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Sucht im Alter Missbrauch und Abhängigkeit von Substanzen kommen auch bei Menschen im höheren Lebensalter vor, insbesondere die Abhängig- keit von Medikamenten und Alkohol sind verbreitet. Daneben erreichen durch Sub- stitutionsbehandlung und Zugang zu medizinischer Versorgung mehr und mehr Drogenabhängige ein höheres Alter. Siegfried Weyerer und Martina Schäufele berichten über „Alkoholprobleme im höheren Lebensalter: Epidemiologie und Möglich- keiten der Intervention“; Gerd Glaeske über „Die Tablette ist wie ein Freund – Medika- mentenabhängigkeit im Alter“. Anabela Dias de Oliveira stellt „Wohnhilfen für alternde chronifiziert erkrankte Drogenabhängige – das Projekt LÜSA Unna“ vor. ISSN 1614-3566 A 20690E Heft 05, September / Oktober 2014 41. Jahrgang Herausgeber: Deutsches Zentrum für Altersfragen 05 informationsdienst altersfragen

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Sucht im AlterMissbrauch und Abhängigkeit von Substanzen kommen auch bei Menschen im höheren Lebensalter vor, insbesondere die Abhängig­keit von Medikamenten und Alkohol sind verbreitet. Daneben erreichen durch Sub­stitutionsbehandlung und Zugang zu medi zinischer Versorgung mehr und mehr Drogenabhängige ein höheres Alter.

Siegfried Weyerer und Martina Schäufele berichten über „Alkoholprobleme im höheren Lebensalter: Epidemiologie und Möglich­keiten der Intervention“; Gerd Glaeske über „Die Tablette ist wie ein Freund – Medika­mentenabhängigkeit im Alter“. Anabela Dias de Oliveira stellt „Wohnhilfen für alternde chronifiziert erkrankte Drogenabhängige – das Projekt LÜSA Unna“ vor.

ISSN 1614-3566A 20690E

Heft 05, September / Oktober 2014 41. Jahrgang

Herausgeber: Deutsches Zentrum für Altersfragen

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Inhalt

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3 Alkoholprobleme im höheren Lebensalter: Epidemiologie und Möglichkeiten der InterventionSiegfried Weyerer und Martina Schäufele

10 „Die Tablette ist wie ein Freund“ – Medikamentenabhängigkeit im AlterGerd Glaeske

18 Kurzinformationen aus der Alters­forschung

Aus Politik und Praxis der Altenhilfe

19 Wohnhilfen für alternde chronifiziert erkrankte Drogen abhängige – Projekt LÜSA UnnaAnabela Dias de Oliveira

26 Kurzinformationen aus Politik und Praxis der Altenhilfe

Aus dem Deutschen Zentrum für Altersfragen

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Suchtprobleme im höheren Alter: Eine wachsende Herausforderung

Dem Thema Sucht im höheren Alter wurde lange Zeit wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Aufgrund der demographischen Entwicklung und neuerer epidemiologischer Befunde hat die Fragestellung erheblich an Bedeutung gewonnen (Weyerer u. Schäufele 2011):

– Der Anteil älterer Menschen ist in den ver­gangenen Jahrzehnten stark angestiegen und wird weiter zunehmen. Der Europäi­schen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (2008) zufolge hat sich die Zahl der 65­jährigen und älteren Europäer im Laufe des 20. Jahrhunderts verdreifacht und die Lebenserwartung mehr als verdop­pelt. Bis zum Jahr 2020 wird über ein Vier­tel der Europäischen Bevölkerung 65 Jahre oder älter sein. Allein dadurch wird sich – eine konstante Prävalenz von Suchtproble­men vorausgesetzt – die Gesamtzahl der suchtkranken älteren Menschen erhöhen.

– Es spricht Einiges dafür, dass Suchterkran­kungen im höheren Alter überproportional ansteigen werden. Schätzungen zufolge könnte sich in Europa zwischen 2001 und 2020 die Zahl der älteren Menschen mehr als verdoppeln, die von problematischem Substanzkonsum betroffen sind oder unter behandlungsbedürftigen Beschwerden infolge von Substanzkonsum leiden. Eine maßgebliche Rolle spielt dabei, dass die zwischen 1946 und 1964 geborene Baby­Boom­Generation einen überdurchschnitt­lich hohen Substanzkonsum aufweist und dieses Konsummuster im höheren Alter häufig beibehalten wird. Ein Indikator für diese Entwicklung ist der Pro­Kopf­Konsum an Reinalkohol, der in Deutschland von 1950 mit 3,2 Litern auf 12,9 Liter im Jahr 1980 angestiegen ist. In der Folgezeit kam es zu einem leichten Rückgang des Alkohol­konsums und der Pro­Kopf­Konsum lag im

Jahre 2010 bei 9,7 Litern (Gaertner u.a. 2012). Im weltweiten Vergleich gehört Deutschland damit zu den Hochkonsum­ländern.

– Aufgrund des medizinischen Fortschritts und der verbesserten Behandlungsmöglich­keiten von suchtkranken Menschen ist in Zukunft mit einem Anstieg der Anzahl alt gewordener Menschen mit Abhängigkeits­erkrankungen zu rechnen. Beispielsweise ist in Deutschland von 1980 bis 2005 das durchschnittliche Sterbealter der an alkohol­bedingten Erkrankungen Verstorbenen von 53,1 Jahren auf 58,1 Jahre angestiegen (Rübenach 2007).

– Ältere Menschen weisen hinsichtlich der Suchtgefährdung eine Reihe besonderer Risiken auf. Mit dem höheren Alter ver­mehrt auftretende Verlustereignisse, wie Tod des Partners oder von Freunden, Ver­kleinerung des sozialen Netzwerks nach Beendigung der Berufstätigkeit und finan­zielle Einbußen können ältere Menschen anfällig machen für den Gebrauch von Suchtmitteln. Ein weiteres Risiko für eine erhöhte Suchtgefährdung liegt bei älteren Menschen in dem häufigen Auftreten von körperlichen und psychischen Beschwer­den (wie z.B. Schmerzen und Schlafstörun­gen) sowie von Einschränkungen in den Alltagsaktivitäten.

Alkohol, Tabak und Medikamente mit Abhän­gigkeitspotential (vor allem Benzodiazepine) sind die quantitativ bedeutsamsten Subs­tanzgruppen im höheren Alter. Ziel dieser Arbeit ist es, Häufigkeit, Risiken und Folgen des Gebrauchs und Missbrauchs von Alkohol im höheren Alter darzustellen und Möglich­keiten der Intervention aufzuzeigen. Dabei sollen epidemiologische Befunde berichtet werden, die sich auf ältere Menschen be­ziehen, die in Privathaushalten und in Alten­pflegeheimen leben.

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Alkoholprobleme im höheren Lebensalter: Epidemiologie und Möglichkeiten der Intervention

Siegfried Weyerer und Martina Schäufele

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Riskanter Alkoholkonsum

Bei der Klassifikation von Alkoholkonsum­mustern setzt sich in der epidemiologischen Forschung zunehmend eine erweiterte Sicht­weise durch. Diese Sichtweise berücksich­tigt neben den manifesten alkoholbezogenen Störungen (schädlicher Gebrauch / Alkohol­missbrauch; Alkoholabhängigkeit) auch Konsummuster unterhalb der klinischen Schwellen. Im Sinne des Präventionsgedan­kens wird dabei verstärkt auf Konsummuster fokussiert, die zu gesundheitlichen und sozi­alen Beeinträchtigungen führen können. Von besonderer Bedeutung sind solche Konsum­muster gerade bei älteren Menschen: Infolge altersbedingter physiologischer Veränderun­gen erhöht sich die Sensitivität gegenüber den (negativen) Wirkungen des Alkohols, un­ter anderem ist auch die Alkoholtoleranz vermindert. Gleichbleibende Konsummen­gen können deshalb im höheren Alter weit­aus mehr schaden als in jüngeren Jahren. Die Vulnerabilität älterer Menschen gegen­über Alkohol erhöht sich umso mehr, je stär­ker mit dem Alter die Morbidität und, damit verbunden, die (Multi­)medikation zunimmt.

Bei der Klassifikation von Alkoholkonsum­mustern im subklinischen Bereich stößt man auf eine große Vielfalt. Es werden zumeist Richt­ oder Grenzwerte angewandt, die von verschiedenen Fachgesellschaften auf der Grundlage epidemiologischer Befunde zu den Risiken des Alkoholkonsums abgeleitet wurden. Eine hohe Akzeptanz fanden in Deutschland lange Zeit die Kriterien der BMA (British Medical Association 1995), die unter anderem auch in den Studien von Schäufele u.a. (2009) und Weyerer u.a. (2009) verwen­det wurden. Danach beginnt riskanter Alkoholkonsum bei einem Konsum von durch­schnittlich mehr als 20 g (20 g entsprechen etwa 0,5 l Bier oder 0,2 bis 0,25 l Wein) reinen Alkohols pro Tag bei Frauen und 30 g bei Männern. Auf der Basis neuerer Erkenntnis­se setzt die Deutsche Hauptstelle für Sucht­fragen (DHS) mittlerweile den Beginn riskan­ten Konsums allerdings bei niedrigeren Grenzwerten an: 12 g reiner Alkohol pro Tag für Frauen und 24 g für Männer (Seitz u.a. 2008).

Die „Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland“ (DEGS) liefert die aktuellsten Ergebnisse zum riskanten Alkoholkonsum (Hapke u.a. 2013). Bei 7591 Personen zwi­schen 18 und 79 Jahren wurde der Risiko­konsum nicht nach den BMA­Kriterien be­stimmt, sondern im Selbstausfüll­Fragebogen erhoben mit drei Fragen des Alcohol Use Disorder Identification Test­Consumption (AUDIT­C). Am häufigsten ist der riskante Alkoholkonsum bei jüngeren Menschen zwi­schen 18 und 29 Jahren (Männer: 54,2%; Frauen: 36,0%), in der Altersgruppe von 65 bis 79 Jahren (Männer. 34,4%; Frauen: 18,0%) ist die Häufigkeit am geringsten. Die erhebliche Differenz zwischen den Ge­schlechtern, der altersbezogene Rückgang riskanten Alkoholkonsums und die Zunahme der Prävalenz von Alkoholabstinenz sind Muster, die ungeachtet der methodischen Heterogenität und der teilweise großen Vari­ation der ermittelten Prävalenzraten nahezu in allen bisherigen Untersuchungen vorge­funden wurden (zu einem Überblick siehe Schäufele 2009). In den wenigen Studien, die auch zwischen höheren Altersgruppen dif­ferenzieren konnten, zeigte sich, dass die Raten riskanten Konsums auch nach dem 75. Lebensjahr weiter abnehmen. In der Unter­suchung von Weyerer u.a. (2009) schrumpf­te der Anteil der Konsumenten im Risikobe­reich von 7,6 % unter den 75­79­Jährigen auf 5,5 % (80 bis 84 Jahre) bzw. 2,9 % (85 Jahre und älter). Ähnlich wie in anderen Studien zeigte sich auch hier, dass riskanter Alkohol­konsum signifikant mit Tabakrauchen assozi­iert ist.

Häufig werden in Bevölkerungsuntersuchun­gen ältere Menschen ausgeschlossen, die in Institutionen leben. Ende 2011 lebten in Deutschland ca. 30% (743.000) aller pflege­bedürftigen Menschen in Einrichtungen der stationären Alten hilfe (Statistisches Bundes­amt 2013). Der Alkohol konsum der Heimbe­wohner wurde in der bundesweiten Studie von Schäufele u.a. (2009) untersucht. Nach einer systematischen Einschätzung durch qualifiziertes Pflegepersonal waren 82,5 % der Bewohner­/innen im Bezugszeitraum von vier Wochen alkoholabstinent. Erwartungs­gemäß kam Abstinenz deutlich häufiger bei den Frauen (85,4%) als bei den Männern (72%) vor. Riskantes Trinken war insgesamt

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bei 0,3 % der Heimbewohner schaft festzu­stellen, auch hier wesentlich häufiger bei den Männern (0,8 %) als bei den Frauen (0,2 %).

Alkoholbezogene Störungen

Auch bei den klinisch manifesten alkoholbe­zogenen Störungen, dem schädlichen Ge­brauch/ Missbrauch von Alkohol und schließ­lich der Alkoholabhängigkeit, weisen die bis­her vorliegenden Studien ebenfalls konsis­tent auf einen altersbezogenen Rückgang hin. In Abhängigkeit vom Alter der Referenz­gruppen war die Prävalenz alkoholbezogener Störungen unter den Älteren teilweise um mehr als die Hälfte vermindert. Im Gegen­satz zu anderen Nationen, insbesondere den USA, ist die epidemiologische Datenbasis in diesem Bereich in Deutschland noch äußerst schwach. Ergebnisse einer älteren Studie aus Oberbayern unterstreichen die internati­onalen Befunde im Hinblick auf den altersbe­zogenen Rückgang: Die Rate von 3,1 % be­handlungsbedürftigem Alkoholismus unter den 45 bis 64­Jährigen Studienteilnehmern reduzierte sich bei den über 65­Jährigen auf 0,7 % (Männer: 3,0 %; Frauen: 0,5 %) (Dilling u. Weyerer 1984). In der Berliner Altersstu­die, die nur 70­Jährige und Ältere einschloss, waren 1,1 % der Probanden von einer alkoholbezogenen Störung nach DSM­III­R betroffen (Helmchen u.a. 1996). Hochge­rechnet auf die über 60­jährige Bevölkerung sind in Deutschland etwa 400.000 ältere Menschen von Alkoholabhängigkeit betrof­fen, was nach Bühringer u.a. (2000) eine eher konservative Schätzung darstellt.

Im Vergleich dazu ist die Prävalenz alkohol­bezogener Störungen in stationären Pflege­einrichtungen überdurchschnittlich hoch. Nach aktuellen Befunden aus einer bundes­weiten repräsentativen Stichprobe an rund 4.500 Pflegeheimbewohner/­inne/n lagen im Mittel bei 5,8 % (17,2 % der Männer und 2,6 % Frauen) der Bewohner/­innen ärztlich diagnostizierte (lifetime) Störungen durch Alkohol (ICD 10: F10) vor, die in der Regel be­reits bei Heimeintritt bestanden. Die Wahr­scheinlichkeit einer (lifetime) Alkoholdiagno­se war positiv assoziiert mit: männlichem Geschlecht, jüngerem Alter, weniger sozialen Kontakten mit Verwandten und Freunden,

geringerem Grad an funktionellen Einschrän­kungen, tendenziell ausgeprägteren Ver­haltensproblemen, häufigerem riskanten Alkoholkonsum sowie Rauchen und teilweise mit erhöhter somatischer Morbidität. Zwi­schen den einzelnen Einrichtungen variierte die Prävalenz alkoholbezogener Störungen von 0 bis 30 %, was darauf hinweist, dass sich einige Einrichtungen auf die Versorgung von älteren Menschen mit chronischen Alko­holstörungen spezialisiert haben (Schäufele u.a. 2009).

Folgen des Alkoholkonsums

Die wenigen epidemiologischen Untersu­chungen, die höhere Altersgruppen ein­schlossen, kamen mehrheitlich zu ähnlichen Befunden wie bei den Jüngeren: Es resul­tierte eine J­ oder ­U­ förmige Beziehung zwischen der Alkoholkonsummenge und der Entstehung verschiedener Erkrankungen sowie der Überlebenszeit. Demnach ist Alko­holkonsum in geringer bis moderater Dosis nicht schädlicher als völlige Abstinenz (J­Form) oder sogar günstiger, entfaltet also eine förderliche Wirkung (U­Form). Höhere Konsummengen hingegen können die physi­sche und psychische Gesundheit umfassend schädigen und sind mit schwerwiegenden sozialen Folgen und erheblich reduzierter Le­benserwartung assoziiert.

Nach Moore u.a. (2007) können sich durch überhöhten Alkoholkonsum insbesondere folgende, bei älteren Menschen weit verbrei­tete Erkrankungen verschlechtern: Blut­hochdruck, Diabetes mellitus, gastrointesti­nale Erkrankungen, Gicht, Schlaflosigkeit, Depression und kognitive Beeinträchtigun­gen. Infolge der physiologischen Verände­rungen bei älteren Menschen ist die Wahr­scheinlichkeit erhöht, dass selbst der Konsum von geringen Alkoholmengen die Wirkung von zusätzlich eingenommenen Me­dikamenten verstärken oder herabsetzen bzw. gefährliche Interaktionen hervorrufen. Stürze, Frakturen, Verwirrtheitszustände, Mangelernährung, Inkontinenz und erhöhte Suizidalität sind weitere negative Gesund­heitsfolgen, die speziell bei älteren Alkohol­konsumenten vermehrt auftreten.

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Die beschriebenen U­ oder J­ Zusammen­hänge konnten mehrfach repliziert werden, insbesondere für kardio­ und zerebrovasku­läre Erkrankungen und die Mortalität. Auch im Hinblick auf demenzielle Erkrankungen, die den Hauptgrund für schwere Pflegebe­dürftigkeit im Alter darstellen, wurde die be­schriebene Dosis­Wirkungsbeziehung von Alkohol durch eine Reihe von Studien konsis­tent bestätigt (Neafsey u. Collins 2011). An diesen Ergebnissen wird oft kritisiert, dass die positiven Auswirkungen eines leichten/moderaten Alkoholkonsums dadurch zu erklären sind, dass sich in der Gruppe der Alkoholabstinenten ehemalige Alkoholkranke befinden. Studien, die explizit dieser Frage nachgegangen sind, zeigen: Auch wenn ehe­malige Alkoholkranke aus der Gruppe der Abstinenten ausgeschlossen werden, ist nach wie vor eine signifikante Reduktion des Demenzrisikos von durchschnittlich 21% festzustellen (Neafsey u. Collins 2011). Dem­gegenüber besteht kein Zweifel, dass dauer­hafter Alkoholmissbrauch das Risiko für das Auftreten kognitiver Beeinträchtigungen und demenzieller Erkrankungen erheblich erhöht (Gupta u. Warner 2008; Neafsey u. Collins 2011).Die in Deutschland erstmals bei 75­jährigen und älteren Menschen erhobenen Befunde (Weyerer u.a. 2011) stehen in Einklang mit Ergebnissen aus dem Ausland: Auch nach Kontrolle einer Vielzahl von anderen Einfluss­faktoren (Alter, Geschlecht, Bildung, Allein­leben, Rauchen, Depression, leichte kogni­tive Störungen, körperliche Erkrankungen, genetisches Risiko) hatten Personen mit ge­ringem bis mäßigem Alkoholkonsum eine signifikant niedrigere Wahrscheinlichkeit, im Laufe eines Beobachtungszeitraums von drei Jahren an einer Demenz zu erkranken. Be­zogen auf alle Demenzen war das Risiko um 29% niedriger, bezogen auf die Alzheimer Erkrankung um 42% niedriger.

Allerdings scheint es auch Ausnahmen zu geben: Sehr geringer bis mäßiger Alkohol­konsum im jüngeren bis mittleren Lebens­alter kann die Entstehung von Krebserkran­kungen begünstigen, vor allem die Entste­hung von Tumoren der Mundhöhle, des Schlundes, des Kehlkopfes, der Speiseröhre, des Darmes und der Leber sowie Brustkrebs bei Frauen (Rehm u.a. 2003).

Intervention

Um den Folgen von riskantem Alkoholkonsum in möglichst frühen Phasen vorzubeugen, wurden vor allem im anglo­amerikanischen Sprachraum sogenannte Kurzinterventionen zum Einsatz in der medizinischen Grundver­sorgung konzipiert (zu einem Überblick siehe Lieb u.a. 2008; Rumpf u.a. 2009). Kurzinter­ventionen sind auf die Reduktion des Alko­holkonsums ausgerichtet, umfassen prinzipi­ell nur wenige Kontakte und bestehen in der Regel aus einer ein­ bis mehrmaligen Bera­tung, und/oder dem Aushändigen einer Bro­schüre.

Im Gegensatz zu jüngeren Bevölkerungs­gruppen (z.B. Kaner u.a. 2007) liegen für älte­re Menschen nur wenige randomisierte und kontrollierte Studien zur Wirksamkeit von – in der Regel primärärztlichen – Kurzinter­ventionen vor. Ähnlich wie bei den Jüngeren bestätigte sich in diesen Studien auch für die über 65­jährigen Risikokonsumenten: Der Alkoholkonsum ging nach einer Kurzinter­vention signifikant zurück und Rauschtrinken kam seltener vor (Fleming u.a. 1999).

Geht man davon aus, dass in Deutschland ca. 400.000 über 60­Jährige von einer mani­festen alhoholbezogenen Störung betroffen sind, weisen die Zahlen der Suchthilfestatis­tik auf eine eklatante Unterversorgung der älteren Menschen hin. Danach waren 2010 von allen 85.423 ambulant betreuten Alkoholkranken nur 7,2 % 60 Jahre und älter. Ähnlich verhält es sich mit der Inanspruch­nahme von Fachkliniken, wo im selben Zeit­raum von den insgesamt 25.102 Alkohol­kranken nur 6,0 % 60 Jahre und älter waren (Steppan u.a. 2012).

Im Kontrast dazu stehen die Ergebnisse von Wirksamkeitsstudien zu psychotherapeuti­schen Interventionen (zu einem umfassen­deren Überblick siehe Lieb u.a. 2008; Rumpf u.a. 2009): Der kurzfristige Therapieerfolg bei Älteren mit alkoholbezogenen Störungen ist ähnlich gut ist wie bei Jüngeren. Bei län­geren Katamnesezeiträumen waren die The­rapien bei älteren Patienten sogar erfolgrei­cher als bei jüngeren Patienten.

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Endnoten:

1 Mittel, die gegen das Substanzverlangen wirken

Nach wie vor mangelt es an spezifischen Therapieangeboten für ältere Menschen, ob­wohl es Hinweise auf eine höhere Attrakti­vität und bessere Ergebnisse (längere Absti­nenzzeiten, erhöhte Haltequoten) bei alters­angepassten Programmen gibt. Die erste randomisierte Studie in Deutschland auf die­sem Gebiet evaluiert ein solches altersspezi­fisches Therapiemanual (KOALA: Kognitive Verhaltenstherapie der Alkoholabhängigkeit im Alter) (Lieb u.a. 2008).

In Zulassungsstudien zur abstinenzorientier­ten Pharmakotherapie bei Alkoholabhängig­keit im höheren Alter wurden Menschen über 65 Jahre bislang nicht eingeschlossen, weswegen von einer Behandlung älterer Suchtpatienten mit Anticraving­Substanzen 1 derzeit abgeraten wird (Lieb u.a. 2008).

Folgerungen

Für viele chronische Erkrankungen des höheren Lebensalters sind wichtige Risiko­faktoren wie übermäßiger Alkoholkonsum seit langem bekannt. Durch eine Reduktion dieser Risikofaktoren in der Bevölkerung ließe sich der Anteil der Personen, die ein hohes Lebensalter in vergleichsweise guter Gesundheit erreichen, deutlich erhöhen. Dies erfordert eine Stärkung präventiver Maßnahmen, die in verschiedenen Lebens­altern weit vor der Hochaltrigkeit ansetzen müssen.

Große Unklarheit herrscht nach wie vor darü­ber, wie leichter bis moderater Konsum zu definieren ist. In den bisherigen Studien an unterschiedlichen Populationen bewegen sich die Definitionen für diesen Konsumbe­reich zwischen weniger als zehn und mehr als 40 g reiner Alkohol pro Tag. Häufig fehlen auch Differenzierungen nach Alter und Ge­schlecht. Eindeutige Empfehlungen zum risi­kofreien oder gar förderlichen Alkoholkon­sum lassen sich darauf kaum gründen, schon gar nicht für ältere Menschen. Bei letzterer Gruppe ist die Befundlage noch besonders dürftig und charakterisiert durch vermehrte methodische Herausforderungen, die längs­schnittlichen Beobachtungsstudien imma­nent sind: Periodeneffekte, Veränderung der Trinkmuster im Lebensverlauf, selektive

Mortalität und Morbidität der Risikogruppen und damit verbunden, der sogenannte „Sick­Quitter­Effekt“ (Rehm u.a. 2003). Die mit steigendem Alter zunehmende Morbidität veranlasst viele ältere Menschen zur Alko­holabstinenz, was wiederum häufig zur Folge hat, dass Abstinenz mit einem schlechteren Gesundheitszustand assoziiert ist als mäßi­ger Alkoholkonsum.

Noch weisen die epidemiologischen Daten auf einen deutlichen altersbezogenen Rück­gang der Prävalenz sowohl von Alkoholdiag­nosen als auch von riskanten Konsummus­tern hin. Vor dem Hintergrund des Anstiegs der Lebenserwartung, der auch bei den Menschen mit problematischem Alkoholge­brauch festzustellen ist, sowie den stark veränderten Konsumgewohnheiten der Nach­kriegsgenerationen, insbesondere der Frau­en, ist jedoch eine erhebliche Zunahme alkoholassoziierter Erkrankungen und Behin­derungen (z.B. Sturzfolgen, kognitive und andere funktionelle Einschränkungen) in der Altenbevölkerung zu erwarten (Gupta u. Warner 2008). Umso mehr gewinnen routi­nemäßige Screenings und einfache Kurzin­terventionen (z.B. Beratungen) zur Reduktion potenziell schädlichen Alkoholgebrauchs an Bedeutung. Hinweise auf die Effektivität und Effizienz solcher Maßnahmen, gerade bei älteren Menschen, liegen aus Studien im an­gloamerikanischen Raum vor, die im haus­ärztlichen Setting durchgeführt wurden. Aber auch bei manifesten alkoholbezogenen Störungen besteht – den wenigen bisher vor­liegenden Therapiestudien zufolge – Anlass zu Optimismus, zumal ältere Patienten teil­weise bessere Behandlungserfolge erzielten als jüngere Patienten. Besonders hoch sind die Abstinenzraten bei älteren Suchtkranken mit spätem Krankheitsbeginn.

In deutschen Altenpflegeheimen ist der aktu­elle Alkoholkonsum sehr niedrig (Schäufele u.a. 2009). Viele Heime scheinen jedoch Ver­sorgungsfunktionen für alt gewordene Alko­holkranke zu erfüllen, d.h. für Personen, die bereits zum Zeitpunkt der Heimaufnahme eine Alkoholdiagnose hatten. Diese Bewoh­ner/ ­innen stellen eine besondere Heraus­forderung für die Pflegekräfte dar, u.a. weil sie über proportional häufig Verhaltensprobleme (z.B. aggressives, unkooperatives Verhalten)

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aufweisen. Auf diese Anforderungen schei­nen die Pflegekräfte nur unzureichend vor­bereitet zu sein. Eine Schulung des Pflege­personals im Umgang mit Alkoholkranken, eine adäquate personelle Ausstattung sowie eine konsiliarische Beratung durch Sucht­beratungsstellen sind dringend erforderlich.

Der Anteil der 60­jährigen und älteren Alko­holkranken liegt sowohl in den ambulanten als auch in den stationären Suchteinrichtun­gen nur bei etwa 7 %. Suchtexperten kritisie­ren zu Recht, dass die meisten Suchteinrich­tungen bereits ein Alter ab 60 Jahren als Kontraindikation betrachten. Ein Ausbau von Therapieangeboten, die speziell auf ältere Menschen ausgerichtet sind, ist deshalb dringend geboten.

Es ist erfreulich, dass mit der Kampagne der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen e.V. – DHS (2006, 2013) der Brückenschlag zwi­schen Suchthilfe und Altenhilfe hergestellt wurde und die DHS zu dem Thema Sucht im Alter Informationen für Beschäftigte in der Altenpflege veröffentlicht hat. Diese Strate­gie wurde in Deutschland seit 2010 auch im Rahmen von Forschungsprojekten zu dem Thema „Sucht im Alter“ fortgeführt: in den acht Modellprojekten des Bundesgesund­heitsministeriums und dem Förderschwer­punkt der Landesstiftung Baden­Württem­berg.Autoreninfo und Kontakt:Professor Dr. phil. Siegfried Weyerer ist Leiter der Arbeitsgruppe Psychiatrische Epi-demiologie und Demographischer Wandel am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit Mannheim

Kontakt: [email protected]

Professor Dr. sc. hum. Martina Schäufele lehrt Theorie und Praxis der Sozialen Arbeit mit Erwachsenen und Soziale Gerontologie an der Hochschule Mannheim, Fakultät für Sozialwesen

Kontakt: [email protected]

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Informationsdienst Altersfragen 41 (5), 2014Aus der Altersforschung

Aus der Altersforschung

Aus Politik und Praxis der Altenhilfe

Aus dem DZA

Alter ist einer der wichtigsten Gründe für die Inanspruchnahme des Gesundheitssystems (Winter u.a. 2006). Nach Auswertungen von Daten der ca. 1,6 Millionen Versicherten der Gmünder ErsatzKasse (GEK) aus dem Jahr 2007 suchen in jeder Altersgruppe mindes­tens 82% der versicherten Männer und 94% der Frauen einmal oder häufiger einen nie­dergelassenen Arzt auf (Grobe u.a. 2008). Wesentliche Unterschiede in Abhängigkeit vom Alter existieren hingegen bei der Zahl der Arztkontakte. Während Kinder und jünge­re Männer (0­39 Jahre) zwischen 7,5 und 17,1 bzw. Frauen zwischen 9,0 und 17,5 mal jährlich Vertragsärzte aufsuchen, erhöht sich dieser Wert stetig ab etwa dem 40. Lebens­jahr. Ab einem Alter von 85 Jahren finden sich unabhängig vom Geschlecht etwa 40 Arztkontakte jährlich. Einen wesentlichen Teil tragen hierzu Besuche bei Allgemein­medizinern und Internisten bei (Bitzer u.a. 2008). Diese Zahlen sind auch heute noch aktuell. Frauen haben in der Vergangenheit stärker als Männer vom Zugewinn an Lebensjahren profitiert. Während die durchschnittliche Le­benserwartung der Männer bei ihrer Geburt zwischen 1900 und 2010 in Deutschland von 44,8 auf 77,5 Jahre zunahm, stieg sie für Frauen von 48,3 auf 82,6 Jahre. In den höhe­ren Altersklassen überwiegt die Zahl der Frauen die der Männer. Allerdings sind die zusätzlichen Jahre oft nicht frei von Krank­heit. Daher hängt der Arzneimittelverbrauch von Alter und Geschlecht ab. Daten aus der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zei­gen, dass Männer in den mittleren Alters­gruppen mehr und eher teurere Arzneimittel bekommen. Auch die Verordnungshäufigkeit von Arzneimitteln ist stark vom Alter ab­hängig. So erhielten im Schnitt mindestens 50,7% aller männlichen und 70,1% aller weiblichen Versicherten der BARMER GEK im Jahre 2012 ein oder mehrere Arzneimit­tel, bei den über 64jährigen Personen waren

es aber mindestens 86,9% der Männer und 93,4% der Frauen. Die Häufigkeit einer Arz­neimitteltherapie steigt also mit dem Alter an. Besonders auffällig sind auch hier die Verordnungsmengen (s. Abb. 1), die in der gesamten GKV ab dem Erwachsenen alter (20­24 Jahre) von 69 Tagesdosen auf bis zu 1.575 bei 80­84jährigen ansteigen. Erwach­sene im Alter von über 65 Jahren machen zwar nur etwa ein Viertel (22%) aller gesetz­lich Versicherten aus, sie bekommen aber 56% des Verordnungsvolumens nach den Mengen, berechnet in einzelnen Dosierun­gen. Diese Mengen verursachen 44% der gesamten Arzneimittelausgaben in der GKV. Die Menge der verordneten Mittel hat mit der Behandlung vieler im Alter auftretender chronischer Erkrankungen1 mit kostengünsti­gen Generika zu tun und erklärt den Unter­schied zwischen den Verordnungs­ und Um­satzanteilen (56% zu 44%). In Abbildung 1 wird diese Verteilungssituation von Mengen (DDD 2) und Kosten (Euro/DDD) für die Versi­cherten der BARMER GEK gezeigt.

„Die Tablette ist wie ein Freund“ – Medikamentenabhängigkeit im Alter

Gerd Glaeske

Die auffälligsten Unterschiede in der Vertei­lung von Arzneimitteln auf Männern und Frauen liegen aber nach wie vor im Bereich der psychotropen Arzneimittel 3. Diese Un­terschiede fallen vor allem bei den Schlafmit­teln und bei Psychopharmaka wie den Anti­depressiva, den Neuroleptika und den Tran­quilizern auf: Im Jahre 2010 erhielten Frauen mit durchschnittlich 33,4 verordneten Tages­dosen 56% mehr Psychopharmakaverord­nungen als Männer mit durchschnittlich 21,0 Tagesdosen. Nur bei den Psychostimulanzi­en 4 und bei bestimmten Neuroleptika ist der Pro­Kopf­Verordnungsanteil von Psychophar­maka bei Männern höher als bei Frauen. Hier scheinen Rollenstereotype einen Einfluss auf die Verordnungen zu haben. 5

Fußnoten:1 z. B. Hypertonie, Herz­insuffizienz oder Diabetes2 DDD: Defined Daily Do­ses, Tagesdosis3 Arzneimitteln, die auf die Psyche wirken4 anregende Psycho­pharmaka5 Frauen werden eher mit psychisch bedingten Krankheiten und Belas­tungen assoziiert, mit Unruhe, Entwertungsge­fühlen und depressiven Verstimmungen, Männer mit somatisch bedingten Erkrankungen.

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Aus der Altersforschung Informationsdienst Altersfragen 41 (5), 2014

Aus der Altersforschung

Aus Politik und Praxis der Altenhilfe

Aus dem DZA

Bei älteren Menschen ist vieles anders…

Es ist aber nicht nur die geschlechts­ und altersspezifische Unterschiedlichkeit der Arzneimittel, die auffällt, es ist vor allem die gleichzeitige Gabe verschiedener Präparate von unterschiedlichen Ärzten, die wenig von den jeweiligen Verordnungen der anderen wissen. Die im Alter zunehmende Multimor­bidität führt nicht selten dazu, dass ältere Menschen eine Vielzahl verschiedener Wirk­stoffe gleichzeitig verordnet bekommen bzw. im Rahmen der Selbstmedikation ein­nehmen. 6 In diesem Zusammenhang muss auch besonders die zusätzl iche Rolle der Selbstmedikation älterer Menschen beachtet werden. 7 Diese Arzneimittelmengen werden in den Analysen von Daten der Gesetzlichen Krankenkassen nicht einmal berücksichtigt, da die Mittel ohne Rezept direkt in der Apo­theke gekauft und bezahlt werden. Bei älte­ren Menschen kommen also nicht nur häufi­ge, sondern auch viele Verordnungen neben­einander zustande. Viele ältere Menschen leiden unter mehreren Krankheiten nebenei­nander, an Diabetes neben Bluthochdruck, Herzinsuffizienz oder Osteoporose. Die Mul­timorbidität steigt mit dem Alter an – etwa die Hälfte der über 65jährigen Bundesbürger leidet unter 3 oder mehr relevanten chroni­schen Erkrankungen gleichzeitig. Dies führt dann zu einer großen Anzahl der Ärztinnen und Ärzte, die nebeneinander konsultiert werden. Danach haben etwa 43% aller Pati­

entinnen und Patienten der BARMER GEK, die im Jahre 2011 ein Rezept erhielten, nur einen einzigen Arzt konsultiert, weitere 30% zwei Ärzte, rund 15% drei Ärzte. Circa 10% gehen zu vier oder fünf Ärzten, danach fol­gen die restlichen 2% mit deutlich mehr auf­gesuchten Ärzten (siehe Tabelle 1). Vor allem bei der Kontaktaufnahme mit mehreren Ärz­tinnen und Ärzten liegen Frauen deutlich vor den Männern. Insbesondere die Versicherten im höheren Alter (>60Jahre) besuchen meh­rere Ärztinnen und Ärzte nebeneinander. 8 Ein älterer Mensch wird danach typischer­weise im höheren Alter von durchschnittlich vier Ärztinnen oder Ärzten behandelt. Bei der Analyse von Krankenkassendaten muss in Deutschland zusätzlich berücksich­tigt werden, dass Arzneimittel auch auf Pri­vatrezepten für gesetzlich Krankenversicher­te verordnet werden und diese nicht in den Kassendaten auftauchen. Besonders gut nachgewiesen ist dieses Phänomen bei Schlafmitteln, von denen ein nicht unerhebli­cher Verordnungsanteil für GKV­Versicherte ältere Menschen auf Privatrezepte entfällt, offenbar eine ansteigende Strategie von Ver­tragsärzten, um den teilweise unangeneh­men Diskussionen von Kassen­ oder KV­Sei­te über die unangemessene Häufigkeit und Dauer dieser zumeist abhängigmachenden Arzneimittel zu entgehen (Hoffmann u.a. 2006; 2009).

6 Diese gleichzeitige Gabe von verschiedenen Arzneimitteln wird als Polypharmazie (poly­pharmacy) oder seltener als Polypragmasie be­zeichnet.7 z.B. der häufige Einkauf von Schmerz­, Abführ­ oder angeb lichen Stär­kungsmitteln, bei denen man vor allem den Alko­hol spürt.8 einen Allgemeinarzt oder Internisten als Haus­arzt, Frauen eine Gynäko­login oder Gynäkologen, Männer eine Urologin oder einen Urologen, alle älteren Menschen dane­ben einen Orthopäden und einen Augenarzt.

Abbildung 1: Verordnete DDD pro Versicherte und Ausgaben in Euro pro DDD der BARMER GEK nach Alter und Geschlecht in 2012 (Glaeske und Schicktanz 2013)

0

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Männer DDD pro Vers. Frauen DDD pro Vers.Männer Ausgaben pro DDD Frauen Ausgaben pro DDD

Die auffälligsten Unterschiede in der Verteilung von Arzneimitteln auf Männern und Frauen liegen aber nach wie vor im Bereich der psychotropen Arzneimittel, also von Arzneimitteln, die auf die Psyche wirken. Diese Unterschiede fallen vor allem bei den Schlafmitteln und bei Psychopharmaka wie den Antidepressiva, den Neuroleptika und den Tranquilizern auf: Im Jahre 2010 erhielten Frauen mit durchschnittlich 33,4 verordneten Tagesdosen 56% mehr Psychopharmakaverordnungen als Männer mit durchschnittlich 21,0 Tagesdosen. Nur bei den Psychostimulanzien, also den anregenden Psychopharmaka, und bei bestimmten Neuroleptika, ist der Pro-Kopf-Verordnungsanteil von Psychopharmaka bei Männern höher als bei Frauen. Hier scheinen Rollenstereotype einen Einfluss auf die Verordnungen zu haben – Frauen werden eher mit psychisch bedingten Krankheiten und Belastungen assoziiert, mit Unruhe, Entwertungsgefühlen und depressiven Verstimmungen, Männer mit somatisch bedingten Erkrankungen.

Bei älteren Menschen ist vieles anders!

Es ist aber nicht nur die geschlechts- und altersspezifische Unterschiedlichkeit der Arzneimittel, die auffällt, es ist vor allem die gleichzeitige Gabe verschiedener Präparate von unterschiedlichen Ärzten, die wenig von den jeweiligen Verordnungen der anderen wissen. Diese gleichzeitige Gabe von verschiedenen Arzneimitteln wird als Polypharmazie (polypharmacy) oder seltener als Polypragmasie bezeichnet. Die im Alter zunehmende Multimorbidität führt nicht selten dazu, dass ältere Menschen eine Vielzahl verschiedener Wirkstoffe gleichzeitig verordnet bekommen bzw. im Rahmen der Selbstmedikation einnehmen. In diesem Zusammenhang muss auch besonders die zusätzliche Rolle der Selbstmedikation älterer Menschen beachtet werden, z.B. der häufige Einkauf von Schmerz-, Abführ- oder angeblichen Stärkungsmitteln, bei denen man vor allem den Alkohol spürt. Diese Arzneimittelmengen werden in den Analysen von Daten der Gesetzlichen Krankenkassen nicht einmal berücksichtigt, da die Mittel ohne Rezept direkt in der Apotheke gekauft und bezahlt werden.

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Zu diesen Produkten gehören neben den Schlafmitteln, die vor allem aus der Familie der Benzodiazepine kommen, eine Gruppe von Arzneimitteln, die seit 1960 angeboten wird, zunächst das Librium, 1963 dann Vali­um, ein Arzneimittel, das zu den bekanntes­ten überhaupt gehört und stellvertretend für das Problem „Abhängigkeit“ einer ganzen Generation von Schlaf­ und Beruhigungsmit­teln steht.

Demenz durch Schlaf- und Beruhigungs-mittel?

Immer wieder gibt es Publikationen, die sich mit Medikamenten dieser Arzneimittelgrup­pen beschäftigen. Eine relativ aktuelle Dis­kussion betrifft den möglichen Zusammen­hang zwischen der langjährigen Einnahme von Benzodiazepin­haltigen Arzneimitteln 10 und dem Auftreten von Alzheimer­Demenz. Ein Artikel über eine prospektive Kohorten­studie im renommierten Britischen Ärzte­blatt im September 2012 (Billioti de Gage u.a. 2012) hatte diese Diskussion neu ent­facht. Die Studie kam, bezogen auf die ein­geschlossenen Patientinnen und Patienten, zu dem Ergebnis, dass das Risiko der Entste­hung einer Alzheimer­Demenz um das 1,6fa­che gegenüber den Nicht­Benzodiazepinkon­sumenten erhöht sein könnte. Diese Frage ist auch deshalb so wichtig, weil Benzodiaze­pine (BZ) noch immer zu den häufig verord­neten Mitteln in Tranquilizern und Schlafmit­teln gehören, die insbesondere für ältere Menschen in allen Ländern vergleichsweise häufig eingesetzt werden und der Anteil der Menschen mit Demenz in Gesellschaften längeren Lebens weiter ansteigen wird. Sol­

Tabelle 1: Kontakte der Patienten mit Rezepten (n=7.011.478) zu verschiedenen Ärzten / Arztpraxen im Jahre 2011 nach Geschlecht (Glaeske und Schicktanz 2012)

Anzahl Ärzte/ Arztpraxen

Anzahl Arzneimittel­ Patienten 9 (in %)

Männer (in %) Frauen (in %)

7.011.478 (100,0%) 2.705.848 (100,0%) 4.305.630 (100,0%)

1 3.035.891 (43,3%) 1.308.411 (48,4%) 1.727.480 (40,1%)

2 2.078.076 (29,6%) 781.376 (28,9%) 1.296.700 (30,1%)

3 1.069.770 (15,3%) 363.963 (13,5%) 705.807 (16,4%)

4 482.798 (6,9%) 151.905 (5,6%) 330.893 (7,7%)

5 204.290 (2,9%) 61.183 (2,3%) 143.107 (3,3%)

> 6 140.653 (2,0%) 39.010 (1,4%) 101.643 (2,4%)

che Benzodiazepine werden eingesetzt, wenn eine schlaffördernde, beruhigende, angst­ und krampflösende oder auch eine muskelentspannende Wirkung erzielt werden soll. In der (Akut­) Psychiatrie, vor Operationen, bei Krämpfen, auch bei Fieber­krämpfen bei Kindern oder bei akuten Schlaf­störungen sind sie nach wie vor unverzicht­bare Arzneimittel, die rasch wirken und insgesamt gut verträglich sind. Bei einer dau­ernden Einnahme über zwei bis drei Monate und länger kann eine Abhängigkeit von diesen Mitteln aber kaum noch vermieden werden. 1,5 bis 1,9 Millionen Menschen sind es insgesamt nach Schätzungen von Exper­ten, 1,2 Millionen davon allein von benzodia­zepinhaltigen Mitteln, die als Tranquilizer und Schlafmittel verordnet werden. Betrof­fen sind vor allem ältere Menschen, darunter zwei Drittel Frauen. Als Schlafmittel werden neben den Benzodiazepinen auch Benzodia­zepin­ähnliche Mittel wie Stilnox® mit dem Wirkstoff Zolpidem und Generika, Zopiclon­Generika verordnet. 11 Ob Benzodiazepine das Entstehen einer Demenzerkrankung be­günstigen, wird widersprüchlich diskutiert (Gallacher u.a. 2012; Verdoux u.a. 2005; Fastbom u.a. 1998; Boeuf­Cazou u.a. 2011). Ein kausaler Zusammenhang zwischen der regelmäßigen Einnahme von Benzodiazepi­nen und einer Demenzerkrankung ist zwar schwer zu unter suchen, weil Schlafstörungen und Angstzustände auch die frühen Anzei­chen einer beginnenden Demenzerkrankung sein können. Dennoch muss die 2012 publi­zierte Studie von Billioti de Gage und Kollegen ernst genommen werden. Auch wenn es bisher keinen kausalen Zusammenhang zwi­schen der langjährigen Einnahme von Benzo­diazepinen und dem Auftreten einer Demenz

9 77% aller Versicherten (9.074.877)10 z.B. Adumbran, Dalmadorm, Diazepam­Generika, Tavor u.a.11 Benzodiazepin ent­halten Lendormin®, Noctamid®, Radedorm®, Flunitrazepam­Generika, Rohypnol® oder Planum®, als Tranquilizer Diazepam­Generika, Tavor® und Lorazepam­Generika, Lexotanil®, Normoc® und Broma­zepam­Generika, Adumbran® und Oxa­zepam­Generika, Tranxili­um® oder Faustan®.

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zu geben scheint, so ist schon alleine die Tatsache, dass Menschen mit Demenz über Jahre solche kognitiv einschränkenden Arz­neimittel verordnet bekommen, als Fehlver­sorgung zu kritisieren. Untersuchungen für Deutschland (Glaeske und Schulze 2013) zei­gen im Übrigen ähnlich bestürzende Ergeb­nisse wie in Frankreich: Der Anteil der ohne­hin schon in ihren kognitiven Fähigkeiten ein­geschränkten Menschen mit Demenz be­kommt deutlich mehr dieser ruhigstellenden Benzodiazepine als Menschen ohne Demenz verordnet – das Risiko ist um das 1,5fache erhöht. Die schon bestehenden kognitiven Verschlechterungen dieser Patientinnen und Patienten scheinen für die behandelnden Ärztinnen und Ärzte kein Grund dafür zu sein, auf diese Mittel zu verzichten. Wenn schon Benzodiazepine und benzodiazepinähnliche Mittel wie Z­Drugs grundsätz lichen bei älte­ren Menschen als eher ungeeignete Mittel gelten – um wie vieles ungeeigneter sind sie dann bei Menschen, die aufgrund ihrer De­menz unter einer progredienten Abnahme ih­rer kognitiven, sozialen und kommunikativen

Fähigkeiten leiden? Die Verordnung von Ben­zodiazepinen für ältere Menschen, insbeson­dere aber für Patienten mit Demenz, sollte unterbleiben – dies sollte endlich von Ärztin­nen und Ärzten berück sichtigt werden. Tilman Jens, der Sohn des kürzlich verstor­benen Walter Jens, hat darauf hingewiesen, dass sein dement gewordener Vater „ge­spenstische Mengen der tückischen Benzos geschluckt (hat): Tavor und Lexotanil, die Ta­bletten mit den Benzo diazepinen, jene che­mischen Trostspender, die als Marktführer unter den Abhängigkeitsmachern gelten“ 12. Es sollte also dringend weiter untersucht werden, ob sich bei Menschen mit einer langjährigen Benzodiazepinabhängigkeit eine Demenz eher entwickelt als bei denen, die solche Mittel deutlich seltener eingenommen haben – die Versorgungsforschung in diesem Bereich muss daher dringend verstärkt wer­den. Die bekanntesten Mittel aus dieser Gruppe, die immer noch die größte Bedeu­tung bei der Arzneimittelabhängigkeit insbe­sondere auch bei älteren Menschen haben, sind in den Tabellen 2 und 3 genannt.

Tabelle 2: Die 20 meistverkauften synthetischen Schlafmittel (Monopräparate) nach Pa-ckungsmengen im Jahre 2012 (OTC=nicht-rezeptpflichtiges Arzneimittel, nach IMS Health 2013), die Mittel mit einem Abhängigkeitspotenzial sind fett gedruckt. +++ bedeutet hohes Abhängigkeitspotenzial

Rang Präparat WirkstoffAbsatz 2012 in Tsd.

Missbrauchs­/ Abhän­ gigkeitspotenzial

1 Hoggar (OTC) Doxylamin 2.002,4 Eher nicht 13

2 Zopiclon AbZ Zopiclon 1.310,3 ++ (bis +++)

3 Vivinox Sleep (OTC) Diphenhydramin 1.090,5 Eher nicht 13

4 Zolpidem ratio Zolpidem 952,2 ++ (bis +++)

5 Zolpidem AL Zolpidem 740,4 ++ (bis +++)

6 Schlafsterne (OTC) Doxylamin 660,6 Eher nicht 13

7 Zolpidem1A Pharma Zolpidem 614,3 ++ (bis +++)

8 Zopiclon AL Zopiclon 607,4 ++ (bis +++)

9 Zopiclon ratio Zopiclon 598,0 ++ (bis +++)

10 Zopiclon CT Zopiclon 596,0 ++ (bis +++)

11 Lendormin Brotizolam 392,3 +++

12 Zopiclodura Zopiclon 351,3 ++ (bis +++)

13 Zopiclon Stada Zopiclon 335,7 ++ (bis +++)

14 Zolpidem Stada Zolpidem 332,9 ++ (bis +++)

15 Stilnox Zolpidem 317,6 ++ (bis +++)

16 Zopiclon Neuraxpharm Zopiclon 293,1 ++ (bis +++)

17 Noctamid Lormetazepam 288,6 +++

18 Betadorm D (OTC) Diphenhydramin 254,9 Eher nicht 13

19 Zopiclon Hexal Zopiclon 213,0 ++ (bis +++)

20 Lormetazepam AL Lormetazepam 211,0 ++ (bis +++)

Gesamtabsatz synthetische Schlafmittel 16.895,6

12 Der Spiegel, 25, 122, 201313 Diese „eher­nicht­Ein­schätzung“ bezieht sich auf den bestimmungsge­mäßen Gebrauch. Bei missbräuchlich hoch do­siertem Dauerkonsum von Diphenhydramin und Doxylamin (z. B. >200 mg) kann es aber zu Tole­ranzentwicklung und Ent­zugssyndromen kommen.

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Langwirksame Schlafmittel 14 können noch am nächsten Morgen zu Hang­Over­Effekten und insbesondere bei älteren Menschen zu Stürzen und schlecht heilenden Knochen­brüchen führen. Es ist daher dringend zu empfehlen, auf diese Schlafmittel bei älteren Menschen zu verzichten und andere Arznei­mittel 15 in Erwägung zu ziehen.

Tabelle 3: Die 15 meistverkauften Tranquilizer nach Packungsmengen im Jahre 2012 (nach IMS Health 2013) – Alle genannten Mittel haben ein großes Abhängigkeitspotenzial (+++)

RangPräparat Wirkstoff

Absatz 2012 in Tsd.

Missbrauchs / Ab­hängigkeitspotenzial

1 Tavor Lorazepam 1.600,3 +++

2 Diazepam ratiopharm Diazepam 1.044,7 +++

3 Bromazanil Bromazepam 508,7 +++

4 Oxazepam ratiopharm Oxazepam 487,1 +++

5 Lorazepam ratiopharm Lorazepam 365,5 +++

6 Lorazepam Neuraxpharm Lorazepam 356,1 +++

7 Adumbran Oxazepam 326,4 +++

8 Lorazepam Dura Lorazepam 266,5 +++

9 Oxazepam AL Oxazepam 204,0 +++

10 Diazepam AbZ Diazepam 181,8 +++

11 Bromazepam1A Pharma Bromazepam 171,0 +++

12 Bromazep CT Bromazepam 166,6 +++

13 Tranxilium Dikaliumclorazepat 163,0 +++

14 Valocordin Diazepam Diazepam 142,7 +++

15 Faustan Diazepam 125,7 +++

Gesamtabsatz Tranquilizer 8.712,5

Insgesamt wurden im Jahre 2012 rund 22 Mio. Packungen solcher Mittel verkauft, die auf Dauer eine hohe Gefahr der Abhängig­keitsentwicklung mit sich bringen. Und die älteren Menschen ab dem 65. Lebensjahr sind vor allem von den Dauerverordnungen betroffen, die letztlich Grund für die Entwick­lung einer Abhängigkeit sind.

Schlucken und Schweigen!

Und vielen älteren Menschen geht es ähnlich wie der 63jährigen Lehrerin, die Tag für Tag, seit vielen Jahren, solche Mittel einnimmt. Sie kommt mittags nach Hause, bereitet sich einen Tee und nimmt dazu ein Beruhigungs­mittel vom Benzodiazepin­Typ ein – zur Ent­spannung, wie sie sagt, zum Abschalten. „Die Tablette ist für mich wie ein Freund“, so die Begründung für diese Einnahme. Die Frage, ob sie abhängig von diesem Mittel ist, würde sie entrüstet verneinen. Zum einen

14 z.B. Flurazepam, Flunit­razepam, Nitrazepam u.a., z.B. in Flunitrazepam­Ge­nerika oder Radedorm®15 z.B. sedierende Antide­pressiva oder niedrig po­tente Neuroleptika wie Melperon®16 rd. 30 Mio. von 633 Mio. im Jahre 2012 im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV)

hat sie nie die Dosis steigern müssen, zum anderen verschreibt ihr eine Ärztin das re­zeptpflichtige Mittel seit vielen Jahren und der Apotheker händigt ihr die Packung kom­mentarlos aus – diese Experten müssten die „Nebenwirkung“ Abhängigkeit doch kennen und sie darauf hinweisen. Nein, abhängig fühlt sie sich überhaupt nicht, sie fühlt sich wohl mit diesem Mittel, das ihr hilft, den All­tag zu bewältigen. So wie dieser Lehrerin geht es noch immer vielen Menschen in Deutschland: Schätzun­gen auf Grund der Konsummuster bei diesen Arzneimitteln mit Abhängigkeitspotenzial weisen darauf hin, dass 1,5 Millionen, viele Experten meinen sogar 1,9 Millionen Men­schen bei uns abhängig sind von Arzneimit­teln, 2/3 von Schlaf­ und Beruhigungsmitteln, die übrigen von starken Schmerz­ und Migrä­nemitteln, von Hustenmitteln und Psychosti­mulanzien. Bei den 2/3 überwiegen die älte­ren Menschen ab 65 Jahren, wiederum rund 2/3 davon sind Frauen. Die Zahlen sind seit vielen Jahren relativ kon­stant. Es sind vor allem die verschreibungs­pflichtigen Mittel, die zu einem Abhängig­keitsproblem führen können, 4­5% aller ärzt­lich verordneten Präparate dieser Gruppe 16 haben ein eigenes Abhängigkeitspotenzial. Die Mittel sind – für sich betrachtet – nach wie vor wichtig in der Behandlung, kurzfristig

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bei Schlafstörungen, bei Krämpfen oder zur Muskelentspannung vor Operationen. Der Missbrauch in der Verschreibung beginnt aber dann, wenn diese Mittel über zu lange Zeiträume, z.B. länger als 3 Monate hinterei­nander verschrieben und geschluckt werden – in diesen Fällen ist eine Abhängigkeitsent­wicklung kaum noch zu vermeiden. Solange diese Mittel eingenommen werden, wobei bei den meisten Menschen die ursprüngliche Dosierung nicht einmal gesteigert werden muss („low­dose­dependency“), sind keine Absetz­ oder Entzugssymptome zu bemer­ken, wenn aber diese Mittel nach einer sol­chen Zeit 3 oder 4 Tage nicht eingenommen werden, kommt es zu Unruhe, Schweißaus­brüchen, Schlaflosigkeit oder Aggressionen, typischen Symptomen für einen Entzug. Die fortgesetzte Verschreibung und Einnahme bedeutet damit auch ein „Entzugsvermei­dungsverhalten“ – eine therapeutische Wir­kung ist nach einer solchen Einnahmezeit nicht mehr zu erwarten. Zu den problemati­schen Arzneimitteln gehören die meisten Präparate, die in den Tabellen 2 und 3 ge­nannt sind (Glaeske u.a. 2008).

Die Arzneimittelabhängigkeit ist weiblich!

Es sind vor allem ältere Menschen und dar­unter als Hauptanteil Frauen, die unter der Arzneimittelabhängigkeit leiden, von der sie alleine nur in den seltensten Fällen loskom­men. Ambulante Entzugsbehandlungen rei­chen meist nicht aus, eine stationäre Thera­pie ist üblicherweise notwendig. Und wer es ambulant versucht, braucht Geduld: Die Mit­tel vom Benzodiazepin­Typ dürfen nie abrupt abgesetzt werden, weil dann Entzugser­scheinungen nicht zu vermeiden sind, sie müssen „ausgeschlichen“ werden: Dabei wird die bisher eingenommene Dosierung langsam verringert – zumeist dauert es die Anzahl an Monaten gemessen an der Einnah­mezeit in Jahren, um ganz von diesen Beru­higungs­ und Schlafmitteln loszukommen.

Dass Frauen diese Mittel besonders häufig verordnet bekommen, hängt vor allem auch mit ihrer sozialen Lage in unserer Gesell­schaft zusammen. Sie sind – so zeigt es auch die Gender­Forschung – für Harmonie und Funktionsfähigkeit der Ehe und Familie ver­

antwortlich, sie fühlen sich insbeson dere im höheren Alter, wenn die Kinder aus dem Haus sind und die Arbeit für den Mann im Le­bensmittelpunkt steht, entwertet („empty­nest­syndrome“), sie leiden unter Unzufrie­denheit und Ängsten, unter Schlaflosigkeit und depressiven Verstimmungen. Arzneimit­tel scheinen sich in solchen Fällen als schnel­le Lösung anzubieten, sie stabilisieren und helfen dabei, auch veränderungsbedürftige Situationen in Familie und Gesellschaft auf­rechtzuerhalten – schlucken und schweigen! Frauen kompensieren ihre Probleme anders als Männer, sie sind in sich gewandt und lei­se. Introvertiert; Männer richten ihre Kom­pensation eher nach außen, werden aggres­siv und laut, extrovertiert. Die Arzneimittel­abhängigkeit ist daher die typisch weibliche Sucht – unauffällig, nach innen gekehrt, leise und dennoch ebenso problematisch wie die Abhängigkeit von Alkohol, die vergleichswei­se typisch bei Männern vorkommt – in nahe­zu der gleichen Häufigkeit!

Nicht nur Sucht, auch Stürze und Brüche!

Es ist aber nicht nur die Abhängigkeit, die äl­tere Menschen besonders belastet. Gerade beim Einsatz von Psychopharmaka im Allge­meinen und Benzodiazepinen (zu denen bei­spielsweise Schlafmittel oder Tranquilizer wie Flurazepam und Diazepam gehören) im Spe­ziellen ist bei älteren Menschen im Vergleich zu jüngeren vermehrt mit unerwünschten Wirkungen zu rechnen (Madhusoodanan u. Bogunovi 2004; Mort u. Aparasu 2002). Im Jahre 1989 berichtete die Arbeitsgruppe um Ray in einer Fall­Kontroll­Studie erstmals von einem erhöhten Risiko für Hüftfrakturen bei Älteren im Zusammenhang mit der Einnah­me von Benzodiazepinen (Ray u.a. 1989). Seitdem wurden weitere Studien publiziert, die ebenfalls für kurz wirksame bzw. für alle Benzodiazepine eine solche Assoziation zei­gen konnten (Herings u.a. 1995; Hoffmann u. Glaeske 2006). Zwei Übersichtsarbeiten legen nahe, dass sowohl für Stürze (Leipzig u.a., 1999) wie auch für Hüftfrakturen (Cumming u. Le Couteur 2003) die Halbwertszeit der Ben­zodiazepine nicht der entscheidende Faktor zu sein scheint. Vielmehr zeigen aktuellere Veröffentlichungen deutliche Hinweise dar­auf, dass gerade zu Beginn einer Behandlungs­

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phase das Frakturrisiko als Folge von Gan­gunsicherheit, Einschränkung der Aufmerk­samkeit und Gangsicherheit erhöht ist (Hoff­mann u. Glaeske 2006; Wagner u.a. 2004).Bei all dem ist der besondere Charakter der Arzneimittel zu berücksichtigen: Arzneimittel werden von Ärztinnen oder Ärzten verschrie­ben, von Apothekerinnen und Apothekern verkauft, es steht also nicht unbedingt die ei­gene Entscheidung für einen Missbrauch dieser Mittel im Vordergrund, sondern ein Missbrauch und eine Abhängigkeitsentwick­lung, die von Experten begleitet wird. Daher ist die Verantwortung dieser Ex perten auch vor allem gefragt, wenn es um die Präventi­on dieser „Sucht auf Rezept und aus der Apotheke“ geht. Denn es sind nicht nur ver­schreibungspflichtige Mittel, die zur Abhän­gigkeit führen können, es sind auch Mittel aus der Gruppe der 630 Mio. verkauften Packungen der Selbstmedikation, die nicht unproblematisch sind: Abschwellende Na­sentropfen können ebenso auf Dauer (nach längerer Anwendung als 5 – 7 Tagen) zur Ge­wöhnung und Missbrauch führen wie alkoholhaltige Stärkungs­ und Grippemittel oder auch koffeinhaltige Schmerzmittel­kombinationen wie Thomapyrin, die mit dem Hinweis auf eine 15 Minuten schnellere Wir­kung beworben werden: Statt 80 Minuten wird 50% des Schmerzes bereits nach 65 Minuten reduziert. Als ob es darauf in der Selbstmedikation ankommt, wenn gleichzei­tig das Risiko einer missbräuchlich häufigen Anwendung solcher Mittel wegen des leicht stimulierenden Koffeins möglich ist: Eine Ri­siko­Nutzen­Bewertung wird deshalb negativ ausfallen!

Information als wirksame Prävention

Die Bundesärztekammer hat 2007 einen Leitfaden für die ärztliche Praxis zum Um­gang mit abhängigkeitsfördernden Arzneimit­teln publiziert, die Apotheker haben im Jahre 2008 für ihren Bereich nachgezogen. Die ehemalige Drogenbeauftragte der Bundesre­gierung, Sabine Bätzing, hatte dieses Thema im Jahre 2008 zum Schwerpunkt gemacht. Dies ist nachdrücklich zu unterstützen, es muss aber auch möglich sein, Verstöße ge­gen eine gute Verschreibungspraxis bei Ärz­ten oder gegen eine gute Beratungspraxis in

Apotheken zu ahnden, einzelne Prozesse, die abhängig gemachte Patientinnen und Pa­tienten gegen ihre Ärzte anstrengen und tat­sächlich auch „Schmerzensgeld wegen ihrer erlittenen seelischen Leiden“ einklagen konnten, sind da nur ein Tropfen auf den hei­ßen Stein. Die für die „Ethik“ verantwortli­chen Kammern der Ärzte und Apotheker sind hier ebenso in der Pflicht wie die für die Ökono mie zuständigen Kassenärztlichen Ver­einigungen und Apothekerverbände. Eine einmalige Publikation von Leitfäden reicht da nicht aus – die Verschreibungs­ und Bera­tungspraxis muss vielmehr kontinuierlich überprüft werden, zum einen durch die Aus­wertung der Rezepte, zum anderen durch Testkäufe in Apotheken (pseudo­customer).Die Auswertung der Rezepte stößt aber mehr und mehr auf Probleme: Der Anteil der privat verordneten Mittel steigt ständig an! Während im Arzneiverordnungs­Report Jahr für Jahr darauf hingewiesen wird, dass z.B. bei den Schlafmitteln das Problem der Ver­ordnung abhängigkeitsinduzierender Arznei­mittel deutlich zurückgeht – angeblich auf­grund wirksamer Informationen ­, zeigt der Packungsverbrauch in Deutschland insge­samt kaum Veränderungen: Die Menge der Packungen, die von der Industrie verkauft und über die Großhandlungen in die Apothe­ken gelangen, ist seit Jahren relativ konstant geblieben. Die Ärztinnen und Ärzte verord­nen solche Mittel offensichtlich schlicht und ergreifend auf Privatrezepten, die Mittel wer­den dann von den Patientinnen und Patien­ten selber bezahlt, die Transparenz über die dauerhafte Verordnung von Arzneimitteln mit Suchtpotenzial wird damit verschleiert.Eine wirksamste Prävention ist letztlich die Vermeidung der „Nebenwirkung“ Abhängig­keit durch die richtige Anwendung von und Empfehlung für Arzneimittel. Fachleute wie Ärzte und Apotheker haben daher eine be­sondere Verantwortung, um die Patienten vor Missbrauch und Abhängigkeit zu schüt­zen, das Angebot solcher Arzneimittel durch pharmazeutische Hersteller erzwingt schließlich noch keine Verordnung und kei­nen Verkauf. Vor allem bei den im Zusam­menhang mit der Abhängigkeitsentwicklung noch immer wichtigsten Gruppe, den Benzo­diazepin­haltigen Mitteln und den Z­Drugs, sollte die 4 K –Regel immer beachtet wer­den:

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– Klare Indikation (das Medikament nur einnehmen, wenn eine medizinische Notwendigkeit be steht)

– Kleinste notwendige Dosis – Kurze Anwendung (maximal 14 Tage) – Kein abruptes Absetzen

Dieser Hinweis sollte in allen Arztpraxen und Apotheken aushängen und in den Beipack­zettel aufgenommen werden, damit Exper­ten und Patientinnen und Patienten die Ge­fährdung durch da Abhängigkeitspotenzial bestimmter Arzneimittel immer vor Augen haben.Autoreninfo und Kontakt:Prof. Dr. Gerd Glaeske ist Co-Leiter der Ab-teilung für Gesundheitsökonomie, Gesund-heitspolitik und Versorgungsforschung am Zentrum für Sozialpolitik (ZeS) der Universi-tät Bremen und war von 2003 bis 2009 Mit-glied im Sachverständigenrat zur Begutach-tung der Entwicklung im Gesundheitswesen.

Kontakt:[email protected]

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Informationsdienst Altersfragen 41 (5), 2014Aus der Altersforschung

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Kurzinformationen aus der Altersforschung

Alkohol­ und Arzneimittel­missbrauch älterer Menschen in stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen

Studie von S. Kuhn u. C. Haasen; Zentrum für Interdisziplinäre Suchtforschung der Uni-versität Hamburg (ZIS)

Mit einer bundesweiten repräsentativen Be­fragung in den ambulanten und vollstationä­ren Altenpflegeeinrichtungen wurde der Anteil von Menschen mit einem problemati­schen Gebrauch von Alkohol und Arzneimit­teln sowie der Umgang mit dieser Gruppe erhoben.Methode: Es wurden 5 000 per Zufall ausge­wählte Einrichtungen mit einem 2­seitigen Fragebogen angeschrieben. Es nahmen 550 Einrichtungen der vollstationären Pflege und 436 Einrichtungen der ambulanten Pflege an der Befragung teil. Der prozentuale Anteil von Menschen mit Suchtproblemen in den Ein­richtungen wurde mit 14 % angegeben. Fast alle Einrichtungen sehen sich in der Pflicht, auf diesen Problembereich zu reagieren, wo­bei nur ein Viertel der Einrichtungen ihr Per­sonal für gut genug ausgebildet hält. Statio­näre Einrichtungen haben zu 38,4 % und am­bulante Einrichtungen zu 26,9 % ein Konzept für den Umgang mit dieser Personengruppe. Der Kontakt zum Suchthilfe system wird sel­ten aufgenommen. Die Prävalenzen für einen Missbrauch von Alkohol und Arzneimitteln ist unter den älteren Pflegebedürftigen im Ver­gleich zur Altersgruppe in der Gesamtbevöl­kerung sehr hoch. Auffallend ist die mangeln­de Vernetzung mit dem Suchthilfesystem.

Quelle: Alkohol- und Arzneimittelmissbrauch älterer Menschen in stationären und ambu-lanten Pflegeeinrichtungen. Gesundheits-wesen 2012; 74:331 – 336, Abstract

Modellprojekt Ältere Drogen­abhängige in Deutschland

Irmgard Vogt, Natalie Eppler, Constance Ohms, Karin Stiehr, Margarita Kaucher

Das Bundesministerium für Gesundheit hat 2009 das Projekt „Ältere Drogenabhängige in Deutschland“ gefördert. Zielsetzung war es aufzuzeigen, welche Ressourcen zur Ver­sorgung von älteren Drogenabhängigen in der Drogenhilfe bzw. in den stationären und ambulanten Bereichen der Altenhilfe vorhan­den sind. Dabei sollte zum einen die Situati­on der Drogenabhängigen selbst (älter als 50 Jahre) zu ihrer Lebenssituation und ihren Vorstellungen zum Leben im Alter unter­sucht werden, zum anderen die vorhande­nen Institutionen für eine adäquate Versor­gung älterer Drogenabhängiger exemplarisch in den Städten Frankfurt/Main und Berlin be­schrieben werden. Insgesamt wurden 50 qualitative Interviews durchgeführt sowie die institutionelle Situation in den beiden Städten recherchiert. Der Abschlussbericht belegt, dass in den beiden untersuchten Städten zwar ein sehr ausdifferenziertes Ver­sorgungsnetz sowohl für den Bereich Sucht­hilfe als auch für den Bereich Altenhilfe exis­tiert, die beiden Bereiche bislang aber noch wenig vernetzt sind. Die Schlussfolgerungen dienen als Anregungen für die Weiterent­wicklung der Suchthilfe und der Altenpflege­hilfe.

Der Abschluss- und Kurzbericht stehen auf den Seiten der Drogenbeauftragten zum Download zur Verfügung.

Quelle: www.drogenbeauftragte.de

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Wohnhilfen für alternde chronifiziert erkrankte Drogen­abhängige – Projekt LÜSA Unna

Anabela Dias de Oliveira

Der Paradigmenwechsel der vergangenen Jahrzehnte hin zu einer akzeptanzorientierten Drogenhilfe und ­politik hat ein breites Spekt­rum von „Harm Reduction“­Ansätzen mög­lich gemacht wie Substitutionsbehandlung, Streetwork, Kontaktcafés, Notschlafstellen, Wohnhilfen, Spritzentauschprojekte, drogen­therapeutische Ambulanzen, Drogenkon­sumräume, Originalstoff­Vergabe. Der inter­nationale Erfolg dieser akzeptierenden 1 niedrigschwelligen Hilfen ist unstrittig und wird insbesondere durch die hohe Absen­kung der drogenbezogenen Todesfälle deut­lich bestätigt. Heute konstatieren weltweit ehemalige Staatspräsidenten und andere Personen des öffentlichen Lebens wie Kofi Annan, als Mitglieder der „Global commissi­on on drugs“, dass „der Krieg gegen Drogen gescheitert ist“ und sich nur gegen Men­schen, die Konsumenten, richtet 2 . Mit einer Petition forderten in diesem Jahr weit über 100 deutsche Staatsrechtler die Bundesre­gierung zur politischen Umkehr auf 3.

In dieser Entwicklung ist auch 1996 die Grün­dung des VFWD e.V. (Verein zur Förderung der Wiedereingliederung Drogenabhängiger) durch leitende Mitarbeiter/­innen verschiede­ner Drogenhilfeeinrichtungen der Region Dortmund zu sehen. Der Trägerverein bean­tragte ein Landesmodellprojekt zur Versor­gung chronisch drogenabhängiger Menschen mit Mehrfachschädigung in der Großregion Dortmund bei dem damaligen Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales in NRW.

Dieses wurde mit großer (fach­)politischer Unterstützung bewilligt und im Herbst 1997 nahm das Projekt LÜSA (Langzeit Über­gangs­ und Stützungs­Angebot) seine Arbeit als stationäre Einrichtung der Wiederein­gliederungshilfe (SBG XII §§53, 54) in Kost­enträgerschaft des überörtlichen Sozial­hilfeträgers Landschaftsverband Westfalen Lippe in Unna auf.

Von Beginn an wurde der Schwerpunkt auf die Weiterentwicklung und Differenzierung der Wohnhilfen und Tagesstruktur­Angebote gelegt.

Zielgruppe

Die LÜSA­Hilfeangebote richten sich an wie­dereingliederungsfähige chronisch mehr­fachschwerstgeschädigte drogenabhängige Menschen beiderlei Geschlechts, die nicht in der Lage sind, selbständig am Leben in der Gemeinschaft teilzunehmen und von den herkömmlichen Drogenhilfeangeboten nicht mehr oder auch noch nicht erreicht werden.

Insbesondere sind dies Menschen, die in den 60­er/70­er Jahren begonnen haben, Drogen zu konsumieren und den Ausstieg aus diesem drogenbezogenen Lebensstil aus vielfältigen Gründen nicht schafften oder/und wollten, die „noch immer dabei“, nach wie vor drogenabhängig sind. Sie konn­ten dank der in den 90­er Jahren nach und nach einsetzenden akzeptanz­orientierten Drogenhilfe überleben und konfrontieren nun das Drogenhilfesystem mit ihrem Alterungs­prozess.

Die seit unserer Eröffnung aufgenommenen 377 Klient/­inn/en (ca. 40 %Frauen) sind aus­schließlich Menschen mit jahrzehntelangen chronifizierten Suchtverläufen insbesondere von illegalisierten Drogen. Mehr als die Hälf­te ist über 45 Jahre alt und mehr als 60% unserer Hilfe­Nutzer/­innen sind seit über 20 Jahren drogenabhängig. Der Großteil der Bewohner/­innen hat schwierige Biographi­en, ist schwer traumatisiert 4, wobei der zunehmend sich chronifizierende Drogen­konsum durchaus als verzweifelter „Selbst­heilungsversuch“ gewertet werden kann. Ein anderer Teil hat in der Adoleszenz u.a. aus jugendlicher Ausprobierlust Drogen kon­

Endnoten:

1 „Auch scheinbar unver­ständliches Drogen­konsumverhalten kann als eine persönliche Ent­scheidung mit einem anderen Wertekonzept akzeptiert werden, als ein Lebensstil selbst wenn man ihn niemals übernehmen wollte.“ (Schuller, K. u.a. 1990, S.15)2 „Diese Politik des Verbietens und Strafens, so steht es in der Profes­soren­Resolution, sei ‚ge­scheitert, sozialschädlich und unökonomisch’. Sie sei erstens schädlich für die Gesellschaft, weil sie die organisierte Krimi­nalität und den Schwarz­markt fördere; und sie sei zweitens schädlich für die Drogenkonsumenten, die in ‚kriminelle Karrieren getrieben’ würden. Der Staat dürfe aber ‚die Bürger durch die Drogen­politik nicht schädigen’“ (Süddeutsche Zeitung 07. 04.2014) Vgl. auch www.globalcommission­ondrugs.org3 www.faz.net/aktuell/feuilleton/legalitaet­als­letzter­aus... 4 Vgl. auch Dirk R. Schwoon u. Michael Kausz (Hrsg.)1994, Psychose und Sucht, Freiburg, S. 133 f.

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sumiert, ist süchtig geworden, hat durch Kriminalisierung, Zwangstherapie und der Konfrontation mit „totalen Institutionen“ (Gefängnis, Psychiatrie) zunehmend Stigma­tisierungs­, Ausgrenzungs­ und Randständig­keitserfahrungen gemacht, die entscheidend zur Chronifizierung beigetragen haben. Bei der Gesundheitssituation (nahezu 100% sind HCV und 25% HIV positiv, über 20% ha­ben schwere Erkrankungen der Leber, der Lunge, u.a. Krebs, bzw. Diabetes, 50% lei­den unter einer schweren Angststörung und 75% unter schweren Depressionen) und bei der Problemkomplexität unserer Zielgruppe ist Abstinenz zumeist keine realistische Ziel­setzung. Überlebenssicherung, die Verhinderung von Verschlimmerung, die gesundheitliche, juris­tische und soziale Stabilisierung, die Zufüh­rung zu medizinischer Behandlung (insbe­sondere die Verbesserung der Behandlungs­Compliance) und die Vermittlung von Wissen über Risiko­Minimierung, stehen deshalb im Projekt LÜSA im Vordergrund. Darüber hinaus ist das (Wieder­)Erlernen von sozialverträglicherem Verhalten sich und anderen gegenüber ein wesentlicher Arbeits­schwerpunkt und kann nur durch Eigenmoti­vation gelingen. Rückfälle in alte Verhaltens­ und Konsummuster sowie andere Rück­schritte, aber auch Scheitern, sind normale Bestandteile des Veränderungsprozesses. Druck und Zwang verursachen u. E. nur un­produktiven Widerstand, deshalb lehnen wir eine Anerkennung nach § 35 f. BtMG (Strafvollzugsaussetzung zugunsten einer Therapie, „Therapie statt Strafe“) ab. Aus unserer Sicht ist es unabdingbar wichtig, die Perspektive der Klient/­inn/en einzuneh­men, sie zu verstehen, und nicht nur zu ‚dia­gnostizieren’. Hier entsteht jüngst endlich eine positive Entwicklung, zunehmend wer­den alternative Sichtweisen 5 , sowie die Kompetenz von Selbsthilfe 6 beachtet. Die „Lebenswelt Drogenszene“ stellt – bei allen Belastungen – auch eine gewisse innere Ko­härenz her, hat etwas Gemeinschaftsstiften­des. Das Verschwinden der Drogenszenen heute hat zunehmend auch negative Auswir­kungen: Isolation, Vereinsamung, Verlust von Sub­Kulturwissen, massiver Alkoholkonsum sind u.a. die Folgen, die es den Menschen schwerer machen, aus der Sucht heraus zu finden.

Wohnhilfen

Die LÜSA­Hilfeangebote stehen insbesonde­re Menschen aus NRW, Westliches Westfa­len – Großraum Dortmund, zur Verfügung; derzeit werden insgesamt 36 stationäre Plät­ze in verschieden konzipierten stationären Wohnhilfen vorgehalten, der Regelaufenthalt beträgt 2 Jahre (jedoch bleiben über 22% länger als 8 Jahre), sowie eine differenzierte Tagesstruktur und „Ambulant Betreutes Wohnen“ .

HaupthausDas Haupthaus ist gleichzeitig Vereinssitz und zentrale Anlaufstelle und bietet seit 1997 in einer großen, denkmalgeschützten Jugendstilvilla auf 3 Etagen 19 Wohn­Plätze, die meisten als Einzelzimmer. Die verkehrs­günstige Lage in direkter Nachbarschaft zur Fußgängerzone ermöglicht eine gute Einbin­dung in den „sozialen Raum Stadt Unna“. Am selben Standort und mit der gleichen konzeptionellen Verortung befindet sich seit 2008 auch das europaweit modellhafte barri­erefreie/behindertengerechte Wohnangebot für 5 mehrfach schwerstgeschädigte chroni­sche drogenabhängige Menschen mit Kör­perbehinderung. Diese Zielgruppe hat viel­fach über drogenbezogene Unfälle bzw. als Folge­Erkrankung des o. g. ruinösen Drogen­konsums (Venenerkrankungen, Polyneuro­pathie, Überdosierungsfolgen etc.) Verstei­fungen und Amputationen insbesondere der Beine zu verkraften.

AußenwohngruppeFür die Teilzielgruppe, die trotz schwieriger Ausgangslage die Hilfeangebote nutzt und auf gesunde Ressourcen rückgreifen, sich stabilisieren und Veränderungsprozesse sta­bil umsetzen kann, bieten wir (fußläufig zum Haupthaus) eine Außen­Wohngruppe mit 4 stationären Plätzen an. Die Arbeit mit diesen Klient/­inn/en konzentriert sich auf die Ablö­sung, das Herauswachsen aus dem stationä­ren Rahmen ggf. mit Überleitung in das Hilfe­angebot „Ambulant Betreutes Wohnen“.

Stationäres dezentrales Einzelwohnen (SEWO)Ein Teil unserer Bewohner/­innen (häufig Menschen mit psychotischen Störungen) hat große Schwierigkeiten, sich mit anderen

5 Vgl. Akzept e.V., Deut­che Aids­Hilfe et al. (Hrsg) 2014, Alternativer Sucht­ und Drogenbericht .6 Vgl. JES Bundesver­band e.V. (Hrsg.) 2014: „Meine Behandlung – Meine Wahl“

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Menschen (besonders in größeren Gruppen) zurecht zu finden, benötigt jedoch gleichzei­tig verbindliche Betreuungs­Strukturen: Sie haben aufgrund ihrer vielfältigen Störungen einen überdurchschnittlich hohen Hilfebe­darf und benötigen Ruhe und ausreichend geschützten Rückzugsraum.

Ambulant Betreutes WohnenDas Angebot des Ambulant Betreuten Woh­nens zielt auf chronisch drogenabhängige Menschen mit Mehrfachschädigungen, die das Projekt LÜSA durchlaufen haben, sowie drogenabhängige Menschen aus dem Kreis Unna, die vorübergehend oder für längere Zeit nicht selbständig ohne professionelle Hilfen leben können. Diese Menschen haben bereits Entwicklungsschritte geleistet und eine Stabilisierung (auch bezüglich ihres Bei­gebrauchs) erreicht. Aufgrund der Komplexi­tät der Gesamtstörung benötigen sie jedoch weiterhin einen verlässlichen Betreuungs­rahmen, um die erreichte Stabilisierung hal­ten zu können.

Damit eine adäquate Weiterführung der me­dizinischen Versorgung, sowie eine fortlau­fende Schulung des Teams, möglich sind, wird LÜSA von verschiedenen (Fach­)Ärzten begleitet. Die verordneten Substitutions­mittel und Medikamente werden durch Apotheken geliefert und von den LÜSA­Mit­arbeiter/­inne/n, die entsprechend geschult wurden, im Auftrag des Arztes täglich in der Einrichtung gestellt und vergeben.

Dienstleistungen der Einrichtung

Wir bieten „Nischen zum Leben und Arbei­ten“, Möglichkeiten zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft. Der in allen LÜSA­Hilfe­angeboten angewandte lösungsorientierte Arbeits­Ansatz basiert als „Hilfe zur Selbst­hilfe“ auf vier Säulen:

Ein Zuhause welches sicher, empathisch, unterstützend, warm, angenehm, mit wohlwollenden Men­schen, gestaltet ist. Für uns ein Menschen­recht! Wir fordern von unseren Bewohner/­inne/n Beteiligung, Verantwortung und sozial verträgliches Verhalten.

Behandlung Ein wesentliches Basis­Angebot ist das Vor­halten einer Substitutionsbehandlung und fortlaufende medizinische Begleitung durch einen Hausarzt und einen Psychiater. Darü­ber hinaus pflegen wir die Kooperation mit Anbietern von Qualifizierter Entzugsbehand­lung, Ergotherapiepraxen, Ambulanten Pfle­gediensten, sog. „Wundmanagern“, Hospi­zen. Neben den unterschiedlichen externen Hilfen, die vielfach auch ins Haus kommen, sind eigene Angebote aus den Bereichen Er­gotherapie, Snoozle und Entspannungspäda­gogik konzeptioneller Bestandteil. Lern­An­sätze zur Risiko­Minimierung und Beige­brauchsminimierungstrainings (insbesonde­re in Kooperation mit der örtlichen AIDS­Hilfe oder im Rahmen der Selbsthilfe­Förderung über peers vermittelt), gehören dazu (das LÜSA­Team ist in „KISS“ – Kontrolle im selbstbestimmten Substanzkonsum 7, und „PEGPAK“ 8 geschult).

Betreuung Wir orientieren auf die Gegenwart und stär­ken die Selbstbestimmung unserer Klient/­inn/en. Deshalb arbeiten wir lösungsorien­tiert statt problemfokussierend. Themenbezogene Gruppen, Konflikt­ und Or­ganisationsgruppen, Klein­ und Großgrup­pen, medizinische, juristische und soziale Beratung sind Kernarbeitsbereiche. Eine konstante und kontinuierliche Einzelbetreu­ung sowie eine verlässliche 24­Stunden­Prä­senz, die auch in der Nacht vertraute Ge­sprächspartner bietet, sind weitere wesentli­che Betreuungsschwerpunkte. Im Einzellfall begleiten wir auch sterbende Klient/­inn/en bis zum Tod, sofern im Hause realisierbar.

Tagesstruktur/Beschäftigung Neben dem Selbstversorgungsansatz stellen Alltagstraining und die Beschäftigungsberei­che Druck­, Holz­, Fahrrad­ und Kreativwerk­statt, der Verkaufsbereich mit dem Second­hand­Laden „LÜ­La“, dem Antikladen, der Versorgungsbereich mit Garten­, Renovie­rungs­, Hauswirtschaftstätigkeiten sowie die differenzierten Freizeitangebote in unserer Arbeit einen großen Wert dar.Die Tagesstruktur, die Beschäftigungsange­bote, der Selbstversorgungsansatz, das All­tagstraining sowie die pädagogisch orientier­ten Einzel­ und Gruppengespräche sollen die

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7 S. Franz Trautmann und Cas Barendregt, Europäi­sches Peer­Support Hand­buch, NIAD­Project ‚Aids en Druggebruik’, Utrecht/NL 1994, www.kiss­hei­delberg.de/kiss­heidel­berg/de/2/0/programm/kiss.aspx8 Theo Wessel, Heinz Westermann, Problemati­scher Alkoholkonsum. Das psychoedukative Schulungsprogramm PEGPAK, in: Suchtthera­pie: Prävention, Behand­lung, wissenschaftliche Grundlagen, Jg. 3 (2002), H. 2, S. 97 – 102

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Menschen auf die Entlassung in selbständi­ges Wohnen vorbereiten – das große Ziel der meisten LÜSA­Klient/­inn/en. Dieses Ziel können unsere Klient/­inn/en nur erreichen, wenn sie (wieder) lernen, selbstbestimmt Verantwortung zu übernehmen.Wir leiten die Bewohner/­innen bei den Din­gen an, die sie nicht mehr bzw. noch nicht können, wir arbeiten mit ihnen zusammen, aber wir übernehmen die Alltagsbewältigung nicht für sie: Auch deshalb hat der von uns oben bereits beschriebene Selbstversor­gungsansatz einen zentralen Stellenwert. Ziel ist es, Grundlagen zu schaffen für eine Erholung und eine eigenständige Lebensbe­wältigung, zunächst innerhalb des stark ge­schützten Rahmens der Einrichtung. Ohne den zeitstabilen Aufbau von Motivation, Hoffnung, Vertrauen, Mut und Perspektive wird die weitere Entwicklung kaum gelingen können. Auf diesem Hintergrund investieren wir in den ersten Monaten bewusst in Halte­kraft – für uns ist sie Qualitätsmerkmal.

Kooperation und Gemeinwesen – wir nehmen das Miteinander wichtig

Der VFWD e.V. ist korporatives Mitglied der AWO Westliches Westfalen. Darüber hinaus sind wir Mitglied in verschiedenen Fachver­bänden auf Bundes­ und Landesebene (wie Akzept Bundesverband e.V., u.a. relevante Verbände, AGs).Wir arbeiten mit allen Einrichtungen des so­zialen und medizinischen Hilfessystems, des Arbeitsmarktes, aber auch vieler weiterer Angebote wie z. B. Vereinen und Einzelper­sonen zusammen, die für die Betreuung der Bewohner/­innen hilfreich sind. LÜSA hat die Gründung der „Tafel“ in Unna unterstützt, wirkt mit im „Runden Tisch ge­gen Gewalt und Rassismus“ und an dem jährlichen interkulturellen Fest „bUNt“ des Integrationsrates der Stadt Unna.Wir erwarten von den Bewohner/­inne/n Re­spekt und einen demokratisch­toleranten Umgang untereinander und mit anderen Bürger/­inne/n.Wir konfrontieren unsere Klient/­inn/en auch mit (bürgerschaftlichem) Engagement und gesellschaftspolitischen Hintergründen, die für sie als Bürger/­innen relevant sind (Wah­len, Demonstrationen u.a.) kurz, wir beach­

ten Bürgerrechte und ­pflichten und versu­chen, einen Blick für die Welt um sie herum und weiter weg zu schaffen und zu schärfen.

Es ist uns wichtig, auch mit den Beschäfti­gungsangeboten Gemeinwesenbestandteil zu sein, und Bürger/­inne/n, insbesondere denen mit geringem Einkommen, bezahlbare Produkte und Dienstleistungen anzubieten. Darüber hinaus schätzen wir die damit ver­bundene positive Außendarstellung: Wenn die Bürger/­innen des Gemeinwesens Unna drogenabhängige Bürger/­innen mit Fähigkei­ten und Ressourcen verbinden, ist das ein aktiver Beitrag gegen die gängige Stigmati­sierung und Isolierung. Unser Selbstver­ständnis als Gemeinwesenbestandteil kann wie folgt knapp zusammengefasst werden: Partizipation zu fordern und zu fördern, unse­ren Klient/­inn/en, da, wo ihre Stimme nicht gehört wird, eine parteiische Lobby zu sein.

Das LÜSA-Team

Neben Sozialarbeiter/inne/n wird das Team ergänzt durch interdisziplinäre Qualifikatio­nen wie: Heil­, Erziehungs­, und Gesundheitspfleger/­innen, „Ex­User/­in­nen“, Heil­, und Diplompädagog/­inn/en, Ergotherapeut/­inn/en, Hauswirtschafter/­inne/n, Verwaltungsangestellten, sowie den handwerklichen Anleiter/­inne/n in den Ta­gesstrukturangeboten. Sie bilden eine breite und vielschichtige Sicht auf die Problemkom­plexität der Projekt­Nutzer/innen und ihre Lö­sungswege.Wir sind multikulturell und familienfreund­lich, bieten mit Überzeugung Teilzeitstellen auch auf Leitungsebene, nehmen unseren Ausbildungsauftrag ernst und beschäftigen junge Menschen (Freiwilliges Soziales Jahr, Praktikum, Hospitation), sind Ergotherapie­Prüfeinrichtung, als Ausbildungsbetrieb bei der IHK anerkannt und bieten durch die Ar­beitsagentur geförderte Arbeitsplätze an.

Umgang mit Tod und Sterben

Die Mehrheit unserer Bewohner/innen kämpft gegen vielfältige oft schwere somati­sche Erkrankungen, so dass wir immer wie­der mit Sterben und Tod konfrontiert sind.

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Aus der Altersforschung

Aus Politik und Praxis der Altenhilfe

Aus dem DZA

Aus Politik und Praxis der Altenhilfe

Zu unserem Verständnis von „Sterben in Würde“ gehört deshalb, dass sie auf ihrem letzten Weg nicht „abgeschoben“ werden in anonymes Sterben, sondern dass wir, Mit­arbeiter/ ­innen wie ihre Mitbewohner/­innen, sie begleiten, trösten, unterstützen, nicht allein lassen, im Krankenhaus, im Hospiz und im Einzelfall auch in ihrem Zuhause – bei LÜSA. In solchen Phasen werden die ande­ren Klient/­inn/en stark gefordert und oft grenzwertig belastet, sehen sie doch in dem Sterben ihres Mitbewohners nicht nur das schmerzliche Abschiednehmen, sondern auch sich selber, ihre stark geschädigte Ge­sundheit, ihr eigenes Sterben. Es ist dann in­tensive Einzelbetreuung notwendig, es sind dies Phasen besonders intensiver Auseinan­dersetzung mit der eigenen Zukunft, die Sterben und Tod immer mit einschließt. Es sind belastende – aber auch nahe (Betreu­ungs­)Momente: Gerade hier wird unsere Rolle als „professioneller Familienersatz“ sehr deutlich. Wir richten meist die Trauerfei­er aus und werden seit vielen Jahren dabei eng unterstützt von einem Pastor und einem örtlichen Bestatter, so dass die Trauerfeiern schön und individuell sind. Soweit ge­wünscht werden Mitbewohner/­innen oder/und Freunde aus der Drogenszene und Verwandte in die Gestaltung (Auswahl von Musik­, Blumenschmuck, Trauerschleifen­text, Trauer­Rede) einbezogen.Wir nehmen von den Verstorbenen in einer gemeinsamen Trauerfeier Abschied, veröf­fentlichen eine individuelle Trauerannonce in der Tageszeitung (jedoch immer mit dem Zu­satz: „wider das anonyme Sterben drogen­abhängiger Menschen“). Wir bewahren das Gedenken an die Gegangenen durch Ge­denktafeln an einem Ort unseres Gartens und beteiligen uns seit vielen Jahren mit öffentlichen Aktionen und Gedenkfeiern an dem jährlichen „Nationalen Gedenktag für verstorbene Drogenabhängige – den 21. Juli“: Traditionell läuten die örtlichen Kirchen die Glocken für uns, wir essen an einer schön gedeckten Tafel mit unseren Klient/­inn/en und Gästen aus der Bürgerschaft, Politik und Verwaltung und pflanzen zum Abschluss in unserem Garten ein Gedenkbäumchen.

Künftige Planungen: Die Dauerwohn-einrichtung

Lange Zeit waren alt werdende Drogenab­hängige nur schwer vorstellbar, aber durch die Substitutions­ und damit einhergehende medizinische Versorgung erreichen immer mehr Junkies das Rentenalter. Viele Drogen­abhängige weisen eine Voralterung von rund 15 Jahren auf. Alternde schwer somatisch erkrankte drogenabhängige mit deutlich ein­geschränkter Lebenserwartung, oder/und Drogenabhängige mit besonders hoher Ent­wurzelung und weitgehendem Verlust der Steuerungsfähigkeit, die als chronisch behin­dert gesehen werden müssen und nicht mehr in der Lage sind bzw. sein werden, selbständig und ohne Betreuung zu leben, stellen die wachsende Teilgruppe dar, die zwar dank niedrigschwelliger Drogenhilfe überlebt hat, jedoch aufgrund ihrer ausge­prägten vielfältigen Schädigungen auch lang­fristig nicht in der Lage sein wird, selbstän­dig zu leben.

Eine dauerhafte Versorgung für diesen Per­sonenkreis gibt es bislang nicht. Es ist schwer, diese Klienten an konventionelle Al­tenheime zu vermitteln, die Berührungs­ängste gegenüber den Drogenabhängigen haben. Chronisch Drogenabhängige brau­chen Methadon, auch im Alter, aber die Me­thadonvergabe wird vom Pflegepersonal in regulären Einrichtungen gefürchtet. Dane­ben gibt es auch die Angst, die Drogenszene in das eigene Umfeld zu holen. Aus diesen Gründen entstand die Idee einer Dauer­wohneinrichtung für alternde Drogenabhän­gige. Sie sollten dort ihre letzten Jahre ver­bringen und in Würde sterben können.

Die Frage der Kostenträger war kompliziert: Schnittstellenprobleme und die Zuständig­keits­Abstimmung zwischen Renten­, Kran­ken­ und Pflegeversicherer und dem LWL als überörtlichen Sozialhilfeträger langwierig. Letztlich haben die Besonderheit, die Prob­lemkomplexität und die mangelnde Teilhabe dieser Zielgruppe für eine Verortung in der Behindertenhilfe gesprochen und die neue Dauerwohn­Einrichtung wird deshalb im Rahmen einer Ausweitung der vorhandenen Plätze und ebenfalls mit einer pauschalierten Pflegesatzfinanzierung (pro Tag/pro Kopf)

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Aus Politik und Praxis der Altenhilfe

Aus dem DZA

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umgesetzt: Wiedereingliederung im Rahmen des SGB XII §53, 54 ist nicht nur definiert als eine gelingende Wiedereingliederung i.S. der Erreichung einer „selbst­ und eigenständigen Lebensführung in der Gemeinschaft“, son­dern greift auch für lebenslange bzw. chroni­sche Behinderungen im Sinne einer Den­noch­Teilhabe am Leben in der Gemein­schaft. Das Projekt LÜSA hat zur Versorgung der hier beschriebenen Zielgruppe ein Konzept für eine Dauerwohneinrichtung, angelehnt an die Konzepte moderner „Senioren­Residen­zen“ entwickelt. Der konzeptionelle Ansatz soll dem Bedürfnis der Betroffenen nach selbstbestimmtem/selbständigem Leben auf der einen Seite und ihrem Bedürfnis nach Befriedigung ihres objektiven Hilfe­Bedarfes soweit wie möglich entsprechen. Diese Wohnhilfe wird in Unna am Stadtrand ländlich gelegen sein, Ruhe, einen großen Garten, Barrierefreiheit und Weitläufigkeit in den Einzelzimmern und Gemeinschaftsräumen bieten. Zum Standard des Hilfsangebotes wird, wie in den anderen LÜSA­Wohnhilfen, die Substi­tutionsbehandlung (ggf. in einiger Zeit auch als Originalstoffvergabe mit Diamorphin) ge­hören. Neben den gesundheitsstabilisieren­den und lebenserhaltenden Aspekten für die Betroffenen schafft diese die Grundlage für Compliance, um weitergehende Behandlung sicher zu stellen. Darüber hinaus stellt sie ei­nen wichtigen Schutz gegenüber dem Über­handnehmen von Szeneverhalten in ihrem Wohn­Nahfeld dar. Das Projekt betritt Neuland, befasst sich mit den „Schmuddelkindern“ der Süchtigen und in ersten Diskussionen wurde schnell der Be­griff des „Altenheims für kranke Drogenab­hängige“ geprägt. Tatsächlich bietet es eine Reihe von Ähnlichkeiten zum immer belieb­ter werdenden Seniorenwohnen, wenngleich das tatsächliche Lebensalter (ab ca. 45 Jah­ren) nicht dem in „normalen Seniorenhei­men“ entsprechen wird.Auch alle weiteren bestimmenden Kriterien für die Gestaltung von Alltag und Zusammen­leben unterscheiden sich und sind hier stark vom Leben in der Subkultur geprägt:

– Illegalität, Kriminalisierung, Stigmatisierung, – Prostitution & Beschaffungskriminalität, – Psychiatrie & Knasterfahrung,

– andere Sprache, – anderer Humor, – andere Rauscherfahrung, – andere Kleidung, – andere Musik, – andere Lautstärke, – anderer Wohnstil­, und Raumbedarf, – andere Fähigkeiten, Unzulänglichkeiten, Hilfebedarfe und andere Gewohnheiten.

So groß die Unterschiede sind, das Bedürf­nis, in Würde zu leben und alt zu werden in einer gewohnten und vertrauten Umgebung, unterscheidet sich jedoch nicht. Die zukünfti­gen „DAWO“­Bewohner/­innen können er­warten:

– eine empathische (sub­)kultur­sensible Be­gleitung,

– eine Substitutionsbehandlung und kritische (Bei­)Gebrauchs­Begleitung,

– eine medizinische Behandlung und Medika­tion (somatisch, psychiatrisch, ergothera­peutisch),

– (Beziehungs­)Konstanz & Sicherheit und 24h­Präsenz,

– eine angenehme Umgebung mit (teil­)selbstbestimmten (Lebens­)Räumen,

– Akzeptanz für „Basis­Konsum“, – eine lebendige Gemeinschaft, – Tagesstruktur (hier gemeint als individuelle Möglichkeit zur sinnvollen Füllung des Tages),

– einen eigenen Platz und eigene Aufgaben, „Gebrauchtwerden“, und die hohe Sicher­heit, „Zuhause bleiben zu können“ auch bis zum Tod.

Unsere Haltung „Keinen verderben zu las­sen, auch nicht sich selber – Jeden mit Glück zu erfüllen, auch sich, das ist gut“ 9 ist uns seit Eröffnung Orientierung im kollegialen Umgang wie in der Arbeit mit unseren Bewohner/­inne/n. Die Orientierung am Hilfe­bedarf des Einzelfalls erfordert einen hohen Anpassungsbedarf (das Bemühen um einen Ausgleich ist häufig prägendes Merkmal des LÜSA­Alltages), anstrengend und lohnend zugleich.Das interdisziplinäre LÜSA­Team wird auch in der „Dauerwohneinrichtung“ durch bewuss­tes Investieren in arbeitnehmerfreundliche Rahmenbedingungen und verschiedene pro­fessionelle Methoden, Supervison, Schulun­

9 Berthold Brecht, aus: Der gute Mensch von Se­zuan, GW Bd. 4, S. 1553, Ffm. 1967

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gen, Fortbildungen, gestützt – wir bleiben „achtsam“.

Fallbeispiel

Herr W., 59 Jahre, seit 37 Jahren polytoxiko­mane Abhängigkeit vom Opiattyp, seit 20 Jahren Medikamentenabhängigkeit, etliche Therapieversuche, mehrere Psychiatrieauf­enthalte, ca. 40 Entgiftungen/Beigebrauchs­entgiftungen, seit 18 Jahren in Substitutions­behandlung, seit 15 Jahren bei LÜSA.

Derzeitige medizinische Situation:Herr W. ist in Folge seiner vielfältigern Er­krankungen dauerhaft schwerbehindert (75%): hirnorganisches Psychosyndrom (HOPS), Chronische Hepatitis C, zerebrales Krampfleiden, schwere Depressionen, Sozi­alphobie­Syndrom.Er lebt seit über 20 Jahren ohne Unterbre­chung in Einrichtungen des Hilfesystems, hat keine Freundschaften außerhalb der Dro­genszene und keine Angehörigen. Insbesondere in Folge des langjährigen Me­dikamentenmissbrauchs hat Herr W. Hirn­schädigungen davongetragen. Die ergothera­peutische Tagesstruktur ist für ihn eine wichtige Orientierung, jedoch ist er den An­forderungsbelastungen des Beschäftigungs­angebotes häufiger nicht gewachsen, da seine Konzentrationsfähigkeit nur für kurze Zeiträume erhalten bleibt. Das Beschäfti­gungsangebot hat für ihn sicher eher einen „Beschäftigungstherapie“­Charakter. Im Laufe seines LÜSA­Aufenthaltes hat sich seine Gesamtsituation medizinisch, sozial, juristisch stabilisiert, jedoch ist er auch lang­fristig zu krank und psychisch gestört, um selbständig wohnen zu können. Obwohl Herr W. selbst für die LÜSA­Zielgruppe eine un­gewöhnlich lange Drogenkarriere hat, stellen die körperlichen Erkrankungen nicht das Hauptproblem dar, sondern die geistig­ psychische Beeinträchtigung in Verbindung mit seinem Alter.Seine Entwicklungsressourcen sind, auf dem Hintergrund seines Krankheitsverlaufes, nahezu erschöpft, den derzeitigen Stand ohne große Krisenverläufe zu halten ist die fach liche Zielsetzung – und ihm die Sicher­heit zu bieten, dass er im Alter nicht allein ist.

Herr W. steht beispielhaft für den Teil unse­rer Bewohner/­innen, für den unsere Betreu­ung bedeutet, Ihnen einen „professionellen Familien­Ersatz“, ein Zuhause zu bieten, da zu sein, sie zu begleiten, Ihnen eine ange­nehme letzte Lebensphase und würdiges Sterben zu ermöglichen.

Schlussbemerkung

In den vergangenen Jahren haben über 377 Menschen bei LÜSA gelebt, gelacht, ge­weint, den Alltag gemeistert, ihren Beitrag zur Gemeinschaft geleistet, gerungen um eine Verbesserung ihrer Lebenssituation. Viele konnten wir unterstützen bei dem Auf­bau einer selbstbestimmten Wohnperspekti­ve, einige sind in ihrem „Zuhause“, wie wir denken und hoffen, gut von uns begleitet, würdevoll verstorben. Diesen Ansatz und die dahinterliegende Haltung werden wir in die Dauerwohneinrichtung mitnehmen. Autoreninfo und Kontakt:Anabela Dias de Oliveira, Diplom-Sozialar-beiterin, ist die Geschäftsführerin des VFWD e.V. und Leiterin des Projekts LÜSA

Kontakt: [email protected]

Literatur:

Akzept e.V., Deutsche AIDS­Hilfe, JES Bundesverband (Hrsg.) (2014) : Alternativer Sucht­ und Drogenbericht. PDF über www.akzept.org

Brecht, B. (1967): Der gute Mensch von Sezuan, Gesammelte Werke Bd. 4, Ffm: Suhrkamp

JES (Junkies Ex­User Substituierte) (Hrsg.) (2013): „Meine Behandlung – meine Wahl“ www.meinebehandlungmeinewahl.eu

Schuller, K., Stöver, H. (1990): Akzeptierende Drogen­arbeit, Freiburg: Lambertus

Schwoon, D. R., Kausz, M. (Hrsg.) (1994): Psychose und Sucht. Freiburg: Lambertus

Trautmann, F., Barendregt, C. (1994): Europäisches Peer­Support Handbuch, NIAD Project‚ Aids en Druggebruik’ Utrecht/Trimbos­Institut

Wessel, Theo und Heinz Westermann (2002): Problema­tischer Alkoholkonsum – Das psychoedukative Schulungsprogramm PEGPAK, in: Suchttherapie: Prävention, Behandlung, wissenschaftliche Grund­lagen, Jg. 3, H. 2

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Aus Politik und Praxis der Altenhilfe

Aus dem DZA

Aus Politik und Praxis der Altenhilfe

Projekt Suchtsensible Pflege­beratung

Missbrauch und Abhängigkeit von Medika­menten, aber auch von Alkohol, sind bei Menschen über 60 Jahren keine Seltenheit. Laut einer Studie im Auftrag des Bundes­ministeriums für Gesundheit schätzen Pfle­gekräfte, dass derzeit ca. 14 % der Men­schen, die von ambulanten Pflegediensten und in stationären Einrichtungen betreut werden, Alkohol­ oder Medikamentenproble­me haben. Um dieser Problematik etwas entgegen zu setzen, haben die AOK Nordost und die Fachstelle für Suchtprävention Berlin das Gemeinschaftsprojekt „Suchtsensible Pflegeberatung“ ins Leben gerufen. Das Pro­jekt ist deutschlandweit einmalig und starte­te Januar 2014 in Berlin mit einer ersten ein­tägigen Schulung für Beraterinnen und Bera­ter aus den Pflegestützpunkten. Suchtsen­sible Pflegeberatung wird zunächst in den Berliner Pflegestützpunkten, ab Herbst 2014 in Mecklenburg­Vorpommern und ab 2015 in Brandenburg angeboten. Als Beratungsstellen für Pflegebedürftige und ihre Angehörigen sind die Pflegestütz­punkte wesentliche Anlaufpunkte, um im Pflegealltag zu unterstützen. Das Thema Sucht wird in den Beratungen immer häufi­ger angesprochen. Sie entsteht insbesonde­re durch die jahrelange selbstverständliche Einnahme von Schmerzmedikamenten und Schlafmitteln. Die Folge davon sind häufig auch Stürze. Um dafür weiter zu sensibilisie­ren und damit die Beratungsmöglichkeiten in den Pflegestützpunkten zu professionalisie­ren, wurde das Konzept zur suchtsensiblen Pflegeberatung gemeinsam mit der Fachstel­le für Suchtprävention Berlin entwickelt. …

Quelle: Presseinformation vom 25.02.2014

Sucht im Alter – Altenpfleger können helfen

Medikamente, Alkohol und Tabak sind unter alten Menschen in Deutschland weit verbrei­tet. Vor allem der Gebrauch von Medikamen­ten ist bei der Generation 60 plus oft proble­matisch. Häufig passiert dies in Alten­ und Pflegeheimen, in denen bis zu einem Viertel der über 70­Jährigen von Psychopharmaka abhängig sein soll. Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen bietet gemeinsam mit der BARMER GEK jetzt verstärkt Pflegekräften und Pflegedienstleitungen in den stationären Einrichtungen und der ambulanten Pflege Unterstützung beim Thema „Sucht im Alter“ an. Pflegerinnen und Pflegern kommt eine Schlüsselrolle zu im Kampf gegen Sucht im Alter. Sie können oft als Erste Veränderungen und gesundheitliche Probleme erkennen. Den alten Menschen aus ihrer Sucht zu hel­fen lohne sich zu jedem Zeitpunkt und sei im­mer dann am erfolgreichsten, wenn Pflegen­de, Ärzte und Angehörige gemeinsam aktiv werden. Diese könnten oft beseitigt werden, zum Beispiel wenn in Absprache mit den be­handelnden Ärzten Medikationen verändert werden. Einen Einstieg in das Thema bietet die Broschüre „Medikamente, Alkohol, Ta­bak: Informationen für die Altenpflege“. Sie widmet sich vor allem dem Medikamenten­ und Alkoholmissbrauch, streift aber auch die Tabakabhängigkeit. Sie wendet sich sowohl an Pflege­ und Einrichtungsleitungen wie an alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der ambulanten und stationären Altenpflege. Kurzgefasste wissenschaftliche Informatio­nen werden durch Erfahrungen ausgewiese­ner Praktiker und Handlungsempfehlungen ergänzt. Die Broschüre kann kostenlos unter [email protected] oder in allen Geschäftsstellen der BARMER GEK angefordert werden.

Weitere Informationen gibt es unter www.unabhaengig-im-alter.de

Kurzinformationen aus Politik und Praxis der Altenhilfe

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Aus der Altersforschung

Aus Politik und Praxis der Altenhilfe

Aus dem DZA

Aus dem DZA

Aus Politik und Praxis der Altenhilfe

Das Forschungsdatenzentrum des DZA (FDZ­DZA)

Das FDZ­DZA ist eine vom Rat für Sozial­ und Wirtschaftsdaten akkreditierte Einrichtung des Deutschen Zentrums für Altersfragen. Seine Hauptaufgabe ist es, die Daten des Deutschen Alterssurveys (DEAS) und des Deutschen Freiwilligensurveys (FWS) analysefreundlich und dokumentiert der wissenschaftlichen Forschung zugäng­lich zu machen sowie Interessenten und Nutzer zu beraten. Die Mikrodaten des Deut­schen Alterssurveys (DEAS) und des Deutschen Frei willigensurveys (FWS) stehen der wissenschaftlichen Forschung für nicht­gewerbliche Zwecke kostenfrei zur Verfügung. Das Forschungsdatenzentrum DZA gibt Wissenschaftlerinnen und Wissen­schaftlern Zugang zu den im Rahmen des Alterssurveys und des Freiwilligensurveys erhobenen Informationen und berät sie bei deren Verwendung. Die anonymisierten DEAS­ und FWS­Datensätze aller abge­schlossenen Befragungswellen und die Do­kumentationsmaterialien sind kostenlos über das FDZ­DZA erhältlich. Voraussetzung für den Datenzugang ist der Abschluss eines Nutzungsvertrages.

Der Deutsche Alterssurvey (DEAS) ist eine vom Bundesministerium für Familie, Senio­ren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) geförder­te Langzeitstudie des DZA zum Wandel der Lebenssituationen und Alternsverläufe von Menschen in der zweiten Lebenshälfte. Grundlage sind bundesweit repräsentative Befragungen im Quer­ und Längsschnitt von jeweils mehreren tausend Teilnehmern im Alter ab 40 Jahren. Die letzte Erhebung fand im Jahr 2011 statt.

Derzeit liegen Ergebnisse aus den ersten vier Erhebungswellen (1996, 2002, 2008, 2011) vor, über das FDZ­DZA sind für die vier abgeschlossenen Erhebungswellen Daten verfügbar.

Der Deutsche Freiwilligensurvey (FWS) ist eine repräsentative Befragung zum freiwilli­gen Engagement in Deutschland, die sich an Personen ab 14 Jahren richtet. Freiwillige Tä­tigkeiten und die Bereitschaft zum Engage­ment werden in telefonischen Interviews er­hoben und können nach Bevölkerungsgrup­pen und Landesteilen dargestellt werden. Außerdem können die Engagierten und Per­sonen, die sich nicht bzw. nicht mehr enga­gieren, beschrieben werden. Der Freiwilli­gensurvey ist damit die wesentliche Grundla­ge der Sozialberichterstattung zum freiwilli­gen Engagement und wird aus Mitteln des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) gefördert.Die Daten des Freiwilligensurveys wurden bislang in den Jahren 1999, 2004 und 2009 erhoben. Im Jahr 2011 hat das Bundesminis­terium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) dem DZA die wissenschaft­liche Leitung des Freiwilligensurveys über­tragen. Die Daten der Befragungen aus den Jahren 2009, 2004 und 1999 stehen Nutze­rinnen und Nutzern über das FDZ­DZA zur Verfügung.

Informationen über das FDZ-DZA sind auf der Webseite des DZA verfügbar unter: www.dza.de/fdz.html.

Aus dem Deutschen Zentrum für Altersfragen

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Aus dem DZA

DZA, Manfred-von-Richthofen-Str. 2, 12101 BerlinPVST, Deutsche Post AG Entgelt bezahlt

A 20690E

Informationsdienst Altersfragen im Internet: www.dza.de