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Law Zone Nr. 1/2009 Law Zeitschrift für rechtswissenschaftliche Fakultäten in Deutschland - Nr. 1/2009 Herausgeber Fachschaft des Fachbereichs Rechtswissenschaft der Goethe-Universität Frankfurt am Main TITEL Verfassung und Verfassungswandel HANS-JÜRGEN PAPIER New York Bar Exam PETER C. FISCHER Arbeitsrecht als Schwerpunkt WOLF-DIETRICH WALKER Das Finanzmarktstabilisierungs- gesetz HANS-JÖRG SIMON Reform des GmbH-Rechts GRACIELA HOFFMANN Prozessführung nach dem KapMuG MATHIAS FISCHER Gesetz zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes KATRIN LACK TITEL Verfassung und Verfassungswandel HANS-JÜRGEN PAPIER New York Bar Exam PETER C. FISCHER Arbeitsrecht als Schwerpunkt WOLF-DIETRICH WALKER Das Finanzmarktstabilisierungs- gesetz HANS-JÖRG SIMON Reform des GmbH-Rechts GRACIELA HOFFMANN Prozessführung nach dem KapMuG MATHIAS FISCHER Gesetz zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes KATRIN LACK

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Law Zone Nr. 1/2009

LawZeitschrift für rechtswissenschaftliche Fakultäten in Deutschland - Nr. 1/2009

Herausgeber Fachschaft des Fachbereichs Rechtswissenschaft der Goethe-Universität Frankfurt am Main

TITEL

Verfassung undVerfassungswandelHANS-JÜRGEN PAPIER

New York Bar ExamPETER C. FISCHER

Arbeitsrecht als SchwerpunktWOLF-DIETRICH WALKER

Das Finanzmarktstabilisierungs-gesetzHANS-JÖRG SIMON

Reform des GmbH-RechtsGRACIELA HOFFMANN

Prozessführung nach dem KapMuGMATHIAS FISCHER

Gesetz zur Änderung desSozialgerichtsgesetzesKATRIN LACK

TITEL

Verfassung undVerfassungswandelHANS-JÜRGEN PAPIER

New York Bar ExamPETER C. FISCHER

Arbeitsrecht als SchwerpunktWOLF-DIETRICH WALKER

Das Finanzmarktstabilisierungs-gesetzHANS-JÖRG SIMON

Reform des GmbH-RechtsGRACIELA HOFFMANN

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090302_Referendare_LawZone 01.12.2008 16:56 Uhr Seite 1

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Editorial

In eigener Sache

Liebe Leserinnen und Leser,

am 23. Mai 2009 feiert das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland seinen 60. Geburts-tag. In Zeiten der Krisen, sei es auch nur die ak-tuelle Weltfinanzkrise, die die Märkte erschüttert, und in Zeiten eines stetigen Prozesses der Europä-isierung fragt man sich durchaus, inwieweit unser Grundgesetz noch aktuell ist, wo es an unsere Zeit angepasst werden muss oder anders: Ist das Grund-gesetz überhaupt reformbedürftig?Auf diese und andere Fragen rund um die Verfas-sung und deren Wandel im Laufe der Zeit geht zu Ehren dieses Jubiläums der Präsident des Bundes-verfassungsgerichts Prof. Dr. Dres. h.c. Hans-Jür-gen Papier in seinem Beitrag ein. Ganz besonders möchte ich Ihnen diesen Text in dieser Ausgabe der Law Zone empfehlen (siehe S. 6).Von anderer Seite - auch in Bezug auf den Not-stand der Finanzmärkte - geht Rechtsanwalt Hans-Jörg Simon auf das neue Finanzmarktstabi-lisierungsgesetz ein. Geht es hier um den Anfang von Staatswirtschaft? Sind die Neuerungen eine notwendige Hilfe für den Finanzmarkt? Und was sind die Gründe dafür, dass sich der Staat verstärkt in den Vordergrund der Wirtschaft drängt? Dazu mehr von Hans-Jörg Simon (siehe S. 32).Und wie sieht es mit den Kapitalanlegern, den Verlierern des Finanzmarktes aus? Rechtsanwalt Mathias Fischer deckt die Prozessführung gegen Emittenten oder Banken nach dem 2005 in Kraft getretenen Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz auf (siehe S. 42).

Änderungen gab es jedoch auch im GmbH-Recht: Den Überblick über die Reform durch das Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen verschafft uns Rechtsanwältin Graciela Hoffmann (siehe S. 38).Als weitere wertvolle Beiträge sind unter anderem das „Gesetz zur Änderung des Sozialgerichtsge-setzes“ von Katrin Lack zu nennen (siehe S. 43), insbesondere auch die Stellungnahme von Prof. Dr. Wolf-Dietrich Walker zum Arbeitsrecht im Schwerpunktbereich (siehe S. 16). Zur Abrundung des Ausbildungsteils dieser Ausgabe sind neben einem Europarechts- und einem Schuldrechts-Fall - dankenswerterweise wie immer von Dr. Christi-an Rauda und Dr. Jochen Zenthöfer zur Verfügung gestellt - auch der informative Beitrag zur Zusatz-qualifikation New York Bar Exam von Rechtsan-walt Peter C. Fischer zu erwähnen (siehe S. 13). An dieser Stelle nochmals Vielen Dank an alle Au-toren der Law Zone 1/2009!

Ich wünsche eine interessante und ertragreiche Lektüre,

Ihr Alexander Junkov Chefredakteur

Frankfurt am Main im Februar 2009

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In eigener Sache

Inhaltsverzeichnis In eigener Sache Editorial 3

Impressum 50

Titelthema VerfassungundVerfassungswandel VonHans-Jürgen Papier 6

Ausbildung

ZusatzqualifikationNewYorkBarExam VonPeter C. Fischer 13

ArbeitsrechtimSchwerpunktbereich VonWolf-Dietrich Walker 16

FallzumSchuldrecht VonStefanie Rieke 18 „StudentmeetsPractice“ VonTimo Arnold 22

FallzumEuroparecht VonAlexandre Ho Jean-Claude 24

Kommentar

DasFinanzmarktstabilisierungsgesetz VonHans-Jörg Simon 32

ÜberblicküberdieReformdesGmbH-Rechts durchdasMoMiG VonGraciela Hoffmann 38

ProzessführungnachdemKapMuG VonMathias Fischer 42 GesetzzurÄnderungdesSozialgerichtsgesetzes VonKatrin Lack 43

Buchrezensionen 48

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Verfassung und Verfassungswandel1

Von Prof. Dr. Dres. h.c. Hans-Jürgen Papier, Präsident des Bundesverfassungs-gerichts, Karlsruhe2

„Machtverlust des Staates durch Globalisierung und Agglomeration privaten Kapitals“, „Kom-petenzverlagerung auf überstaatliche Institutio-nen“, „Vorschriftenflut“, „Politikverdrossenheit und sinkende Wahlbeteiligung“, „unablässig wachsende Staatsverschuldung bei unverrück-barem Schuldensockel“, „programmierter de-mographisch bedingter Kollaps der Sozialsysteme“, „fehlende Generationengerechtigkeit“, „Kampf der Ge-nerationen“, „clash of civilisations“, „Weltfinanzkrise“, „Verwischen von Kriegs- und Friedensordnung ange-sichts asymmetrischer terroristischer Bedrohungslagen“ - et cetera, et cetera.12

Derartige Probleme - ich habe exemplarisch und schlagwortartig einige ausgewählt - scheinen den deutschen Verfassungsstaat der Gegenwart geradezu zu „umzingeln“. Ist das bald 60-Jahre alte Grundgesetz noch eine geeignete verfassungsrechtliche Grundlage, die aktuellen Problemlagen unserer Gesellschaft zu meistern? Brauchen wir eine komplett neue Verfassung beziehungsweise eine weitgehende oder gar permanente Verfassungsreform? Oder sind Modernisierungen der Verfassung gar unerheblich, weil die Musik schon längst auf anderen - nichtstaatlichen - Ebenen spielt oder weil die Probleme weniger rechtlicher, sondern mehr gesellschaftlicher oder ökonomischer Art und durch neues Recht nur scheinbar lösbar sind?Derartigen Fragen möchte ich heute nachgehen. Beginnen werde ich (I.) mit dem für das Grundgesetz zentralen Grundrechtsschutz und der Frage, ob und inwieweit er vor dem Hintergrund immer neuer Bedrohungsszenarien noch zu gewährleisten ist. Sodann (II.) werde ich mich mit der Frage befassen, inwieweit die Verfassung für die Menschen nicht nur einen rechtlichen Freiheitsraum, sondern auch einen politischen Raum zu schaffen geeignet ist, der dem Volk eine angemessene demokratische Teilhabe ermöglicht. Es folgen Ausführungen (III.) zu den Themen Staatsverschuldung, Sozialstaatlichkeit und Generationengerechtigkeit sowie der aktuellen Finanzkrise. Schließlich (IV.) werde ich aktuelle innerstaatliche Veränderungen, vor allem im Bereich der Bundesstaatlichkeit behandeln und zuletzt (V.)

� Der Text beruht auf einem Vortrag, den der Verfasser am 6. November 2008 in der Universität Karlsruhe im Rahmen des Colloquium Fundamen-tale - 60 Jahre Grundgesetz gehalten hat. Die Vortragsform wurde beibe-halten.� Bei der Abfassung des Manuskripts wurde der Autor von seinem wis-senschaftlichen Mitarbeiter beim BVerfG, Herrn Regierungsdirektor Dr. Amadeus Hasl-Kleiber, tatkräftig unterstützt.

einen Ausblick auf Vorgänge im Bereich der Europäischen Union vornehmen.

I. Grundrechtsschutz in neuen Bedro-hungsszenarienDer Schutz vor Todesangst und Gefahren für Leib und Leben war und ist die ursprüngliche

Aufgabe des neuzeitlichen Staates seit Thomas Hobbes. Bereits in einer Frühphase der europäischen Aufklärung – vor allem von Spinoza und Locke – wurde allerdings die Idee der Freiheitsrechte entwickelt als implementierte Abwehrrechte gegen den leviathanischen Staat. Diese Kernfunktionen des Staates als Garant von Sicherheit und Freiheit bestehen ungeachtet der weiteren staatlichen Aufgabenexpansionen, etwa im Bereich der sozialen Sicherung und des Umweltschutzes, auch heute unverändert fort. Das Grundgesetz steht in dieser Tradition, indem es dem Einzelnen vor allem unmittelbare Abwehrrechte gegen Exekutive, Judikative und Legislative einräumt und dafür gleichzeitig den Rechtsweg eröffnet.Vor allem der internationale Terrorismus und die organisierte Kriminalität haben zu neuen Gefahren- und Bedrohungsszenarien geführt, die neue Fragen beim Ausgleich zwischen Freiheit und Sicherheit aufwerfen. Nach dem Konzept des Grundgesetzes erfordern derart veränderte Rahmenbedingungen aber nicht unbedingt Verfassungsänderungen - gefordert ist vielmehr zunächst der Erstinterpret der Verfassung nämlich in einer parlamentarischen Demokratie wie der unsrigen der „einfache“ Bundes- oder Landesgesetzgeber. Es ist zunächst und vor allem an ihm, neuartigen Gefahren mit effektiven und gleichzeitig rechtsstaatlich angemessenen Sicherheitsgesetzen zu begegnen. Das Grundgesetz räumt ihm insoweit einen Beurteilungs- und Gestaltungsspielraum ein und verstärkt die staatliche Sicherheitsaufgabe noch dadurch, dass es aus den Grundrechten ergänzend zu ihrer Abwehrfunktion auch staatliche Schutzpflichten begründet, die der Staat seinerseits als verfassungslegitimen Grund für Eingriffe in Grundrechte heranziehen kann, weil er Bedrohte und Gefährdete vor den Angriffen anderer schützen muss. Dabei ist der Gesetzgeber bei der Gestaltung von Eingriffsbefugnissen nicht zwingend an die mit dem überkommenen Gefahrenbegriff verbundenen polizeirechtlichen Eingriffsgrenzen gebunden. Das Grundgesetz hindert ihn nicht daran, die traditionellen rechtsstaatlichen Bindungen auf der Grundlage einer

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seiner Prärogative unterliegenden Feststellung neuartiger oder veränderter Gefahrenlagen und Bedrohungsszenarien fortzuentwickeln. Die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit darf also vom Gesetzgeber neu justiert, die Gewichte dürfen allerdings von ihm nicht grundlegend verschoben werden. Das Grundgesetz verlangt nämlich von allen staatlichen Gewalten eine permanente Rückbesinnung auf die von ihnen zu verteidigenden Freiheitsrechte. Der Sinn des Staates liegt in der Freiheitsgewähr. Dabei hat sich das Grundgesetz dagegen entschieden, sämtliche verbürgten Rechte abwägbar oder gar „wegwägbar“ zu machen. Die Menschenwürdegarantie sowie der Menschenwürde-gehalt spezieller Freiheitsrechte gehören zu diesem absolut geschützten Kernbestand. Außerhalb des Kernbestandes des Menschenwürdeschutzes besteht allerdings eine Bandbreite gleichermaßen möglicher Alternativen. Innerhalb des von der Verfassung gesetzten Rahmens sind die Lösungen, auch die für eine Balance von Freiheit und Sicherheit, nicht von vornherein durch Sachzwänge, durch den technischen Fortschritt oder durch historische Gesetzmäßigkeiten im einzelnen vorgegeben. Nicht alles, was technisch machbar ist, muss auch rechtlich erlaubt sein. Von technischen Möglichkeiten auf normative Aussagen oder Postulate, also gewissermaßen von einem „Sein“ auf ein „Sollen“, zu schließen, wäre ein „naturalistischer Fehlschluss“ (Böckenförde3). Nur weil man heute sog. „Nacktscanner“ konstruieren kann, muss man sie nicht einsetzen dürfen.Die grundrechtlichen Herausforderungen liegen aber nicht nur im klassischen Freiheitsschutz gegenüber dem Staat. Immer stärker geht es auch darum, Freiheitsbereiche gegenüber anderen Menschen und privaten Institutionen abzusichern. Zwar sind die Grundrechte in erster Linie und unmittelbar vor allem Abwehrrechte gegen den Staat. Wegen der bereits erwähnten, ebenfalls aus den Grundrechten abgeleiteten Schutzpflichten ist der Staat aber auch verpflichtet, insoweit ein angemessenes Schutzregime zu verwirklichen - er wird sich häufig nicht mit bloßen Selbstverpflichtungen Privater begnügen dürfen, sondern selbst eine verbindliche Ordnung zu konstituieren haben, um der grundrechtlichen Werteordnung auch im Privatrechtsverkehr Geltung zu verschaffen. Das gilt für den Bereich des Schutzes von Kindern ebenso wie beispielsweise hinsichtlich der Gewährleistung des Datenschutzes durch private datensammelnde und datenverarbeitende Stellen. Auch insoweit ist aber entscheidend, dass es regelmäßig nicht nur einen Lösungsweg gibt und dass sich die Anforderungen permanent verändern. Auch insoweit ist der (einfache) Gesetzgeber Erstinterpret der verfassungsrechtlichen Schutzpflichten und ist gehalten, im Rahmen seines Einschätzungs-, Beurteilungs- � Ernst-Wolfgang-Böckenförde, Menschenwürde als normatives Prinzip - die Grundrechte in der bioethischen Debatte, in: ders., Recht, Staat, Frei-heit, erweiterte Ausgabe 2006, S. 389 ff., 392.

und Gestaltungsspielraums Regelungssysteme zu entwickeln. Für das reale Zusammenleben wäre dabei wenig gewonnen, das Grundgesetz um - notgedrungen abstrakte - staatliche Handlungskataloge zu ergänzen, die dann ihrerseits einer einfachgesetzlichen Konkretisierung bedürften.Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass das Grundgesetz mit seinem Katalog unmittelbar geltender und justiziabler Freiheitsrechte und den aus diesen Grundrechten zusätzlich abgeleiteten mittelbar wirkenden Schutzpflichten einen Werterahmen schafft, der dem Gesetzgeber ermöglicht, von ihm aber auch fordert, eine Rechtsordnung zu schaffen, die die Balance von Sicherheit und Freiheit dauerhaft gewährleistet.Die somit zentrale Stellung des - gegebenenfalls verfassungsrechtlich domestizierten - (einfachen) Gesetzgebers führt mich zu meinen beiden nächsten Punkten: dem Erfordernis demokratischer Teilhabe als einer Voraussetzung der Rückanbindung der Gesetze an das Volk (als des eigentlichen Souveräns) und dem Erfordernis, dass Gesetze auch vollzogen werden müssen und dass die staatliche Handlungsfähigkeit nicht durch eine lähmende Staatsverschuldung und daraus resultierende Vollzugsdefizite gefährdet werden darf, auch im Interesse zukünftiger Generationen.

II. Demokratische TeilhabeRechtlich ist die parlamentarische Demokratie im Rahmen des Grundgesetzes verwirklicht. Es gibt freie, gleiche, unmittelbare und geheime Wahlen auf Bundes- und Landesebene, bei Abstimmungen herrscht das Mehrheitsprinzip, Minderheiten werden geschützt, die politischen Parteien werden auch von der Verfassung in ihrer unverzichtbaren Rolle bestätigt, dabei sind aber die Parlamentarier Vertreter des ganzen Volkes und die notwendigen Quoren sind differenziert nach der Gewichtigkeit der jeweils beabsichtigten Änderung - Grundgesetzänderungen bedürfen also einer 2/3-Mehrheit. Angesichts dieses austarierten Systems gibt es keinen Grund für „Hiobsbotschaften“. Allerdings zeigt sich in der Realität eine nicht zu unterschätzende Passivität des Volkes bei seiner Teilhabe am politischen System, die in einer zunehmend geringeren Wahlbeteiligung und in nicht zu übersehenden Zeichen von Politikverdrossenheit zum Ausdruck kommt. Nun ist dieses Thema in erster Linie von den politischen Akteuren zu bearbeiten - und dass es auch anders geht zeigen derzeit die USA. Allerdings sollte auch aus verfassungsrechtlicher Perspektive gefragt werden, ob es Reformmöglichkeiten gibt, die dabei helfen können, die Steuerungs- und Handlungsfähigkeit des Staates und des demokratisch-parlamentarischen Systems langfristig zu sichern.Eine Entscheidung zu Gunsten eines bestimmten Wahlsystems, etwa des Verhältnismäßigkeits- oder

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des Mehrheitswahlrechts, ist in der Verfassung nicht getroffen worden. Das Grundgesetz formuliert nur bestimmte Wahlrechtsgrundsätze oder -prinzipien (Art. 38 Abs. 1 GG), insbesondere die Gleichheit der Wahl. Das Grundgesetz verfolgt insoweit also einen eher abstrakten Ansatz. Auch wenn man das Wahlsystem grundlegend ändern wollte, wäre eine Verfassungsänderung nicht erforderlich, eine solche Entscheidung sollte aber in jedem Fall von einer breiten parlamentarischen Mehrheit getragen sein.Anstelle eines kompletten Systemwechsels - etwa hin zu einem Mehrheitswahlrecht - würde das Grundgesetz aber auch Veränderungen innerhalb des bestehenden Bundeswahlsystems ermöglichen. Insbesondere könnte dem Wähler bei der Bundestagswahl die Möglichkeit gegeben werden, innerhalb der Landeslisten mehrere Stimmen auf einen Kandidaten abzugeben und die Reihenfolge der Kandidaten auf den Listen zu ändern. Dieses Verfahren gibt es auf Länderebene bereits, vor allem bei Kommunalwahlen. Ein solches Verfahren würde die Möglichkeit zur Wahl konkreter Persönlichkeiten verbessern und könnte langfristig dazu beitragen, den Wahlberechtigten einen direkteren Einfluss auf die personelle Zusammensetzung des Parlaments zu geben.Eine weitere Möglichkeit, dem Wähler mehr Einfluss zu geben, wäre ein Gesetzesinitiativrecht aus der Mitte des Volkes, wie es der Vertrag von Lissabon auf EU-Ebene vorsieht. Im Gegensatz zur Länderebene sind plebiszitäre Elemente auf Bundesebene vom Grundgesetz kaum vorgesehen. Das hat an sich einen guten Grund, sind doch die Gesetzgebungsaufgaben gerade auf Bundesebene hochkomplex und können regelmäßig nicht mit einem einfachen Ja oder Nein beantwortet werden. Allerdings wären auch differenzierende Lösungen vorstellbar. So sollen nach der durch den Vertrag von Lissabon vorgeschlagenen Neufassung von Art. 8b Abs. 4 EUV (konsolidiert Art. 11 Abs. 4 EUV) Unionsbürgerinnen und Unionsbürger, deren Anzahl mindestens eine Million betragen und bei denen es sich um Staatsangehörige einer erheblichen Anzahl von Mitgliedstaaten handeln muss, „die Initiative ergreifen und die Kommission auffordern“ können, „im Rahmen ihrer Befugnisse geeignete Vorschläge zu Themen zu unterbreiten, zu denen es nach Ansicht jener Bürgerinnen und Bürger eines Rechtsakts der Union bedarf, um die Verträge umzusetzen“. Würde eine vergleichbare Möglichkeit auf Bundesebene eröffnet, hätten nicht mehr nur Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung das Recht zur Einleitung eines Gesetzgebungsverfahrens; vielmehr könnte ein Gesetzesvorhaben auch vom Volk initiiert werden. Der Beschluss eines solchen Gesetzes bliebe aber dem Parlament vorbehalten. Auch eine solche Reform könnte dazu beitragen, dass sich die Bürger wieder stärker im parlamentarischen System politisch engagieren.Schließlich spräche die besagte Komplexität gerade

der Bundesgesetzgebung auch für eine Verlängerung der Legislaturperiode auf fünf Jahre, wie sie viele Bundesländer bereits kennen.Zusammenfassend ist das Grundgesetz ein Garant für demokratische Teilhabe des Volkes. Seine dezidierte Grundentscheidung für ein System mittelbarer, repräsentativer Demokratie hat sich bewährt; eine Feststellung, die allerdings maßvolle Veränderungen im Wahlrecht und eine maßvolle Ergänzung durch das plebiszitäre Element der Volksinitiative nicht ausschließen muss.Doch auch wenn es zu einer Stärkung der Wahlbeteiligung und des politischen Engagements des Volkes kommen sollte, wird mindestens genauso wichtig sein, ob und inwieweit die demokratisch und parlamentarisch auf den Weg gebrachten Gesetze in der Praxis auch tatsächlich vollzogen werden. Das führt mich unter anderem auch zum Problem der Staatsverschuldung - denn fehlende Vollzugsressourcen bewirken Vollzugsdefizite und sind damit ein wichtiger Faktor für Politik- und damit letztlich auch Rechtsverdrossenheit.

III. Staatsverschuldung und Generationengerech-tigkeitDer Staat hat seit Jahrzehnten mit einem massiven An-wachsen von Aufgaben in den meisten Politikfeldern zu kämpfen. Mit dem technologischen und sozialen Fortschritt hat er über Jahrzehnte hinweg immer mehr Aufgaben an sich gezogen, ohne die damit gleichzeitig eintretenden häufig sehr langfristigen Belastungen aus-reichend zu berücksichtigen. Die Folge war ein Anstieg der Staatsquote auf beinahe 50%; mit anderen Worten belaufen sich die Gesamtausgaben des Staates auf beina-he die Hälfte des Bruttoinlandsproduktes. Hinzu kommt eine noch immer steigende Flut von neuen Gesetzen, Verordnungen und Verwaltungsvorschriften des Bundes, der Länder und nicht zuletzt auch der Europäischen Uni-on, die viele Lebensbereiche des Bürgers bis ins Detail hinein regulieren und determinieren und deren Vollzug immense Kosten im Bereich von Bürokratie und Rechts-pflege, aber auch in Wirtschaft und Gesellschaft erfor-dert bzw. verursacht.Diese Kostenlawine hat zu einem Doppelproblem geführt: Erstens sieht sich allein der Bund einem Schuldensockel von über 900 Milliarden Euro gegenüber, an dessen Tilgung im Augenblick kaum zu denken ist und der dazu führt, dass im Haushaltsjahr 2007 allein für die Bedienung der daraus folgenden Zinsen mehr als 15% der Steuereinnahmen aufgewendet werden mussten4. Bei den Bundesländern ist die Situation jeweils für sich zu beachten, tendenziell im bundesweiten Durchschnitt aber kaum erheblich besser zu beurteilen. Zweitens führen

� Vgl. zu diesen Zahlen die abweichende Meinung der Richter Di Fabio und Mellinghoff unter IV. zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 09.07.2007, Az. 2 BvF 1/04, BVerfGE 119, 96 (155 ff., 171), mit Hinweis auf eine Stellungnahme des Bundesrechnungshofs vom 05.02.2007.

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die angehäuften Aufgaben ebenso wie die angehäuften Zinslasten zu einer permanenten Neuverschuldung, die bislang keineswegs flächendeckend einschränkbar ist. Dieses Doppelproblem bewirkt, dass immer weniger politischer Gestaltungsspielraum für eine Stärkung tatsächlicher Vollzugstätigkeiten des Staates besteht, beispielsweise für eine strukturelle und personelle Stärkung der Jugendämter zur tatsächlichen Sicherung der - rein juristisch weitgehend längst bestehenden - verfassungsrechtlichen Verbürgung der Rechte von Kindern auch in der realen Umsetzung. Aber auch bei den derzeit aktuellen staatlichen Hilfsmaßnahmen für den Finanzmarkt geht es um dieses Thema. Denn es könnte für den Fall, dass die vorgesehenen staatlichen Garantien tatsächlich einmal eingelöst werden müssen, zu der fast schon paradoxen Situation kommen, dass der Staat - mangels verfügbarer Eigenmittel - zur Stützung des Finanzmarktsektors bei gerade diesem Finanzmarkt wiederum staatliche Kredite aufnehmen muss. Das mag sich bei isolierter Betrachtung begründen lassen - ja geradezu unausweichlich und geboten erscheinen -, erhält aber vor dem Hintergrund der ohnehin bereits bestehenden staatlichen Schuldenlast eine zusätzliche Brisanz.Wie steht das Grundgesetz zu diesem Phänomen und welche Gegenmaßnahmen ermöglicht es?Rechtlicherseits gilt zunächst das Prinzip der „offenen Staatsaufgaben“. Die vom Staat wahrgenommenen Aufgaben müssen sich also von Verfassungs wegen nicht auf den Bereich klassischer Staatsfunktionen oder auf einen abgeschlossenen Kanon von Aufgaben beschränken. Auch hierin zeigt sich der Primat des einfachen Gesetzgebers. Mehr Gesetze bedeuten aber nicht automatisch mehr Recht. Wenn der Staat immer neue Aufgaben an sich zieht, so resultiert daraus eine Flut von Vorschriften, die aber mangels Personals und Haushaltsmitteln in immer mehr Fällen gar nicht effektiv durchzusetzen sind. Viele Gesetze laufen so ins Leere. Wir haben in der Regel kein Gesetzes-, sondern vielfach ein Vollzugsdefizit.Diese Entwicklung hat fatale Konsequenzen: Zum einen schwindet das Rechtsbewusstsein der Bürger, weil Gesetze nicht mehr durchweg als verbindlich begriffen werden. Zum anderen wird bei den Menschen der Eindruck vermittelt, man könne mittels Gesetzen und Bürokratie alle Probleme der Gesellschaft lösen, wenn nach jedem wirklichen oder vermeintlichen Skandal die Gesetzesmaschine angeworfen wird, ohne dass entsprechende zusätzliche Vollzugskapazitäten zur Verfügung stünden, während tatsächlich das durch Überregulierung geschaffene Vollzugsdefizit das Gegenteil bewirkt. Das führt am Ende nur zu weiterer Politikverdrossenheit, weil sich das Versprechen nicht einlösen lässt.Auch in der aktuellen Diskussion der Konsequenzen

aus der Finanzmarktkrise spielen diese Aspekte eine Rolle. Auf der einen Seite dürfte es unstreitig sein, dass klarere und strengere staatliche Regeln für den Finanzmarktsektor wünschenswert sind. Entscheidend ist allerdings, inwieweit die Einhaltung (zu schaffender) strengerer Regeln auch vom Staat kontrolliert wird und werden kann - hier geht es vor allem um die Frage, wieviel hochqualifiziertes Personal dauerhaft für eine solche Aufgabe angestellt werden soll und kann und aus welchem Haushalt das zu bezahlen ist.Doch damit noch nicht genug: Vollzugsdefizite größeren Umfangs bergen auch die Gefahr eines Vertrauensschwundes in das Recht selbst, weil diese Defizite in der Bevölkerung den Eindruck erzeugen können, dass solche Erscheinungen zum Bestandteil gesellschaftlicher Normalität werden könnten und vielleicht sogar, dass das Recht überspitzt gesagt nur etwas für die Braven, Schwachen und Dummen ist, während jeder, der es sich leisten kann, sich selbst von der Befolgung des Rechts dispensiert. Vollzugsdefizite können also mittelbar zu diffusen Ängsten und Befürchtungen führen, die zumeist über die tatsächlich bestehenden Missstände hinausreichen und die sich auch durch nachweisliche Erfolge bei der Bekämpfung solcher Missstände nicht leicht beruhigen lassen. Auch hier gilt die allgemeine Erkenntnis, dass es schwerer ist, verlorenes Vertrauen wiederzugewinnen, als vorhandenes Vertrauen zu bewahren und zu pflegen.Das Grundgesetz sieht keine „Aufgabenbremse“ für den Staat vor, wohl aber eine verfassungsrechtliche Grenze für die aus der Wahrung dieser Aufgaben resultierende Verschuldung, nämlich Art. 115 Abs. 1 Satz 2 GG. Halbs. 1 dieser Vorschrift schließt eine Staatsverschuldung dabei nicht per se aus, begrenzt sie aber in der sog. Normallage auf die getätigten Investitionen. Neben dieser tatbestandlichen Grenze für die „Normallage“ besteht nach Art. 115 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 GG bei „Störungen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts“ (sog. Störungslage) die Möglichkeit von Ausnahmen.Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2007 in seiner Entscheidung zum Bundeshaushalt 20045 deutlich gemacht, dass diese Schuldengrenze aus mehreren Gründen ein stumpfes Schwert ist, an dessen Revisionsbedürftigkeit „gegenwärtig kaum noch zu zweifeln“ sei6.So hat schon der einfache Bundesgesetzgeber (vgl. § 13 Abs. 3 BHO) bislang nicht präzisiert, ob mit „Investitionen“ Brutto- oder Nettoinvestitionen gemeint sind, insbesondere ob von den Nominalausgaben Abschreibungen und (nicht-investive) Einnahmen aus Vermögensveräußerungen oder bloßen Darlehensrückflüssen abzusetzen sind, obwohl es nach Art. 115 Abs. 1 Satz 3 GG Aufgabe des einfachen

� BVerfG, U.v. 09.07.2007, Az. 2 BvF 1/04, BVerfGE 119, 96.� BVerfGE 119, 96 [141, unter C.II.1.b)aa)].

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Gesetzgebers wäre, auch das festzulegen.Aber auch die Verfassungsbestimmung des Art. 115 Abs. 1 Satz 2 GG selbst erscheint als Steuerungsinstrument nicht streng genug. Insbesondere ist keine verfassungsrechtliche Absicherung für eine Verschuldungsbegrenzung außerhalb des Bundesbudgets in Nebenhaushalten und Sondervermögen vorgesehen. Auch erlaubt die Ausnahmeklausel des Art. 115 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 GG Kreditaufnahmen letztlich schon bei bloßen konjunkturellen Schwankungen und eröffnet einen praktisch nicht kontrollierbaren Spielraum des jeweiligen Haushaltsgesetzgebers.Das Ausmaß dieser Problematik hat das Bundesverfas-sungsgericht wie folgt beschrieben7: „Eine übermäßige Staatsverschuldung und die damit verbundene wach-sende Zinslast hemmen das langfristige Wachstum der Wirtschaft, verengen die aktuellen Handlungsspielräume des Staates und verlagern Finanzierungslasten in die Zu-kunft auf künftige Generationen. Vieles spricht deshalb dafür, die gegenwärtige Fassung des Art. 115 GG in ih-rer Funktion als Konkretisierung der allgemeinen Ver-fassungsprinzipien des demokratischen Rechtsstaats für den speziellen Bereich der Kreditfinanzierung staatli-cher Ausgaben (...) nicht mehr als angemessen zu werten und verbesserte Grundlagen für wirksamere Instrumente zum Schutz gegen eine Erosion gegenwärtiger und künf-tiger Leistungsfähigkeit des demokratischen Rechts- und Sozialstaats zu schaffen.“Die Verantwortung für eine Reform dieses Zustands liegt beim - zur Verfassungsänderung berufenen - Bundesgesetzgeber. Dabei hat es das Bundesverfassungsgericht im Jahr 20078 - wie bereits im Jahr 19899 - abgelehnt, über den Wortlaut des Art. 115 Abs. 1 Satz 2 GG hinaus verfassungsrechtliche Vorgaben für diese Konkretisierungs- und damit Selbstbindungsaufgabe zu machen. Insbesondere hat es eine teleologische Reduktion des Investitionsbegriffs in Art. 115 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 GG auf „Nettoinvestitionen“ nicht vorgenommen10. Aber auch im Bereich des Ausnahmetatbestands, Art. 115 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 GG, wird dem parlamentarischen Gesetzgeber ein überaus weiter Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum sowohl für die Frage zugebilligt, ob eine solche Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts besteht, als auch ob eine Kreditaufnahme zu ihrer Abwehr geeignet ist11. Das Bundesverfassungsgericht hat deshalb den Gesetzgeber aufgefordert, ein wirksameres Instrument zur Begrenzung staatlicher Schuldenpolitik zu entwickeln - wenn der Gesetzgeber in der Verfassung ein quasi sanktionsloses Verschuldungsinstrumentarium verankert, kann das Bundesverfassungsgericht eben

� BVerfGE 119, 96 [142, unter C.II.1.b)aa)].� BVerfGE 119, 96.� BVerfGE 79, 311 II (18.04.1989).�0 BVerfGE 119, 96 [143 - 145, unter C.II.1.b)bb).�� BVerfGE 119, 96 [140, unter C.II.1.a)bb)(2)].

nur dies feststellen, es aber nicht ändern. Es bleibt abzuwarten, welchen rechtlichen Bindungen sich der Bundesgesetzgeber in Zukunft unterwerfen wird. Unabhängig davon stellen sich ähnliche Probleme für alle Landeshaushalte, wobei die Länder als Staaten mit eigener Verfassungshoheit allerdings durchaus eigene Wege gehen können, auch in Sachen Schuldenbremse - das schließt auch ein Voranschreiten mit gutem Beispiel nicht aus.Die Staatsverschuldung, ihre Begrenzung und vor allem der Abbau des Schuldensockels sind zentrale Fragen nicht nur für die aktuelle Handlungs- und Steuerungsfähigkeit des Staates, sondern darüber hinaus auch der Generationengerechtigkeit. Denn die Schulden werden über den Zinsmechanismus von einer Generation zur nächsten weitergereicht. Dies erscheint vor allem im Zusammenspiel mit den sozialen Sicherungssystemen zunehmend problematisch. Denn dort bewirkt der bekannte demographische Doppelfaktor der konstant niedrigen Geburtenrate einerseits und der steigenden Lebenserwartung andererseits insbesondere bei den Sozialausgaben eine überproportionale finanzielle Belastung zukünftiger Generationen. Diese überproportionale Belastung dürfte auch kaum durch erbrechtliche Vorteile zukünftiger Generationen ausgeglichen werden, jedenfalls aber nicht entsprechend der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit innerhalb der zukünftigen Bevölkerung. Aus diesem Grund bedürften unsere sozialen Sicherungssysteme der Reform - das steht außer Frage und soll hier nicht weiter im sozialrechtlichen Detail vertieft werden.Aber: Gilt dieser Reformbedarf auch für das in Art. 20 Abs. 1 GG verankerte und mit „Ewigkeitsgarantie“ ausgestattete (Art. 79 Abs. 3 GG) Verfassungsprinzip der Sozialstaatlichkeit selbst? Ist die Konzeption unserer Staatsordnung als Sozialstaat „überholt“? Die Antwort lautet (selbstverständlich): Nein! Allerdings zeichnet sich das verfassungsrechtliche Sozialstaatsprinzip durch relative inhaltliche Offenheit aus. Es gibt zwar das Ziel vor, überlässt aber dem Gesetzgeber einen sehr weitgehenden Spielraum, wie und in welcher Form dieses Ziel zu erreichen ist. Dabei wurde das Sozialstaatsprinzip bislang - vereinfacht gesagt - als ein Vorgang der Umverteilung verstanden, und zwar von den Leistungsfähigen hin zu den Schutzbedürftigen. In Zukunft wird jedoch verstärkt auch eine zeitliche Dimension in die Betrachtungen einzustellen sein. Es geht nicht mehr nur um einen Ausgleich in der Gegenwart, sondern auch um die Erhaltung und Eröffnung von Zukunftsperspektiven und Zukunftschancen. Das führt zu veränderten Sichtweisen, wer und in welchem Maße als leistungsfähig und wer und in welchem Maße als schutzbedürftig anzusehen ist. Diese Aspekte der zeitlichen Dimension des Sozialstaatsprinzips und damit der Generationengerechtigkeit zu beachten, ermöglicht

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und gebietet die Verfassung. Sie gibt aber auch hier dem Gesetzgeber keine detaillierten Regeln vor, sondern setzt zunächst einmal auf die verantwortliche Entscheidung des demokratisch legitimierten Gesetzgebers.Zusammenfassend halte ich im Bereich der Staatsverschuldung eine dauerhafte Reform für geboten - es ist allerdings Sache des Gesetzgebers, ob er sich eine dauerhafte Haushaltsdisziplin im Rahmen einfach-gesetzlicher Lösungen (mit entsprechend leichten Änderungsmöglichkeiten) zutraut oder ob er sich einer Verfassungsänderung mit strengeren Maßstäben und entsprechender verfassungsgerichtlicher Kontrolle unterwerfen möchte. Auch die zeitliche Dimension des Sozialstaatsprinzips verlangt zwar einfach-gesetzliche Reformen der sozialen Sicherungssysteme - das relativ offene verfassungsrechtliche Sozialstaatsprinzip selbst ist aber jedenfalls nicht überholt und steht ernsthaft auch nicht zur Diskussion.Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch kurz auf die aktuelle Finanzkrise und das gigantische Rettungs-paket des Staates zu sprechen kommen: Der Staat hat nach unserer Verfassung die Kernaufgabe, die sozialen, ökonomischen und ökologischen Lebensgrundlagen der Bevölkerung zu sichern. Bei essentiellen Gefahren für die Bürger wie der derzeitigen Finanzkrise muss sich der Staat als Garant dieser Lebensgrundlagen bewähren. Wenn der Gesetzgeber nun interveniert, erfüllt er damit grundsätzlich seine verfassungsrechtliche und staatspo-litische Aufgabe der Wahrung des Gemeinwohls, ohne dass hier die Maßnahmen im Einzelnen, auch nicht ver-fassungsrechtlich und europarechtlich, beurteilt werden sollen.Gestatten Sie mir eine weitere Anmerkung: Ohne einen gesetzlichen Rahmen für den Markt geht es nicht. Zwi-schen der Verfassungs- und der Wirtschaftsordnung un-seres Landes besteht eine direkte Wechselwirkung. Mit den Grundprinzipien unserer freiheitlich-demokratischen Verfassung wäre eine Plan- oder Staatswirtschaft nicht vereinbar. Eine völlig unreglementierte Marktwirtschaft ist aber auch nicht gewollt. Das Ziel muss nach wie vor ein rechtlich geordneter Liberalismus, nicht der Laissez-faire-Liberalismus sein. Das heißt: Der Staat gibt den Rahmen für eine effiziente Wettbewerbs- und eine sozi-al- und umweltverträgliche Wirtschaftsordnung vor.Ich möchte auf die Gründe der gegenwärtigen Krise im Einzelnen nicht eingehen. Sie zeigt aber, dass angesichts des eklatanten Versagens der Marktkräfte das bisherige Ordnungssystem für den Finanzmarkt nicht ausreichte, sei es, weil gesetzliche Vorschriften fehlten oder unzulänglich waren, sei es, weil sie nicht konsequent vollzogen wurden. Auch hier werden also der Staat oder auch die europäische und internationale Staatengemeinschaft im Interesse des Gemeinwohls handeln müssen. Als wirtschaftlicher Akteur selbst hat der Staat in der Vergangenheit allerdings nicht immer

überzeugt. Die Rolle einiger Landesbanken in der aktuellen Krise ist ein Beleg dafür. Deshalb kann man nur davor warnen, jetzt einer naiven Staatsgläubigkeit das Wort zu reden. Der Staat muss aufpassen, dass er beim Eingreifen in die Wirtschaft nicht überzieht.Regierung und Parlament haben sich nach meinem Eindruck bisher als verlässliche Krisenmanager erwiesen, die zügig und sachorientiert auf die Probleme reagieren. Das gibt dem Ansehen der parlamentarischen Demokratie in der Bevölkerung sicher wieder etwas Auftrieb. Von Dauer kann das aber nur sein, wenn die Politik auch in ruhigeren Zeiten auf mediale Inszenierungen verzichtet und durch stetige und verlässliche Sachpolitik überzeugt.Die gegenwärtige Krise macht aber auch deutlich, dass wir trotz Globalisierung und vereintem Europa auch den Nationalstaat brauchen. Nur er kann die Werte, die Leitideen und den Zusammenhalt einer ganzen Gesellschaft verkörpern und zu verwirklichen suchen. Der verbreitete Abgesang auf den Nationalstaat kam wahrlich zu früh. Die aktuelle Situation zeigt aber auch, wie wichtig es ist, die öffentlichen Haushalte Schritt für Schritt von ihrer erheblichen Schuldenlast zu befreien. Nur so ist gewährleistet, dass der Staat auch in Zukunft bei ernsthaften Krisen handlungsfähig bleibt.

IV. Bundesstaatlichkeit und ReformMit dem Thema Staatsverschuldung und Aufgabenabbau untrennbar verbunden ist das Thema der Bundesstaatlich-keit - schon wegen der jeweils eigenen Bundes- und Län-deraufgaben und -haushalte. Die förderale Ordnung hat sich immer mehr in Richtung eines unitarischen Bundes-staats entwickelt, bei dem die Gesetzgebung weitgehend beim Bund liegt, gleichzeitig aber die Landesregierungen - nicht aber die Landesparlamente - über den Bundesrat erheblichen Einfluss auf die Bundesgesetzgebung haben. Das Ziel der Förderalismusreform I bestand darin, Zu-ständigkeiten zu entflechten, einem Verbundföderalis-mus entgegenzuwirken und den Landtagen wieder mehr Gesetzgebungsrechte zu verschaffen. Beispiele hierfür sind das Gaststättenrecht, der Ladenschluss, die Besol-dung und Versorgung der Beamten und der Strafvollzug. Es gilt, diese richtigen Weichenstellungen in Zukunft auch einfachgesetzlich konsequent zu nutzen, ohne die typischen Klagen über Flickenteppich, Kleinstaaterei et cetera zu fürchten. Die Heterogenität ist die Kehrseite der föderalen Selbständigkeit, die das Grundgesetz vorgibt.Inwieweit vor diesem Hintergrund das Instrument der Abweichungsgesetzgebung (Art. 72 Abs. 3 GG) zu einer Entflechtung beitragen kann, wird abzuwarten bleiben; das gilt auch für die Frage, inwieweit es wirklich zu einem Rückgang derjenigen Bundesgesetze kommt, in denen eine Zustimmung des Bundesrats erforderlich ist. In jedem Fall dürfte das Instrument einer überschneidungsfreien Zuständigkeitstrennung vorzugswürdig sein gegenüber

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einem System der Abweichungsgesetzgebung der Länder, in dem das jeweils spätere Bundes- oder Landesgesetz gilt (vgl. Art. 72 Abs. 3 Satz 3 GG). Vor diesem Hintergrund erschiene auch eine Stärkung der Finanzautonomie der Länder im Bereich der Steuererhebungsrechte durchaus folgerichtig. Beide Punkte hängen auch mit der Stärkung der demokratischen Teilhabe auf Länderebene zusammen. Wenn das Volk Landesparlamente wählt, spricht viel dafür, dem gewählten Parlament in gewissem Maße auch die Entscheidung über eigene originäre Finanzquellen zu eröffnen.

V. Europäische Union und ihre ReformWie es innerstaatlich das Problem der Hochzonung der Gesetzgebung von der Landes- auf die Bundesebe-ne gibt, erleben wir seit langem auch eine Verlagerung von Zuständigkeiten auf die Ebene der EU. Dabei ist geltendes Verfassungsrecht in Deutschland, dass die Übertragung von Souveränitätsrechten auf den Staaten-verbund der Europäischen Union begrenzt ist. Es muss eine substanzielle Gesetzgebungsmacht bei den natio-nalen Parlamenten, also Bundestag und Bundesrat und den Landesparlamenten, verbleiben. Allerdings ist diese Grenze im Einzelnen schwer zu ziehen, wobei insbeson-dere die thematisch offene Gemeinschaftskompetenz zur Binnenmarkt-Harmonisierung eine erhebliche Dynamik entfaltet. So wurde beispielsweise im Bereich der Vor-ratsdatenspeicherung von Telekommunikationsdaten eine Richtlinie12 auf die Harmonisierungskompetenz gestützt, obwohl die primären Gründe für die Vorrats-datenspeicherung Gefahrenabwehr und Strafverfolgung waren, die der Europäischen Union nur im Rahmen der Polizeilichen und Justiziellen Zusammenarbeit oblagen. Das Problem wird auch durch eine Stärkung des sog. „Subsidiaritätsprinzips“, also der Vorgabe, dass sich die EU nur dann um eine Angelegenheit kümmern darf, wenn die Mitgliedstaaten das nicht können, nicht gelöst, sondern nur mittelbar entschärft. Dieser Subsidiaritäts-grundsatz gilt im Übrigen seit langem, ohne eigentliche Wirkungen entfaltet zu haben. Durch den Vertrag von Lissabon würde er allerdings verfahrensrechtlich weiter abgesichert, womit die Hoffnung auf größere Effizienz verbunden ist. Leider kommt es nicht zu einer Präzisierung der Zuständigkeiten von EU einerseits und Mitgliedstaaten andererseits. Immerhin wird aber eine Art „Frühwarnsystem“ zur effizienteren Durchsetzung des Subsidiaritätsgrundsatzes vorgesehen: Noch bevor ein EU-Rechtsakt in Kraft treten kann, sind die nationalen Parlamente einzubinden und können bei Subsidiaritäts-verstößen intervenieren13. Zudem können die nationalen

�� Richtlinie 2006/24/EG vom 21. Dezember 2007.�� Vgl. PROTOKOLLE zum Vertrag von Lissabon über die „ROLLE DER NATIONALEN PARLAMENTE“ und „ANWENDUNG DER GRUND-SÄTZE DER SUBSIDIARITÄT UND DER VERHÄLTNISMÄSSIG-KEIT“.

Parlamente auch eine sog. „Subsidiaritätsklage“ beim EuGH erheben14. Die nationalen Parlamente sollen also die vorrangigen Hüter des Subsidiaritätsprinzips sein. Hierin liegt ein Aspekt stärkerer demokratischer Teilhabe des Staatsvolkes an der Gesetzgebung auf EU-Ebene, dessen Vertreter eben die Parlamente und nicht die Exekutiven sind.

VI. SchlussDas Grundgesetz ist in guter Verfassung und es ist eine gute Verfassung. Es wird auch nicht durch die Entwicklung der Europäischen Union obsolet. Gleichwohl ist es notwendig, über die vorhandenen Strukturen der Verfassungsordnung nachzudenken, insbesondere im Bereich der Staatsverschuldung und der Bundesstaatlichkeit. Ganz allgemein darf aber von einer Verfassung nicht die Lösung aller politischen und gesellschaftlichen Detailfragen erwartet werden - das kann sie nicht leisten und dafür wurde sie nicht geschaffen. Es lässt sich vielmehr festhalten, dass den demokratisch legitimierten Parlamenten eine zentrale Rolle dabei zukommt, im Rahmen der Verfassung in einer sich permanent wandelnden Welt neue Antworten zu finden und zu verantworten. Auch im Verhältnis zur Europäischen Union haben vor allem die nationalen Parlamente frühzeitig zu kontrollieren, ob die Grenzen europäischer Kompetenzen und Kompetenzausübung gewahrt werden. Auch vor diesem Hintergrund ist jedwede Stärkung der Parlamente und des demokratischen Engagements in der Bevölkerung eine wünschenswerte, letztlich unerlässliche Entwicklung, um den Bestand demokratischer Systeme dauerhaft zu sichern.

�� Vgl. Art. 7 des Subsidiaritätsprotokolls i.V.m. Art. 230 EG (zukünftig Art. 263 AEUV).

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Zusatzqualifikation New York Bar Exam

Von Rechtsanwalt Dr. Peter C. Fischer, M.C.J., Attorney at Law (New York), Frankfurt a.M.*

Für jeden Juristen, der ein Faible für intellektuelle Abenteuer hat, bietet sich nach einem etwaigen Masterstudium in den USA die Möglichkeit zusätzlich zu einem LL.M. oder M.C.J. noch eine Zulassung als Attorney at Law (entspricht dem deutschen Rechtsanwalt – die Amerikaner differenzieren nicht zwischen Solicitor und Barrister wie z.B. die Engländer) in einem US-Bundesstaat zu erlangen. Besonderer Beliebtheit erfreut sich bei ausländischen Juristen die (zusätzliche) Zulassung im US-Bundesstaat New York, die zur Führung des Titels „Attorney at Law (New York)“ berechtigt.

1. Zweck der ZulassungZunächst mag man sich natürlich fragen, welchen Sinn eine solche zusätzliche Zulassung für den deutschen Rechtsanwalt haben könnte: Im Vordergrund steht neben dem Know-how, welches man zwangsläufig im Rahmen der Vorbereitung auf das New York Bar Exam erwirbt, vor allem der Nachweis einer zusätzlichen Qualifikationen gegenüber potentiellen Arbeitgebern und (für künftige Rechtsanwälte entscheidend) potentiellen Mandanten.

2. ZulassungsvoraussetzungenEin deutscher Jurist benötigt für die Zulassung zum New York Bar Exam zunächst das Erste Juristische Staatsexamen sowie einen Master-Abschluss in einer Common Law Jurisdiktion. Die meisten Master-Studiengänge in den USA dürften insoweit problemlos anerkannt werden, bei anderen (nicht-amerikanischen) Ab¬schlüssen müsste man im Einzelfall klären, ob diese die entsprechenden Zulassungsvoraussetzungen erfüllen. Der traditionelle Einwanderungsstaat New York verfolgt insgesamt eine recht liberale Politik, soweit es um die Zulassung zum Bar Exam geht.

3. VorbereitungDer Satz „andere Länder – andere Sitten“ gilt offenbar nicht für die Vorbereitung auf juristische Staatsexamina: Wie in Deutschland pilgern auch in den USA die Stu-denten nach jahrelangem intensivem Studium (in den USA nach drei Jahren Law School) mehr oder weniger geschlossen zum Repetitor, um sich auf die Staatsprü-fung vorzubereiten. In New York handelt es sich bei dem Repetitorium um einen etwa zweimonatigen (sic!) Kurs, der im Anschluss an das übliche Semesterende Ende Mai/Anfang Juni eines jeden Jahres beginnt. Dieser Kurs ver-mittelt (insbesondere für den ausländischen Kandidaten)

in atemberaubender Geschwindigkeit eine Un-menge an Wissen zum Common Law und dem im US-Bundesstaat New York geltenden Recht. In New York City findet der beliebteste Kurs (vgl. www.barbri.com) stilecht morgens live in einem Broadway Theater statt und wird in New York City und anderen Städten zeitversetzt per

Video wiederholt, sodass sich z.B. die kalifornischen Studenten, die etwa einen Job in New York angenommen haben und sich nun nicht auf das kalifornische, sondern auf das New Yorker Anwaltsexamen vorbereiten müssen, in ihren jeweiligen Universitätsstädten vorbereiten kön-nen. Für einen ausländischen Juristen dürfte es praktisch kaum möglich sein, das Bar Exam ohne diesen Kurs zu bestehen. Der Repetitor wirbt dann auch mit dem Slogan „Do it once, do it right, never do it again“.

4. Inhalt der PrüfungDie zweimal im Jahr stattfindende Prüfung besteht aus vier Teilen, die an zwei aufeinanderfolgenden Prüfungstagen stattfinden: Am ersten Prüfungstag, dem sogenannten New York Day, müssen innerhalb von gut sechs Stunden fünf Rechtsfälle im Rahmen von Essays gelöst werden (wird im Gesamtergebnis mit 40 % gewichtet), fünfzig außerordentlich schwierige Multiple Choice Fragen zum Recht des Staates New York beantwortet werden (Gewichtung 10 % - es gibt Kandidaten, die hier ohne die Fragen zu lesen, sofort raten, um mehr Zeit für die Essays zu haben) und - seit einigen Jahren – ein juristischer Aktenauszug mit Hilfe von Literatur bearbeitet werden (letzteres ist der sogenannte Multistate Performance Test, der mit 10 % in das Gesamtergebnis eingeht). Am zweiten Tag, dem sogenannten „Multistate Day“, müssen die Prüflinge innerhalb von zwei Prüfungseinheiten von jeweils drei Stunden insgesamt 190 Multiple Choice Fragen mit jeweils vier möglichen Antworten bearbeiten (Gewichtung 40 %). Dieser zweite Prüfungstag dürfte der entscheidende Prüfungsteil sein, da - nach einem weit verbreiteten Gerücht – die Prüfer des ersten Prüfungstages das Ergebnis des zweiten Prüfungstages kennen und sich von diesem möglicherweise bei der Bewertung der Essays leiten lassen.

Inhaltlich deckt der Multistate Day alle wesentlichen Rechtsgebiete wie Constitutional Law, Contracts, Criminal Law, Criminal Procedure, Evidence, Real Property (das für einen ausländischen Juristen wohl schwierigste Fach) sowie Torts ab. Am New York Day

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kommen noch unzählige Rechtsgebiete von Conflict of Laws, New York Constitutional Law, Criminal Procedure über New York and Federal Civil Jurisdiction and Procedure bis Family Law und Wills and Estates hinzu. Im Rahmen des Multistate Day wird absurderweise teilweise ein fiktives Recht geprüft, welches weder in den verschiedenen US-Staaten noch auf Bundesebene gilt: So werden z.B. im Rahmen des Multistate Day Common Law-Straftatbestände geprüft, obwohl diese nirgendwo in den USA mehr in Kraft sind.

Allerdings werden diese Gebiete nicht mit derselben Prü-fungsdichte geprüft, wie dies im deutschen Staatsexamen der Fall wäre. Das Bar Exam hat – methodisch gesehen - eher den Charakter einer merkwürdigen Mischung aus Erstem Juristischem Staatsexamen und „Wer wird Milli-onär?“. Entscheidend für das Bestehen dürfte sein, dass man sich taktisch geschickt auf das Examen einstellt (ein gutes Zeitmanagement ist in der Prüfung absolut ent-scheidend) sowie mit einer feinen juristischen Antenne ausgestattet und in der Lage ist, die Tücke einer spezi-fischen Frage ad hoc zu durchschauen.

5. Hohe DurchfallquotenDie Durchfallquote beim New York Bar Exam liegt – das kennen wir bereits von den deutschen Staatsexamina – bei gut 30 %. Es liegt wohl an der Logik der Prüfungsstellung, dass Wiederholer nicht besonders erfolgreich sind. Die Resultate des Examens werden – jedenfalls soweit man bestanden hat - nicht benotet, vielmehr handelt es sich um ein reines Pass/Fail-Exam.

6. Weitere ErfordernisseZusätzlich zum eigentlichen Bar Exam muss jeder angehende New Yorker Anwalt noch ein nicht sehr schwieriges sogenanntes Multistate Professional Responsibility Examination (MPRE) ablegen. In dieser Prüfung wird das Standesrecht der Rechtsanwälte und Richter im Bundesstaat New York geprüft. Diese Prüfung hat allerdings nur den Schwierigkeitsgrad einer theoretischen Führerscheinprüfung in Deutschland.

Sollte man das Bar Exam bestanden haben, muss man in einem aufwendigen bürokratischen Verfahren zahllose Nachweise über seinen bisherigen beruflichen Werdegang beibringen. Juristen mit Wohnsitz außerhalb New Yorks werden anschließend in Albany, der Hauptstadt des Staates New York, nach einer recht rudimentären „Charakterprüfung“ vereidigt.

Soweit man sich nicht nach der Zulassung außerhalb der USA aufhält, muss man in den ersten Jahren nach der Zulassung im Rahmen des sogenannten Continuing Legal Education Nachweise über die Teilnahme an Fortbildungsveranstaltungen beibringen. Darüber hinaus

muss man im Zwei-Jahres-Rhythmus die Zulassung als Attorney at Law durch schriftliche Erklärung erneuern.

Insgesamt ist zu beachten, dass die Anforderungen an die Zulassung als Attorney at Law in New York seit Jahren tendenziell erhöht werden. Weitere Einzelheiten finden sich unter www.nybarexam.org. Auf dieser offiziellen Homepage werden auch die Namen derjenigen veröffentlicht, die die Prüfung bestanden haben.

7. KostenMit folgenden Kosten ist zu rechnen:

- Zulassungsgebühr: ca. USD 250,00,- Repetitorium: über USD 3.000,00,- Lebenshaltungskosten für ca. zwei Monate New York,- Reisekosten (zur Vorbereitung / Prüfung und später zur Vereidigung),- Erneuerung der Zulassung im 2-Jahres-Rhythmus: jeweils USD 300,00.

Wer im Anschluss an das Bar Exam als Rechtsanwalt in Deutschland tätig wird, kann damit rechnen, dass die Kosten als in voller Höhe abzugsfähige Ausgaben von den deutschen Finanzämtern anerkannt werden. Wer anschließend in den USA als Anwalt arbeitet, hat gute Chancen, dass die künftige US-Kanzlei die Kosten (mit Ausnahme der Lebenshaltungskosten) übernimmt.

8. Fazit Wer Freude an juristischen Staatsexamina hat sowie zwei Monate harte Arbeit und Ausgaben in Höhe von ein paar Tausend US-Dollar nicht scheut, kann also (im Anschluss an einen Master im Common Law) in einem überschaubaren Zeitraum eine international anerkannte und werbewirksame Zusatzqualifikation außerhalb von akademischen Schonräumen erwerben.1

* Der Autor dieses Artikels, Rechtsanwalt und Attorney at Law (New York) Dr. Peter C. Fischer, M.C.J. (NYU), ist Partner der Raupach & Wollert-Elmendorff Rechtsanwaltsgesellschaft mbH in Frankfurt am Main. Raupach & Wollert-Elmendorff ist eine überörtliche Wirtschafts-kanzlei mit ca. 80 Rechtsanwälten und Rechtsanwältinnen an den Stand-orten Berlin, Düsseldorf, Frankfurt, Hamburg, Hannover, München und Stuttgart. Die Kanzlei berät in allen Fragen des nationalen und interna-tionalen Wirtschaftsrechts, kooperiert mit der „Big Four“-Wirtschafts-prüfungsgesellschaft Deloitte & Touche und ist Mitglied in einem internationalen Kanzleinetzwerk mit über 1.500 Anwälten. Raupach & Wol-lert-Elmendorff ist grundsätzlich an Bewerbungen von wirtschaftsrechtlich interessierten Praktikanten/-innen und Referendaren/-innen interessiert.

E-Mail: [email protected]: www.raupach.de

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Arbeitsrecht im Schwerpunktbereich

Von Univ.-Prof. Dr. Wolf-Dietrich Walker, Gießen

Das Arbeitsrecht, meist in Kombination mit So-zialrecht, Wirtschaftsrecht, Unternehmensrecht oder einer ähnlich bezeichneten Nachbardis-ziplin, gehört zu den klassischen Gegenstän-den universitärer Schwerpunktbereiche. Ein Schwerpunktbereich mit diesem Inhalt wird mit verschiedenen Bezeichnungen an fast allen juristischen Fakultäten angeboten (Übersicht bei Rolfs, Das Arbeitsrecht in der universitären Lehre und ersten Prüfung, RdA 2007, 129). Aus dem Arbeitsrecht werden Veranstaltungen zur Vertiefung des Individualarbeits-rechts, zum kollektiven Arbeitsrecht und meist auch zum arbeitsgerichtlichen Verfahren und zum Europä-ischen Arbeitsrecht angeboten. Im Individualarbeitsrecht nimmt neben Leistungsstörungen im Arbeitsverhältnis in der Regel die Beendigung des Arbeitsverhältnisses den größten Raum ein. Dabei geht es vor allem um die rechtliche Würdigung von zumeist arbeitgeberseitig aus-gesprochenen ordentlichen wie außerordentlichen Kün-digungen. Im kollektiven Arbeitsrecht werden üblicher-weise das Koalitionsrecht, das Tarifvertragsrecht und das Arbeitskampfrecht sowie das Betriebsverfassungsrecht, teilweise auch das Recht der Unternehmensmitbestim-mung behandelt. Beim arbeitsgerichtlichen Verfahren geht es im Wesentlichen um die Besonderheiten des Ar-beitsgerichtsprozesses gegenüber dem Zivilprozess.

Der Schwerpunktbereich zum Arbeitsrecht erfreut sich meistens eines regen Zulaufs. Das mag damit zusammenhängen, dass die Studierenden über das Individualarbeitsrecht schon im Pflichtfachstudium einen ersten Zugang zum Arbeitsrecht bekommen. Außerdem ist in Bundesländern wie Hessen auch im staatlichen Prüfungsteil mit einer Klausur aus dem Arbeitsrecht zu rechnen; daher erhoffen sich manche Studierende mit der Wahl dieses Schwerpunktbereiches einen Synergieeffekt. Dennoch will diese Wahl gründlich überlegt sein. Es handelt sich um ein anspruchsvolles Schwerpunktbereichsstudium. Auf Folgendes müssen sich die Studierenden einstellen:

Für das Individualarbeitsrecht, das im Schwerpunktbe-reich vertieft wird, sind solide zivilrechtliche Grund-kenntnisse unabdingbar. Denn bei dem Arbeitsvertrag als dem wichtigsten Rechtsverhältnis im Arbeitsrecht handelt es sich um ein vertragliches Schuldverhältnis, das im Grundsatz den Regeln des Bürgerlichen Gesetz-buchs unterliegt. Die Fragen im Zusammenhang mit dem

Zustandekommen des Arbeitsvertrages, den gegenseitigen Rechten und Pflichten aus dem Arbeitsvertrag, den Rechtsfolgen bei Pflicht-verletzungen und der Beendigung des Arbeits-vertrages stellen sich strukturell genauso wie bei anderen schuldrechtlichen Verträgen. Aller-dings gibt es zu allen Fragen viele Besonder-

heiten gegenüber dem Bürgerlichen Recht. Diese sind nicht leicht zu erschließen. Das beruht erstens darauf, dass das Arbeitsrecht keiner einheitlichen Kodifikation unterliegt. Der Arbeitsrechtler muss vielmehr mit zahl-reichen Einzelgesetzen umgehen. Zwar steht aktuell ein recht weit gediehener Entwurf eines Arbeitsvertragsge-setzes in der wissenschaftlichen Diskussion. Aber Misser-folge bei ähnlichen Projekten in der Vergangenheit sowie mangelnde Unterstützung aus der Politik lassen erheb-liche Zweifel an einer zeitnahen Verwirklichung dieses Entwurfs aufkommen. Zweitens ist der Umgang mit dem Individualarbeitsrecht deshalb anspruchsvoll, weil es für viele Fragen (z.B. betriebliche Übung, eingeschränkte Arbeitnehmerhaftung) überhaupt keine gesetzliche Re-gelung gibt. Insoweit kommt dem Bundesarbeitsgericht eine herausragende Rolle zu. Wie kein anderes Bundes-gericht hat es in den vergangenen Jahrzehnten das Recht in seinem Zuständigkeitsbereich geprägt und fortent-wickelt. Zahlreiche Fallgestaltungen können daher nur unter Heranziehung der vom Bundesarbeitsgericht ent-wickelten Grundsätze gelöst werden. Für die Studenten bedeutet das einen erhöhten Lernaufwand.

Die Gegenstände des kollektiven Arbeitsrechts, die oft im Mittelpunkt des arbeitsrechtlichen Schwerpunktbe-reichs stehen, sind den Studierenden zunächst einmal fremd. Hier geht es nicht um das rechtliche Verhältnis zwischen den Arbeitsvertragsparteien, sondern insbe-sondere um die Rolle der Gewerkschaften und Arbeitge-berverbände sowie der Betriebsräte und anderer Arbeit-nehmervertretungen. Auch im kollektiven Arbeitsrecht spielt die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts eine überragende Rolle. So ist etwa das gesamte, ausge-sprochen öffent-lichkeitswirksame Arbeitskampfrecht gesetzlich nicht geregelt. Die Zulässigkeitsvorausset-zungen für Streiks beruhen auf Richterrecht, das gelernt werden muss.

Das Studium des arbeitsgerichtlichen Verfahrensrechts, das zwar in der Ausbildung nicht überschätzt werden soll, aber von jedem arbeitsrechtlichen Praktiker beherrscht

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werden muss, setzt Grundkenntnisse im Zivilprozessrecht voraus. Nur so kann man die Abweichungen des Arbeitsgerichtsprozesses vom Zivilprozess verstehen.

Schließlich gilt für die Studierenden im Schwerpunktbereich Arbeitsrecht in besonderem Maße, dass das einmal Erlernte ständig überprüft und aktualisiert werden muss. Arbeitsrecht ist ein äußerst dynamisches Rechtsgebiet, in dem sich laufend etwas ändert. Das gilt gleichermaßen für die Fortentwicklung der Rechtsprechung wie für die oft politisch oder europarechtlich motivierten Gesetzesänderungen. Nicht umsonst werden die Beck-Gesetzestexte zum Arbeits-recht in der Regel zweimal im Jahr neu aufgelegt.

Schließlich muss bei der Wahl des Schwerpunktbereichs bedacht werden, dass entweder mit dem Sozialrecht oder den Rechtsgebieten, die mit Wirtschaftsrecht, Unternehmensrecht oder ähnlich umschrieben werden, noch weitere Gegenstände hinzukommen, mit denen die Studie-renden der Rechtswissenschaft sonst nur am Rande in Berührung kommen. Gerade im Sozial-recht wird es allerdings meist nur um den Erwerb von Grundlagenkenntnissen gehen. Diese beziehen sich insbesondere auf das Sozialversicherungsrecht mit seinen fünf Säulen der Krankenversicherung, Rentenversicherung, Arbeitslosenversicherung, Pflegeversicherung und Unfallversicherung, auf die Grundsicherung für Arbeitsuchende und Sozialhilfe sowie auf das sozialgerichtliche Verfahren nach den Vorschriften des Sozialgerichtsgesetzes.

Studierende, die über einen gesunden Ehrgeiz verfügen, sollten sich von den dargelegten Anforderungen nicht abschrecken lassen. Sie werden mit einer bemerkenswert praxis- und lebensnahen Materie belohnt. Deren Themen stehen oftmals im Zentrum der politischen und gesellschaftlichen Diskussion. Für das Arbeitsrecht zu nennen sind hier exemplarisch die Wahrung der Tarifeinheit, welche etwa Gegenstand des jüngsten großen Tarifkonflikts bei der Deutschen Bahn war, die Einführung gesetzlicher Mindestlöhne und die inzwischen spürbaren Auswirkungen des im Jahr 2006 erlassenen Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes. Entsprechendes gilt im Übrigen für viele Themen des gelegentlich unterschätzten Sozialrechts. Beispielhaft erwähnt sei nur die Diskussion um die Reform der Grundsicherung für Arbeitsuchende, besser bekannt als „Hartz IV“. Die maßgeblichen Vorschriften im Sozialgesetzbuch II werfen eine Fülle von Fragen auf und führen zu einer regelrechten Verfahrensflut bei den Sozialgerichten. So zählten etwa das Verwaltungs- und das Sozialgericht Berlin noch im Jahr 2004 zusammen 6.500 Fälle zu Sozial- und Arbeitslosenhilfe, während es im Jahr 2008 bereits 21.510 Fälle waren. Schließlich

schöpft der Schwerpunktbereich zum Arbeitsrecht einen weiteren Teil seiner Lebendigkeit aus dem immer stärker werdenden Einfluss europäischer Gesetzgebung und Rechtsprechung. Insbesondere im Arbeitsrecht sind ganze Themenkomplexe über einen rein nationalen Zugriff nicht mehr handhabbar. Das gilt namentlich für das Recht des Betriebsübergangs, welches erst durch ein Bündel von Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs seine heutige Form erlangt hat. Ähnlich groß ist der europäische Einfluss auf Diskriminierungssachverhalte. Zu dem bereits erwähnten Allgemeinen Gleichbehand-lungsgesetz ist es nur gekommen, weil mehrerer EG-Richtlinien in nationales Recht umgesetzt werden musste.

Ein attraktiver Aspekt der Ausbildung im Schwerpunktbereich zum Arbeitsrecht liegt in den zahlreichen Angeboten der Fakultäten, theoretische Erkenntnisse mit praktischen Erfahrungen zu verbinden. Dies gelingt in erster Linie durch die Einbindung von renommierten Praktikern (Fachanwälten, Richtern) in die Lehre. Sie können z.B. Veranstaltungen zum anwaltlichen Mandat im Individualarbeitsrecht und im kollektiven Arbeitsrecht anbieten. Ein Highlight für die Studierenden sind oft die vielfach angebotenen Besuche von Verhandlungen am Arbeitsgericht oder Landesarbeitsgericht und Exkursionen zum Bundesarbeitsgericht. Daneben haben sich Besuche von Unternehmen als fruchtbar erweisen, vor allem wenn dabei Gespräche mit Personalverantwortlichen, Betriebsratsmitgliedern oder sonstigen Funktionsträgern ermöglicht werden.

Der Schwerpunktbereich zum Arbeitsrecht richtet sich einmal an Studierende, die ihre berufliche Zukunft in der anwaltlichen Beratung sehen, idealerweise als Fachanwälte für Arbeitsrecht. Die arbeitsrechtliche Qualifikation ist gleichermaßen in großen, national oder international aufgestellten Wirtschaftskanzleien wie in kleinen oder mittelständischen Kanzleien gefragt. Die Stellenanzeigen etwa in der NJW geben darüber beredte Auskunft. Ebenso dient die Ausbildung im arbeitsrechtlichen Schwerpunktbereich der Vorbereitung auf die Tätigkeit als Richter in der Arbeitsgerichtsbarkeit. Richterstellen in der Arbeitsgerichtsbarkeit sind rar gesät und entsprechend begehrt. Den insoweit Interessierten wird es bei Bewerbungen nützlich sein, wenn sie durch eine Wahl dieses Schwerpunktbereiches ihre frühzeitige Spezialisierung auf dieses Rechtsgebiet darlegen können. Schließlich eröffnen sich dem Arbeitsrechtler Beschäftigungsperspektiven in den Rechts- und Personalabteilungen von Wirtschaftsunter-nehmen, Banken und Versicherungen sowie in Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften. Entsprechendes gilt im Übrigen für diejenigen, die sich

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für eine Anwaltstätigkeit im Sozialrecht oder für eine Richtertätigkeit in der Sozialgerichtsbarkeit interessieren. Dort werden übrigens gerade angesichts der dargelegten Verfahrensflut aktuell neue Stellen geschaffen. Auf das Sozialrecht spezialisierte Juristen haben zudem gute Chancen, bei einem Sozialversicherungsträger unterzukommen. Insgesamt zeigt sich also ein breites Feld attraktiver Berufe, für die eine Ausbildung im Schwerpunktbereich Arbeitsrecht eine belastbare Grundlage bildet.Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der

Schwerpunktbereich Arbeitsrecht (in Kombination mit Sozialrecht, Wirtschafts- oder Unternehmensrecht) zwar ein anspruchsvoller Schwerpunktbereich ist. Er hat aber wegen der Lebendigkeit, der (auch in der Ausbildung vermittelten) Praxisnähe und der gesellschaftspolitischen Relevanz der Materie eine besondere Attraktivität. Vor allem öffnet die Spezialisierung im Arbeitsrecht die Tür zu einem breit gefächerten Stellenangebot mit höchstinteressanten Tätigkeiten.

Fall zum Schuldrecht

Von Stefanie Rieke, zur Verfügung gestellt von Rechtsanwalt Dr. Christian Rau-da und Rechtsassesor Dr. Jochen Zenthöfer*

Sachverhalt:Vater V möchte mit seinem zwölfjährigen Sohn S einen Ausflug zum Zoo machen. Da das Wetter sehr schön ist, fährt V mit dem Motorroller. S ist ordnungsgemäß für eine derartige Fahrt bekleidet und trägt einen Helm. Als V an einer größeren Kreuzung links abbiegen will, zeigt er dies zwar ordnungsgemäß an, vergewissert sich aber nicht mehr per Schulterblick über den nachfolgenden Verkehr, bevor er sich links einordnet. Leider ist es dem V zur Angewohnheit geworden, beim Abbiegen nicht mehr über die Schulter zu schauen. Daher sieht er auch nicht die von hinten mit ihrem Cabrio herannahende A. Der Straßenverkehr hat jedoch nicht ihre ungeilte Auf-merksamkeit, weil sie mit dem Handy ein wichtiges ge-schäftliches Telefonat führt. Sie erkennt daher zu spät, dass V abbiegen will. Es kommt zu einem Zusammen-stoß. S erleidet einen Armbruch. Der A tut die Sache sehr leid, so dass sie dem S schnell die entstandenen Schäden ersetzt. Anschließend macht ein Freund sie darauf auf-merksam, dass auch der V einen Teil der Kosten tragen müsste. A verlangt daher von V, dass er ihr die Hälfte ihrer Zah-lung ersetzt. Zu Recht?

Abwandlung:V nimmt auf dem Motorroller nicht seinen Sohn S, son-dern einen Freund F mit. Vor der Fahrt vereinbaren beide einen Haftungsausschluss für fahrlässiges Verhalten. Fverlangt nun von A vollen Ersatz seiner Heilbehand-lungskosten für den Arm. Hat F gegen A einen Anspruch auf Schadensersatz?Hinweis: Ansprüche aus StVG sind nicht zur erörtern!

Lösung:A. Ausgleichsanspruch gem. § 426 I 1

A könnte gegen V einen Anspruch auf Ausgleichung gem. § 426 I 1 haben.

I. GesamtschuldnerDazu müssten A und V Gesamtschuldner sein.

1. Gesamtschuldnerschaft nach § 840Eine Gesamtschuldnerschaft kann infolge einer gesetz-lichen Anordnung entstehen. In Betracht kommt § 840. A und V müssten beide für den aus unerlaubter Handlungentstandenen Schaden verantwortlich sein.

a) unerlaubte Handlung der AIndem A unaufmerksam von hinten herannnaht und mit V und K zusammenstößt, hat sie K eine Körperverlet-zung zugefügt. Diese Verletzung war rechtswidrig und schuldhaft, sodass V nach § 823 I für den Schaden ver-antwortlich ist. Zudem ist sie gem. §§ 823 II i.V.m. 229 StGB verantwortlich.

b) unerlaubte Handlung des VV könnte ebenfalls nach § 823 I schadensersatzpflich-tig sein, indem er ohne Schulterblick abgebogen ist und dadurch den Unfall und die Körperverletzung verursacht hat.Dazu müsste sein Verhalten jedoch schuldhaft sein. Zwar ist es durchaus fahrlässigi.S.v. § 276 II, wenn jemand ohne Schulterblick abbiegt. Allerdings könnte dem V dieHaftungserleichterung des § 1664 zugute kommen. Vor-aussetzung ist, dass V die ineigenen Angelegenheiten üblich Sorgfalt walten ließ. V hat grundsätzlich den Schulterblick unterlassen. Er handelte fahrlässig. Da er dieses Verhalten auch regel-mäßig an den Tag legt, beachtete er jedoch die Sorgfalt,

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die er in eigenen Angelegenheiten walten lässt, so dass er nach § 1644 von der Haftung befreit wäre. Allerdings ist im Straßenverkehr kein Raum für eine individuelle Sorglosigkeit. Begründet wird dies mit den erheblichen Gefahren des Straßenverkehrs. V kommt daher die Haf-tungserleichterung des § 1664 in diesem Fall nicht zu-gute. Er hat sich nach § 823 I schadensersatzpflichtig gemacht.Darüber hinaus ergibt sich die Verantworlichkeit eben-falls aus § 823 II i.V.m. § 229 StGB.

c) ErgebnisV und A sind beide für den Schaden verantwortlich, so-dass sie Gesamtschuldner gem. § 840 sind.

II. UmfangNach § 426 bestimmt sich der Umfang grundsätzlich zu gleichen Teilen, § 426 I, II.Wenn unterschiedliche Verursachungsbeiträge vorlägen, könnte sich etwas anderes aus der entsprechenden An-wendung des § 254 ergeben. Dafür gibt der Sachverhaltjedoch nicht genug Anhaltspunkte.

III. ErgebnisDamit kann A von V gem. § 426 I 1 hälftigen Ausgleich verlangen.

B. Ausgleichsanspruch gem. §§ 426 II, 823 I, 823 II i.V.m. 229 StGBDarüber hinaus hat V gegen A einen Anspruch auf Aus-gleich aus übergegangenenRecht gem. §§ 426 II, 823 I, 823 II i.V.m. 229 StGB.

Abwandlung:A. Schadensersatzanspruch gem. § 823 I

I. VoraussetzungenA hat schuldhaft und rechtswidrig eine Rechtsgutverlet-zung begangen, so dass siesich gem. § 823 I schadensersatzpflichtig gemacht hat.

II. RechtsfolgeA hat gem. §§ 823 I, 249 II Schadensersatz zu leisten.

III. Kürzung aufgrund des gestörten Gesamtschuld-nerausgleichsMöglicherweise ist der Anspruch jedoch um die Hälfte nach den Grundsätzen desgestörten Gesamtschuldnerausgleichs zu kürzen.

1. gestörte GesamtschuldEin gestörtes Gesamtschuldverhältnis liegt vor, wenn die Entstehung des Gesamtschuldverhältnisses verhindert wird, weil einer der Schädiger wegen einesHaftungsausschlusses von der Haftung befreit ist.A und

V sind haben sich beide nach §§ 823 I, 823 II i.V.m. § 229 StGB schadensersatzpflichtig gemacht, sodass sie gem. § 840 Gesamtschuldner sind. Jedoch hat V mit F einen Haftungsausschluss vereinbart, der ihn von der Haftung befreit.

2. AuswirkungenEs ist fraglich, wie sich diese Freizeichnung auf die Ver-bindlichkeit des V auswirkt.

a) Lösung zu Lasten des Geschädigten (F)Man könnte den Anspruch des Geschädigten um den An-teil kürzen, der der Freizeichnung entspricht. Diese Lö-sung geht zu Lasten des Geschädigten. A müsste daher nur den hälftigen Schaden ersetzen.

b) Lösung zu Lasten des nicht haftungsbefreiten Schuldners (A)Denkbar wäre auch eine Lösung zu Lasten der A. Sie müsste den ganzen Schaden ersetzen und könnte den V nicht in Anspruch nehmen.

c) Lösung zu Lasten des haftungsbefreiten Schuld-ners (V)Als dritte Möglichkeit wird die fingierte Gesamtschuld diskutiert. Demnach müsste A dem F den vollen Schaden ersetzen, könnte aber V in Regress nehmen. Die Haf-tungsfreizeichnung zwischen V und F würde im Verhält-nis zwischen A und V nicht berücksichtigt.

d) StellungnahmeDie zweite Lösungsmöglichkeit würde auf einen Vertrag zu Lasten Dritter hinauslaufen. Die dritte Variante würde die Haftungsfreizeichnung leer laufen lassen. Allein die erste Möglichkeit überzeugt. Hätte V den Schaden allein verursacht, so müsste er überhaupt nichts zahlen und F würde auf dem Schaden sitzen bleiben. Daher ist es in-teressengerecht, wenn F nur den Anteil ersetzt bekommt, der auf A tatsächlich entfällt. Es ist der ersten Ansicht zu folgen und der Anspruch des Geschädigten um den An-teil zu kürzen, der der Freizeichnung entspricht.

IV. ErgebnisF hat gegen A einen Anspruch auf Ersatz des hälftigen Schadens gem. § 823 I.

B. Schadensersatzanspruch gem. §§ 823 II i.V.m. § 229 StGBDarüber hinaus ergibt sich ein Anspruch auf Ersatz des hälftigen Schadens des F gegen A gem. §§ 823 II i.V.m. § 229 StGB.1

* Weitere Fälle zum Schuldrecht finden Sie: „Rauda / Zenthöfer, 25 Fälle zum Schuldrecht, 1. Auflage 2008, Richter-Verlag, 7,80 Euro; ISBN 978-3-935150-73-6

Ausbildung

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„Student meets Practice“ - Mittendrin statt nur dabeiPraktikantenprogramm von Shearman & Sterling LLP

Von Timo Arnold, Mainz

Nach drei interessanten aber eher alltäg-lichen Praktika, wollte ich zum Abschluss meines Studiums noch einmal etwas Au-ßergewöhnliches erleben. So bewarb ich mich voller Erwartungen für das Prakti-kantenprogramm „Student meets Practi-ce“ der internationalen Wirtschaftskanzlei Shearman & Sterling LLP - mit Erfolg.Das Konzept des Programms, welches dieses Jahr sein Debüt feierte, sah von Anfang an eine Beschränkung auf 15 Teilnehmer vor, um eine intensive Beschäftigung mit jedem Praktikanten zu ermöglichen. Dieser auserwähl-te Kreis durfte für sechs Wochen - verteilt auf die drei deutschen Standorte Düsseldorf, Frankfurt und München - Teil der aufregenden Welt einer großen Wirtschafts-kanzlei sein. Jeder Praktikant wurde einer Praxisgruppe zugeteilt und bekam zwei Mentoren, einen Associate und einen Partner, zur Seite gestellt, die als ständige Ansprechpartner und Auftragsgeber das Praktikum maß-geblich gestalteten. Ich landete in der Abteilung Capital Markets des Frankfurter Büros.

Tägliche MitarbeitMeine Praxisgruppe war über den gesamten Praktikums-zeitraum - angesichts der angespannten Finanzmärkte fast ein wenig überraschend - mit dem IPO einer Gesell-schaft beschäftigt. Vom ersten Tag an wurde ich in die Mandatsarbeit einbezogen. Dies geschah aber nicht ohne eine ausführliche Einführung in das jeweilige Thema. Trotz vollen Terminplans haben sich meine Mentoren viel Zeit dafür genommen. Es war ihnen wichtig, dass ich die Zusammenhänge verstehe. Durch die Vermitt-lung dieses Hintergrundwissens versetzten sie mich in die Lage, produktiv an dem Mandat mitarbeiten zu kön-nen. Ich verfasste Vermerke zu konkreten Rechtsfragen, stellte Recherchen an und erstellte Markups. Als wäre ich schon jahrelang dabei, nahm ich wie selbstverständ-lich an zahlreichen Telefonkonferenzen mit den über die ganze Welt verstreuten Beteiligten des Börsengangs teil. Ebenso durfte ich meinen Mentor in den Datenraum der betreffenden Gesellschaft begleiten und bei dem Prozess der Legal Due Diligence mitwirken. Besonders beein-druckt hat mich die Kommunikativität und Internationali-tät der Arbeit. Eines weiß ich jetzt: Verhandlungssichere Englischkenntnisse sind in diesem Job unerlässlich. Ne-ben der mandatsbezogenen Arbeit bekam ich sogar noch die Gelegenheit meine wissenschaftlichen Fähigkeiten bei der Mitarbeit an einem rechtsvergleichenden Auf-

satz über Meldepflichten unter Beweis zu stel-len. Natürlich durften alle Praktikanten an den wöchentlich stattfindenden lokalen Weiterbil-dungsveranstaltungen im Rahmen des „Project Brain“ teilnehmen. Beim Mittagessen referierte ein Anwalt in lockerer Atmosphäre über ak-tuelle Entwicklungen und Rechtsfragen. An-

schließend fand eine angeregte Diskussion statt, bei der offen gebliebene Fragen beantwortet und Folgeprobleme debattiert wurden. Des Weiteren stand der Besuch eines überörtlichen Brain-Seminars zu dem Thema „Hedge Fonds“ in Köln sowie die Veranstaltung „Brain meets Art“ im Düsseldorfer „museum kunst palast“ auf dem Praktikumsplan. Insgesamt wurde ich über den gesamten Praktikumszeitraum sehr stark gefördert und gefordert. Alle gaben mir das Gefühl, ein vollwertiges Mitglied der großen Shearman-Familie zu sein. Rückblickend kann ich deshalb sagen, wirklich „mittendrin statt nur dabei“ gewesen zu sein.

PraxisgruppenvorstellungenDamit meine Mitpraktikanten und ich einen umfassenden Einblick in die Tätigkeitsfelder der Kanzlei bekommen konnten, gab es jede Woche eine Praxisgruppenvorstel-lung durch Associates aus den jeweiligen Abteilungen. So konnte ich meinen Horizont über die Abteilung Ca-pital Markets hinaus erweitern und die Arbeit in den an-deren Praxisgruppen, beispielsweise in M&A oder Euro-pean Finance, kennen lernen. Die Vorstellungen wurden ebenfalls bei einer gemeinsamen Mahlzeit in einem der Konferenzräume abgehalten. Die Praktikanten und Re-ferenten aus Düsseldorf und München waren per Video-konferenz zugeschaltet.

Moot CourtDer Moot Court in Düsseldorf war mein persönliches Highlight des Programms. Zum einen, weil ich die Prak-tikanten und Anwälte aus den anderen Standorten kennen lernte. Zum anderen, weil mir durch diese Veranstaltung die Möglichkeit geboten wurde, meine rhetorischen Fä-higkeiten enorm weiterzuentwickeln. Die Grundlage für die fiktive Gerichtsverhandlung, bei der die Praktikanten in Zweiergruppen entweder die Kläger- oder Beklagten-seite vertraten, bildete der Sachverhalt des letzten Wil-lem C. Vis International Comercial Moot. Pro Verhand-lung war circa eine Stunde eingeplant. Jeder Praktikant hatte somit insgesamt 15 Minuten zur Verfügung, seine Argumente darzulegen und seinen Standpunkt klarzu-

Ausbildung

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Law Zone Nr. 1/2009

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STUDENTmeetsPraktikantenprogramm 2009

Vom 31. August bis 09. Oktober 2009 veranstaltet Shearman & Sterling zum zweiten Mal dasPraktikantenprogramm “Student meets Practice”.

Sie werden täglich in unsere spannende Mandatsarbeit einbezogen und können sich außerdemauf folgende Highlights freuen:

- Besuch eines überörtlichen Seminars im Rahmen unseres Aus- und Weiterbildungspro-gramms “Project Brain“

- Teilnahme an den wöchentlich stattfindenden lokalen “Project Brain”-Veranstaltungen - Treffen aller Praktikanten mit gemeinsamen Moot Court

Mehr Informationen finden Sie unter www.studentmeetspractice.de. Bitte bewerben Sie sich biszum 30. April 2009 und beachten Sie, dass nur eine begrenzte Anzahl an Plätzen verfügbar ist.

PRACTICE

Wir freuen uns auf Sie!

Shearman & Sterling LLPMichael Mitt I Human Resources | Breite Straße 69 | 40213 Düsseldorf T +49.211.17888.115 | [email protected]

Studentmeetspractice2009.qxp 07.01.2009 17:02 Seite 1

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machen. Besonders beeindruckt hat mich die Tatsache, dass sich ein Großteil des Arbitration-Teams den ganzen Tag Zeit nahm, um als Richter zu fungieren. Wenn man weiß, welch große Rolle der Zeitfaktor für die Anwälte spielt, kann man dies gar nicht genug würdigen. So be-kam jeder Teilnehmer ein ausführliches Feedback, das Lob und konstruktive Kritik beinhaltete. Die gesamte Veranstaltung war aus meiner Sicht ein voller Erfolg und sicherlich nicht nur für mein weiteres Studium, sondern vor allem auch für das spätere Berufsleben besonders lehr- und hilfreich. Nach dem Moot Court feierten alle zusammen ausgelassen bis in die Morgenstunden auf der Dachterrasse des Düsseldorfer Büros, die von vielen fleißigen Händen in die „Shearman-Lounge“ verwandelt wurde. Neben dem köstlichen Buffet genoss ich zusam-men mit den anderen Praktikanten und Anwälten an die-sem außergewöhnlichen Abend die tolle Aussicht und Stimmung.

Miteinander und FreizeitAus meiner Sicht war das Praktikum maßgeblich durch das kollegiale Miteinander zwischen allen Beteiligten geprägt. Während meiner Zeit bei Shearman & Sterling

lernte ich viele tolle Menschen kennen, mit denen ich si-cherlich auch nach dem Praktikum noch lange in Kon-takt bleiben werde. Von der herzlichen Begrüßung, bis zur schwer gefallenen Verabschiedung hatten wir so viel Spaß, dass die sechs Wochen - trotz teilweise langer Ar-beitszeiten - wie im Flug vergingen. Lustig ging es aber auch abseits der Arbeit zu. Der Abend in der sachsen-häuser Kneipe „Zum Feuerrädchen“ bei „Äppelwoi“ und deftiger südhessischer Küche oder die After Work Party im „Living XXL“ möchte ich stellvertretend für die vie-len Freizeitaktivitäten nennen, bei denen wir den stres-sigen Arbeitsalltag hinter uns ließen.

FazitMeine Erwartungen wurden bei weitem übertroffen. Getreu ihrem Motto „Aligned for Excellence“ hat die Kanzlei Shearman & Sterling LLP mit „Student meets Practice“ ein Praktikantenprogramm der Extraklasse auf die Beine gestellt. Das Programm ist mit herkömmlichen Praktika aufgrund seiner Intensität und Internationalität in keiner Weise zu vergleichen. Demnächst werden die Termine für das kommende Jahr bekannt gegeben. Be-werbung unbedingt empfohlen!

Fall zum Europarecht

Von Alexandre Ho Jean-Claude, zur Verfügung gestellt von Rechtsanwalt Dr. Christian Rauda und Rechtsassesor Dr. Jochen Zenthöfer*

Die Canal AG hält ihr deutsches Stammwerk für unrentabel und beabsichtigt, es zu schließen und die gesamte Produktion ins Ausland zu verlagern. Um die inländischen Arbeitsplätze zu sichern, wirkt der Bundesarbeitsminister auf den Bundeswirtschaftsminister ein und überzeugt ihn letztlich mit dem Argument vom „Standort Deutschland“. Daraufhin bewilligt das Bundeswirtschaftsministerium der Canal AG einen „Innovationszuschuss“ in Höhe von 2,5 Millionen €, allerdings ohne dies der Kommission mitzuteilen. Durch Medienberichte erhält die Kommission schließlich doch Kenntnis von der Beihilfe.Am 12.6.2006 ergeht dann eine Entscheidung der Kommission gegen die BRD, wonach die gewährte Beihilfe rechtswidrig war und worin der BRD aufgetragen wird, die zu Unrecht gewährte Beihilfe zurückzufordern. Das Bundeswirtschaftsministerium lässt der Canal AG am gleichen Tag eine Kopie der Entscheidung zukommen. Die Canal AG beauftragt ihre Anwaltskanzlei am 13.6.2006 damit, gegen die Kommissionsentscheidung vorzugehen. Da der Justitiar der Canal AG und die Anwaltskanzlei sich zunächst nicht über eine gemeinsame Strategie einigen können, reicht die Kanzlei erst am 25.8.2006 die Klageschrift beim EuGH ein.

Aufgabe 1:Erstellen Sie ein Gutachten zur Zulässigkeit der Nichtig-keitsklage. Als Mitarbeiter des zuständigen Richters am EuG wissen Sie mit der Satzung und den Verfahrensord-nungen der Europäischen Gerichte umzugehen.In der Zwischenzeit hat das Bundeswirtschaftsministeri-um sorgfältig die Sachlage geprüft und kommt nun der Forderung der Kommission nach: Nach Anhörung der Canal AG erlässt das Ministerium am 21.7.2006 einen mit einer Begründung versehenen Bescheid, worin der Bewilligungsbescheid zurückgenommen wird und die ausgezahlte Beihilfe in Höhe von 2,5 Millionen € zurück-gefordert wird.Nachdem die Nichtigkeitsklage gegen die Kommissions-entscheidung vom EuG als unzulässig zurückgewiesen wird, möchte die Canal AG von ihren Anwälten wissen, ob sich eine Klage gegen den Bescheid vom 21.7.2006 lohnt. Sie hält die Kommissionsentscheidung für rechts-widrig; außerdem sei das ganze Geld schon verbraucht. Der Justitiar der Canal AG fügt hinzu, dass ja wohl auch das Gemeinschaftsrecht den Grundsatz des Ver-trauensschutzes kenne. Schließlich meine er sich daran zu erinnern, dass es gar keine gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften über die Rückforderung von staatlichen Zu-

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schüssen gebe.

Aufgabe 2:Der bei der Anwaltskanzlei zuständige Partner beauftragt Sie, den ihm zugewiesenen Associate, zu prüfen, ob die Rücknahme des Bewilligungsbescheids rechtmäßig war.

Lösung zu Fall RZ 20:

A. Zulässigkeit einer NichtigkeitsklageGeprüft werden soll, ob eine Nichtigkeitsklage der Canal AG gegen die Entscheidung der Kommission nach Art. 230 Abs. 4 EGV zulässig ist.

1. Zuständiges GerichtZweifelhaft ist, ob die Klage beim zuständigem Gericht eingereicht wurde. Erhebt eine natürliche oder juristische Person die Nichtigkeitsklage, so fällt diese Klage in die Zuständigkeit des EuG (Art. 225 Abs. 1 EGV i.V.m. Art. 51 EuGH-Satzung). Die Canal AG ist eine juristische Person, so dass das EuG hier zuständig ist. Die Klage wurde jedoch bei dem nicht zuständigen EuGH einge-reicht. Die Klage wird deshalb aber nicht als unzulässig abgewiesen, sondern hier vom EuGH nach Art. 54 Abs. 2 Var. 2 EuGH-Satzung an das zuständige EuG verwie-sen.

2. Richtiger KlagegegnerRichtiger Klagegegner ist nach Art. 230 Abs. 1 i.V.m. Abs. 4 EGV die Kommission.

3. KlageberechtigungKlageberechtigt ist nach Art. 230 Abs. 4 EGV die Canal AG als juristische Person.

4. Statthafter KlagegegenstandDer von der Kommission erlassene Rechtsakt könnte ei-nen statthaften Klagegegenstand darstellen. Statthafter Klagegegenstand ist nach Art. 230 Abs. 4 Var. 3 EGV eine Entscheidung, die an eine andere Person gerichtet ist. Die Kommission hat hier im Bereich der präventiven Beihilfenaufsicht eine verbindliche Maßnahme erlassen, die als „Entscheidung“ bezeichnet wird (Art. 88 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 EGV). Es liegt also eine Entscheidung i.S.d. Art. 230 Abs. 4 EGV vor. Adressat dieser Entscheidung ist die BRD, eine andere Person. Die Kommissionsent-scheidung stellt somit einen statthaften Klagegegenstand dar.

5. KlagebefugnisDie Canal AG muss zudem zur Klage befugt sein. Klage-befugt sind nach Art. 230 Abs. 4 Var. 3 EGV juristische Personen, die gegen eine Entscheidung klagen, die zwar an eine andere Person gerichtet sind, sie aber unmittelbar und individuell betreffen. Die Canal AG ist eine juristi-

sche Person. Fraglich ist, ob sie durch die Kommissions-entscheidung unmittelbar und individuell betroffen ist.

a) unmittelbare BetroffenheitDie Canal AG könnte durch die Kommissionsentschei-dung unmittelbar betroffen sein.Wird ein Mitgliedstaat durch eine an ihn gerichtete Ent-scheidung zu Maßnahmen verpflichtet, die in den In-teressenkreis des Klägers eingreifen, so ist der Kläger unmittelbar von dieser Entscheidung betroffen. Durch die Kommissionsentscheidung wurde die BRD dazu ver-pflichtet, die gewährte Beihilfe von der Canal AG zu-rückzufordern. Die Rückzahlung der Beihilfe greift in die wirtschaftlichen Interessen der Canal AG ein. Damit ist die Canal AG von der Kommissionsentscheidung un-mittelbar betroffen.

b) individuelle BetroffenheitAußerdem muss die Canal AG auch individuell von der Kommissionsentscheidung betroffen sein. Nach der „Plaumann“-Formel (EuGH 1963) ist der Kläger von ei-ner Maßnahme individuell betroffen, wenn sie ihn wegen bestimmter persönlicher Eigenschaften oder besonderer, ihn aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebender Umstände berührt und ihn daher in ähnlicher Weise indi-vidualisiert wie den Adressaten einer Entscheidung. Da die Kommissionsentscheidung die Rückforderung der der Canal AG gewährten Beihilfe verlangt, ist die Canal AG persönlich berührt und daher wie der Adressat einer Entscheidung individualisiert. Folglich ist die Canal AG auch individuell von der Kommissionsentscheidung be-troffen.

c) ZwischenergebnisDie Canal AG, eine juristische Person, ist also von der Kommissionsentscheidung unmittelbar und individuell betroffen. Damit ist sie auch zur Klage befugt.

6. KlagefristDie Klage der Canal AG könnte allerdings verfristet sein. Nach Art. 230 Abs. 5 Var. 3 EGV beträgt die Klagefrist zwei Monate ab Kenntnisnahme des Rechtsaktes. Sie ver-längert sich um eine pauschale Entfernungsfrist von zehn Tagen (Art. 102 § 2 VerfO-EuG). Fristbeginn ist der Tag nach der tatsächlichen Kenntniserlangung (Art. 101 § 1 lit. a VerfO-EuG), also der 13.6.2006. Die Zweimonats-frist endet mit dem Tag des übernächsten Monats, der in der Zahl dem Tag des Ereignisses entspricht (vgl. Art. 101 § 1 lit. b S. 1 VerfO-EuG), also am 13.8.2006 um 24 Uhr. Die pauschale Entfernungsfrist von zehn Tagen ist dann hinzuzuzählen (vgl. Art. 101 § 1 lit. c VerfO-EuG). Die Klagefrist läuft somit am 23.8.2006 um 24 Uhr ab. Die Canal AG hat die Klage aber erst am 25.8.2006 ein-gereicht. Die Klage der Canal AG ist damit verfristet.

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7. ErgebnisDas EuG wird die Nichtigkeitsklage der Canal AG daher nicht zulassen.

B. Rechtmäßigkeit des RücknahmebescheidsZu prüfen ist, ob die Rücknahme des Bewilligungsbe-scheides rechtmäßig ist. Das ist der Fall, wenn der Rück-nahmebescheid auf Grund einer Ermächtigungsgrundla-ge formell und materiell rechtmäßig erlassen wurde.

1. ErmächtigungsgrundlageDa das Bundeswirtschaftsministerium durch die Rück-nahme des Bewilligungsbescheids in Rechte der Canal AG eingreift, ist der Rücknahmebescheid auf eine Er-mächtigungsgrundlage zu stützen. Fraglich ist, welche Rechtsgrundlage heranzuziehen ist, wenn eine gemein-schaftsrechtswidrige Beihilfe zurückgefordert werden soll. Das Gemeinschaftsrecht enthält diesbezüglich keine Bestimmungen. Da die Mitgliedstaaten nach Art. 10 EGV aber dafür Sorge tragen müssen, dass das Gemeinschafts-recht durchgeführt wird, haben sie auf ihr nationales Verwaltungsrecht zurückzugreifen, wenn das Gemein-schaftsrecht diesbezüglich keine Regelungen enthält. Für die Rückforderung einer gemeinschaftsrechtswidrigen Beihilfe durch das Bundeswirtschaftsministerium kommt § 48 Abs. 1 VwVfG in Betracht.

2. Formelle RechtmäßigkeitDer Rücknahmebescheid ist insofern formell rechtmäßig ergangen, als das zuständige Bundeswirtschaftsministe-rium die Canal AG vor Erlass des Rücknahmebescheides angehört hat (vgl. § 28 VwVfG) und der Rücknahmebe-scheid auch begründet wurde (vgl. § 39 VwVfG).

3. Materielle RechtmäßigkeitDer Rücknahmebescheid ist materiell rechtmäßig, wenn die Voraussetzungen des § 48 VwVfG erfüllt waren.

a) Rechtswidriger VerwaltungsaktZunächst muss es sich nach § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG beim Bescheid über die Bewilligung des „Innovationszu-schusses“ um einen rechtswidrigen Verwaltungsakt han-deln. Ein Verwaltungsakt ist rechtswidrig, wenn er gegen höherrangiges Recht verstößt. Das Gemeinschaftsrecht genießt Vorrang gegenüber nationalem Recht (EuGH „Van Gend & Loos“ 1963, „Costa/ENEL“ 1964) und ist damit höherrangiges Recht. Der Bewilligungsbescheid könnte daher formell und materiell gemeinschaftsrechts-widrig sein.

aa) formelle GemeinschaftsrechtswidrigkeitIndem die Bundesregierung die Bewilligung der Bei-hilfe nicht der Kommission gemeldet hat, hat sie gegen die Notifizierungspflicht aus Art. 88 Abs. 3 S. 1 EGV verstoßen und damit formell gegen Gemeinschafts-

recht verstoßen. Da eine Beihilfe aber trotz formeller Gemeinschaftsrechtswidrigkeit noch materiell mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sein kann, erscheint eine Rückforderung nur wegen Verfahrensfehler als formalis-tisch und unverhältnismäßig. Der Streit, ob eine formelle Gemeinschaftsrechtswidrigkeit für eine Rücknahme aus-reichend ist, kann indes dahinstehen, wenn der Bewilli-gungsbescheid auch materiell gegen Gemeinschaftsrecht verstößt.

bb) materielle Gemeinschaftsrechtswidrigkeit Der Bewilligungsbescheid könnte auch materiell ge-meinschaftsrechtswidrig sein. In ihrer Entscheidung vom 12.6.2006 hat die Kommission festgestellt, dass die Bei-hilfe gemeinschaftsrechtswidrig war.

Fraglich ist aber, ob bei einer Klage gegen den Bewilli-gungsbescheid die nationalen Gerichte an die Kommis-sionsentscheidung gebunden sind. Eine Kommissions-entscheidung bindet die nationalen Gerichte, sobald die Entscheidung bestandskräftig wird. Eine Entscheidung erwächst in Bestandskraft, wenn sie nicht rechtszeitig vor dem EuGH mittels einer Nichtigkeitsklage nach Art. 230 Abs. 4 EGV angegriffen wird. Da die Klage der Canal AG gegen die Kommissionsentscheidung verfristet war (s.o. A.6.), ist die Entscheidung bestandskräftig gewor-den. Damit sind die nationalen Gerichte an die Entschei-dung der Kommission gebunden. Der Bewilligungsbe-scheid war also auch gemeinschaftsrechtswidrig.

cc) ZwischenergebnisNicht entschieden zu werden braucht daher der Streit, ob eine formelle Gemeinschaftsrechtswidrigkeit für eine Rücknahme ausreichend ist. Der Bewilligungsbescheid verstößt sowohl formell als auch materiell gegen Ge-meinschaftsrecht und ist damit ein rechtswidriger Ver-waltungsakt. Da der Bewilligungsbescheid ein begünsti-gender Verwaltungsakt ist, darf er gemäß § 48 Abs. 1 S. 2 VwVfG nur unter den Einschränkungen von § 48 Abs. 2 bis 4 VwVfG zurückgenommen werden.

b) VertrauensschutzDie Rücknahme des Bewilligungsbescheides könnte aber nach § 48 Abs. 2 S. 1 VwVfG ausgeschlossen sein. Da durch den Bewilligungsbescheid eine einmalige Geld-leistung gewährt wird, darf der Bescheid nicht zurückge-nommen werden, soweit bei der Canal AG unter Abwä-gung mit dem öffentlichen Interesse ein schutzwürdiges Vertrauen auf den Bestand des Verwaltungsaktes be-steht.

aa) Schutzwürdiges VertrauenSchutzwürdig ist das Vertrauen nach § 48 Abs. 2 S. 2 Var. 1 VwVfG in der Regel dann, wenn der Begünstigte die gewährten Leistungen verbraucht hat. Da die Canal

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AG das Geld verbraucht hat, greift zu ihren Gunsten die Regelvermutung, so dass bei ihr schutzwürdiges Vertrau-en besteht.

bb) Grobe FahrlässigkeitDer Canal AG könnte es jedoch nach § 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 Var. 2 VwVfG verwehrt sein, sich auf schutzwürdiges Vertrauen zu berufen. Danach ist schutzwürdiges Ver-trauen ausgeschlossen, wenn der Begünstigte die Rechts-widrigkeit infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Grob fahrlässig handelt, wer in besonders grober Weise eine Sorgfaltspflicht verletzt. Fraglich ist aber, ob eine solche Pflichtverletzung darin gesehen werden kann, dass die Canal AG sich nicht beim Bundeswirtschaftsmi-nisterium danach erkundigt hat, ob das Ministerium wie nach Art. 88 Abs. 3 S. 1 EGV vorgeschrieben die Beihil-fe der Kommission gemeldet hat. Grundsätzlich soll sich ein Unternehmen darauf verlassen können, dass eine mit besonderer Sachkompetenz ausgestattete Behörde die in ihren Zuständigkeitsbereich fallende Vergabe von Bei-hilfen ohne Verfahrensfehler handhabt. Ein sorgfältiges Unternehmen wird jedoch die ständige Rechtsprechung des EuGH kennen und beachten müssen, wonach Ver-trauensschutz nur gewährt wird, wenn bei der Vergabe der Beihilfe das Notifizierungsverfahren beachtet wurde und das Unternehmen sich dessen vergewissert hat. Die Canal AG hat sich nicht vergewissert, ob bei der Verga-be des „Investitionszuschusses“ das Notifizierungsver-fahren durchgeführt wurde. Somit hat das Unternehmen nicht mit der gebotenen Sorgfalt und damit fahrlässig gehandelt. Da aber die Einleitung des Notifizierungsver-fahrens in die Verantwortung der Behörde fällt, lässt sich das Versäumnis der Canal AG nicht als grob fahrlässiges Verhalten deuten. Damit ist es der Canal AG jedenfalls nach § 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 Var. 2 VwVfG nicht ver-wehrt, sich auf schutzwürdiges Vertrauen zu berufen.

cc) GemeinschaftsinteresseDer Regelvermutung des § 48 Abs. 2 S. 2 Var. 1 VwVfG könnte aber widerlegt werden, wenn das öffentliche In-teresse an einer Rücknahme des Bescheides überwiegt. Da der Bescheid gemeinschaftsrechtswidrig ist, besteht an der Rückforderung der Beihilfe ein Gemeinschaftsin-teresse, welches in vollem Umfang zu berücksichtigen ist. Das öffentliche Rücknahmeinteresse wird dadurch gemeinschaftsrechtlich aufgeladen und erhält ein beson-deres Gewicht. Damit setzt sich das öffentliche Rücknah-meinteresse gegenüber der Regelvermutung durch.

dd) ZwischenergebnisDie Canal AG kann damit kein schutzwürdiges Vertrau-en geltend machen. Die Rücknahme des Bewilligungs-bescheides ist daher nicht nach § 48 Abs. 2 S. 1 VwVfG ausgeschlossen.

c) Rücknahmefrist nach § 48 Abs. 4 S. 1 VwVfGSchließlich muss die Rücknahme des Bewilligungsbe-scheides fristgerecht erfolgt sein. Gemäß § 48 Abs. 4 S. 1 VwVfG beträgt die Rücknahmefrist ein Jahr ab Kennt-nisnahme der Rücknahmegründe. Fraglich ist, wann die Jahresfrist zu laufen beginnt. Streitig ist dabei, ob es sich um eine Entscheidungsfrist oder eine Bearbeitungsfrist handelt. Eine Streitentscheidung kann dahinstehen, wenn die Rücknahme des Bewilligungsbescheides nach beiden Ansichten fristgerecht erfolgte.

aa) EntscheidungsfristStellt man auf eine reine Entscheidungsfrist ab, so begin-nt die Frist zu laufen, sobald die Behörde den erforder-lichen Kenntnisstand hatte, um über die Rücknahme ent-scheiden zu können. Dies wird man spätestens annehmen können, als die Kommissionsentscheidung am 24.8.2006 bestandskräftig wurde und das Bundeswirtschaftsminis-terium gemeinschaftsrechtlich zur Rücknahme verpflich-tet war. Fristende wäre danach der 24.8.2007.

bb) BearbeitungsfristGeht man dagegen bei der Jahresfrist von einer Bearbei-tungsfrist aus, so beginnt die Frist mit der Kenntnis der Behörde von der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes zu laufen. Dass der Bewilligungsbescheid gemeinschafts-rechtswidrig war, hat das Bundeswirtschaftsministerium durch die Kommissionsentscheidung vom 12.6.2006 er-fahren. Fristende wäre danach der 12.6.2007.

cc) ZwischenergebnisDer Rücknahmebescheid ist am 21.7.2006 und damit nach beiden Ansichten innerhalb der Jahresfrist erlas-sen worden, so dass eine Streitentscheidung dahinste-hen kann. Die Rücknahme des Bewilligungsbescheides ist demnach fristgerecht erfolgt. Da die Rücknahmefrist hier die Rücknahme des gemeinschaftsrechtswidrigen Bewilligungsbescheides nicht vereitelt und damit der praktischen Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts nicht widerspricht, muss die Vorschrift des § 48 Abs. 4 S. 1 VwVfG nicht daraufhin überprüft werden, ob sie ge-meinschaftsrechtskonform ist.

d) ErmessensausübungFraglich ist schließlich, ob das Bundeswirtschaftsminis-terium den Bewilligungsbescheid zurücknehmen muss. Nach § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG kann der Verwaltungsakt zurückgenommen werden, steht die Rücknahme also im Ermessen der Behörde. Auf Grund der bestandskräftigen Entscheidung der Kommission traf das Bundeswirt-schaftsministerium jedoch die gemeinschaftsrechtliche Verpflichtung, die rechtswidrig ausgezahlte Beihilfe zu-rückzufordern. Insofern war das Ermessen des Ministe-riums auf Null reduziert, so dass es die Bewilligung zu-rücknehmen musste.

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e) ZwischenergebnisDie Voraussetzungen für eine Rücknahme des Bewilli-gungsbescheids nach § 48 VwVfG sind erfüllt. Damit ist der Rücknahmebescheid materiell rechtmäßig ergangen.

4. ErgebnisDer Rücknahmebescheid konnte auf eine wirksame Er-mächtigungsgrundlage gestützt werden und ist sowohl

formell als auch materiell rechtmäßig. Damit erfolgte die Rücknahme des Bewilligungsbescheides zu Recht.1

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Das Finanzmarktstabilisierungsgesetz: Der Anfang der Staatswirtschaft oder notwendige Hilfe für den Finanzmarkt?

Von Rechtsanwalt Hans-Jörg Simon, Mag.iur., Hamburg*

Am 27. Januar 2009 haben die Bundestagsfrak-tionen der CDU/CSU und der SPD mehrere gemeinsame Gesetzesentwürfe1, die zusam-men mit dem Regierungsentwurf zum Nach-tragshaushalt 20092 vom gleichen Tag das so-genannte „Konjunkturpaket II“ bilden, in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht. Bereits in der Plenarsitzung am 13. Februar 2009 hat der Bundestag dem Gesetzespaket zugestimmt3, welches unter anderem die Erhöhung des einkommensteuerlichen Grundfreibetrages und die Verringerung des Eingangs-teuersatzes bei der Einkommenssteuer4, die Einführung einer Verschrottungsprämie für alte Pkw5, die Senkung der Beiträge für die gesetzliche Krankenversicherung6 sowie die Einführung einer CO2-abhängigen Kraftfahr-zeugsteuer7 vorsieht. Der Bundesrat hat dem Gesetzes-paket, mit Ausnahme des Gesetzes zur Neuregelung der Kraftfahrzeugsteuer, welches an den Vermittlungs-ausschuss verwiesen wurde, mittlerweile bereits zuge-

� Entwurf des Gesetzes zur Sicherung von Beschäftigung und Stabilität in Deutschland“, BT-DrS 16/11740; Entwurf des Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 106, 106b, 107, 108), BT-DrS 16/11741 und Ent-wurf des Gesetzes zur Neuregelung der Kraftfahrzeugsteuer und Änderung anderer Gesetze BT-DrS 16/11742.� Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung eines Nachtrags zum Bun-deshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2009 (Nachtragshaushaltsgesetz 2009, BT-DrS 16/11700.� Vgl. amtliches Protokoll der 206. Sitzung des Deutschen Bundestages vom 13. Februar 2009.� Änderung des § 32a Abs. 1 EStG durch Artikel 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Sicherung von Beschäftigung und Stabilität in Deutschland, BT-DrS 16/11740.� Einführung des Gesetzes zur Errichtung eines Sondervermögens „Investi-tions- und Tilgungsfonds“ (ITFG) durch Artikel 6 des Gesetzes zur Siche-rung von Beschäftigung und Stabilität in Deutschland, BT-DrS 16/11740.� Änderung der GKV-Beitragssatzverordnung durch Artikel 12 des Ge-setzes zur Sicherung von Beschäftigung und Stabilität in Deutschland, BT-DrS 16/11740.� Da im Zusammenhang mit der Neuregelung der Kraftfahrzeugsteuer die Ertragshoheit von den Ländern auf den Bund übertragen werden soll, ist eine Grundgesetz-Änderung der Artikel 106, 106b, 107, 108 GG notwen-dig. Diese bedarf nach Art. 79 Abs. 2 GG der Zustimmung von zwei Drit-teln der Mitglieder des Bundestages und zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates.

stimmt.Dem vorausgegangen ist das noch im Jahr 2008 beschlossene Investitionspaket der Bundesre-gierung in Höhe von ebenfalls 50 Mrd. Euro, welches insbesondere durch Steuerentlastungen wie z.B. die Wiedereinführung der degressiven Abschreibung8, Unternehmen, Kommunen und private Haushalte dazu bewegen soll, schneller

zu investieren. Im Ergebnis wurden somit zwischen De-zember 2008 und Mitte Februar 2009 schon insgesamt 100 Mrd. Euro für die Ankurbelung der Realwirtschaft aus dem Bundeshaushalt zur Verfügung gestellt. Zudem finden aktuell wieder verstärkt Diskussionen statt, ob sich der Staat zu Rettung von Arbeitsplätzen an bestimmten Unternehmen beteiligen soll. Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass sich der Staat innerhalb der letzen Mo-nate wieder verstärkt als Akteur in der Wirtschaft in den Vordergrund drängt. Aber was ist der Grund dafür?

Am 15. September 2008 hat die US-amerikanische Bank Lehman Brothers Inc. wegen Verlusten in Milliarden-höhe das Insolvenzverfahren gemäß Chapter 11 des US Bankruptcy Code9 beantragt. Als Folge davon erlitt das Interbankensystem, welches bereits vorher unter einem erheblichen Vertrauensverlust im Hinblick auf die Boni-tät der beteiligten Banken litt, eine kurze „Schockstarre“, in deren Folge der weltweite Interbanken-Markt kurzzei-tig vollständig zusammenbrach. Unter dem Eindruck dieser Ereignisse, fanden im Okto-ber des Jahres 2008 auf internationaler und europäischer Ebene mehrere Treffen von Staats- und Regierungs-chefs10, Finanzministern11 und Notenbankengouver-

� Änderung des § 7 EStG durch das Jahressteuergesetz 2009.� Vgl. zum Chapter 11 Verfahren z.B. Wittig/Tetzlaff in: Münchner Kom-mentar zur Insolvenzordnung, Band 3, 2. Auflage 2008, Vorbemerkungen vor §§ 270 bis 285, Rn.11.�0 Treffen der europäischen G8 Staats- und Regierungschefs am 4. Oktober 2008 und Treffen der Staats- und Regierungschefs der Eurozonen-Länder am 12. Oktober 2008, jeweils in Paris.�� EU- Finanzministertreffen am 7. Oktober in Luxemburg.

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Kommentar

neuren12 statt, die mehrere Maßnahmenpakete für die Wiederherstellung der vollen Funktionsfähigkeit der weltweiten Finanzmärkte beschlossen haben. Auf nati-onaler Ebene erarbeiteten die Bundestagsfraktionen der drei Regierungsparteien einen gemeinsamen Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung eines Maßnahmenpaketes zur Stabilisierung des Finanzmarktes, der am 14. Okto-ber 2008 als gemeinsamer Entwurf der CDU/CSU und SPD Fraktion13 in das Gesetzgebungsverfahren einge-bracht wurde. Unter einvernehmlichem Verzicht auf die in der Geschäftsordnung des Bundestages vorgesehenen Fristen14 erfolgte bereits am folgenden Tag die erste Le-sung des Fraktionsentwurfs im Bundestag, welcher den Entwurf zur federführenden Beratung an den Haushalts-ausschuss überwiesen hat. Unmittelbar nach dem Ende der Plenarsitzung trat der Haushaltsausschuss gemein-sam mit dem Rechts-, Finanz- und Wirtschaftsausschuss zur Beratung über den Gesetzesentwurf zusammen. Noch am gleichen Tag wurde vom Haushaltsausschuss (8. Ausschuss) eine Beschlussempfehlung15 formuliert,

�� Finanzminister- und Notenbankgouverneurstreffen am 10. Oktober 2008 in.�� BT/Drs 16/10600.�� Gemäß § 78 Abs. 5 der Geschäftsordnung des Bundestages beginnen die Beratungen der Vorlagen frühestens am dritten Tage nach Verteilung der Drucksachen.�� BT/Drs 16/10651.

die zwei Tage später, am 17. Oktober 2008, die Grund-lage für den zur Abstimmung gestellten Gesetzesentwurf bildet. Unmittelbar nachdem die Mehrheit des Bundes-tages den Gesetzesentwurf in namentlicher Abstimmung mit der Mehrheit seiner Stimmen angenommen hatte16, wurde dieser an den Bundesrat weitergeleitet. Der Bun-desrat stimmte darauf hin in einer am gleichen Tag statt-findenden Sondersitzung dem Gesetzespaket ebenfalls zu17. Noch am gleichen Tag erfolgte die Ausfertigung durch den Bundespräsidenten, so dass das Finanzmark-stabilisierungsgesetz (FMStG) am 18. Oktober 200818, nur drei Tage nach Beginn des Gesetzgebungsverfah-rens, in Kraft getreten ist. Wesentlicher Inhalt des FMStG ist die Schaffung von Rahmenbedingungen zur Stabilisierung des Finanz-marktes. Das FMStG besteht aus einem ganzen Ge-setzespaket, welches in insgesamt sieben Artikeln zwei neue Gesetze – das Gesetz zu Errichtung eines Finanz-marktstabilisierungsfonds (nachfolgend das „Fonds-gesetz“) und das Gesetz zur Beschleunigung und Vereinfachung des Erwerbs von Anteilen und Risiko-

�� Vgl. dazu http://www.bundestag.de/parlament/plenargeschehen/abstim-mung/20081017_finanzmarkt.pdf.�� Vgl. Plenarprotokoll zur 849. Sitzung des Bundesrates am 17. Oktober 2008.�� Die Veröffentlichung erfolgte am 17.10. 2008 im Bundesgesetzblatt Teil I 2008 Nr. 46, S. 1982 ff.

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positionen von Unternehmen des Finanzsektors durch den Finanzmarktstabilisierungsfonds (nachfolgend das „Beschleunigungsgesetz“) – einführt und in den wei-teren Artikeln Regelungen des Kreditwesengesetzes, des Versicherungsaufsichtsgesetzes sowie der Insolvenzord-nung modifiziert. Schon zwei Tage nach Verkündung des Gesetzes hat das Bundesministerium der Finanzen am 20.10.2008 von seinem im Fondsgesetz vorgesehnen Recht zum Erlass von Rechtsverordnungen19 Gebrauch gemacht und eine Ausführungsverordnung zum Fonds-gesetz, die Finanzmarktstabilisierungsfonds-Verordnung (nachfolgend „FMStFVO“) erlassen20.

Kernpunkt des FMStG ist die Errichtung des „Finanz-marktstabilisierungsfonds - FMS“, umgangssprachlich auch „Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung“ oder „SoFFin“ genannt. Gemäß § 2 Abs. 1 Fondsgesetz be-steht die Aufgabe des SoFFin darin, den Finanzmarkt durch Überwindung von Liquiditätsengpässen zu stabi-lisieren und die Eigenkapitalbasis von Unternehmen des Finanzsektors durch Schaffung von positiven Rahmen-bedingungen zu stärken. Da der Stabilisierungszweck des FMStG ausschließlich dem nationalen Finanzmarkt zugute kommen soll, können nur inländische Kredit- und Finanzdienstleistungsinstitute21, Versicherungsunterneh-men und Pensionsfonds22, Kapitalanlagegesellschaften23 sowie Betreiber von Wertpapier- und Terminbörsen24, deren jeweilige Mutterunternehmen, soweit diese Fi-nanzholdinggesellschaften, gemischte Finanzholding-gesellschaften25 oder beauftrage Finanzkonglomerate26 sind, die im Fondsgesetz vorgesehenen Stützungs- und Stabilisierungsmaßnahmen in Anspruch nehmen. Daher können weder Unternehmen aus der Realwirtschaft, d.h., Unternehmen, die Güter produzieren, mit diesen handeln oder Dienstleistungen, mit Ausnahme von Bank- und Fi-nanzdienstleistungen, erbringen noch ausländische Un-ternehmen des Finanzsektors, sofern diese in Deutschland nur eine Zweigstelle betreiben, den SoFFin in Anspruch nehmen. Dies gilt insbesondere auch für Venture Capital und Private Equity Fonds27 sowie Hedge Fonds28, da diese nicht der Legaldefinition „Unternehmen des Finanzsek-tors“ in § 2 Abs. 1 Satz 1 Fondsgesetz unterfallen. Dies ist zwar inkonsequent, da gerade Private Equity und Hedge

�� Vgl. § 4 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit § 3a Abs. 5 Satz 1, § 4 Abs. 4 Satz 1, § 6 Abs. 4, § 7 Abs. 3, § 8 Abs. 2 und § 10 Abs. 2 Fondsgesetz.�0 Die Veröffentlichung erfolgte am 20.10. 2008 im elektronischen Bun-desanzeiger, eBAnz AT123V1, neu: 660-3-1.�� Vgl. dazu § 1 Abs. 1 und Abs. 1a Kreditwesengesetz.�� Vgl. dazu § 1 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 Versicherungsaufsichtsgesetz.�� Vgl. dazu § 1 Abs. 6 Investmentgesetz.�� Vgl. dazu § 1 Abs. 3e Kreditwesengesetz.�� Vgl. dazu § 1 Abs. 3a Kreditwesengesetz.�� Vgl. dazu § 51b Kreditwesengesetz und § 104o Versicherungsaufsichts-gesetz.�� Vgl. zur Definition von Venture Capital und Private Equity Fonds z.B. BMF-Schreiben vom16.12.12003, BMF IV A 6- S 2240 – 153/03; BStBl. 2004 I 40; berichtigt durch BStrBl. 2006 I 632.�� Vgl. zu Hedge Fonds auch §§ 112 – 120 Investmentgesetz.

Fonds zu wichtigen Teilnehmern des Finanzmarktes ge-hören, was sich gerade darin zeigt, dass der Zusammen-bruch einiger Private Equity und Hedge Fonds zumindest ein Mitauslöser für die derzeitige Finanzmarktkrise war. Jedoch wäre es wohl politisch nicht durchsetzbar gewe-sen, den „Heuschrecken“ Steuergelder für das Überleben zur Verfügung zu stellen. Obwohl auch die Banken eine nicht ganz unerhebliche Mitschuld an der aktuellen Krise tragen, ist deren Überleben für den globalen Finanzmarkt im Ergebnis wohl wichtiger, als der Zusammenbruch des einen oder anderen Private Equity oder Hedge Fonds. Allerdings bleibt die Frage, ob aus volkswirtschaftlicher Sicht der Zusammenbruch eines großen Private Equity oder Hedge Fonds tatsächlich weniger dramatisch ist, als der Zusammenbruch einer kleinen regionalen Bank oder eines lokal agierenden Finanzdienstleisters.

Der SoFFin ist ein Sondervermögen im Sinne von Art. 110 Abs. 1 und Art. 115 Abs. 2 GG, welches zwar nicht rechtsfähig ist, aber unter seinem Namen im rechtsge-schäftlichen Verkehr handeln, klagen und verklagt wer-den kann. § 3 Satz 2 Fondsgesetz legt als allgemeinen Gerichtsstand des SoFFin Berlin fest. Um für den SoFFIn ein unabhängiges Vertretungs- und Verwaltungsorgan zu schaffen, wurde durch § 3a Fondsgesetz die Finanz-marktstabilisierungsanstalt – FMSA – als unselbständige Anstalt des öffentlichen Rechts errichtet. Im Gegensatz zum SoFFin selbst, hat die FMSA ihren Gerichtsstand am Sitz der Deutschen Bundesbank in Frankfurt/Main. Es wäre wünschenswert gewesen, wenn der SoFFin und die FMSA den gleichen Gerichtsstand hätten. In diesem Fall hätten gerichtliche Streitigkeiten vor den gleichen Gerichten verhandelt werden können, was im Hinblick auf die Einheitlichkeit der Rechtsprechung sinnvoll ge-wesen wäre. Hierbei hätte es sich angeboten, den Ge-richtsstand des SoFFin nach Frankfurt/Main zu verlegen. Denn die dortigen Gerichte sind, nicht zuletzt aufgrund des in § 1 Abs. 3 des FinDAG festgelegten Gerichtsstands der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht in Frankfurt/Main sowie dem Sitz mehrerer deutscher Ban-ken in Frankfurt/Main, im Bereich von Streitigkeiten in Finanzmarkt-Angelegenheiten besonders spezialisiert. Aber auch hier hat sich im FMStG wohl eher der poli-tische Wille das Zeichen zu setzten, dass der SoFFin nah an der Regierung ist, gegenüber der juristischen Prakti-kabilität durchgesetzt.Die FMSA ist bei der Deutschen Bundesbank als ein von dieser organisatorisch unabhängige und getrennt zu verwaltende Anstalt des öffentlichen Rechts gegründet worden. § 3a Abs. 4 Fondsgesetz legt dazu fest, dass eine strikte Vermögenstrennung sowie die Trennung der Rechte und Verbindlichkeiten zwischen der FMSA und der Deutschen Bundesbank eingehalten werden muss. Die FMSA ist nach § 1 Abs. 1 FMStFVO in Verbindung mit § 4 Abs. 1 Satz 1 Fondsgesetz für die Vertretung

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Kommentar

und Verwaltung des SoFFin sowie die Entscheidung über die Vornahme von Stabilisierungsmaßnahmen zuständig. Nur Grundsatzfragen, Angelegenheiten von besonderer Bedeutung sowie Entscheidungen über wesentliche Auflagen einer Stabilisierungsmaßnahme werden nicht von der FMSA alleine, sondern von einem interministeriellen Lenkungsausschuss getroffen. Dieser besteht aus je einem stimmberechtigten Vertreter des Bundeskanzleramtes, des Bundesministeriums der Finanzen, des Bundesministeriums der Justiz, des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie, einem Mitglied, welches auf Vorschlag der Länder ernannt wird sowie einem beratenden Mitglied, welches auf Vorschlag der Deutschen Bundesbank ernannt wird. Die FMSA wird von einem aus drei Personen bestehenden Leitungsausschuss geleitet, die vom Bundesministerium der Finanzen im Benehmen mit der Deutschen Bundesbank bestellt werden29. Die Verwaltungskosten der FMSA werden vollständig vom SoFFin getragen.

Das Fondsgesetz unterscheidet drei Stabilisierungsins-trumente: Garantieübernahmen, Rekapitalisierungsmaß-nahmen sowie Risikoübernahmen.

Beim Instrument der Garantieübernahme (§ 6 Fondsgesetz und § 2 FMStFVO) bürgt der SoFFin für die Rückzahlung von Schuldtiteln und anderen Verbindlichkeiten, die von Unternehmen des Finanzsektors zwischen dem 18. Oktober 2008 und dem 31. Dezmeber 2009 begeben oder begründet worden sind bzw. noch begeben oder begründet werden, wobei die Laufzeit der abzusichernden Verbindlichkeiten 36 Monate nicht überschreiten darf. Sämtliche Garantien laufen gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 4 FMStFVO spätestens am 31.12.2012 aus. Mit der Garantieübernahme durch den SoFFin sollen Liquiditätsengpässe vermieden und den Unternehmen des Finanzsektors die Gelegenheiten zur Refinanzierung erleichtert werden. Im Gegensatz zu den beiden anderen Stabilisierungsmaßnahmen können auch Zweckgesellschaften, die Risikopositionen eines Unternehmens des Finanzsektors übernommen haben, eine Garantieübernahme für ihre Verbindlichkeiten beantragen. Allerdings sind sowohl die Gewährung der Garantie als auch die Höhe des maximalen Garantiebetrages von der Eigenmittelausstattung des begünstigten Unternehmens abhängig. Zudem erfolgt die Garantieübernahme nicht kostenlos. Vielmehr erhebt der SoFFin für die Garantiegewährung einen individuellen Prozentsatz des garantierten Höchstbetrages. Der jeweilige Prozentsatz ermittelt sich aus dem Ausfallrisiko des Unernehmens, zuzüglich einer Marge. Die Garantie wird nach § 2 Abs.

�� Dies sind derzeit Dr. Hannes Rehm als Sprecher des Leitungsaus-schusses, ehemals Vorstandsvorsitzender der Norddeutschen Landesbank Girozentrale, Dr. Christopher Pleister, ehemals Präsident des Bundesver-bandes der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR) und Ger-hard Stratthaus, ehemals Finanzminister des Landes Baden-Württemberg. Vgl. dazu auch http://www.soffin.de/fonds_leitung.php?sub=2.

2 Nr. 2 FMStFVO als Garantie auf erstes Anfordern in banküblicher Form gestellt und soll grundsätzlich auf Euro lauten. Die Garantiesumme umfasst dabei sowohl die Valuta der garantierten Verbindlichkeit als auch sämtliche damit zusammenhängenden Verpflichtungen, wie z.B. darauf anfallende Zinsen. Das Fondsgesetz erhält in § 6 eine Ermächtigung, für den SoFFIn Garantien bis zu einem Gesamtbetrag von 400,0 Mrd. Euro zu übernehmen. Zwischen dem 14. Januar 2009 und dem 28. Januar 2009 wurden vom SoFFin bereits Garantieübernahmen für Neumissionen von Anleihen, Pfandbriefen und sonstigen Schuldtiteln durch vier verschiedene Banken in Höhe von insgesamt 15 Mrd. Euro ausgereicht30.

Als zweite Stabilisierungsmaßnahme wird der SoFFin in § 7 des Fondsgesetzes ermächtigt, Rekapitalisierungs-maßnahmen bei den Unternehmen des Finanzsektors vorzunehmen. Dabei kann sich der SoFFin gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 FMStFVO in jeder geeigneten Form an der Rekapitalisierung eines anspruchsberechtigten Unter-nehmens beteiligen. Da es sich bei der Rekapitalisierung um das am weitest reichende Stabilisierungsinstrument handelt, soll dieses Instrument von der FMSA nur dann zugelassen werden, wenn der Bund ein wichtiges Inter-esse an der entsprechenden Maßnahme hat und das vom Bund angestrebte Ziel nicht besser und wirtschaftlicher auf andere Weise, wie z.B. über andere Stabilisierungs-instrumente, erreicht werden kann. Die Rekapitalisierung erfolgt entweder durch die Leistung von Einlagen, den Erwerb von Anteilen oder stillen Beteiligungen oder die Übernahme sonstiger Eigenmittel, wie z.B. durch Erwerb von eigenkapitalähnlichen Genussrechten. Dabei darf die Obergrenze für eine Rekapitalisierungsmaßnahme pro Unternehmen (inkl. verbundene Unternehmen), 10 Mrd. Euro grundsätzlich nicht überschreiten. Allerdings ist der Lenkungsausschuss des SoFFin im Einzelfall befugt, auch eine höhere Rekapitalisierung zu gestat-ten. Sofern ein Unternehmen eine Rekapitalisierung in Anspruch genommen hat, wird dies im Handelsregister eingetragen. Ebenso wie bei der Garantieübernahme soll der SoFFin für die Durchführung einer Rekapitalisie-rungsmaßnahme von dem Unternehmen eine marktge-rechte Vergütung erhalten, die allerdings gegenüber den Vergütungen anderer Eigenkapitalgeber vorrangig sein soll. Der SoFFin ist berechtigt, die von ihm gehaltenen Eigenkapitalbeteiligungen über das Jahr 2012 hinaus zu halten und zu verkaufen. Allerdings hat die FMSA nach § 3 Abs. 3 FMStFVO beim Verkauf der Beteiligungen darauf zu achten, dass die Veräußerung marktschonend erfolgt. Sobald der SoFFin die im Zusammenhang mit der Durchführung einer Rekapitalisierungsmaßnahme erhaltenen Eigenkapitalbeteiligungen auf einen Drit-

�0 vgl. dazu die Übersicht auf http://www.soffin.de/leistungen_garantien.php?sub=3.

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ten überträgt, verlieren Vorrangrechte, die dem SoFFin eingeräumt wurden, nach § 5 Abs. 5 Satz 1 Beschleuni-gungsgesetz ihre Wirkung. Allerdings kann der SoFFin bei der Übertragung an einen Dritten bestimmen, dass die von dem betroffenen Unternehmen ausgegebenen Vorzugsaktien in stimmberechtigte Stammaktien umge-wandelt werden. Um die im Fondsgesetz vorgesehene Rekapitalisierungsmaßnahmen ohne größeren Aufwand bei den betroffenen Unternehmen durchführen zu kön-nen, wurde speziell für dieses Stabilisierungsinstrument durch Artikel 2 des FMStG das Beschleunigungsgesetz erlassen. Wesentlicher Zweck des Beschleunigungsge-setzes ist es, bestimmte gesellschaftsrechtliche Maßnah-men, die bei normalen Kapitalmaßnahmen in Unterneh-men durchzuführen wären, zu vereinfachen. So werden durch das Beschleunigungsgesetz insbesondere die Re-gelungen, die normalerweise bei der Schaffung von ge-setzlich genehmigtem Kapital, bei der Durchführung von Kapitalerhöhungen und der Emission von Genussrechten zu beachten sind, vereinfacht31. So ist der Vorstand eines Unternehmens aus dem Finanzsektor, nach Zustimmung des Aufsichtsrates, gemäß § 3 des Beschleunigungsge-setzes ermächtigt, bis zum 31.12.2009 das am 18. Okto-ber 2008 vorhandene Grundkapital seines Unternehmens um bis zu 50 % durch Ausgabe neuer Aktien, die vom SoFFin gegen Einlage übernommen werden, zu erhöhen. Für die Ausgabe der dadurch entstehenden neuen Aktien bedarf es keiner Zustimmung der Hauptversammlung. Zudem ist das Bezugsrecht der Aktionäre nach § 3 Abs. 3 des Beschleunigungsgesetzes ausdrücklich ausgeschlos-sen. Auch die konkrete Ausgestaltung der Aktien kann nach dem in § 5 des Beschleunigungsgesetzes vorgese-henen Umfang durch den Vorstand, vorbehaltlich einer Zustimmung des Aufsichtsrates, alleine bestimmt wer-den. So kann der Vorstand nach § 5 Abs. 1 des Beschleu-nigungsgesetzes ohne Beschluss der Hauptversammlung den neu ausgegebenen Aktien einen Gewinnvorzug oder einen Vorrang einräumen. Sofern der Vorstand die Mög-lichkeit der vereinfachten Kapitalerhöhung ohne Haupt-versammlungsbeschluss nicht durchführen möchte, kann das Unternehmen alternativ auch eine reguläre Kapitaler-höhung durch Hauptversammlungsbeschluss beschlie-ßen. Allerdings gelten in diesem Fall für die Einberufung und Durchführung der Hauptversammlung gemäß § 7 Abs. 1 des Beschleunigungsgesetzes die in § 16 WpÜG vorgesehenen Erleichterungen, so dass insbesondere die Einberufungsfrist für eine Hauptversammlung auf bis auf einen Tag verkürzt werden kann. Sofern der Vorstand das Kapital der Gesellschaft nicht zu erhöhen beabsichti-gt, kann er als dritte Variante der Rekapitalisierung auch Genussrechte emittieren, die vom SoFFin angekauft wer-den. Auch hierzu benötigt er lediglich die Zustimmung des Aufsichtsrates. Bemerkenswert ist, dass nach § 10 �� Vgl. dazu die Zusammenfassung von Wieneke/Fett in: NZG 2009, 8 ff; Das neue Finanzmarktstabilisierungsesetz unter besonderer Berücksichti-gung der aktienrechtlichen Sonderregelungen.

des Beschleunigungsgesetzes bei keiner der vorgenann-ten Maßnahmen Informationspflichten gegenüber dem Wirtschaftsausschuss der Gesellschaft bestehen. Problematisch beim Beschleunigungsgesetz ist aller-dings die Tatsache, dass die Vereinfachungsregelungen ausschließlich für Unternehmen in der Rechtsform von Aktiengesellschaften, KGaA’s und europäische Ge-sellschaften (SE) gelten. Für andere Rechtsformen, wie z.B. für GmbHs, sieht das Beschleunigungsgesetz keine Sonderregelungen für die vereinfachte Durchführung von Kapitalmaßnahmen vor. Die Nichtberücksichtigung von anderen Gesellschaftsformen ist wohl darauf zu-rückzuführen, dass der Gesetzgeber beim Erlass des Be-schleunigungsgesetzes insbesondere börsennotierte Ban-ken im Blick hatte und Finanzdienstleistungsinstitute, die oft auch in der Rechtsform der GmbH agieren, aufgrund des kurzen Gesetzgebungsverfahren, schlicht übersehen wurden. Bisher hat der SoFFin das Instrument der Rekapitalisierung erst ein einziges Mal bei der Commerzbank AG angewandt und dieser eine stille Einlage in Höhe von 8,2 Mrd. Euro zur Verfügung gestellt32. Als drittes Finanzmarktstabilisierungsinstrument ist schließlich die Übernahme von Risiken, welche Unternehmen des Finanzsektors vor dem 13. Oktober 2008 erworbenen haben, durch § 8 Fondsgesetz und § 4 FMStFVO vorgesehen. Zu den Risikopositionen, welche durch den SoFFin übernommen werden dürfen, zählen insbesondere Forderungen, Wertpapiere, Derivate, Rechte und Pflichten aus Kreditzusagen oder Gewährleistungen und Beteiligungen, einschließlich der damit verbundenen Sicherheiten. Die Übernahme der Risiken durch den SoFFin kann gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 FMStFVO in jeder geeigneten Form erfolgen. Es ist davon auszugehen, dass der SoFFin im Regelfall die entsprechenden Risikopositionen erwerben wird und dem betroffenen Unternehmen in Gegenzug Schuldtitel des Bundes überträgt. Die übernommen Risikopositionen kann der SoFFin bis zur Fälligkeit halten. Für die Übernahme des Risikos erhält der SoFFin eine Verzinsung, die dem übernommenen Risiko entspricht, mindestens aber die Refinanzierungskosten des SoFFin deckt. Dabei darf die Obergrenze einer Risikoübernahme pro Unternehmen (inkl. verbundene Unternehmen), 5 Mrd. Euro nicht über-schreiten, sofern der Lenkungsausschuss im Einzelfall keine höhere Risikoübernahme gestattet.Zur Durchführung von Rekapitalisierungsmaßnahmen und Risikoübernahmen hat das Fondsgesetz in § 9 einen Kreditrahmen in Höhe von bis 70 Mrd. Euro zur Verfügung gestellt. Sofern die SoFFin innerhalb des Kreditrahmens Darlehen aufgenommen hat, steht der Kreditrahmen wieder zur Verfügung, sofern ein entsprechendes Darlehen getilgt ist. Mit Zustimmung des

�� Vgl. dazu u.a. https://www.commerzbank.de/de/hauptnavigation/kon-zern/aktuelles_1/sonderfonds_/Stabilisation_Fund.html.

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Überblick über die Reform des GmbH-Rechts durch das MoMiG

Von Rechtsanwältin Graciela Hoffmann, Frankfurt a.M.*

A. EinleitungDas Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräu-chen (MoMiG) wurde am 28. Oktober 2008 im Bundesgesetzblatt1 veröffentlicht und ist am 1. November 2008 in Kraft getreten. Das MoMiG reformiert in erster Linie das GmbH-Recht. Darüber hinaus enthält es Änderungen weiterer Gesetze, insbesondere des Aktiengesetzes und der Insolvenzord-nung. Mit dem MoMiG reagiert der Gesetzgeber auf die fortschreitende Internationalisierung des Gesellschafts-rechtes. Bezweckt ist vor allem, die GmbH zu moderni-sieren und im Hinblick auf konkurrierende, ausländische Rechtsformen, insbesondere der englischen Ltd., wettbe-werbsfähig zu machen. Zu den Kernpunkten des MoMiG zählen die erleichterte und beschleunigte Gründung von Gesellschaften, Vereinfachungen bei der Kapitalaufbrin-gung und -erhaltung sowie die Bekämpfung von Miss-bräuchen, die vermehrt im Rahmen der Insolvenzen von

� BGBl. I Nr. 48, S. 2026 ff.

GmbHs aufgetreten sind2. Der Überblick be-schränkt sich auf die wesentlichen, das GmbH-Gesetz betreffenden Änderungen.

B. Errichtung der GmbHI. Vereinfachtes GründungsverfahrenFür eine vom Gesetzgeber als unkompliziert

erachtete Standardgründung, das heißt die Bargründung einer GmbH mit maximal drei Gesellschaftern und einem Geschäftsführer, werden zwei beurkundungspflichtige Musterprotokolle im Gesetzesanhang zur Verfügung ge-stellt (§ 2 Abs. 1a GmbHG). Die Vereinfachung wird in der Praxis vor allem dadurch erreicht, dass das Muster-protokoll den Gesellschaftsvertrag, die Geschäftsführer-bestellung und die Gesellschafterliste in einem Dokument zusammenfasst. Ferner ist bei der Gründung unter Nut-zung des Musterprotokolls eine Gebührenermäßigung für die Beurkundung vorgesehen (§ 41d KostO).

� Schwerpunkte des MoMiG unter: www.bmj.bund.de/files/-/3181/Mo-MiG_Schwerpunkte_260608.pdf.

Haushaltsausschusses kann der Kreditrahmen um bis zu 10 Mrd. Euro überschritten werden. Sofern der SoFFin aus einer im Rahmen des Fondsgesetzes übernommenen Garantieübernahme in Anspruch genommen wird, kann das Bundesministerium der Finanzen den Kreditrahmen um weitere 30 Mrd. Euro erhöhen. Die Inanspruchnahme eines Stabilisierungsinstruments erfolgt durch Antragstellung eines berechtigten Unternehmens bei der FMSA33. Diese entscheidet dann nach pflichtgemäßem Ermessen unter Berücksichtigung der Bedeutung des jeweils von der Stabilisierungsmaßnahme erfassten Unternehmens für die Finanzmarktstabilität, der Dringlichkeit der Durchführung der Maßnahme und des Grundsatzes des möglichst wirtschaftlichen Einsatzes der Mittel des SoFFin. Ein Anspruch auf die Inanspruchnahme von Leistungen des Fonds besteht nicht. Voraussetzung für die Durchführung einer Stabilisie-rungsmaßnahme ist nach § 5 Abs. 1 FMStFVO, dass das antragstellende Unternehmen ausreichend Gewehr für eine solide und durchsichtige Geschäftspolitik bietet. In diesem Zusammenhang können dem Unternehmen be-stimmte Auflagen im Hinblick auf die geschäftspolitische Ausrichtung, die Verwendung der aufgenommenen Mit-tel, die Vergütung der Organe angestellten und wesent-

�� Vgl. dazu http://www.soffin.de/leistungen_antrag.php?sub=3.

lichen Erfüllungsgehilfen, Eigenmittelausstattung, Divi-dendenausschüttung und Maßnahmen zur Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen unter Rechenschaftsle-gung gefordert werden.

Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass durch die Errichtung des SoFFin bisher einmalige Maßnahmen zur Stabilisierung eines bestimmten Wirtschaftssektors in sehr kurzer Zeit geschaffen wurde. Wie sich in den letzten Monaten gezeigt hat, war dies jedoch nur ein erster Schritt in die Richtung, dass der Staat der Wirtschaftskrise immer tiefergehende Einflussnahmemöglichkeiten auf die Wirtschaft vornehmen wird. Nach den Konjunkturpaketen I und II ist es wohl nur noch eine Frage der Zeit, wann und in welchem Umfang das nächste Rettungspaket der Bundesregierung auf den Weg gebracht wird. Obwohl es im Einzelfall durchaus wünschenswert sein kann, einzelne Wirtschaftszweige oder einzelne Unternehmen durch staatliche Unterstützung zu retten, bleibt abschließend dennoch die Frage, inwieweit der Staat in einer freiheitlichen Wirtschaftsordnung Einfluss nehmen kann. Aufgrund der Vielzahl der in diesem Jahr anstehenden Wahlen, ist in diesem Jahr aber wohl nicht mit einer entsprechenden politischen Antwort zu rechnen.

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Eine weitere Erleichterung wird durch die Abschaffung des § 8 Nr. 6 GmbHG bewirkt, wonach eine GmbH mit genehmigungspflichtigem Unternehmensgegenstand (z.B. Gewerbeerlaubnis) bislang nur dann in das Han-delsregister eingetragen wurde, wenn bereits bei der An-meldung zum Handelsregister die öffentlich-rechtliche Genehmigung vorlag. Der Gesetzgeber hat das Eintra-gungsverfahren nun vollständig vom Verwaltungsrecht abgekoppelt. Die Vorlage der Genehmigung ist nicht mehr Voraussetzung für die Eintragung der Gesellschaft im Handelsregister. Mit dieser Maßnahme dürfte die GmbH-Gründung in der Praxis deutlich beschleunigt werden.

II. Vereinfachte Stückelung der GeschäftsanteileEine weitere Änderung betrifft die erleichterte Stückelung von Geschäftsanteilen. Bislang musste jede Stammeinlage eines Gesellschafters mindestens 100 Euro betragen und durch 50 teilbar sein. Nunmehr muss der Nennbetrag jedes Geschäftsanteils nur noch auf volle Euro lauten (§ 5 Abs. 2 S. 1 GmbHG). Der Nennbetrag beträgt also mindestens 1 Euro und muss durch 1 Euro teilbar sein. Darüber hinaus kann ein Gesellschafter bei der Gründung einer GmbH nun auch mehrere Geschäftsanteile gleichzeitig übernehmen (§ 5 Abs. 2 S. 2 GmbHG). Die Teilung und Zusammenlegung von Geschäftsanteilen wird durch die Abschaffung des § 17 GmbHG erleichtert, der an die Teilung von Geschäftsanteilen bestimmte Anforderungen knüpfte. Die aufgezeigten Änderungen führen dazu, dass die Gesellschafter künftig flexibler über die Höhe ihrer Geschäftsanteile bestimmen und ihre Beteiligungsverhältnisse bei der GmbH-Gründung und bei Anteilsübertragungen ihren Bedürfnissen und finanziellen Möglichkeiten besser anpassen können.

III. GesellschafterlisteBei der Gründung ist wie bisher eine durch alle Geschäftsführer unterzeichnete Gesellschafterliste einzureichen (§ 8 Abs. 1 Nr. 3 GmbHG). Diese bedarf fortan der Angabe „laufender Nummern“ der von einem Gesellschafter übernommenen Geschäftsanteile, wodurch eine genaue Individualisierung der Geschäftsanteile erzielt werden soll. Dem Vorbild des Aktienregisters folgend, gilt die Gesellschafterliste über das bisherige Recht hinaus als Legitimationsnachweis im Innenverhältnis der Gesellschafter zur Gesellschaft. Der neu gefasste § 16 Abs. 1 GmbHG macht die Ausübung von Mitgliedschaftsrechten (Stimmrecht, Gewinnbezug etc.) von der Eintragung des Gesellschafters in die Gesellschafterliste abhängig. Diese Maßnahme sorgt für Transparenz: Ein Dritter kann einfacher nachvollziehen, wer sich hinter der Gesellschaft verbirgt. Die Regelung wird durch die in § 16 Abs. 3 GmbHG neu geschaffene Möglichkeit des gutgläubigen Erwerbs von Geschäftsanteilen komplettiert. Der Erwerber

eines Geschäftsanteils darf künftig darauf vertrauen, dass die in der Gesellschafterliste ausgewiesene Person auch tatsächlich Inhaber des Geschäftsanteils ist. Ist eine Gesellschafterliste für mindestens drei Jahre unbeanstandet geblieben, so gilt der Inhalt der Liste gegenüber dem Erwerber des Geschäftsanteils als richtig. Entsprechendes gilt für den Fall, dass die Liste zwar weniger als drei Jahre unrichtig ist, die Unrichtigkeit aber dem wahren Rechtsinhaber zuzurechnen ist. Nach bisheriger Rechtslage gelang es bislang vor allem bei „alten“ Gesellschaften regelmäßig nicht, die Inhaberkette lückenlos zurückzuverfolgen. Darüber hinaus bestand für den Erwerber stets das Risiko, dass der Geschäftsanteil in der Zwischenzeit auf einen Dritten übertragen wurde, der Geschäftsanteil mithin einer anderen Person als dem in der Gesellschafterliste Eingetragenen gehörte.

IV. Einführung der Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt)Als deutsches Pendant zur englischen Ltd. sieht das MoMiG die Einführung der sogenannten Unternehmer-gesellschaft vor, die mit einem Stammkapital ab 1 Euro gegründet werden kann (§ 5a GmbHG). Diese „Mini-GmbH“ ist zum Schutz des Rechtsverkehrs mit dem ge-sonderten Zusatz „Unternehmergesellschaft (haftungsbe-schränkt)“ oder kurz „UG (haftungsbeschränkt)“ in der Firma zu versehen. Als weitere Besonderheit sieht § 5a Abs. 3 S. 1 GmbHG bei der Unternehmergesellschaft die Verpflichtung zur Bildung einer gesetzlichen Rücklage aus dem Jahresüberschuss vor. Erreicht das Stammka-pital den allgemeinen Mindestbetrag von 25.000 Euro, wird die Unternehmergesellschaft von Gesetzes wegen zu einer „normalen“ GmbH, ohne dass es hierfür eines Gesellschafterbeschlusses oder einer Umwandlung be-darf. Die Sonderregelungen der Unternehmergesellschaft finden dann keine Anwendung mehr.

V. Verlegung des Verwaltungssitzes ins AuslandNach der Rechtsprechung des EuGH zur Niederlassungs-freiheit bestand bislang lediglich für Gesellschaften aus EU-Mitgliedsstaaten die Möglichkeit, ihren Verwal-tungssitz abweichend vom Satzungssitz in einem ande-ren EU-Mitgliedsstaat, beispielsweise in Deutschland zu wählen und auch als solche anerkannt zu werden (sog. Zuzugsfälle)3.Wegen § 4a Abs. 2 GmbHG und der in Deutschland bis-lang herrschenden Sitztheorie musste der Verwaltungssitz einer GmbH stets in Deutschland liegen. Die Verlegung ins Ausland wurde als unzulässig erachtet bzw. führte zur Auflösung der GmbH. Die Abschaffung des § 4a Abs. 2 GmbHG ermöglicht nunmehr einer deutschen GmbH, ihren Verwaltungssitz abweichend vom Satzungssitz im Ausland zu wählen, ohne zwangsaufgelöst zu werden4. � Überseering vom 05.11.2002 (Rs. C-208/00); Inspire Art vom 30.09.2003 (Rs. C-167/01).� BT-Drucks. 16/6140, S. 29.

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Der Satzungssitz muss unverändert im Inland liegen5.

C. Kapitalaufbringung und KapitalerhaltungZahlreiche Änderungen sind mit den zwei Kernelementen der GmbH, nämlich der Kapitalaufbringung und der Ka-pitalerhaltung verbunden.

I. KapitalaufbringungDie Kapitalaufbringung betrifft zunächst die Abschaf-fung des bisherigen § 7 Abs. 2 S. 3 GmbHG, wonach bei der Gründung einer Einpersonengesellschaft für den nicht erbrachten Teil der Einlage die Bestellung einer Si-cherheit erforderlich war.Die Neuregelung des § 55a GmbHG ermöglicht – ent-sprechend der Rechtslage bei der Aktiengesellschaft – nun auch bei der GmbH die Schaffung eines genehmi-gten Kapitals.Der neu gefasste § 19 Abs. 4 GmbHG enthält erstmals eine Regelung zur verdeckten Sacheinlage. Die Abrede über eine verdeckte Sacheinlage befreit demnach den Gesellschafter nicht von seiner Einlageverpflichtung. Die schuldrechtliche Abrede über die Sacheinlage sowie das dingliche Erfüllungsgeschäft bleiben nach neuer Rechts-lage allerdings wirksam. Im Zeitpunkt der Anmeldung zur Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister wird der Wert der Sacheinlage auf die fortbestehende Geldeinlageverpflichtung des Gesellschafters angerech-net. Den Gesellschafter trifft also lediglich eine Diffe-renzhaftung, soweit der Wert der verdeckten Sacheinlage hinter der Geldeinlageverpflichtung zurückbleibt.In § 19 Abs. 5 GmbHG hat der Gesetzgeber die Rechts-folgen für die Fälle des „Hin- und Herzahlens“ im Rah-men der Erbringung von Geldeinlagen gesetzlich ge-regelt. Fließt die geleistete Geldeinlage aufgrund einer vorherigen Absprache wieder an den Gesellschafter zu-rück und handelt es sich hierbei nicht um eine verdeck-te Sacheinlage i.S.v. § 19 Abs. 4 GmbHG, findet eine „bilanzielle Betrachtungsweise“ Anwendung: Der Ge-sellschafter ist nunmehr – im Unterschied zur bisherigen Rechtslage – von seiner Geldeinlageverpflichtung trotz Zurückfließens der Einlage befreit, wenn die Leistung durch einen vollwertigen Rückgewähranspruch gedeckt ist, der jederzeit fällig ist oder durch fristlose Kündigung durch die Gesellschaft fällig werden kann.

II. Kapitalerhaltung und GesellschafterdarlehenDas MoMiG hat in § 30 Abs. 1 S. 1 GmbHG den Grund-satz beibehalten, dass das zur Erhaltung des Stammka-pitals der Gesellschaft erforderliche Vermögen nicht an die Gesellschafter ausgezahlt werden darf. Das Verbot der Einlagenrückgewähr galt bislang unabhängig davon, ob der Rückzahlungsanspruch gegen den Gesellschafter voll werthaltig war. Ein Verstoß gegen das Verbot der � Nach der EuGH-Entscheidungen „Cartesio“ vom 16.12.2008 (Rs. C-210/06) sind in Ermangelung einer einheitlichen gemeinschaftsrechtlichen Regelung Beschränkungen für Wegzugsfälle rechtmäßig.

Einlagenrückgewähr führte zu einer Rückzahlungsver-pflichtung des betreffenden Gesellschafters und einer Ausfallhaftung der übrigen Gesellschafter sowie ge-gebenenfalls einer Haftung der Geschäftsführer. Diese Grundsätze waren bislang u.a. auch beim Cash-Pooling von Bedeutung, wenn Finanzmittel von Tochtergesell-schaften zwecks gemeinsamen Cash-Managements an die Muttergesellschaft weitergeleitet werden.Der neu gefasste § 30 Abs. 1 S. 2 GmbHG sieht nun-mehr vor, dass eine Leistung der Gesellschaft an einen Gesellschafter dann nicht mehr als verbotene Einlagen-rückgewähr zu werten ist, wenn ein reiner Aktivtausch stattfindet, wenn also der Gegenleistungs- oder Rückge-währanspruch der Gesellschaft gegenüber dem Gesell-schafter die Auszahlung deckt und darüber hinaus voll-wertig ist. Durch diese Regelung wird künftig u.a. das Cash-Pooling bei der Konzernfinanzierung gesichert.Eine weitere Änderung durch das MoMiG betrifft die Behandlung von Gesellschafterdarlehen. Nach bishe-riger Rechtslage wurden Darlehen und diesen wirtschaft-lich entsprechende Leistungen, die Gesellschafter ihrer GmbH in einer finanziellen Krise gewährten oder belie-ßen, wie Eigenkapital behandelt. Die Rechtsprechung wendete auf diese sog. eigenkapitalersetzenden Darlehen die §§ 30, 31 GmbHG analog an, das heißt, die Darle-hen durften in der Krise nicht an die Gesellschafter zu-rückgezahlt werden. Andernfalls war der entsprechende Gesellschafter zur Rückzahlung an die Gesellschaft ver-pflichtet. Der neu gefasste § 30 Abs. 1 GmbHG ist auf die Rückgewähr von Gesellschafterdarlehen nicht mehr anwendbar (§ 30 Abs. 1 S. 3 GmbHG). Mit Inkrafttreten des MoMiG wurde die Rechtsfigur der „eigenkapitaler-setzenden Darlehen“ aufgegeben und die entsprechenden Rechtssprechungsregeln abgeschafft. Die Unterschei-dung bei Gesellschafterdarlehen zwischen solchen, die kapitalersetzend sind und solchen, die diese Eigenschaft nicht aufweisen, ist nicht mehr vorgesehen. Gesellschaf-terdarlehen unterliegen somit vor der Insolvenz nur noch der allgemeinen Rückzahlungssperre des § 64 S. 3 Gmb-HG, wonach keine Zahlungen vorgenommen werden dürfen, wenn diese zur Zahlungsunfähigkeit der Gesell-schaft führen. Ferner sind die §§ 32a, 32b GmbHG entfallen. Sie finden sich in modifizierter Form in §§ 39, 44a InsO wieder. Danach sind alle Gesellschafterdarlehen, unabhängig da-von, ob sie in oder außerhalb einer Krise gewährt wur-den, in der Insolvenz nachrangig, soweit nicht das Sanie-rungs- oder das Kleinbeteiligungsprivileg greifen (§ 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO). Hat ein Dritter der Gesellschaft ein von einem Gesellschafter besichertes Darlehen gewährt, ist er verpflichtet, in der Krise zunächst Befriedigung aus der Sicherheit zu suchen (§ 44a InsO). Ferner sind Rückzahlungen von Gesellschafterdarlehen, die im letz-ten Jahr vor dem Insolvenzantrag vorgenommen wurden, anfechtbar (§ 135 Abs. 1 InsO).

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D. Vermeidung von MissbrauchFerner sollen zahlreiche neue Regelungen den Miss-brauch bei Kapitalgesellschaften bekämpfen. Hierzu ge-hört unter anderem, dass die Rechtsverfolgung gegenü-ber Gesellschaften beschleunigt wurde, indem nun jede Gesellschaft eine inländische Geschäftsanschrift in das Handelsregister eintragen lassen muss (§ 8 Abs. 4 Nr. 1 GmbHG). Ist unter der eingetragenen Anschrift eine Zu-stellung faktisch nicht möglich, kann die Zustellung nach den für die öffentliche Zustellung geltenden Vorschriften der Zivilprozessordnung erfolgen (§ 15a HGB i.V.m. § 185 Nr. 2 ZPO).Des Weiteren obliegt jedem Gesellschafter bei Führungs-losigkeit der Gesellschaft die Pflicht, bei Zahlungsunfä-higkeit oder Überschuldung einen Insolvenzantrag zu stellen, es sei denn, er hat von der Insolvenzreife oder der Führungslosigkeit keine Kenntnis. Diese Maßnahme soll verhindern, dass die Insolvenzantragspflicht durch ein „Abtauchen“ des Geschäftsführers umgangen wird.Nach § 64 GmbHG a.F. ist der Geschäftsführer für die rechtzeitige Insolvenzantragstellung verantwortlich. Die Regelung bleibt inhaltlich erhalten, wurde aber in die In-solvenzordnung verlagert (§ 15a InsO). Darüber hinaus hat das MoMiG die Verantwortung des Geschäftsführers vorverlagert, indem Zahlungen an Gesellschafter eine Haftung bereits dann begründen, soweit sie erkennbar zur Zahlungsunfähigkeit führen mussten (§ 64 S. 3 Gmb-HG). Der Zahlungspflicht kann der Geschäftsführer ent-gehen, wenn er nachweist, dass er wie ein ordentlicher Kaufmann gehandelt hat. Durch diese Regelungen sollen Vermögensverschiebungen zwischen Gesellschaft und Gesellschaftern zum Nachteil der Gläubiger künftig ef-fektiver verhindert werden. Die in § 6 Abs. 2 S. 2 GmbHG vorgesehenen Bestel-lungsverbote für Geschäftsführer wurden erweitert und mit Hilfe von § 13e Abs. 3 S. 2 HGB auf Niederlassungen ausländischer Gesellschaften im Inland erstreckt. Die Bestellungsverbote können dadurch nicht mehr durch Rückgriff auf eine „Schein-Auslandsgesellschaft“ unter-laufen werden. Im Zusammenhang mit der Geschäftsfüh-rerbestellung steht auch der neu eingeführte § 6 Abs. 5 GmbHG. Die Vorschrift sieht eine gesamtschuldnerische Haftung von Gesellschaftern für Schäden der Gesell-schaft vor, die dieser dadurch entstehen, dass einer Per-son, die nach § 6 Abs. 2 GmbHG nicht Geschäftsführer sein kann, die „Führung der Geschäfte überlassen“ wird.

E. AusblickDie Rechtspraxis wird zeigen, ob es dem MoMiG gelun-gen ist, die GmbH im Hinblick auf ausländische Gesell-schaften wettbewerbsfähig zu machen und ob die UG (haftungsbeschränkt) der englischen Ltd. in Deutschland den Rang ablaufen wird. Erleichterungen dürften in der Praxis vor allem die Änderungen bei der Kapitalaufbrin-gung und der Behandlung von Gesellschafterdarlehen

bringen, wodurch insbesondere das bei der Konzernfi-nanzierung international genutzte Cash-Pooling gesi-chert wird. Die Entscheidung, den gutgläubigen Erwerb von Geschäftsanteilen zu ermöglichen, ist zu begrüßen. Die Neuregelung dürfte zu einer Erleichterung bei der Veräußerung von Anteilen älterer GmbHs in der Praxis führen.6

* Die Autorin dieses Artikels, Graciela Hoffmann, ist Rechtsanwältin der Nörr Stiefenhofer Lutz Partnerschaft in Frankfurt am Main. Nörr Stiefen-hofer Lutz ist eine Wirtschaftskanzlei mit mehr als 1.100 Mitarbeitern an 13 Standorten weltweit (in Deutschland Berlin, Dresden, Düsseldorf, Frank-furt a.M., München), die ihre Mandanten in allen Fragen des nationalen und internationalen Wirtschaftrechts berät. Nörr ist exklusives deutsches Mitglied des internationalen Kanzleinetzwerkes Lex Mundi. Stellenange-bote sind zu finden unter www.noerr.com/karriere.

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Prozessführung nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrens-gesetz

Von Rechtsanwalt Mathias Fischer, Latham & Watkins LLP, Frankfurt a.M.*

Kapitalanleger sind seit einigen Jahren zunehmend gewillt, einmal erlittene Verluste nicht mehr hinzunehmen, sondern vor Gericht gegen Emittenten oder Banken vorzugehen. Dieser Trend wurde insbesondere durch einige spektakuläre Betrugsfälle am ehemaligen Neuen Markt, die im Zuge des Platzens der „New-Economy-Blase“ ans Tageslicht kamen, ausgelöst. Diese Betrugsfälle haben den Gesetzgeber bereits im Jahre 2003 zu einem Maßnahmenkatalog bewogen, zu dem auch der Erlass des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes (KapMuG) gehörte, das am 1.11.2005 in Kraft getreten ist. Gerade auf Klägerseite haben sich einige Anwaltskanzleien darauf spezialisiert, Prozesse nach dem KapMuG zu führen und medienwirksam auf ihre Tätigkeit aufmerksam zu machen.Die Gestaltung des KapMuG beruhte auf der Überlegung, dass Kapitalanlegerprozesse durch bestimmte Charakteristika gekennzeichnet sind, die eine besondere Verfahrensregelung notwendig machen. In diesen Fällen existiert typischerweise eine große Anzahl möglicher Geschädigter, der individuelle Schaden ist jedoch häufig gering. Gerade Kleinanleger werden daher von einer Klage abgehalten, weil die Kosten einer Klage, die einen sehr komplexen Sachverhalt betreffen können, in keinem Verhältnis zu dem Schaden stehen kann. Darüber hinaus hat sich gezeigt, dass Gerichte aufgrund der hohen Anzahl der Kläger mit der Handhabung der Verfahren administrativ schlicht überfordert sind und entlastet werden müssen. In einem Verfahren hat der Vorsitzende Richter den Klägervertretern in einer mündlichen Verhandlung etwa mitgeteilt, er werde etwa 15 Jahre benötigen, um über alle gegen einen Emittenten anhängigen Verfahren in erster Instanz zu entscheiden.Schließlich hat der Gesetzgeber auch die Verfahrensordnungen anderer Staaten betrachtet und festgestellt, dass vielfach spezielle Verfahrensordnungen existieren, die Gerichten und anderen Prozessbeteiligten helfen, Massenverfahren handhabbar zu machen. Der deutsche Gesetzgeber ist bei Erlass des KapMuG jedoch bewusst nicht dem Vorbild ausländischer Rechtsordnungen gefolgt, sondern ist einen eigenen Weg gegangen. Insbesondere ist das KapMuG nicht mit der US-amerikanischen Securities Class Action vergleichbar, die auf Erfolgsbasis arbeitenden Anwaltskanzleien die Möglichkeit gibt, Beklagte trotz vergleichsweise vager Anschuldigungen zu hohen Vergleichszahlungen zu zwingen.

Anwendbar ist das KapMuG zunächst nur auf Rechtsstreite, in denen Anleger einen Schadensersatzanspruch wegen falscher, irreführender oder unterlassener Kapitalmarktinformationen oder einen Erfüllungsanspruch aus einem Vertrag, der auf einem Angebot nach dem WpÜG beruht, geltend

machen. In der Praxis betrifft dies im Wesentlichen Fälle, in denen Anleger behaupten, durch falsche Informationen in einem Börsenprospekt oder einer Ad-Hoc-Mitteilung geschädigt worden zu sein. Behauptet ein Anleger hingegen lediglich von seiner Bank oder seinem Vermögensberater schlecht beraten worden zu sein, kann kein Musterfeststellungsantrag gestellt werden.Ein Rechtsstreit beginnt auch nach dem KapMuG wie jede andere Klage, nämlich mit der Einreichung der Klageschrift. Wird ein Schadensersatzanspruch geltend gemacht, der in den Anwendungsbereich des KapMuG fällt, können Kläger oder Beklagte die Feststellung des Vorliegens oder Nichtvorliegens anspruchsbegründender oder anspruchsausschließender Voraussetzungen oder die Klärung von Rechtsfragen beantragen, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits davon abhängt (sog. Musterfeststellungsantrag). Wird ein Musterfeststellungsantrag gestellt und hält das Gericht diesen für zulässig, veröffentlich es ihn in dem sog. Klageregister. Dieses Klageregister ist im Internet einsehbar. Es soll andere Anleger auf den Musterfeststellungsantrag hinweisen und das Interesse weiterer Kläger wecken, sich an dem Rechtsstreit zu beteiligen.Sind innerhalb von vier Monaten nach Bekanntmachung des ersten Musterfeststellungsantrags im Klageregister in neun weiteren Rechtsstreiten gleichgerichtete Musterfest-stellungsanträge gestellt worden, erlässt das Prozessge-richt, bei dem der zeitlich erste Musterfeststellungsantrag gestellt wurde, den sog. Vorlagebeschluss. Der Vorlage-beschluss enthält die Feststellungsanträge bezüglich der tatsächlichen und rechtlichen Streitfragen, von denen die Entscheidung der Rechtsstreite abhängt und denen über die Bedeutung für den einzelnen Rechtsstreit hinaus Bedeutung für andere gleichgelagerte Rechtsstreite zu-kommt. Über diese Feststellungsanträge entscheidet nun nicht mehr das erstinstanzliche Prozessgericht, sondern das übergeordnete Oberlandesgericht. Dieses bestimmt auch den sog. Musterkläger und macht das Musterver-fahren bekannt.Vor dem Verfahren vor dem Oberlandesgericht, hat

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Gesetz zur Änderung des SozialgerichtsgesetzesMaterielle Verfassungsmäßigkeit der §§ 102, 106a SGG n.F. und rechtspolitische Sichtweise

Von Katrin Lack, Frankfurt a.M.*

Das Verfahrensrecht in Deutschland unterliegt der stetigen Entwicklung. Als Beispiel ist das Gesetz zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zu nennen, welches zum 01.04.2008 in Kraft getreten ist1.In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob die in § 102 SGG n.F. geregelte fiktive Klagerücknahme und die Präklusionsregelung des 106a SGG n.F. mit der

� BGBl. I 2008, S. 444, 448.

Verfassung, vornehmlich mit den Justizgrundrechten des Bürgers überhaupt vereinbar sind. Darüber hinaus gilt es zu untersuchen, ob diese Regelungen aus rechtspolitischer Sicht sinnvoll waren2.

� Der Beitrag berücksichtigt die Rechtslage und Erfahrungsberichte bis zum 30.11.2008 mit Dank an die Mitarbeiter des Landessozialgerichts Darmstadt für die Einladung zur Fortbildungsveranstaltung der hessischen Sozialgerichtsbarkeit und die Erfahrungsberichte.

das Prozessgericht von Amts wegen alle Rechtsstreite auszusetzen, deren Entscheidung von der im Musterverfahren zu treffenden Feststellung oder der im Musterverfahren zu klärenden Rechtsfrage abhängt. Dieses Aussetzungsverfahren nimmt in der Praxis, gerade bei Verfahren mit zahlreichen Klägern, eine erhebliche Zeit in Anspruch, da das Prozessgericht jeden einzelnen Rechtsstreit auf seine Aussetzungsfähigkeit hin prüfen muss. Gerade für die Kläger kann die Aussetzungsentscheidung eine erhebliche Tragweite haben. Nach Aussetzung des Rechtsstreits hat der Anleger nämlich nur noch zwei Wochen Zeit, seine Klage zurückzunehmen, um nicht an den unter Umständen erheblichen Kosten des Musterverfahrens partizipieren zu müssen. Ist seine Klage aus individuellen Gründen nach Ansicht des Prozessgerichts aussichtslos, darf das Verfahren nicht ausgesetzt werden. Vielmehr hat das Prozessgericht die Klage, unabhängig vom Ausgang des Musterverfahrens, abzuweisen.Sind die vor dem Prozessgericht anhängigen Verfahren ausgesetzt, beginnt das Musterverfahren vor dem Oberlandesgericht. Auf dieses Verfahren sind die Vorschriften, die in jedem anderen, vor einem Landgericht anhängigen Verfahren gelten, weitestgehend entsprechend anwendbar. Das Verfahren weist jedoch einige Besonderheiten auf. So existiert zwar ein Musterkläger. Die übrigen Kläger aus den Ausgangsverfahren werden in dem Musterverfahren jedoch beigeladen und haben auch die Möglichkeit, Angriffs- und Verteidigungsmittel vorzubringen, sowie weitere Prozesshandlungen vorzunehmen. Die Anzahl der Beigeladenen kann erheblich sein, sodass sich ein Gericht auch schon veranlasst gesehen hat, ein Musterverfahren nicht in einem Gerichtsgebäude sondern in einer Stadthalle durchzuführen. Die Befragungen von Zeugen werden in der Regel von mehreren Rechtsanwälten durchgeführt und sind langwierig. Auch das Medieninteresse an diesen Verhandlungen kann erheblich sein.Das Verfahren vor dem Oberlandesgericht endet

durch den Musterentscheid. Gegen diesen ist die sog. Rechtsbeschwerde zum BGH zulässig. Ist der Musterentscheid rechtskräftig, werden die Rechtsstreite vor dem Prozessgericht wieder aufgenommen. Das Prozessgericht hat nun über jeden einzelnen Fall individuell zu entscheiden. Es ist bei seiner Entscheidung aber durch den Musterentscheid gebunden, wenn diese von der im Musterverfahren getroffenen Feststellung oder der im Musterverfahren geklärten Rechtsfrage abhängig ist. War das Musterverfahren in der Sache für die Kläger erfolgreich, sind nun die individuellen Besonderheiten jedes Verfahrens im Detail zu prüfen. Wurde im Musterverfahren dagegen entschieden, dass die angegriffene Kapitalmarktinformation zutreffend war, sind sämtliche Klagen abzuweisen.Das Prozessgericht hat auch über die Kosten zu entscheiden. Da die Kosten in dem Musterverfahren in der Regel außer Verhältnis zu den Streitwerten einzelner Rechtsstreite stehen, werden diese auf die Kläger anteilig aufgeteilt, sofern diese unterlegen sind. Insbesondere Vorschüsse für aufwändige Sachverständigengutachten, die im Musterverfahren ausnahmsweise nicht zu bevorschussen sind, werden anteilig auf die Kläger verteilt. Der Richter und das Gerichtspersonal, die nun die Kosten für jeden einzelnen der teilweise mehrere tausend Kläger ausrechnen müssen, diese anfordern und ggf. vollstrecken müssen, sind dabei um ihre Aufgabe nicht zu beneiden.1

* Mathias Fischer ist Counsel des Litigation Departments des Frankfur-ter Büros von Latham & Watkins. Latham & Watkins LLP ist eine in-ternationale Anwaltskanzlei und vertritt mit über 2.300 Anwältinnen und Anwälten in 28 Büros Mandanten in 75 Ländern. In Deutschland arbeiten über 150 Anwältinnen und Anwälte in den Büros in Frank-furt, Hamburg und München. Die Stärke der Kanzlei liegt in ihrer glo-balen Teamstruktur, die eine grenzüberschreitende Beratung in al-len Bereichen des internationalen Wirtschaftsrechts sicherstellt. Die Schwerpunkte der deutschen Büros liegen im Gesellschaftsrecht / M & A, Litigation, Bank- und Finanzrecht sowie im Kapitalmarktrecht.

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Kommentar

I. Hintergrund für das Gesetz zur Änderung des SGGDurch die mit dem SGG vom 03.09.19533 geschaffene besondere Verwaltungsgerichtsbarkeit zur Kontrolle der Rechtmäßigkeit des Handelns der Sozialleistungsträger war die besondere Zuständigkeit nach rechtlichen Materien und Spezialisierungen des Fachgebietes klar geregelt. Zum 01.01.2005 wurde diese Regelung allerdings aufgehoben und anstelle des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) traten sodann die im zwölften Sozialgesetzbuch (SGB XII) geregelten Angelegenheiten bezüglich der Sozialhilfe. Seither entscheiden gemäß § 51 I Nr. 6a SGG die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit über Anträge gegen Entscheidungen der Behörden nach dem SGB XII. Hierdurch steht den betroffenen Personen also nicht mehr der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten, sondern zu den Sozialgerichten zu. Infolge dieser Sonderzuweisung blieb ein Anstieg der von den Sozialgerichten zu bearbeitenden Fälle nicht aus. Dies hat auch der Gesetzgeber erkannt4. Ziel der Reform war deshalb die nachhaltige Entlastung der Sozialgerichte sowie die Straffung des sozialgerichtlichen Verfahrens unter Berücksichtigung der Besonderheiten des sozialgerichtlichen Rechtsschutzes.

II. Die Neuregelungen der §§ 102 II, 106a SGG§ 102 II SGG n.F. ergänzt den ursprünglichen § 102 SGG und regelt den Fall, dass der Kläger trotz ausdrücklicher und unmissverständlicher Aufforderung des Gerichts das Verfahren für die Dauer von drei Monaten nicht oder nicht ausreichend betreibt, beispielsweise seine Mitwirkung hinsichtlich der Sachverhaltsaufklärung vernachlässigt oder nicht hinreichend substantiiert vorbringt, aus welchem Grund er seiner Pflicht nicht nachgekommen ist.Liegt ein solcher Fall vor, wird dem Kläger von Gesetzes wegen die Klagerücknahme unterstellt5. Rechtsfolge dieser fiktiven Klagerücknahme ist zum einen die Erledigung der Hauptsache und zum anderen gem. § 193 SGG die Kostenentscheidung nach billigem Ermessen des Gerichts6.§ 106a SGG n.F. gibt dem erstinstanzlichen Gericht die Möglichkeit, den Vortrag einer Partei oder Beweismittel

� BGBl. I 1953, S. 1239-1266.� In dem Gesetzesentwurf zur Änderung der Sozialgerichtsbarkeit ist die Rede von einer „erheblichen Mehrbelastung“ der Sozialgerichte, BT Drucks. 16/7716, S. 1 (BR-Drucks. 820/07, S. 1 entsprechend); vgl. auch Löffler, SGb 2007, 256, 257 sowie Tabarra, NZS 2008, 8 im Hinblick auf Sozialleistungen nach SGB II: „Waren im Jahr 2005 noch 56.578 Sozial-rechtsverfahren in Angelegenheiten der Grundsicherung für Arbeitsuchen-de anhängig, verdoppelte sich diese Zahl im Jahr 2006 auf 105.156 Klagen. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit ist die Zahl der Prozesse im ersten Halbjahr des Jahres 2007 im Vergleich zum Vorjahr noch einmal um fast 38 Prozent angestiegen.“.� Hierbei sind schwer wiegende, konkrete und sachlich begründete An-haltspunkte für einen Wegfall des Rechtsschutzinteresses erforderlich.� Folge ist also nicht zwangsläufig die Kostentragungspflicht des Klägers.

zurückzuweisen7. Zuvor ist dem Kläger unter Fristsetzung Gelegenheit zum Tatsachenvortrag bezüglich jener (genau bezeichneten) Tatsachen zu geben, durch deren Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung er sich beschwert fühlt, weiterhin zur Angabe von Tatsachen, zur Bezeichnung von Beweismitteln oder zur Vorlage von Urkunden und anderen beweglichen Sachen sowie elektronischen Dokumenten (§ 106a I, II SGG n.F.). Im Falle des Zugangs von Erklärungen oder Beweismitteln nach Ablauf der dem Kläger gesetzten Frist, kann das Gericht jene zurückweisen und ohne weitere Ermittlungen entscheiden, sofern es davon überzeugt ist, dass der Beteiligte die Verspätung nicht genügend entschuldigt oder die Zulassung der Erklärungen bzw. Beweismittel die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde und der Beteiligte über die Folgen der Fristversäumung belehrt worden ist (§ 106a III SGG n.F.).

III. Die Vereinbarkeit der §§ 102, 106a SGG n.F. mit dem Recht auf rechtliches GehörGrundsätzlich obliegt die normative Ausgestaltung des Verfahrensablaufs dem Gesetzgeber. Bei der Ausübung der ihm hierzu durch das Grundgesetz (GG) verliehenen Kompetenz hat er jedoch die dem Bürger kraft unserer Verfassung gegebenen Rechte zu achten und zu wahren. Vordergründig ist im vorliegenden Fall das Recht auf rechtliches Gehör nach Art. 103 I GG zu berücksichtigen, das den Ablauf des Verfahrens gewährleistet8. Hieraus folgt die Pflicht des Gesetzgebers zur tatsächlichen Verfolgung und Ermöglichung des Ziels der Rechtsgewährleistung, nämlich den wirkungsvollen Rechtsschutz, der für den rechtsuchenden Bürger geeignet, angemessen und zumutbar sein muss9.Für das Verfahren vor den Sozialgerichten ist das Recht auf rechtliches Gehör in § 62 SGG einfachgesetzlich normiert. Es greift somit das grundrechtsgleiche Recht nach Art. 103 I GG auf und macht dadurch die Berücksichtigung und die Wichtigkeit dieses Justizgrundrechtes deutlich.

1. Die fiktive Klagerücknahme, § 102 II SGG n.F.

� Bewusst scheint der Gesetzgeber die Präklusion als Möglichkeit formu-liert zu haben: Es steht dem Gericht somit frei, Erklärungen der Parteien und Beweismittel zuzulassen. Generell besteht die Präklusionsmöglichkeit nur unter engen Voraussetzungen. Durch § 157a SGG n.F erhält das Ge-richt der Berufungsinstanz die gleiche Möglichkeit bezüglich neuer Erklä-rungen und Beweismittel, die im ersten Rechtszug entgegen der hierfür gesetzten Frist nicht vorgebracht worden sind.� Schmahl, in: Schmidt-Bleibtreu, GG Kommentar zum Grundgesetz, 11. Aufl. 2008, Art. 103 Rdn. 4; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland Kommentar, 9. Aufl. 2007, Art. 103 Rdn. 2.� Dies hat auch das Bundesverfassungsgericht mehrfach deutlich zum Aus-druck gebracht: „Nach Art. 103 I GG haben die Beteiligten eines gericht-lichen Verfahrens ein Recht darauf, sich vor Erlaß der Entscheidung zu dem zugrunde liegenden Sachverhalt zu äußern. Diesem Recht entspricht die Pflicht des Gerichts, Anträge und Ausführungen der Prozeßbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen […]. Die Prozeß-beteiligten sind insbesondere befugt, Anträge zu stellen […]. Erhebliche Beweisanträge müssen vom Gericht berücksichtigt werden.“ BVerfG NJW 1985, 1150; BVerfGE 60, 247, 249; BVerfGE 60, 250, 252; BVerfGE 77, 275, 284.

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Kommentar

Möglicherweise verletzt aber § 102 II SGG n.F. das Recht auf rechtliches Gehör. Eine vergleichbare Vorschrift für den Zivilprozess enthält die Zivilprozessordnung (ZPO) nicht. Vielmehr besagt § 269 ZPO, dass eine Klagerück-nahme im Zivilprozess nur durch (ausdrückliche) Er-klärung gegenüber dem Gericht möglich ist. Allerdings scheint der Regelungsgehalt des § 102 II SGG n.F. dem § 92 II VwGO nachempfunden10.Begründet wird die Regelung der fiktiven Klagerücknah-me nach Ablauf der Frist mit der Vermutung, dass ein Rechtsschutzbedürfnis des Klägers nicht mehr bestehet, ebenso wie dies bei der Rücknahme nach § 92 II VwGO der Fall ist11. Denn hat der Kläger Interesse an der raschen und verbindlichen Feststellung seines Begehrens, wird er so bald wie möglich die erforderlichen Informationen zu Gericht reichen. Somit wird hier von der Situation aus-gegangen, dass nur derjenige nachlässig im Umgang mit dem Gericht ist, der im Ergebnis kein Interesse an der Entscheidung der Streitfrage hat12.Diese Argumentation kann jedoch nicht ohne weiteres auf den Sozialrechtsstreit übertragen werden. Zum einen ist es denkbar, dass aufgrund gesundheitlicher oder sozi-aler Defizite die klagende Partei zur tatsächlichen frist-gerechten Mitwirkung hinsichtlich der Sachverhaltsauf-klärung gar nicht im Stande ist. Zum anderen besteht im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nach § 86 IV VwGO eine Mitwirkungspflicht der Beteiligten, sodass hier eine fiktive Klagerücknahme noch gerechtfertigt sein mag. Eine solche Pflicht besteht im sozialrechtlichen Verfah-ren aber gerade nicht. Nach § 108 S. 1 SGG können die Beteiligten zur Vorbereitung der mündlichen Verhand-lung Schriftsätze einreichen. § 86 IV VwGO geht dem-nach weiter als § 108 S. 1 SGG13. Insofern erscheint die fiktive Klagerücknahme nach der Neufassung des § 102 SGG weniger gerechtfertigt und es sind zumindest noch strengere Anforderungen an das Vorliegen begründeter Anhaltspunkte für den Wegfall des Rechtsschutzinteres-ses zu stellen, als dies bei der Klagerücknahme nach § 92 II VwGO der Fall ist. Die fiktive Klagerücknahme nach § 102 II SGG n.F. sollte demnach noch viel mehr die Ausnahme bilden, als dies im verwaltungsgerichtlichen Verfahren bereits der Fall ist. Im Ergebnis kann vor dem Hintergrund des Art. 103 I GG die Handhabung und

�0 Die Frist zur Verfahrensbetreibung beträgt dabei nach § 102 Abs. 2 SGG n.F. drei Monate, während dem Kläger im Verwaltungsverfahren eine kürzere Frist von zwei Monaten gewährt wird. Zu befürworten ist die längere Frist aufgrund der oftmals vorliegenden Hilfsbedürftigkeit oder Krankheit des Klägers im sozialgerichtlichen Verfahren, weshalb er zur Entscheidungsfindung über die Klagerücknahme mehr Zeit benötigen könnte.�� BVerfG DVBl. 1999, 166, 167; BVerwG NVwZ 2000, 1297, 1298.�� BVerfG NVwZ 1994, 62, 63; für das Zivilprozessrecht im Hinblick auf den Erlass von Versäumnisurteilen vgl. Jauernig, Zivilprozessrecht, 29. Aufl. 2007, S. 215: „Maßgebend ist der einfache Gedanke: Wer sich um seinen Prozess nicht kümmert, verliert ihn.“.�� Roller, in: Hk SGG, § 108 Rdn. 1; zu den Verfahrensgrundsätzen, insb. Sachverhaltsermittlung und Mitwirkung im Sozialrecht vgl. Kunkel, Sozi-alhilferecht, 2. Aufl. 2007, S. 49 ff.

Ausgestaltung des § 102 II SGG n.F., insbesondere im Hinblick auf die Anforderungen an das Vorliegen sach-lich begründeter Anhaltspunkte für einen Wegfall des Rechtsschutzinteresses, der Rechtsprechung überlassen bleiben, sodass verfassungsrechtliche Bedenken unter dem Vorbehalt der ausreichenden Berücksichtigung der Justizgrundrechte des Bürgers in diesem Zusammenhang nicht gegeben sind.

2. Die Präklusion von Erklärungen und Beweismitteln, § 106a SGG n.F.14

Problematisch hinsichtlich der Vereinbarkeit mit Art. 103 I GG könnte auch die Präklusionsmöglichkeit des Gerichts nach § 106a SGG n.F. sein. Die Regelungen sind ähnlich der des § 87b VwGO, § 79b FGO15 sowie des § 296 ZPO. Zweck der Zurückweisung verspäteten Vorbringens ist zum einen Gerechtigkeit, zum anderen Rechtssicherheit und Zweckmäßigkeit16 sowie die Hin-wirkung auf eine Prozessbeschleunigung. In verfassungs-rechtlicher Hinsicht ist die Präklusionsmöglichkeit auch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts insoweit unproblematisch, als dass sie aufgrund ihrer Wirkung die Ausnahme bilden17. So darf ein verspätetes Vorbringen auch vor den Sozialgerichten dann nicht aus-geschlossen werden, wenn offenkundig ist, dass dieselbe Verzögerung auch bei rechtzeitigem Vortrag eingetreten wäre18. Die Fachgerichte sind bei der Auslegung und An-wendung der Präklusionsvorschriften einer strengeren verfassungsgerichtlichen Kontrolle unterworfen, als dies üblicherweise bei der Anwendung einfachen Rechts ge-schieht19. Die aus den genannten Gesetzen übernommene Präklusionsmöglichkeit ist nach alledem unter Berück-sichtigung der bisherigen Rechtsprechung des Bundes-verfassungsgerichts verfassungskonform und Art. 103 I GG hindert den Gesetzgeber nicht daran, durch Präklu-sionsvorschriften auf eine Prozessbeschleunigung hinzu-wirken, sofern die betroffene Partei ausreichend Gele-genheit hatte, sich zu allen für sie wichtigen Punkten zur Sache zu äußern, dies aber aus von ihr zu vertretenden Gründen versäumt hat20.

IV. Die Reform aus rechtspolitischer SichtIm Mittelpunkt der gesamten Reform des SGG stand das Ziel der Verfahrensbeschleunigung. Dies kommt vom Grundsatz her allen am Rechtsstreit Beteiligten zugute, indem auf der einen Seite durch eine schnelle

�� Gleiches gilt für § 157a SGG n.F., der die Regelung für die Berufungs-instanz zum Gegenstand hat (vgl. Fn. 7).�� Im Berufungsverfahren gilt dort § 128a VwGO bzw. § 121 Satz 3 FGO.�� Kopp/Schenke, VwGO § 87b Rdn. 1; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, § 296 Rdn. 2.�� BVerfG NVwZ 1994, 62, 63; BVerfG NJW 1982, 1635; BVerfG NJW 1982, 1453; BVerfG NJW 1985, 1150, siehe auch Leitherer, NJW 2008, 1258, 1259 m.w.N.�� BVerfG NJW 1987, 2733, 2734, 2735.�� Tabbara, NZS 2008, 8, 9; Stelkens, NVwZ 1991, 109, 214.�0 BVerfGE 69, 145, 149; BVerfG NJW 1987, 2733, 2735.

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Kommentar

Entscheidung Rechtssicherheit gewährleistet wird und sich auf der anderen Seite der mit dem Verfahren verbundene Verwaltungsaufwand reduziert. Insbesondere der Leistungsempfänger hat ein überaus großes Interesse an einer schnellst möglichen Feststellung des (Nicht-)Bestehens seines Anspruches, nicht zuletzt weil es bei den Leistungen nach SGB XII um Sozialleistungen des Staates zur Existenzsicherung und somit zur Gewährleistung des Mindeststandards zur Bewältigung des Alltags handelt21.Unzweifelhaft dienen auch §§ 102, 106a SGG n.F dem Zweck der Verfahrensbeschleunigung. Jedoch lässt sich nicht zwangsläufig der Schluss ziehen, die Mehrbelastung der Sozialgerichte mache sogleich eine Gesetzesänderung zwingend erforderlich und es bestehe ein echtes Bedürfnis zur Regelung durch ein abstraktgenerell, für jedermann verbindliches und dauerhaft geltendes Gesetz.Vielmehr gilt es zu untersuchen, ob beispielsweise eine Umstrukturierung bzw. eine Erweiterung des Personalwesens innerhalb der Gerichte ausreichend gewesen wäre. Es kann nicht verschwiegen werden, dass sich beispielsweise die Justiz in Hessen anlässlich des zweiten Hessischen Sozialrichtertages in Wiesbaden geradezu selbst lobt und deklariert, dass der „steigenden Zahl der Verfahrenseingänge eine stetige Verkürzung der Verfahrensdauer und eine massive Steigerung der Erledigungszahlen gegenüber stehen.“22 Wenn dies in Hessen möglich ist, warum dann nicht bundesweit? In der Tat haben auch andere Länder in den vergangenen beiden Jahren neue Richter eingestellt oder die Stellen verlagert und dadurch die Gerichtsbarkeit verstärkt. Ferner erfolgten in allen Bundesländern auch Abordnungen und die Zuweisung von Assessoren an die Sozialgerichte23, sodass vor diesem Hintergrund eine Gesetzesreform entbehrlich erscheinen könnte. Jedoch ist davon auszugehen, dass sich aus langfristiger Sicht diese Vorgehensweise auf die gesamte Haushaltssituation niederschlagen würde: Eine Erhöhung von Planstellen ist zugleich immer mit der Erhöhung von Personal- und Verwaltungskosten verbunden, was weder im Interesse der Regierung, noch im Interesse der Gesamtbevölkerung sein kann. Aus diesem nicht unerheblichen Blickwinkel betrachtet erscheint eine Gesetzesänderung die besser geeignete Lösung zu sein.Nicht verschwiegen werden sollte darüber hinaus, dass der Gesetzgeber den Ländern durch § 1 S. 2 SGG anheim gestellt hat, neben der Möglichkeit der Stellenverlage-rung und Neueinstellung von Richtern für Angelegen-heiten der Sozialhilfe auch besondere Spruchkörper bei

�� BR Drucks. 820/07, S. 1; Tabbara, NZS 2008, 8, 9; Mecke, SozSich 2005, 306, 311.�� Banzer, Pressemitteilung Hessisches Ministerium der Justiz v. 7.2.2008: Dies sei zurückzuführen auf die Erhöhung der Anzahl der Planstellen von 88 im Jahr 2004 auf 104, was einer Personalvermehrung von knapp über 18% entspricht.�� Tabbara, NZS 2008, 8.

den Verwaltungs- und Oberverwaltungsgerichten einzu-richten. Darüber hinaus besteht die den Ländern mitge-gebene Wahlmöglichkeit, bei den Sozial- und Landes-sozialgerichten auf Lebenszeit ernannte Richter anderer Gerichte für mindestens zwei Jahre, längstens jedoch für die Dauer des Hauptamtes, zu Richtern im Nebenamt zu ernennen (§ 11 IV SGG)24. Hätten die Länder innerhalb der dafür bestimmten Zeit bis zum 31.12.2008 von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, hätte dies vermutlich gleichsam eine bessere Aufteilung und somit zumindest eine Minimierung der Überbelastung der Sozialgerichte zur Folge gehabt. Diese Chance tatsächlich genutzt hat allerdings nur Bremen. Für die Wahrnehmung dieser Regelungsmöglichkeit hätte gesprochen, dass beispiels-weise in der Verwaltungsgerichtsbarkeit die Zahl der zu Jahresbeginn anhängigen Verfahren 2004 noch bei 242.164 lag und im Folgejahr auf 217.075 zurückge-gangen ist25. Hieraus könnte man folgern, dass weniger Richter an den Verwaltungsgerichten benötigt werden und ein Teil von ihnen zu Richtern im Nebenamt ernannt werden könnten, was zur Unterstützung der Sozial- und Landessozialgerichte und zu einem Ausgleich innerhalb der Gerichtsbarkeiten geführt hätte. Vor diesem Hinter-grund erscheint es zumindest zweifelhaft, ob der Drang und politische Wille hinsichtlich der Zusammenlegung von Gerichtszweigen wirklich so groß war, dass sich der betriebene Aufwand tatsächlich auszahlen wird und auch im Hinblick auf weitere angestrebte Reformen zur Beschränkung der Gerichtsbarkeiten lohnt26. Ferner han-delt es sich sowohl bei § 102 II SGG n.F. als auch bei § 106a SGG n.F wie dargestellt um absolute Ausnahmere-gelungen. Schon deshalb ist eine merkliche Entlastung für die Gerichte zweifelhaft, da es sich hinsichtlich der Anwendbarkeit wohl um eine sehr geringe Zahl in Be-tracht kommender Fälle handeln wird27. Unabhängig davon stellt sich gerade bei Ausnahmeregelungen stets die Frage, ob sie dann nicht auch gänzlich entbehrlich sind und das Gesetz möglicherweise anderweitige Re-gelungen enthält, die ebenso zielführend sind. Für eine Präklusion verspäteten Vorbringens konnte das Gericht �� Siehe auch BT Drucks. 15/3169, S. 6, 7, 10.�� Statistisches Bundesamt Wiesbaden, Statistisches Jahrbuch 2007, S. 265.�� So auch Meyer-Ladewig, NVwZ 2007, 1262.�� Trotz grundsätzlicher Zustimmung zum Gesetzesentwurf siehe auch Bedenken des Deutschen Sozialgerichtstags während des Gesetzgebungs-verfahrens in seiner Stellungnahme, BT-Ausschussdrucksache 16(11) 910, S. 13. Zustimmend auch Roller, in: SGb 2008, 394 (397) m.w.N.: Das „Drohpotential“ des § 106a SGG n.F. könne höher sein, als der Anwen-dungsbereich und Entscheidungen hinsichtlich der Zurückweisung verspä-teten Vorbringens seien eher die Ausnahme. Vielmehr würde eine solche Zurückweisung oft auch auf andere Gründe gestützt, so dass es letztlich auf die Voraussetzungen der Präklusion nicht ankäme. Eine Entwicklung ist bislang jedoch noch nicht zu erkennen und das dahingehende Ergebnis bleibt abzuwarten; dagegen Becker, in: SGb 2008, 267, 268, 269 bzgl. der Klagerücknahmefiktion § 102 Abs. 2 SGG n.F., welche dem berechtigten Wunsch aller Instanzgerichte, die die ständigen, bergeweisen und wieder-holten Erinnerungen an Klagebegründungen und Stellungnahmen zu einem Gutachten im Rahmen der Wiedervorlage schlicht als unnötige Belastung empfunden hätten, Rechnung trägt.

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Kommentar

schon vor der Reform nach § 104 SGG eine Frist zur Äußerung setzen und sodann verhandeln, auch wenn die Äußerung nicht fristgerecht einging. Darüber hinaus gibt es nach wie vor die Möglichkeit der Entscheidung ohne mündliche Verhandlung mittels Gerichtsbescheides nach § 105 SGG28. All diese Möglichkeiten boten bereits vor der Reform die Möglichkeit eines zügigen Verfahrens zur Erlangung schnellst möglicher Rechtssicherheit. Darüber hinaus ist zweifelhaft, ob die Neuregelungen überhaupt zu einer Verfahrensbeschleunigung führen. Infolge einer Präklusion könnten Anträge nach § 44 SGB X die Folge sein29. Somit birgt die Möglichkeit der Zurückweisung von Vorträgen nach §§ 102, 106a SGG n.F. die Gefahr der Provokation von Neuanträgen und wirkt dem Rechts-frieden vielmehr entgegen, als dass sie ihm nutzt.

V. Fazit und AusblickDer Gesetzgeber unternimmt mit der Gesetzesreform des SGG einen weitestgehend praktikablen Versuch. Wie vom Gesetzgeber angestrebt ist davon auszugehen, dass die Gesamtheit der Neuregelungen tatsächlich zur Entlastung der Sozialgerichte führen wird und die Verfahren zukünftig in vielen Fällen schneller zu einem Ende gelangen werden. Dies ist von Vorteil für alle Beteiligten. Hierzu sind Regelungen der ZPO und der VwGO inhaltlich übernommen und dem sozialrechtlichen Verfahren angepasst worden. Im Großen und Ganzen stellen die Änderungen demnach nicht nur einen guten theoretischen Ansatz dar, sondern zeugen wohl auch von Praktikabilität und praktisch brauchbarer Handhabung.Bei der Ausführung der Neuregelungen, insbesondere der §§ 102, 106a SGG n.F., ist jedoch Vorsicht geboten: Es ist stets zu differenzieren zwischen Synergieeffekten und dem reinen Gedanken der finanziellen Ersparnis, der die mangelhafte Gewährung von Rechtsschutz zur Folge haben könnte. Zudem ist es äußerst heikel, den Mittelweg zwischen Personalbewirtschaftung und Verfahrensbeschleunigung sowie die für alle Beteiligten zumutbare Lockerung des Spannungsverhältnisses zwischen der Durchsetzung sozialer Rechtspositionen auf der einen Seite und der formellen Begrenzung zur Entlastung der Gerichte auf der anderen Seite zu finden.Insbesondere bei §§ 102, 106a SGG n.F. stellt sich die �� Im Berufungsverfahren hatte das Gericht schon vor der Reform die Möglichkeit der Zurückweisung der Berufung durch Beschluss nach § 153 SGG.�� Hiernach müssen auch belastende bzw. rechtskräftige Verwaltungs- & Gerichtsentscheidungen auf Antrag noch einmal überprüft und entspre-chend korrigiert werden, wenn festgestellt wird, dass von einem unrich-tigen Sachverhalt ausgegangen wurde. Einzige Ausnahme bildet § 44 Abs. 2 Satz 2 SGB X im Falle vorsätzlich falscher oder unvollständiger Angaben. Für den Antrag nach § 44 Abs. 1 SGB X ist unerheblich, ob es sich um neue bzw. im ursprünglichen Verfahren schon bekannte Tatsa-chen handelt. § 44 SGB X ist auch im Sozialhilferecht seit der Ablösung des BSHG durch das SGB XII durch § 103 Abs. 4 SGB XII anwendbar (vgl. auch Heße, Schwerpunktkommentar Sozialrecht [Hrsg. Udsching], München 2007, § 44 SGB X Rdn. 9). Eine Änderung des § 44 Abs. 1 SGB X ist jedoch in Planung, sodass zumindest diese Argumentationsstütze in Zukunft wegfallen könnte.

Frage, ob der Gesetzgeber jene aus rechtspolitischer Sicht langfristig vertreten kann. Gerade hier besteht die Gefahr, dass der Richter durch die ihm gegebenen Möglichkeiten zum „kurzen Prozess“ und infolgedessen zu einer falschen Entscheidungsfindung verführt wird, die das Gericht sehenden Auges hinnimmt, und auch im Rechtsmittelverfahren nicht mehr korrigiert werden müsste.Im Sozialgerichtsverfahren gilt eben nicht die Maxime des Beibringungsgrundsatzes, sondern die des Amtsermittlungsgrundsatzes. Gerade in einer mündlichen Verhandlung kann sich mit dem Vortrag der Parteien detailliert auseinandergesetzt werden und neue Beweismittel sollten sodann auch in das Verfahren miteinbezogen werden. Gibt man dem Richter aber die Möglichkeit der Zurückweisung an die Hand, so hat er quasi die Befugnis zu einer Pauschalaufforderung bezüglich der Angabe aller Tatsachen und Beweismittel innerhalb einer bestimmten Frist30, nach deren Ablauf er einem Parteivortrag keine Beachtung mehr zu schenken verpflichtet ist. Eine Beschleunigung des Verfahrens mag in den meisten Fällen hilfreich sein, kann aber auch dazu führen, dass eventuell erst während des Verfahrens zu Tage getretene Umstände keine Geltung mehr finden und es so zu einem dem vollständigen Sachverhalt nicht entsprechenden Urteil kommt.Die Gerichte sollten bei der Anwendung und Auslegung der neuen Vorschriften äußerste Sorgfalt walten lassen. Es gilt stets der Grundsatz der Waffengleichheit, gerade vor dem Hintergrund des besonderen sozialen Schutzbedürfnisses des Leistungsempfängers, zu berücksichtigen. Die den Gerichten zuteil gewordenen Mittel zur raschen Entscheidungsfindung, welche gerade auf dem Gebiet der Sozialgerichtsbarkeit zu erheblichen Auswirkungen für den Alltag des Bürgers in existenzieller Hinsicht führt, sollten die Spruchkörper nur unter strengsten Voraussetzungen und im absoluten Ausnahmefall gebrauchen.Im Ergebnis zeigt die Reform im Großen und Ganzen gute Regelungen; trotzdem bleibt Raum für Verbesserungen. Die richterrechtliche Ausgestaltung der neuen Normen mit hoffentlich jeder Menge Fingerspitzengefühl und Bewusstsein für die Besonderheit sozialgerichtlicher Verfahren zum Vorteil der Bearbeitung von Verfahren größerer Bedeutung, die einen höheren Zeitaufwand verdienen und beanspruchen, bleibt auch nach fast einem Jahr seit Inkrafttreten der Gesetzesänderung ebenso abzuwarten, wie die Beantwortung der Fragen, inwieweit jene neben den verfahrensrechtlichen Aspekten auch dem Bürger hilfreich sein und ihm insoweit zugute kommen werden und ob die Justiz der Verlockung des Missbrauchs und schludrigen Arbeitens durch schnellere und vereinfachte Verfahren widerstehen kann.31

�0 Vgl. auch Plagemann, NZS 2006, 169, 171.* Die Verfasserin ist Studentin an der Goethe-Universität Frankfurt am Main.

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Buchrezensionen

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Bereits auf den ersten Blick gibt sich die Neu-auflage des Lehrbuches von Prof. Volk als echte Lernhilfe zu erkennen:

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Fazit: Wer nicht zumindest ein-mal in seinem Studium mit diesen Lehrbüchern gearbeitet hat, hat etwas verpasst, insbesondere für Hausarbeiten ein absolutes Muss. Der Preis ist im Hinblick auf die Umfang und die Qualität absolut angemessen.

Amer Issa

Handkommentar Ausländer-recht, Hofmann/Hoffmann,

1. Aufl. 2008, 2376 Seiten, Nomos: 128 Euro

Das nunmehr erschie-nene Werk erleichtert

insbesondere aufgrund der umfang-reichen Kommentierung, die prak-tische Arbeit im Ausländer- und Asylrecht. Besonders hervorzuhe-ben ist der sehr übersichtliche Auf-bau des Kommentars und die von den Autoren berücksichtigten EU-Richtlinien, die in der Praxis immer mehr an Bedeutung gewinnen. Das EU-Recht hat im Ausländer- und Asylrecht immer mehr Einfluss und so sind die Kommentierungen zum FreizügG/EU, Assoziation EU/Türkei vom besonderer Be-

Grundriss des Insolvenzrechts, Walter Zimmermann, 7. Aufl. 2008, 162 Seiten, C.F. Müller

Verlag: 16 Euro

Die aktuelle Aufla-ge des Buches von Walter Zimmermann soll Studierenden das

examensrelevante Wissen im In-solvenzrecht vermitteln und eine schnelle Wiederholung vor der Prüfung ermöglichen. Vom Um-fang her ist es schmaler als ein Lehrbuch, aber umfangreicher als ein Skript. Zunächst gibt der Au-tor einen kurzen Überblick, der von der Antragsstellung bis zur Haftung des Schuldners nach Be-endigung des Insolvenzverfahrens reicht. Danach widmet er sich in 14 Abschnitten den einzelnen Pha-sen des Regelverfahrens sowie den beteiligten Akteuren. Weitere fünf Abschnitte beschreiben anschlie-ßend u.a. die Besonderheiten eines Insolvenzplans, der Eigenverwal-tung, der Restschuldbefreiung und des Verbraucherinsolvenzverfah-rens. Die sich nicht durchgängig an die Verfahrensstufen haltende Gliederung hat den Vorzug, deut-lich Schwerpunkte auf die wesent-lichen Begriffe zu setzen, kann jedoch an manchen Stellen Ver-wirrung hervorrufen.Schon bei der ersten Durchsicht fallen die stilistischen Unterschiede zu klassischen Lehrbüchern auf. Sofern Fließtext verwendet wird, sind die zugrundeliegenden Para-graphen in Klammern eingefügt, aber nicht zitiert. Dies soll den

deutung, zumal die Autoren auch die aktuellere Rechtsprechung des EUGH verarbeitet haben. Für die Praxis sehr empfehlenswert ist die Tatsache, dass auch der asylrecht-liche Teil nicht zu kurz kommt und auch die zum Teil hochkom-plizierte Rechtsprechung eingear-beitet wurde. Dabei ist zu berück-sichtigen, dass es den Autoren des Kommentars durchweg gelingt, die zum Teil kaum überschaubaren Zusammenhänge und Verknüp-fungen von einzelnen Vorschriften so zu veranschaulichen, dass nicht nur der Praktiker, sondern auch Studenten das komplexe materielle und formelle Recht rasch erfassen und für die Arbeit im Studium ver-wenden können.

Fazit: Zusammenfassend handelt es sich um ein Werk, welches so-wohl für die Praxis als auch die Theorie im Studium die äußerst schwierige Materie des Ausländer- und Asylrechts verständlich veran-schaulicht.

Rechtsanwalt Abdul Issa

höheren Semester gerichtet, in dem sie zunächst eine kurze Einfüh-rung, einen Prüfungsschemata mit kennzeichneneden Problemfeldern und dem anschließenden thematsi-chen Schwerpunkt eine gelungene Kombination aus Lehr- und Fall-buch bildet. Kurze, prägnante De-finitionen, Problemfelder und die Grundstrukturen werden anhand von visueller Unterstützung durch Graphiken, wiederkehrenden Sym-bolen und einem anschließenden kostenlosen Online-Wissens-Check dem Leser näher gebracht. Positiv sticht der kurze, farblich hervorgehobene Teil eines lerncoa-chings am Anfang jedes Buches hervor: Hier wird von einem Psy-chologen dargestellt, wie man sein Lernen effizienter gestalten kann. Natürlich ist dies nur ein schöner Nebenaspekt, denn in der Tat ist die Schwerpunktsetzung des ei-gentlichen strafrechtlichen Stoffes so durchdacht und schlüssig, dass man hier kaum ein Problem oder einen Meinungsstreit übersieht, sei es die nicht ganz unkomplizierte Materie des erfolgsqualifizierten Versuchs, dem Klausurklassiker der Einordnung von Raub und Erpressung oder der Vorsatz-Fahrlässigkeitskombination bei § 315b StGB. Abgerundet wird der positive Eindruck durch Erinne-rungshilfen am Rande und länge-ren Übungsfällen im Gutachtenstil nach jedem Themenkomplex.

Fazit: Diese Skriptenreihe ist speziell auf die Bedürfnisse des klausurorientierten Studenten zu-geschnitten und ist mithin ein um-fassendes Paket, welches jedoch nur komplett wirklich sinnvoll ist, da Querverweise der einzelnen Skripte untereinander, das Nach-lesen in den verschiedenen The-mengebieten unbedingt erfordlich macht. Das moderne Farb-Layout und die Online-Wissens-Überprü-fung sowie der angemessene Preis lassen diese Reihe als absolut emp-fehlenswert erscheinen.

Amer Issa

zudem die der raschen Wiederho-lung dienenden Verständnisfragen am Ende eines jeden Abschnittes auf, die am Ende des Buches. In-haltlich orientiert sich der Autor bei seiner praxisorientierten Darstel-lung am Gang des Strafverfahrens, wie er sich in die einzelnen Stati-onen wie Ermittlungsverfahren, Zwischenverfahren usw. gliedert. Hierdurch gelingt es Volk, den ins-gesamt doch recht umfangreichen Stoff in überschaubare und damit auch einfacher lernbare Abschnitte zu unterteilen. Indem er daneben einzelne Kapitel verschiedenen Personengruppen zuordnet, wird dem Aufkommen von Eintönigkeit beim Lesen nicht nur effektiv vor-gebeugt, sondern auch die gesetz-mäßige Einbindung der verschie-denen Verfahrensbeteiligten und teilweise sogar deren Berufsver-ständnis aufgezeigt. Zwar erfasst das Werk neben dem Pflichtfach-stoff auch weitergehende Inhalte des Wahlfaches und dringt damit gelegentlich in Bereiche vor, die vom stets ausgelasteten „Normal-studenten“ guten Gewissens etwas rascher durchgearbeitet werden können. Dennoch überwiegt insge-samt der bereits im Titel angeprie-sene Grundkurscharakter, so dass sich das Werk auch und vor allem als erster Einstieg für Studenten eignet, die sich bislang noch nicht mit dem Strafprozessrecht ausein-andergesetzt haben.

Fazit: Das Lehrbuch eignet sich hervorragend zur vorlesungsbeglei-tenden Lektüre für den in strafpro-zessualen Fragen noch nicht ausge-bildeten Einsteiger. Besonders gut gefallen die zusammenfassenden Kontrollfragen, mit denen man das Erlernte sofort einem kurzen Pra-xistest unterziehen kann.

Christian T.H. Waller, LL.M. Eur

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Law Zone Nr. 1/2009 49

Buchrezensionen

Rechzsgeschäftslehre I-II, Ach-im Bönninghaus, 1. Aufl. 2008, C.F. Müller Verlag: 16,95 Euro

Die beiden Teile von Bönninghaus behandeln das Zu-standekommen von Rechtsgeschäften und

die Grundlagen der zivilrecht-lichen Fallbearbeitung. „Rechts-geschäftslehre I“ ist in vier Teile untergliedert. Im ersten Teil wird dem Studenten erklärt, wie man ein juristisches Gutachten schreibt und aufbaut, wie man Anspruchs-grundlagen findet und gliedert. Der zweite Teil behandelt die Funktion und Struktur von Rechtsgeschäf-ten. Der dritte Teil beschäftigt sich sehr ausführlich mit der Willens-erklärung und den verschiedenen Problemen, die bei ihrer Abgabe und ihrem Zugang vorkommen. Im dritten Teil wird das Zustan-dekommen von Verträgen behan-delt, d.h. die Grundlagen aus dem BGB AT. „Rechtsgeschäftslehre II“ behandelt in fünf Teilen die Wirksamkeitserfordernisse von Verträgen (vor allem Vertretung), die Wirksamkeitshindernisse von Rechtsgeschäften (Formgebote, Anfechtung), sowie die Umdeu-tung und die Bestätigung. Die ver-schiedenen Themen werden alle recht ausfürhlich behandelt. Die Bücher unterscheiden sich deshalb von anderen Skripten, weil sie auf visuelle Lernunterstützung setzen. Dem Student wird mit verschie-denen Randsymbolen angezeigt, wo ein besonderes, klausurrele-vantes Problem liegt oder welche Definitionen er unbedingt auswen-dig können muss. Was zuvor in Textform erklärt wird, wird dem Studenten in jedem Kapitel auch noch anschaulich mit Hife von einprägsamen Grafiken näher ge-bracht. Hin und wieder findet man - zur Auflockerung - im Buch auch immer wieder kleine Cartoons, die dem Studenten die monotone The-matik etwas lustig näher bringen wollen. Die Bücher eignen sich daher im allgemein besonders für Studenten, denen es schwer fällt,

Falltraining im Zivilrecht 2, Mar-tin Löhnig, 1. Aufl. 2008, 120 Seiten, C.F. Müller Verlag: 14

Euro

Das Fallbuch von Mar-tin Löhnig behandelt 29 Fälle aus dem Be-sonderen Schuldrecht,

die speziell auf die Anforderungen in den mittleren Semestern ausge-richtet sind. Die Fälle mit klausur-mäßig ausformulierten Lösungen bewegen sich vor allem im Beson-deren Schuldrecht und im Sachen-recht, mit Bezügen zum BGB AT und dem Allgemeinen Schuldrecht. Das Buch richtet sich an Anfänger, die ihr Wissen an leichten, mit-telschweren und anspruchsvollen Fällen überprüfen möchten. Es werden keine wissenschaftlich be-legten Lösungen geboten, sondern Lösungen, die es dem Leser er-möglichen sollen, eine ordentliche Klausur zu schreiben. Unprob-lematische Punkte werden zügig abgehandelt, an schwierigen Kons-tellationen erfolgt eine breitere und problembewusste Erörterung. Das systematische und exemplarische Arbeiten lässt sich an den, nach Schwierigkeitsgrad gekennzeich-

neten Fällen in den Kerngebieten des Zivilrechts, sehr gut trainieren.

Fazit: Das Falltraining im Zivil-recht 2 eignet sich mit seinen Fäl-len sehr gut zum Vorbereiten auf Klausuren. Im Mittelpunkt stehen die Entwicklung des Problembe-wusstseins des Lesers und die Ver-tiefung seiner Systemkenntnisse, anhand derer er unbekannte oder untypische Konstellationen argu-mentativ zu bewältigen lernt.

Elisa Meyer

sich das Gelesene, was meist sehr abstrakt ist, einzuprägen und mit eher visueller Lerntechnik klar kommen. Jedem Kapitel ist ein kleiner Übungsfall inklusive Lö-sung im Gutachtenstil angeschlos-sen, der sich auf das zuvor behan-delte Thema bezieht.

Fazit: Interessanter gestaltet als es jedem Lehrbuch möglich ist, bringen die Bücher aus der JuriQ-Reihe dem Studenten das Wissen auf spannende Weise nahe. Die „bunte“ Gestaltung ist anders als alles, was man bisher an juristi-schen Büchern kennen gelernt hat. Das Buch ist deshalb für Anfän-ger sehr gut geeignet, da es sich sehr ausführlich mit dem Aufbau eines Gutachtens beschäftigt und gerade der Gutachtenstil und der Aufbau einer juristischen Klausur dem Studienanfänger meist am schwersten fällt. Wer eine auflo-ckernde Mischung aus Lehrbuch und Skript zum Thema BGB-AT sucht, ist bei diesen Büchern genau richtig. „Jura macht Spaß“ ist wohl die treffendste Beschreibung der JuriQ-Bücher.

Verena Lerch

Leser zur eigenen Gesetzeslektüre auffordern, unterbricht aber perma-nent den Lesefluss und kann ermü-dend wirken. Einige Tabellen bie-ten darüber hinaus einen Überblick über die Voraussetzungen und Rechtsfolgen der Normen eines bestimmten Verfahrensabschnitts. Eine deutliche Stärke des Buches sind die zahlreichen Beispiele, die in jedem Abschnitt die Gesetzesla-ge veranschaulichen und die As-soziation mit Lebenssachverhalten erleichtern. Bemerkenswert ist auch die sprachliche Gestaltung. Kurze, schnörkellose Sätze lenken den Blick auf das für die Klau-surbearbeitung Wesentliche und könnten zum Teil unverändert als Definitionen verwendet werden.

Fazit: Zur Wiederholung des Stoffes, insbesondere einzelner Bereiche des Insolvenzrechts ist das Buch aufgrund der kompakten Darstellung und der umfangreichen Unterfütterung mit Beispielen gut geeignet. Zum Einstieg in das Rechtsgebiet alleine wäre es nur eingeschränkt zu empfehlen, da na-hezu keine Hintergründe vermittelt werden. Aus reiner Darstellung der Normen lassen sich Prinzipien und Rechtsgrundsätze in der Regel nur schwer erschließen; auch kann die Aufmerksamkeit - ebenso wie bei in der Sache zu ausschweifenden Darstellungen - leiden.

M.-A. Ostoja-Starzewski

Fälle zum Arbeitsrecht, Lutz Michalski, 6. Aufl. 2008, 169 Seiten, C.F. Müller Verlag: 17 Euro

Das Buch von Michal-ski ist ein Fallbuch zum Arbeitsrecht und bietet dem Studenten die Möglichkeit, sein

bereits angeworbenes Können im Arbeitsrecht im taktischen Klau-surtraining zu üben. In 50 Fällen und Lösungen werden die we-sentlichen Standardprobleme des Arbeitsrechts behandelt, wie sie dem Studenten in der Schwer-punktbereichsprüfung, aber vor allem auch im Ersten Staatsexa-men begegnen können. Der erste Teil beinhaltet die Sachverhalte der 50 Klausuren, der zweite die Lösungen. Der Anspruch der Klau-suren schwankt je nach Klausur und behandelnder Themenproble-matik, ist aber hoch genug, um sich in der Examensvorbereitung noch einmal die wichtigsten Probleme des Arbeitsrechts zu verdeutlichen, andererseits nicht zu hoch, sodass auch Einsteiger im Arbeitsrecht, die sich meistens schon im fortge-schrittenen Studium befinden, mit dem Buch arbeiten können. Die Lösungen umfassen jeweils zwei bis vier Buchseiten. Sie beschrän-ken sich auf das Notwendigste, sind aber im Gutachtenstil und so geschrieben wie es in einer Klausur erwartet wird. Der Verdeutlichung

sowie der Vertiefung dienen zu-sätzlich zahlreiche Abwandlungen und Exkurse, die in den Lösungen hervorgehoben sind. Fazit: Mit Hilfe des Buches lässt sich hervorragend die Falltechnik und das Klausurenschreiben im Ar-beitsrecht üben. Die angebotenen Lösungen beschränken sich nicht nur auf die rechtliche Begutach-tung, sondern es werden auch die erforderlichen rechtsodgmatischen Kenntnisse vermittelt. Zur idealen Klausurvorbereitung wird auf je-den Fall zusätzlich ein Lehrbuch benötigt. Leider finden sich auch in dem Buch keine Literaturverweise, die es dem Studenten erleichtern würden, die Problematik gezielt nachzulesen.

Verena Lerch

Grundrechte 25 Fälle, Rauda/Zenthöfer, 1. Aufl. 2009, 120 Seiten, Richter Verlag: 7,80 Euro

Anhand von 25 Fällen aus der Praxis werden die wesentlichen Pro-bleme der Grundrechte für den Studenten ver-

einfacht dargestellt. Aufbau und sprachliche Formulierung einer zur Bearbeitung anstehenden Ver-fassungsbeschwerde bilden den Hauptbestandteil des Buches. Den Fallbearbeitungen vorangestellt sind Schemata und eine Tabelle zur Einteilung der Grundrechte, sowie eine Übersicht zur Zulässigkeit und zur Begründetheit einer Verfas-sungsbeschwerde und letztendlich ein tabellarischer Überblick zur Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz und gegen ein Urteil. So-dann folgen die Fallbearbeitungen, wobei die Schwerpunkte jener im Fettdruck besonders hervorgeho-ben sind. Die Falllösungen nehmen zwar nicht auf vertiefende Litera-tur und Rechtssprechungen bezug, sind aber so ausführlich, dass der Leser auf die Probleme hingewie-sen wird und sodann selbst den von ihm ausgewählten Schwerpunkt auswählen kann. Besonders positiv zu erwähnen ist, dass die Autoren sehr ausführlich auf alle Schutzbe-reiche der Grundrechte eingehen und spezifische Problemfelder, wie zum Beispiel die Wechselwir-kungslehre bei der Meinungsfrei-heit sowie die Drei-Stufen-Theorie in der Berufsfreiheit aufgreifen.

Fazit: Der studentenfreundliche Preis und die prägnante Darstellung der Probleme bilden einen wesent-lichen Punkt für die Anschaffung dieses Buches. Insgesamt ist das Buch als kompaktes Werk in je-

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Law Zone Nr. 1/200950

RedaktionViktoria Lerch, Elisa Meyer, Marc-Alexander Ostoja-Starzewski, Christi-an Waller

Stellv. RedaktionsleitungAmer Issa, Verena Lerch

ChefredakteurAlexander Junkov

Verantwortliche des AnzeigenteilsAmer Issa, Alexander Junkov

Layout / CoverAlexander Junkov

Auflage10.000 Exemplare

Herausgeberin / V.i.S.d.P.Fachschaft Rechtswissenschaft

AnschriftRedaktion Law Zone / FachschaftGoethe-Universität FrankfurtHauspostfach 34 / Grüneburgplatz 160629 Frankfurt am Main

[email protected]

BildnachweiseTitelfoto: © Sascha F. - Fotolia.com,Das Bundesverfassungsgericht

DruckHornberger Druck GmbH79689 Maulburg

Meinungsbeiträge geben die Auffassung der einzelnen Autoren wieder. Ein großer Dank geht an unsere Partner und Sponsoren, die diese Ausgabe der Law Zone ermöglicht haben.

I M P R E S S U M

Buchrezensionen

Schuldrecht AT, Dirk Looschel-ders, 6. Aufl. 2008, 418 Seiten, Carl Heymanns Verlag: 25,90 Euro

Das Buch von Dirk Looschelders behandelt in angemessener Breit die Grundlagen des all-gemeinen Schuldrech-

ts. Es soll dem Studenten prägnant und verständlich das System des allgemeinen Schuldrechts vermit-teln und ist mit seinen 418 Seiten so ausführlich, dass es die Proble-matiken des Allgemeinen Schuld-rechts in aller Breite darstellt. Das Buch handelt in 8 Teilen alle Bereiche des Allgemeinen Schuld-rechts ab. Zudem enthält es einen Anhang, in dem verschiedene Ansprüche und Gestaltungsrechte gutachterlich dargestellt werden. Der Student kann sich auf diese Art daran orientieren, wie er das Gelernte in einer Klausur richtig darstellt. Die Ansprüche werden in der Ausführlichkeit geprüft, wie es auch in einer Klausur erwartet wird. Jedes Kapitel führt zunächst abstrakt mit Hilfe von allgemeinen Definitionen in das Thema ein und verdeutlicht dem Studenten nach fast jedem kleinen Abschnitt mit Hilfe eines Falls die Problematik, sodass er auch in der Lage ist, die Thematik in einem Klausurensach-verhalt zu erkennen und richtig zu lösen. Die wichtigsten Punkte, die in einer Klausur immer angespro-chen und geprüft werden müssen, sind im Text fett gedruckt, sodass man - auch wenn man nur kurz et-was nachschlagen möchte - eben-

falls den Looschelders heranziehen kann. Das Buch enthält nicht nur zahlreiche Fußnoten, sondern auch am Ende eines jeden Kapitels Ver-tiefungshinweise zum Nachlesen und Literaturempfehlungen, vor allem Aufsätze und Musterklau-suren in Fachzeitschriften, mit Hif-le derer der Student sein Wissen prüfen kann.

Fazit: Das Werk von Looschel-ders deckt so umfassend das All-gemeine Schuldrecht ab, dass es zur Erschließung der Thematik vollkommen genügen würde aus-schießlich damit zu arbeiten. Trotz der enormen Stoffbreite auf über 400 Seiten, langweilt es niemals mit spröden, lehrbuchartigen Dar-stellungen. Im Gegenteil: die über-sichtliche Gliederung des Lehr-buchs und die Verdeutlichung mit einfachen Sachverhalten hiflt dem Studenten, sein Interesse am Allge-meinen Schuldrecht zu behalten.

Verena Lerch

dem Fall weiter zu empfehlen, das einen hervorragenden Durchblick sichern wird.

Viktoria Lerch

Verwaltungsprozessrecht, Fried-helm Hufen, 7. Aufl. 2008, 642 Seiten, C.H. Beck: 24,50 Euro

Die nunmehr schon 7. Auflage des Werkes von Friedhelm Hufen zum Verwaltungspro-zessrecht gehört zwei-

felsohne zum Klassiker schlecht-hin. Aus der Reihe „Grundrisse des Rechts“ behandelt der Autor das Thema lehrbuchartig und dennoch nur auf das Nötigste komprimiert. Aufgrund des Taschenbuchfor-mats lässt sich das Werk am Stück durchlesen, eignet sich aber auch als Nachschlagewerk. Die zahl-reichen Beispielsfälle und die umfangreichen Aufbauschemata erleichtern das Abarbeiten der

Lektüre und helfen dem Verständ-nis des Verwaltungsprozessrechts. Tenorierungsvorschläge machen das Buch zudem Referendarskan-didaten schmackhaft.

Fazit: Als Melange aus Lehrbuch und Skript ist der „Hufen“ ein Standardwerk für das Verwal-tungsprozessrecht und gehört als Begleiter durch das Studium bis zum Zweiten Staatsexamen und danach in jedes Regal.

Alexander Junkov

Allg. Verwaltungsrecht + Klau-surenkurs im Verwaltungsrecht, Franz-Joseph Peine, 9./3. Aufl.

2008, C.F. Müller: 23,50/23 Euro

Auf der Suche nach dem Lehrbuch zum Allgemeinen Verwal-

tungsrecht schlechthin, wird man vom Büchermarkt durchweg über-rollt. Im Vergleich fällt dabei auf, dass alte, klassische Standardwerke wie das vorliegende Lehrbuch von Peine in ihrer Form unschlagbar bleiben. Präzise und verständlich behandelt der Autor die Grund-lagen des Allgemeinen Verwal-tungsrechts in Breite und Tiefe. Aufbauschemata, insbesondere aber auch die ausgewählten für das Verwaltungsrecht wegweisenden Entscheidungungen auf CD-ROM sind wertvolle Ergänzungen zum Buch. Eine ideale Ergänzung bie-tet zudem der Klausurenkurs vom gleichnamigen Autor. In dieser Kombination wird das Erlernen des Stoffes in theoretischer wie auch praktischer Hinsicht bei der Fallübung ermöglicht. Hier nimmt der Autor ständig Bezug zum je-weils anderen Buch.

Fazit: Die Kombination aus dem Lehrbuch zum Allgemeinen Ver-waltungsrecht sowie der Klau-surenkurs hierzu sind empfehlens-werte Werke, die aufgrund der Systematik in vollem Umfang die Materie in Theorie und Praxis vor-bereiten.

Alexander Junkov

Europarecht + Fälle zum Eu-roparecht, Arndt/Fischer, 9./6. Aufl. 2008, C.F. Müller: 22,90/18

Euro

Vorliegend sind bei C.F. Müller zwei emp-fehlenswerte Bücher erschienen: Zum einen

das Lehrbuch zum Europarecht von Arndt/Fischer, zum anderen das dazu passende und ergänzende Buch mit Fällen. Während viele Lehrbücher gereade im Europra-recht an Fülle des Stoffes platzen und es an der Übersichtlichkeit mangelt, bietet das vorliegende Lehrbuch zwar weit entfernt vom Skriptcharakter aber dennoch ziemlich kurz gehalten nur das Nö-tigste im Bereich des Europarechts. So behält man die Übersicht über das Rechtsgebiet, kann dennoch in seine Tiefen eintauchen und der Leser verliert so nicht den Spass an der Materie. Nicht zu vergessen ist die wunderbar gestaltete CD-ROM zum Buch, welche neben Gesetzes-texten zum Europarecht zahlreiche wertvolle Arbeitsmaterialien ent-hält. Eine weitere empfehlenswerte Ergänzung zum Üben von Fällen ist der oben genannte Band mit sei-nen umfangreichen 23 Fällen. Fazit: Das Buch eignet sich für alle, die nicht die Übersicht und den Spass am Europarecht verlie-ren wollen. Alexander Junkov

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Law Zone Nr. 1/2009

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gehen Sie an neue Herausforderungen heran und arbeiten gern im Team. Gemeinsam mit Ihren Kolle-ginnen und Kollegen wollen Sie anspruchsvolle Aufgaben zielstrebig lösen. Unsere Arbeitsatmosphäre ist unkompliziert, offen und kollegial. Interne Fortbildung, praxisübergreifende abwechslungsreiche Tätigkeiten und die frühzeitige Einbindung in verantwortungsvolle Aufgaben prägen Ihr zukünftiges Um-feld. Über die Perspektiven, die sich bei Latham & Watkins an den Standorten Frankfurt, Hamburg und München für engagierte

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