Restauro 08 2014
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KunstwerKanalyse: mehr InterdIszIplInarItät und vermIttlung
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www.restauro.de
Dezember 2014
8
Zeitschrift für Restaurierung, Denkmalpflege und Museumstechnik
WAS TUT Sich in DER BERUfSpOliTik? kUnSTSTück: fRAgilE pRiTZEl-pUppEn
ASiATiSchE RESTAURATOREn SchAUEn gEn WESTEn
4
Inhalt
8/2014
Kommentar von Dipl.-Rest. Heide Skowranek: Kunstwerkanalyse und Vermittlung
Christiane Ernek, Frank Dornacher und Michele Cristale14 Signierte Prunkstücke Die Untersuchung zweier Pendule-Piedestal-Ensembles des Ebenisten
Jean-Pierre Latz (1691–1754)
Alexander Gatzsche22 Low-Cost but High Quality Eine kostengünstige 3-D-Dokumentationsmethode
Elene Chechelashvili28 Die Rückgewinnung einer verlorenen Form Eine georgische Bischofsmitra aus dem 17. Jahrhundert
Anita Wanner34 Eine Materialbibliothek zum Anfassen
Sigrid Eyb-Green und Wolfgang Baatz38 Kompetenzen für den Zugang zum Beruf des Restaurators
42 „Wir haben endlich eine Diskussionskultur entwickelt, die uns und dem Kulturgut zuträglich ist!“
Ein Interview mit Susanne Beseler, Sigrid Eyb-Green, Beate Murr und Anke Schäning
Alexandra Jeberien45 Braucht es eine weitere Richtlinie zur Klimatisierung von Museen
und Sammlungen?
Annegret Gerick46 Ein Glücksfall für die chinesische Archäologie Die Restaurierung eines Tang-zeitlichen Kopfschmuckes
Matthias Farke56 Qualität ist ausschlaggebend Neue Ausstellungstechnik für zeitgenössische Kunst im
China Art Museum Timothy P. Whalen60 Von Kulturerbestätten über Lacke zum Denkmalschutz Das Getty Conservation Institute in Asien
Regina Friedl, Gabriela Krist66 Asien trifft Europa und Nordamerika Wie wir in der Restaurierung voneinander lernen können
BERUF
RESTAURIERUNG IN ASIEN
TITELTHEMA: KUNSTWERKANALySE
42 ÖRV-Tagung im ehemaligen Semper-Depot
14 Signaturen von Jean-Pierre Latz entdeckt
48 Der Kopfschmuck der Li-Chui
Foto
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58/2014
RUBRIKEN
6 KUNSTSTüCK
8 BLICKPUNKT 8 Biozide – Tagung in München 9 Rückblick Denkmal10 Plastics-Heritage – Forum Kunststoffgeschichte 201412 Rettungsmaßnahmen in Katar
68 FIRMEN & PRoDUKTE
70 TERMINE70 Ausstellung72 Veranstaltungen72 Impressum73 Vorschau73 Stellenanzeige
74 PoRTRäT
Titelmotiv
Das Titelmotiv zeigt die behutsame Ablösung eines Büt-tenpapieres, auf welchem Restauratoren die deutsch-sprachige Signatur von Jean-Pierre Latz (1691–1754) entdeckten. Das Papier befand sich im Inneren des Pen-dule-Piedestals 37616-2, das im Zuge der Vorbereitung für die Rekonstruktion der Paraderäume im Residenz-schloss Dresden untersucht und konserviert wurde.
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14 8/2014
Christiane Ernek, Frank Dornacher und Michele Cristale
Signierte PrunkstückeErste Untersuchungsergebnisse zweier Pendule-Piedestal-Ensembles des Ebenisten Jean-Pierre Latz (1691–1754)
1Pendule, signiert, Jean-Pierre Latz (1691–1754), Boulle-Marketerie in première-partie, Inv.Nr. 37680-1 auf zugehörigem hohen Sockel, Inv.Nr. 37627-2 (Ensemble 1)
2Pendule, signiert, Jean-Pierre Latz (1691–1754), Boulle-Marketerie in polychromer contre-partie, Inv.Nr. 37616-1 auf zugehörigem hohen Sockel, Inv.Nr. 37616-2 (Ensemble 2)
3Pendule, zugeschrieben, Jean-Pierre Latz (1691–1754), Boulle-Mar-keterie in première-partie, Inv.Nr. 37679-1 auf zugehörigem hohen Sockel, Inv.Nr. 37628-2 (Ensemble 3)
Im Zuge der Vorbereitung der Rekonstruktion der Paraderäume des Residenzschlosses in Dres-den begann am Kunstgewerbemuseum der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden eine inten-sive Auseinandersetzung mit dem überlieferten Möbelbestand des späten 17. und des 18. Jahr-hunderts.1 Die ersten zwei untersuchten Objekte zeigten für die Möbelforschung sehr wichtige Befunde.
1 2
AbstrAct
signed Masterpieces the Investigation of two Pendulum-Pedestal Ensembles by the Ébéniste Jean-Pierre Latz (1691–1754)
The Kunstgewerbemuseum Dresden owns one of the most important col-lections of clocks and furniture by the Parisian ébéniste Jean-Pierre Latz. As part of an interdisciplinary research project, this collection is now being examined for the first time prior to subsequent restoration. Starting with two Boulle marquetry pendulum-pedestal ensembles, the investiga-tion revealed two handwritten signa-tures thus proving that the two piec-es are counterparts.
TiTelThema: KunsTwerKanalyse
8/2014
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Ausstellungen mit kunsttechnologischen Inhalten rufen häufig große Resonanz hervor. Dies zeigten „Farben-mensch Kirchner“ in München, „Impressionismus – Wie das Licht auf die Leinwand kam“ in Köln oder die erfolg-reiche „Art in the Making“-Reihe der National Gallery London eindrucksvoll. Die technologische Kunstwerkana-lyse ist daher nicht nur grundlegend für jedwede Restau-rierung, sondern bietet auch in der Vermittlung eine er-weiterte Möglichkeit der Auseinandersetzung mit Kunst.Befunde zu Material und Beschaffenheit von Kulturgut, technischer Werkgenese und historischem Geworden-sein erbringen wichtige Erkenntnisse für die Forschung. Für ein Publikum werden die Ergebnisse jedoch erst inte-ressant und vermittelbar, wenn künstlerische Schaffens-praxis in kulturgeschichtlichen Kontext gestellt wird. Wel-che Bedeutung haben Malweisen oder künstlerische Techniken und wo liegt die Innovation? Gerade Fragen nach Produktionsbedingungen und Bildstrategien sowie künstlerischer Intention und beabsichtigter Bildwirkung können mit kunsttechnologischen Methoden und Instru-menten ergänzt oder korrigiert werden und erlauben bis-weilen, die Material ästhetik auf neue Weise sinnfällig zu machen. Zugleich sensibilisieren kunsttechnologische Vermittlungsansätze die Besucher für Erhaltungsstrategi-en und zeigen, dass die Technische Kunstgeschichte als interdisziplinäres Teilgebiet der Kunstwissenschaften zu-nehmend an Bedeutung gewinnt.
Kunstwerkanalyse sensibilisiert museumsbesucher
Heide Skowranek, Re-stauratorin am Doer-ner Institut, war Kura-torin der Ausstellung „Farbenmensch Kirchner“ in der Pina-kothek der Moderne München.
KommenTar
Dipl.-rest. Heide skowranek
38 8/2014
Sigrid Eyb-Green und Wolfgang Baatz
Kompetenzen für den Zugang zum Beruf des Restaurators
Ein wesentliches Motiv für die Gründung und Ak-
tivitäten der europäischen Berufsverbände war
und ist das Streben nach Anerkennung und
Schutz des Berufes bzw. der Berufsausübung
und in Folge der Schutz von Kulturgut. Die dafür
notwendige Definition, was nun die Qualifikation
eines Restaurators ausmacht, hat bis in die jüngs-
te Vergangenheit immer wieder zu teils heftigen
Kontroversen geführt.
2008 begann der Dachverband der europäischen
Restauratorenverbände (European Confederation
of Conservator-Restorers‘ Organisations, E.C.C.O.),
die für einen Berufseinstieg im Gebiet der Konser-
vierung-Restaurierung notwendigen Kompetenzen
festzulegen – und zwar unter Verwendung des im
EQR vorgegebenen Schemas. Kompetenzen wer-
den dabei als Kombination aus Kenntnissen (Wis-
sen) und Fertigkeiten (Können) definiert. Der Text
stützt sich auf vorhandene Definitionen von Konser-
vierung-Restaurierung (E.C.C.O. 2009) und dem all-
gemeinen Konsens, dass dieser Beruf eine öffentli-
che Verantwortung für die Erhaltung von Kulturgut
trägt. Dabei wird grundsätzlich davon ausgegan-
gen, dass die Qualifikation zum Restaurator durch
eine akademische Ausbildung erworben wird; ge-
mäß den Richtlinien von E.C.C.O./ENCoRE (Euro-
pean Network for Conservation-Restoration Educa-
tion) wurde als Voraussetzung für die Ausübung
des Berufes das Niveau 7 (Äquivalent zu einem
Master-Abschluss) festgelegt. Es wird jedoch zur
Kenntnis genommen, dass es auch andere Ausbil-
dungsmöglichkeiten gibt, die zu einem vergleichba-
ren Niveau führen können.
Der Beruf und sein ProfilKonservierung-Restaurierung wird als Entschei-
dungsprozess aufgefasst, der „zum Wohle aller
Menschen die Weitergabe der größtmöglichen
Aussage und Bedeutung aus der Vergangenheit in
die Zukunft“ sicherzustellen sucht und der „den
Umgang mit Veränderungen durch Verhandeln be-
inhaltet“ (Staniforth 2002), im Zusammenspiel mit
den Interessenvertretern und den anderen Beru-
fen innerhalb des Bereiches der Denkmalpflege.
Die Rolle der Konservierung-Restaurierung wird
Mit dem Europäischen Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen (EQR) gibt es seit 2008 ein Werkzeug, welches die Definition über Berufsqualitifkationen erleichtert. E.C.C.O. hat diese Anforde-rungen auf das Berufsfeld der Restaurierung angewendet. Die drei deutschsprachigen Verbände – ÖRV, SKR-SCR und ÖRV – haben diese übersetzt und online publiziert. Eine Zusammenfassung.
Der Europäische Qualifikati-
onsrahmen für lebenslanges
Lernen (EQR, englisch: Euro-
pean Qualifications Frame-
work, EQF) wurde im April
2008 von der Europäischen
Union initiiert, um berufliche
Qualifikationen und Kompeten-
zen innerhalb der EU ver-
gleichbarer zu machen. EQR
sollte als „Übersetzungshilfe“
zwischen den Ausbildungssy-
stemen der Mitgliedstaaten
dienen. Der EQR ist in acht
Stufen gegliedert, die von all-
gemeinen Kenntnissen und
Fertigkeiten (Stufe 1) über Stu-
fe 5 (entspricht etwa Fachschu-
len bzw. Kurzstudiengängen)
und Stufe 6 (entspricht dem
Bachelor-Abschluss) bis zur
Beherrschung eines hoch spe-
zialisierten Wissensgebietes
(Stufe 8, Äquivalent zum Dok-
torat) reichen.
www.eur-lex.europa.eu
EQR dabei als Schlüsselelement beim „Management
des Wandels“ verstanden. Ihre Aufgabe ist es,
kulturelle Bedeutung zum Vorschein zu bringen
und physische Unversehrtheit zu bewahren.
Der Qualifikationsrahmen beschreibt den Pro-
zess der Konservierung-Restaurierung von der
Untersuchung und Befundung bis hin zu direkten
Interventionen oder zu vorbeugenden Maßnah-
men, auf die Nachsorge- und Evaluationsprozes-
se folgen können.
Begriffsklärungen zur schematischen Darstel-lungAus dem Tätigkeitsprofil, das unsere Arbeit cha-
rakterisiert, wurde eine schematische Darstel-
lung entwickelt. In diesem Schema werden
nicht nur die einzelnen Phasen des Prozesses
der Konservierung-Restaurierung, sondern auch
die Form und der Umfang der dafür benötigten
Kenntnisse und Fähigkeiten als Zahlen- und
Buchstabenkombinationen dargestellt. Zum Ver-
ständnis der Grafik werden im Folgenden die Ka-
tegorien und Bewertungen dieser Kenntnisse
und Fähigkeiten beschrieben.
Bewertung von Kenntnissen Die Formen des Wissens werden wie folgt be-
schrieben:
a Faktenwissen – Information, die als objektive,
wirkliche Realität dargestellt wird.
b Begriffliches Wissen – Wissen in Bezug auf
ein abstraktes oder allgemeines Konzept, das aus
exemplarischen Einzelfällen abgeleitet wurde.
c Prozessorientiertes Wissen – Wissen auf-
grund von praktischem Handeln.
d Meta-cognitives Wissen – Geht über bewuss-
te intellektuelle Prozesse hinaus und zeichnet er-
fahrene Praktiker aus.
Der Umfang von Kenntnissen wird wie folgt be-
schrieben:
1. Erinnern – Wissen, dass es etwas gibt und wo
man es finden kann.
2. Verstehen – Verbindungen zwischen Dingen
herstellen können.
ABstrAct
conservator competency
Since 2008, the European Qualifica-tion Guidelines for life-long learning (EQR) offers an instrument which simplifies the definition professional qualifications. The E.C.C.O. has now applied these qualifications to the field of conservation/restoration. The three Germans-language associa-tions – ÖRV, SKR-SCR and VDR have translated them into German and published them online.
thEma: BERuf
398/2014
BERuf
3. Anwenden – Kenntnisse in einem geeigneten
Kontext benutzen können.
4. Analysieren – Kenntnisse kritisch anwenden
können und dabei ein hohes Reflexionsniveau er-
reichen.
5. Bewerten – Kenntnisse anwenden, um eine
Situation im breiten Kontext und in Bezug auf
spätere Ergebnisse zu erfassen. Dies ermöglicht
das Abwägen von Ergebnissen im Rahmen von
Entscheidungen und entsteht aus Erfahrung.
6. Erschaffen – Eine große Bandbreite an Kennt-
nissen und Erfahrung erlaubt es, den Wissens-
horizont zu erweitern.
Bewertung von FertigkeitenHandfertigkeit in der praktischen Anwendung
von Untersuchungstechniken und der Durchfüh-
rung von Konservierungs- und Restaurierungs-
Das Schema zeigt durch Farbkodie-rung bzw. Buchstaben- und Zahlen-kombinationen die für Niveau 7 er-forderlichen Kenntnisse und Fertig-keiten für jedes der Tätigkeitsfelder.
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2, S
. 26–
27.
maßnahmen (K-R-Maßnahmen) wird als wesent-
liche Voraussetzung beruflicher Praxis gesehen.
Fertigkeiten sind allgemein definiert als: Kön-
nen, Begabung (Gewandtheit) oder manuelle
Fertigkeiten bzw. Geschick, die durch Übung
oder Erfahrung erworben bzw. entwickelt wer-
den. In dem Schema ist der Grad von Fertigkei-
ten, die zur Ausübung der Tätigkeit erforderlich
sind, einem Farbcode zugeordnet.
Grundfertigkeit wird als die Fähigkeit beschrie-
ben, Grundaufgaben in einem komplexen Kon-
servierungs-Restaurierungsprozess auszufüh-
ren. Diese Fertigkeiten erlauben es, innerhalb
bestimmter Grenzen, die durch professionelle
Anleitung vorgegeben werden, zu arbeiten.
Mittlere Fertigkeiten nennt man Fertigkeiten,
die auch in die Breite und Tiefe gehen. Sie erlau-
ben es, ohne Aufsicht Grundaufgaben der Kon-
46 8/2014
Annegret Gerick
Ein Glücksfall für die chinesische ArchäologieDie Restaurierung eines Tang-zeitlichen Kopfschmuckes
1Detailansicht der zentralen Kopf-schmuck-Elemente
Mehr als 1265 Jahre ruhte Li Chui in ihrer unterirdischen Grabkammer im Lößboden von Xi`an in Zentralchina, bis im Dezember 2001 ein Grabungsteam des Archäologischen Instituts der Provinz Shaanxi einen der senkrechten Luftschächte des Zugangskorridors entdeckte. Daraufhin erfolgten eine systematische Ausgrabung der Tang-zeitlichen Grabanlage und die Restaurierung der Funde im Rahmen eines deutsch-chinesischen Kooperationsprojektes. Fünf Jahre später wurde in der großen Ausstellung „Xi`an – Kaiserliche Macht im Jenseits. Grabfunde und Tempelschätze in Chinas alter Hauptstadt“ in der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland in Bonn mit den Funden aus dem Grab der Li Chui die erste wissenschaftlich fundierte Rekonstrukti-on eines Tang-zeitlichen Kopfschmuckes präsentiert.
1
AbstrAct
A stroke of Luck for chinese Archae-ology the restoration a tang Headdress
The discovery of the tomb of Prin-cess Li Chui (711–736) in 2002 was a stroke of luck for Chinese archaeolo-gy. It brought to light an undisturbed grave with almost completely intact contents, including a magnificent headdress of the princess. Owing to the in situ excavation of the object, it was possible for the first time to re-construct a Tang headdress in strict adherence to findings. Restoration, conservation, evaluation and inter-pretation of the object was conduct-ed as part of a BMBF-sponsored Ger-man-Chinese project, in which Ger-man restorers of the Römisch-Ger-manisches Zentral Museum and Chinese specialists of the Archaeo-logical Institute in Xi´an collaborated.
thema: RestauRieRung in asien
478/2014
RestauRieRung in asien
2Die Röntgenbilder verrieten bereits den filigranen und komplexen Auf-bau des Objektes.
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Die FundumständeDie Grabanlage der Li Chui (711–736) gehört zu
einer ausgedehnten Nekropole, die zwischen
2001 und 2003 bei Bauarbeiten für neue Wohn-
gebäude der Ligong Universität in der südöstli-
chen Vorstadt von Xi`an (Provinz Shaanxi) freige-
legt wurde und insgesamt 186 Gräber – darunter
140 Gräber aus der Tang-Zeit – zutage förderte.
Kurz nach der Bestattung der Li Chui muss Was-
ser in die Kammer eingedrungen sein, denn der
Körper der Bestatteten – vom Kopf getrennt –
und Teile des Grabinventares befanden sich
nicht mehr an ihrem ursprünglichen Ort. Vor al-
lem die leichten Gegenstände aus Lack waren
durch Wasser und mitgeschwemmten Löß ange-
hoben und nach oben gespült worden. Neben
der Toten selbst und den erwähnten Lackarbei-
ten waren zahlreiche Keramikfigürchen, Gefäße
aus Bronze, Silber, Weichporzellan und Keramik,
zwei Spiegel aus Zinnbronze sowie ein Spiegel
aus Silber, verschiedene Eisenobjekte, Münzen
und diverse Kleinobjekte aus Jade, Perlmutt und
Blei beigegeben worden. Eine der beiden eben-
falls aufgefundenen Keramikplatten erzählt in po-
etischen Worten die Umstände von Leben und
Tod der Li Chui. Aber bereits vor der Entzifferung
der Inschrift stand fest, dass es sich um eine
hochangesehene Persönlichkeit handeln muss-
te, trug sie doch reich verzierte Kleidung und ei-
nen aufwendig gearbeiteten Kopfschmuck. Es
ist der Umsichtigkeit des Grabungsleiters Ma
Zhijun vom Archäologischen Institut in Xi`an zu
verdanken, dass sowohl der Körper als auch der
Schädel samt Trachtbestandteilen in situ gebor-
gen wurden. Diese Vorgehensweise bildete die
Voraussetzung dafür, den Kopfschmuck und die
Tracht der Li Chui wissenschaftlich fundiert re-
konstruieren zu können.
Dokumentation und Freilegung des BlockesDie Arbeiten am Schädelblock begannen im März
2004 in den Werkstätten des Archäologischen In-
stituts in Xi`an mit einer Röntgenuntersuchung,
die erste Aussagen über die Beschaffenheit und
den Erhaltungszustand des Befundes erlaubte
(Abb. 1). Die verschiedenen Zierelemente griffen
ineinander und lagen vertikal und horizontal im
Block (Abb. 2). Eine Entnahme in Schichten ent-
sprechend der Plana gestaltete sich unmöglich
und erschien auch nicht sinnvoll, da es die Vor-
stellung von der Dreidimensionalität des Kopf-
schmuckes beeinträchtigt hätte. Also wurde der
Hauptteil zunächst von drei Seiten freipräpariert
und die Schmuckelemente nach ihrer Zugehörig-
keit untereinander vom Block getrennt. Insofern
ließen sich – trotz allem – Freilegungsebenen de-
finieren, die jeweils von drei Seiten digital foto-
grafiert und im Maßstab 1:1 ausgedruckt wur-
den. Besonders wichtig war bei diesem Vorge-
2
Dank eines im Grab gefundenen Epitaphs ist bekannt, dass Li Chui eine Nachfahrin des ers-
ten Kaisers der Tang-Dynastie (Kaiser Gaozu, reg. 618–626) und damit eine Angehörige der
kaiserlichen Familie war. Sie heiratete demnach einen Beamten ferner Herkunft, gebar ein
Kind und führte ein tugendhaftes und behütetes Leben, bevor sie im Alter von 25 Jahren un-
heilbar erkrankte. Li Chui starb am 21. Mai 736.
Li Chuis kurzes Leben fällt in die Hochphase der Tang-Dynastie (618–907 n. Chr.). Kaiser
Xuan zong regierte in Chang`an, dem heutige Xi`an. Die Hauptstadt des chinesischen Groß-
reiches mit seinen etwa zwei Millionen Einwohnern erlebte ihre Blüte als politisches und kul-
turelles Zentrum. Die größte Metropole der damaligen Welt war Ausgangs- und Endpunkt
der Seidenstraße, hier versammelten sich Kaufleute, Beamte, Handwerker und Künstler und
tauschten nicht nur Handelsgüter, sondern auch Wissen, Technologie und künstlerische In-
spiration aus. In friedlicher Koexistenz praktizierten die Einwohner den Daoismus, den Bud-
dhismus, das Christentum oder den Manichäismus (Zhang 2006). Der metropolitane Lebens-
stil äußerte sich in Reichtum und Luxus, der gesellschaftliche Status wollte in Kleidung,
Schmuck und entsprechenden Hoheitszeichen demonstriert werden. Nicht nur, aber auch
wegen der auf hohem technischen Niveau gearbeiteten Goldschmiedearbeiten aus Gräbern
jener Zeit spricht man von der Tang-Dynastie als dem „Goldenen Zeitalter“ Chinas.
Li Chui und das tang-zeitliche Chang`an
hen, alle Befunde vor ihrer Abnahme dokumenta-
risch zu erfassen, um sie später wieder in den
komplexen Aufbau integrieren zu können. Mit Hil-
fe der Fotoausdrucke ließen sich Transparent-
zeichnungen inklusive eines jeweiligen Rasters
mit definiertem Bezugspunkt anlegen. Jedes ent-
nommene Einzelteil konnte auf diese Weise in
der richtigen Position abgelegt, nummeriert und
mit Anmerkungen – wie bereits vorgenommenen
Festigungsmaßnahmen oder Materialprobenent-
nahmen – versehen werden. Die Lage des Einzel-
teiles innerhalb des Gesamtkonstruktes war an-