DGB-Chef Witt_ „AfD Muss Jetzt Im Parlament Liefern“ _ TLZ

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DONNERSTAG, 31. MÄRZ 2016 DGB-Chef Witt: „AfD muss jetzt im Parlament liefern“ 30.03.2016 - 07:00 Uhr Sandro Witt, Vizechef des DGB Hessen - Thüringen, setzt sich im Interview mit der TLZ kritisch mit der Partei von Björn Höcke auseinander und erläutert, welche Fehler in der Vergangenheit im Umgang mit der AfD gemacht wurden. Sandro Witt vom DGB Hessen-Thüringen. Foto: Peter Michaelis Weimar. Was beabsichtigt die AfD? Darüber gab deren Landeschef Björn Höcke kurz vor Ostern im TLZ-Interview <http://www.tlz.de/web/zgt/politik/detail/-/specific/Hoecke-im-Interview-AfD-ist-keine-Ein-Themen-Partei-168857888> Auskunft. Jetzt nimmt DGB- Chef Sandro Witt zur AfD Stellung. Aus gewerkschaftlicher Sicht betrachtet, sind manche Ziele der AfD etwas schwierig. In den Programmentwürfen stehen Forderungen nach der Privatisierung der Unfall- oder der Arbeitslosenversicherung. Trotzdem gibt es unter Gewerkschaftsmitgliedern viele AfD-Wähler. Warum? Schon in Thüringen hatten wir 2014 einen Anteil an Wählerstimmen für die AfD. Das ist nicht ungewöhnlich. Gewerkschaftsmitglieder wählen bunt. SPD, CDU, Grüne, Linke, auch FDP. Und beim letzten Mal in Thüringen eben auch AfD. Aber nicht in Größenordnungen wie zuletzt in Sachsen-Anhalt. Warum ist das so? Bei den Wahlanalysen, die der DGB bekommt, hat sich herausgestellt, dass Gewerkschaftsmitglieder nicht wie die Normalbevölkerung, sondern sogar etwas darüber hinaus AfD gewählt haben. Diese Analysen beziehen sich auf alle Gewerkschaften. Mittlerweile verstehe ich auch, warum das so ist. Richtige Gewerkschafter hingegen wählen eher nicht AfD. Die sind durchdrungen vom Solidaritätsgedanken - das ist einer ganzen Reihe von Mitgliedern egal. Und das bereitet Ihnen Sorgen? Ja, da müssen wir ran. Ich habe mich damit befasst, warum die Mitglieder so denken und so wählen. Und warum tun sie es? Es geht um die Frage eines handlungsfähigen Staates. Vor allem im Osten. „Wir schaffen das“ wurde so verstanden, dass der Staat einfach etwas durchsetzt und die Basis machen lässt. Ich habe in Gesprächen oft gehört „Wir schaffen das nicht“. Da kriege ich dann zu hören „Dann verpassen wir euch einen Denkzettel.“ Und „euch“ bedeutet dann alles von den Gewerkschaften bis hin zur Kanzlerin. Also geht es gar nicht darum, dass die Leute etwas gegen Zuwanderung oder Flüchtlinge haben? Es geht darum, wie der Staat es handhabt. Zumindest bei den Gewerkschaftern ist das so. 2004 kam Hartz IV, die Gewerkschaften konnten es nicht verhindern. Dass wir es versucht haben, ist uninteressant. Staatliche Institutionen werden immer stärker zurückgebaut, das macht die Bewältigung der Probleme natürlich nicht leichter. Wie äußert sich das im Detail? Die Leute erzählen mir, dass die Ämter nichts mehr für sie tun. „Wenn ich da hingehe, sind die gerade mit Ausländern beschäftigt“, hat mir einer gesagt. Sowas zu hören, ist schrecklich. Die AfD kann das wunderbar aufgreifen und Stimmungen nutzen. Aber die AfD bietet keine Lösungen an. Die Lösungen haben stattdessen die Gewerkschaften, die sich für eine vernünftige Umverteilung einsetzen. Damit soll der öffentliche Dienst gestärkt werden.

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Zeitungsinterview

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DONNERSTAG, 31. MÄRZ 2016

DGB-Chef Witt: „AfD muss jetzt im Parlament liefern“30.03.2016 - 07:00 Uhr

Sandro Witt, Vizechef des DGB Hessen - Thüringen, setzt sich im Interview mit der TLZ kritisch mit der Partei von Björn Höckeauseinander und erläutert, welche Fehler in der Vergangenheit im Umgang mit der AfD gemacht wurden.

Sandro Witt vom DGB Hessen-Thüringen. Foto: Peter Michaelis

Weimar. Was beabsichtigt die AfD? Darüber gab deren Landeschef Björn Höcke kurz vor Ostern im TLZ-Interview<http://www.tlz.de/web/zgt/politik/detail/-/specific/Hoecke-im-Interview-AfD-ist-keine-Ein-Themen-Partei-168857888> Auskunft. Jetzt nimmt DGB-Chef Sandro Witt zur AfD Stellung.

Aus gewerkschaftlicher Sicht betrachtet, sind manche Ziele der AfD etwas schwierig. In den Programmentwürfen stehenForderungen nach der Privatisierung der Unfall- oder der Arbeitslosenversicherung. Trotzdem gibt es unterGewerkschaftsmitgliedern viele AfD-Wähler. Warum?Schon in Thüringen hatten wir 2014 einen Anteil an Wählerstimmen für die AfD. Das ist nicht ungewöhnlich. Gewerkschaftsmitgliederwählen bunt. SPD, CDU, Grüne, Linke, auch FDP. Und beim letzten Mal in Thüringen eben auch AfD. Aber nicht in Größenordnungenwie zuletzt in Sachsen-Anhalt.

Warum ist das so?Bei den Wahlanalysen, die der DGB bekommt, hat sich herausgestellt, dass Gewerkschaftsmitglieder nicht wie die Normalbevölkerung,sondern sogar etwas darüber hinaus AfD gewählt haben. Diese Analysen beziehen sich auf alle Gewerkschaften. Mittlerweile versteheich auch, warum das so ist. Richtige Gewerkschafter hingegen wählen eher nicht AfD. Die sind durchdrungen vomSolidaritätsgedanken - das ist einer ganzen Reihe von Mitgliedern egal.

Und das bereitet Ihnen Sorgen?Ja, da müssen wir ran. Ich habe mich damit befasst, warum die Mitglieder so denken und so wählen.

Und warum tun sie es?Es geht um die Frage eines handlungsfähigen Staates. Vor allem im Osten. „Wir schaffen das“ wurde so verstanden, dass der Staateinfach etwas durchsetzt und die Basis machen lässt. Ich habe in Gesprächen oft gehört „Wir schaffen das nicht“. Da kriege ich dannzu hören „Dann verpassen wir euch einen Denkzettel.“ Und „euch“ bedeutet dann alles von den Gewerkschaften bis hin zur Kanzlerin.

Also geht es gar nicht darum, dass die Leute etwas gegen Zuwanderung oder Flüchtlinge haben?Es geht darum, wie der Staat es handhabt. Zumindest bei den Gewerkschaftern ist das so. 2004 kam Hartz IV, die Gewerkschaftenkonnten es nicht verhindern. Dass wir es versucht haben, ist uninteressant. Staatliche Institutionen werden immer stärkerzurückgebaut, das macht die Bewältigung der Probleme natürlich nicht leichter.

Wie äußert sich das im Detail?Die Leute erzählen mir, dass die Ämter nichts mehr für sie tun. „Wenn ich da hingehe, sind die gerade mit Ausländern beschäftigt“, hatmir einer gesagt. Sowas zu hören, ist schrecklich. Die AfD kann das wunderbar aufgreifen und Stimmungen nutzen. Aber die AfD bietetkeine Lösungen an. Die Lösungen haben stattdessen die Gewerkschaften, die sich für eine vernünftige Umverteilung einsetzen. Damitsoll der öffentliche Dienst gestärkt werden.

Aber warum dringt das nicht durch?Wir müssen uns wahrscheinlich deutlicher ausdrücken. Die Leute, die zur AfD abgewandert sind, müssen das wissen. Die Bürgermüssen einen handlungsfähigen Staat vorfinden, wenn sie auf ein Amt gehen. Dafür muss die Bundesregierung aber bereit sein, überUmverteilung zu reden. Sonst werden die Menschen weiter das Gefühl von Ungerechtigkeit haben. Das sind ja nicht einmal dieAbgehängten, sondern diejenigen, die das Gefühl haben, bald die Abgehängten sein zu können. Die haben Arbeit und gleichzeitigAngst, dass sie gravierenden Änderungen unterliegen könnten. Die sehen seit Jahren, dass nach oben umverteilt wird. Zehn Prozentder Deutschen gehören fast zwei Drittel des Vermögens - das ist eine sehr schlechte Gemengelage.

In der die AfD sich schnell zurechtgefunden hat. Den Leuten dann zu sagen, sie dürften diese Position nicht vertreten, weil siedann Rechte sind, hat bekanntermaßen nicht geholfen.Das mache ich auch nicht mehr. Da muss man häufiger zuhören und versuchen, Antworten zu finden. Früher habe ich das häufigselbst getan, aber heute habe ich verstanden, dass das nicht funktioniert. Ich habe geglaubt, dass unser System gut funktioniert.Obwohl ich viel unterwegs bin, habe ich nicht gesehen, dass zum Beispiel im ländlichen Raum der Baum brennt, weil immer wenigerStrukturen vorhanden sind. Diesen Rückbau sehen die Leute vor Ort seit Jahren - Ämter, die Sparkassen, kulturelle Angebote. Diesogenannten etablierten Parteien und die Gewerkschaften lösen das nicht - und Herr Höcke analysiert sehr genau, welchen Knopf erdrücken muss, um das aus den Leuten herauszuholen.

Höre ich da Anerkennung?Ein Stück weit ja. Wir müssen uns alle in Frage stellen und auf Kritik nicht immer gleich mit Verteufelung reagieren. Man musshinterfragen, warum die Leute so denken. Dann lässt sich oft feststellen, dass da gar kein Rechter vor einem steht, sondern einfachnur jemand, der Angst hat, dass das Wenige, was er hat, noch weniger werden könnte. Sachsen-Anhalt und Thüringen, wo die Löhneam niedrigsten sind, dort hat die AfD gute Ergebnisse eingefahren.

Aber nicht nur bei Geringverdienern gibt es Kritik an der Flüchtlingspolitik. Die kommt auch aus gut situierten Kreisen. WennBürger eine Woche vorher gesagt bekommen, dass in ihrem Viertel demnächst ein Containerdorf aufgestellt wird, freut dasdie wenigsten. Zumal viel Arbeit dort ja von Freiwilligen erledigt wird und längst nicht nur von Staatsbediensteten.Da sind wir wieder beim handlungsfähigen Staat. Der wird zurückgebaut, freie Träger werden zurückgebaut. Natürlich sind imvergangenen Jahr viele Menschen gekommen. Aber daran hat man den schwachen Staat bemerkt. Dort hat die AfD angesetzt und aufdiese Schwächen hingewiesen. Aber jetzt müssen sie eben auch liefern. Wer die Gewerkschafter bekommt, sollte sich natürlich auchfür einen höheren Mindestlohn einsetzen, für eine stärkere Tarifpartnerschaft eintreten, für einen handlungsfähigen Staat.Stattdessen soll die Arbeitslosenversicherung privatisiert werden.

Aber o�ziell gibt es das Programm noch nicht.Ich habe den Entwurf gelesen. Da geht es sehr viel um Privatisierung, der Kurs richtet sich eher gegen gewerkschaftliche Ziele.

In Sachsen-Anhalt sind auch Kandidaten direkt gewählt worden, die sich gar nicht so sehr mit Zuwanderung, sondern ehermit Abwanderung aus dem ländlichen Raum befasst haben. Die Logik dort: die anderen Parteien kümmern sich nicht - alsogibt man der AfD eine Chance.Und diese Argumente muss man widerlegen. Gäbe es eine vernünftige Umverteilung, hätte die AfD gar keinen Hebel. Aber wir müssenauch sehen, dass der Thüringen-Monitor zeigt, dass etwa ein Fünftel der Thüringer durchaus rechtsextremen Einstellungen nachgeht.Beides miteinander verbunden, gibt die Wahlergebnisse.

Also müssen sich Gewerkschaften auch für mehr einsetzen als nur für ein paar Prozent mehr Geld?Das wäre Aufgabe des DGB. Wir müssen mehr gesellschaftspolitische Debatten anstoßen.

Denn Lohnerhöhungen sind ja in den vergangenen Jahren sehr erfolgreich durchgesetzt worden.Absolut. Die Kolleginnen und Kollegen in den Mitgliedsgewerkschaften sind auch im Osten viel stärker geworden. Bleibt das AfD-Programm so, wie der Entwurf im Moment aussieht, sind wir hingegen wieder im 19. Jahrhundert. Der Angestellte geht allein zum Chefund muss zusehen, dass der Taler in seine Kasse springt. Das wäre auch schlecht für die Mitbestimmung.

Der parlamentarischen Arbeit der AfD wird gerne vorgeworfen, sie drehe sich primär um Flüchtlingsthemen.Ja, aber der Versuch von Frauke Petry, ein Parteiprogramm auf die Beine zu stellen, ist ein ernsthafter Versuch. Sie wissen, dass siezwar mit Stimmungsmache schnell gute Wahlergebnisse erzielen können. Aber auf Dauer müssen sie auch Kritik begegnen und sichdeshalb aufstellen. Die haben viele ehemalige Linke und CDUler bei sich. Das ist ein Gemischtwarenladen, der sich noch immer findenmuss. Trotzdem, mit dem Einzug in die Hälfte der Landtage ist die Partei etabliert. Daher muss sie jetzt auch liefern. Sie in denParlamenten per se zu schneiden, führt auf Dauer nicht zum Erfolg. Björn Höcke gefällt sich ja in der Rolle, behaupten zu können, dassdie Etablierten die AfD ausgrenzen und sie nicht vollwertig beteiligen. Die Folgerung wäre ja, dass dann in Thüringen ein guter Teil derWähler im Parlament kein Gehör fände. Aber wenn es rechtsnationalistische Ausfälle gibt, muss man denen natürlich entgegentreten -auf einem rechtlich sauberen Weg.

Also nimmt der DGB sie sehr ernst?Wenn die AfD in ihr Programm schreibt, dass die Gewerkschaften geschwächt werden sollen und Gewerkschafter alsInteressenvertreter keine Rolle mehr spielen sollen, dann werden wir das auch landauf und landab den Menschen erzählen. Dafürnehme ich mir zur Not sechs Monate Zeit, reise durchs Land, lese das vor und erläutere, was es bedeutet. Aber das hängt davon ab,wie sie sich aufstellen. Am Ende werden konkrete Positionen die Partei ein Stück weit normalisieren - sie wird dann von ihren Wählernauch nach Erfolgen und nicht nur nach Reden bewertet.

Schauen wir mal auf die Proteste gegen AfD-Veranstaltungen, etwa in Jena. Dort kamen ein paar Hundert zur AfD, etwa 2000

zum Gegenprotest - getrennt von hunderten Polizisten. Trotzdem scha�t es eine Hand voll Autonomer, dort AfD-Demonstranten zu verprügeln. Warum bleibt die Distanzierung zentraler Protest�guren aus - etwa von Katharina König?Katharina König, Lothar König oder auch ich sehen da keine Notwendigkeit. Wir haben mit solchen Schlägereien nichts zu tun. Wirlehnen Gewalt ab, rufen auch zur Gewaltlosigkeit auf, rechtfertigen uns aber nicht für eine Hand voll Idioten, mit denen wir nichts zutun haben. Wir haben mit denen nichts gemein. Die erweisen unseren Anliegen einen Bärendienst.

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Florian Girwert / 30.03.16 / TLZZ0R0014953430