen Imperialismus bereits wieder an die neue Situation an-gepasst und läuft auf Hochtouren. In Li-byen steht eine militärische Intervention - dort gibt es Öl! - vor der Tür, in Tunesien und Ägypten versuchen insbesondere die uSA die politischen Reformen durch ihre eigenen Leute leiten zu lassen. Ganz zu schweigen vom Heer der abhängigen und unabhängigen „BeraterInnen“ und

LobbyistInnen, welche die neuen Re-gierungen umgarnen und mit Geldzah-lungen in die „richtige“ Richtung lenken werden. Noch sind in Tunesien wie auch in Ägypten die alten herrschenden eliten und damit ihre westlichen Patrons an der Macht. einige politische Freiheiten wur-den bereits erkämpft, aber die revolutio-näre Bewegung hat gezeigt, dass sie sich damit noch nicht zufrieden gibt. um nur einen kleinen Teil ihrer wirtschaftlichen, sozialen und politischen Forderungen umsetzen zu können, reicht es nicht nur die herrschende Clique aus dem Staat zu entfernen. Die Bewegung wird sich die Frage des Systems der Wirtschaft und Politik grundsätzlich stellen müssen. keine Regierung der Welt, sei sie auch

noch so demokratisch gewählt, kann das Problem der Arbeitslosigkeit, der Hungerlöhne und Nahrungsmittelpreise lösen, oder nur schon die entmachtung der herrschenden Clique in der Politik und Wirtschaft umsetzen, ohne dabei in konflikt mit dem Privateigentum und den Interessen der westlichen Mächte zu kommen. Die Systemfrage wird heute erst von kleineren Schichten der Bewe-gung gestellt, morgen wird sie für die Mehrheit auf der Tagesordnung stehen.

Die Redaktion

Den TunesierInnen ist es innert weniger Wochen gelungen, den Diktator Ben Ali, der 23 Jahre lang an der Macht war, zu stürzen. Die Proteste und Demonstrati-onen von ende Februar zeigen, dass sich die enorme revolutionäre Bewegung, die den Diktator gestürzt hat, nicht zerstreut hat. kurz nach dem ersten Sieg des revo-lutionären Volkes, der etliche Menschen-leben gefordert hat, haben die herr-schende klasse und Politiker der alten Regierung sichergestellt, dass das Re-gime trotz des Abdankens des Diktators in seinen Grundzügen dasselbe bleibt. Nach dem Sturz Ben Alis übernahm der Premierminister Mohammed Ghannou-chi die Macht im Land. Ghannouchi ist ein führender kopf des alten Regimes und hat sich selbst zum Präsidenten der

Übergangsregierung ernannt. Für die Wirtschaftspolitik, die zu den jetzigen Problemen einen grossen Beitrag leistet, ist er mitverantwortlich. Ghannouchi hielt Reden über Demokratie und Verfas-sungsmässigkeit und stützte sich dabei auf den Ausnahmezustand, der durch die Armee und die Sicherheitskräfte durch-gesetzt wurde. Dieser erlaubte es, jegli-che Proteste zu unterdrücken. Hinter der „demokratischen“ Fassade wurden Ver-sammlungen von mehr als drei Personen untersagt und nächtliche Ausgangs-sperren verhängt. Die Sicherheitsorgane wurden ermächtigt, auf jeden, der diese Befehle missachtet, zu schiessen. unterstützt durch Dollars und euros der heuchlerischen Imperialisten, hoff-te die Übergangsregierung, mit netten

Worten und leeren Versprechungen die Menschen von den Strassen zu holen. Doch wie wir sehen, ging diese Rech-nung nicht auf! Das Tunesische Volk hat erkannt, dass es kein Vertrauen in die „neue“ Regierung setzen kann. Die Revo-lution ist neu entflammt, sie lebt weiter und die Leute auf den Strassen werden nicht Ruhe geben, bis sie ihre Forde-rungen erfüllt sehen!

Notwendige Säuberungen in der uGTT

In Ghannouchis „neuer“ Regierung sas-sen vorwiegend Ben Alis Minister an den Schalthebeln. Dazu kamen anfangs eini-ge wenige offizielle linke Oppositionelle, ein Blogger und einzelne Vertreter der

Tunesien: Die Revolution geht weiterDie revolutionäre Bewegung der ArbeiterInnen und Jugend in Tunesien hat den Diktator Ben Ali auf beeindruckende Weise in die Flucht geschlagen. Doch als nach dem Sturz des Diktators die Regierung in derselben Weise weiter ge-führt wurde, kämpfte das Volk, dessen revolutionärer Zorn durch die ereignisse erwacht war, weiter. Diese zweite re-volutionäre Welle führte zu einem weiteren Sieg in der Tunesischen Revolution: Ministerpräsident Ghannouchi ist am 27. Februar 2011 zurückgetreten. Nun stellt sich die Frage, wie eine revolutionäre Neuorganisierung der Gesellschaft vonstatten gehen könnte.

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Gewerkschaft uGTT (Allgemeine Tune-sische Arbeitergewerkschaft). Doch das Volk, dessen revolutionärer Instinkt ge-schärft wurde, fiel nicht auf diese Farce hinein. Innerhalb von 24 Stunden gaben die Gewerkschafter dem Druck von un-ten nach und zogen sich aus dieser Re-gierung zurück. Durch mehrere regionale Generalstreiks wurde Ghannouchi dazu gezwungen, die Mehrheit der RCD-Mini-ster ende Januar aus der Regierung aus-zuschliessen und die Auflösung der RCD bekanntzugeben (RCD = Rassemblement constitutionnel démocratique; Regime-partei von Ben Ali). Daraufhin akzeptierte die Führung der uGTT die Regierung. Doch das Volk fiel auch darauf nicht hi-nein. Noch immer war Ghannouchi, ein prominenter Vertreter des alten Regimes, Ministerpräsident. Hinzu kommt, dass seine Regierung neue regionale Gou-verneure ernannt hat, um den verschie-denen revolutionären komitees, die sich während der Revolution gebildet hatten, die Macht aus den Händen zu reissen. 19

dieser 24 Gouverneure hatten Verbin-dungen zum alten Regime! Durch Mas-sendemonstrationen wurden sie dazu gezwungen, unter dem Schutz der Ar-mee zu flüchten.

Zusätzlich zu diesen ereignissen erfolgte eine Welle von Streiks, welche viele Ma-nager und Direktoren des alten Regimes aus staatlichen Betrieben vertrieb. Der Sturz Ben Alis hat die Tore geöffnet für all die jahrzehntelang angestaute Frustrati-on. Die Führung der uGTT war nicht im Stande, die Streikwelle zu stoppen, trotz der wiederholten öffentlichen Beschwer-den ihres Generalsekretärs Abdessalem Jerad, der Ben Ali bis zu dessen ende treu geblieben war. Dieser ging sogar so weit, dass er jene, die zum Streik aufriefen, „Agenten der RCD“ nannte, die es beab-sichtigten „absichtlich Chaos hervorzuru-fen“ und jene Gewerkschaften bedrohte, die nicht zur Arbeit zurückkehrten. Die Tatsache, dass Teile der uGTT die Ghannouchi-Regierung unterstützten,

sollte uns nicht irreführen. Der grösste Teil der uGTT stimmte dagegen! es ist nun die Aufgabe aller revolutionären GewerkschafterInnen, diesen entscheid zu widerrufen und die uGTT von ihren Agenten des alten Regimes zu säubern, allen voran von Jerad.

Die Forderungen des revoluti-onären Volkes

Die Tunesische Revolution startete mit einer kombination aus demokratischen, sozialen und wirtschaftlichen Slogans. Die revolutionäre Jugend, welche die Bewegung entflammte, kämpfte für Ar-beit, Brot, gegen Repression und für ein menschenwürdiges Leben. Ben Alis Ab-gang war ein erster Sieg der Bewegung, doch nun geht es darum, dass ihre For-derungen auch erfüllt werden! Leere Versprechen einer neuen Verfassung und Neuwahlen geben dem Volk weder Jobs noch Brot. Was die tunesische Bevölke-rung aber vor allem wütend machte und

Demonstration der uGTT in Tunis.

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weiterhin auf die Strasse trieb, waren all die Instanzen des alten Regimes, die noch immer an ihrem Platz waren, allen voran Ghannouchi, der am 20. Februar verkün-dete, dass alle Demonstrationen unter-drückt werden würden. Die Forderungen der jungen revolutionären Bevölkerung ende Februars waren eindeutig: ein kla-rer Bruch mit dem alten Regime, das Ver-schwinden von Ghannouchi und seiner Regierung und eine vom Volk gewählte verfassungsgebende Versammlung.

Doch schon wieder wurde das Volk zu täuschen versucht. Die korrupten Leader der uGTT machten, zusammen mit „lin-ken“ Parteien und zivilgesellschaftlichen Organisationen, Druck zur Gründung eines „Rats zur Verteidigung der Revoluti-on“. So vielversprechend der Name auch klingen mag, sollte dieser Rat wieder ver-suchen, die Bevölkerung ruhig zu stellen. Das Ziel des komitees war klar: Die „Legi-timierung der neuen Regierung“, wie der Führer der FDTL (Demokratisches Forum für Arbeit und Freiheit; legale Opposi-tion unter Ben Ali) verkündete. Die Idee der Führer der uGTT und der FDTL war, eine Art Beaufsichtigung über die Ghan-nouchi-Regierung zu erhalten, um den Massen vorzuspielen, dass sie ihre Inte-ressen vertreten würden. In Wirklichkeit aber hatten weder die Regierung, noch das komitee oder der Rat unterstützung von Seiten der Bevölkerung. Dies haupt-sächlich, da sie alle absolut unfähig sind, die dringlichsten Forderungen der Revo-lution zu erfüllen.

Die „14.-Januar-Front“, eine koalition aus dem linken Flügel und linksnatio-nalistischen Organisationen, der haupt-sächlich MitgliederInnen der kommun-stischen Arbeiterpartei Tunesiens (PCOT) angehören, war bis jetzt nicht imstande, der wachsenden Wut auf die Ghannou-chi-Regierung Ausdruck zu verleihen. Ob-wohl die Front ein erweitertes Programm besitzt, welches auch den Sturz des Re-gimes, die erhebung einer konstitutio-nellen Versammlung, die enteignung der Repräsentanten des alten Regimes und eine nationale revolutionäre Versamm-lung beinhaltet, schafften sie es bis jetzt nicht, eine Bewegung zu organisieren, die für diese Forderungen kämpft.

Die „14.-Januar-Front“ kündigte an, eine nationale Versammlung einzuberufen,

zur Verteidigung der Revolution. eine sol-che körperschaft, wenn sie aus gewähl-ten Repräsentanten der revolutionären komitees in den verschiedenen Städten, Regionen, Arbeitsplätzen und Schulen besteht, könnte die Basis für eine revolu-tionäre Regierung legen, die den wahren Willen der Bevölkerung vertritt. Wie auch immer – die Front (mit der PCOT als stär-kste kraft) hat bisher immer nur davon gesprochen, eine Nationalversammlung einzuberufen, dies bis jetzt aber nie zu-stande gebracht. Zwei Mitlieder der Front haben zugegeben: „Die Realität bewegt sich schneller, als wir.“ Dies ist ein bedau-ernswerter Zustand. eine ernsthafte kom-munistische Partei muss beweisen, dass sie den Massen Führung bieten kann. Die richtigen Slogans und Programmpunkte bereit zu haben, ist ein wichtiger Punkt, doch in einer revolutionären Situation muss eine kommunistische Organisation auch praktische Führung bieten.

Die zweite Welle der Revolution

Besonders beeindruckend ist die Tat-sache, dass das revolutionäre Volk in Tunesien in dieser Situation, in der alle politischen Parteien mit allen erdenk-lichen Tricks versuchen, die Bevölkerung ruhigzustellen und zu täuschen und die Regime-Gegner es nicht schaffen, eine praktische Alternative anzubieten, ein immens hohes Level an Mobilisierung aufrechterhalten konnte. Dies zeugt von einem hohen Grad an politischem Be-wusstsein der tunesischen ArbeiterInnen-klasse und revolutionären Jugend!

Am 20. Februar startete eine neue Wel-le von Demonstrationen in Tunesien. In den folgenden Tagen kam es fast täglich zu Demonstrationen mit Zehntausen-den von Protestierenden. Ghannouchis Regierung vertröstete das Volk mit dem Versprechen, dass es spätestens Mitte Juli Wahlen geben wird. Dies ist ein weiterer Versuch, die revolutionäre Bewegung im Land zu schwächen. Die Übergangsregie-rung hat kein Recht dazu, Wahlen einzu-berufen! Bevor es überhaut zu demokra-tischen Wahlen kommen kann, müssen alle Institutionen des alten Regimes ver-schwinden. Die ArbeiterInnen und Ju-gendlichen in Tunesien haben das Recht zu entscheiden, welche Art von Regime sie wollen!

Währenddem Ghannouchis Regierung von freien Wahlen sprach, befahlen sie der Polizei, mit Tränengaskanistern nach dem Demonstranten vor dem Innenmini-sterium zu feuern und der Armee, Warm-schüsse abzugeben. Die Regierung ging äusserst brutal vor, mehrere Demonstran-tInnen wurden von der Polizei erschos-sen. Nach tagelangen Massenprotesten und heftigen Strassenschlachten in der Hauptstadt Tunis, trat der Premiermini-ster Ghannouchi schliesslich am 27. Fe-bruar von seinem Amt zurück.

Die Stimmung gegen Ghannouchi als Ver-treter des alten Regimes war weit verbrei-tet, wie eine Meinungsumfrage vom 24. Februar zeigte. Darin stellten sich 50 % der tunesischen Bevölkerung gegen die Übergangsregierung. Die selbe umfrage zeigte auch, dass 62% des Volkes Arbeits-losigkeit als grösstes Problem einstufte. Noch eindrücklicher ist aber die Tatsache, dass über 83% sich mit keiner einzigen der existierenden Parteien identifizieren konnte. Dies zeigt, in welchem Ausmass sich die Parteien unter Ben Alis Regime in Verruf gebracht hatten.

In Realität ist das Problem, mit dem die herrschende klasse in Tunesien zu kämp-fen hat, dass Ben Ali nicht nur ein Dikta-tor war, sondern mit seinem Familienclan sämtliche Aspekte des Lebens und grosse Teile der Wirtschaft beherrschte. Die voll-ständige Säuberung des alten Regimes würde eine Bedrohung für das kapita-listische System bedeuten.Die Mobili-sierungen in den letzten Wochen waren eindrücklich und haben zu Ghannouchis Abgang geführt. Doch stellt sich die Fra-ge: Wie geht es weiter? Ben Alis Sturz konnte nicht durch Massendemonstra-tionen allein herbeigeführt werden. Ausschlaggebend waren die massiven Streiks in allen Regionen. Auch nun ist es notwendig, dass sich die Massenbe-wegung mit regionalen Streiks vernetzt, die in einem nationalen Streik gipfeln. Denn wer soll dieses Land regieren – die unrechtmässige Regierung oder das re-volutionäre Volk?

Alle Macht dem revolutionären Volk

eine andere wichtige Frage ist: Wenn die Regierung fällt – wodurch wird sie ersetzt werden? Die revolutionären ko-

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mitees, die schon existieren, müssen un-bedingt gestärkt werden und sich in je-des Quartier, jeden Arbeitsplatz, Schule und universität ausdehnen. es müssen in den komitees demokratische Strukturen aufgebaut werden. Die Vernetzung auf lokaler, regionaler und nationaler ebene durch gewählte Repräsentanten ist not-wendig. Ausserdem sollte auch eine in-ternationale Vernetzung stattfinden, um sich zum Beispiel mit den revolutionären Bewegungen in Libyen und Ägypten aus-zutauschen und zu solidarisieren.

In der aktuellen Situation könnte die ein-berufung einer Nationalversammlung, bestehend aus den Delegierten der ver-schiedenen komitees, die Basis sein für eine provisorische revolutionäre Regie-rung, welche eine demokratische und revolutionäre konstitutionelle Versamm-lung einberufen könnte. eine solche Ver-sammlung wäre fähig, über die Zukunft des Landes zu entscheiden und mit allen Strukturen des alten Regimes aufzuräu-men.

Die revolutionären komitees sollten, wie es an vielen Orten schon der Fall ist, verantwortlich sein für den Ablauf des

täglichen Lebens und alle öffentlichen Angelegenheiten. In anderen Worten, die komitees, als einzige repräsentative kraft des Tunesischen Volkes, müssen die Macht übernehmen und die Übergangs-regierung aus dem Weg schaffen.Die Aufgabe der revolutionären Wie-derorganisation sollte damit starten, das Vermögen und die Besitztümer des Trabelsi-Clans zu konfiszieren und alle von Ben Alis Regime privatisierten Be-triebe wieder zu verstaatlichen (bis zu Ben Alis Machtübernahme 1987 war 80% der Wirtschaft in Staatseigentum, dann begannen die Privatisierungen). Das Vermögen sollte unter die kontrolle von demokratischen ArbeiterInnen gelangen und könnte die Basis für die Bildung von Spitälern, Schulen, Strassen, Infrastruk-tur oder anderen öffentlichen Anlagen sein. Dies wäre schon ein erster Schritt, um die Probleme der Arbeitslosigkeit und Armut zu bekämpfen.

Die Tunesische Revolution hat bereits jetzt als Inspiration für eine revolutio-näre Welle im ganzen arabischen Raum und darüber hinaus gedient. Falls sie es schafft, sich nicht nur von ihrem Dikta-tor, sondern von dem ganzen kapitali-

stischen System, dem dieser diente, zu befreien, könnte sie ein weiteres Vorbild schaffen für Millionen ArbeiterInnen und Jugendlichen in anderen Ländern, die sich endlich von unterdrückung und Ausbeutung befreien möchten!

- Weg mit dem alten Regime!

- Für Revolutionäre Säuberungen in der uGTT!

- Generalstreiks und Massendemonstra- tionen!

- Für eine Nationalversammlung der revolutionären komitees, um eine pro- visorische revolutionäre Regierung zu erheben!

- Für eine revolutionäre verfassungsge- bende Versammlung!

- Alle Macht dem revolutionären Volk!

Martina Corrodi

Tunis am 25. Februar. Der Regierung bleibt nichts anderes übrig, als zurückzutreten.

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theorie

Die revolutionäre Welle in der arabischen Welt hat wieder neue Höhepunkte erreicht. Mittlerweile erzittern alle ara-bischen Regime unter den Nachbeben der ursprünglichen erschütterung in Tunesien. Bis nach China schlagen die re-volutionären Wellen, eine ebbe ist noch lange nicht in Sicht. Doch wie soll man diese Fülle an ereignissen interpretieren und welche Schlüsse daraus ziehen?

Die Menschen strömen auf die Gassen und Plätze und liefern sich Straßen-schlachten mit den Soldaten, Polizisten und regimetreuen Schlägertruppen. Nach Tunesien und Ägypten muss nun wohl auch eines der repressivsten aller Regime unter Muammar al-Ghadhafi dran glauben. Trotz Hunderten Toten und der Aussicht auf weitere Luftan-griffe, gibt sich das libysche Volk nicht geschlagen: „Wir kämpfen bis wir end-lich ein menschenwürdiges Leben führen können. Mit Weniger geben wir uns nicht zufrieden.“ Doch auch alle anderen nordafrikanischen Staaten, mit Ausnahme vielleicht von Marokko, werden von Massendemonstrationen und Streiks erschüttert. Grund dafür sind vor allem die Armut und die hohe Arbeitslosigkeit. Viele in den von jungen Leuten dominierten Bevölke-rungen - das Durchschnittsalter liegt bei den meisten arabischen Ländern um die 24 Jahre, in der Schweiz bei 40 - ¬haben trotz Ausbildung keine oder eine nur schlecht bezahlte Arbeits-stelle. Familienplanung wird somit zur existenzfrage, schon das eigene Über-leben ist nicht gewährleistet. Diese Perspektivenlosigkeit schlägt schnell in Frustration und kampfbereitschaft um, welche ihr Ventil in sozialen Auf-ständen findet. Die Forderungen nach anständigen Löhnen, genug Arbeit und Wohnungen, tieferen Lebens-mittelpreisen und Mitspracherecht in Wirtschaft und Politik stehen im Zen-trum. Wie immer liegen die ursachen für die aktuellen Geschehnisse in der Vergangenheit.

koloniale und imperiale Macht

Betrachtet man die Geschichte Nor-

dafrikas und des ganzen arabischen Raumes, so wird das Ausmaß des ein-flusses der westlichen Mächte schnell ersichtlich: Libyen war bis 1943 eine italienische und Ägypten bis 1953 eine britische kolonie. Tunesien und Marokko standen bis 1956 unter fran-zösischer kolonialherrschaft, Algerien sogar bis 1962. Bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts also wurden diese Ge-biete nach dem Gutdünken der euro-päischen Großmächte wirtschaftlich sowie politisch kontrolliert. um die ei-genen einflusssphären zu vergrößern und die der anderen europäischen konkurrenten zu schmälern, wurden oft kriege in diesen Ländern geführt,

meist gleichzeitig auch noch gegen die protestierende lokale Bevölkerung, um danach die neuen Landesgrenzen ohne Rücksicht auf ethnische Aspekte mit dem Lineal auf der karte zu be-stimmen. Die Wirtschaft wurde gemäß der Interessen der westlichen Mächte aufgebaut und die Regierungen als Marionetten der imperialen Interessen eingesetzt. So boten diese Länder die besten Voraussetzungen einer optima-len Nutzung der natürlichen Ressour-cen, sowie der totalen Ausbeutung der Bevölkerungen als Arbeitskräfte und Söldnertruppen für die kolonial-mächte. Seit den unabhängigkeitser-klärungen dieser Länder hat sich an

Arabische Revolution -ergebnisse und Perspektiven

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diesem Verhältnis wenig geändert. So wurden nach dem 2. Weltkrieg den ko-lonialstaaten die politische „Freiheit“ geschenkt, jedoch erst nach der In-stallierung von stabilen und pro-west-lichen Diktatoren-Regimes. Von denen hielten sich einige aber nur kurz und wurden bald durch eine Welle des teils sozialistischen, teils nationalis-tischen Panarabismus hinweggefegt. Diese vom Militär geprägten Regimes gerieten schnell in die einflusssphäre der uDSSR und zeichneten sich vor allem durch ihre vom Staat stark do-minierte Wirtschaft aus. Der Westen blieb jedoch weiterhin in praktisch al-len Ländern der Region wirtschaftlich und politisch sehr einflussreich. In den 80ern und spätestens in den 90ern gewannen die westlichen Mächte die kontrolle über die Länder der ganzen Region gänzlich zurück. Sie forcierten sogleich deren eingliederung in den kapitalistischen Weltmarkt, die Priva-tisierung ihrer Wirtschaft und die Ver-schärfung der Arbeitsbedingungen, was de facto eine nicht weniger große Abhängigkeit gegenüber den Markt dominierenden Großmächten wie zu Zeiten ihrer kolonialherrschaft bedeu-tete. Bis heute ist deshalb die Politik der arabischen Länder vielmehr von den imperialistischen Interessen der westlichen kapitalisten, als von loka-len Bestrebungen geprägt.

Die Westmächte sind überfordert

In der heutigen Situation fordern plötzlich alle die Demokratie, nicht nur die Menschen vor Ort, auch die eu, uNO, NATO und alle westlichen Medi-en sind voll davon. Bei oberflächlicher Betrachtung steht das im Widerspruch zu den westlichen Interessen. Jahre-lang unterstützten die Westmächte diese despotischen Regime mit Geld und Waffen im Austausch für wert-volle Ressourcen, hauptsächlich erdöl, günstigen – sprich billigen- Produkti-onsmöglichkeit und politischer Stabi-lität. Warum sich jetzt also von ihnen abwenden? Nun ganz einfach: Nie-mand erwartete, dass diese Aufstän-de überhaupt und schon gar nicht in

diesem Tempo erfolge zeigen würden. Nachdem aber Ben Ali abdanken mus-ste und sich der tunesische Funken wie ein Lauffeuer auf den gesamten arabischen Raum ausbreitete, konnte man nicht länger wegschauen. Zuerst wurde die Hiobsbotschaft verbreitet, hinter den Aufständen steckten ge-fährliche Islamisten, deren Ziel es sei an die Macht zu kommen. Doch es wurde bald offensichtlich, dass dies nicht der Fall sein kann. einerseits weil Teile dieser Gruppierungen selbst ka-pitalbesitzer sind - unter den 18 ein-flussreichsten unternehmerfamilien Ägyptens sollen 8 Muslimbrüder sein - und somit dem Regime angehörten, andererseits sind sie weder radikal- re-ligiös noch haben sie eine große un-terstützung in der Bevölkerung.

erst als wirklich klar wurde, wie stark und entschlossen die Massen waren und dass sie sich nicht länger durch Zuckerbrot und Peitsche zähmen lie-ßen, erst da sprang der Westen auf den fahrenden Zug. Ihm blieb nichts anderes mehr übrig, da die Regime nicht mehr haltbar waren. und jetzt sprechen sie mit großen Worten über die furchtbaren Despoten und ihre ge-waltbereiten Regime, ihren vielen Mil-liarden, welche sie der Bevölkerungen

klauten und nun in ausländischen Ban-ken lagern und natürlich über die lang verdiente Demokratie dieser Länder. Interessanterweise nur jenen, wo die Bewegung die Regime ernsthaft be-drohen kann. kurz gesagt, die Forde-rung der Westmächte nach Demokra-tie in den arabischen Ländern ist purer Opportunismus und Schadensbegren-zung. Sie fürchten ausschließlich um ihren einfluss in der arabischen Sphä-re und ihren damit verbundenen im-perialistischen Interessen, welche bei einem Machtwechsel auf der Strecke bleiben könnten.

Demokratie und Interessen

Die imperialen kapitalisten werden deshalb nur soweit Zugeständnisse an die ArbeiterInnenklasse zulassen, wie diese ihre grundsätzlichen Inte-ressen nicht angreifen. Maßnahme zur Senkung der Lebensmittelpreise, Bekämpfung der Arbeitslosigkeit oder wirtschaftliche Mitbestimmung durch die Angestellten würden diese Länder in ihrer Funktion als Ausbeutungs-standort jedoch untergraben. Bei ei-ner solchen Tendenz würde de facto den Wirtschaftsmächten den Boden unter den Füssen weggezogen. Ba-siert doch der relative Wohlstand der

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westlichen ArbeiterInnenklasse einzig auf der noch stärkeren Ausbeutung in den unterentwickelten Ländern. Diese Länder zeichnen sich durch ex-trem prekäre Lebensbedingungen der breiten Bevölkerung aus, was unwei-gerlich größere soziale Spannungen hervorruft. Aus diesem Grund sind die gewaltigen Aufstände in den ara-bischen Ländern nicht verwunderlich. Die Weltwirtschaftskrise von 2008 hat viele Staaten ins Wanken gebracht. In Folge der Abwälzung der Schulden und Verluste auf die ArbeiterInnen gab es auch in ganz europa Proteste, Generalstreiks und Massendemonstra-tionen. und doch blieben die Regie-rungen und das System unangetastet.

Marx ging noch davon aus, aufgrund der erfahrungen der Französischen Revolution und der Pariser Commune, dass die sozialistische Revolution zu-erst in den industrialisierten Ländern stattfinden wird. Russland hat diese Hypothese teilweise in Frage gestellt. Der russische Marxist und Arbeiterfüh-rer Leo Trotzki formulierte aus den er-fahrungen der 1905er Revolution die Theorie der permanenten Revolution

(siehe kasten). Darin erklärt er, dass die Russische Revolution nicht trotz der unterentwicklung des Landes aus-gebrochen ist, sondern sah im Gegen-teil diese Rückständigkeit als ursache für diese entwicklung.Auch heute sa-gen wir, die kette reißt am schwäch-sten Glied. Das schwächste Glied oder besser Glieder sind die Staaten in Nor-dafrika. Weiter sagte Trotzki, dass die sozialistische Revolution eine notwen-dige Voraussetzung für die Demokra-tie in den unterentwickelten Ländern sei. Im kontext der Russischen Revolu-tion 1905 und seiner Vollendung 1917 ist diese These einfach zu erklären. Die russische Bourgeoisie konnte kei-ne führende Rolle in der Revolution übernehmen, da sie erstens aufgrund der Rolle des ausländischen Finanz-kapitals zu schwach war in der Zahl und an wirtschaftlicher Macht, zwei-tens durch ihre unterschiedlichen Interessen keine Basis in der Masse hatte und drittens keine klares Pro-gramm außer die etwas diffuse For-derung nach Demokratie vertrat. Sie zeichnete sich durch ihre Stellung im zaristischen Regime in den revolutio-nären Prozessen vor allem durch Op-

portunismus aus, stand mal im Zei-chen der Revolution, mal in dem der konterrevolution. Völlig verständlich, wenn man bedenkt, dass sie einerseits nicht schlecht vom zaristischen Re-gime profitiert hatte und andererseits bei einem umsturz keinesfalls auf ein Stück des kuchens verzichten, bzw. ihr jetziges Stück verlieren wollte. Durch diese ambivalente Rolle der Bourgeoi-sie war das Proletariat also die einzige kraft, welche diese Revolution führen und vollenden konnte. Die Forderung nach Brot und Arbeit war natürlich der Hauptantrieb der Arbeiter und durch schmerzliche erfahrungen mussten sie feststellen, dass das Bürgertum sobald an der Macht keine ihrer For-derungen durchzusetzen gedachten, sondern im Gegenteil, genauso reakti-onär und repressiv gegen die Massen vorgingen, wie vor ihnen die Monar-chie. Nur die eigene Machtübernahme würde zur Befriedigung ihrer existen-tiellen Bedürfnisse führen. Nur durch die enteignung der kapitalisten, also der Privateigentümer von den Produk-tionsmitteln, und durch die staatliche kontrolle über die Produktion könnte eine wahre Demokratie entstehen.

Theorie der permanenten Revolution

Leo Trotzki (1879 – 1940) in ergebnisse und Perspektiven,1906

- „erstens umfasst sie das Problem des Übergangs der demokratischen Revolution in die sozialistische.“ Trotzki sagt: „dass für die zurückgebliebenen Länder der Weg zur Demokratie über die Diktatur des Proletariats gehe.“ Sprich, die Aufgaben der bür-gerlichen Revolution werden von der sozialistischen zu ende geführt, da die bürgerliche Revolution, die Bürgerlichen selbst, dazu nicht in der Lage sind.

- „Der zweite Aspekt charakterisiert bereits die sozialistische Revolution als solche. Während einer unbestimmt langen Zeit und im ständigen inneren kampfe werden alle sozialen Beziehungen umgestaltet. Die Gesellschaft mausert sich. eine Wandlungs-etappe ergibt sich aus der anderen. Der Prozess bewahrt notwendigerweise einen politischen Charakter, d.h. er entwickelt sich durch Zusammenstösse verschiedener Gruppen der sich umgestaltenden Gesellschaft.“

- „Der internationale Charakter der sozialistischen Revolution, der den dritten Aspekt der Theorie der Permanenten Revolution darstellt, ergibt sich aus dem heutigen Zustande der Ökonomik und der sozialen Struktur der Menschheit. Der Internatio-nalismus ist kein abstraktes Prinzip, sondern ein theoretisches und politisches Abbild des Charakters der Weltwirtschaft, der Weltentwicklung der Produktivkräfte und des Weltmassstabes des klassenkampfes. Die sozialistische Revolution beginnt auf nationalem Boden. Sie kann aber nicht auf diesem Boden vollendet werden. (…) Der Ausweg besteht nur im Siege des Pro-letariats der fortgeschrittenen Länder. Von diesem Standpunkt aus gesehen, ist eine nationale Revolution kein in sich selbst verankertes Ganzes: Sie ist nur ein Glied einer internationalen kette. Die internationale Revolution stellt einen permanenten Prozess dar, trotz aller zeitlichen Auf- und Abstiege.“

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Die bürgerliche oder demokratische Revolution musste weiter getrieben werden bis zur sozialistischen, bis zur Herrschaft der MassenDiese extrem wichtige wenn nicht entscheidende erkenntnis wird auch jetzt in der arabischen Revolution ih-ren Ausdruck finden. Die Forderungen der arbeitenden Massen sind heute die Gleichen wie damals, genauso wie die davon abweichenden Interessen der Bürgerlichen Dieselben geblie-ben sind. Den kämpfenden Arbeite-rInnen wird bewusst werden, dass ihre Forderungen in einem kapitali-stischen System auch nicht mit einer parlamentarischen Demokratie er füllt werden können. Dafür haben die im-perialen kräfte mit ihren Puppen, der lokalen Bourgeoisie, zu große Interes-sen und zu viel Macht, um diese auch mit allen Mitteln umzusetzen.

eine Bewegung lernt aus ihren erfahrungen

eine solche erkenntnis kann jedoch nur durch er fahrungen, welche die Massen während ihres kampfes für ihre Rechte machen, erlangt werden. Jede Revolution hat ihre eigenen spezifischen Bedingungen, deshalb ist ihr Verlauf auch nicht vorherseh-bar. es gibt keine Bilderbuch- Revolu-tion, keine reine sozialistische Revo-lution. Der Prozess ist unregelmäßig, ein Wechsel zwischen revolutionären und konterrevolutionären Phasen. Die Bewegung kann zeitweise, mög-licherweise sogar über Jahre hinweg, zum Stillstand kommen. Auch die Rus-sische Revolution brauchte nach dem herben Rückschlag von 1905 zwölf Jahre, um sich wieder aufzurichten. Solche entwicklungen hängen von verschiedenen Faktoren ab: Beispiels-weise von dem Bewusstseinsstand und dem Organisierungsgrad der re-volutionären Massen oder auch von der Stärke der Repression durch die Herrschenden. Zwei sich zueinan-der im Widerspruch befindende Pole prallen immer härter aufeinander, wobei sich das kräfteverhältnis mal auf die eine, mal auf die andere Seite verschiebt. Zentral bei einer solchen entwicklung ist, dass Niederlagen nicht das Aus der Revolution bedeu-

ten, sondern im Gegenteil, ein wich-tiger Lernprozess der revolutionären Massen darstellen. Sie müssen durch praktische er fahrungen erkennen, wie sie ihre Forderungen in die Tat um-setzen können. es kann deshalb sein, dass die Aufstände über eine relativ lange Zeit verebben, ohne wesent-liche Systemänderungen erreicht zu haben. Doch eine stabile bürgerliche Regierung wird es dabei nicht geben. Zu laut sind die Rufe nach einem men-schenwürdigen Leben, zu lange schon herrscht gnadenlose unterdrückung. und keine bürgerliche Regierung, sei

sie auch noch so reformbereit, wird diese Rufe befriedigen können.

Betrachtet man die jüngsten ereig-nisse in Tunesien, erkennt man schon den ersten Bewusstseinssprung der revolutionären Bewegung. Ben Ali wurde verjagt, der erste Sieg erreicht. Aber sogleich wurde Ganouchi, auch Vertreter der alten Machtelite, als Nachfolger aufgestellt. Angriffe mit scharfer Munition folgten auf die er-neut aufflammenden Proteste, doch die Menge gab nicht nach. So muss-te auch Ganouchi abdanken es wurde versucht durch eine kontrollkommis-sion, welche beratende Funktionen

übernehmen sollte, die Massen zu beruhigen. Die Bevölkerung entlarvte dies aber als schäbiges Manöver um den Status quo aufrecht zu erhalten. ein solch intuitives Verständnis der ereignisse zeigt schon ein hohes re -volutionäres Bewusstsein. Dies kann man auch bei den sich allmählich bildenden Organisationsstrukturen feststellen. Anstatt des Chaos, in welches Tunesien durch die Poli-zeiabsenz zwangsweise hätte stür-zen müssen, wie es die westlichen Medien leidenschaftl ich verkündet hatten, bildete die tunesische Be -

völkerung kurzerhand eine eigene Polizei. Diese demokratisch gewähl-ten Selbstverteidigungskomitees patrouill ieren in den Quartieren und jagen teilweise sogar entflohene Ge -fängnisinsassen. Auch in Betrieben wurden solche komitees ins Leben gerufen und die Manager zum Teufel gejagt. Man fordert Mitspracherecht, höhere Löhne, bessere Arbeitsbedin-gungen und Arbeit für alle.

Solche keime einer Rätestruktur müssen unbedingt ausgebaut und auf allen Produktionsebenen durch-gesetzt werden. es ist wichtig, dass so viel und so breiter Druck wie

Demonstration in Tunis vor dem Rücktritt Ghannouchis

DeR FuNke 11

theorie

möglich auf die bestehenden Aus-beutungsverhältnisse gemacht wird. Parallelstrukturen aufzubauen birgt auch schon den keim eines neuen Herrschaftssystems in sich und wird schon allein dadurch zu einer wich-tigen revolutionären Waffe. Damit di-ese Waffe auch effektiv Druck auf das bestehende Regime ausüben kann, ist ihre breite Vernetzung mit gleichzei-tiger koordination entscheidend.

Die Rolle der politischen Organisation

Was wir bis jetzt in Tunesien und Ägyp-ten gesehen haben, war eine Bewe-gung, welche nur sehr schwach orga-nisiert war. Die alten Parteien spielten bis jetzt kaum eine Rolle, so gibt es zum Beispiel aus Tunesien eine umfra-ge, welche besagt, dass über 80% der Bevölkerung sich durch keine existie-rende Partei vertreten fühlen. Gleich-zeitig spielten die Gewerkschaften so-wohl in Ägypten wie auch in Tunesien eine entscheidende Rolle. einerseits wurden die bestehenden, ursprüng-lich durch den Staat kontrollierten Gewerkschaften, wie z.B. die uGTT in Tunesien, durch die revolutionäre Bewegung teilweise übernommen und deren korrupte Führung entwe-der ersetzt oder so stark unter Druck gesetzt, dass sie die Forderungen der Bewegung nachgeben mussten, an-derseits wurden neue Gewerkschaften gegründet. Gewerkschaften über-nahmen teilweise die Rolle der zen-tralen politischen Organisation und des Staates. So organisierte die uGTT ganze Gebiete, von Nahrungsmittel-lieferungen in abgelegene Dörfer bis zur Versorgung von Spitäler. Die Ge-werkschaft konkurriert also direkt die staatliche Organisation. Doch dies hatte bis jetzt vor allem erst einen regionalen und spontanen Charakter, entstanden aus den allgegenwärtigen Arbeitskämpfen um Lohn und Arbeits-bedingungen und dem Fehlen glaub-würdiger anderer Organisationen. Die Gewerkschaften nehmen aber, z.B. mit dem Slogan „Arbeit für alle“ oder den sehr fortgeschrittenen Forderungen der eisen- und StahlarbeiterInnen in Helwan (Siehe kasten), eine eindeutig politische Rolle ein, welche die Frage

kanalarbeiter des Suezkanals im Streik gegen das Regime.

Die Forderungen der eisen- und StahlarbeiterInnen in Helwan (Agypten)

- enteignung des Vermögens und des eigentums des Regimes und all jener, die sich als korrupt erwiesen haben.

- Übernahme aller unternehmen des öffentlichen Sektors, die verkauft oder ge-schlossen wurden, und die Verstaatlichung Derselben im Interesse der Bevölke-rung. Diese Betriebe sollen eine neue Verwaltung unter Miteinbezug der Arbeite-rInnen und des technischen Personals erhalten.

- Bildung von komitees in allen Betrieben zur kontrolle der Produktion, der Distri-bution (Warenvertrieb), der Preise und der Löhne.

nach einer Partei der ArbeiterInnen-klasse aufwirft, die ihre Interessen auch langfristig vertritt. Die Revoluti-on braucht ihre demokratische, revolu-tionäre Partei um die politischen, wie auch die wirtschaftlichen und sozialen Forderungen der Bewegung umzuset-zen und gleichzeitig auch die Struk-tur innerhalb des arabischen Raums und weiter organisieren zu können. Soll auch nur ein Bruchteil der Forde-rungen der Bewegung umgesetzt wer-den, kann dies nicht nur im Rahmen

des einen Nationalstaats passieren, würde doch der Druck des westlichen Imperialismus riesig sein. eine revo-lutionäre Partei, in welcher sich die Bewegung organisieren und sich eine gemeinsame Perspektive geben kann, ist für die weitere entwicklung der Re-volution eine Notwendigkeit.

Olivia eschmannJuso Sektion Zürich unterland

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Angesichts der Situation läuten bei den imperialistischen Weltmächten die Alarmglocken. Deshalb machen die Druck auf Gaddafi, damit dieser endlich zurücktritt. Die krise in Libyen und der damit verbundene Anstieg des erdöl-preises droht das, ohnehin schwache, Wachstum der Weltwirtschaft zu ge-fährden. eine neuerliche Rezession ist unter diesen umständen nicht auszu-schliessen. Das ist der wahre Grund, warum sich der Westen nun angesichts des “humanitären Desasters” in Libyen besorgt zeigt. Der uNO-Sicherheitsrat hat bereits einstimmig Sanktionen ge-gen Gaddafis Regime beschlossen. Das beinhaltet ein Waffenembargo und das einfrieren von Gaddafis Vermögen im Ausland. Die uSA und Großbritannien überlegen die Möglichkeit eine Flugver-botszone über Libyen zu errichten, wie dies einst gegen den Irak der Fall war. Die uSA haben kriegsschiffe in die Re-gion entsandt, und die britische Regie-rung plant die Verlegung von kampfjets auf die RAF-Basis Akrotiri in Zypern. es wird mittlerweile offen eine militärische Intervention diskutiert.

Die Heuchelei des Westens kennt in die-sem Fall keine Grenzen. Bis zuletzt ha-ben die uSA und europäische Staaten hervoragende politische und ökono-mische Beziehungen zu Gaddafi ge-pflegt. Libyen wurde als Bündnispartner im “krieg gegen den Terror” gesehen. In dem Dokument Congressional Budget Justification, Foreign Operations FY 2009 Budget Request brachte die uS-Administration ihre Anliegen klar zum Ausdruck:“…die uSA werden Arbeitsbeziehungen mit Libyens Sicherheitskräften herstel-len, die helfen werden die kooperation im kampf gegen den Terror zu verstär-ken. uS-Militärausbildungs- und –Trai-ningsgelder werden für die Ausbildung

von libyschen Si-c h e r h e i t s k r ä f t e n verwendet, um nach einer 35jäh-rigen Pause wieder eine lebendige Be-ziehungen mit li-byschen Offizieren herzustellen.”“Dies schließt Trainig-sprogramme, im Sinne der Demo-kratie und der Men-schenrechte mit ein, die libysche Of-fiziere in den uSA besuchen sollen.”

2008 erhielt Gaddafi von den uSA $333,000 aus den Geldern des Pro-gramms IMeT - International Military education and Training (für 2009 waren weitere $350,000 budgetiert), damit Li-byen “auf weapons of mass destruction verzichtet; die rasch anwachsende ter-roristische Bedrohung durch al-Qaeda in Libyen und der gesamten Region be-kämpft; und eine rechtsstaatliche Praxis sowie militärische Dienste unterstützt, die internationalen Normen entspricht.” (Quelle: http://www.state.gov/t/pm/ppa/sat/c14562.htm).

Die eu und Russland waren um keinen Deut besser. Allein 2009 haben laut einem eu-Bericht europäische Staaten Gaddafi militärische Ausrüstung im Wert von 344 Millionen euro zur Verfü-gung gestellt. Russland unterzeichnete 2010 einen Vertrag mit Libyen, der die Lieferung von Waffen in der Höhe von 1,3 Mrd. € vorsah. und plötzlich wollen diese Damen und Herren, dass Gaddafi geht. kein Wunder, wenn der Diktator in Tripolis die Welt nicht mehr versteht und sich von seinen einstigen Freunden verraten fühlt.

Militärintervention

Die uSA und die eu überlegen derzeit auch eine Militärintervention in Libyen. Sie wollen die krise in Libyen zum Vor-wand nehmen, um in Nordafrika einen Fuss auf den Boden zu bekommen, nach-dem ihr einfluss durch die Revolutionen in Tunesien und Ägypten erschüttert wurde. Ihr wichtigstes Anliegen dabei ist nicht das Wohlergehen der libyschen Bevölkerung sondern die Sicherstellung des Zugangs zu den erdölfeldern des Landes und der Schutz der Interessen westlicher konzerne, die in Libyen tätig sind.

Die meisten multinationalen erdölkon-zerne operieren heute in Libyen. Der einbruch der erdölproduktion im Zuge der revolutionären erschütterungen ist dem Westen ein Dorn im Auge. eine Fol-ge ist der stark steigende erdölpreis.

Doch was die Großmächte wohl genau-so besorgt macht, ist die Tatsache, dass sich die revolutionäre Situation in Li-byen durch Gaddafis Festhalten an der Macht derart zugespitzt hat, dass sich

Nein zu einer imperialistischen Intervention in LibyenIn Libyen herrscht de facto Bürgerkrieg. Teile der Armee haben sich den Aufständischen angeschlossen, die Revolution ist längst bewaffnet. Aber Gaddafi will bis zum letzten Blutstropfen an der Macht festhalten und ist bereit das ganze Land in den Abgrund zu stürzen. Die uSA und die eu planen eine Militärintervention in Libyen. Was steckt dahinter?

Jubel nach der Befreiung Benghazis.

libyen

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großte Teile der Armee dem Aufstand an-geschlossen haben. In vielen Teilen des Landes hat das alte Regime seine Macht vollständig eingebüßt. Dadurch droht der Westen seinen politischen einfluss auf Li-byen zu verlieren.

Befreiung

SozialistInnen auf der ganzen Welt lehnen eine imperialistische Intervention unter dem Deckmantel einer “humanitären Ak-tion” entschieden ab. Doch auch die re-volutionäre Bewegung in Libyen selbst hat sich eindeutig gegen eine solche In-vasion ausgesprochen. So meinte Hafiz Ghoga, Sprecher des in Benghazi neu ge-gründeten “Nationalen Libyschen Rates”: “Wir sind ganz klar gegen eine Interven-tion von außen. Der Rest von Libyen wird

vom Volk selbst befreit werden“ … und „Gaddafis Sicherheitstruppen werden vom libyschen Volk ausgeschaltet.”

JournalistInnen, die in die befreiten Ge-biete in Libyen gereist sind, berichten von riesigen Transparenten mit der Aufschrift “Nein zu einer Intervention von aussen”. Die Menschen lehnen auch Waffen sei-tens der uSA ab. Sie verstehen nur zu gut, dass eine Invasion durch NATO-kräfte, selbst wenn diese von den Vereinten Na-tionen abgesegnet würde, ihrem kampf nur schaden kann.

Sie durchschauen längst das Spiel des Westens, der kein Problem mit Gadda-fis despotischem Regime hatte, solange dieses fest im Sattel sass. Folter und po-litisch motivierte Morde in Libyen waren

schon damals gang und gäbe, was die “demokratischen” Staaten aber nicht da-ran hinderte mit dem Regime in Tripolis Geschäfte abzuschließen. Sie verkauften Waffen an Libyen und bildeten seinen Si-cherheitsapparat aus, der nun gegen die Bevölkerung zum einsatz kommt.

Gaddafi zu stürzen, ist die Aufgabe der li-byschen Bevölkerung selbst. Die uSA und die eu würden mit einer Intervention nur versuchen den Jugendlichen, Arbeite-rInnen und Arbeitslosen den Sieg zu steh-len. es ist unsere Aufgabe dem Imperialis-mus im eigenen Land einen Strich durch die Rechnung zu machen.

Fred Westonwww.marxist.com

Marokko: Solidarität mit den Opfern der Repression!Wir veröffentlichen im Folgenden einen Appell der marokkanischen MarxistInnen von Marxy.com.

Als sich in Marokko und der Westsahara am 20. Februar große Massen auf den Straßen des ganzen Landes versammelt haben, um gegen Despotismus und un-terdrückung zu protestieren, ist der kö-nigliche Repressionsapparat brutal und mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln gegen die DemonstrantInnen vorgegangen. Nicht nur Hubschrauber, Schlagstöcke, Tränengas, Plastikkugeln, sowie richtige Munition kamen zum einsatz, sondern auch Polizeiautos, die mit voller Wucht in die Menge rasten. Zeitgleich kam es zu willkürlichen Ver-haftungen, Hausdurchsuchungen und Plünderungen. Die Repressionen wur-den am folgenden Tag fortgeführt und seither steigt die Zahl der Opfer weiter. Mindestens neun Menschen wurden ge-tötet, zahlreiche wurden verletzt. Dazu kommen die vielen Inhaftierten, deren Anzahl nicht bekannt ist. Die Aktivistinnen der Liga der kommuni-

stischen Aktion (unserer Schwesterorga-nisation), die gemeinsam mit den Arbei-terInnen und Jugendlichen demonstriert haben, sind zur Zielscheibe dieser Re-pression geworden, die von einschüch-terungen über Verfolgung bis hin zu Ver-haftungen gehen. Am 21. Februar wurde unser Genosse Moncef Laazouzi, Student an der universität Mohamed Ben Abdel-lah in Fez, der drittgrößten Stadt Marok-kos, von Polizeikräften aufgegriffen und gefoltert. Später haben wir erfahren, dass er mit zahlreichen Verletzungen, Fußbrüchen und Milzblutungen in das universitätskrankenhaus von Fez einge-liefert wurde. er musste aufgrund seiner Verletzungen operiert werden.

Was unser Genosse erlitten hat, steht stellvertretend für die Repression, der die Gesamtheit der marokkanischen Bevölkerung, der Linken und der Arbei-terInnenbewegung tagtäglich ausge-

setzt ist – bei vollständigem medialem Schweigen. Aber wir halten fest daran, dass wir unsere kämpfe auch gegen die Repression bis zur endgültigen Überwin-dung dieses ausbeuterischen und dikta-torischen Systems weiterführen werden!

Wir fordern die internationale Arbei-terInnenklasse und alle Internationali-stInnen dazu auf, ihre Solidarität mit den ArbeiterInnen und den Jugendlichen Marokkos, mit allen Opfern der unter-drückung durch den monarchistischen Staat kundzutun. Wir müssen den so-fortigen Stopp der anhaltenden Verhaf-tungen und Folterungen fordern. Die Verantwortlichen für diese abstoßenden Verbrechen müssen verurteilt werden.

Sendet eure Solidaritätsbotschaften an [email protected]

libyen

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Ägypten ist für den arabischen Raum und gleichzeitig auch für den afrikanischen kontinent zentral. Mit 82 Millionen ein-wohnerInnen und einer riesigen Arbei-terInnenklasse stellt es ein ungemeines Gewicht in der Region dar. Für viele west-liche PolitikerInnen und JournalistInnen kamen die ereignisse in Ägypten, wie auch in Tunesien, völlig überraschend. ein mögliches Überschwappen des revolutio-nären enthusiasmus aus Tunesien wurde anfangs sogar weitgehend ausgeschlos-sen. So am 17. Januar, als der kairoer BBC-korrespondent kein Zeichen dafür sah, dass Ägypten dem tunesischen Weg fol-gen würde, da Ägypten ja nicht Tunesien sei. Oder Hillary Clinton, die noch am 25. Januar die ägyptische Regierung als stabil bezeichnete. Hier wird deutlich, wie diese Leute lieber ihre Besorgnis über Terroran-schläge durch Islamisten gegen Christen ausdrücken, als die Lebensbedingungen eines Landes zu verstehen versuchen.

Wir als MarxistInnen sind davon über-zeugt, dass Revolutionen nicht vom Him-mel fallen, nicht durch eine überirdische Idee ausgelöst werden, sondern von den realen Lebensbedingungen der Massen und von ihrem Streben nach einem bes-seren Leben abhängen. unter Mubarak wurde der gesetzliche Mindestlohn seit 1984 nicht mehr erhöht, während die In-flation den Lebensbedingungen der Mas-sen über Jahre hinweg arg zusetzte. Das Verhältnis zwischen dem Mindestlohn und dem pro kopf geschaffenem Reich-tum (BIP pro ÄgypterInnen) sank von 60% 1984 auf 13% 2007. Dies bedeutet konkret, dass sich eine kleine ägyptische elite und westliche konzerne über Jahre

hinweg massivst an der Arbeit der ägyp-tischen Lohnabhängigen bereicherte. Das Stück des „kuchens“, welchen die Lohnab-hängigen erhielten, wurde demnach nicht nur im Verhältnis immer kleiner, sondern es war auch immer weniger wert.

Warum jetzt?

Dies ist nichts Neues, man kann sich deshalb berechtigterweise fragen, wie-so brach die Revolution denn gerade jetzt aus? Wir brauchen hier sicher nicht zu erklären, dass die ereignisse in Tune-sien den ägyptischen Massen als Vorbild dienten. Die ÄgypterInnen übernahmen beispielsweise an ihren ersten Demons-trationen tunesische Slogans („Mubarak dégage“). Sarkozy und Strauss-kahn be-zeichneten Tunesien mehrfach als vor-bildlich, die ÄgypterInnen waren eindeu-tig einverstanden mit diesen zwei Herren des Imperialismus, jedoch im ganz umge-kehrten Sinne.

Doch blieben sie nicht lange beim Imi-tieren der tunesischen Revolution, son-dern entwickelten schnell ihre eigenen konkreten Forderungen unter ähnlichen Bedingungen. Ähnliche Bedingungen tendieren dazu, ähnliche Resultate zu er-zielen. In Tunesien war jener „Zufall“ die verzweifelte Selbstverbrennung eines jungen Mannes, welcher der „Notwen-digkeit“ eines radikalen Bruchs mit dem herrschenden System ausdrückte, um die Worte Hegels zu verwenden.

Rolle der ArbeiterInnenklasse

Wir haben weiter oben erwähnt, Ägypten

habe eine riesige ArbeiterInnenklasse. Man kann sich nun fragen, wieso diese Feststellung wichtig sei. In der Presse wur-de immer wieder betont, die Bewegung in Ägypten sei breit gefächert und man fän-de auf dem Tahrir Platz Leute allen mög-lichen sozialen ursprungs und vor allem viele aus der sogenannten Mittelschicht. Dies war zweifellos auch der Fall, denn die ägyptische Mittelschicht leidet genauso unter den prekären Lebensbedingungen und ist oft genauso arm wie die Fabrikar-beiterInnen.

Als der Funke nach Ägypten übersprang, wurde er dort zuerst von StudentInnen aufgenommen und in dieser Mittelschicht verbreitet. Der letzte und entscheidende Schlag wurde Mubarak aber durch die ArbeiterInnenklasse versetzt, als diese in organisierter und einheitlicher Form die Bühne des kampfes betrat. keine 48 Stun-den nachdem in Fabriken im ganzen Land Vollversammlungen abgehalten wurden, um unabhängige Gewerkschaften auszu-rufen, die Betriebe besetzt wurden und die politische Forderung nach dem ende der Mubarak-Ära mit konkreten wirt-schaftlichen Forderungen betreffend der Arbeitsbedingungen kombiniert wurden, fiel Mubarak!

Wie Weiter?

Der Sturz von Mubarak kann nur der er-ste Schritt sein. Mubaraks Abgang war die verbindende klammer für alle Teile der Bewegung, von der Linken, den Gewerk-schaften, bis zur Muslimbruderschaft. Das Regime ist aber noch immer da, von demokratischen Verhältnissen kann noch

keinen Schritt zurück!Ägypten geht Vorwärts!Nachdem in Tunesien der Grundstein für eine arabische Revolution gelegt wurde, entwickelte sich dieser durch den Sturz Mubaraks in Ägypten zum Fundament grösserer revolutionärer Prozesse in der gesamten Region. Wie sah der Nährboden aus, auf welchem innert kürzester Zeit eine Massenbewegung entstand, die den anscheinend fest im Sat-tel sitzenden Mubarak innert 18 Tagen stürzen konnte und was waren entscheidende Faktoren, welche zum erfolg der Revolutionäre beitrugen?

ägypten

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ägypten

keine Rede sein. Die Revolution ist damit in eine neue Phase eingetreten. Die alte Regierung ist noch immer im Amt, Parla-mentswahlen sollen erst in einem halben Jahr stattfinden. es besteht eindeutig die Gefahr, dass das alte Regime, abgesehen von einigen kosmetischen Veränderungen, bestehen bleibt. Doch selbst wenn das Mi-litär den Übergang zu einer bürgerlichen Demokratie westlicher Prägung zulässt, dann wäre die Diktatur des kapitals und des Imperialismus noch immer nicht be-seitigt. und diese steht einer Lösung der sozialen Frage in Ägypten, die dieser Re-volution zugrunde liegt, aber ganz klar im Wege. Beginnend mit der enteignung des Vermögens von Mubarak und seinem Clan muss die Revolution die kontrolle über die natürlichen Ressourcen Ägyptens er-langen. Damit wird die Revolution jedoch in konflikt mit dem Imperialismus geraten und die rührenden Worte über die „De-mokratiebewegung“ in Ägypten, die wir jetzt im Westen vernehmen, werden dann schnell in Vergessenheit geraten.

es ist unklar, welche politische kraft an der Spitze einer bürgerlichen Demokra-tie in Ägypten stehen sollte und ange-sichts der existierenden Widersprüche in

der ägyptischen Gesellschaft passende Antworten liefern kann. Die Armee wird die Macht zweifelsohne einer zivilen Re-gierung übertragen. und es werden sich mehr oder weniger zufällige Figuren für die Funktionen an der Staats- und Regie-rungsspitze finden. Der vom Westen in Stellung gebrachte el Baradei ist nur ei-ner von ihnen. Doch was werden sie den Massen zu bieten haben? Auf der Grund-lage einer vom Imperialismus abhängigen “Marktwirtschaft” ist keines der grund-legenden sozialen Probleme zu lösen. Die offizielle Arbeitslosigkeit liegt bei 10 Prozent, unter Jugendlichen ist sie weit höher. Die Löhne reichen nicht aus um eine Familie zu ernähren. 40 Prozent der ÄgypterInnen leben von maximal zwei Dollar pro Tag, Millionen arbeiten unter völlig ungeregelten Bedingungen, dazu kommt die Wohnungsnot. Ägypten ist ein soziales Pulverfass. Auf der anderen Seite hat die herrschende Clique unvorstellbare Vermögen angehäuft. Die korruption wu-chert wie ein krebsgeschwür in der Gesell-schaft.

unter diesen Bedingungen wird die Ar-beiterInnenklasse, die in dieser revo-lutionären Bewegung mit den neuen

Gewerkschaften ein kampfinstrument geschaffen hat, Druck machen, damit ihre Forderungen erfüllt werden. Dies hat dieses junge Proletariat spätestens seit der Bewegung vom 6. April 2008 mit den Streiks in den Texilfabriken von Mahal-la aufgezeigt. Dieser kampf war eine Art Generalprobe für die jetzige Revolution. Das neue Selbstbewusstsein dieser klasse wird sich in einer Radikalisierung des klas-senkampfes in den kommenden Monaten zeigen.

Wenn es den Massen in Ägypten gelingt, ihre demokratischen und sozialen Ziele zu erreichen, dann würde das zwangsläu-fig zu einem Bruch mit dem kapitalismus führen. Damit würde ein wichtiges Glied in der kette der imperialistischen Herr-schaftsordnung brechen. und ähnlich wie die ereignisse in Tunesien eine Vor-bildwirkung auf die Menschen in Ägypten hatten, um so mehr wird die Revolution in Ägypten die Massen in der gesamten ara-bischen Welt beflügeln.

Magnus Meisterunia Regio-Vorstand Genf

Demonstration auf dem Tahir Platz. Mubarak ist gestürzt.