Leseprobe Krisenkommunikation

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Gut geführte Unternehmen kennen keine Krisen. Denkt man. Angesehene Organisationen, auch Persönlichkeiten von Rang haben nichts zu fürchten, wird behauptet. Doch die Wirklichkeit sieht anders aus. Wir leben im Informationszeitalter, alles ist öffentlich – mit großartigen Chancen, aber auch gewaltigen Gefahren. Die Medien lauern auf Enthüllungsstorys, das Internet ist agressiv. Die Social-Media-Gemeinde verzeiht keine Fehler, sie reagiert mit Massenkritik und Shitstorms. Ohne Vorwarnung bricht die Empörung los und jeden kann es treffen: Dax-Konzerne, Lebensmittelfirmen, Städteplaner oder Werbeagenturen, Tierschutzorganisationen, Pizza-Bäckereien und Filmstars. Politiker sowieso. Auf Katastrophen wie diese sollte man vorbereitet sein. Wenn es um den guten Ruf geht, um Image und Ansehen, stehen oft Existenzen auf dem Spiel. Über das, was geschehen sollte, um Attacken von außen abzuwehren und die Schäden, auch die materiellen, so gering wie möglich zu halten, informiert dieses Buch.

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Theresa Schulz (Hrsg.)

Krisenkommunikation

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Das Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung der scm c/o prismus GmbH unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikrover-filmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronische(n) Systeme(n).

Weichselstraße 610247 BerlinTel. 030 47989789Fax 030 47989800www.scmonline.detwitter.com/scm_online

Redaktion: Theresa SchulzLektorat: Bernd StadelmannSatz und Layout: Knut MatthesCovergestaltung: Jens GuischardDruck: esf-print, 12277 Berlin

Alle Rechte vorbehalten.© scm c/o prismus communications GmbH, Berlin 2013

1. Auflage März 2012ISBN 978-3-940543-21-9

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort 7

Krisenkommunikation ist Chefsache – Eine Einführung 11

Andreas Breitsprecher

KAPITEL 1 | Die Ruhe vor dem Sturm 31

1.1 Gute Krisenkommunikation braucht Prävention 33

Tobias Müller und Uwe Wache

1.2 24/7/365 weltweit: Wie Unternehmen ein Krisennetzwerk in der

globalisierten Wirtschaft aufbauen 53

Jo Klein

KAPITEL 2 | Kontroversen, Konflikte, Krisen 61

2.1 Restrukturierungen begleiten – Damit aus der unternehmerischen

Herausforderung keine kommunikative Krise wird 63

Heiner Reiners

2.2 Wie man Pleite kommuniziert 83

Heiko Kretschmer

2.3 Führung in der Krise - die Bedeutung von Kommunikation 101

Thorsten Düß

2.4 Partizipation in der Krise 129

Martin Gritzbach und Andreas Schieder

2.5 Kontrollverlust und verletzliches Image – Handlungsfähig bleiben

unter verschärften Rahmenbedinungen 147

Adrian Teetz

2.6 Vom Umgang mit Journalisten in Krisensituationen 181

Marcus Ewald

2.7 Die Rolle von Presse, Funk und Fernsehen – Medienmacht und Krisen

im Spiegel beispielhafter Skandalfälle 203

Bernd Stadelmann

Page 5: Leseprobe Krisenkommunikation

2.8 Litigation-PR: Kommunikation statt Manipulation 213

Detlef Untermann und Helen Vollprecht

2.9 Rechtliche Begleitung und rechtliche Maßnahmen in der Krisen-

kommunikation 223

Karl Hamacher

KAPITEL 3 | Die besondere Rolle von Social Media in

der Krisenkommunikation 239

3.1 Krisenkommunikation in Social Media 241

Tobias Müller und Uwe Wache

3.2 Shitstorms, Krisen und Desaster – Stufen und Management von 257

Web-Kritik

Christian Henne

3.3 Wie Nichtregierungsorganisationen die Erregungspotentiale des 275 Web zum Erreichen politischer Ziele nutzen

Volker Gaßner

KAPITEL 4 | Experteninterviews zum Thema Krisenkommunikation 295

4.1 Der Wurstkrieg der ING-DiBa 297

André Kauselmann

4.2 Eine Krise entsteht erst durch den Umgang mit Kritik 301

Mathias Brandes

4.3 Die richtige Mischung aus Herz und Verstand 303

Jürgen Gemke

4.4 Kommunikationwirdflüchtiger 305

Dr. Rolf Kiefer

Anhang/ Stichwortverzeichnis 309

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Krisenkommunikation ist Chefsache – Eine Einführung

Von Andreas Breitsprecher

„Nächste Woche können wir keine Krise haben, mein Terminkalender ist bereits voll“, soll einmal der frühere US-Außenminister Henry Kissinger augenzwinkernd erklärt haben. „Wir können jetzt keine Krise gebrauchen“, sagt jedoch auch heute noch so manch Verantwortlicher in Unternehmen, Politik, Organisationen usw., wenn sich ein Problem am Horizont ankün-digt. Das ist dann ernst gemeint und heißt für den Kommunikationschef implizit: „Schaffen Sie das aus der Welt, biegen Sie es ab.“ Das kann zu fatalen Fehleinschätzungen und Fehlentscheidungen mit existenzbedro-henden Folgen führen. Dabei ist es schlicht egal, ob es sich um Personen des öffentlichen Lebens, Regierungen, klein- oder mittelständische Unter-nehmen, einen Großkonzern oder Organisationen wie Religionsgemein-schaften, Fußballvereine, Nicht-Regierungsorganisationen (NGO) bzw. Umweltverbände wie WWF oder Greenpeace handelt, um nur einige zu nennen. Jeden, der in der Öffentlichkeit steht, kann eine Krise treffen, erwartet oder unverhofft.

Der Autor möchte es dem Leser ersparen, die vielen einschlägig bekannten Krisen der Vergangenheit aufzulisten oder nur in Auszügen beim Namen zu nennen. Diese könnten Bücher füllen. Nur so viel: Man erinnert sich noch lange, lange Zeit an ein Victory-Zeichen in einem Gerichtssaal, an einen Hinweis auf Erdnüsse während einer Pressekonferenz oder einen erbosten Telefonanruf von einer Auslandsreise bei dem Chefredakteur einer deutschen Boulevardzeitung. Auch umfallende Testautos in Skan-dinavien, ein Chemieunfall mit „mindergiftigen Stoffen“ im Rhein-Main-Gebiet oder die Auslieferung von Placebos statt Antibabypillen (mit Fol-gen) in einem südamerikanischen Schwellenland bleiben im Gedächtnis dessen, der Zeitzeuge des Vorfalls war. Praktisch niemand, der irgendwie in der Öffentlichkeit steht, ist frei von der Gefahr, in eine Krisensituation zu kommen. Und es müssen anfänglich aus der eigenen Betrachtung oder der Betrachtung der Fachleute gar nicht die großen Ereignisse sein, die ohne-hin nach Krisenpotenzial riechen. Vielmehr können auch vermeintlich unscheinbare Vorgänge die Dynamik einer fulminanten Krise entwickeln. Umso wichtiger ist es, sich mit diesem Thema intensiv und möglichst früh-zeitig auseinander zu setzen.

Krisenkommunikation ist Chefsache

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Gute Krisenkommunikation braucht Prävention

1.1 Gute Krisenkommunikation braucht Prävention

Von Tobias Müller und Uwe Wache

Eine Krise ist etwas anderes als ein Problem. Sie ist eine echte Ausnahmesi-tuation, die die Gefahr in sich birgt, einem Unternehmen oder einer Orga-nisation erheblichen Schaden zuzufügen – auch Reputationsschaden. Meist ist mit Krisen das Moment der Überraschung verbunden. Krisen halten sich nicht an Büro- oder Urlaubszeiten, sondern treten häufig unerwartet auf – genau dann, wenn man am wenigsten damit rechnet. Charakteristisch ist daher in den meisten Fällen der akute Mangel an dringend notwendigen Informationen, das genaue Wissen darüber, was passiert ist und warum. Und wie man der Krise am besten Herr werden kann. Wenn das Manage-ment versagt, kann Kontrollverlust die Folge sein. Dieser zieht in der Regel Misstrauen innerhalb und außerhalb der Organisation nach sich.

Dabei gilt: Auch, wenn keine Krise wie die andere ist – Vorbereitung hilft. Zwar können sich Unternehmen und Organisationen nicht vor Krisen-situationen per se schützen. Auch gibt es keinen Masterplan und keinen Help Button, um die Krise „per Knopfdruck“ zu beseitigen. Aber durch gute Vorbereitung lässt sich möglicher Schaden in erheblichem Maße redu-zieren. Oder wie Kai Berendes, Experte für strategische Planung und Sze-nariosimulation im Malik Management Zentrum in St. Gallen, lakonisch konstatiert: „Überraschungen gehören unter den Weihnachtsbaum, nicht ins Management.“

Erfolgreiches Krisenmanagement bedarf daher kontinuierlicher Kri-senprävention. Wichtig hierbei sind die systematische Einbettung der Kommunikation in den Gesamtprozess sowie die interne Vernetzung der verschiedenen Stakeholder – Konzernsicherheit, BCM, Compliance, Rechtsabteilung, HR, Kommunikation und andere.

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Wie Unternehmen ein Krisennetzwerk in der globalisierten Wirtschaft aufbauen

1.2 24/7/365 weltweit: Wie Unternehmen ein Krisen- netzwerk in der globalisierten Wirtschaft aufbauen

Von Jo Klein

Eine Umfrage unter Kommunikationsverantwortlichen in Großkonzernen und mittelständischen Unternehmen hat ergeben, dass nur rund die Hälfte der Organisationen über einen Krisenplan verfügen und mit regelmäßigen Krisensimulationen für den Ernstfall üben. Dabei kann eine gezielte Vorbe-reitung helfen, die Reputation zu schützen und Umsatzverluste zu vermei-den sowie vor allem die Länge einer Krise deutlich zu verkürzen. Dies sind zentrale Ergebnisse einer Studie der internationalen Kommunikationsagen-tur Burson-Marsteller, für die mehr als 800 Manager befragt wurden: Nicht alle Unternehmen sind auf Krisen vorbereitet. Nur 54% haben

entsprechende Vorkehrungen, die jedoch nach eigener Aussa- ge oft nicht ausreichend sind. Krisen gehören zum Geschäft: 59% der Führungskräfte haben im

aktuellen oder vorherigen Unternehmen eine Krise erlebt. Krisen sind teuer: 60% der Unternehmen entstanden durch eine

Krise Kosten von bis zu 500.000 Euro. Unternehmen ohne Krisenvorbereitung können damit rechnen, in

Bezug auf Umsatzeinbußen und Entlassungen härter getroffen zu werden als Unternehmen, die sich vorbereitet haben. Vorbereitete Unternehmen können sich auf einen Wettbewerbsvor-

teil einstellen. 32% der Unternehmen mit einem Krisenplan haben sich innerhalb eines Monats erholt. Bei Unternehmen ohne Krisenplan sind es nur 20%. 65% der Entscheider meinen, dass Krisenkommunikation durch die

neuen digitalen Medien schwieriger zu steuern ist. Dabei gehen 55% der Befragten davon aus, dass die sinnvolle Einbin-

dung digitaler Medien zu einer rascheren Erholung nach einer Krise beiträgt.

Gerade bei multinationalen Unternehmen kann eine sorgfältige Vorberei-tung auf den Krisenfall überlebenswichtig sein. Die immer stärker vernetzte Welt und vor allem die zahlreichen Social Media-Plattformen machen Kri-sen heute dynamischer und lassen sie schneller eskalieren. Diese globalen und digitalen Krisen können Unternehmen immer schwerer steuern und

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Restrukturierungen begleiten

2.1 Restrukturierungen begleiten Damit aus der unternehmerischen Herausforderung keine kommunikative Krise wird

Von Heiner Reiners

Restrukturierung – reflexartig wird die Kommunikation auf zwei Fragen reduziert: Wie bekommen wir die Zahlenstory durch? Wie überstehen wir die nächsten Wochen ohne schlechte Presse? Was dabei auf der Stre-cke bleibt: Der Einsatz von Kommunikation als Führungsinstrument, welches das Unternehmen im Inneren zusammenhält. Vernachlässigt wird auch die Gestaltung und Vermittlung eines konkreten Bildes davon, was und wie das Unternehmen danach sein wird, was es (stark) macht und wofür es steht. Kurz: Kommunikation, die Restrukturierungen nicht nur als akute Krise begreift, sondern den Prozess begleitet und Sinn stiftet. Wird die Erzählperspektive auf Kennziffern und vermeintlich alternativ-lose Entscheidungen reduziert, dann wird Kommunikation selbst zum Teil des Problems. Mit der fatalen Konsequenz, dass nicht die unterneh-merische Situation die maßgebliche Herausforderung ist, die es zu meis-tern gilt, sondern eine ausgewachsene Kommunikationskrise.

Kommunikation: Von der weichen Disziplin zum hartenMisserfolgsfaktor

Alte DenkmusterLange griff ein schlichter Mechanismus: Hatte ein Unternehmen den Be-griff Restrukturierung nur in den Mund genommen, wurden reflexartig existenzielle Probleme unterstellt. Und es wurde auf dem Fuße gefolgert, dass Standortschließungen und Arbeitsplatzabbau in gravierendem Umfang bevorstünden.

Woher rührte diese stereotype Sichtweise? Zum einen mangelte es in weiten Kreisen an einer präzisen Vorstellung davon, was Restrukturierungen als Gattung unternehmerischer Veränderungsmaßnahmen überhaupt bedeu-tet. Zum anderen, und hier ist zweifellos ein Zusammenhang gegeben, wur-de praktisch jeder Reorganisationsbedarf als GAU apostrophiert – losgelöst von den spezifischen Ursachen und dem tatsächlichen Bedrohungspotenzi-al für das Unternehmen und seine Mitarbeiter.

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Wie man Pleite kommuniziert

2.2 Wie man Pleite kommuniziert

Von Heiko Kretschmer

In den letzten Jahren haben sich in Deutschland zunehmend Standards der Krisenkommunikation etabliert. Sie reichen von Verhaltensregeln im Kri-senfall über vorbereitende Trainings für den Krisenfall bis zur Beobachtung bestimmter Krisenthemen und kritischer Stakeholder, meist ergänzt um Sprachregelungen für den Krisenfall. Viele Unternehmen und Institutio-nen haben sich seit 1995, als die Brent-Spar-Krise die Unternehmenswelt aufschreckte und erstmals breit für das Thema Krisenprävention sensibi-lisierte, systematisch mit ihrer Krisenkommunikation auseinander gesetzt. Inwieweit diese Grundregeln in der angewandten Praxis allerdings funkti-onieren, steht auf einem anderen Blatt. Ob sie im Falle eines Falles zur Anwendung kommen, hängt zumeist von der Gesamtlage ab.

Sehr oft sind Krisen in Unternehmen eben gerade nicht von kommunika-tiven Fragestellungen dominiert. Die Sicht der Juristen oder auch der Tech-niker bestimmt die Betrachtungsweise. Die Sorge, durch eine offene oder auch selbstkritische Kommunikationspolitik die eigene rechtliche Situation zu schwächen, ist allgegenwärtig. Dieser Beitrag soll aber nicht der Ort sein, an dem diese unterschiedlichen Sichtweisen gegeneinander abgewogen wer-den oder an dem die zahlreichen Beispiele aufgeführt werden, in denen schlechte Kommunikation die Krise gravierend verschärft, vergrößert und zu einem unternehmerischen Problem hat werden lassen. Es sei aber auch darauf hingewiesen, dass sich vermutlich ebenso viele Fälle finden lassen, in denen eine restriktive Kommunikation am Ende nicht Krisen verschärfend gewirkt hat. Es gilt hier eben die alte Weisheit, dass jede Krise individuell ist. In einem Fall kann restriktives Verhalten helfen, eine Krise aus den Medien zu halten. Im anderen Fall ist restriktives Verhalten der Anlass für einen Shitstorm im Internet und in den Medien.

Es erscheint daher sinnvoll, Abkehr von der „generellen“ Krisenbetrachtung zu nehmen und viel stärker spezielle Krisensituationen zu erörtern. Eine solche spezielle Krisensituation tritt ein, wenn ein Unternehmen insolvenz-gefährdet ist oder sich gar in der Insolvenz befindet. Beides ist bislang in der Literatur kaum beschrieben worden. Dabei ist die Vorinsolvenzphase wie auch die Insolvenz selbst eine in hohem Maße verrechtlichte Situation, die zugleich gravierende kommunikative Herausforderungen zur Folge hat.

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Führung in der Krise - die Bedeutung von Kommunikation

2.3 Führung in der Krise - die Bedeutung von Kommunikation

Von Thorsten Düß

Konflikte und Krisen sind keine Ausnahmen sondern beherrschen nahe-zu täglich die Nachrichten. Mit ihren dynamischen Entwicklungen ban-nen sie die öffentliche Aufmerksamkeit in einem bisher nie gekannten Ausmaß. Dabei sind es oft Unternehmenskrisen und das Verhalten ihrer Führungspersonen in der Krise, die einen maßgeblichen Anteil haben am Negativszenario in den Massenmedien sowie den zahllosen Blogs, Foren und sozialen Netzwerken des vormedialen Raums. Ob die Störfälle in den Vattenfall-Kernkraftwerken Krümmel und Brunsbüttel im Frühjahr / Som-mer 2007, die Lidl-Spitzelaffäre im Frühjahr 2008 oder das Feuer auf der Explorations-Ölbohrplattform Deepwater Horizon im April 2010 mit der anschließenden Umweltkatastrophe im Golf von Mexiko – die Führung dieser Unternehmen schien den jeweiligen kommunikativen Herausforde-rungen nicht gewachsen zu sein. Mit jedem Tag, der bei den Unternehmen BP, Vattenfall oder Lidl durch ein intransparentes Krisenmanagement der Unternehmensführung geprägt war, stieg der öffentliche Druck – sank das Vertrauen in die Unternehmen und damit die Reputation der Unterneh-men insgesamt: Denn was eine Krise ist, definieren Öffentlichkeit, Medien und Politik, nicht aber das betroffene Unternehmen. Wenn sich dann Sta-keholder aufgrund mangelnden Vertrauens und fehlender Glaubwürdigkeit von einem Unternehmen abwenden, kann dies existenzbedrohend werden. So kündigten bei Vattenfall in Deutschland 2007 über 250.000 Kunden ihren Vertrag. Dies waren rund acht Prozent aller Kunden (Müller / Terpitz, Handelsblatt 26.1.2008). Die Reputation ist längst zum wesentlichen Schlüsselfaktor für die zukünf-tige Entwicklung eines Unternehmens geworden. Mehr denn je entschei-det sie heute über den Erfolg und den Niedergang eines Unternehmens. Als wichtigsten Treiber für Glaubwürdigkeit und Vertrauen und damit den Aufbau und Erhalt von Reputation sieht die Mehrheit aller CEOs in der Kommunikationsfähigkeit ihres Unternehmens. Sich selbst sehen sie dabei in der größten Verantwortung (Seeman 2008, 5f & 114).In vielen Krisensituationen hakt es genau an dieser Stelle: Anstatt sich dem Problem oder der Krise kommunikativ zu stellen, wirken viele CEOs1 durch die Anforderungen an sie überrascht und oft überfordert. Was dann in der Regel folgt, ist der Versuch mit Vogel-Strauß-Taktik jegliche Kommunikati-1 Der CEO-Begriff wird hier synonym für Unternehmensführer genutzt, die auf Vorstands- oder Ge-schäftsführerebene die Verantwortung für das Unternehmen haben.

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Partizipation in der Krise

2.4 Partizipation in der Krise

Von Martin Gritzbach und Andreas Schieder

Viele Bauvorhaben und Infrastrukturprojekte berühren öffentliche Anlie-gen. Durch ein geändertes Selbstverständnis bringen sich Bürger immer häufiger schon während der Projektplanung aktiv ein und organisieren sich, um eigene Interessen zur Sprache zu bringen und durchzusetzen. Im Hin-tergrund dieser Entwicklung steht die Wahrnehmung vieler Bürger, dass ei-genes Interesse und politischer Wille zunehmend auseinanderfallen. Durch eine Bürgerbeteiligung kann es Projektplanern gelingen, wieder mehr Akzeptanz und Legitimation für ihre Vorhaben zu generieren. Doch Bür-gerbeteiligung ist kein Selbstläufer – misslingt sie, kann sie zum zentralen Krisentreiber werden. Dieser Beitrag soll anhand von Beispielen darstellen, welchen Einfluss Bürgerbeteiligung auf den Projektverlauf haben kann, was die Erfolgskriterien für eine gelungene Bürgerbeteiligung sind und welches kommunikative Potenzial mit dem jeweiligen Grad an Bürgerbeteiligung verbunden ist.

Um die genannten Prozesse möglichst verständlich darzustellen, wird im Folgenden z. T. auf eine sehr vereinfachte Akteursdarstellung zurückgegrif-fen, die sich der Kategorisierung „Wirtschaft“, „Politik“ und „Gesellschaft“ bedient. Diese Simplifizierung soll dazu führen, die Zusammenhänge zwi-schen diesen Kategorien möglichst nachvollziehbar zu beschreiben.

Bürger wollen sich von Anfang an beteiligen, wenn es um öffentliche An-liegen geht. Und der Einfluss der Bürger wächst real.

Bürger wollen besonders bei öffentlichen Projekten immer stärker Einfluss auf die Planungsprozesse an sich und somit auch auf konkrete Realisierungs-details nehmen. Dabei ist es nicht neu, dass unmittelbar Betroffene ihre In-teressen artikulieren wollen oder klassische Protestgruppen die Planungen kritisch verfolgen. Neu ist hingegen, dass der Protest und das Beteiligungs-begehren aus der „Mitte“ der Gesellschaft kommen. Wenn sich klassische Protestgruppen und die „Mitte“ der Gesellschaft dann auch noch verbün-den, wird deutlich, dass eine breite Mehrheit mitreden und beteiligt werden möchte – und diese breite Mehrheit nicht wie bislang die Projektplanungen schweigend akzeptiert.

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Kontrollverlust und verletzliches Image

2.5 Kontrollverlust und verletzliches Image Handlungsfähig bleiben unter verschärften Rahmenbe- dingungen

Von Adrian Teetz

„Die ‚schlechten‘ Versuchspersonen (…) zeigten (…) eine Kombination aus Informa-tionsverweigerung und Aktionismus, während die ‚guten‘ Versuchspersonen mit dem ‚Tun‘ vorsichtiger waren und danach strebten, sich zunächst eine gute Informations-grundlage zu verschaffen“ (Dietrich Dörner, Die Logik des Misslingens).

Groß ist die Enttäuschung, wenn die geschätzte Qualitätszeitung über ein Thema berichtet, bei dem der Leser zufällig selbst Experte ist. Aufbau-schend, vereinfachend und undifferenziert erscheint die Darstellung; Zitate von Fachleuten wirken aus dem Zusammenhang gerissen. Ein Ausreißer, of-fenbar: Zu den übrigen Themen und an den anderen Tagen ist die Bericht-erstattung jedoch schlüssig. Am nächsten Morgen greift der Leser wieder vertrauensvoll zur gewohnten Zeitung.

Diese kleine Szene, die mehr oder weniger bewusst auch Medien- und PR-Profis gelegentlich widerfährt, führt ein funktionales Problem der Kom-munikationsbranche vor Augen: Medien müssen interessante Themen auswählen und zuspitzen, um Aufmerksamkeit zu erzeugen, und komple-xe Sachverhalte vereinfachen, um sie verständlich zu machen. Interessant für das Publikum ist vordergründig nicht das Gewöhnliche, sondern die – häufig kritisch geprägte – Ausnahme. Diese Art der Aufbereitung ist we-sentlicher Daseinszweck der Medien, sonst würde niemand sie konsumie-ren wollen. PR wiederum bedient sich derselben Methode im Dienste von Unternehmen, Behörden oder Organisationen, um Medienpräsenz zu er-reichen. Die Mehrheit des Publikums kann und will die allermeisten The-men nicht so differenziert beurteilen wie ein Experte, sie muss sich auf die Plausibilität der Darstellung verlassen. Den Medien verleiht das eine starke Deutungsmacht. In der globalisierten „Mediengesellschaft“ hat sich diese funktionale Pro-blematik gleichermaßen verschärft und verkompliziert. Beliebige Ereignis-se können überall digital dokumentiert, in Sekundenschnelle grenzenlos transportiert und als Nachricht herangezogen werden. Interaktive Teilöf-fentlichkeiten der Sozialen Netzwerke liefern den traditionellen Medien

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2.6 Vom Umgang mit Journalisten in Krisensituationen Von Marcus Ewald

„Kenne deinen Feind und kenne dich selbst, und in hundert Schlachten wirst du nie in Gefahr geraten.“ ( Sun Tsu, die Kunst des Krieges, ca. 500 vor Christus )

Krisenkommunikation ist ein bisschen wie Krieg – es gibt Gewinner und es gibt Verlierer. Und das wichtigste Scharnier während einer Krise ist der Kontakt zu Journalisten. Diese Journalisten sind vielleicht nicht immer Ihre Gegner, aber immer Ihr Gegenüber. Und in die müssen Sie sich vollstän-dig hineinversetzen können. Es ist natürlich nicht immer möglich, alles zu wissen. Es ist aber immer wertvoll, den Versuch zu unternehmen. Sonst verschenkt man Potenzial. Das ist eine der Grundlagen dafür, um während Krisen das Richtige zu tun. Die erste und einfachste Grundregel besteht aus den folgenden zwei Teilen:

Der Journalist ist nicht Dein Freund. Aber er ist auch nicht Dein Feind.

Er verfolgt eigene Interessen, die weder gut noch böse sind. Wer sie kennt, kann sich danach richten und sie für seine Zwecke nutzen. Darum wird es im ersten Teil dieses Beitrags gehen. Im zweiten Teil geht es um Checklisten für professionelles Auftreten. Und im dritten Teil um die Essenz dieser bei-den Teile: Wie benutze ich dieses Wissen, um das Bestmögliche aus einem Gespräch in einer Krisensituation zu machen?

1. Das Umfeld des Journalisten

Zuallererst etwas scheinbar Banales: Journalisten arbeiten für Medienunter-nehmen, die wirtschaftlich agieren und Gewinn erwirtschaften möchten. Das ist in der heutigen Medienlandschaft mehr als schwierig. Die meisten Medienkonzerne schreiben rote Zahlen, einige wenige dürfen sich über eine rote Null freuen. Diejenigen mit schwarzen Zahlen erwirtschaften ihre Er-träge mit Geschäften, die wenig mit dem eigentlichen Nachrichtengeschäft zu tun haben. Die klassischen Zeitungsverlage sollen hier als Beispiele die-nen. So vertreibt der Springerkonzern Produkte, deren einzige Gemeinsam-keit darin besteht, dass ihnen ein „Volks“ vornan gestellt werden kann. Vom Volkshandy bis zum Volksmilchreis vermarktet Springer alles. Die Süddeut-

Vom Umgang mit Journalisten in Krisensituationen

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Die Rolle von Presse, Funk und Fernsehen

2.7 Die Rolle von Presse, Funk und Fernsehen Medienmacht und Krisen im Spiegel beispielhafter Skandalfälle Von Bernd Stadelmann

Informationen sind das Lebenselixier freier Gesellschaften. Die Menschen wollen wissen, was in der Welt passiert, und sie haben ein Anrecht darauf. Regierungsentscheidungen, die das Zusammenleben der Staaten, die Ent-wicklung des eigenen Landes, seine Steuerkraft, Sicherheit oder Gesund-heitsfürsorge betreffen, werden nicht nur dann als wichtig empfunden, wenn sie in das persönliche Leben hineinragen und etwa zu Teuerungen oder finanziellen Entlastungen führen. Von Bedeutung sind grundsätzlich alle Ereignisse, die Aufsehen erregen, Neugier wecken oder doch zumindest ein gewisses Interesse auf sich zu ziehen, weil sie aus dem Alltagsgeschehen herausfallen. Dabei richtet sich die Aufmerksamkeit der Bürger durchaus nicht nur auf die große politische Bühne. Auch Vorgänge in Stadt und Gemeinde, die Trassenführung einer neuen Schnellstraße zum Beispiel, Unglücksfälle, die berühren, oder brennende Autos in der Nachbarschaft gelten als Nachrichten von Rang. Aus all dem speist sich die öffentliche Debatte, der Streit der Meinungen, das Gespräch in der Familie und am Arbeitsplatz.

Presse, Funk und Fernsehen befeuern diesen Diskurs, ja sie geben ihm recht eigentlich erst seine Gestalt. Bei weitem nicht über alles, was geschieht, wird auch berichtet. Die Journalisten treffen eine Auswahl aus der täglichen Nachrichtenflut. Sie entscheiden über den Wert der eingehenden Meldun-gen nach klar umrissenen, objektiven Kriterien und bündeln die wichtigsten Neuigkeiten zum täglichen Informationsangebot. Nur dieser – notgedrun-gen sehr kleine – Ausschnitt aus dem großen Weltpanorama mit endlos vielen Ereignissen ist es, von dem die Menschen erfahren und der Gedan-ken und Gemüter bewegt. Man mag das bedauern, denn viele Geschehnis-se bleiben auf diese Weise unbekannt und dem Urteil der Öffentlichkeit entzogen. Doch hat die Konzentration auf das Wesentliche einen großen Vorteil. Anders als im Internet ist der Themenkreis überschaubar. Die Be-völkerung erkennt sich wieder in dem, „worüber man spricht“. Der Diskurs folgt, statt zu zerfasern, einer allgemeinen Richtung und hält die Gesell-schaft zusammen.

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Litigation-PR: Kommunikation statt Manipulation!

2.8 Litigation-PR: Kommunikation statt Manipulation! Von Detlef Untermann und Helen Vollprecht

Josef Ackermann, Klaus Zumwinkel, Jörg Kachelmann oder Gerhard Grib-kowsky sind vier prominente Namen, die in Deutschland den Blick auf eine Kommunikationsdisziplin fokussieren, die bis vor ein paar Jahren hierzu-lande noch weitgehend unbekannt war, sich aber mittlerweile zu einer in Kanzleien und Kommunikationsagenturen anerkannten und etablierten Dienstleistung entwickelt hat: Litigation-PR.

Woher kommt Litigation-PR?

Der erste, der im Umfeld einer juristischen Auseinandersetzung offenkun-dig versuchte, die Öffentlichkeit über die Medien zu erreichen und in sei-nem Sinne zu beeinflussen, war vermutlich der französische Schriftsteller Émile Zola (So auch Boehme-Neßler auf NDR online: „Was ist Litigation-PR und was bewirkt sie?“, 7.9.2010). Am 13. Januar 1898 erschien in der Tageszeitung L’Aurore unter der Überschrift „J’Accuse ...!“ sein offener Brief an den damaligen Präsidenten Frankreichs, Félixe Faure, in dem Zola Partei für den zu Unrecht wegen Spionage verurteilten französischen Hauptmann Alfred Dreyfus ergriff und den auf Intrigen, Beweisfälschungen und Falsch-aussagen basierenden Justizirrtum letztlich erfolgreich anprangerte.Richtig entwickelt wurde Litigation-PR allerdings erst in den USA und da-bei ganz wesentlich von dem amerikanischen PR-Berater James F. Haggerty mit geprägt. Einer der ersten Aufsehen erregenden Fälle, bei dem diese Dis-ziplin eine Rolle spielte, war sicherlich der Prozess, in dem Ende der 80er Jahre ein General namens William Westmoreland den Fernsehsender CBS wegen Verleumdung verklagt hat und der nicht nur im Gerichtssaal, son-dern auch vor dem "Court of Public Opinion" ausgetragen worden ist (Legal Tribune ONLINE: "Die öffentliche Meinung entscheidet, was als Wahrheit gilt". 4.8.2011).

Von den Vereinigten Staaten aus verbreitete sich die Erkenntnis, dass bei juristischen Auseinandersetzungen die klassischen Methoden der Public Relations alleine nicht ausreichen, um in der öffentlichen Meinung zu be-stehen, zunächst erst in die angelsächsische Welt. Während in Großbritan-nien und Australien Litigation-PR bereits frühzeitig zum Standardrepertoire bei juristischen Streitigkeiten gehörte, dauerte es vor allem in Deutschland

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Rechtliche Begleitung und rechtliche Maßnahmen in der Krisenkommunikation

2.9 Rechtliche Begleitung und rechtliche Maßnahmen in der Krisenkommunikation Von Karl Hamacher

Was ist ein Skandal? Wie funktioniert Skandalisierung? Wie reagiert man am besten darauf? Sind die geeigneten Mittel einer Reaktion eher kommu-nikativ oder sind es rechtliche Mittel? Welche rechtlichen Mittel stehen überhaupt zur Verfügung?

Geeignete Maßnahmen in einer Krisenkommunikation zu treffen, ist eine schwierige und komplexe Aufgabe. Patentrezepte gibt es kaum, da jede Kommunikationskrise andere Ursachen hat, auf die maßgeschneiderte Antworten gegeben werden müssen. Ausgangspunkt jeder Betrachtung und jeder zu findenden Antwort sind aus Sicht des Verfassers insbesondere die vorstehenden Fragen, deren Beantwortung einen ersten Überblick über die Aufgabenstellung und die Handlungsalternativen geben soll.

Skandal und Skandalisierung, Ursache und Ablauf von Krisen

Ursache der meisten Kommunikationskrisen in Unternehmen ist ein Skan-dal oder ein vermeintlicher Skandal. Das Online-Wörterbuch „Duden“ (www.duden.de) bezeichnet einen Skandal als ein „Geschehnis, das Anstoß und Aufsehen erregt“. In der Unternehmenswirklichkeit ist ein zu einer Krisenkommunikation führender Skandal in der Regel nur dann gegeben, wenn in einem Leitmedium der deutschen Presse nachhaltig – durch ein Fehlverhalten ausgelöste – Missstände über ein Unternehmen veröffentlicht werden, welche geeignet sind, ein negatives Bild von dem Unternehmen zu erzeugen und diese Veröffentlichungen von weiteren Leitmedien oder doch zumindest von gewichtigen weiteren Medien aufgegriffen werden. Daneben kann heutzutage auch eine Veröffentlichungs-Lawine außerhalb der Bericht-erstattung in den Leitmedien zu einer Krise führen, etwa dann, wenn in für ein Unternehmen gewichtigen Internetforen nachhaltig Missstände über ein Unternehmen kommuniziert werden. Hinzukommen muss außerdem, dass die über das Unternehmen veröffentlichte Meinung kurzfristig auch zur öffentlichen Meinung wird, mit der Folge einer flächendeckenden Ver-festigung eines durch die Missstände ausgelösten negativen Gesamtbildes. Gründe für einen Skandal bzw. skandalauslösende Sachverhalte sind man-

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Krisenkommunikation in Social Media

3.1 Krisenkommunikation in Social Media Von Tobias Müller und Uwe Wache

1. Krisenkommunikation im Zeitalter des Social Webs

In Krisensituationen wirken Medien in der Regel als Verstärker, denn sie leben von Ereignissen, die Aufmerksamkeit erzeugen und für Auflage oder Einschaltquoten sorgen. Neben den klassischen Medien spielt dabei das In-ternet eine immer bedeutendere Rolle. Immer häufiger sind Foren, Chats oder Diskussionen in Social Networks Plattformen, auf denen Krisenthe-men angestoßen werden, die in der Folge von klassischen Medien aufge-griffen und dadurch weiter verstärkt werden. Da Internetnutzer rund um den Globus Zugriff auf Informationen haben und untereinander vernetzt sind, werden Krisenherde damit noch schwerer lokalisierbar und noch unberechenbarer als bisher – mit entsprechenden Konsequenzen für die Krisenkommunikation.

Wie die klassischen Medien in der Vergangenheit, so nutzen auch die Internet Communities und ihre Nutzer das Aufdecken von realen oder vermeintlichen Krisen als Möglichkeit zur Schaffung von Aufmerksamkeit für die eigene Sache und zur Positionierung der eigenen Plattform bezie-hungsweise der eigenen Person. Wikileaks ist hier das bekannteste Beispiel und im Kern das zeitgeistige Gegenstück zu dem, was die Washington Post für den Watergate-Skandal in den 1970er Jahren war: Transparenz-Treiber, Enthüllungsmaschine – und professioneller Selbstvermarkter. Auch der Vernetzungsaspekt ist nicht wirklich neu. Der Watergate-Skandal wurde zu seiner Zeit von den Medien rund um die Welt aufgegriffen, denn Medien sind seit jeher über Nachrichtendienste untereinander vernetzt.

Dennoch kann man von einer neuen Qualität in der Krisenkommunikati-on sprechen. Denn im Gegensatz zu den klassischen Medien, die Sorgfalts-pflichten unterliegen und Richtlinien des Medienrechts beachten müssen, haben Social Networks und Blogs einen erheblich größeren Bewegungs-freiraum. Schöpfen sie den voll aus, sind sie perfekte Plattformen (mit be-schränkter Haftung) zur Kanalisierung von Betroffenheit und Entrüstung, die entsprechend leicht instrumentalisiert werden können. Im Kontext des eingeschränkten Rechtsschutzes, der juristische Eingriffe nahezu aussichts-los macht, sind sie damit ein erheblich schwerer zu berechnender Faktor

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Krisenkommunik Shitstorms, Krisen und Desaster – Stufen und Management von Web-Kritik

3.2 Shitstorms, Krisen und Desaster – Stufen und Manage- ment von Web-Kritik Von Christian Henne

1. Die digitale Welt – Eine Charakteristik

„Buchdruck ist ein mechanischer Prozess, bei dem Schriften und Bilder in großer An-zahl auf ebene Flächen, meist aus Papier, reproduziert werden. Die dadurch erstellten Werke können in großer Anzahl verbreitet werden.“ (Wikipedia)

Will man die heutige digitale Welt und ihr enormes Veränderungspotenzi-al erfassen, so hilft in meinen Augen ein Blick zurück in die Zeit des Buch-drucks. Erstmals war es möglich, mithilfe eines Mediums das gesprochene Wort einer breiteren Masse zugänglich zu machen. Und zwar unverfälscht. Während das gesprochene Wort von Überlieferung zu Überlieferung ver-änderlich ist (manch einer erinnert sich an den eher neuzeitlichen Otto-Film: Auszug: „Die glorreichen Sieben“ – „Das Rohr neigt zum Biegen“ – „die Moorleichen fliegen“ – „...“), steht das geschriebene Wort unverän-derlich. Der Druck wird zum Beweis. Zur originären Quelle.

In einer ähnlich radikalen Veränderung befinden wir uns aktuell. Das Neue ist freilich nicht der Druck. Und noch nicht einmal, dass mittlerwei-le alles elektronisch statt mechanisch funktioniert. Neu ist, dass innerhalb kürzester Zeit auf der ganzen Welt sehr viele Publikationen entstehen. Und dies nicht nur von Autoren in Zusammenarbeit mit Verlagen. Nein, Men-schen publizieren ganz allein.

Wikipedia ist das größte Lexikon im Internet (es zu lesen würde ca. 123 Jahre dauern, es hätte 2,25 Millionen Seiten, Quelle: Video Social Media Revolution 3 by Eric Qualmann). Es wird geschrieben von Internetnutzern. Weltweit gibt es mittlerweile fast 200 Millionen Blogs – letztlich nichts anderes als Web-Tagebücher, die jedermann kostenfrei im Internet anlegen und textlich bzw. grafisch füllen kann.

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Wie Nichtregierungsorganisationen das Web zum Erreichen politischer Ziele nutzen

3.3 Wie Nichtregierungsorganisationen die Erregungspotentiale des Web zum Erreichen politischer Ziele nutzen Von Volker Gaßner

Der kritische Dialog im Netz ist für große und kleinere Organisationen zu einem wichtigen Bestandteil ihrer Kampagnen geworden. Ob Greenpeace, Amnesty International oder Peta – Nichtregierungsorganisationen haben ihre Social-Media-Strategien angepasst, um Menschen zu bewegen. Mit Ak-tionen auf der Straße und der Kommunikation über Facebook und Co. sind sie in der Lage, Veränderungsdruck auf Unternehmen und Politiker auszuüben. Doch nicht alle Unternehmen sind auf diese Art der Kom-munikation vorbereitet – Meinungsstürme von Nichtregierungsorganisati-onen können sich für sie daher schnell zu einer ernsten Krise auswachsen.

Ein Schokoriegel als Auslöser eines Meinungssturms

„Have a break, have a Kit Kat!” So bewirbt der Lebensmittelkonzern Nestlé seit Jahren seinen Schokoriegel. Kit Kat-Werbespots haben weltweit einen hohen Wiedererkennungswert. Am 17. März 2010 startet in zahlreichen Sprachen ein Werbespot auf YouTube, dessen Inhalt dem Konzern ganz und gar nicht passt: Ein gelangweilter Büroangestellter öffnet genüsslich eine Kit Kat-Verpackung und beißt herzhaft in den Inhalt. Doch was er zwischen seinen Zähnen knacken lässt, ist kein Schokoriegel, und was aus seinen Mundwinkeln quillt keine leckere Füllung. Der Zuschauer erkennt einen langen braunen Affenfinger, aus dem das Blut läuft. Der Konzern wird aufgefordert: „Nestlé, give the Orang Utan a break! – Gib dem Orang-Utan eine Pause". Es folgen authentische Bilder von Kahlschlägen und der Vertreibung von Orang-Utans aus dem Regenwald.

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Der Wurstkrieg der ING-DiBa

4.1 Der Wurstkrieg der ING-DiBa Interview mit André Kauselmann, Pressesprecher, ING-DiBa

Die ING-DiBa erlebte Anfang des Jahres 2012 einen sogenannten Shitstorm, der in den Medien als Wurstkrieg bezeichnet wurde. Können Sie noch einmal kurz umrei-ßen, was Auslöser und der darauffolgende Meinungskonflikt war?

Kauselmann: Im Dezember 2011 lief unser neuer Werbespot an, der Dirk Nowitzki in seiner heimatlichen Metzgerei zeigt, wie er eine Scheibe Wurst verspeist. Diese Scheibe Wurst stand sinnbildlich dafür, dass man bei der ING-DiBa einfach mehr bekommt. Eben genauso wie beim Metzger, als man als Kind eine Scheibe Wurst extra bekam. Einige Veganer haben in dieser Darstellung des wurstessenden Dirk Nowitzki eine versteckte Werbung für Fleischkonsum gesehen, denn das Wurstessen wird von der Metzgersfrau mit „Wie haben wir früher immer gesagt?“ kommentiert, woraufhin Nowitz-ki mit „Damit du groß und stark wirst“ antwortet und alle in der Metzgerei lachen. Die erste Kritik an dem Werbespot war auf unserer Facebook-Wall am Nachmittag des 2. Januar 2012 zu lesen. Bereits am Abend desselben Ta-ges haben sich Fleischgegner und Fleischbefürworter auf der Facebook-Seite der ING-DiBa einen teilweise erbitterten Meinungskampf über das Pro und Kontra von Fleischkonsum geliefert, der nicht selten sehr persönlich geführt wurde. Der Werbespot als Auslöser der Diskussion spielte bereits nach kur-zer Zeit keine Rolle mehr. Ein Diskussionsteilnehmer, der über 100 Posts und Kommentare verfasste, schrieb dementsprechend ganz offen, dass er den Werbespot gar nicht kennt und es auch um diesen bei der Diskussion gar nicht gehen würde. Insgesamt wurden in den nächsten zwei Wochen 1.400 Posts und 15.000 Kommentare eingestellt.

Wie haben Sie das Thema intern behandelt und wie waren die Reaktionen Ihrer Mitarbeiter und Kollegen?

Kauselmann: Intern lag natürlich sehr viel Aufmerksamkeit auf dem The-ma, da sich auf einer öffentlichen ING-DiBa-Seite im Internet plötzlich eine Diskussion um Fleischkonsum entwickelte – eine bis dato nicht wirklich vorstellbare, recht skurrile Situation. Da Social Media nun aber einmal da-rauf basiert, dass Nutzer die Agenda mitbestimmen können, haben wir die Diskussion zum Thema Fleischkonsum auf unserer Facebook-Seite gerne zugelassen.

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